Heimsuchung - Jenny Erpenbeck - E-Book

Heimsuchung E-Book

Jenny Erpenbeck

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Beschreibung

Ein Haus an einem märkischen See, in dem ein ganzes Jahrhundert wütet: Es ist der Schauplatz für fünfzehn Lebensläufe, Geschichten, Schicksale, von den Zwanzigerjahren bis heute. Seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Ein Panorama des letzten Jahrhunderts von beeindruckender Wucht.

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Seitenzahl: 266

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Ein Stück Land und ein Haus an einem märkischen See: zwölmal gewonnene, zwölfmal wieder verlorene Heimat – zwölf Lebensgeschichten eines deutschen Jahrhunderts, durch den Ort miteinander verwoben und aneinander gespiegelt. Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazizeit, Krieg und Kriegsende, Deutsche Demokratische Republik, Wende und Nachwende finden ihren Nachklang in diesem Idyll vor den Toren Berlins. Indem Jenny Erpenbeck die große Geschichte an dieses ganz konkrete Stück Erde bindet, spricht sie über die Sehnsucht der Menschen nach dem Bleiben, über das Verlangen nach einem Ort des Friedens, über unüberwindbare Grenzen, über die Liebe, den Tod. Jedem einzelnen Schicksal gibt sie eine eigene literarische Form, jedes entfaltet auf seine ganz eigene Weise seine Hoffnung, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhundert, geformt in einer Literatur, die verstört, beglückt, auch Wunden reißt, die verunsichert und versöhnt.

JENNYERPENBECK wurde 1967 in Ostberlin geboren, dort lebt sie heute als freie Autorin und Regisseurin. Ihr Prosadebüt »Geschichte vom alten Kind« war 1999 ein sensationeller Erfolg, 2001 folgte der Erzählband »Tand«, 2005 der Roman »Wörterbuch«. Ihre Bücher sind in vierzehn Sprachen übersetzt.

JENNYERPENBECKBEI BTB: Geschichte vom alten Kind (72686) · Tand. Erzählungen (72993) · Wörterbuch (73461)

Jenny Erpenbeck

Heimsuchung

Roman

1. AuflageGenehmigte Taschenbuchausgabe Februar 2010,btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.Copyright © 2007 by Eichborn AG, Frankfurt am MainUmschlaggestaltung: semper smile, München, nach einem Entwurf von Jenny Erpenbeck und Christine HuckeUmschlagfoto: Katharina BehlingSatz: Uhl + Massopust, AalenMM · Herstellung: SKISBN 978-3-641-13477-8www.btb-verlag.de

Für Doris Kaplan.

Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, können viel Menschen an einem Platz stehn, einer nach dem andern.

Marie in WOYZECK von Georg Büchner

…, versprecht ihr mir,Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ichKomme, die Ruhe noch einmal wieder?

Friedrich Hölderlin

Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod.

Arabisches Sprichwort

Prolog

Bis zum Felsmassiv, das inzwischen nur noch als sanfter Hügel oberhalb des Hauses zu sehen ist, schob sich vor ungefähr vierundzwanzigtausend Jahren das Eis vor. Durch den ungeheuren Druck, den das Eis ausübte, waren die erfrorenen Stämme der Eichen, Erlen und Kiefern zerknickt und niedergemalmt worden, Teile des Felsmassivs waren gesprengt, zersplittert, zerrieben worden, Löwe, Gepard und Säbelzahnkatze in südlichere Gegenden vertrieben. Über das Felsmassiv hinweg drang das Eis nicht. Dann wurde es nach und nach still, und das Eis begann seine Arbeit, den Schlaf. Während es über Jahrtausende hinweg seinen riesigen kalten Körper nur zentimeterweise ausstreckte oder herumschob, schliff es die Felsbrocken unter sich allmählich rund. In wärmeren Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten schmolz das Wasser an der Oberfläche des Eisblocks ein wenig, und glitt an Stellen, an denen der Sand unter dem Eis leicht fortzuspülen war, unter den schweren riesigen Leib. So trat das Eis, wo eine Erhebung sein Vorankommen hinderte, als Wasser sich selbst unterlaufend, den Rückweg an und floß bergab. In kälteren Jahren war das Eis einfach nur da, lag und war schwer. Und wo es, schmelzend, in wärmeren Jahren Rinnen unter sich in den Boden gegraben hatte, da preßte es in den kälteren Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten sein Eis mit aller Macht wieder hinein, um sie zu verschließen.

Als vor etwa achtzehntausend Jahren erst die Zungen des Gletschers zu schmelzen begannen und dann, während die Erde sich weiter erwärmte, überhaupt alle seine südlicheren Glieder, ließ er nur wenige Pfänder in der Tiefe der Rinnen zurück, Inseln von Eis, verwaistes Eis, Toteis wurde es später genannt.

Vom Körper, zu dem es einst gehört hatte, abgeschnitten und eingesperrt in die Rinnen, taute dieses Eis erst viel später, etwa um dreizehntausend vor Beginn der christlichen Zeitrechnung wurde es wieder Wasser, versickerte in der Erde, verdunstete in der Luft und regnete wieder herab, als Wasser begann es, zwischen Himmel und Erde zu kreisen. Wo es nicht tiefer dringen konnte, weil der Boden schon satt war, sammelte es sich über dem blauen Ton und stieg an, schnitt mit seinem Spiegel quer durch die dunkle Erde und wurde nur in der Rinne wieder sichtbar als klarer See. Der Sand, den das Wasser selbst vom Felsen gerieben hatte, als es noch Eis war, rutschte jetzt hier und da von den Seiten in diesen See und sank auf dessen Grund, so bildeten sich an manchen Stellen unterseeische Berge, an anderen Stellen blieb das Wasser so tief, wie die Rinne ursprünglich war. Eine Zeitlang würde der See jetzt inmitten der märkischen Hügel seinen Spiegel dem Himmel hinhalten, würde glatt daliegen zwischen Eichen, Erlen und Kiefern, die jetzt wieder wuchsen, viel später würde er, wenn es irgendwann Menschen gab, von diesen Menschen sogar einen Namen bekommen: Märkisches Meer, aber eines Tages würde er auch wieder vergehen, denn, wie jeder See, war auch dieser nur etwas Zeitweiliges, wie jede Hohlform war auch diese Rinne nur dazu da, irgendwann wieder ganz und gar zugeschüttet zu werden. Auch in der Sahara gab es einmal Wasser. Erst in der Neuzeit trat dort das ein, was man in der Wissenschaft als Desertifikation bezeichnet, zu deutsch Verwüstung.

Der Gärtner

Woher er gekommen ist, weiß im Dorf niemand. Vielleicht war er immer schon da. Er geht den Bauern bei der Veredelung ihrer Obstbäume im Frühling zur Hand, okuliert Wildlinge um Johannis auf treibende, oder im zweiten Safttrieb auf schlafende Augen, kopuliert die Äste der zu veredelnden Bäume oder schäftet sie an, je nach Dicke, bereitet die notwendige Mischung aus Harz, Wachs und Terpentin und verbindet die Wunde dann mit Papier oder Bast, jeder im Dorf weiß, daß die Bäume, die von ihm umgepfropft werden, beim weiteren Wachsen die regelmäßigsten Kronen zeigen. Im Sommer wird er von den Bauern als Schnitter und zur Aufstellung der Hocken geholt. Auch bei der Trockenlegung des dunklen Bodens der Parzellen am Seeufer fragt man ihn gern um Rat, er versteht sich darauf, die Zöpfe aus grünem Fichtenreisig zu flechten, steckt sie in der richtigen Tiefe in die Bohrlöcher zur Ableitung des Wassers. Er geht den Dorfleuten bei der Reparatur der Pflüge und Eggen zur Hand, schlägt im Winter mit ihnen gemeinsam Holz und zersägt die Stämme. Ihm selbst gehört kein Grund- und auch kein Waldstück, allein wohnt er in einer verlassenen Jagdhütte am Rande des Waldes, wohnt da schon immer, jeder im Dorf kennt ihn und dennoch wird er von den Leuten, jungen und alten, nur Der Gärtner genannt, als hätte er sonst keinen Namen.

Der Großbauer und seine vier Töchter

Wenn eine heiratet, darf sie sich ihr Brautkleid nicht selbst nähen. Auch in ihrem eigenen Haus darf das Brautkleid nicht hergestellt werden. Auswärts wird es genäht und beim Nähen darf keine Nadel zerbrechen. Der Stoff für ein Brautkleid darf beim Nähen nicht gerissen, er muß geschnitten werden. Ist beim Zuschneiden ein Fehler passiert, darf das Stück Stoff nicht mehr verwendet werden, es muß ein neuer Streifen vom gleichen Stoff nachgekauft werden. Die Schuhe für die Hochzeit darf die Braut sich nicht von ihrem Bräutigam schenken lassen, sondern muß sie sich selber kaufen, und zwar von den Pfennigen, die sie zuvor über lange Zeit hinweg gesammelt hat. Die Hochzeit darf nicht in der heißesten Zeit, also nicht an den Hundstagen stattfinden, aber auch nicht im wetterwendischen Monat April, die Wochen des Aufgebots vor der Hochzeit dürfen nicht auf die Marterwoche vor Ostern fallen, und bei der Hochzeit selbst soll Vollmond sein, oder wenigstens zunehmender Mond, der beste Monat für eine Hochzeit ist Mai. Einige Wochen vor dem Hochzeitstermin wird das Aufgebot bestellt und im Schaukasten ausgehängt. Die Freundinnen der Braut flechten Blumengirlanden und umkränzen damit den Kasten. Ist das Mädchen im Dorf beliebt, werden es drei oder mehr Ranken sein. Eine Woche vor dem Hochzeitstag wird mit dem Schlachten und Backen begonnen, aber die Braut darf auf keinen Fall ein Feuer im Ofen flackern sehen. Am Tag vor der Hochzeit kommen nachmittags die Kinder des Dorfes und poltern, sie werfen Geschirr in den Torweg, so daß es zerbricht, aber kein Glas, und bekommen von der Hochzeitsmutter Kuchen gereicht. Am Polterabend bringen die Erwachsenen ihre Geschenke, sie sagen Gedichte auf und nehmen am Polterabendschmaus teil. Am Polterabend dürfen die Lichter nicht flackern, das bringt Unglück. Die Scherben am Torweg fegt die Braut am andern Morgen zusammen und wirft sie in eine Grube, welche der Bräutigam ausgehoben hat. Danach wird die Braut von ihren Freundinnen für die Hochzeit geschmückt, sie trägt Myrtenkranz und Schleier. Tritt das Brautpaar aus dem Haus, halten zwei Mädchen ein Blumengewinde, sie senken es nieder, das Brautpaar steigt darüber hinweg. Sodann erfolgt die Abfahrt zur Kirche. Die Pferde haben an den Außenseiten des Zaumes zwei Bänder, ein rotes für die Liebe, und ein grünes für die Hoffnung. Die Peitschen zeigen dieselben Bänder. Die Brautkutsche ist mit einer Ranke von Buchsbaum geschmückt, manchmal auch von Wacholder. Die Brautkutsche fährt als letzte hinter den Kutschen der Gäste, sie darf nicht stehenbleiben und auch nicht umkehren. Der Brautzug muß, wenn irgend möglich, vermeiden, am Friedhof vorüberzufahren. Die Brautleute dürfen sich während der Fahrt nicht umsehen. Regnen darf es, aber schneien sollte es nicht während der Fahrt. Soviel Flocken Schnee,/ soviel Ach und Weh. Auch darf die Braut vor dem Altar nicht ihr Taschentuch fallenlassen, sonst gibt es in der Ehe viel Tränen. Auf dem Heimweg fährt der Brautwagen den anderen voran, er muß schnell fahren, sonst geht es in der Ehe den Krebsgang. Betritt das Brautpaar die Türschwelle des Hochzeitshauses, muß es über Eisen, also über eine Axt oder ein Hufeisen, treten. Beim Hochzeitsmahl sitzt das Brautpaar in einer Ecke, dem Brautwinkel, den es nicht verlassen darf. Die Stühle des Brautpaares sind mit Efeuranken geschmückt. Nach dem Mahl schleicht ein Bursche unter den Tisch und zieht der Braut einen Schuh ab, der zur Versteigerung kommt und am Ende vom Bräutigam ersteigert werden muß. Der Erlös kommt den Kochfrauen zu. Um zwölf Uhr nachts wird unter Singen der Schleier zerrissen und einem jeden Gast ein Stück davon als Andenken mit auf den Weg gegeben. Nach der Hochzeit bezieht das junge Paar die neue Wohnung. Dort haben gute Freunde ein Päckchen mit Brot, Salz und etwas Geld auf den Ofen gelegt, damit es nie an Nahrung und Geld fehle. Das Päckchen muß ein ganzes Jahr unberührt da liegenbleiben. Die zwei Worte, die bei einer Heirat am wichtigsten sind, lauten: Darf und muß, und darf, und muß, und darf, und muß. Die erste Arbeit der jungen Frau in der neuen Wohnung ist es, Wasser zu holen.

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