High Heels - Heisse Mode - Dina Casparis - E-Book

High Heels - Heisse Mode E-Book

Dina Casparis

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Beschreibung

Rechtsanwältin Tara Bernhard träumt von einem Job in der Modebranche. Unverhofft scheint ihr Wunsch in Erfüllung zu gehen, nachdem ihr Lieblingsklient, ein Modekönig, von Ökoaktivisten entführt wird. Ausgerechnet nach der Präsentation seines Hightech-Kleids, mit dem er einige ökologische Probleme bahnbrechend lösen wollte. Tara wird mit der glamourösen Fassade eines Modeunternehmens konfrontiert, hinter der sich stil- und skrupellose Drahtzieher einer Modemafiabande verbergen. Diese lassen sich ihre Pläne weder von einer übereifrigen Junganwältin und erst recht nicht von ein paar Aktivisten durchkreuzen, die sich Fair Fashion auf die Fahne geschrieben haben. Einmal mehr setzt Tara Bernhard ihre Karriere für einen Klienten aufs Spiel.

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Dina Casparis

High Heels – Heisse Mode

Ein Thriller aus der Modewelt

Teil II der High-Heels-Reihe

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Auf ein Wort

Disclaimer

Figuren

Prolog

1. Hindernislauf zum Gipfeltreffen

2. Power Lunch mit Ausblick

3. Sicherheitszone mit Fallgruben

4. Weltwirtschaft am Seidenfaden

5. Der heiße Schal

6. Der König ist weg!

7. Wo ist der König?

8. Kampf der Titaninnen

9. Reich ohne König

10. Duft der Mode

11. Haifischbecken

12. Mord in der Jeansbleiche

13. Strategie mit Stil…

14.…und mit Stilettos

15. Anwältin ohne Recht

16. Vertrag ohne Zähne

17. Erfolg auf dünnem Eis

18. Schnäppchenjagd

19. Ein geheimnisvolles Versteck

20. Ein heimlicher Retter

21. Geheime Konten

22. Nur ein Kuss

23. Ein frecher Kater und alte Fotos

24. Familien- und andere Geheimnisse

25. Frauenparkplatz

26. Platzende Nähte und Bomben

27. Im Namen der Mode

28. Mode-Pandemie

29. Kein romantischer Ausflug

30. Die Schokoladenvilla

31. Eine unheimliche Begegnung

32. Supergau

33. Späte Rache

34. Überraschungen

35. Finale Grande auf dem Grünen Teppich

Epilog

Glossar

Danke!

Impressum

© 2022 Münster Verlag, Zürich

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

Illustrationen: Florence Bachofen-Székely

Umschlaggestaltung: Corinne Lüthi

Gestaltung und Satz: Corinne Lüthi

Lektorat: Sibylle Liedtke (Unterwegs Verlag, Singen)

Druck und Einband: CPI books GmbH, Ulm

Autorenfoto: Roman Schubert

Make-up & Styling: Aisha Wenzel-Werz

ISBN 978-3-907301-45-6

Printed in Germany

www.muensterverlag.ch

«Mode ist vergänglich, Stil niemals.»

Coco Chanel

Für Finy

Auf ein Wort

«Mode und Nachhaltigkeit? Aha…» Mehr als ein gelangweiltes Lächeln oder genervtes Augenrollen erntete ich nicht, wenn ich nach dem Thema meines neuen Romanprojekts gefragt wurde. Erst seit ein, zwei Jahren scheint das Thema salonfähig geworden zu sein.

Mein erster Roman, «High Heels – Heiße Deals», spielt 2013 und endet damit, dass Tara an ihrer neuen Stelle im Family Office unverhofft wieder auf James Kuhl trifft, der im Auftrag eines Kunden eine Modefirma kaufen will. Im vorliegenden Roman begegnen wir Tara knapp eineinhalb Jahre später, im Januar 2015 am Weltwirtschaftsforum in Davos, zu dem sie der Schweizer Modekönig an die erste «grüne» Modeschau eingeladen hat.

«High Heels – Heiße Mode», der vorliegende zweite Teil der «High-Heels-Reihe», spielt im Jahre 2015. Fertig geschrieben habe ich den Roman Ende 2021. So mögen mich Technologien oder Begebenheiten, von denen 2015 noch niemand sprach, inspiriert haben. Das Thema Mode und Nachhaltigkeit hingegen habe ich versucht, zeitgerecht darzustellen. Damals interessierte sich das Gros der KonsumentInnen nicht wirklich für die Herkunft ihrer Kleider. Greenpeace hatte mit seiner Detox-Kampagne gerade die Modebranche aufgerüttelt, aber die Umsetzung harzte. Mit Greenwashing ließ (und lässt) sich das Gewissen der Konsumenten eben billiger beruhigen.

Bei den Recherchen für diesen Roman habe ich Ungeheuerliches und Wissenswertes entdeckt. Wer sich für die Thematik interessiert, findet entsprechende Links auf meiner Webseite (www.dinacasparis.com). In den Fußnoten stehen Erklärungen, die nicht unbedingt in den Text gehören. Kursiv gedruckte Begriffe sind am Ende des Buchs im Glossar erklärt.

Danke, dass Sie sich für meinen Roman Zeit nehmen und viel Lesevergnügen!

Disclaimer

Es heißt zwar, das Leben schreibe die besten Geschichten, doch ich muss Sie, liebe Leserinnen und Leser, enttäuschen: Sämtliche natürlichen und juristischen Personen im vorliegenden Roman sind frei erfunden, sofern nicht, wie die eine oder andere bekannte Persönlichkeit oder Marke, mit Absicht erwähnt.

Figuren

Tara Bernhard (32)

Rechtsanwältin im Family Office, La Couronne des Bergues.

Tante Jo (69)

Josephine Bernhard, genannt Jo, ist die Schwester von Taras verschollenem Vater. Als Tara mit sechzehn Jahren Vollwaise wurde, nahm sie sie in ihrem großen Haus und Herzen auf.

Annabelle Kronenberg

(ihr Alter untersteht dem Bankgeheimnis)

Gründerin des Family Office und Taras Chefin. Die Spezialistin für Finanz- Vermögensfragen entstammt einer norddeutschen Bankiersdynastie, wo sie ihre Sporen abverdient und ein wertvolles Netzwerk geknüpft hat.

Karl Gerold Fuchs (74), genannt KGF oder «der alte Fuchs»

«Schweizer Modekönig», Patron in dritter Generation des von seiner Großmutter Rudolfine gegründeten traditionsreichen Modeunternehmens, Finny-Mode AG (und Taras Lieblingsklient).

Nadine Blumenthal (34)

KGFs Nichte, Gesellschaftskolumnistin, Bloggerin und frischgebackene Pressesprecherin von Finny-Mode.

Madam oder Mama Blumenthal, auch genannt Mama B.

Nadines Mutter, KGFs Schwester, Mitinhaberin und Mitglied des Verwaltungsrats von Finny-Mode, von Beruf Ex-Ehefrau und Galeristin.

Adalbert Ferdinand Fuchs, genannt AFF (32)

KGFs Sohn, Marketingchef, Mitglied des Verwaltungsrats von Finny-Mode (aber nicht Aktionär).

James Kuhl (42)

Finanzspezialist und Geheimagent im Nebenamt, als Vertreter des stillen Teilhabers ebenfalls Mitglied des Verwaltungsrats von Finny-Mode.

Der stille Teilhaber

Öffentlichkeitsscheues indisches IT-Genie, das die Smarty-Technologie entwickelt hat und eine Plattform für das Hightech-Kleid suchte.

Boris Garcholigoff (53)

Fast-Fashion-Zar und Inhaber der Billigmodekette Uptodate.

Cheru Wüstenhagen (35)

Textilingenieurin, arbeitet an der Entwicklung des Hightech-Kleids «Smarty».

Oliver Weiss (37)

Taras Lebenspartner, arbeitet als Biochemiker ebenfalls an Smarty.

Valerie von Felsenkirch (34)

Rechtsanwältin der Kanzlei Brecht & Partner (vormals Guth & Brecht) und Taras verhasste Ex-Kollegin. Sie ist die Nichte von Professorin Bernadette Brecht.

Prof. Bernadette Brecht, heimlich Ochsenfrosch genannt

Valeries Tante, Gründungspartnerin von Brecht & Partner und Vizepräsidentin des Verwaltungsrats von Finny-Mode.

Ines Grossweiler, genannt Rottweiler

Assistentin des Patrons und selbsternannte Office-Managerin, (hält mit den Akten auch ihr Alter unter Verschluss).

Theobald

Chefdesigner bei Finny-Mode.

Leopold, genannt Leo

Sein Assistent.

Gar Beau

Eine junge Modeaktivistin, die mit Sitzstreiks vor Fast-Fashion-Tempeln bekannt wurde.

Die Grünen Löwen

Eine militante Gruppe von Modeaktivisten. Gar Beau ist ihr großes Vorbild.

Ein Polizist

Kein Freund und Helfer.

Prolog

«Mode ist nicht meine Welt!» Sie löste sich aus seiner Umarmung und schlang die Arme um ihre Beine. «Ich will weder eine Schaufensterpuppe noch ein wandelnder Kleiderständer sein. Zudem würden das meine Eltern niemals zulassen.»

«So streng?»

«Und traditionsbewusst.» Dass ihre Eltern bereits einen Ehemann für sie ausgewählt hatten, brauchte er nicht zu wissen. Auch nicht, dass ihre Tage in London gezählt waren, sobald sie ihr Studium beendet hatte. Sie wollte einfach nur weg, in ein neues Leben mit diesem Schweizer, in den sie sich entgegen jeglicher Vernunft verliebt hatte. «Sie finanzieren mein Studium, keine Ferien in der Schweiz.»

«Dann such dir eben einen Büro-Job!»

«Du wolltest mir doch die Stelle nicht geben!» Finster blitzte sie ihn an.

«Nein, ich wollte dich nur ausführen, ausziehen und verführen.» Er lachte und zog sie wieder an sich. «Die Finanzwelt ist nichts für Frauen und für dich erst recht reine Zeitverschwendung. Mit deinen Looks kannst du als Model viel mehr verdienen.»

«Du jonglierst doch auch lieber mit Zahlen.»

«Und genau deshalb braucht mich mein Vater.» Seine Finger wanderten über ihren Yoga-gestählten Rücken. «Komm mit mir in die Schweiz und wenn es nur ein paar Wochen sind. Dann sehen wir weiter.»

«Und mein Studium?»

«Mach eine Pause, lerne Deutsch. Models mit deinem Aussehen sind bei uns gesucht. Du könntest dir dein Studium locker selbst finanzieren und Elektrotechnik kannst du auch in der Schweiz studieren.» Er ließ sich auf den Rücken fallen und zog sie auf sich. «Komm, lass mich noch einmal deine Yogamatte sein.»

1. Hindernislauf zum Gipfeltreffen

Ganz in Weiß glich die höchste Stadt Europas Schneewittchens Stiefmutter, deren Makel unter einem Spitzenschleier verschwanden. Architektonische Schandtaten hatten sich in majestätische Schneeskulpturen verwandelt, Flachdächer sich mit Schneehäubchen aufgehübscht. Mit Tausenden Eiskristallen überzogene Bäume glitzerten mit dem zugefrorenen See und dem Goldenen Ei1 um die Wette. Schneewälle am Straßenrand verzauberten das Straßenbild in eine Miniaturberglandschaft. Der tiefblaue Davoser Himmel stimmte selbst das kritischste Auge milde.

1 2013 wurde das in Form eines goldenen Eis oberhalb des Davoser Sees thronende Hotel Inter-Continental eröffnet. Nach mehreren Besitzerwechseln heißt es heute AlpenGold Hotel.

Nicht nur die Natur hatte ihre Hand an die Alpenstadt gelegt. In ihrem mondänen Kleid, herausgeputzt für die Staatsbesuche, war sie nicht mehr wiederzuerkennen. Und so fühlte sich Rechtsanwältin Tara Bernhard wie Alice im Wunderland, als sie den Parkplatz der Parsennbahn überquerte, um in einer temporären Office-Baracke ihren Badge abzuholen, ihren persönlichen Schlüssel zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Für einen Tag gehörte auch Tara zur Elite, die alljährlich im Januar im Kongresszentrum den geopolitischen Draht- und Strippenziehern dieser Welt lauschen durfte. Taras Lieblingsklient, der Patron von Finny-Mode, Karl Gerold Fuchs, hatte sie zum Green Fashion Summit, dem ersten Mode-Gipfel zum Thema Nachhaltigkeit anlässlich des WEF2, eingeladen.

2 Das Weltwirtschaftsforum oder zu gut Englisch «World Economic Forum» ist ein von manchen Seiten kritisch beäugtes alljährliches Gipfeltreffen der internationalen Wirtschaftselite in Davos.

Dank eines aufsässigen Teenagers namens Gar Beau erhielten dieses Jahr auch weniger mächtige, aber nicht minder wichtige junge Menschen eine Stimme. Die Tochter einer Modedesignerin hatte mit ihren Sitzstreiks vor Fast-Fashion-Tempeln eine weltweite Bewegung unter Teenagern und Umweltaktivisten ausgelöst. Letztes Jahr campierte Gar Beau während des WEF vor dem Kongresshaus und wetterte gegen die Fast-Fashion-Industrie. Und dieses Jahr schon durfte sie als Ehrengast den Green Fashion Summit am Weltwirtschaftsforum eröffnen.

In gespannter Vorfreude dachte Tara an den Vortrag, den sie für ihre Chefin geschrieben hatte. Sie hoffte, damit auch die junge Modeaktivistin dabei zu unterstützen, ihr ehrgeiziges und von vielen belächeltes Ziel zu erreichen: Die Textilbranche und die Konsumenten zum Umdenken zu bringen.

Die Menschentraube vor dem Holzbau mit dem Registration-Schild brachte Taras Terminplan erneut ins Wanken. Bei der Polizeikontrolle im Prättigau, dem Tal, durch das die einzige Straße nach Davos führte, hatte Tara nicht nur Zeit, sondern beinahe auch ihre Nerven verloren. Dass der Blitz kein reflektierender Sonnenstrahl war, der sich in einem Straßenschild spiegelte, hatte sie erst realisiert, als sie von einem Polizisten heraus gewinkt wurde. Taras letzte Geschwindigkeitsübertretung mit Führerscheinentzug hatte sie den Job gekostet. Ihr angeschlagener automobilistischer Leumund war nebst der Affäre mit einem Juniorpartner die offizielle Erklärung für ihren Rauswurf bei der der Anwaltskanzlei Guth & Brecht gewesen. Inoffiziell war sie als jüngste Anwältin das pflegeleichteste Opfer der Sparmaßnahmen, als die Kanzlei nach einem Datenleckskandal auseinanderzubrechen drohte.

Sie schaute auf die Uhr. Es war erst kurz vor 12 Uhr. Mit etwas Glück konnte sie es rechtzeitig zum Lunch mit dem Klienten Karl Gerold Fuchs schaffen. Im schlimmsten Fall würde sie das Essen absagen und ihn direkt beim Notar zur Beurkundung des Vorsorgeauftrags treffen, so wie ihre Chefin ihr aufgetragen hatte. Ein befreundeter Notar in Davos hatte Karl Gerold Fuchs auf die Notwendigkeit einer solchen Vorkehrung für den Notfall angesprochen. Und so hatte der spontan beschlossen, das lästige Geschäft rasch hinter sich zu bringen. Natürlich nicht ohne seine Anwältin, die mit der Modeschau das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden sollte.

Sie scannte die in ihre Smartphones vertieften Menschen unterschiedlichster Hautfarben. Vielleicht traf sie ja auf die eine oder andere Berühmtheit. Oder wenigstens auf einen potenziellen Klienten. Ganz nach dem Motto von Annabelle Kronenberg: Akquirieren kann man auch im Supermarkt! Nachdem keiner der Umstehenden auf ihr Lächeln und auch nicht auf ihr schüchternes «Hi» reagiert hatte, zog sie ihr Smartphone aus der Manteltasche. Dem Gerät galt der erste Griff nach dem Aufwachen und der letzte vor dem Einschlafen, wenn sie Oliver nach Lektüre der Regenbogenpresse einen virtuellen Gutenachtkuss schickte. Denn dieser «Schund», wie Oliver Taras Pflichtlektüre nannte, war eine wichtige Informationsquelle über manch einen ihrer Kunden. Und ein perfektes Schlafmittel. Perfekt wie ihre Wochenendbeziehung. Nachdem sie in einer intelligenten Frauenzeitschrift gelesen hatte, dass sexuelle Enthaltsamkeit in der Jugend zu Gewichtszunahme im Alter führen konnte, hatte sie ihrem alten Jugendfreund Oliver Weiss, dem Erhalt ihrer noch ganz passablen Figur und einer ebensolchen Beziehung eine Chance gegeben.

Tara überflog ihre E-Mails. Nachdem nichts Dringendes zu beantworten war, widmete sie sich ihrer Lieblingslektüre, dem Gossip-Blog von Nadine Blumenthal.

Nadine’s Fashion & Society Blog

Donnerstag, 22. Januar 2015

Liebe Fashion- und Newsjunkies

Ihr habt richtig gelesen: Mein Blog vereint ab heute meine beiden Leidenschaften! Seriös recherchierte Schauergeschichten über Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Kultur nebst Klatsch & Tratsch aus der Modeszene.

Wie ich dazu komme?

Karl Gerold Fuchs hat mich zur Kommunikationsbeauftragten von Finny-Mode ernannt!

Das hat übrigens nichts damit zu tun, dass er mein Onkel ist… immerhin habe ich meine 200‘000 Follower selbst akquiriert.

Und ich liebe Mode, seit ich meine Barbie-Puppen mit Stoffresten und mich selbst aus Mamas Kleiderkasten gestylt habe. Mode ist der Geruch von Shalimar und Chanel Nummer 5, das Rascheln von schweren Stoffen auf dem glatten Parkett während der Modeschau meines Grossonkels. Seit meiner Kindheit versuche ich mit jedem neuen Kleidungsstück, jeder Handtasche, jedem Paar Schuhe, dieses Gefühl wieder zu finden. Shoppen ist meine Droge.

Doch nun zu meinen bahnbrechenden News: Heute wird Smarty, das erste Hightech-Kleid aus dem Hause Finny-Mode, das Licht der Modewelt erblicken!

Wo? Das berichte ich euch morgen!

Hug & Kiss

Eure Nadine

Follow me – stay informed!

War Smarty etwa Olivers Geheimprojekt? Arbeitete er für Karl Gerold Fuchs? Taras Freund tüftelte am alpinen Biotech- und Textilforschungsinstitut in Davos an giftfreien Herstellungsmethoden von Jeans, kompostierbaren T-Shirts, Seide aus Mandelmilch, Baumwollersatz aus Holzfasern und neuerdings an intelligenten Textilien. Er sprach nie über seine Auftraggeber. Als sie ihn wieder einmal gelöchert hatte, meinte er lapidar, sein neuestes Projekt hätte das Potenzial, die Modewelt nachhaltig zu verändern: Ein Hightech-Kleid aus synthetischer Spinnenseide und Nanobiotechnologie.

Tara schauderte bei der Vorstellung. Mode und Hightech, das passte für sie nicht zusammen. Mode war ein Spiel und Kleider shoppen ein Hobby, seit sie als Gymnasiastin die Mittagspausen mit ihren Freundinnen bei Uptodate3 verbachte. Der Look angesagter Designer kostete im Fast-Fashion-Tempel weniger als ein Mittagessen. Sie hatte sich nie etwas gedacht dabei. Bis sie diesen Weiterbildungskurs in Fashion Compliance besuchte. Die Bilder eingestürzter Fabrikgebäude und darbender Textilarbeiterinnen hatten ihr die Shoppinglaune verdorben. Und ihren heimlichen Wunsch geschürt, einen Job bei Finny-Mode zu ergattern, der Firma ihres Lieblingsklienten, der sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hatte.

3 Uptodate ist ein fiktives Fast-Fashion-Unternehmen.

Das Tuten eines Schiffshorns in ihrer Handtasche schreckte sie aus ihren Gedanken auf. Sie quittierte die amüsierten Blicke mit einem entschuldigenden Lächeln. So sehr sie ihre Tante liebte, für ein Plauderstündchen hatte sie jetzt keine Zeit. Das Smartphone verstummte, um gleich doch wieder loszutröten. Beim dritten Mal nahm sie den Anruf schließlich doch an.

«Tante Jo, was gibt’s?»

«Wie bitte? Wo sind Sie? Wieso nehmen Sie nicht ab?» Annabelle Kronenberg klang außer Atem.

«Ich bin…» Mist, sie hatte die Klingeltöne verwechselt. Sie wollte der Chefin die rostige Hupe zuweisen.

«Schon wieder zu spät!» Die kühle Norddeutsche echauffierte sich selten, aber wenn sie es tat, drohte jedem in ihrer Nähe Ungemach.

«Nein, ich habe genügend Zeit einberech…»

«Was ist mit der Family-Governance-Offerte für KGF?»

Im Family Office sprach man aus Diskretionsgründen nur verklausuliert über Kunden. Karl Gerold Fuchs wurde selbst im altehrwürdigen Modeunternehmen KGF und hinter vorgehaltener Hand «der alte Fuchs» genannt.

«Ich sollte ihn doch heute während des Lunchs erst einmal für die Thematik sensibilisieren.» Dem widerspenstigen Klienten klarmachen, dass seine Nachfolge im Unternehmen mit dem Vorsorgeauftrag noch längst nicht geregelt war, lautete der Auftrag für heute, doch Tara hatte ihren eigenen Plan.

«Vergessen Sie es! Die von Felsenkirch war schneller.» Annabelle Kronenberg gab einen unterdrückten Knurrlaut von sich. «KGF hat mir grade ihr Angebot zugeschickt und will meine Meinung dazu hören.»

«Dieses Miststück!» Taras Ex-Kollegin, Valerie von Felsenkirch, kümmerte sich in der Kanzlei Brecht & Partner um die rechtlichen Belange von KGFs Firma, nicht um seine privaten Angelegenheiten. Für diese war Tara zuständig, seit sie die Rechtsabteilung des Family Office La Couronne des Bergues leitete. Seit weitere von Taras ehemaligen Klienten ihr zum Family Office gefolgt waren, herrschte ein offener Krieg zwischen Valerie und Tara sowie zwischen Valeries Tante, Professorin Bernadette Brecht, und Annabelle Kronenberg. «Noch vor einer Woche hat Valerie mir erklärt, dass sie mit Family Governance nichts am Hut habe. Die meisten ihrer Klienten seien Großkonzerne.»

«Genau das, liebe Tara, hätte Sie hellhörig machen sollen!», schimpfte die Chefin.

«Dann machen wir ihm eben ein besseres Angebot!», versuchte Tara die Situation zu retten. Als Schnittstelle zwischen Familie und Familienunternehmen war Family Governance das perfekte Instrument, um sich gegenseitig die Goldfische aus dem Teich zu ziehen.

«Zu spät. Ich habe eine bessere Idee. Sie werden Karl Gerold Fuchs mit Ihrem Wissen über die rechtlichen Implikationen von Mode und Nachhaltigkeit beeindrucken. Davon hat Valerie definitiv keinen blassen Schimmer.»

«Klar, ich werde ihn darauf ansprechen», frohlockte Tara. Dank Valeries fiesem Schachzug konnte sie nun mit offenen Karten spielen.

«Und Sie werden den Vortrag heute Abend an meiner Stelle halten, Tara!»

«Ich kann doch nicht…» Tara erstarrte. «Wieso?»

«Ich hatte einen Unfall.»

Tara suchte nach Worten. «Das ist ja schrecklich.» Dem energischen Ton nach zu urteilen, war die Chefin nicht ernsthaft verletzt. «Was ist denn passiert?», erkundigte sie sich höflich.

«Fuß verstaucht beim Ski-Yoga.»

Tara grinste erleichtert. «Oh je…» Ein Annabellscher Fehlalarm. «Soll ich Sie zum Arzt fahren?» Sie schaute auf die Uhr und verabschiedete sich gedanklich bereits vom Lunch mit dem Klienten. «Ich besorge Ihnen Krücken.» Sie würde alles tun, um ihren Vortrag nicht selbst halten zu müssen.

«Beim Arzt war ich schon. Der hat mir zwei Tage Fuß hochlagern und ein Schmerzmittel verordnet, von dem ich nur schon beim Lesen der Packungsbeilage krank werde.» Rascheln und Stöhnen. «Wenigstens wird der Green Fashion Summit live übertragen. So verpasse ich nichts.»

«Ich bin überhaupt nicht vorbereitet!» Tara wurde übel bei der Vorstellung, vor Publikum zu stehen. Noch dazu an einem so hochkarätigen internationalen Modetreffen.

«Wo liegt das Problem? Sie haben den Vortrag doch selbst geschrieben.»

Ich bin das Problem, wollte Tara sagen, doch ein glockenhelles Lachen vernichtete jeglichen Widerspruch. «Ich habe weder einen Ausdruck des Textes noch einen Laptop dabei», wehrte sie sich.

«Sie haben mir den Text per E-Mail geschickt, meine Liebe. Einen Drucker finden Sie bestimmt irgendwo. Also keine Ausreden. Das schaffen Sie. Und jetzt schauen Sie zu, dass sie rechtzeitig zum wichtigsten Lunch ihrer bisherigen Karriere kommen.»

«Ich weiß nicht, ob ich das…», krächzte Tara und hielt sich am Geländer der Holzbaracke fest. Schweiß drang aus allen Poren. Wie immer, wenn sie vor mehr als drei Personen sprechen musste.

«Viel Glück, Tara. Ich zähle auf Sie. Und das Wichtigste», die Chefin räusperte sich. «Sind Sie noch da?»

«Ja.»

«Überzeugen Sie KGF von Ihrer Kompetenz!» Ein trockenes Lachen. «Fashion Compliance ist Ihr Zauberwort!» Stille. Die Chefin hatte aufgelegt. Wie immer ohne ein Abschiedswort.

Tara schwankte. Ihr Kopf dröhnte. Gedanken und Befehle purzelten durcheinander. In Olivers Wohnung den Vortrag ausdrucken, durchlesen, auswendig lernen. Hatte Oliver überhaupt einen Wi-Fi-Drucker? Der Green Fashion Summit begann um 18 Uhr. Wie sollte sie das schaffen? Dem Klienten absagen? Wenigstens das Essen. Zum Notar musste sie ihn begleiten. Sicherstellen, dass der Vorsorgeauftrag unterzeichnet und notariell beurkundet im Family Office ankam und nicht wieder in einer Schublade verschwand. Andererseits war der Lunch ihre Chance, KGF zu überzeugen, dass sie, Tara Bernhard, die einzig richtige firmeninterne Anwältin4 war. Das war nämlich ihr geheimer Plan, seit der Klient ihr anvertraut hatte, er suche einen hauseigenen Juristen. Deshalb hatte sie sich in den letzten Wochen ein fundiertes Wissen über Nachhaltigkeit in der Modeindustrie angeeignet. Annabelle hatte sie dabei unterstützt. Ihr war jedes Mittel recht, um einen lukrativen Kunden ans Family Office zu binden. «Der braucht keinen Spezialisten einzustellen. Das machen wir selbst», hatte Annabelle erklärt.

4 Früher war es für einen Anwalt verpönt, die Unabhängigkeit aufzugeben und in einem Unternehmen anzuheuern. Heute heuern hochqualifizierte Spezialisten als firmeninterne Anwälte an, besonders in Großunternehmen. Oft werden sie aktiv von Wirtschaftskanzleien abgeworben (Knowhow-Einkauf zwecks Kostensenkung).

So war die Idee mit dem Vortrag geboren. Und nun würde sie sich damit blamieren, statt sich beim Lunch zu profilieren. Tara wurde übel bei dem Gedanken. Die Tabletten! Sie griff in die Handtasche, suchte nach dem Döschen. Vergeblich. Die Panik kroch langsam in ihr hoch. Sie blickte sich um. Jetzt umzukippen, wäre sehr peinlich.

2. Power Lunch mit Ausblick

«Frau Bernhard?», dröhnte in dem Moment eine tiefe Stimme hinter ihr. «Tschuldigung…. Sorry… Excuse me… Lassen Sie mich bitte durch. Ich gehöre zu dieser Dame.»

Tara wagte ihren Ohren nicht zu trauen und drehte sich um. Hinter ihr hatte sich eine lange Schlange gebildet, durch die sich ein Bär von einem Mann arbeitete.

«Herr Fuchs?» Verlegen lachend winkte sie ihrem Klienten zu, der sich ungeduldig mit den Armen wedelnd an den Wartenden vorbeischob. «Was für eine…» Tara stockte. Überraschung? Weil ein Modekönig den administrativen Kram doch eigentlich seinem Fußvolk überließ? Oder weil er seinen Badge schon längst abgeholt haben und im Restaurant auf Tara warten sollte? Oder ganz einfach: Was für ein glücklicher Zufall, denn ich wollte Sie gerade anrufen und Ihnen einen Korb geben?

«Was für eine Freude!», beendet Karl Gerold Fuchs ihren Satz und trat mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. «Das nenne ich ein perfektes Timing!» Schwer atmend ergriff der «Schweizer Modekönig», wie ihn die Regenbogenpresse gerne nannte, ihre Hand. Die silbergraue Löwenmähne wurde von einer schwarzen Samtschleife zusammengehalten.

«Geht es Ihnen gut?» Besorgt stellte Tara fest, dass er ein wenig schwankte.

«Jetzt schon», keuchte er. «Sie…, Sie sind meine Rettung. Bis jetzt im Labor… kleines technisches Problem mit Smarty und…» Er holte tief Luft und knöpfte seinen Kaschmirmantel auf. «Es ist zum…» Das Jackett seines schwarzen Samtanzugs spannte sich über seinem Bauch. «Glauben Sie mir, Frau Bernhard, manchmal würde ich am liebsten abtauchen, davonlaufen, einfach verschwinden. Alles lastet auf mir. Sogar um die Formalitäten muss ich mich selbst kümmern.» Mit zwei Fingern fuhr er in den Kragen seines anthrazitfarbenen Rollkragenpullovers. «Meine Sekretärin fühlt sich nicht mehr zuständig, seit meine Nichte das kommunikative Zepter schwingt.» Ein Augenbrauenpaar zog sich wie ein graumelierter Pelzkragen über der Nasenwurzel zusammen. «Frauen…» Bevor Tara aufbegehren konnte, verzog er das Gesicht zu einem breiten Grinsen. «Machen nur Ärger, aber ohne sie wäre das Leben eine traurige Einöde.» Sein Blick schweifte wehmütig in die Ferne, bevor sich seine Augen wie schwarze Scheinwerfer wieder auf Tara richteten. «Anwesende natürlich ausgenommen. Auf Sie, Frau Bernhard, kann man sich verlassen.»

«Danke, das gehört bei uns zum Service.» Tara fuhr sich verlegen durchs Haar. «Soll ich den Badge für Sie abholen? Oder sonst etwas erledigen?» Sie schluckte leer. «Wir können den Lunch auch ausfallen…»

«Auf keinen Fall, wir schaffen das», unterbrach er sie strahlend. «Ich bin nur etwas nervös. Wie vor einer Geburt.» Seine Augen begannen zu leuchten. «Smartys Geburt!»

«Ich weiß nicht, ob ich mich als Geburtshelferin eigne.» Tara grinste schief. «Wenn Sie bereits in den Wehen liegen…»

KGF blickte sie verständnislos an. Dann legte er den Kopf schief und lachte herzlich. «Frau Bernhard, Sie sind einfach wunderbar.»

Sein Lachen, seine vor Begeisterung leuchtenden Augen erinnerten sie an ihren Vater. Wenn er von einer längeren Reise zurückkehrte oder ihr auf einem Spaziergang etwas zeigen wollte, hob er sie begeistert auf seine Schultern. Er war nicht so breit, aber mindestens so groß wie KGF, und sie fühlte sich auf ihrem Hochsitz wie eine Prinzessin.

Sie schüttelte die Vergangenheit ab und nahm pflichtbewusst den Faden wieder auf. «Spaß beiseite. Wenn Sie unter Zeitdruck sind, Herr Fuchs, dann sollten wir den Lunch verschieben und uns direkt beim Notar treffen.»

«Kommt nicht in Frage!» Er schüttelte so heftig den Kopf, dass sich eine Locke aus der zum Pferdeschwanz gebändigten Mähne löste. «Den Notar habe ich bereits auf morgen verschoben.» Er blies das silbergraue Haar aus dem Gesicht und fixierte Tara. «Sie sind doch morgen noch da?»

«Ja natürlich, aber dieser Vertrag regelt genau…» versuchte sie, den Vorsorgeauftrag am Strohhalm festzuhalten.

«Ja, ja. Keine Angst, ich werde schon nicht über Nacht umfallen.» Er winkte lachend ab. Dann fuhr er mit gesenkter Stimme fort. «Ich muss mit Ihnen etwas Dringendes besprechen.»

Tara nickte. Ihr wars recht. Annabelle konnte ihr keinen Vorwurf machen, der Klient hatte entschieden. Auf diesen einen Tag ohne Vorsorgeauftrag kam es nun auch nicht mehr an. So konnte sie beim Lunch ihren Plan umsetzen.

Die Reihe vor der Baracke hatte sich gelichtet. KGF trat einen Schritt zur Seite und ließ Tara den Vortritt. «Wir zwei holen uns jetzt die Schlüssel zum Tor der Weltwirtschaft, und dann gehen wir zum Power Lunch.»

Kurze Zeit später standen sie vor dem Hotel Seehof am Eingang der einst eleganten Promenade. Tara legte den Kopf in den Nacken. Das Palasthotel mit der Patina vergangener Pracht versetzte sie augenblicklich in eine andere Zeit. Eine Zeit, als ihre kleine Welt noch in Ordnung war.

«Ich liebe diese alten Kästen. Sie geben mir ein Gefühl von Geborgenheit, von einer Epoche als alles noch ein wenig gemächlicher und eleganter war», schien KGF ihre Gedanken zu lesen, während sie die Treppenstufen erklommen. «Was meinen Sie, wie war das wohl zu Zeiten des Zauberbergs mit all den noblen Tuberkulosepatienten, denen Davos seinen Namen als Höhenluftkurort für Europas Elite verdankte.» Schweratmend blieb er stehen und stützte sich aufs Treppengeländer.

«Damals hatte Davos noch Stil.» Taras Blick wanderte über die verwahrlosten Bierdosen am Fuß der Treppe. «Und ich hätte gern mit Hans Castorp vor dem Kamin im Salon Zauberberg einen Tee getrunken.»

«Ich wäre jetzt auch lieber zur Kur hier. Dann könnte ich mich heute Nachmittag in einen Liegestuhl fläzen», sagte KGF seufzend und nahm die Treppe wieder in Angriff. «Wussten Sie, dass lange vor Thomas Mann schon Schriftsteller zur Liege- und Schreibkur in die Sonnenstadt im Hochgebirge5 kamen?» , fragte er, als er Tara die Tür aufhielt.

5 Inspiriert vom Titel des Bildbandes «Davos – Die Sonnenstadt im Hochgebirge», von Kasimir Edschmid (Einleitung) und Emil Schaffer (Herausgeber), Zürich: Orell Füssli 1921

«Sir Arthur Conan Doyle hat über seine Skitour von Davos nach Arosa geschrieben.» Tara lächelte wehmütig. «Das hat mir mein Vater erzählt, als wir hier in den Ferien waren.»

Kaum hatten sie die modern renovierte Lobby betreten, drehten sich Köpfe um. Hände streckten sich dem Modekönig entgegen. Der nickte hier, schüttelte da eine Hand und raunte Tara mit leiser Missbilligung den einen oder andern Namen zu. «Kommen Sie, kommen Sie», sagte er, als sie vor einer Gruppe erwartungsvoll grienender Anzugträger stehen bleiben wollte. «Alles Schmarotzer, die nur unsere Zeit verschwenden. Die wirklich wichtigen Leute messen ihre Kräfte beim Power Lunch.» Er half Tara aus dem Mantel und drückte ihn einem Pagen in die Hände.

Während er sich umständlich seines eigenen Mantels entledigte, fiel Tara eine Frau in einem wollweißen Pelzmantel und mit langem schwarzglänzenden Haar auf. Mit einem Briefumschlag, den sie wie ein Schutzschild vor die Brust hielt, bahnte sie sich einen Weg zur Rezeption. Dort blieb sie stehen und schaute sich verstohlen um. Ihre Blicke trafen sich. Sie kam Tara irgendwie bekannt vor. Die Frau schaute rasch wieder weg, legte den Umschlag auf den Tresen, ohne mit jemandem gesprochen zu haben, und hastete dem Ausgang zu.

«Nach Ihnen, Frau Bernhard.» Der Modekönig tippte ihr auf die Schultern und zeigte auf das Panoramarestaurant.

«Wow!», staunte Tara, als sie sich im Lokal umsah. Filmstars, Wirtschaftsbosse, Staatsoberhäupter saßen in kleineren und größeren Gruppen beim informellen Lunch. Gesichter aus ihrer allabendlichen Pflichtlektüre, die sie nicht gleich zuordnen konnte, bis auf die Königin von Jordanien. Tara hatte gelesen, dass sie sich für die Rechte von Frauen und Mädchen in ihrem Land und für Kinder weltweit einsetzte. Die geheimnisvolle Frau im weißen Pelz hatte sie an diese atemberaubende Schönheit erinnert. «Und diese Leute essen hier einfach so ohne ihre Bodyguards?»

«Nein, wo denken Sie hin. Während des WEF finden Sie kaum ein öffentlich zugängliches Restaurant in den großen Hotels. Die vermieten alle Lokalitäten.» Er machte eine große Geste. «Diesen Raum stellt meine Hausbank ausgesuchten Kunden und VIPs als Restaurant zur Verfügung, damit man sich auch mal ungestört im kleinen Kreis zum Lunch treffen kann.»

«Aha, deshalb Power Lunch?»

«Genau, hier werden Pakte geschlossen, Seilschaften geknüpft, Konkurrenten ausgebootet und politische Statements platziert.» KGF nickte einer mütterlich wirkenden Dame mit Kurzhaarfrisur und energischem Kinn zu. Die Ellenbogen aufgestützt, die Hände zur Raute gefaltet, hielt sie eine Gruppe Anzugsträger in ihrem Bann. «Die Hosen hat hier nur eine an.» Er grinste. «Wer keine Macht hat, versucht mit Statussymbolen zu signalisieren, was er nicht ist. Der Autoschlüssel auf dem Tisch, die Uhr am Handgelenk oder…» Er wandte den Kopf zu einer Frau, die sich mit ihrer Birkin Bag einen Weg durchs Lokal bahnte.

«Oh ja, ich kenne eine, die setzt ihre Waffen mindestens so rücksichtslos ein wie Maggie Thatcher, aber nur halb so elegant wie die eiserne Lady damals», sagte Tara.

Sie meinen wohl, Professorin Brecht. Er verzog das Gesicht. «Die mir als Vizepräsidentin von meinem Teilhaber aufs Auge gedrückt wurde.»

Zu gern hätte Tara ihn zu seinem geheimnisvollen Investor ausgefragt. «Diese Aussicht!», schwärmte sie stattdessen, als sie Platz genommen hatten. «Man sieht bis ins Dischmatal.»

Eisläufer drehten ihre Runden auf dem zugefrorenen Seehofseeli, wie der kleine See mit der Natureisbahn direkt vor dem Hotel genannt wurde.

«Waren Sie schon oft in Davos?», fragte KGF, während er die Speisekarte studierte.

«Als Kind mit meinen Eltern ungern zum Wandern, später mit Vergnügen zum Skilaufen.» Dass sie ihren Freund Oliver, der vermutlich im alpinen Biotech-Labor auch für den Modekönig arbeitete, öfters hier besuchte, brauchte er nicht zu wissen. «Und zum Shoppen. Ich erinnere mich noch gut an die Finny-Mode-Boutique.»

«Ja, unsere größte nebst dem Zürcher Flagshipstore. Nachdem die Snowboardszene mit den schicken Lokalen auch unsere internationale Stammkundschaft vertrieben hatte, mussten wir schließen.» Er schüttelte bedauernd den Kopf. «Davos hat viel von seinem Charme verloren.» Er reichte Tara die Speisekarte. «Aber wir sind nicht hier, um den glanzvollen Zeiten nachzutrauern.»

«Sie haben ein technisches Problem erwähnt. Mit Smarty…», begann Tara vorsichtig, nachdem sie bestellt hatten.

«Ach das.» Der Modekönig winkte ab und wartete, bis der Kellner außer Hörweite war. «Mein Hightech-Baby hat wohl ein kleines Virus eingefangen.»

«Smarty? Ein Virus?»

«Sch-schtt! Nicht so laut.» Er hob beschwörend die Hände. «Alles halb so wild. Nur eine Kinderkrankheit, die unsere Textiltechnikerin rasch im Griff hatte.»

«Technikerin?», fragte Tara irritiert.

«Hab mich auch gewundert, als unser Forschungsleiter mir seine neue Kollegin Cheru vorstellte.» Er lachte beinahe verlegen. «Mit meinen bald vierundsiebzig Jahren hätte ich es besser wissen müssen. Wir leben in einer Zeit, wo Frauen Autorennen fahren, Robotics oder eben Textiltechnik studieren.» Umständlich steckte er die Serviette in seinen Rollkragen. «Ich ließ mich zum zweiten Mal bei einem Bewerbungsgespräch von einem Namen täuschen.» Er strahlte Tara an. «Zum Glück muss ich sagen, denn Cheru war Smartys Rettung.»

«Diese Cheru hat Smarty mitentwickelt?», hakte Tara ein. Oliver hatte einen Kollegen erwähnt, mit dem er bis in alle Nacht an seinem die Mode revolutionierenden Projekt arbeitete.

«Ja, sie hat das Team in kürzester Zeit mit Charme und Geist um den Finger gewickelt. Eine schöne und kluge Frau.»

Tara hätte am liebsten auf der Stelle Oliver angerufen. «Bei welcher Modefirma hatten Sie sich damals beworben?», lenkte sie das Thema auf KGFs Vergangenheit und fügte hinzu, als er fragend seine Augenbrauen hob. «Das Bewerbungsgespräch?»

«Damals arbeitete ich für einen Hedgefond Manager in London und musste einen Assistenten einstellen.» Ein verklärter Ausdruck überzog sein Gesicht. «Ich hatte einen hochqualifizierten jungen Mann namens Kiran Khan zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Im Sitzungszimmer erwartete mich stattdessen eine umwerfend attraktive Frau.»

«Und haben Sie diese Kiran eingestellt?»

Der Kellner kam mit den Getränken. KGF lehnte sich schweigend zurück, und wartete bis die die Gläser gefüllt und sie wieder allein waren.

«Nein. Die Finanzwelt war damals nichts für Frauen.» Sein Blick schweifte versonnen in die Ferne. «Aber ich fand meine große Liebe.» Er schüttelte den Kopf. «Das ist über dreißig Jahre her und ich will Sie nicht mit meiner Vergangenheit langweilen.»

«Überhaupt nicht.» Tara wusste nur, dass ihr Klient nach dem frühen Tod seiner ersten Frau noch zweimal geheiratet hatte. Beide Ehen gingen in die Brüche. «Was ist aus Kiran geworden?»

«Wir haben uns aus den Augen verloren, als ich in die Schweiz zurückkehrte.» Er legte beide Hände auf den Tisch und blickte Tara ernst in die Augen. «Aber nun zu meinem Thema. Frau Bernhard, ich brauche Ihre Hilfe. Jemand will Smartys Auftritt sabotieren.»

«Wie kommen Sie darauf?»

«Bis vor wenigen Tagen hat unser Hightech-Baby einwandfrei funktioniert. Erst bei der Hauptprobe…» Er betrachtete indigniert den Salatteller, den der Kellner vor ihn hinstellte. «Ich glaube der ist für die Dame.» Nach dem Tellertausch, fuhr er fort: «Das kann nur ein Hackerangriff gewesen sein.»

«Aber wer sollte…?»

«Seit ein paar Wochen werde ich von Aktivisten bedrängt.»

«Aktivisten in der Modebranche?» Tara versuchte, ein sorgfältig aufgespießtes Salatpäckchen in den Mund zu balancieren, ohne es sich samt Sauce ins Gesicht zu schmieren. «Etwa Gar Beaus Anhänger?»

«Schon möglich.» Er nickte. «Grüne Hitzköpfe.» Er wies mit Kinn nach draußen.

Tara folgte seinem Blick. Draußen wogte eine Ansammlung grün bemützter Menschen wie ein Rasenteppich. Erhobene Transparente und ein skandiertes «Es gibt keinen Planeten Blablabla, keine faire Mode Blablabla! Wir wollen Taten statt grünes Blablabla! Der Modekönig soll endlich Farbe bekennen!»

«Modeaktivisten!» Er nickte grimmig. «Diese grünen Pilzköpfe bombardieren mich mit E-Mails und haben nun wohl versucht, Smarty zu sabotieren.»

Tara kämpfte mit den Salatblättern. «Was bezwecken die denn damit?» Sie ärgerte sich, dass sie Annabells Knigge außer Acht gelassen hatte: Kein Salat mit Kunden!

«Als Modekönig müsse ich ein Vorbild sein, mit gutem Beispiel vorangehen, ein Zeichen setzen…»

«Das machen Sie doch bereits mit Smarty und ihrer nachhaltigen Kollektion?» Tara kapitulierte und griff nach dem Messer. «Mit Smarty wird Nachhaltigkeit überhaupt erst sexy.»

Er legte das Besteck auf den Teller und ballte seine Hände. «Aber das wollen diese Ökoaktivisten nicht wahrhaben. Smarty sei nicht alltagstauglich, zudem müssten wir den gesamten Produktionsprozess umstellen. Aber wie denn, um Himmels willen? Das wäre ein logistischer Aufwand, der sich nicht lohnt, solange sich unsere Stammkundschaft nicht dafür interessiert.»

«Nachhaltigkeit ist doch Teil Ihrer neuen Strategie?» Mit Hilfe des Messers hatte sie rasch die widerspenstigsten Blätter besiegt und zu einem halbwegs kompakten Paket aufgespießt.

«Natürlich! Genau dafür brauche ich junge Frauen wie Sie und Nadine als Botschafterinnen für eine neue, eine jüngere Generation.» Er fuhr sich über die Stirn. «Und mehr Zeit! So eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen. All unsere Zulieferer und Subunternehmer können wir gar nicht kontrollieren. Lieferanten wie Mitarbeiter müssen erstmal für die Problematik sensibilisiert und geschult werden. Das ist ein langer Prozess, der nur von einem…» Er machte eine Pause, kaute langsam. «Von einem Fashion Compliance Spezialisten in die Wege geleitet werden kann.»

«Fashion Compliance?» Tara starrte ihn mit offenem Mund an, die Gabel mit den Salatblättern vor dem Gesicht. Smarty war vergessen. «Das ist unser Thema! Also meines… ähm… ich meine Annabelle und ich, wir…» Das Salatpaket löste sich in seine Einzelteile und landete – zum Glück auf dem Teller. Sie ließ die Gabel sinken, räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser. «Mit dem heutigen Referat sprechen wir genau dieses Thema an.» Oliver mit seiner schönen Kollegin und dem smarten Kleid konnten ihr samt dem Virus gestohlen bleiben. Das hier war ihre Chance! «Ich habe den Vortrag geschrieben, weil ich mich auf dem Gebiet auskenne.»

«Annabelle erwähnte, dass Sie sich auf Nachhaltigkeit in der Mode spezialisiert haben.» Er nickte. «Und genau deshalb brauche ich Ihre Hilfe.»

«Ja?» Mehr brachte sie vor Anspannung und glückseliger Erwartung nicht heraus.

«Sie, Frau Bernhard, müssen mit diesen Hitzköpfen reden. Sie könnten denen meine Strategie darlegen. Vielleicht zusammen mit dieser Gar Beau. Die hat Charisma und Anhänger, Sie haben das Knowhow.»

War das gerade ein Kompliment? Nicht wirklich, aber egal. «Klar, das mache ich sehr gerne.» Sie tupfte die Lippen mit der Serviette ab. «Wie haben Sie sich das vorgestellt?»

«Ich zeige Ihnen die Firma, Sie können mit meinen Leuten reden, und ich erkläre Ihnen unsere Strategie. Dann müssen Sie diesen Aktivisten nur noch etwas zum Beißen geben, etwas Handfestes, das sie beruhigt.»

«Kein Problem.» Sie dachte fieberhaft nach. Einfach würde das nicht, aber es war immerhin ein Anfang. «Wann soll das Gespräch stattfinden. Und wann… Hmm. Also wann soll ich bei Ihnen…»

«Gleich nächste Woche. Je schneller desto besser.»

Tara war sprachlos. Ein Jobangebot! Wie sollte Sie Annabelle das schonend beibringen?

Der Kellner erschien und räumte das Geschirr ab. KGF bestellte einen doppelten Espresso und Tara einen Verveine-Tee.

«Ich habe übrigens noch eine kleine Bitte, Frau Bernhard-»

«Ich erfülle Ihnen jede Bitte.» Nun galt es, Nägel mit Köpfen machen. «Denn Sie, Herr Fuchs, haben mit Ihrem Angebot meinen größten Wunsch erfüllt. Ich freue mich, als Inhouse-Juristin gemeinsam mit Ihnen Finny-Mode in eine nachhaltige Zukunft zu führen.»

Der Klient blickte Tara an, als habe sie soeben Champagner aus ihren High Heels getrunken. «Frau Bernhard, ich glaube Sie…» Er legte die Hände aneinander und senkte den Kopf. «Sie haben mich falsch verstanden. Für die Stelle des Hausjuristen kommt nur ein Mann infrage. Ich kann und will nicht mit Frauen arbeiten.» Er öffnete die Hände und hob verzweifelt die Schultern. «Das hat mir meine Nichte einmal mehr bewiesen. Leider hat meine Schwester die Aktienmehrheit, also musste ich ihrer Tochter den Job als modisches Aushängeschild für die junge Generation geben. In den sozialen Medien macht Nadine einen guten Job. Nur in der Firma, da macht sie alle wahnsinnig. Allen voran meine langjährige Sekretärin. Die tickt eigentlich wie ein Mann, aber seit Nadine bei uns ist, nicht mehr ganz richtig.» Er lächelte gequält. «Zickenkrieg ist nichts dagegen. Und mein Sohn ist auch keine Hilfe. Lässt sich von den Weib…» Er räusperte sich. «Sorry, von den Frauen auf der Nase herumtanzen. Wie Adalbert Ferdinand einmal die Firma führen will, wenn ich nicht mehr da bin, weiß ich auch nicht. Aber das ist ein anderes Thema.»

«Ein sehr wichtiges sogar», ergriff Tara den letzten Strohhalm im reißenden Fluss der Enttäuschung. «Mit Hilfe unseres Nachfolgeprogramms für Unternehmerfamilien begleiten wir Sie auf dem Weg, die Bedürfnisse Ihrer Familie mit denen Ihres Unternehmens zu verbinden.»

«Ach, jetzt lassen Sie mich bitte damit in Ruhe! Die Bedürfnisse meiner Schmarotzer-Familie kenne ich nur zu gut.» Er legte beide Hände auf den Tisch. «Ich denke nicht daran, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Frau Bernhard, ich schätze Sie als feinfühlige und gewiefte Beraterin. Sie haben mich nie zu etwas gedrängt, ganz im Gegenteil zur Felsenkirch.» Seine Hände zitterten ein wenig, als er sie wieder aneinanderlegte. «Ihre Stärken, Frau Bernhard, wären Ihre Schwächen in meinem Unternehmen. Hinter den Kulissen ist Mode weder sexy noch glamourös. Sie kann zwar das Feuer der Leidenschaft entfachen, aber schon manche haben sich daran verbrannt. Nur allzu rasch kann der Wind drehen, ein neuer Trend einem eine eisige Bise ins Gesicht wehen.» Er starrte sie einen Moment an. Dann driftete sein Blick ab. «Die Modebranche ist ein Haifischbecken, in dem nur der mit dem größten Maul überlebt.» Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. «Sie könnten sich niemals bei meinen Mitarbeitern durchsetzen und schon gar nicht mit einer neuen Strategie, welche die Leute zum Umdenken und Handeln zwingt. Glauben Sie mir, Frau Bernhard, Sie sind zu gut für die Modebranche!»

Tara öffnete den Mund, wollte sich verteidigen, seine Zweifel zerstreuen. Doch er hob die Hand, und sie schluckte die Enttäuschung mit dem lauwarmen Tee hinunter.

«Im Family Office können Sie mich viel besser unterstützen. Ich wollte Ihnen ja bereits bei den Verhandlungen mit dem stillen Teilhaber das Mandat für die Firma übertragen. Es wäre eine Gelegenheit gewesen, diese Valerie von Felsenkirch und ihre horrenden Honorarnoten endlich loszuwerden. Aber der Investor hat darauf bestanden, dass die Firma weiterhin von ihr betreut wird.»

Tara legte den Kopf schief. Ob Annabelle wusste, dass sie bei KGF offene Türen einrannte? «Vielleicht könnten Sie das noch einmal ansprechen?» Wenn schon keine Festanstellung in seiner Firma, dann wenigstens das Mandat.

«Eine gute Idee.» Er legte den Kopf schief. «Wenn die Smarty-Lizenzen vergeben sind, nehmen wir das in Angriff.»

«Wieso nicht jetzt?» Sie biss sich auf die Lippen. Drängen brachte nichts.

Er winkte den Kellner zu sich und bat ihn um die Rechnung. «Ich muss den richtigen Zeitpunkt finden.»

«Danke für Ihr Vertrauen.» Tara klammerte sich in Ermangelung eines weiteren Strohhalms an ihre Teetasse.

«Jetzt aber noch zu meiner kleinen Bitte.» Er füllte die halbleere Espressotasse mit Sahne und trank sie in einem Schluck aus. «Es geht um Ihr Referat heute Abend.»

«Ja?» Tara nippte stoisch an ihrem Tee. Jetzt konnte sie nichts mehr umhauen.

«Herr Fuchs, das wurde vorhin für Sie abgegeben. Es sei

dringend.» Der Page reichte KGF ein Kuvert im DINA4-Format. «Ich wollte Sie nicht während des Essens stören.»

«Von wem?»

K.G. Fuchs stand in grünen Großbuchstaben auf der Vorderseite.

«Das weiß ich leider nicht.»

«Ja, ja. Vielen Dank.» KGF nickte dem Pagen zu, der sich nach einem Bückling verzog. «Bestimmt von diesen grünen Pussyhats6», murmelte er und betrachtete den Briefumschlag unschlüssig von beiden Seiten.

6 Die pinkfarbenen „Katzenmützen“ symbolisierten mit ihren stilisierten Katzenohren Protest und Empörung gegen Trumps sexistische Äußerungen. Angela Missoni holte die Pussyhats auf den Laufsteg.

«Sie sollten ihn öffnen, dann kann ich mich gleich darum kümmern», versuchte Tara, ihre Neugier mit professioneller Anteilnahme zu kaschieren. War das nicht der Brief, den die Frau im hellen Pelzmantel an der Rezeption abgegeben hatte?

«Ja, Sie haben recht. Dann kann ich Ihnen diese leidige Angelegenheit gleich übergeben.» Er nahm das unbenützte Buttermesser, schlitzte den Umschlag auf, zog ein gefaltetes Papier hervor und schlug es auseinander.

Tara versuchte, in KGFs Gesicht zu lesen, das sich rot verfärbte. Dunkelrot. Seine Hände zitterten, dann wich alle Farbe aus seinem Antlitz.

«Das… das ist…» Rasch faltete er das Papier wieder zusammen und schob es in die Brusttasche seines Blazers. «Ungeheuerlich!»

«Modeaktivsten?»

«Nein, ich…» Er fuhr sich übers Gesicht. «Eine Angelegenheit, die ich selbst erledigen muss. Frau Bernhard, danke für Ihr offenes Ohr, aber jetzt muss ich an die nächste…» Er warf einen Blick auf seine Uhr. Dann erhob er sich ächzend, fasste sich an die Brust, taumelte.

Tara sprang auf und stützte ihn gerade noch rechtzeitig. «Alles ok?» Sie reichte ihm das Wasserglas.

«Danke, danke. Alles gut.» Er machte sich los und wedelte abwehrend mit den Händen. «Die Höhenluft, die Aufregung wegen heute Abend.»

«Wegen heute Abend?» Tara zögerte. «Sie wollten noch etwas sagen, wegen meines Vortrags?»

«Ach ja.» Er unterschrieb die Rechnung, die der Kellner gebracht hatte, und legte einen Geldschein dazu. «Könnten Sie das Referat etwas vereinfachen und kürzen?»

«Vereinfachen? Kürzen?», echote Tara. Ohne Laptop, heute Nachmittag? Unmöglich!

«Lassen Sie einfach die komplizierten Ausführungen weg.» Er lächelte, jetzt wieder ganz der jovial überlegene Patron. «Sie schaffen das, Frau Bernhard!»

3. Sicherheitszone mit Fallgruben

Als Tara vier Stunden später aus Olivers Wohnung trat, schneite es bereits in dicken Flocken. Sie fröstelte nicht nur wegen des heftigen Windstoßes, der ihr eine Schneegischt ins Gesicht wehte. Wenigstens hatte sie den breitkrempigen Filzhut beim Gehen vom Haken genommen.

Auf der Promenade stauten sich Limousinen mit laufenden Motoren, nur um sich Minuten später im Schneckentempo die Hauptstraße entlang zu quälen. Sicherheitsleute in blauen Daunenjacken wiesen Journalisten mit Kamera-Ausrüstungen hinter die Schranken. Ein Akkreditierter im Maßanzug schlitterte armewedelnd auf dünnen Ledersohlen vorbei. Taras Füße steckten in feinen, nicht wirklich schneetauglichen Wildlederstiefeletten. Der Himmel hatte sich bereits am Nachmittag im Einklang mit ihren Gedanken verdüstert. Mit gemischten Gefühlen betrachtete die Anwältin das ungewohnte Straßenbild. Plakate in Schaufenstern und Neon-Leuchtschilder mit Firmenlogos an Häuserfassaden verwandelten den Bergkurort für die WEF-Woche in eine unwirkliche Filmkulisse. Und genauso erschien Tara ihr eigenes Leben. Hier stand sie nun, kurz vor einer Präsentation an einem international beachteten Mode-Event, und fühlte sich komplett fehl am Platz. Was war bloß in sie gefahren, dass sie die Geborgenheit des Family Office verlassen wollte, um ihr Glück in der schillernden Modewelt zu versuchen? War es Karl Gerold Fuchs, dem sie imponieren wollte wie ihrem Vater, den sie als Sechsjährige verloren hatte? Oder ging es ihr nur darum, den Willen ihrer Mutter zu erfüllen? Nichts Geringeres als dass auch die Tochter Chefjustiziarin eines Großkonzerns wurde, hatte sich diese gewünscht. Natürlich ohne den Kapitalfehler zu begehen, der sie den Job gekostet hatte. Und vermutlich auch das Leben.

Tara schaute zu den Helikoptern auf, die über ihr kreisten und zusammen mit den Scharfschützen auf den Dächern für die Sicherheit sorgten. Widerstrebend machte sie sich auf den Weg zum Grandhotel Belvédère, wo der Green Fashion Summit stattfand. In dem Moment hörte sie das Quaken einer Ente aus ihrer Manteltasche.

«Tara, wo bist du?», schrillte Nadine Blumenthals Stimme an ihr Ohr.

«Vor dem Kongresszentrum.»

«Gut. Ich brauche dringend ein Mode-Foto mit WEF-Ambiente. Kannst du das für mich machen? Bitte!» Die Stimme der Freundin klang ernsthaft verzweifelt. Wie immer, wenn sie etwas wollte.

«Ich bin in Eile und ehrlich gesagt…» Tara betrachtete die in schwarzen Daunenjacken oder grauen Mänteln vorbeileilenden Menschen. «Davos ist nicht in Paris. Nicht einmal während des Weltwirtschaftsgipfels.»

«Es muss nicht wirklich modisch sein. Nur typisch für dieses Weltwirtschaftschilbi7. »

7 Chilbi ist die schweizerische Bezeichnung für Rummelplatz oder Jahrmarkt.

«Es schneit und ist saukalt», versuchte Tara die Freundin abzuwimmeln.

«Tara bitte, wenn nicht für mich, dann tu‘s für Karl Gerold!»

«Ok, aber ich verspreche nichts», gab Tara nach.

«Du bist die Beste», trällerte Nadine.

Tara warf einen Kontrollblick ins Schaufenster des bei Einheimischen wie Touristen beliebten Gourmet Käch. Das ovale Gesicht mit den dunklen Audrey-Hepburn-Augen, den ausgeprägten Wangenknochen, dem breiten Mund und einer feinen Nase unter dem Schlapphut wirkte weitaus selbstsicherer, als sie sich fühlte. Sie zog den Hut über ein Auge und lächelte ihrem Spiegelbild Mut zu.

Kurz vor dem Kirchnermuseum hörte sie laute Rufe. Grasgrün bemützte Köpfe blitzten wie sonnenhungrige Krokusse nach dem ersten Tauwetter hinter einem mannshohen Hügel aus zusammengekehrtem Schnee hervor. Ein Mann in dunkelgrüner Outdoorjacke und Sonnenbrille dirigierte zwei Grünmützen auf den Hügel. Er blickte sich prüfend um, bevor er mit zwei Skistöcken bewaffnet auch auf den Hügel kletterte. Tara beobachtete, wie die drei Demonstranten ein Plakat ausrollten und es an den Stöcken befestigten. Der Slogan in grünen Lettern sprang jedem ins Auge:

Grün ist die neue Modefarbe, nicht nur am WEF – bekenne Farbe und trage Verantwortung!

Das perfekte Sujet für Nadine! Tara, hob ihr Smartphone, suchte den besten Ausschnitt und tippte auf den Fotoauslöser. Als die Modeaktivisten den Slogan im Sprechchor intonierten, tippte sie auf Video.

«Halt, keine Bewegung!»

Jemand schlug ihr das Smartphone aus der Hand. Als sie sich danach bückte, wurde sie unsanft weggeschubst.

«Liegen lassen!»

«Hey, was soll das?» Erschrocken richtete sie sich auf und blickte auf ein amtliches Abzeichen an einer dunkelblauen Daunenjacke.

«Sie sind verhaftet!»

«Wie bitte?» Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um in das Gesicht sehen zu können.

«Sie sind verhaftet», wiederholte der Hüne in Uniform. Seine zusammengekniffenen Augen ließen keinen Zweifel am Ernst der Situation.

«Und mein Handy?» Sie bückte sich wieder nach ihrem smarten Gerät.

«Konfisziert.» Der Hüne war schneller.

«Und wieso, bitte schön?»

«Fotografieren in der Sicherheitszone ist verboten!»

«Es war doch nur ein einziges Foto.» So einfach gab eine Tara Bernhard nicht auf. «Und ich habe einen Badge.»

«Den geben Sie mir zusammen mit ihrer ID!»

Zögernd reichte sie dem Polizisten den Ausweis und ihren Sesam-öffne-Dich zum Weltwirtschaftsgipfel.

«Das ist keine Journalisten-Zulassung», stellte er nach einem kurzen Blick auf den braunen Plastik-Badge fest.

«Ich bin Rechtsanwältin.»

«Das allein gibt Ihnen noch keinen Zugang zu den Sicherheitszonen.» Der Beamte steckte Taras Smartphone samt Ausweisen in eine Plastiktüte. «Damit dürfen Sie nur in die Hotels.»

«Halt, das ist mein Arbeitsinstrument!» Tara streckte ihre Hand nach der Tüte aus.

«Und das ist das WEF.» Der Hüne machte eine ausladende Handbewegung.

«Sie können doch nicht… Ich muss…» Sie rang nach Luft und Worten. «… arbeiten!»

«Das können Sie sich erst mal abschminken.» Der Polizist wies auf einen Van am Straßenrand. «Sie kommen jetzt mit!»

Tara verschränkte die Arme und grub ihre Absätze in den Schnee. «Ich habe das Recht auf einen Anruf.»

«Aber sicher.» Der Blauwattierte nickte beruhigend. «Auf dem Polizeiposten gibt es ein Festnetztelefon.»

«Das ist zu spät!», protestierte die Anwältin, während sie entsetzt mitansehen musste, wie ihr digitales Berufsleben in einer weiteren Plastikhülle verschwand. «Woher soll ich überhaupt wissen, dass Fotografieren hier verboten ist?»

«Steht in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Sie mit dem Badge erhalten haben», gab er im Tonfall eines Märchenonkels zurück. «Und übrigens auch auf den Tafeln rund um die Sicherheitszone.»

«Die sind alle zugefroren!» Triumphierend wies Tara mit dem freien Arm auf eines der vielen Schilder, die mit einer dicken Schicht aus Schnee und Eis bedeckt waren. «Und es war ja nur ein ganz winzig kleiner Schnappschuss», verlegte sie sich aufs Betteln.

«Ja, von einem Polizeieinsatz.» Eine eisige Brise begleitete seine Worte.

«Davon sieht man aber nichts.» Sie wies mit dem Kopf auf die Menschentraube aus grasgrünen Ohrenmützen. «Das Foto ist doch bloß für den Mode-Blog einer Freundin.»

«Das da drüben ist eine unerlaubte Demonstration und kein, keine…», der Hüter des Rechts räusperte sich. «Keine Modeschau.»

«Für genau das hielt ich es!» Sie gewann wieder Terrain. «Das Thema Mode wird dieses Jahr nämlich zum ersten Mal am Weltwirtschaftsforum diskutiert.»

«Das rechtfertigt keine unerlaubten Versammlungen.» Der Polizist zeigte auf den Grünmützenteppich, der gerade von zwei Uniformierten auseinandergetrieben wurde, packte Tara unsanft am Arm und schob sie zum Einsatzwagen.

«Aber ich habe einen wichtigen Termin!»

«Ja, ja das haben alle hier.» Er grinste ungerührt.

«Das ist Freiheitsberaubung!», keuchte sie.

«Das können Sie dem Haftrichter vortragen.»

«Ich halte gleich ein Referat am Green Fashion Summit!», ergriff sie das Stichwort. «Über Mode und Nachhaltigkeit.»

«Ach ja?» Der Beamte ließ seinen Blick von ihrem senfgelben Pullover über den grauen Wolltrenchcoat bis zu den Hosenbeinen ihres tannengrünen Nadelstreifenanzugs schweifen. «Und das ist alles aus nachhaltiger Produktion?»

«Natürlich!», log Tara. Den Mantel hatte sie letztes Jahr bei Uptodate gekauft, als faire Mode für sie noch ein Fremdwort war. Der Anzug aus dem Hause ihres Lieblingsklienten stammte wohl aus einer Zeit, als Nachhaltigkeit für ihn noch kein Thema war. Wenigstens der Pulli trug ein Gütesiegel für biologisch und fair produzierte Baumwolle. Sensibilisiert durch ihre Weiterbildung in Sachen Nachhaltigkeit achtete Tara erst seit Kurzem auf die Herkunftshinweise. Das «Made in China»-Etikett in ihrem Mantel hatte sie jedenfalls entfernt. Das schlechte Gewissen hingegen konnte sie nicht abschneiden.

«Los jetzt!», gab sich der Ordnungshüter unbeeindruckt. «Sie werden in Ihrem Leben noch viele Vorträge halten.»

«Nicht, wenn ich diesen vermassle. Die wichtigsten Vertreter aus der internationalen Modeszene warten auf mich», wehrte sie sich halbherzig. War das ein Zeichen und dieser sture Beamte womöglich ihre Rettung? Vielleicht war es besser, in einer Gefängniszelle zu schmoren, als sich vor zweihundert Menschen zu blamieren. Nein! Entschlossen schüttelte sie seine Hand ab, riss ihm den Plastikbeutel aus der Hand und rannte, so rasch es ihre Absätze zuließen, davon.

«Halt!», hörte sie den Hünen rufen, als sie an den Grünbemützten vorbeirannte. «Jakob, halte die Frau fest, Fluchtgefahr!»

Einer der Aktivisten löste sich aus der Gruppe und stellte sich Tara in den Weg. Mit einem raschen Griff drehte er ihr die Arme auf den Rücken. Der Beutel fiel zu Boden. Sie spürte etwas Kaltes an ihren Handgelenken. Handschellen klickten.

«Sie sieht nicht aus wie eine Demonstrantin.» Die Stimme kam ihr bekannt vor.

«Sicherheitszone überschritten und den Einsatz fotografiert.» Der Hüne hatte sie keuchend eingeholt.

«Doch nicht absichtlich!», wehrte sich Tara.

Der Mann mit der dunkelgrünen Wachsjacke hob den Beutel auf. Seine fein geschwungenen Lippen unter dem Dreitagebart öffneten und schlossen sich lautlos, während er den Beutelinhalt begutachtete. «Schlechtes Timing für ein Souvenirfoto», sagte er schließlich mit einem Kaugummi-Akzent.

«Geben Sie mir mein Handy zurück!» Was mischte sich dieser Aktivist überhaupt ein?

«Nur, wenn Sie das Foto löschen.» Seine Mundwinkel zuckten. «Einen undercover-Polizisten im Einsatz zu fotografieren ist wirklich keine gute Idee, Frau Bernhard.»

«Woher…?» Tara erstarrte. Die weiche Stimme, der Akzent, dieser schöne Mund. James Kuhl? Nein! Vielleicht war der amerikanische Geheimagent in seiner Funktion als Vertreter von KGFs stillem Teilhaber am WEF. Aber sicher nicht als Aktivist verkleidet in einer undercover Polizeiaktion. Obwohl ihm auch das zuzutrauen wäre. Gefühle, die sie über ein Jahr lang erfolgreich verdrängt hatte, überwältigten sie.

«Her mit dem Handy und hilf mir, die störrische Zicke in den Wagen zu bugsieren!», fuhr der Hüne dazwischen.

«Lass die Frau laufen!» In der Sonnenbrille des undercover-Polizisten spiegelte sich ein Sonnenstrahl, der durch die Wolkendecke drängte. «Hilf mir lieber, die Demonstranten unter Kontrolle zu halten.»

«Du hast mir nichts zu sagen!» Der Hüne riss seinem undercover-Kollegen den Beutel aus der Hand. «Zuerst will ich das Foto löschen.» Er wandte sich an Tara. «Ihr Code?»

Tara nannte ihm den Code und beobachtete, wie er die Zahlenkombination eintippte und dann entsetzt innehielt.

«Ein Video?» Aus dem Gerät drang deutlich die Stimme des Hünen. «Das geht zu weit!», stieß der wütend aus. «Sie kommen jetzt mit!»

«Gut, aber dann…» Sie fixierte den Mann mit der Sonnenbrille. Spätestens jetzt müsste James alias Jakob doch etwas tun. «Dann werde ich anstelle des Fotos publik machen, dass Ihre Uniformen von rumänischen Mädchen genäht wurden! Das wird Ihren Chef nicht freuen.»

«Woher wollen Sie das wissen?» Der Hüne klang plötzlich verunsichert.

«Recherchen für mein Referat, das ich für den Schweizer Modekönig ...» Sie hielt inne, senkte den Kopf. «Herr Fuchs wird sehr enttäuscht sein, wenn ich nicht erscheine.» Sie trat von einem Bein aufs andere. Schnee drang durch das dünne Wildleder. Die durchfrorenen Füße spürte sie kaum noch.

«Sie haben eine Einladung von Karl Gerold Fuchs persönlich?» Der Tonfall des Riesen wurde um einige Grade wärmer.

«Ähm, ja.» Tara schaute irritierte zum Gesetzeshüter auf, der sie mit offenem Mund anstarrte.

«Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?» Der Uniformierte löste die Handschellen.

«Sie haben nicht gefragt.» Tara rieb sich die Handgelenke.

«Haben Sie die Einladung dabei?»

Tara nickte, zog die Hochglanzkarte mit ihrem Namen aus der Tasche.

Der Hüne in Uniform hob den Beutel mit ihren Ausweisen und dem Smartphone hoch. «Sie geben mir Ihre Einladung, dann erhalten Sie das zurück.» Mit einem Glitzern in den Augen streckte er die freie Hand aus.

«Klar.» Als Gast des Modekönigs brauchte sie bestimmt keine Einladung. Hauptsache man ließ sie laufen.

«Für meine Frau. Sie ist ein Fan von Finny-Mode», nuschelte der Polizist. «Viel Spaß und nichts für ungut.»

«Good luck!» sagte der undercover-Beamte leise.

«Halt! Sicherheitszone. Kein Zutritt.»

Nicht schon wieder, dachte Tara und blieb vor der Zufahrt zum Hotel stehen. Ein Krankenwagen parkte in der Einfahrt.

Der frostige Blick des Zerberus erstickte ihren Versuch im Keim, sich an der Absperrung vorbeidrücken, und so folgte sie brav der Menschentraube, die über eine schmale Treppe zum Haupteingang hinaufdrängte.

Endlich an der Wärme, wähnte sie sich im falschen Film. Die gediegene Hotelhalle des Grandhotels war nicht mehr zu erkennen. Es herrschte ein Gedränge wie am Flughafen und ein Ambiente wie an einer Messe. Die Begriffe Hightech, Nanotech & Sustainability prangten auf Werbebannern. Vor dem Security Check staute sich eine Ansammlung an Kaschmir- und Pelzmänteln. Dezentes Gemurmel, die Stimmung erwartungsvoll wie im Theater vor dem Vorstellungsbeginn.

Während Tara darauf wartete, ihre Handtasche durchleuchten zu lassen, schickte sie Nadine das vor dem Polizeizugriff gerettete Foto. Neugierig zoomte sie die Grünmützen heran. Alles junge Leute bis auf den Mann mit Sonnenbrille und Landadelsjacke. Hatte der undercover-Polizist ihren Namen bloß vom Badge