Herr Heiland und der dicke Fisch - Johann Simons - E-Book

Herr Heiland und der dicke Fisch E-Book

Johann Simons

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Beschreibung

Folge 5 - Herr Heiland taucht ab: Zwei Angler finden die Leiche eines Mannes im Stausee von Sonntal. Alles deutet auf Mord hin - aber wer ist der Tote? Heiland entscheidet, die Ermittlungen den Behörden zu überlassen, doch Polizist Tobias Kern hat ganz andere Probleme: Seine Beziehung mit der Wirtstochter Monika Söhnchen steht unter keinem guten Stern, weil ihre strengen Eltern ihn nicht akzeptieren. Heiland will als Seelsorger vermitteln. Dabei stößt er auf Hinweise, wer das Opfer ist und warum es sterben musste ...

Über die Serie: Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin, dem überambitionierten Bürgermeister und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen ...

Herr Heiland - ein himmlischer Cosy-Krimi für alle Fans von gemütlichen Ermittlungen.

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Inhalt

CoverHerr Heiland – Die SerieÜber diese FolgeÜber den AutorTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6In der nächsten FolgeImpressum

Herr Heiland – Die Serie

Der gemütliche Dorfpastor Klaas Heiland wagt einen Neuanfang im bayrischen Touristenidyll Sonntal am See. Dabei muss er nicht nur mit seiner resoluten Haushälterin Fräulein Dimpel, dem überambitionierten Bürgermeister Moritz Mindenfeld und den eigenwilligen Traditionen der Sonntaler zurechtkommen: Nein, hier in der Provinz geben sich die Mörder die Klinke in die Hand! Und im Gegensatz zum sympathischen Dorfpolizisten Tobias Kern hat der friedliebende Heiland ein Talent zur Lösung von Kriminalfällen …

Über diese Folge

Herr Heiland taucht ab: Zwei Angler finden die Leiche eines Mannes im Stausee von Sonntal. Alles deutet auf Mord hin – aber wer ist der Tote? Heiland entscheidet, die Ermittlungen den Behörden zu überlassen, doch Polizist Tobias Kern hat ganz andere Probleme: Seine Beziehung mit der Wirtstochter Monika Söhnchen steht unter keinem guten Stern, weil ihre strengen Eltern ihn nicht akzeptieren. Heiland will als Seelsorger vermitteln. Dabei stößt er auf Hinweise, wer das Opfer ist und warum es sterben musste …

Über den Autor

Johann Simons ist ein deutscher Autor, der bereits viele Romane unter vielen Namen verfasst hat. Unter diesem Pseudonym lebt er seine Vorliebe für gemütliche Krimis mit charmantem Schmunzelhumor aus.

JOHANN SIMONS

Kapitel 1

Morgenstund hat Mord im Mund

»Ist ja gut, Queenie. Jetzt dreh nicht gleich durch.« Biene Wieland rieb sich den Schlaf aus den Augen und warf ihrer Pitbullhündin einen strafenden Blick zu. Dann gähnte sie herzhaft. »Was machst du hier überhaupt für einen Rabatz? Es ist doch noch nicht einmal hell.«

Trotz der unchristlichen Uhrzeit kauerte Queenie bereits vor der Tür. Die weißbraune Hündin hechelte freudig. Ihr Plan, das Frauchen heute mal ein bisschen früher aufzuwecken, war voll aufgegangen. Queenie bellte kurz, und es klang wie ein Marschbefehl.

»Ja, ja. Ich komme ja schon, Boss.«

Wieland schwang die nackten Beine über die Bettkante und stand auf. Ihre Glieder knackten, als sie sich reckte. War das etwa das Alter?

Als sie damals in ihr Tiny House gezogen war, hatte ihre Mutter sie gewarnt. »Der Tag wird kommen, da bist du zu alt für so ein Hippieleben, Kind!«, hörte Wieland sie noch immer im Ohr. »Da reichen dir vierzig Quadratmeter auf einem Campingplatz nicht mehr zum Glück. Dann merkst auch du, dass ein Mensch so nicht leben kann.«

Bislang merke ich jedenfalls noch nichts, dachte Wieland nun. Sie reckte sich erneut, und ihre steif gewordenen Gelenke protestierten kein zweites Mal. Warum auch? Und ich bin auch nicht alt, Mama. Ich nicht.

Es war nicht das einzige Thema, bei dem sich die Wieland-Frauen uneins gewesen waren. Auch deshalb war die Fünfunddreißigjährige froh, ihr eigenes Leben zu führen und den Kontakt zum fernen Elternhaus auf ein Minimum zu beschränken.

Sie führte es auch an diesem Morgen in Sonntal am See, einem beschaulichen kleinen Ort irgendwo in den bajuwarischen Weiten. Die Viertausend-Seelen-Siedlung lag versteckt zwischen dichten Wäldern und grünen Hügeln, fernab von breiten Hauptverkehrsstraßen und stinkig-lauten Metropolen. Nicht einmal Fuchs und Hase fanden den Weg hierher, um einander eine gute Nacht zu wünschen. Genau das liebte Wieland an ihrer Wahlheimat. In Sonntal, wo sie einen Kiosk betrieb, konnte man tun und lassen, was immer man wollte. Vorausgesetzt, man stellte die Ohren auf Durchzug und hielt höfliche Distanz zu den alteingesessenen Sonntalern, waren deren Ansichten und Traditionen doch mitunter steifer als die Glieder einer Tiny-House-Bewohnerin nach dem Aufstehen.

Queenie bellte wieder. Wieland griff nach ihrer Jeans und einem frischen T-Shirt, schlüpfte in ihre Schuhe. »Ja doch. Ich komme, siehst du das nicht? Die fünf Minuten wird deine Blase ja wohl noch aushalten.«

Auf dem Weg zur Tür hielt sie an der Küchenzeile und schaltete die Kaffeemaschine ein, die sie am Vorabend bereits gefüllt hatte. Nahezu prompt erklang das verheißungsvolle Zischen und Ächzen des Apparats, und köstliche Düfte erfüllten das kleine Ein-Zimmer-Haus.

Wieland liebte ihre Bleibe. Sie fühlte sich autark hier draußen bei der Natur, voll und ganz in Kontrolle. Ihr Besitz war angenehm überschaubar, und sie nahm sich von der Welt nur das, was sie auch unmittelbar verbrauchte. Sie hatte ein bequemes Bett, zwei Herdplatten, eine Spüle, Kühlschrank, Waschmaschine und ein abgetrenntes, winziges Bad. Im Sommer konnte sie auf ihr Dach klettern, wo sie sich neben den Solarzellen eine kleine Terrasse gezimmert hatte. Im Winter spendete der Holzofen neben dem bequemen Sessel wohlige Wärme. Und wann immer sie aus dem Fenster blickte, sah sie den See.

Sonntals altehrwürdiger Stausee war eine Augenweide. Die Zahl der Spaziergänger an seinem Ufer war Legion, und der nahe Waldrand machte die Gegend sogar noch idyllischer. Kein Wunder, dass sich die Touristen in Sonntal alljährlich die Klinke in die Hand gaben – auch auf dem Campingplatz, auf dem Wieland lebte.

Während die Kaffeemaschine ihr Werk vollbrachte, öffnete die Fünfunddreißigjährige die Haustür. Sofort sprang Queenie hinaus in den taufrischen Morgen, um ebenfalls zu Werke zu gehen.

Der See lag noch still und verlassen da. Vereinzelte Nebelschwaden zogen über das Wasser, und im Dickicht des Waldes pochte ein Specht. Die Luft roch sauber und war für die Jahreszeit überraschend kühl. Wieland griff sich den Parka vom Kleiderhaken und zog den Reißverschluss hoch bis zum Kinn. Dann folgte sie ihrer Hündin.

Die Nachbarparzellen des Campingplatzes lagen noch nachtschlafend da. Nirgends rührte sich etwas, abgesehen von einem Dachs, der um einen Wohnwagen schlich, und einem Eichhörnchen, das mit einem Satz, auf den Spider-Man neidisch gewesen wäre, von einer Esche auf eine Buche übersetzte.

Die morgendliche Hunderunde zählte zu Wielands täglichen Routinen. Noch vor dem Frühstück kam sie dank Queenie zu ein wenig Bewegung, die frische Luft vertrieb den Schlaf aus ihren Gliedern, und danach fühlte sie sich halbwegs gewappnet für den Arbeitstag im Kiosk drüben im Ortskern von Sonntal. Die Hündin und sie nahmen morgens stets denselben Weg – einmal am Seeufer entlang bis zum Wald und zurück. Wenn sie danach im Tiny House ankamen, waren der Kaffee fertig und das Wasser im hauseigenen 40-Liter-Boiler bereit für die Dusche. Während der Dusche kochte stets ihr Frühstücksei, und Queenie fläzte sich wieder auf ihrem Kissen, als wäre die Nacht nie zu Ende gegangen.

Auch an diesem Morgen folgte Queenie ganz selbstverständlich der üblichen Route, schnüffelte an jedem Wohnwagen und ging hin und wieder in die Hocke.

»Lass das, Queenie«, tadelte Wieland sie. »Du weißt genau, dass sich das nicht gehört.«

Schon von Weitem konnte sie die beiden Männer sehen. Sie trugen Ölkleidung und breitkrempige Schlapphüte. Außerdem standen sie bis zu den Knien im See. Ihre Angelruten ragten aus den Nebelschwaden wie Leuchttürme aus finsterster Nacht.

Die sind aber früh dran, staunte die Kioskbetreiberin.

Angler waren hier am Stausee keine Seltenheit, aber die meisten warteten bis mindestens Sonnenaufgang.

Das sind sicher Rentner aus dem Ort, spekulierte sie. Kein Urlauber der Welt steht so früh auf. Nicht einmal für frische Forellen.

Schweigend zog sie weiter, den unbefestigten Uferweg entlang und auf Queenies Spuren. Die Hündin lief wenige Meter voraus, kläffend dem Waldrand entgegen.

Da zerriss ein Schrei die frühmorgendliche Stille.

Wenige Minuten zuvor

Der See war flach wie ein Spiegel und so still wie die Nacht. Weiße Schwaden tanzten auf dem Wasser, und irgendwo begrüßte ein pochender Specht den anbrechenden Tag.

Rudi Nordbichler holte mit dem rechten Arm aus und ließ die Schnur seiner Angel ein weiteres Mal durch die Luft fliegen. Erst als der Haken wieder im Wasser schwamm, drehte er langsam an seiner Kurbel und holte die Schnur ein.

»Also eins ist mal sicher«, brummte sein Begleiter missmutig. »Schnell beißen sie heute nicht.«

Harry Köhler hatte schlechte Laune, wie nahezu ständig. Der Mittsiebziger mit dem weißen Bart zählte zu den größten Miesepetern, die man sich vorstellen konnte. Außerdem war er Nordbichlers ältester Freund. Schon in seligen Grundschulzeiten hatten sie gemeinsam die Wiesen und Felder rings um Sonntal unsicher gemacht. Schon damals hatte Köhler nahezu ständig mit Katastrophen, Niederlagen und Ungerechtigkeiten gerechnet. Manchmal glaubte Nordbichler, sein alter Spezi sei nur dann richtig glücklich, wenn er sich so richtig elend fühlte. Weil er sich dann vorkommen durfte, als hätte er es schon immer gewusst.

»Der Sinn des Angelns«, sagte Nordbichler, »liegt ja gerade darin, dass es nicht schnell geht. Wir lassen uns Zeit, hier draußen. Verstehst du? Wir genießen die Ruhe und den Frieden.«

»Mhm.« Köhler klang, als sei Genuss für ihn ein Fremdwort. »Ich würde lieber einen schönen Kabeljau genießen. Frisch aus der Pfanne. Oder einen Heilbutt.«

»Na, dann Petri Heil.« Nordbichler lachte. »Wenn du es wirklich schaffst, hier Salzwasserfische rauszuziehen, dann brate ich sie dir höchstpersönlich.«

Sein Schulfreund winkte ab. »Du weißt, was ich meine. Ich will Fische fangen, nicht im kalten Wasser stehen und mir die Zehen abfrieren.«

»Das hier ist Fische fangen«, beharrte Nordbichler. »Genau so geht das. Hast du geglaubt, die fallen vom Himmel, oder was?«

»Könnte doch sein.« Köhler zwinkerte ihm zu. »Es gibt ja schließlich fliegende Fische.«

Nordbichler musste lachen. »Aber nicht in Sonntal, du Spinner. Und jetzt sei endlich still. Du verscheuchst unsere Beute.«

Sie schwiegen wieder ein Weilchen. Ihre Schwimmer tanzten zwischen den weißen Schwaden wie Fabelwesen aus alten Märchen. Und noch immer ließ sich kein Fisch von ihnen aus der Tiefe locken.

»Das liegt bestimmt an den Wellen«, brummte Köhler.

Nordbichler runzelte die Stirn. Es wehte kein einziges Lüftchen. »Wovon redest du? Das Wasser ist doch spiegelglatt.«

»Nicht an den Wellen.« Köhler deutete zuerst auf den See, dann aber hinter sich zum Wald. »Sondern an denen. Die vertreiben uns die Fische.«

Nordbichler drehte sich um, dann erst begriff er. Der neue Funkmast, der im Osten über die Wipfel der Bäume ragte, war schon seit Tagen Streitthema Nummer eins in Sonntal und den umliegenden Dörfern. Die Telekom hatte ihn kürzlich aufgestellt, um das hiesige Mobilfunknetz zu verbessern. Doch vor allem der älteren Generation war der schlanke Neubau ein Dorn im Auge. Er verschandele die Landschaft, so schimpfte man an der Theke der stolzen Kaiserkrone ebenso wie zwischen den Regalen des Supermarktes oder im Wartesaal des alten Bahnhofs. Und überhaupt: Waren Funkwellen nicht ungesund?

»Das ist ein Funkmast«, sagte Nordbichler, »keine Vogelscheuche. Der vertreibt absolut gar nichts.«

»Das sagst du«, beharrte sein Nebenmann. »Aber weißt du es? Ganz sicher? Diese Handywellen könnten Gott weiß was bei uns anrichten, und wir würden es erst merken, wenn es zu spät ist. Ich war von Anfang an dagegen, dass sie den Masten aufstellen. Und seit er da steht, habe ich morgens immer Kopfschmerzen, Rudi. Das ist doch kein Zufall!«

»Nee, eher Einbildung.« Nordbichler schüttelte den Kopf. »Red keinen Unsinn. Der Mast sorgt für besseren Telefonempfang, das ist alles. Und bislang ist mir kein Urlauber begegnet, der sich über seinen Anblick beschwert hätte. Der Einzige, der hier Fische verscheucht, bist du.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, spürte er plötzlich einen Zug an seiner Angel – noch dazu einen ganz gewaltigen.

»Holla!«, staunte Köhler. »Na, den hab ich nicht verscheucht.«

Nordbichler hatte Mühe, die Angel im Griff zu behalten. Mit beiden Händen umfasste er die Rute und zog gleichzeitig noch mehr Leine ein. »Was zur Hölle ist das?«, keuchte er. »Ein Pottwal?«

Köhler grinste. »Das sind aber auch keine Süßwasserfische.«

»Das sind noch nicht einmal Fische, du Trott…«, erwiderte Nordbichler gerade, verstummte aber mitten im Satz. Denn seine Angel hatte einen ersten Teil des großen Fangs an die Wasseroberfläche befördert.

Erst nach einer ganzen Weile begriff Rudi Nordbichler, dass die Schreie, die ihm in den Ohren hallten, von seinem alten Schulfreund stammten.

Ein Strahl der frühen Morgensonne fiel durch den Spalt zwischen den Vorhängen und zauberte einen schmalen Streifen aus Licht auf den Teppich. Klaas Heiland stand am Waschbecken in der Zimmerecke und schenkte ihm kaum Beachtung. Seine Aufmerksamkeit galt allein seinem ängstlich dreinschauenden Gegenüber.

»So leid es mir tut, Fräulein Dimpel«, sagte er dem Spiegelbild über dem Becken. »Das kann so nicht weitergehen. Ich habe lange nachgedacht, das müssen Sie mir glauben. Aber ich finde, die Auswahl der Fürbitten für den Sonntagsgottesdienst ist allein Sache des Pastors. Verstehen Sie? Der Person, die besagten Gottesdienst ja schließlich auch organisiert und abhält. Mir ist bewusst, dass Sonntal seine Traditionen pflegt und ehrt. Und ich will diesen Traditionen auch nicht im Wege stehen, nein, wirklich nicht. Aber in dieser einen Sache muss ich einfach eine Grenze ziehen – und sie verläuft genau hier, mein liebes Fräulein. Ich hoffe, Sie und der Bürgermeister sehen es mir nach.«

Heiland sprach mit gedämpfter Stimme und mit einem flauen Gefühl im Magen. Die halbe Nacht hatte er über der richtigen Formulierung gebrütet und gehofft, den Mut nicht zu verlieren, wenn er sie endlich fand. Nun, da der Morgen anbrach und es Zeit für das Frühstück wurde, konnte er das Gespräch nicht länger aufschieben. Koste es, was es wolle.

»Das hier ist mein Pfarrhaus«, sagte er dem Mann im Spiegel. »Meine Pfarrei. Nicht die Ihre.«

Der Seelsorger von der Ostsee lebte bereits seit einigen Monaten in seiner neuen Heimat Sonntal. Richtig eingelebt hatte er sich dort allerdings noch immer nicht, und das lag hauptsächlich an den Sonntalern und ihren ungewöhnlichen Bräuchen. So hatte Heiland beispielsweise erst nach seiner Ankunft erfahren, dass er fortan eine Wallfahrtskirche leiten würde – noch dazu eine äußerst obskure –, und an die Tatsache, dass die hiesigen Pastoren auch zugleich als Religionslehrer der ortsansässigen Grundschule fungierten, gewöhnte er sich vermutlich nie. Noch immer erwachte er an jedem Schulmorgen schweißgebadet und mit flatternden Nerven. Noch immer war er sogar zu einem Pakt mit dem Leibhaftigen höchstpersönlich bereit, wenn er dafür um die Arbeit am Lehrerpult herum kam. Zum Glück hatte der Satan ihm bislang kein entsprechendes Angebot gemacht.

Die größte Hürde in seinem Leben in und mit Sonntal stellte aber vermutlich seine Haushälterin dar – und die war zugleich seine größte Stütze. Elvira Dimpel galt als die gute Seele des Pfarrhauses. Trotz ihrer inzwischen mehr als siebzig Lenze bestand sie so vehement auf das »Fräulein« wie der alttestamentarische Gott auf die Einhaltung der zehn Gebote. Dimpel kannte den kompletten Ort und seine Einwohner aus dem Effeff, war sie doch in Sonntal aufgewachsen, und sie kümmerte sich wie eine Löwenmutter um »ihren« Pastor. Allerdings bemutterte sie ihn auch gehörig, wann immer sie es für angebracht hielt.

Heiland hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sein Speiseplan nur noch aus gesunden Gerichten bestand, deren Kaloriengehalt in etwa so hoch war wie der Intelligenzquotient eines durchschnittlichen Gartenzwergs. Auch scherte es ihn kaum noch, dass Dimpel seinen Kaffeezucker strenger rationierte als ein Smutje die Bordvorräte auf hoher See. Nur noch wenig litt er unter ihrer nahezu wöchentlichen Diagnose seines vermuteten Cholesterinspiegels, seines Blutdrucks und seines Alters im Allgemeinen. Wann immer er nieste, zog sie los und schloss sämtliche Fenster. Liebäugelte er mit einem Stück Schokolade, füllte sie den Obstkorb auf dem Küchentisch auf. Vermutlich war sie sogar bereit, ganz Italien den Krieg zu erklären, wenn Heiland nur einmal Lust auf Spaghetti Carbonara äußerte. Ihre Fürsorge war ebenso erstickend wie herzlich, und Heiland wusste, dass er bei dem alten Fräulein mit der geblümten Kittelschürze und den grauen Locken in guten Händen war. In streng organisierten, aber in guten.

Doch es gab Zähne, die musste er der Dimpel einfach ziehen. Auch wenn es wehtat.

Heiland verließ das kleine Schlafzimmer im obersten Stock des Pfarrhauses und ging zur Treppe. Durchs Fenster konnte er den Kirchturm von St. Hilarius sehen, seiner Wirkungsstätte, und davor den grünen Garten des Pfarrhauses. Er folgte den schmalen Stiegen ins Erdgeschoss, passierte Haustür und Pfarrbüro und näherte sich der wie üblich offenen Küchentür. Erst dann bemerkte er, dass der altvertraute Kaffeeduft fehlte. Auch roch hier unten erschreckend wenig nach frischen Brötchen und fruchtiger Konfitüre.