Herbst der Entscheidung - Bernd Lindner - E-Book

Herbst der Entscheidung E-Book

Bernd Lindner

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Beschreibung

Leipzig im Herbst 1989: Der 17-jährige Abiturient Daniel, Sohn staatstreuer Eltern, soll sich zu drei Jahren Armeedienst verpflichten. Er haut von zu Hause ab, taucht in die Bürgerbewegungsszene ein, verliebt sich in eine der Akteurinnen und gerät immer tiefer in den Sog der Ereignisse der Friedlichen Revolution, die die DDR grundlegend verändern sollte. Eine Geschichte über das Erwachsenwerden und das Erwachen politischen Bewusstseins in stürmischen Zeiten. Diese Graphic Novel liegt nun auch als multimediales E-Book-Plus vor - angereichert mit zahlreichen Fotos, Dokumenten sowie knapp 25 Minuten Originalfilm- und Tonmaterial!

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Seitenzahl: 57

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Herbst der Entscheidung Eine Geschichte aus der Friedlichen Revolution 1989

Zeichnungen: PM Hoffmann Autor / historische Beratung: Bernd Lindner

Redaktion: Johanna Links

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage März 2015 (entspricht der 2. Druckauflage vom Oktober 2014) © Christoph Links Verlag GmbH, 2014 Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung: PM Hoffmann, Leipzig, unter Verwendung von Motiven aus einem Foto von Harald Kirschner von der Montagsdemonstration in Leipzig am 23. Oktober 1989 Druck und Bindung: Druckerei F. Pustet, Regensburg

ISBN 978-3-86153-775-5

1989. Die DDR wird 40 Jahre alt. Aber zu feiern gibt es wenig. Besonders deutlich spüren das die Menschen in Leipzig Die Stadt verfällt immer mehr. Der Industriesmog aus

den Kohlekraftwerken und Chemiebetrieben rund um Leipzig hat die Fassaden der Häuser grau gefärbt. Putz fällt von den Wänden, Dächer sind undicht.

Offiziell jedoch ist alles in Ordnung. Der Staat feiert mit Losungen und bunten Plakaten die Errungenschaften des Sozialismus. Aber kaum einer glaubt ihm mehr. Die Ernüchterung der Bürger ist groß. Viele wollen deshalb nicht nur die Stadt,

sondern auch das Land verlassen. Zehntausende hoffen auf ihre Ausreisegenehmigung in den Westen. Andere wollen nicht länger darauf warten, besetzen in Prag, Warschau und Budapest die Botschaften der Bundesrepublik oder fliehen über die offene Grenze in Ungarn nach Österreich. Das Land droht auszubluten.

Doch rührt sich auch Widerspruch. Nicht alle sind gewillt, das länger hinzunehmen. In kleinen Gruppen haben junge Männer und Frauen unter dem schützenden Dach evangelischer Kirchen begonnen, die Missstände im Land anzuprangern. Sie wollen hierbleiben und die DDR reformieren.

In Leipzig treffen sie sich seit vielen Jahren schon - Montag für Montag - in der Nikolaikirche zum Friedensgebet. Anlass für seine Einführung war 1982 die Suche nach einer Alternative zum Militärdienst in Uniform, mit und ohne Waffe. Vor allem Jugendliche leiden unter der zunehmenden

Militarisierung des Alltags und dem ständig wachsenden Druck auf die Jungen, sich zu einem mehrjährigen Armeedienst zu verpflichten. So wie der 17-jährige Daniel Krüger, der auch vor dieser Entscheidung steht, während sich die Konflikte rundum im Land immer mehr zuspitzen.

5

Error

Ausschnitt aus "Städteverfall Leipzig"Quelle: Siegbert Schefke

In einer 12. Klasse einer Leipziger EOS, 1.9.1989

… hat der Klassenfeind in diesem Sommer nichts unversucht gelassen, unserer Republik zu schaden. Gerade junge Menschen wie Sie

will er mit falschen Versprechungen inden angeblich „goldenen Westen“locken.

Deshalb bin ich besonders stolz, dass die Jungen dieser Klasse bereits die richtige Antwort darauf gegeben haben!

Bis auf einen haben sich alle bereit erklärt, für mindestens drei Jahre ihren Ehrendienst in derNVA zu leisten.

6

Daniel, haben Sie mir nicht vor den Ferien ver- sprochen, sich bis heute entscheiden zu wollen, ob Sie die Unteroffiziers- laufbahn bei der Armee einschlagen?!

Ja, aber ich ... Ich weiß doch nicht, ob ich das kann: anderen Befehle erteilen.

Verdammt, warum haben die mir nicht gesagt, dass sie schon unterschrieben haben?!

Entscheidend ist doch, ob Sie es wollen! Germanistik möchten Sie schließlich auch studieren ...

Das Wehrkreis- kommando will die Unter- lagen bis zum 4. September haben. Entweder Sie unter- schreiben die Verpflichtungs- erklärung, oder Sie kõnnen Ihren Studienplatz vergessen.

Da helfen Ihnen auch Ihre schönen Aufsätze nichts!

7

1.9.1989, am Nachmiag bei Daniel zu Hause

Drei Jahre Uniformund Kaserne, daskann ich nicht …

… und wenn sie mich an die Grenze schicken, muss ich vielleicht noch auf Flüchtlinge schießen!

8

Auf Menschen schießen, das könnte ich nicht! Dann müsste ich aber den Dienst mit der Waffe ganz ablehnen, wie dieBausoldaten …

So weit will ich gar nicht gehen. Nur 18 Monate Grund- wehrdienst würden mir schon reichen, ich bin ja nicht malchristlich …

Zwei Wochen zuvor

Aber mit ‘nem Vater an der Uni glaubt mir das doch eh keiner, mit Gewissens- konflikten und so …

Daniel, du solltest lieber für dein Abi lernen, als immer nur so rumzuhängen!

… und der würde das auch nie akzeptieren!

Uniform der Bausoldaten Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.

Zwei Tage später

Das ist dochder Typ aus der besetzten Wohnung

So überrascht, wie der ist, kann das kein Spitzel sein!

Wie heißt du? Ich bin Uwe.

Hä?

Leipzig, 4.9.1989, nachmiags

Die stehen immer noch vorm Haus. Wir müssen versuchen, möglichst unauffällig an den Stasi- leuten vorbei- zukommen.

Noch kannst du‘s

He, psst! Schnell raus, die tricksen wir aus!

Geschafft! In der Kirche sind wir sicher!

Ich warne euchvor unüberlegtenAktionen. Die könnenden Staat endgültiggegen die Kircheaufbringen.

Nicht wundern, wenn draußen Kameras stehen. Die sind vom Westfernsehen.

Jetzt haben sie dich auch in ihrem Poesiealbum.

Das ist unsere Chance, international Aufmerksamkeit zu bekommen.

19

Beginn der Demonstration am 4.9.1989 auf dem Nikolaikirchhof Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. / Armin Wiech

Vorsicht, Stasi! Lasst euch nicht ab- drängen!

Wir bleiben hier!

Wir wollen raus!Wir wollen raus!

20

Transparent am 4.9.1989 vor dem Nikolaikirchhof – getragen von Gesine Oltmanns (links) und Katrin Hattenhauer (rechts)

Michael

Leipzig, 11.9.1989, Friedensgebet mit Landes- bischof

… und so bie ich Sie, nach dem Ende der Andacht friedlich nach Hause zu gehen, denn dieses Goeshaus soll ein Haus der Hoffnung bleiben.

Draußen steht ‘ne Menge Polizei. Provoziert sie nicht! Auf die Hilfeder Westkorrespondenten könnenwir nicht mehr zählen, die haben ab sofort Leipzig-Verbot.

Bürger! Verlassen Sie den Nikolaikirchhof! Bei Nichtbefolgen polizeiliche Maßnahmen!

28

Behindern Sie nicht die Maßnahmen! Ich lasse die Straße räumen!

Udo Hartmann!

Sylvia Ulbricht!

Jörg Müller!

Katrin!

Sie tun mir weh!

29

Am selben Abend in der Wohngemeinschaft

Wir müssen etwas tun für Katrin und die anderen …

Alle sollen von ihrer Verhaftung erfahren!

In derselben Nacht an der Nikolaikirche

Ich habe die Namen der Verhafteten telefonisch an Freunde in Berlin, Dresden und anderen Orten durch- gegeben. Sie wollenFürbittandachten in Kirchen organisieren.

Nikolaikirche – in den Tagen danach

Es ist überwältigend, wie viele Leipziger sich mit den Verhafteten solidarisieren.

30

Schilder für die Freilassung der Inhaftierten, Nikolaikirche September 1989 Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. / Frank Sellentin

Schilder für die Freilassung der Inhaftierten, Nikolaikirche September 1989 Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. / Frank Sellentin

In den folgenden Nächten

Leipzig ,14.9.1989, in der Wohngemeinschaft

Sie haben mich heute rausgelassen, mit ‘nem Strafbescheid über 3000,– Markwegen „Zusammenroung“. Wirwaren über 80 Leute in derU-Haftanstalt.

Das ist schon das 4. Schild, das du gemalt hast! Hast dich wohl mächtig verknallt, was?

Hast du Katrin gesehen? Kommt sie auch frei?

Weiß ich nicht,wir wurden von den Frauen getrennt. Aber die Stasi suchtintensiv nach den „Rädels-führern“!

Da bist du bei uns genau richtig. Wir sind gerade dabei, eine Ortsgruppe des Neuen Forums zu gründen. Wir müssen deutlichere Forderungen stellen!

Halt die Klappe und wackele nicht so rum!

Sie fehlt dir, hm?!

Ihr riskiert so viel! Ist es das wert?

Hab ich dir schon mal erzählt, dass ich Matrose bei der Handelsmarine werden wollte und mich deshalb für vier Jahre bei der Fahne verpfichtet habe?

Erzähl keinen Scheiß, du?

Dort habe ich erst begriffen, was in die- sem Land wirklich los ist!

Zum Glück habe ich dann Katrin, Gesine, Chris und die anderen kennen- gelernt…

… und wir sind uns einig, dass sich hier was ändern muss! Doch das ge- schieht nicht von allein.

Habe ver- standen, Genos..., äh Herr Obermaat!

32

Error

Uwe Schwabe über die Menschen auf der Straße Quelle: Peter Wensierski

Am nächsten Montag: 18.9.1989

Komm, lass uns noch schnell ein paar Flug- blätter unters Volk bringen!

Den da drüben in der Jeansjacke! Sofort festnehmen!

Lassen Sie die Männer in Ruhe, die tun nichts Unrechtes!

Schnell – hau ab, wir halten die auf!

Komm rein, hier bist du sicher!

Herr Führer, geben Sie die Personen heraus, die sich wider- rechtlich in Ihrer Pfarrei auf-halten!

Spät am Abend

Er begleitet euch noch bis zur Straßenbahn, ist sicherer!

Nur wenn sie ungehin-dert nach Hause gehen können!

Pfarramt

St. Nikolai

SED-Leitung der Universität Leipzig , 20.9.1989

Genosse Krüger, die Genossen von der Staatssicherheit haben uns informiert, dass sich dein minderjähriger Sohn mit staatsfeindlichen Elementen einge- lassen hat!

Wir fordern dich auf, ihn umgehend aus diesen Kreisen zu ent- fernen, sonst können wir für nichtsgarantieren ...

Sie könnten Ihre Versäumnisse als Vater wieder etwasgutmachen …

… zweifelsohne ver- fügt Ihr Sohn über Kenntnisse, was die oppositionellen Gruppierungen noch alles planen.

Am Nachmittag desselben Tages

Du kommst sofort mit nach Hause und gehst wieder regel- mäßig zur Schule. Ich dulde nicht länger, wie du unsere und deine Zukunft zerstörst!

Welche Zukunft? Siehst du nicht, wie alles zer- fällt – die Häuser, die Umwelt und deine ganze schöne DDR!

Und was wollt ihr mit eurem Neuen Forum dagegen unternehmen?

… das würdest du wohl gerne wissen?!

Ich werde nicht meine Freunde ver- petzen, nur damit deine Unikarriere nicht in Gefahrgerät!

34

Gemeindesaal der Markusgemeinde Leipzig, am Abend, 24.9.1989

Dann wird also nichtsaus der gemeinsamen„Initiative zur demo-kratischen Erneue-rung“.

Letztlich wollt ihr doch alle eine bessere DDR?

Dabei wäre sie gerade jetzt so wichtig , wo das Neue Forum als „staatsfeindliche Plattform“ eingestuft worden ist.

Ich ka- piere das nicht …

Aber über das Wie ist offenbar keine Einigung möglich.

Vielleicht war es falsch,auf dem Neuen Forum als Dachorganisationzu bestehen?

Nein, wir sind die Bürgerbewegung mit dem meisten Zulauf. Uns kennt man über-all im Land!

Und was meinst du, Uwe?

Entscheidend ist, was auf der Stra- ße passiert. Morgen ist wieder Montag, und es werden noch mehr Menschen kommen!

35

Nikolaikirche, 25.9.1989

Heute hält Pfarrer Wonne- berger die Andacht. Vor einem Jahr hat ihm der Superintendent noch die Koordination der Frie- densgebete ent- zogen.

Wenn der Staat Gewalt androht und anwendet, hat er nicht mit einem Strafverfahren zu rechnen, aber mit den Folgen!

Wer Gewalt übt, mit Gewalt droht und sie an- wendet, wird selbst ein Opfer der Gewalt …

… gegenüber innerer Gewissheit und innerer Kraft … sind Stasiapparat, Hundertschaften, Hundestaffeln nur Papiertiger. Also: Fürchtet euch nicht! Wir können auf Gewalt verzichten.

Schließt euch an!Schließt euch an!

36

Error

Christoph Wonnebeger über Unfreiheit und Perspektiven Quelle: Peter Wensierski

Christoph WonnebergerQuelle: Christoph Wonneberger

25.9.1989: Erste Mon-tagsdemo auf dem Ring

Keine Gewalt!

Neues Forumzulassen!

Wir bleiben hier!Gorbi, Gorbi!

Wenn Katrin das alles nur miterleben könnte!

An der Run-den Ecke vorbeizu- laufen, ist zu ge- fährlich. Darauf wartet die Stasi nur!

Demonstrationen in Leipzig im Oktober 1989 Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. / Roland Quester

Abends in der WG

Wow! Das waren bestimmt 7000 bis 8000 Menschen!

Das wird die SED-Führung nicht hinnehmen, so kurz vor dem 40. Jahrestag!

Wir müssen jetzt auch mit Haus- durchsuchungen rechnen! Es wäre gut, wenn du dann nicht hier wärst.

… du bist noch keine 18, und in der Schule warst du auch langenicht mehr!

Entspann dich. Wir haben dir einen neuen Unterschlupf besorgt, außerhalb von Leipzig.

Bei Dresden, 27.9.1989

Na toll! Soll ich mich in Luft auflösen?

Mein Name ist Dieter Barth, und das ist meine Frau Doris. Ich bin Kirchen- musiker.

Da kommtunser Sohn Thomas …

Ich hörte, Sie haben mit Pfarrer Wonneberger zusammen- gearbeitet?

Ja, als er noch Pfarrer in der Wein- bergskirche war und denSozialen Friedensdienstinitiierte …

38

Jens und Peter haben ihre Eltern aus Passau angerufen. Sie sind über Ungarn in den Westen …

Häe ich mit ihnen ein Visum für Ungarn bean- tragt, wäre ich jetzt auch drüben!

Was soll hier denn werden, wenn alle jungen Leute abhauen?

Danke, dass ich mit in deinem Zimmer schlafen darf!

Du hast es richtig gemacht, bist einfach weg von zuhause!

Bleibt die Botschaft in Prag! Irgendwann müssen sie die Flüchtlinge dort aus- reisen lassen!

Komm doch mit. Hier ändert sich doch nichts!

Oder glaubst du, die Bonzen danken freiwillig ab?

Wohl kaum. Mein Platz ist aber trotzdem hier.

39

Tagesschau am 30.9.1989,Bericht aus Prag

„Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen ge- kommen, um Ihnen mit- zuteilen, dass heuteIhre Ausreise …“

Jaaa!!! Jaaa!!!!

„… besteht die DDR-Regierung auf einer indirekten Ausreiseder Flüchtlinge über dasTerritorium ihres Landesin die Bundesrepublik!“

Die Züge müssen durch das Elbtal, über Dresden fahren. Das geht gar nicht anders!

Am Morgen des 4.10.1989

Thomas ist weg!Er hat nur diesen Briefhinterlassen. Daniel, du musst sofort zum Bahn-hof nach Dresden,ihn umstimmen.

Auf uns hört er ja nicht mehr!

Gähn,was ist denn los?

40

Dresden, 4.10.1989: Vor dem Hauptbahnhof

Freiheit! Freiheit!

Wir wollen raus!

… und Honecker lässt verkünden: „Wir weinen ihnen keine Träne nach!“

Mensch Thomas! Sich mit den Bullen kloppen, bringt doch nichts! Komm mit zurück!

Lass mich! Irgendwo fnde ich noch ein Schluppoch in den Westen!

Verdammt.

41

Error

Demonstranten am Dresdner Hauptbahnhof am 4.10.1989 Quelle: Thomas Eichberg, EichbergFilm

Error

Demonstranten aus Dresden berichten von ihrer Verhaftung Quelle: Thomas Eichberg, EichbergFilm

Radeburg, 6.10.1989

Was, das setzen die in die Zeitung und ge- ben es als Leser- brief aus?

Ich muss zurück zu meinen Freunden! Jetzt macht der Staat mobil. Nach dem 40. Jahrestag werden sie zuschlagen ...

Leipzig am Nach- mittag des 7.10.1989

Wenigstensheute halten sie sich noch zurück.

Einsatz! Handeln!

Die unerlaubten Ansammlungen auflösen!

Mama! Was machst du hier?

Daniel? Ich wollte nur schauen, was zum Jahrestagim Zentrumlos ist!

Rauf mit euch,ihr Schweine!

Euch werdenwir‘s zeigen!

Aber das sind doch Volkspolizisten! Wie können die das tun?

43

Error

Polizisten gehen auf Demonstranten los, 7.10.1989, Tröndlinring, Leipzig Quelle: ZOF: Zentral operatives Fernsehen, heutiger Rechteinhaber noch ungeklärt

Komm, ich bring dich nach Hause, Mama.

Jetzt verstehe ich dich!

Und die feiern hier, als wenn nichts wäre!

44

Leipzig, 7.10.1989: Markuskirchgemeinde am Abend

Pfarrer Turek hat uns das Telefon zur Verfügung gestellt. So können wir Kontakte in die ganze DDR halten.

… in Arnstadt waren 600 Demonstran- ten auf der Straße, in Magdeburg 500, in Berlin und Dresden Tausende. Ich habe schon über 20 Orte auf der Liste!

In Plauen haben Demonstranten fast das Rathaus besetzt …

Aber überall gab es wahllose Zu- führungen! Polizei, Stasi und Kampf- gruppen sind brutal gegen die Bevölkerung vor- gegangen!

In Leipzig sind die Ver- hafteten wie Vieh ab- transportiert worden, Richtung Agra- Gelände.

Wenn die Sicherheitskräfte heute schon so wüten, was soll dann erst am Montag werden?

45

Leipzig, 9.10.1989, Markuskirchgemeinde früher Vormittag

Ist das sicher?

Das war eine OP-Schwester aus dem Diakonissenkranken- haus. Sie wurden angewie- sen, für den Abend zu- sätzlich Blutkonserven bereitzustellen.

Die machenErnst heute.Am Stadtrandsollen schonPanzereinheiten der NVA aufmar-schieren ...

Habt ihr noch Paier zum Vervielfältigen? Unsere Vorräte sind auf- gebraucht!

Helft uns, sie in der Stadt zu verteilen! In vier Kirchen finden Friedens- gebete statt.

Wir haben Tausende gedruckt davon. Den Text haben Mitglieder mehrerer Arbeits- gruppen ver-fasst.

„An die Einsatzkräfte appellierenwir: Enthaltet euch der Gewalt.Reagiert auf Friedfertigkeitnicht mit Gewalt!Wir sindein Volk ! Gewalt unter uns hinterlässt ewig blutendeWunden!”

Dann sind wir auch nicht besser als die Polizisten und Soldaten!

Nein, unterihnen sind viele Wehrpflichtige. Die Wollen nicht auf die Demonstran- ten schießen. Ihre Freundeund Eltern könntendarunter sein!

Von keiner Seite darf Gewalt ausge- hen. Das entschei-det heute alles!

46

Appell: Flugblatt zum 9.10.1989Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V.

Zur selben Zeit im Betrieb von Daniels Muer

Die Polizisten haben ohne Rück- sicht auf die Menschen eingeprügelt …

Nicht so laut, Monika! Da kommt der BGL- Vorsitzende.

Nach alldem lassich mir nichtverbieten, dorthinzugehen!

Kollegin Winter: Der Kindergarten schließt heute bereits um 14 Uhr. Gehen Sie mit Ihrem Kind dann schnell nach Hause und meiden Siedie Innenstadt!

In einem Hörsaal der Universität, miags

Genossen,ihr geht in die Nikolai- kirche als Gegengewicht zu den staatsfeindlichen Gruppierungen, die sich dort breitgemacht haben!

Sollten wir in dieser explosi- ven Lage nicht offener auf sie zugehen?

Unsinn: Jetzt wird ge- handelt, nicht diskutiert!

Heute ist Klassenkampf. Die Situation entspricht dem 17. Juni 53. Heute entscheidet sich – die oder wir. Seid klassenwachsam. Wenn die Knüppel nicht ausreichen, dann …

Hat Monika doch nicht übertrieben mit dem, was sie erzählt hat? Und ich habe sie eine hysterische Kuh genannt …

47

Ach, der Herr Papa! Kommst du etwa zur Beichte?!

Hier, lies!