Heiraten Sie mich,Mylord - Barbara Cartland - E-Book

Heiraten Sie mich,Mylord E-Book

Barbara Cartland

0,0

Beschreibung

Tyson Dale, ein englischer Major kommt nach 13 Jahren Militärdienst nach Hause zurück. Während er in verschiedenen Schlachten in Indien und Europa gekämpft hatte, starben seine Eltern und der Landsitz der Familie verarmte und wurde sehr baufällig. Sein Großvater, Lord Wellingdale hatte Tyson dem Adelstitel als nicht als würdig angesehen, da die Heiratsurkunde seiner Eltern nicht gefunden werden konnte. Auch das Geld seines Vaters, dem ältesten Sohn Lord Wellingdales, war verschwunden. Tyson wird Zeuge einer geplanten Entführung einer sehr schönen und minderjährigen Erbin, Evangeline Charlwood. Beide – der Entführer aber auch ihr Vormund wollen sie zu einer Hochzeit zwingen. Tyson bringt das Mädchen nach einer tollkühnen Rettungsaktion auf seinen Landsitz 'Revel Royal'. Wird es Tyson gelingen, Evangeline vor einer ungewollten Ehe zu retten? Werden die beiden 'Revel Royal' wieder in seine frühere Pracht verwandeln können?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 196

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Evangeline Charlwood

Eine schöne junge Erbin, die ihres Reichtums nicht froh wird.

Sir Neville Blakely

Skrupelloser Mitgiftjäger, der eine Entführung nicht scheut, um an Evangelines Geld zu kommen.

Manfred Dale

Reicher Snob der Londoner Gesellschaft, der ebenfalls hinter ihrem Geld her ist.

Tyson Dale

Major der englischen Armee - Manfreds Cousin -, der nach dem Sieg über Napoleon völlig verarmt auf seinen Landsitz zurückkehrt und als einziger an ihr persönlich interessiert ist.

Die Autorin über diesen Roman

Aus den Freiheitskriegen zurück, in denen Deutschland und England als Alliierte miteinander gegen Napoleon kämpften und siegten, werden die Soldaten - wie unser Major Tyson Dale - ihres Sieges nicht froh, denn dieser Krieg hatte die Staatskassen vollkommen ausgeplündert. Deshalb musste die englische Regierung 300 000 Soldaten entlassen, ohne ihnen eine Pension zahlen zu können.

Erstes Kapitel ~ 1816

Der Mann ritt auf seinem herrlichen, schwarzen Hengst die überwucherte Zufahrt hinunter. Dabei musste er einigen abgestorbenen Ästen ausweichen, die von den Eichen am Rande des Weges herabgefallen waren.

Er überquerte die steinerne Brücke, die über den See führte, und ritt in den Hof. Die Kieselsteine am Boden waren schon fast gänzlich von Moos und Unkraut bedeckt. Er brachte sein Pferd zum Stehen und blickte zu dem mächtigen, steinernen Wappen empor, das über dem altertümlichen Portal prangte.

Einige Augenblicke schaute er sinnend dorthin, so als werfe er einen Blick in die Vergangenheit derer, denen dies einst gehört hatte.

Als er seinen Blick weiter schweifen ließ, fielen ihm die rautenförmigen Fenster auf, deren Scheiben zerschlagen waren, auch die Ziegel, die verfugt werden mussten, und die steinernen Ornamente, die angeschlagen oder zerbrochen waren.

Während er seinen Kopf langsam nach oben wandte, bemerkte er auch an der Balustrade, die das Dach säumte, einige Lücken.

Er seufzte, stieg vom Pferd, tätschelte es am Hals und sagte dann:

„Geh und such dir etwas Gras, Salamanca! Aber lauf nicht zu weit weg!"

Das Pferd schien ihn zu verstehen und trottete quer über den Hof auf das hohe Gras zu, das jetzt den ehemals so weichen Rasen überwucherte.

Der Reiter blickte dem Pferd nach. Dann, als wisse er bereits, dass der Versuch, durch den Haupteingang ins Haus zu gelangen, vergeblich wäre, schritt er um das Gebäude herum. Hier führte der Weg direkt zu den Stallungen und bog nach links zum Lieferanteneingang ab.

Er war völlig von Lorbeer und anderen Sträuchern überwachsen; anders als früher, wo er noch gepflegt und in Ordnung gehalten wurde!

Alles wirkte wie ausgestorben, und zuerst glaubte der Mann, das Haus sei unbewohnt. Doch als er die Sträucher ein wenig zur Seite drückte, sah er, dass die Tür nur angelehnt war. Er ging hinein.

Vor ihm erstreckte sich ein langer, mit Fliesen ausgelegter Gang, von dem aus man rechts in die Meierei abbog. Er warf dort einen Blick hinein und sah die leeren Marmorbänke, auf denen einst große, mit Sahne gefüllte Schüsseln gestanden hatten. Dann ging er weiter und kam zunächst in den Spülraum, an den sich die riesige, hochgewölbte Küche anschloss.

Er erinnerte sich an die Schinken, die an den Deckenbalken gehangen hatten, und an den Herd, der früher wohl mit einem Dutzend von Töpfen und Pfannen aus Messing vollgestellt gewesen war.

Mrs. Briggs, die für seinen Vater gekocht hatte und die wegen ihrer exzellenten Braten einen guten Ruf genoss, war damals emsig am blankgescheuerten Küchentisch beschäftigt gewesen, während mindestens drei Küchenmägde und etliche Burschen ihr zur Hand gingen.

Er nahm an, dass er die große Küche und auch die Meierei menschenleer vorfinden würde. Jedoch sah er eine weißhaarige kleine Frau in einer Ecke sitzen, die Erbsen in eine Schüssel las. Einen Augenblick lang sah er sie ungläubig an. Als sie dann zu ihm aufschaute, näherte er sich ihr und fragte:

„Mrs. Briggs. Sie sind Mrs. Briggs?“

Die alte Frau sah ihn mit etwas müden Augen an und rief überrascht:

„Master Tyson! Ihre Stimme hätte ich überall erkannt!“ Sie wollte sich gerade erheben, aber Tyson Dale ging auf sie zu und legte ihr seine Hand auf die Schulter:

„Nein, bleiben Sie ruhig sitzen. Ich freue mich, Sie wiederzusehen. Ich fürchtete schon, Sie hier nicht mehr anzutreffen.“

„Oh, das wäre ja noch schöner, Master Tyson! Und Ihr Anblick ist eine Wohltat für meine kranken Augen, nachdem Sie so lange fort gewesen sind!“

„Dreizehn Jahre lang, um genau zu sein“, sagte Tyson Dale. Er holte sich einen Küchenstuhl herbei und setzte sich neben die alte Frau. Dabei dachte er, dass Mrs. Briggs schon weit über achtzig Jahre alt sein müsse, denn sie war schon alt gewesen, als er 1803, vor genau dreizehn Jahren, England verlassen hatte, um nach Indien zu fahren.

„Wie ist es Ihnen ergangen, Master Tyson?“ fragte Mrs. Briggs gesprächig.

„Recht gut“, antwortete Tyson Dale. „Aber nun, da der Krieg vorüber ist und die Armee keine Soldaten mehr braucht, bin ich heimgekehrt.“

Mrs. Briggs sah ihn besorgt an.

„Sie haben doch nicht vor, hier zu leben, Mister Tyson?“

„Ich kann nirgendwo sonst bleiben.“

Mrs. Briggs schüttelte erstaunt den Kopf.

„Das wäre nicht sehr angenehm für Sie. Mein Mann und ich haben das Beste versucht, aber ein so großes Haus wie dieses - das ist einfach zu viel für zwei alte Menschen.“

„So haben Sie niemanden, der Ihnen zur Hand geht?“

„Nach dem Tode Ihres Vaters war kein Geld mehr da, um irgendjemanden zu bezahlen, Master Tyson. Aber mein Mann und ich, wir blieben hier, weil wir nirgendwo sonst hätten hingehen können."

Tyson Dales Lippen spannten sich. „Was geschah denn mit dem Geld meines Vaters? Er muss doch etwas hinterlassen haben!"

„Wie sollten wir das wissen, Master Tyson?“ fragte Mrs. Briggs. „Uns erzählte man nur, dass Ihnen das Haus gehören würde, falls Sie jemals aus diesem schrecklichen Krieg zurück- kehren sollten. Danach ist niemand wieder an uns herangetreten."

„Und wie sind Sie dann zurechtgekommen?"

„Mein Mann und ich hatten ein wenig gespart, aber es war eben nicht viel. Und in diesem Jahr war das Leben für uns sehr schwierig."

Tyson Dale fasste in seine Börse. „Ich möchte versuchen, es wiedergutzumachen", erwiderte er. „Aber ich will ehrlich sein und Ihnen sagen, dass es nicht einfach werden wird. Hier haben Sie zumindest ein paar Sovereigns für die nächste Zeit. Vielleicht können Sie mir heute Abend auch eine kleine Mahlzeit bereiten."

Mrs. Briggs schaute ungläubig auf die Goldmünzen.

Als sie das Geld nahm, meinte sie: „Ich werde Ihnen das Zimmer Ihres Vaters herrichten. Dort werden Sie nun schlafen, da Sie der Hausherr sind. Zum Glück ist auch mit der Zimmer- decke alles in Ordnung.“

Tyson Dale wollte sie gerade fragen, was sie damit meinte, als ihm selbst die Antwort einfiel.

Es war ja nicht weiter verwunderlich, dass bei einem Haus, an dem so lange keine Reparaturen ausgeführt wurden, die Decken durch die Feuchtigkeit einzustürzen drohten. So war er beinahe sicher, dass der erste Stock inzwischen unbewohnbar sein würde.

Beim Verlassen der Küche fielen ihm überall Staub und Spinnweben auf. Doch war ihm klar, dass er niemandem außer sich selbst Vorwürfe machen konnte. Aber so, wie die Dinge einmal standen, hatte er damals nichts daran ändern können.

Er war aus Indien zurückgekehrt und hatte in Wellingtons Heer in Portugal gekämpft, als ihm der Brief mit der Nachricht vom Tode seines Vaters mit großer Verspätung erreichte.

Erst ein Jahr später hatte er erfahren, dass die Rechtsanwälte keine Heiratsdokumente seines Vaters hatten entdecken können. Deshalb hatte sein Onkel verlangt, dass Lord Wellingdale, Tysons Großvater, als mutmaßlicher Erbe eingesetzt wurde.

Ein Jahr später las Tyson zufällig in einer verspäteten Ausgabe der „Morning Post", dass sein Großvater gestorben und sein Onkel nun der sechste Lord Wellingdale geworden war.

Damals schienen diese Dinge keine besondere Bedeutung für ihn zu haben. Denn er war mit seiner Truppe viel zu sehr in die Kämpfe gegen Napoleon verwickelt. Dagegen wirkten England und die gesellschaftlichen Probleme dort weit entfernt.

Aber jetzt, da er in seine siegreiche Heimat zurückgekehrt war, fing er an, sich zu fragen, wie es mit seinem Leben in Zukunft weitergehen sollte.

Es schien wie ein Wunder, dass Großbritannien einen kriegerischen Staat wie Frankreich besiegt hatte, der bei Ausbruch des Krieges fast dreimal so viele Einwohner zählte wie England.

Obwohl Napoleon fast ganz Europa gegen die Engländer, die er verächtlich ein „Volk von Krämern“ genannt hatte, mobilisierte, siegten diese schließlich doch und zerschlugen ihn und seine Herrschaft.

Tyson Dale wusste, dass England trotz der vielen Opfer, die es während des zweiundzwanzig Jahre dauernden Krieges gebracht hatte, noch reicher als zuvor war.

Aber während England mit Hilfe des Nachrichtenwesens, der Tonnage der Handelsflotte und durch Eroberungen in aller Welt zu einem reichen, blühenden Imperium geworden war, musste Tyson Dale, wie viele andere, die für den Sieg gekämpft hatten, der Tatsache ins Auge sehen, dass er keinen Pfennig mehr besaß.

Es geschah, was gewöhnlich passiert, wenn ein Krieg vorüber ist: Die Männer, die man während der Schlacht zu Helden erkoren hatte, waren jetzt - ins bürgerliche Leben zurückgekehrt - in der Mehrzahl ohne Ruhegelder.

Sie bekamen keine Entschädigung dafür, dass sie im Kampf ihr Leben riskiert hatten, und schon gar nicht für den Verlust ihrer Arbeit oder ihrer Ersparnisse. Und viele verloren dazu noch ihre Frauen, ihr Heim und ihre Familien. Zum Glück hatte Tyson Dale nur für sich selbst zu sorgen.

Auch überlegte er seit der Zeit, als er mit seinem gesamten Besitz, bestehend aus seiner Uniform und dem Dienstpferd Salamanca, im Hafen von Dover gelandet war, was mit ihm geschehen solle.

„Wenigstens bleibt mir mein Besitz ,Revel Royal'", hatte er sich gesagt.

„Revel Royal!" rief er nun, während er durch den Flur schritt, und Bitterkeit lag in diesen Worten. Es gab nichts ‚Königliches‘ mehr an diesem Haus.

Es war seinem Vater von dessen Mutter, einer geborenen Osborne, vererbt worden - und nicht von den Dales. Die Dales hätten es sonst zweifellos für sich gefordert, so wie sie es mit dem Adelstitel, dem Grundbesitz und dem Vermögen seines Großvaters gemacht hatten.

Tysons Großmutter wollte ihren ältesten Sohn, Hubert, unabhängig von seinem Vater wissen, und so vermachte sie ihm das Haus, welches sie geerbt hatte. Unglücklicherweise war es ihr aber nicht gestattet, von dem Geld, das zum Erbe gehörte, auch nur irgendetwas abzutreten.

Tyson Dale wusste jedoch, dass sein Vater als junger Mann von seinem Vater ein Taschengeld bekam, das er, gewitzt wie er war, in ein kleines Vermögen verwandelt hatte. So konnte er tun, was er wollte.

Zum Entsetzen seiner Familie heiratete er auch nicht das Mädchen, das man für ihn bestimmt hatte, sondern brannte stattdessen mit der hübschen Tochter des Vikars im Ort durch, die zu jung war, als dass sie ohne die Einwilligung ihres Vaters hätte heiraten können.

Der Vikar jedoch verweigerte seine Einwilligung, weil er von Lord Wellingdale - dem Eigentümer des Pfarrhauses - abhängig war.

So verschwanden Hubert Dale und Mary Dawson eines Tages wie vom Erdboden verschluckt.

Und obwohl Lord Wellingdale, der sehr ungehalten war, und Reverend Dawson die beiden intensiv suchen ließen, tauchte das Paar erst wieder auf, als Mary bereits einundzwanzig Jahre alt war.

Sie bezogen dann den Landsitz ‚Revel Royal‘ und lebten dort als Mann und Frau. Ihren zwei Jahre alten Sohn nannten sie Tyson.

Lord Wellingdale hatte nun kein Interesse mehr an ihnen. Er war ein eigensinniger, rechthaberischer Mann, der keinerlei Widerstand duldete. Er erwartete von seinen Söhnen, dass sie ihm wie seine Soldaten gehorchten.

George, sein zweiter Sohn, war viel fügsamer. Er war der Ansicht, sein älterer Bruder sei ein rechter Narr gewesen, als er all die Bequemlichkeiten des Vaterhauses aufgegeben und die gesellschaftlichen Vorteile ignoriert hatte, die eine Heirat mit einer vom Königspaar und vom Hof akzeptierten Frau geboten hätte.

George heiratete nun eine Frau, die seinem Vater höchst genehm war. Sie war eine Adlige und eine reiche, rechtmäßige Erbin.

Lady Edith Dale hatte keinerlei Bedürfnis, die Bekanntschaft mit der Tochter eines Pfarrers herbeizuführen, selbst wenn sie ihre Schwiegertochter war. Und George war schon immer auf seinen älteren Bruder eifersüchtig gewesen.

Tyson konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Onkel, seine Tante oder etwa sein Großvater jemals nach ‚Revel Royal‘ gekommen waren. Und falls sein Vater einmal von seinen Verwandten sprach, so tat er dies immer mit spöttelnder Bitterkeit.

Immerhin war seine Mutter sehr froh, ohne sie leben zu können. Sie liebte den Mann, mit dem sie einst von zu Hause weggelaufen war, mit einer unerschütterlichen Hingabe, wo- durch sie nicht nur ihrem Gatten, sondern auch ihrem Sohn ein glückliches Leben in ‚Revel Royal‘ bereitete.

Tyson konnte sich nicht erinnern, sich jemals in seiner Kindheit einsam gefühlt oder die Gesellschaft anderer Kinder vermisst zu haben.

Für ihn hatte es so viele Möglichkeiten des Zeitvertreibs gegeben. Er konnte reiten, sich im Schießen üben, im See angeln, auf Bäumen herumklettern, und er hatte einen Vater, der sich wünschte, mit seinem Sohn alle Freuden und Leiden des kleinen landwirtschaftlichen Betriebes zu teilen.

Als er nun in die Bibliothek trat, in der er sich als Junge oft mit seinem Vater aufgehalten hatte, um über die Zukunftspläne zu sprechen oder über die bevorstehende Ernte, überkam ihn der Gedanke, dass es gerade die räumliche Begrenztheit dieses Ortes war, die ihn so abenteuerlustig gemacht hatte.

Er war Soldat geworden, weil er seinen Horizont erweitern wollte. Und er war ein außergewöhnlicher Soldat gewesen, weil er etwas von Menschenführung verstand.

Er hatte mit seinen Untergebenen wie ein Vater zu seinen Kindern gesprochen, und sie gehorchten ihm und waren bereit, mit ihm zu kämpfen und zu sterben.

Als er vom Tode seines Vaters hörte und erfuhr, dass sich sein Onkel zum rechtmäßigen Erben erklärt hatte, dachte er zunächst, es sei ein leichtes, nach seiner Rückkehr zu beweisen, dass seine Eltern verheiratet gewesen waren. In diesem Fall wäre er nämlich der rechtmäßige und würdige Nachfolger seines Großvaters.

Es war ihm aber nicht möglich, gleich nach England zurückzukehren, um sich selbst um diese Angelegenheit zu kümmern, die im Vergleich mit dem Sieg über Napoleon Bonaparte nur eine ganz unbedeutende, persönliche Bagatelle zu sein schien.

Er schrieb daher dem Rechtsanwalt seines Vaters, den er schon seit seiner Kindheit kannte, und bat ihn, die näheren Umstände der Heirat seiner Eltern zu klären. Außerdem sollte er Tysons Mutter fragen, wo damals die Hochzeitsfeierlichkeiten abgehalten worden waren.

Einige Monate später erfuhr er, dass sein Brief erst nach dem Tode seiner Mutter eingetroffen war. Und obwohl ganz ‚Revel Royal‘ gründlich durchsucht wurde, fand man keine Dokumente, die eine Heirat bewiesen und damit belegten, dass Tyson ein ehelich geborenes Kind war.

Tyson Dale hatte die ganze Situation damals einfach lächerlich gefunden und wollte nicht wahrhaben, wie ernst sie eigentlich war, bis er aus einer Zeitung erfuhr, dass sein Onkel nun der sechste Lord Wellingdale geworden war.

Nun war dadurch sein Cousin Manfred, den er nie gemocht hatte, berechtigt, den Titel ‚Ehrenwerter‘ zu tragen. Tyson musste aber befürchten, dass er als unehelicher Sohn seiner Mutter angesehen wurde und nicht einmal sein Name ‚Dale‘ rechtmäßig war. Ich werde das alles bei meiner Heimkehr regeln, hatte er sich vorgenommen.

Aber jetzt, angesichts des Verfalls um ihn herum, wurde ihm bewusst, dass es ja viel Geld kosten würde, wollte er den Streitfall vor Gericht bringen.

Er konnte sich die Anwaltskosten jedoch einfach nicht leisten, da er in der Zwischenzeit selbst für seinen Unterhalt zu sorgen hatte.

Die Bibliothek erschien ihm nun kleiner als früher, aber so schön wie eh und je.

Die hellen Lederrücken der Bücher waren schon lange verblichen, und sie waren grau vor Staub. Staub ließ auch die Farben der Deckenmalerei stumpf erscheinen. Viele zerbrochene Glasscheiben waren mit Lumpen notdürftig geflickt, und das Licht schien unregelmäßig ins Zimmer zu dringen, als Tyson die zerfetzten und ausgefransten Vorhänge zur Seite zog.

Zehn Jahre waren seit dem Tode seines Vaters vergangen, und eine Menge hatte in dieser Zeit geschehen können.

Im oberen Stockwerk sah es fast noch genauso aus wie früher. Die riesigen Himmelbetten waren unverändert. Wie die Legende erzählte, gab es die Betten seit der Zeit, als das Haus durch Charles II. seinen Namen erhielt. Es hieß, er habe dort, umgeben von den schönsten Frauen, ein sehr unterhaltsames Wochenende verbracht.

Bevor er abreiste, habe er seinem Gastgeber, Sir Thomas Osborne, mitgeteilt, dass er sich köstlich amüsiert habe, und deshalb solle das Haus fortan als ‚Revel Royal‘, was so viel wie ‚Königliches Gelage‘ bedeute, in die Geschichte eingehen.

Die schäbige und heruntergekommene Fassade wirkte wie die Verhöhnung der Pracht und des Zaubers von einst.

Tyson Dale ging weiter und hörte unter seinen Schritten lose Bodenfliesen knirschen. Überall sah er blätternden Putz oder zerfetzte Tapeten. Im obersten Geschoß waren, wie er befürchtet hatte, die Decken auf den Fußboden gestürzt.

Die Flure waren fast nicht mehr zu betreten, und als er die Treppe hinunterging, an deren Geländer einige geschnitzte Pfosten umgestürzt waren oder fehlten, fragte er sich wieder, wie es mit diesem Haus und mit ihm selbst weitergehen sollte.

Beim Militär hatte er sein Selbstbewusstsein entwickelt; denn es war unmöglich, eine Anzahl von Männern zu befehligen und von allen akzeptiert zu werden, wenn man selbst nicht genug Durchsetzungskraft besaß.

Nun, zum ersten Mal nach vielen Jahren, fühlte sich Tyson Dale unsicher und voller Zweifel. Und dies waren Empfindungen, die ihn nicht gerade froh stimmten.

Die Schatten draußen wurden länger, als der alte Briggs, der seines Vaters Butler gewesen war, in den Salon geschlurft kam. Und dieser Raum schien noch verblichener und noch leerer zu sein als irgendein anderes Zimmer im Haus.

Dort hatte seine Mutter immer gesessen. Tyson konnte sich noch daran erinnern, wie er als kleiner Junge vor seinem Kindermädchen aufgeregt die Treppen hinunterstürmte, weil sich seine Mutter dann die Zeit nahm, mit ihm zu spielen. Sie wartete immer im Salon auf ihn.

Die Fenster boten einen Ausblick auf den Rosengarten, der ihre besondere Freude gewesen war.

In Tyson stiegen auch die Erinnerungen an die Wiesen auf, wo er zwischen den Heuschobern gespielt hatte, und Erinnerungen an den Winter, wenn alles weiß von Schnee war. Der Zimmermann des Anwesens hatte ihm damals einen kleinen Schlitten gebaut, auf dem er triumphierend die Abhänge hinuntersauste, wobei er sich, einmal unten angekommen, jedes Mal überschlug.

Er erinnerte sich an so vieles, und er hatte immer geglaubt, dass er nach dem Krieg nach ‚Revel Royal‘ zurückkehren werde, um alles wieder so vorzufinden, wie er es verlassen hatte.

„Wo fange ich nur an?" fragte er sich nun, als er den alten Briggs sagen hörte:

„Ihr Essen ist zubereitet, Sir."

Nachdem er sich umgewandt hatte, fügte der alte Mann in einem ganz anderen Tonfall hinzu:

„Es ist wirklich sehr schön, Sie wiederzusehen, Master Tyson." Briggs sah noch älter aus als seine Frau, aber Tyson erinnerte sich, dass sie gleichaltrig waren.

Auch war er sehr schmal geworden. Irgendwo hatte er seinen alten livrierten Rock wiedergefunden, den er jetzt trug. Er saß zwar nicht gut, aber Tyson empfand es als eine Geste des Willkommens, und ihm wurde dabei warm ums Herz. Damit schwanden auch für einen Augenblick die Bedrücktheit und Unsicherheit aus seinen Gedanken.

Er reichte dem Butler die Hand.

„Es ist wie zu Hause, wenn Sie und Mrs. Briggs hier sind. Ohne Sie wäre das ganz anders."

„Die Dinge stehen nicht mehr so wie früher, Master Tyson, aber vielleicht können Sie alles wieder so machen wie einst."

„Ich werde es versuchen", antwortete Tyson Dale, aber er spürte, dass er ein leeres Versprechen gab.

Er brauchte dringend Geld, aber woher sollte er es nehmen? Er aß jetzt das einfache Mahl, das Mrs. Briggs für ihn zubereitet hatte, und überhörte die Entschuldigungen und das Versprechen des alten Briggs, sie könnten Besseres für ihn tun, wenn er nur ein wenig Geduld habe.

Morgen, dachte Tyson bei sich, werde ich etwas für den Kochtopf schießen gehen, das kostet wenigstens nichts.

Dann überkamen ihn Zweifel, ob überhaupt Patronen für die Gewehre, die er im Waffenzimmer hatte hängen sehen, vorhanden wären und ob es überhaupt noch etwas zu schießen gäbe.

Es waren noch viele Fragen zu klären, und er dachte nicht gern an all die Unannehmlichkeiten, die vielleicht auf ihn zukommen würden.

„Ich hätte heimkommen sollen, als Vater starb", dachte er bei sich, nachdem er sein einfaches Mahl beendet hatte.

„Gibt es noch die Wirtschaft“ ,Zum Hund und zur Ente’?" fragte er.

„Ja, freilich, Sir", gab Briggs zurück, „aber sie hat inzwischen den Besitzer gewechselt. Mr. Tug starb vor fünf Jahren. Jetzt gehört’s einem Mann, der Finch heißt."

„Ich werde mal hingehen und bei ihm reinschauen", sagte Tyson lächelnd. „Es wird nicht spät werden. Bitte warten Sie nicht auf mich, aber lassen Sie die vordere Tür offen."

„Wird gemacht, Sir", sagte Briggs. „Und vielleicht legen Sie den Riegel vor, wenn Sie zurückkommen. Das Schloss litt schon seit einigen Jahren kaputt.“

„Ich werde mich in der nächsten Zeit um einige Reparaturen kümmern müssen“, antwortete Tyson.

Er verließ das Speisezimmer, in dem das Essen serviert worden war, und ging den Flur entlang, der zum Festsaal führte.

Früher hatten dort in vergoldeten Rahmen eine Reihe Bilder von Vorfahren seiner Großmutter gehangen.

Er hatte sie nie besonders hübsch gefunden, doch nun wurde er plötzlich zornig bei dem Gedanken, dass die Porträts seiner Ahnen aus der Familie Dale im Besitz seines Onkels waren. Denn eine Anzahl von ihnen war von bekannten alten Meistern gemalt worden.

„Verflucht!" sagte er zu sich selbst. „Ich werde einen Weg finden, um mir mein Recht zu erkämpfen, und sollte es mein ganzes Leben dauern."

Er verließ das Haus durch den Haupteingang und warf dabei die Tür so zornig hinter sich ins Schloss, dass er fürchtete, sie könne aus den Angeln fallen und müsse dann auch noch repariert werden.

Tyson ging die Treppe hinunter. Sie war von Unkraut überwachsen, und aus den Rissen in den Steinstufen lugten einige helle, farbige Blümlein hervor. Er pfiff nach Salamanca.

Als hätte das Pferd sich an seinen Befehl gehalten, war es nicht weit weggegangen und trottete nun auf seinen Herrn zu. Dann wollte es ihn auch schon mit seiner weichen Schnauze begrüßen. Tyson Dale streichelte es am Hals.

„Hast du’s dir gutgehen lassen, alter Freund?“ fragte er. „Dann geht es dir jedenfalls besser als mir! Wenn wir zurückkommen, wollen wir uns mal die Ställe anschauen. Mal sehen, ob sie in einem Zustand sind, dass wir dich dort unterbringen können.“

Salamanca schnaubte wieder, so als hätte er alles verstanden, was Tyson gesagt hatte. Dann trabten sie die Ausfahrt zur Ortschaft hinab.

Was für ein Trost war es, die strohgedeckten Fachwerkhäuschen zu sehen, die sich nicht verändert hatten! Da standen immer noch die düstere normannische Kirche und die Häuserzeile, die sein Vater für die Armen des Ortes hatte erbauen lassen. Auch dort hatte sich nichts verändert.

Er hatte den Eindruck, dass einige Dachziegel fehlten und die Türen und Fensterrahmen einen Anstrich nötig hätten, doch wollte er lieber nicht zu genau hinsehen und ritt weiter, auf den Dorfplatz zu. Wenigstens dieser sah genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte.

In der Mitte war der Ententeich, daneben die alten Speicher, die bestimmt seit hundert Jahren nicht mehr benutzt worden waren. Auf der anderen Seite stand das Wirtshaus ‚Zum Hund und zur Ente‘. Draußen auf den Stühlen saßen gewöhnlich die Dorfältesten zusammen, um stundenlang zu schwatzen.

Jetzt war es allerdings schon zu spät für die alten Herren, um noch draußen zu sitzen, aber Tyson hörte ihre Stimmen und ihr Lachen durch ein geöffnetes Fenster und hoffte, das Lokal voller alter Freunde vorzufinden.

Dann ritt er durch einen Torweg und kam an die Seite der Wirtschaft, wo - wie er wusste - ein kleiner Pferdestall war. Aber dann stockte ihm der Atem vor Überraschung.

Hier hatte sich wirklich einiges seit seiner Abreise vor Jahren verändert.

Das Wirtshaus war nach hinten erweitert worden. So hatte sich die ehemals einfache Dorfwirtschaft in eine Postkutschenstation mit Bewirtschaftung verwandelt.