Herrin der Schmerzen - Marie Cordonnier - E-Book

Herrin der Schmerzen E-Book

Marie Cordonnier

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Beschreibung

Solena, deren Herkunft auf die ersten Druiden zurückgeht, erwartet Drillinge. Kurz vor ihrer Niederkunft rettet sie kraft ihrer Heilkunst den Bischof von Luçon, der als Kardinal Richelieu später über Frankreich herrschen wird. Solena stirbt im Kindbett, nimmt aber der Mutter des Bischofs den Eid ab, sich um die drei Mädchen Raina, Clarimonde und Magali zu kümmern. In den Augen der Kirche sind sie vom Teufel gezeugt und haben kein Recht zu leben. Um des Eides willen werden die vom Teufel gezeugten Kinder sofort nach der Geburt getrennt Raina, die erste der drei Druidentöchter, zieht mit ihrem Ziehvater, dem Wanderarzt Zacharie über die Märkte des französischen Königreiches. Dass sie mit den Händen Krankheiten fühlen und Schmerzen lindern kann, führt sie auf seine Ausbildung zurück. Doch Zacharie ist nicht nur der kundige Wanderarzt. Hinter Rainas Rücken spioniert er für Spanien, und wird, als man ihm auf die Schliche kommt, auf dem großen Ostermarkt von Saint Germain in Paris ermordet. Auch auf Raina werden mehrere Mordanschläge verübt, denen sie jedoch nur knapp entgehen kann, weil sie von Xavier, einem geheimnisvollen Abenteurer beschützt wird. Sie verliebt sich in Xavier und versucht doch alleine hinter das Geheimnis um Zacharie zu kommen, bis sie im Kerker des Kardinals landet und ihre Hinrichtung bevor steht. Doch Xavier rettet sie. Er berichtet der Schwester des Kardinals von Rainas Fähigkeiten, und Raina wird zur Heilerin des Kardinals. Sie gerät ins Zentrum der Macht. Abenteuer reihen sich an Abenteuer. Wird Raina schließlich herausfinden, was hinter Zacharies Tod und Xaviers Eingreifen steckt. Wird sie entdecken, dass sie kein Einzelkind ist?

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Marie Cordonnier

Die Druidentöchter

Herrin der Schmerzen

Roman

Alle Rechte vorbehalten© 2015 by BestSelectBook_Digital Publishers MünchenISBN 978-3-86466-245-4

Die Autorität zwingt, aber die Vernunft überzeugt zum Gehorsam

_____

Armand Jean du Plessis - Kardinal Richelieu

Prolog

Die Kinder der großen Mutter

Angoulême im August 1619

Zischend durchbrach der erste Blitz die Wolken. Krachend folgte der Donner.

Solena stockte der Atem. Das Gewitter entlud sich so unerwartet, dass sie vor Schreck die Kräuter auf die Glut warf, statt in das siedende Wasser. Knisternd, unter ätzendem Gestank, flammten die getrockneten Himbeerblätter auf.

Der Wolkenbruch drückte den Qualm des Feuers durch den Rauchfang auf die Herdstelle zurück und reizte Solenas Lungen. Mit tränenden Augen rang sie hustend nach Luft, als hinter ihr krachend die Tür zurückschlug.

Zwei Männer, die Köpfe eingezogen, um nicht gegen den Querbalken zu stoßen, drangen, mit gezücktem Kurzschwert, grußlos in ihre Hütte. Ehe Solena reagieren konnte, folgte eine Frau. Eine Greisin, von hohem Stand, weit über die Mitte des Lebens hinaus. Der Samt ihres Umhangs triefte vor Nässe.

„Du bist Solena, die Heilerin?“, fragte sie grußlos.

„Die bin ich.“

Auch Solena ersparte sich jede Freundlichkeit. Stattdessen legte sie schützend die Arme um den gewölbten Leib. Normalerweise begegnete man ihr mit Respekt, oft sogar mit Furcht, niemals jedoch mit gezückter Waffe. Die Bedrohung versprach nichts Gutes. Was wollten die Fremden?

„Du musst mitkommen“, forderte die Greisin im Befehlston. „Mein Sohn braucht Hilfe. Die Ärzte sind am Ende ihrer Weisheit, und du vollbringst in solchen Fällen Wunder, sagt man. Pack deine Kräuter zusammen und sonst was immer du brauchst. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“

Ohne sich um das Unwetter zu kümmern, das über der versteckten Behausung im Eichenwald vor Saintes inzwischen mit voller Gewalt tobte, erteilte die Greisin ihre Befehle. Sie ging davon aus, dass sie befolgt wurden. Solena bot ihr dennoch die Stirn.

„Ich kann Euch nicht folgen. Wie Ihr seht, steht meine Niederkunft unmittelbar bevor.“

„Hast du schon Wehen?“

„Sie werden in Kürze einsetzen.“

Die Greisin tat Solenas Ankündigung mit einer verächtlichen Geste ab. Weder beachtete sie das frisch bereitete Bett, noch den Weidenkorb, dessen Kissen und Tücher mit einer Bordüre geschmückt waren, deren Stickerei die uralten Symbole des Lebens ohne Anfang und Ende wiederholte.

„Ist es dein erstes Kind?“, fragte sie ungehalten. „Es wird auf sich warten lassen. Ich habe sechs zur Welt gebracht und weiß wovon ich rede. Du siehst kräftig aus. Dir bleibt Zeit genug.“

Die Greisin fürchtete um ihren Sohn, Solena sah es ihr an. Auch dass sie eine Frau war, der man nicht widersprach. Sie würde nicht zögern, Gewalt einzusetzen, wo ihre Willenskraft versagte. Die Waffenknechte begleiteten sie nicht zum Vergnügen.

Geschwächt von der Schwangerschaft, deren Verlauf sie an die Grenzen ihrer Kraft gebracht hatte, kämpfte Solena um das Leben das sie trug. Sie fühlte sich weder fähig zu helfen, noch konnte sie unbeschadet auf die elementare Energie ihres Heilwissens zurückgreifen. Ihr blieb nur Flehen.

„Habt ein Einsehen. Ich kann Euch nicht begleiten. Sagt mir, was Eurem Sohn fehlt und ich will Euch die Kräuter für einen Heiltrank mischen. Mehr kann ich heute nicht für Euch tun.“

Der Appell an die Vernunft zeigte keinerlei Wirkung. Verächtlich schürzte die energische Greisin die Lippen.

„Halt mich nicht für eine Närrin, die du mit ein paar Kräutern abspeisen kannst. Deine Hände heilen, sagt man.“

„Wie Ihr seht, brauche ich sie zur Stunde selbst.“ Solena legte die gespreizten Finger über die Leibesmitte. „Auch darf ich den Schutzkreis der Heiligen Quelle und des Eichenwaldes nicht verlassen. Hier ist die Macht der göttlichen Wesenheiten am größten, deren Beistand ich brauche.“

„Heidnisches Geschwafel. Wen hoffst du zu beeindrucken damit, Heilerin? Willst du, dass man dich als Hexe anprangert? Weißt du, was dann mit dir geschieht?“

Solena warf das offene Haar zurück. Ihre Blicke sprühten Feuer.

„Glaubt Ihr, ich helfe Euch bereitwilliger, wenn Ihr mir droht?“

„Du bedrohst dich selbst, meine Liebe. Sei besser froh, dass ich dich aus dieser Hütte heraushole. Willst du dein Kind etwa allein, ohne eine Wehmutter zur Welt bringen? Das nenne ich leichtsinnig. Wir können uns gegenseitig helfen, also spiel nicht die Verstockte. Einer meiner Männer wird dich aufs Pferd nehmen. Dir geschieht nichts, solange du deine Hexenhände zum Heilen verwendest.“

Mit einer herrischen Geste unterstrich die Greisin ihre Worte und winkte den Männern neben der Tür. Die packten Solena an den Armen und zerrten sie gegen ihren Willen aus dem Haus.

Der Regen durchtränkte sie im Nu, während sie, einem Sack Saatgut gleich, von einem der Bewaffneten auf einen Pferderücken gehievt wurde

Obwohl der Reiter sein Pferd zu gleichmäßiger Gangart anhielt, jagte das Gewitter dem Rappen Angst ein. Schnaubend warf er nach jedem Blitz den Kopf zurück und versuchte zu steigen. Mit zusammengebissenen Zähnen suchte Solena Halt in seiner Mähne. Sie wusste schon bald nicht mehr, was schlimmere Folgen haben würde, ein Sturz vom Pferd oder die Anstrengung eines längeren wilden Rittes.

Nass durch und durch, die Finger so klamm, dass sie kaum noch spürte, was sie umklammerte, ergab sie sich in ihr Los. Verzweiflung erstickte alle Gefühle, sogar den dumpfen Schmerz in ihrem Rücken.

Woher die alte Frau die Stärke nahm, sich bei diesem Mörderritt im Sattel zu halten, blieb Solena ein Rätsel. Wer war ihr Sohn für den sie diesen Ritt riskierte?

Bis sie Angoulême erreichten, hatte das Unwetter sich ausgetobt. Die Sonne tauchte zwischen den Wolken auf und zeichnete am westlichen Horizont, die Stadtsilhouette glühend nach. Die feuchte Luft ließ Dächer, Mauern, Plätze und Gassen dampfen. Aus den Wasserspeiern rannen letzte Rinnsale. Über den Uferwiesen an der Charente stiegen Mückenschwärme auf und folgten den Reitern sirrend auf dem Torweg, bis hin zu den Stadtwachen.

Auf glatten Pflastersteinen hallten die Hufschläge. Als der Rappe in einer Kurve ins Straucheln geriet, sich aber gleich wieder fing, zeigte die brummige Stimme des Mannes hinter Solena unerwartetes Mitgefühl.

„ Schscht…gleich sind wir da“, beruhigte er sie, nachdem sie kurz aufgeschrien hatte. „Die Befestigungen dort vorne, gehören schon zum Schloss.“

„Ihr bringt mich ins Schloss des Grafen von Angoulême?“

„Wohin sonst? Der Bischof zählt zu den engsten Ratgebern der Königinmutter. Sie braucht dringend seinen Rat, das macht auch seine Heilung dringend.“

Solena grub die Zähne in die Unterlippe.

Einem Mann der Kirche, einem Bischof gar zu offenbaren, welche Heilkräfte sie besaß, brachte sie noch schneller vor das Tribunal der Inquisition, als jede Verleumdung. In den Augen der Kirche war sie mit dem Heil- und Kräuterwissen ihrer längst vergessenen Vorfahren, hexen- und dämonenbesessen. Sich zu offenbaren, kam einem Selbstmord gleich.

Was sollte sie tun?

Viel zu schnell erreichten sie ihr Ziel. So abscheulich der Ritt gewesen war, jetzt zögerte Solena vom Pferderücken zu rutschen.

„Trödel nicht.“

Die herrische Greisin ergriff sie hart am Arm, kaum dass sie festen Boden unter den nackten Sohlen hatte. Solena taumelte. Der Burghof verschwamm ihr vor Augen.

„Wartet“, keuchte sie und hielt sich zitternd den Leib.

Ein winziger Fuß stieß heftig gegen ihre Handfläche. Zutiefst dankbar für das Lebenszeichen, richtete sie sich auf und warf das Haar über die Schulter.

Die Hände stützend gegen den Rücken gestemmt, sah sie sich um. Hoch aufragende Gebäude, gewaltige Türme umsäumten den weitläufigen Hof, auf dem noch die Regenwasserpfützen standen. Im Glas der Fenster spiegelte sich die Sonne. Auf dem Maßwerk der Rahmen und Dachvorsprünge gurrten Tauben.

Im Seitenflügel des Schlosses angekommen, durcheilten sie die leere Eingangshalle. Über steile Steinstufen und eine Galerie, erreichten sie eine reich verzierte Kassettentür. Die Hand bereits auf der Türklinke hielt die Greisin inne und begegnete Solenas Augen.

„Ich habe in diesem Jahr bereits einen Sohn verloren, sollst du wissen“, erklärte sie unerwartet sanft. „Henri starb bei einem Duell, das man ihm aufzwang. Ich will nicht Armand auch noch verlieren. Tu bitte, was in deinen Kräften steht. Ich schwöre, es soll dein Schaden nicht sein.“

„Ihr habt mir nicht gesagt, an welcher Krankheit Euer Sohn leidet.“

„Sieh selbst.“

Sie öffnete die Tür mit der Vorsicht einer Frau, die das Schlimmste erwartet.

„Armand ? Mein Lieber?“

Stöhnen antwortete aus dem Halbdämmer des Raumes, den eine zum Schneiden schwere Luft beherrschte. Solena konnte Übelkeit erregenden Gestank von Exkrementen, Schweiß und Urin identifizieren, den typischen Geruch von Krankheit und Verfall. Dagegen konnten weder die Kerzen noch die Weihrauchschwaden etwas ausrichten.

Der Mann, der sich halb bewusstlos auf fleckigen Laken wälzte, war ausgetrocknet vom Fieber und wurde von schweren Darmkoliken heimgesucht.

Mit dem Gespür der erfahrenen Heilerin ahnte Solena, dass der Tod bereits in den verschatteten Ecken des Raumes lauerte. Geleitet von Pflichtbewusstsein und einem Gefühl der Unausweichlichkeit trat sie entschlossen näher an den Alkoven des Patienten. Es verengte ihr die Brust. Sie musste tun, was in ihren Kräften stand.

„Ich brauche mehr Licht. Öffnet die Vorhänge, am besten auch die Fenster.“

Schon ihre ersten Anweisungen riefen Widerspruch hervor.

„Willst du ihn umbringen? Siehst du nicht, dass ihn das Fieber verzehrt?“

„Entscheidet Euch, was Ihr von mir wollt, Madame. Ist es Hilfe, dann tut was ich sage. Misstraut Ihr mir, dann lasst mich gehen und betet für Euren Sohn.“

Argwöhnisch zögerte die Greisin. Sie beobachtete wie Solena am Atem des Kranken roch und mit den Fingerspitzen seine Stirn berührte. Was immer sie tat, die Heilerin war Armands letzte Chance, das wusste sie.

Entschlossen zog sie die Vorhänge zur Seite und entriegelte die Fensterflügel.

Die Brust unter dem mit Spitzen besetzten Hemd des Patienten war von Schweiß überzogen und eingefallen. Seine unregelmäßigen Atemzüge bewegten sie kaum noch. Die Augenhöhlen lagen verschattet. Die Gesichtshaut spannte sich lehmfarben über den Backenknochen, das Haar klebte strähnig an Schläfen und Hals. Die Hände in die Decken gekrallt, die Lippen im Kampf gegen den Schmerz verzerrt, rang der Bischof sowohl mit dem Fieber, wie mit den Koliken die seinen Leib schüttelten.

Er war jünger als Solena zunächst vermutet hatte. Der Bart umrahmte dunkel und dünn die Mundpartie. Dass er seit vielen Jahren, die Schwäche seines Körpers mit Willenskraft zu überwinden versuchte, las sie unschwer aus dem Spinnennetz der Falten, das seine Züge charakteristisch prägte.

„Seit er aus Rom zurück ist, überfällt ihn immer wieder dieses Wechselfieber“, vernahm sie die Erklärung seiner Mutter in ihrem Rücken. „Man sagt, es steige aus den Sümpfen der Heiligen Stadt auf, aber es will auch in Frankreich nicht weichen. Anfangs hofften wir, die Abstände zwischen den einzelnen Anfällen würden größer, aber nun scheint es, als zerstöre ihn das Fieber dieses Mal von innen heraus. Kannst du ihm helfen?“

Alle Arroganz und Herrschsucht waren jetzt aus ihrer Stimme gewichen, aber Solena hörte ohnehin nicht zu. Sie hatte eine Hand des Fiebernden ergriffen und konzentrierte sich mit allen Sinnen auf ihn.

Obwohl sein Körper, vom Leiden angegriffen, kaum noch fähig schien, die natürlichsten Funktionen aufrecht zu erhalten, glühte der Lebensfunke in ihm. Die Klarheit und Brillanz des Geistes, der in seiner unvollkommenen Hülle wohnte, bestätigte Solena mit starker Ausstrahlung was sie bereits vermutete.

Ihm stand eine Aufgabe bevor, die allein er bewältigen konnte. Und ihre Berufung war es, ihn für diesen Weg zu stärken. Als Hüterin der Erde und Dienerin der großen Mutter musste sie ihre Pflicht tun, wie Kervèn und die anderen weisen Männer es sie gelehrt hatten.

Behutsam legte sie die Hand des Kranken auf das Laken zurück und beugte sich über ihn.

„Nennt mir seinen Namen, Madame.“

„Armand-Jean de Richelieu, Bischof von Luçon und Ratgeber der Königinmutter, Marie de Medici.“

Da Solena sich unbeeindruckt zeigte, fügte sie hinzu:

„Nur er kann die Versöhnung zwischen unserem König und seiner Mutter, Marie de Medici, bewerkstelligen. Scheitert er, droht unserem Land ein Bürgerkrieg.“

Lediglich ein Nicken zeigte, dass Solena verstanden hatte. Stumm legte sie die Handflächen in Höhe des Gesichtes gegeneinander und berührte die Fingerspitzen mit der Stirn. Die Augen geschlossen, in ein Gebet vertieft, verharrte sie geraume Zeit, um sich gegen alle äußeren Einflüsse abzuschirmen. Als sie den Kopf wieder hob und die Hände leicht gegeneinander rieb, verfolgte die Greisin jede ihrer Bewegungen mit Argusaugen.

Sacht berührte Solena mit warmen, energetisch aufgeladenen Händen, das Antlitz des Todkranken. Ihre Handballen umfassten die Schläfen, die Spitzen ihrer Daumen bildeten in der Mitte seiner Stirn, über der Nasenwurzel, das heilige Dreieck. Stumm wob sie den Schleier um sich und den Fiebernden, stellte sich auf seinen Atem ein. Eins mit seiner Aura, die dank ihrer Hilfe nicht länger schwach flackerte, sondern langsam ihre Leuchtkraft zurückerhielt, begann sie ihr schwieriges Werk.

Einklang zwischen dem Kranken, der Natur und den höheren Mächten herzustellen, forderte sie aufs Äußerste. Dabei waren es weniger die Widrigkeiten des Leiblichen die sie beanspruchten, als viel mehr die Ängste die seinen Geist heimsuchten. Die Schmerzattacken hinter seinen Schläfen hatten ihre Ursache in den Untiefen einer komplizierten Seele. Ein unausrottbarer Hang zu Depressionen, tief verankerter Machthunger und eine Neigung zu wahnhaften Vorstellungen widersetzten sich hartnäckig dem Versuch der Reinigung. Sie konnte den Schmerz lindern, aber in schwierigen Zeiten würden die Dämonen seines Charakters ihn wieder und wieder bedrängen.

Als sie endlich die Hände von ihm nahm, lag er ruhig, scheinbar schlafend, da. Der Schweiß auf der Stirn war getrocknet, der Mund entspannt.

Dass sie die Verbindung löste ließ ihn die Augen aufschlagen. Er begegnete Solenas Blick auf eine Weise, die ihr sagte, dass er wusste, wie tief sie in seine Seele eingedrungen war. Gleichzeitig war es auch ein beiderseitiges Erkennen, jenseits von Zeit und Ort, das sie wie ihn berührte.

„Wer bist du?“, fragte der Bischof heiser.

Solena überging die Frage.

„Schlaft“, riet sie sanft. „Gönnt Eurem rastlosen Geist den Frieden, den er braucht, um zu genesen.“

Dass er gehorsam die Lider senkte und gehorchte, entlockte seiner Mutter einen Laut des Erstaunens.

„Er schläft tatsächlich. Gott sei Ruhm und Ehre. Man hat deine Fähigkeiten zu Recht gerühmt, Solena. Ich schulde dir das Leben meines Sohnes.“

Ein scharfer Schmerz durchfuhr Solena vom Scheitel bis zur Sohle, ehe sie antworten konnte. Sie war ein hohes Risiko eingegangen, hatte sich in ungekanntem Maß verausgabt. Taumelnd suchte sie Halt am Fußende des Alkovens.

„Bringt mich in eine Kammer, wo ich meine eigene Arbeit tun kann, ich bitte Euch“, keuchte sie, kaum fähig sich auf den Beinen zu halten.

„Du bist in Kindsnöten?“

Solena ergriff die Hand der Mutter des Bischofs beschwörend.

„Versprecht mir, dass Ihr Euch um meine Kinder kümmert. Kervèn, mein Gefährte, wird kommen und sie holen. Bis dahin müsst Ihr für sie sorgen, als wären es Eure eigenen. Gebt mir Euer Wort.“

„Kinder? Woher willst du wissen, dass es mehrere sind?“

„Euer Wort“, drängte Solena.

„Ich will mein Bestes für dich und dein Kind tun, das verspreche ich.“

„Habt Dank.“

Würde Kérven sie rechtzeitig finden, um seine Töchter in Sicherheit zu bringen? Sie hatte ihm keine Nachricht hinterlassen können. Würde er sie hinter den Mauern von Angoulême suchen? Bis er ihre Spur aufgenommen hatte, mochte viel zu viel Zeit vergehen. Ihr blieb keine Wahl. Was jetzt geschah, musste sie geschehen lassen.

Die nächste Wehe kündigte sich an. Stöhnend wankte Solena zur Tür. Das Wissen, dass es ihr niemals vergönnt sein würde, ihre Töchter in Liebe zu umfangen und anzuleiten, beschwerte ihr das Herz. Sie fürchtete nicht den Tod. Er war Teil des ewigen Kreislaufs aus Werden und Vergehen, aber wer würde ihre Kinder auf das Leben vorbereiten?

Vor dem offenen Fenster, auf dem höchsten Zweig eines Apfelbaumes, begann eine Amsel ihr Abendlied. Solena hielt inne und lauschte.

Was in den Ohren der Menschen nur ein Vogelgezwitscher war, enthielt für sie eine Botschaft.

Entsinne dich deines Wissens, Solena. Du bist eine Hüterin der Erde und eine Dienerin der großen Mutter. Vertraue ihr, sie wird dich und deine Kinder nie im Stich lassen.

Getröstet umfing sie ihren Leib, in dem das ungebärdige Leben alles zu sprengen drohte. Sie waren alle Töchter der einen großen Mutter.

1. KapitelEin Kuss auf dem Markt

Paris - 1637Jahrmarkt von Saint-GermainDienstag, 17. Februar 1637

Noch nie hatte Raina so viele Menschen auf so engem Raum gesehen. Zwischen Buden, Ständen, Bühnen, Käfigen, Garküchen und Schankstätten drängelten sich die Besucher des Frühjahrsmarktes von Saint-Germain, als ginge es darum, rechtzeitig einen Platz im Paradies zu finden, ehe es für alle Zeiten verschwand. Das Meer der Köpfe wogte einer Flut gleich, vor Rainas Augen auf und nieder. Obwohl Mauern das Rechteck umschlossen, auf dem die Mönche der Abtei von Saint Germain, vor den Toren von Paris, im vergangenen Jahrhundert rund 140 Marktbuden hatten errichten lassen, kam es ihr vor als würde die Menge die Begrenzung im nächsten Augenblick einfach überspülen und sie mit sich reißen.

Insgeheim beglückwünschte sie sich inzwischen dazu, dass sie zu spät eingetroffen waren, um eine der Buden in den Marktgassen belegen zu können. Mit dem Karren, der ihr und Zacharie, ihrem Ziehvater, Zuhause, Werkstatt, Laden und Bühne zugleich war, hatten sie nur noch außen, an der flussseitigen Mauer einen Platz gefunden. Dass nur die eine Längsseite des Wagens den Vorübergehenden zugewendet war, gefiel Zacharie keineswegs, aber Raina fühlte sich von der Mauer in ihrem Rücken beschützt. Fast konnte sie sich vorstellen, wie es sein würde in einem festen Haus zu leben.

Zacharie musste hier aus vollem Hals schreien, um die Menge auf seine Fähigkeiten als Arzt und Wunderheiler aufmerksam zu machen, sowie um seine Arzneien und Tränke anzupreisen.

Wie üblich fixierte er dabei ein ahnungsloses Opfer, dessen Aussehen oder Leiden die Vorübergehenden durch seinen Anblick fesselte. Eben nahm er eine junge Frau aufs Korn, die von einem Galan begleitet, in Seide gekleidet, vorbeischlenderte. Ein Spitzenkragen umrahmte modisch ihren Hals, sein Weiß betonte dabei die ungesunde Gesichtsfarbe der Dame, deren Haltung und Auftreten auf adelige Abstammung deutete.

„…ich sehe es Euch an, werte Dame, Euer Kopf schmerzt und trübt das Vergnügen dieses Tages. Lasst Euch helfen. In jahrelangen Studien und Experimenten habe ich einen wundersamen Balsam aus kostbarsten Blütenölen destilliert, der Euch von allen Schmerzen befreit. Prüft selbst, ob ich Euch zu viel verspreche. Kommt die Stufen herauf, betretet mein Infirmarium!“

Beredsam schilderte Zacharie die Vorzüge seiner Wundermedizin, so dass Raina Zeit blieb den eigenen Gedanken nachzuhängen. Sie hatte gehört, dass es nicht einmal der König für unter seiner Würde hielt, sich auf dem Markt von Saint Germain zu amüsieren. Mit eigenen Augen die Damen und Herren des Hofes zu beobachten, wie sie sich aufgeputzt und erregt unter das Volk mischten, war beeindruckend und überraschend zugleich. Jedem Taschendieb und Beutelschneider musste hier das Herz aufgehen. Im Gegensatz zu der Edeldame, die nur auf Zacharie achtete, sah Raina sehr wohl die Mitglieder der verschiedenen Gaunerzünfte, die sich durch das Gedränge schoben und auf eine günstige Gelegenheit warteten, ihre flinken Finger zum Einsatz zu bringen.

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