Highway to Passion - Christine Feehan - E-Book

Highway to Passion E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Aufgewachsen in einem Motorradclub hat Breezy nie erfahren, wie sich ein behütetes Leben anfühlt. Als sie ihre große Liebe Steele kennenlernt, fühlt sie sich zum ersten Mal geborgen. Doch Steele verlässt sie plötzlich, und für Breezy bricht eine Welt zusammen. Sie wird aus dem Motorradclub verbannt und bemerkt kurz danach, dass sie schwanger ist. Ganz auf sich allein gestellt schlägt sich Breezy durch, doch als ihr Sohn entführt wird, wendet sie sich in ihrer Verzweiflung erneut an Steele.

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DAS BUCH

In den Motorradclub der Swords hineingeboren bricht für Breezy eine Welt zusammen, als ihre große Liebe Steele sie verlässt und sie aus dem Club ausgeschlossen wird. Was sie jedoch nicht weiß, Steele ist ein ausgebildeter Killer, der sich mit seinen Brüdern den Swords angeschlossen hat, um deren Menschenhändlerring von innen zu zerschlagen. Er stößt Breezy von sich, auch um sie vor dem gewalttätigen Motorradclub zu schützen. Breezy bringt sein Kind zur Welt und nimmt ihr Leben notgedrungen selbst in die Hand.

Doch als die Swords ihren Sohn entführen und sie zwingen wollen, Steele zu ermorden, bittet Breezy in ihrer Not den früheren Geliebten und seinen Motorradclub um Hilfe. Gemeinsam nehmen sie den Kampf auf und stellen sich ihrer Vergangenheit.

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt. Sie begann bereits in jungen Jahren zu schreiben und hat seit 1999 mehr als sechzig erfolgreiche Romane veröffentlicht, die in den USA mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und alle auf die New-York-Times-Bestsellerliste gekommen sind. Auch in Deutschland ist sie mit den Drake-Schwestern, der Sea-Haven-Saga, der Highway-Serie, der Schattengänger-Serie und der Leopardenmenschen-Saga äußerst erfolgreich.

Mehr Informationen über die Autorin und ihre Bücher finden sich im Anschluss an diesen Roman und auf ihrer Website www.christinefeehan.com.

CHRISTINE FEEHAN

HIGHWAY TO

PASSION

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Almuth Reich

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe VENGEANCE ROAD erschien erstmals 2019

bei Berkley, Penguin Random House LLC, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Vollständige deutsche Erstausgabe 10/2020

Copyright © 2019 by Christine Feehan

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Veröffentlicht in Zusammenarbeit mit The Berkley Publishing Group,

an Imprint of Penguin Publishing Group,

a Division of Penguin Random House LLC

Alle Rechte sind vorbehalten. Printed in Germany

Redaktion: Birgit Groll

Umschlaggestaltung: © Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von © shutterstock (Nataleana,

Natalia Macheda, Light Field Studios, miami beach forever)

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-23753-0V001

www.heyne.de

Für alle Frauen, die mutig genug sind,

sich mit wilden Männern anzulegen

1. Kapitel

Breezy Simmons lehnte sich einen Moment lang gegen ihren Pick-up und schaute auf das große Gebäude des Torpedo-Ink-Motorradclubs. Das Herz hämmerte ihr heftig in der Brust, und die Welt schien sich unkontrollierbar zu drehen. Sie beugte sich rasch vor, legte den Kopf auf die Beine und atmete heftig ein. Dabei sah sie auf der anderen Seite des Gebäudes zwei Männer, die sie jedoch nicht kannte. Das ließ ihren Mut sinken.

Sie konnte doch nicht den falschen Club erwischt haben. Es musste dieser sein. Ihr lief die Zeit davon. Langsam richtete sie sich auf und sah sich noch einmal vorsichtig um. Die beiden Männer schauten vom Parkplatz aus zu ihr herüber. Sie vermied es, zu lange zu ihnen hinzusehen, denn sie wollte nicht, dass sie sich ihr näherten. Sie musste nur sehr schnell in das Haus hinein- und wieder herauskommen.

Das Torpedo-Ink-Gebäude war riesig und von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben, der oben sogar mit Stacheldraht gesichert war, sodass es etwas an eine Festung erinnerte. Das Rolltor stand weit offen; sie war mit ihrem ramponierten Truck auf das Gelände gefahren und hatte möglichst nahe am Clubhaus geparkt. Die Tür des Wagens hatte sie bewusst offen und den Motor laufen lassen. Hoffentlich würde niemand sie erkennen, und sie konnte rasch in das Gebäude hinein und wieder heraus, sobald sie sichergestellt hatte, dass dies wirklich die Leute waren, nach denen sie suchte.

Es war noch früh am Morgen, der Club kam erst langsam in die Gänge. Hier war über das Wochenende unübersehbar heftig gefeiert worden. In dem riesigen Hof mit einem herrlichen Blick auf das Meer glühte in einigen ausgebrannten Lagerfeuern noch Asche, die vom Wind wieder angefacht wurde. Ein Mann, der ihr den Rücken zugewandt hatte, löschte sie mit einem Wasserschlauch. Er trug ein enges T-Shirt und Jeans, aber keine Abzeichen. Trotzdem war sie sich ziemlich sicher, dass dies das Gebäude des Clubs war, der sich Torpedo Ink nannte. Sie schickte ein stummes Gebet zum Himmel, dass sie sich nicht irrte.

Leere Flaschen lagen im Gras verstreut wie auch auf der Erde an der Seite des Gebäudes. Auf dem Parkplatz standen Autos, Motorräder und Trucks herum, fein säuberlich getrennt von dem Platz, wo die Mitglieder des Clubs ihre Fahrzeuge stehen hatten. Deren Maschinen waren in einer Reihe aufgestellt und wurden von einem Kandidaten bewacht. Er saß auf der Bordsteinkante und beobachtete Breezy. Sie hatte zu nahe an den kostbaren Bikes geparkt, doch das war ihr egal – nur dass sie damit eben die Aufmerksamkeit des Kandidaten auf sich gezogen hatte.

Ein Stück vom Clubhaus entfernt stand eine zweite lange Reihe Motorräder in akurater Linie und wurde ebenfalls von einem Kandidaten bewacht. Der schaute eher gleichgültig zu ihr herüber, was ihr sagte, dass diese Bikes einem Club gehörten, der zu Besuch war. Dieser Mann war nicht so daran interessiert, das Grundstück zu bewachen wie der andere beim Clubhaus.

Sie musste dies hinter sich bringen. Schon allein die Tatsache, in unmittelbarer Nähe eines Bikerclubs zu sein, verursachte ihr Übelkeit. Dass sie wusste, was auf der Party abgegangen war, machte es noch schlimmer. Und dass dies sein Club sein könnte und sie riskieren musste, ihm zufällig zu begegnen, machte es am allerschlimmsten.

Breezy straffte die Schultern und nahm den Umschlag vom Sitz im Inneren ihres Wagens. Der Kandidat sprang auf. Wenn sie sicher gewusst hätte, dass dies der richtige Club war, hätte sie ihm den Brief in die Hand gedrückt und wäre losgefahren, doch sie vermutete das eben nur.

Sie hatte ihn bewusst nicht im Auge behalten, vor allem, als ihr ein Jahr nach ihrem Weggehen zu Ohren kam, dass achtzehn Mitglieder der Swords deren internationalen Präsidenten ermordet haben sollten. Angeblich hatten sie auch einige Mitglieder umgebracht und waren dann verschwunden. Breezy wusste sofort, wer die achtzehn waren, und da sie sie kannte, wusste sie auch, dass das möglich war, auch wenn andere es abstritten. Sie war so weit von diesem Leben weggelaufen, wie sie nur konnte, doch nun war sie hier und wurde konfrontiert mit ihren Erinnerungen.

Die Partys. Die Gewaltorgien. Diese extreme Missachtung und Geringschätzung von Frauen. Sie schob die Gedanken beiseite, schritt mit forschem, entschlossenem Gang auf den Club zu, riss die Tür auf und ging hinein. Es roch genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Alkohol. Sex. Gras. Ihr Magen drehte sich. Gott. Gott. Sie hielt es kaum aus, dieses Clubhaus zu betreten.

Der Aufenthaltsraum war riesig. An einer Seite zog sich eine lange, geschwungene Bar hin, in der Mitte standen Tische und Stühle, auf der anderen Seite mehrere Sofas und Sessel. Überall lagen Schlafende. Zwischen den meist nackt auf dem Boden Herumlungernden sammelte eine Frau Flaschen, Pappteller und anderen Abfall in einen Müllsack. Sie schaute Breezy an, sagte jedoch nichts, sondern ging wie ferngesteuert ihrer Arbeit nach. Breezy erinnerte sich daran, wie das war. Diese Frau hätte sie sein können.

Sie erkannte keinen der auf dem Boden oder auf Sesseln Schlafenden, und ihr Mut sank. An der Bar blieb sie stehen und ließ den Blick von einem Gesicht zum nächsten wandern. Überall halb oder ganz nackte Männer und Frauen, die meisten schnarchten leise. Da war ein Mann mit wilden, blonden Haaren und eisblauen Augen. Von seinem Augenwinkel tropften drei tätowierte Tränen auf die Wange.

Er lag auf einem Sessel, fast gelangweilt, und hatte die Augen halb geschlossen, während die Frau zu seinen Füßen kniete und ihn mit dem Mund bearbeitete. Eine zweite verteilte Küsse über seine Brust. Dem Blonden gegenüber saß ein anderer Mann, der ihm aufs Haar glich, also offensichtlich sein Zwillingsbruder war. Er schaute zu, die Faust dabei um seinen beeindruckenden Schwanz gelegt. Mit einem Kopfnicken bedeutete der mit dem Tränen-Tattoo der zweiten Frau, zu seinem Bruder zu gehen, woraufhin sie sofort auf Händen und Knien zwischen dessen Beine kroch.

Sie waren es. Es war der richtige Club. Die Männer, die sie gesucht hatte. Sie hatte sie gefunden. Sie erkannte die Zwillinge, und ihr Herz begann zu rasen. Wie hätte sie sie auch nicht erkennen können? Sie waren hinreißende Männer. Eiskalt, aber wunderschön. Der mit den Tattoos, er hieß auch noch Ice, blickte plötzlich auf und sah sie an. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie bemerkte, dass er sie erkannte.

Breezy knallte den Umschlag auf die Theke. »Gib den Steele!« Sie wandte sich zum Gehen, ließ den Blick noch einmal durch den Raum schweifen.

Auf ihre Worte hin regten sich am anderen Ende des Raums drei Frauen; ihre schlafenden Körper wurden von dem Mann zur Seite geschoben, der unter ihnen lag. Er setzte sich halb auf, strich sich die dunklen, wilden Haare aus dem Gesicht und blinzelte schläfrig. Ihr Herzschlag stockte. Sie starrten einander an, und ihr Magen hob sich.

Breezy wollte nur noch weg und rannte, so schnell sie konnte. Sie hörte noch den scharfen Pfiff hinter ihr, doch da hatte sie sich bereits in ihren Pick-up geflüchtet, den Rückwärtsgang eingelegt, und nun trat sie voll aufs Gaspedal. Der Wagen schoss rückwärts durch das sich bereits schließende Tor nach draußen. Männer kamen aus dem Clubhaus gerannt, sie sah sie durch die Windschutzscheibe, doch da hatte sich das Tor bereits mit einem lauten Krachen hinter ihr geschlossen. Sie war auf der einen Seite, der Seite der Freiheit; die Männer waren auf der anderen – und damit zumindest für den Moment eingesperrt. Wenigstens einmal war das Glück auf ihrer Seite.

Sie setzte direkt auf die Straße zurück, froh, dass so früh am Morgen noch kein Verkehr war. Dann schaltete sie auf Drive, verlor beim heftigen Gegensteuern fast die Kontrolle über den Wagen und raste los Richtung Highway 1. Sie hatte einen Plan, nur für alle Fälle, und war froh, ihn gemacht zu haben. Ihr ganzer Körper zitterte so sehr, dass es ihr schwerfiel, das Steuer festzuhalten. Doch sie schaffte es, auch wenn ihre Fingerknöchel dabei weiß wurden.

Warum tat es so weh? Er hatte ihr völlig klar zu verstehen gegeben, dass sie ihm nichts bedeutete. Sie war eins von den Mädchen im Club gewesen. Nein, noch weniger sogar. Eine Nutte. Eine, die ihre Familie zum Anschaffen geschickt hatte. Ein Drogenkurier. Nichts. Sie war ein Nichts. Sie hatte gedacht, er sei ihre Welt, dabei hatte er hinter ihrem Rücken geplant, den Club ihrer Familie zu vernichten. Sie hatte ihn geliebt. Er hatte sie benutzt und dann weggeworfen, jeden Traum und alle Hoffnung zerstört, die sie je gehabt hatte.

Ihre Sicht wurde trüb, und sie wischte sich über die Augen, wütend, dass er sie wieder zum Heulen gebracht hatte. Dass er sie immer noch zum Weinen bringen konnte. Sie hatte genug Tränen seinetwegen vergossen. Dieser Lügner. Er war nicht anders als all die anderen Männer in den Clubs. Frauen bedeuteten ihnen nichts. Nichts. Sie benutzten sie. Demütigten sie. Sie war in dieses Leben hineingeboren worden, doch sie musste dort nicht bleiben. Sie war nicht so ein Mädchen. Nicht mehr. Nie mehr.

Breezy bog in die kleine Schotterstraße ein, die sie zuvor ausfindig gemacht hatte, nur für den Fall, dass man sie erkannte. Sie wusste, dass man sie verfolgen würde; schließlich war sie die Tochter ihres Todfeindes. Sie fuhr, so weit es auf der engen Straße ging, und hielt dann in einem Wäldchen an. Die Piste wurde seit Langem nicht mehr befahren und war von Gesträuch, Kletterpflanzen und Bäumchen überwuchert. Sie parkte, stieg hastig aus und bedeckte den Pick-up mit den Ästen und dem Grünzeug, das sie zuvor hergerichtet hatte.

Sobald der Wagen nicht mehr zu sehen war, kroch sie durch das Fenster auf den Fahrersitz, holte dahinter eine Decke hervor und schlang sie um sich. Ihr ganzer Körper zitterte, sogar ihre Zähne klapperten. Sie ließ den Tränen freien Lauf, weinte jedoch stumm und sagte sich, dass sie das nicht wegen ihrer verlorenen Träume oder aus Kummer tat. Ihre Chancen auf Erfolg standen äußerst schlecht, doch sie musste erfolgreich sein. Scheitern war keine Option. Keine.

Sie schloss die brennenden Augen, lehnte den Kopf zurück und versuchte, nicht an Steele zu denken. Einen anderen Namen für ihn kannte sie nicht. Sie hätte merken müssen, dass ein Mann, dessen vollständigen Namen sie nach einem ganzen Jahr des Zusammenseins noch immer nicht kannte, nicht wirklich etwas von ihr wollte. Doch sie war jung und verzweifelt gewesen, und er war ihr vorgekommen wie der Ritter in der Not. Sie war so dumm gewesen. Mehrmals schlug sie mit dem Hinterkopf an die Lehne und wünschte sich, sie hätte sich klüger verhalten. Wünschte sich, sie wäre in eine andere Familie hineingeboren worden. In ein anderes Leben. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie das Dröhnen von Motorrädern hörte, die den Highway hinunterbrausten. Es klang, als sei eine Armee hinter ihr her. Aus nackter Angst glitt sie auf dem Sitz nach unten. Bis zur Nacht stand ihr noch ein langes Warten bevor. Sie hatte keine Wahl gehabt. Sie kannte die Gepflogenheiten der Clubs. Sie wusste, dass sie an einem Sonntagmorgen nach durchzechter Nacht unausgeschlafen sein würden und sie, falls man sie erkannte, die besten Chancen haben würde davonzukommen. Sie wusste auch, dass sie es nicht wagen würde, vor Einbruch der Dunkelheit auf dem Highway unterwegs zu sein. Sie hatte fast achtundvierzig Stunden nicht geschlafen, und dies würde für eine ganze Weile ihre einzige Chance auf etwas Ruhe bleiben. Sie schloss die Augen, nahm sich vor, an nichts mehr zu denken, das sie nicht im Zaum halten konnte, und zu schlafen. Es funktionierte nicht, aber sie versuchte es trotzdem.

Lyov Russak – Steele, der Vizepräsident des Torpedo-Ink-Clubs – pfiff laut und lang, bahnte sich mit erhobener Hand seinen Weg durch weiche Frauenleiber und beschrieb mit dem Finger einen Kreis, um Absinth, der an den Monitoren saß, anzuzeigen, er solle rasch das Tor schließen. Dann stand er auf und fluchte grässlich in seiner Muttersprache.

Ihre Stimme. Nie würde er diese Stimme vergessen. Breezy Simmons. Seine Breezy Simmons. Das Mädchen, das ihn für immer zu einem kranken Arschloch gemacht hatte, sodass er bis heute an sie dachte, von ihr träumte und sich bei jeder Frau, mit der er versuchte zusammen zu sein, vormachte, es sei sie. So fertig war er.

Er hatte seinen Brüdern nie eingestanden, dass er, unbeabsichtigt oder nicht, genau das geworden war, was sie verachteten. Das, worauf sie Jagd machten. Er schämte sich dafür. Nicht wegen dieses schrecklichen Fehlverhaltens, sondern weil er es nicht aus seinem Kopf heraus brachte, wie es sich anfühlte, wenn sie um ihn geschlungen war und sein Schwanz sie ausfüllte. Er konnte an fast nichts anderes mehr denken – und das machte ihn zum kränksten Arschloch auf Erden.

Sie war sogar noch schöner gewesen als in seiner Erinnerung. Sie war gereift. Ihre Figur war noch weiblicher geworden. Er hatte nur einen kurzen Blick auf sie erhascht, doch sein Körper hatte sie fast noch schneller erkannt als sein Hirn. All das dichte, lohfarbene Haar, diese großen, grünen Augen. So grün, dass man glaubte, in ein smaragdgrünes Meer zu blicken. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen; er schob die Frauen beiseite, die auf ihm lagen.

Übers Wochenende waren die Demons gekommen, samt ihren Frauen, und die beiden Clubs hatten schwer gefeiert. Wie meistens bei solchen Gelegenheiten hatte er zu viel getrunken und es auch mit Frauen zu sehr übertrieben. Dieser unendliche Kreislauf, der zu nichts führte, weil er in der Hölle lebte. Die Frau, die das alles hätte verändern können, war weg. Sie verließ ihn – erneut. Nein, sie rannteweg von ihm. Das durfte nicht passieren, und es kümmerte ihn nicht, wie sehr ihn das zu einem Monster machte. Sie durfte ihn nicht ein zweites Mal verlassen.

Auf der anderen Seite des Raums schoben Ice und Storm zwei Frauen von sich herunter und kamen auf die Beine. Keys und Player wanden sich ebenfalls aus den Weiberleibern heraus, in denen sie steckten, und rannten mit den Zwillingen auf die Tür zu. Steele lief direkt hinter ihnen, schob sie praktisch aus dem Weg, nur um gerade noch zu sehen, wie sich das Tor schloss, während der Pick-up rückwärts auf die Straße zu raste.

»Nein. Scheiße, nein!« Er schaute zu den Kandidaten hinüber. »Verfolgt sie. Verliert sie ja nicht aus den Augen. Bleibt auf jeden Fall an ihr dran!«

Es war definitiv Breezy gewesen. Sie war nun älter, drei Jahre, aber sie war es. Sie hatte ihn völlig entsetzt angestarrt, was er ihr nicht verübeln konnte. Zum Teufel auch! Er hatte nach ihr gesucht, nachdem der Torpedo-Ink-Club seinen Auftrag erfüllt, den Präsidenten der Swords eliminiert und deren Club geschwächt hatte, aber sie war plötzlich verschwunden gewesen. Das war ja auch der Plan gewesen – dass sie verschwinden sollte –, aber er hatte immer gedacht, er würde sie wiederfinden. Und er hatte es versucht – bei Gott.

Als er sie damals wegschickte, hatte er sich gesagt, er werde sie nicht suchen, sondern sie gehen lassen. Diesen Kampf mit sich verlor er jedoch, und das hatte ihm beileibe nicht gutgetan. Später hatte er sie dann überall gesucht – ohne Erfolg. Nun war sie direkt in seine Höhle gekommen, und er würde sie nicht einfach wieder gehen lassen.

»Sie hat etwas für dich hiergelassen, Steele«, sagte Ice und fuhr sich dabei durch die Haare. Der Frau, die versuchte, sich auf ihn zu legen, nickte er geistesabwesend zu. »Sorry, Babe. Zeit zu gehen.«

»Ich könnte bei dir bleiben«, flüsterte sie und ließ die Hand über seinen Bauch nach unten gleiten.

Mit einem freundschaftlichen Klaps auf den Hintern wich er ihr gekonnt aus. »Tut mir leid, Süße. Du musst jetzt nach Hause, wo immer das auch ist.«

Ice wandte sich von ihr ab und ging zur Bar, denn er hatte gesehen, dass Breezy dort etwas hingelegt hatte. Er nahm den Umschlag und betrachtete ihn. Er war weiß, ohne Beschriftung.

Steele nahm ihm den Brief ab und lief damit hinaus auf den Korridor, von dem ihre Privatzimmer abgingen. Er musste sich rasch anziehen und auf sein Bike schwingen. Sie finden. Er musste sie finden. Er griff nach einer Jeans, zögerte dann aber. Er konnte nicht zu ihr mit dem Geruch anderer Frauen an ihm. Sie würde es merken. Sie würde sie an seiner Haut riechen. In aller Eile zog er die Hose trotzdem an und stülpte sich ein Shirt über den Kopf. Sie wusste sowieso Bescheid. Sie hatte gesehen, wie die Frauen auf ihm lagen. Das konnte er später erklären. Im Moment war das Wichtigste, dass sie nicht entkam. Er schlüpfte in seine Jacke mit den Abzeichen darauf und fühlte sich sofort wieder wie ein ganzer Mann.

Ice, Storm, Maestro, Keys und die meisten seiner anderen Brüder folgten ihm, als er zu seinem Bike lief. Die Demons hatten sich versammelt, sie hatten mitgekriegt, dass etwas los war und wollten ihre neuen Verbündeten unterstützen. Player gab bereits Anweisungen für die Suche und schickte Maschinen in verschiedene Richtungen aus. Die Kandidaten hatten gesagt, sie sei nach Süden gefahren, auf die Bay Area zu, also würde er diese Route nehmen. Absinth hatte das Kennzeichen ihres Trucks mit Hilfe der Kamera ausfindig gemacht, die den Parkplatz überwachte.

Steele schwang sich auf sein Bike und düste los. Innerhalb von Sekunden hatte er den Wind im Gesicht, seine Brüder hinter sich und raste den Highway hinunter, um seine Frau zu suchen. Er hatte die Sache beendet, und das war nicht nur nicht schön gewesen, sondern sogar ausgesprochen hässlich. Vorsätzlich hässlich. Er hatte Dinge gesagt, um sie zu verjagen – und sie war gegangen. Aber sie hatte es fertiggebracht, einen Teil von ihm mitzunehmen. Und er hatte gewusst, dass er ihn nicht wiederbekommen würde, bis sie wieder bei ihm war.

Er war wütend gewesen. Hatte Angst um sie gehabt. Er war so geschockt gewesen, dass er allein durch das Zusammensein mit ihr alles werden würde, was er in dieser Welt am meisten verachtete – ein Raubtier. Dabei war es egal gewesen, wie es dazu gekommen war; er hatte lediglich gewusst, dass es so nicht weitergehen konnte, und sie fortgeschickt. Nein, er hatte sie vertrieben.

Er legte noch einen Zahn zu, schnitt die Kurven und raste den Highway entlang, so schnell er konnte, ohne im Ozean zu landen. Dieses Risiko ging er ein, aber sie zu finden, sie wiederzusehen, war jedes Risiko wert. Dann tauchten Keys und Maestro neben ihm auf, bewegten sich in perfektem Einklang mit ihm, und er merkte, dass er nicht nur sein Leben riskierte. Seine Brüder waren bei jedem Schritt an seiner Seite. In letzter Zeit war ihm aufgefallen, dass Keys und Maestro ihn ebenso bewachten wie Reaper und Savage den Zaren schützten. Er brauchte und wollte das nicht, aber sie klebten an ihm wie Leim. Er drosselte das Tempo leicht, nur so viel, um bei der Suche nach der Frau, die ihm das Herz aus dem Leib gerissen und es für sich behalten hatte, auf der sicheren Seite zu sein.

Breezy schlief unruhig und wachte schon beim kleinsten Geräusch auf, etwa wenn ein Ast an ihrer Rostlaube kratzte. Es klang, als würde eine Säge über die Farbe schaben, und das riss sie immer wieder aus ihrem Schlummer. Sie stieg nur aus, wenn es absolut notwendig war und sie in die Büsche gehen musste. Sie aß nichts mehr und fühlte sich deshalb etwas schwach. Hunger spürte sie keinen, doch der Durst hielt an. Sie trank Wasser, was bedeutete, den Pick-up immer wieder einmal zu verlassen, und das war riskant.

Allmählich begann die Sonne ins Meer zu versinken. Der Himmel verfärbte sich kräftig golden, und dann wurden die dicht über dem Horizont treibenden Wolken orange. Sie musste zugeben, dass die Sonnenuntergänge im Norden Kaliforniens wirklich spektakulär waren. Hier hätte sie es aushalten können. Große Städte lagen ihr nicht, und diese Gegend war alles andere als dicht besiedelt. Genau genommen hätte sie aber eine Stadt gebraucht, um untertauchen zu können. Dort achtete niemand auf eine Kellnerin, die in einem Diner bediente. In einer Kleinstadt wie Caspar oder Sea Haven würde sie allerdings bald jeder kennen.

Dabei hatte sie sich stets bemüht, nicht aufzufallen, hatte gearbeitet, sonst nichts. War von der Bildfläche verschwunden und hatte sich vom Clubleben ferngehalten, so weit es ging. Doch sie war trotz allem immer wieder damit konfrontiert worden. Dieses Leben war heimtückisch, und wenn man einmal darin gefangen war, schien es keinen Weg mehr heraus zu geben.

Sie weinte wieder. Davon bekam sie immer grässliche Kopfschmerzen, und das machte sie dann wütend. Vor drei Jahren hatte sie mit dem Heulen aufgehört, nachdem sie wochenlang außer Kopfschmerzen fast nichts gespürt hatte. Sie hatte sich auf die eigenen Füße gestellt und sich um ihr Leben gekümmert. Und war auf jeden kleinen Erfolg stolz gewesen. Dann war ihre Welt zusammengebrochen, und sie hatte keine andere Wahl gehabt, als Steele diesen Brief zukommen zu lassen. Alles hing davon ab, dass er ihn erhielt und den Anweisungen folgte. Das war wichtig, und dennoch wusste sie, dass Anweisungen zu befolgen nicht unbedingt Steeles Ding war. Sie wusste nicht einmal sicher, ob es ihm wichtig genug war, dass er es für sie tun würde.

Die Sonne versank im Meer, und Breezy bereitete ihren Aufbruch vor. Es war fast so weit. Sie kletterte aus dem Wagenfenster und entfernte das Grünzeug, mit dem sie den Wagen getarnt hatte. Sie musste etwa zehn Meter weit rückwärts fahren, bevor die Straße breit genug zum Wenden wurde.

Sie bewältigte diese Strecke ohne Scheinwerfer; dazu war es noch hell genug. Auf dem Weg von der Küste weg zum Highway bemerkte sie, dass ein kleiner Baum quer über die Piste gefallen war. Das war bei dem herrschenden Wind keine große Überraschung. Zum Glück war es eher ein Schössling als ein ausgewachsener Baum; damit würde sie allein fertigwerden.

Mit einem Seufzer schaltete sie die Scheinwerfer ein, um bessere Sicht zu haben, streifte sich Handschuhe über und stieg aus. Sie war müde und wollte das Territorium der Torpedo Inks möglichst rasch hinter sich bringen. Schon allein der Gedanke an die gefährliche Fahrt auf dem Highway machte ihr Angst. Sie plante, die Straße von Comptche nach Ukiah zu nehmen, die noch weiter von der Küste und vom Highway weg führte. Wahrscheinlich dachten sie, sie hätte sich nicht vorbereitet und auch nichts vorausgeplant – schließlich war sie ja nur ein dummes Weibsstück, das zum Drogen- oder Waffenschmuggel gut war oder für den Club zur Prostitution feilgeboten wurde. Denken, glaubten sie, war nicht wirklich ihre Sache.

Ihre Verbitterung nahm ihr fast die Luft. Breezy hasste Bikerclubs und alles, wofür sie standen. Sie kauerte nieder und packte den Stamm, doch kaum hatte sie ihn umfasst, wurde sie von hinten hochgezogen und ihre Hände auf den Rücken gedreht. Sie warf den Kopf zurück in dem Versuch, mit dem Kopf des Angreifers in Kontakt zu kommen. Er knurrte, als sie ihren Schädel in seine Brust rammte, doch er hatte ihre Hände bereits mit einem Kabelbinder gefesselt.

»Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst dich umsehen? Du hast anscheinend alles vergessen, was du von mir gelernt hast, Baby.«

Wütend und mehr als nur ein bisschen verängstigt wirbelte sie herum und versuchte, ihn zu treten, sobald er sie losließ. Sie hatte es vergessen, verdammt. Er parierte ihren Tritt so heftig, dass ihr Bein gefühllos wurde, und dabei schabte er an ihrem Schienbein entlang. Sie probierte es noch einmal, doch er blockierte erneut mit voller Kraft.

Ihr blieb die Luft weg, und sie beugte sich so weit sie konnte vor, warf die Hände nach oben in der Absicht, sie wieder herunterzureißen und so den Kabelbinder aufzukriegen. Auch das hatte er ihr beigebracht. Doch noch ehe sie sich aufrichten konnte, war seine Hand an ihrem Rücken und drückte sie nieder.

»Breezy, du solltest dich besser beruhigen, sonst passiert dir noch etwas.«

Sie schnaubte wild. »Fahr zur Hölle, Steele. Du hast kein Recht mich auch nur anzufassen!«

»Das stimmt so nicht ganz, Süße, und das weißt du«, erwiderte er.

»Ich gehöre nicht zu eurem Club. Ich bin nicht Teil deines Lebens. Also lass mich gefälligst in Ruhe!«

Er ließ sie nicht hochkommen, sondern drückte sie weiter nach unten und schrieb mit der anderen Hand eine SMS. »Du warst doch immer ein schlaues Mädchen. Ich habe mir die Aufnahmen von deiner Fahrt angesehen.« Er klang hämisch. »Also wirklich, Baby. Dein Truck, das ist eine Schrottkiste, wie sie im Buche steht. Keine Chance, uns damit abzuhängen, auch nicht, wenn wir, also die Kandidaten, erst ein oder zwei Minuten nach dir gestartet sind. Wir mussten ja erst noch rauskriegen, auf welche Straße du abgebogen warst. Ich weiß auch noch, dass du extrem geduldig sein konntest, wenn es sein musste. Und da dachte ich mir, du würdest dich bis zum Einbruch der Nacht verstecken. Somit hatte ich jede Menge Zeit, dich aufzuspüren.«

»Lass mich hoch!«

»Wenn du nett darum bittest.«

Einen Augenblick lang hatte sie Angst, sie könnte spontan explodieren – und zwar nicht auf eine gute Art und Weise. Doch sie blieb ruhig. Irgendwann musste er sie hochlassen.

»Meinst du, das Ganze macht mir Spaß?«

Der schneidende Klang seiner Stimme ließ sie alle guten Vorsätze vergessen. »Es ist mir scheißegal, ob dir das Spaß macht oder nicht. Lass mich hoch!«

»Wenn du mich nett darum bittest. Du willst doch nicht wirklich mit mir kämpfen, Breezy, denn du wirst nicht gewinnen. Nicht wenn ich dermaßen sauer bin! Hatte grade nicht viel zu tun, als ich deinen Pick-up fand, außer darauf zu warten, dass du aufwachst, also habe ich den bescheuerten Brief gelesen.«

Ihr Herz zuckte heftig. Angst jagte durch sie hindurch; sie wurde ganz still und wehrte sich nicht mehr gegen ihn. Im Gegenteil, sie versuchte, sich kleiner zu machen, und erstarrte wie ein Mäuschen vor dem großen sprungbereiten Raubtier.

»Ich habe diesen blöden Brief achtzehn Mal gelesen, Breezy. AchtzehnMal. Ich habe Zurückhaltung gezeigt und bin deinem Pick-up nicht nahe gekommen, denn sonst hätte ich dich erwürgt. Und das könnte ich noch immer.«

Seine Hand glitt ihren Rücken hoch bis zum Hals und legte sich langsam darum. »Kapierst du, dass ich verflucht wütend auf dich bin?«

»Kapierst du, dass mir das wirklich scheißegal ist?«, schoss sie zurück. Sollte er sie doch umbringen. Tot war sie ohnehin schon. »Du hast mich rausgeworfen, Steele. Ich habe dich angebettelt, bei dir bleiben zu dürfen. Das war demütigend, und trotzdem habe ich es getan. Dann habe ich dich gebeten, mit mir zu gehen. Aber du hast mir unmissverständlich klargemacht, dass ich dir nichts bedeutete. Eine Nutte für den Club, die dich nachts warmhielt. Wenn du willst, kann ich wortwörtlich wiederholen, was du gesagt hast. Also hör auf, hier den Selbstgerechten zu spielen!«

Seine Finger spannten sich an, gruben sich in ihre Kehle. Der Daumen drückte auf ihr Kinn. Mit der anderen Hand raffte er ihre Haare zusammen und zog sie langsam hoch. Sie blickte in seine starre Miene. Er war noch hinreißender, als sie ihn in Erinnerung hatte, dabei träumte sie jede Nacht von ihm. JedeNacht. Das machte sie zur Masochistin.

Anders als die meisten anderen seiner Gang hatte er kaum Narben im Gesicht. Er hatte sie hauptsächlich am Körper, von Tattoos bedeckt. Sie kannte sie alle. Hatte jede dieser Narben, jedes der Tattoos mit ihrer Zunge nachgezeichnet. Mit den Fingerspitzen. Sie waren so tief in ihr Gedächtnis eingeprägt, dass sie sie bis ins kleinste Detail hätte malen können.

Sie trug sein Tattoo auf ihrer Haut. Er hatte es von seinem Freund stechen lassen, direkt über der Wölbung ihres Hinterns, ein kompliziertes Werk, das sie immer für schön gehalten hatte. Sie pflegte eine Hassliebe zu diesem Tattoo. Perlen fielen daraus auf ihre beiden Pobacken hinab, doch oben stand in ineinander verflochtenen Spitzenbändern sein Name geschrieben, und dass sie ihm gehörte. Sein Eigentum war. Das hatte sie geliebt. Damals hatte ihr das etwas bedeutet. Nun nicht mehr.

Sie hatte gezittert, und er hatte ihre Hand gehalten und ihr herrliche, liebevolle Dinge zugeflüstert, Dinge, die sie zum Lachen brachten oder vor Glück weinen ließen. Und währenddessen hatte sein Freund Ink ihr dieses Bild gestochen. Es hatte sich intim angefühlt. Liebevoll. Sie dachte oft an diesen Tag zurück und daran, wie sie sich damals zum ersten Mal in ihrem Leben von jemandem geliebt gefühlt hatte.

»Nimm mir den Kabelbinder ab.«

Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Du kommst mit mir zurück ins Clubhaus.«

Sie zuckte unwillkürlich zusammen. Sie wollte noch nicht einmal in die Nähe dieses Orts kommen. »Einmal, das war genug, Steele.« Ihr Ton war voller Sarkasmus. Vielleicht auch Bitterkeit. »Ein Blick und einmal den Geruch einatmen, und ich wusste, dass ich mit diesem Leben nichts mehr zu tun haben will. Du hast es fertiggebracht, wieder voll darin aufzugehen, sobald ich weg war, oder hast du auch noch mitgemacht, als wir zusammen waren? Ich hätte wissen müssen, dass du mehr als eine Frau brauchst, weil du schon immer so begierig warst.« Sie sagte das so gemein, wie sie konnte.

Sie wich dem Blick seiner funkelnden mitternachtsblauen Augen nicht aus. Sie hatte immer gedacht, dass er die schönsten Augen hatte, und dazu noch diese dichten, dunklen Wimpern. Die Farbe seiner Augen war ungewöhnlich – so dunkel, dass man sie lange ansehen musste, bis man erkannte, dass sie tatsächlich blau waren. Seine Haare waren wild und immer außer Kontrolle, besonders wenn sie etwas länger waren und ihm ins Gesicht fielen, aber sie ließen ihn nicht jung wirken. Nichts nahm die Kälte aus seinen Augen.

Sie fand, dass alle seine Freunde, mit denen er im Club am meisten zusammen war – und damals waren sie immer mit den Swords gefahren – leere, tote Augen hatten. Doch sie war jung und dumm genug gewesen, um das hinreißend zu finden. Nun war ihr klar, dass sie schlechte Menschen waren und sie nichts mit ihnen zu tun haben wollte.

»Bist du hergekommen, um mich umzubringen? Oder den Zaren?«

Wäre sie nicht gefesselt gewesen, sie hätte ihm eine Ohrfeige gegeben. Hatte sie doch alles riskiert, um ihn – und den Zaren – zu warnen. Und einen Mann namens Jackson Deveau, den sie nicht einmal kannte. Sie hatte alles aufs Spiel gesetzt, nur um das Richtige zu tun. »Zum Teufel mit dir, Steele. Ja, genau das ist mein Plan. Ich bin hierhergekommen und habe dir einen Brief hinterlassen, in dem genau drinsteht, wie ich plante, dich zu erledigen und so.« Wieder triefte ihre Stimme vor Sarkasmus.

In der Ferne dröhnten zwei Harleys, die sich näherten. Sobald sie um die Kurve kamen, waren ihre Scheinwerfer zu sehen. Wenn Steele sie nicht laufen ließ, würde es von hier kein Entrinnen geben. Wieder blickte sie zu ihm auf. »Du weißt, was auf dem Spiel steht. Lass mich weg von hier. Wenn ich nicht wegkann …«

Er schüttelte den Kopf. »Du gehst nirgendwohin, Breezy. Wir bringen das vor die anderen und lassen sie abstimmen.«

Entsetzen erfasste sie. »Das ist nichts, worüber man abstimmen kann, Steele. Was ist los mit dir? Lass mich gehen. Ich habe dich gewarnt. Ich habe euren Präsidenten gewarnt. Es ist jetzt euer Job, diesen Deveau zu warnen.«

Steeles Hand rutschte zu ihrem Ellbogen, sie schloss die Augen und atmete mehrmals heftig. Ihre einzige Hoffnung war, den Zar davon zu überzeugen, dass sie für niemanden eine Gefahr darstellte. Die anderen waren dem Zaren stets gefolgt, sogar innerhalb der Swords, was deren Präsidenten immer sehr verärgert hatte. Der Zar war der Vollstrecker gewesen, dem alle vertrauten. Niemand hatte je geargwöhnt, dass er – und die anderen – planten, den internationalen Präsidenten zu ermorden und den Club in die Knie zu zwingen. Sie, Breezy, war inzwischen natürlich längst weg gewesen.

Die Motorräder kamen angerollt. Sie erkannte Maestro und Keys auf dem einen, auf dem anderen saß Ink. Ihr Mut sank. Sie schüttelte den Kopf, versuchte, keine Verzweiflung zu fühlen. Ein paar Stunden konnten sie alles kosten. Wieder blickte sie zu Steele, der sie genau beobachtete. Sie hätte es wissen sollen. Steele konnte so vollkommen still sein, dass es sich anfühlte, als würde er verschwinden. Er konnte seine Energie so weit herunterschrauben, dass man sogar vergessen konnte, dass er da war. Doch selbst dann entging ihm nie etwas. Er bemerkte jedes kleinste Detail.

Er war auch nicht gerade klein, sondern stattliche einsachtzig, ein Muskelpaket, aber nicht klobig, ohne ein Gramm Fett. Als sie mit ihm zusammen gewesen war, hatte sie Hemmungen gehabt wegen ihres weichen Bauchs, doch er hatte ihr immer wieder versichert, dass er alles an ihrem Körper liebte. Sie erinnerte sich daran, wie er sie mit seinem kalten Blick angesehen hatte, sie einfach nur beobachtete, als könne jeden Augenblick etwas passieren, das er nicht versäumen wollte. Jetzt hatte sie eher den Eindruck, als würde er sie gleich zerstückeln wollen. Doch das war nicht nötig; das hatte er bereits vor langer Zeit getan.

Sie blieb stumm, als er in Richtung des Pick-ups nickte. Was sollte sie schon sagen? Sie ging darauf zu, Steele schritt neben ihr, eine Hand an ihrem Arm, als befürchtete er, sie werde auf die Klippe zurennen und sich hinunterstürzen. Das war nicht wahrscheinlich, doch sie hatte eindeutig einen Fehler begangen. Sie hätte ihn einfach nur niederschießen und dann das Weite suchen sollen.

Er öffnete die Beifahrertür, hob sie mit Leichtigkeit auf den Sitz und schloss die Tür wieder. Dann machte er Keys mit einer Geste klar, dass der Schlüssel seines Bikes im Zündschloss steckte. Es war eine große, kraftstrotzende Harley, so clever unter Gebüsch versteckt wie zuvor ihr Pick-up. Er hatte ihr Tricks zur Selbstverteidigung beigebracht. Wie man einen Kabelbinder sprengte. Wie man sein Fahrzeug verstecken konnte, wenn es sein musste. Und er hatte sie wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass es wichtig war, stets auf seine Umgebung zu achten.

Sie presste den Kopf gegen die Lehne, schloss die Augen und hielt sie auch noch geschlossen, als er den Fahrersitz zurückschob und dann einstieg. »Du hättest mit mir reden sollen.«

Breezy blickte ihn an. Steele. Er konnte ihr Herz immer zum Flimmern bringen und Schmetterlinge in ihrem Bauch aufsteigen lassen. Immer. Auch jetzt konnte er das, trotz allem, und dafür hasste sie sich. Für ihre Schwäche.

»Bringen wir es einfach hinter uns. Wartet der Zar? Weil ich nämlich so schnell wie möglich von hier weg will.«

»Er wartet, aber du fährst nirgendwohin. Das machst du dir am besten gleich jetzt klar. Die Demons sind inzwischen weg. Sind diesen Nachmittag aufgebrochen. Wir sind bereit, uns mit der Sache zu befassen, sobald wir im Clubhaus sind.«

»Die Demons haben alle eure Frauen mitgenommen?«

»Breezy …«

Sie unterbrach ihn. »Wir sind nicht zusammen. Das waren wir nie wirklich. Das hast du ganz klargemacht, Steele, du brauchst dich also nicht zu erklären. Du stehst auf Sex. Das verstehe ich. Du stehst auf alle möglichen Arten von Sex. Auch das verstehe ich. Ich war eine von denen, die für deine Bedürfnisse da waren; ich weiß ganz bestimmt, was … worauf du stehst.«

Seine Miene wurde härter. »Tu bloß nicht so, als wären wir nicht beide heiß ineinander verknallt gewesen, Baby. So wie du mich jetzt hasst, kann das nur bedeuten, dass du mich noch immer willst. Glaubst du, ich merke das nicht, wenn eine Frau mich will?«

»Ich bin mir sicher, du weißt alles über Sex und Frauen, die auf dich stehen, Steele. Du machst eine Kunst daraus. Ihr alle. Mein Körper erinnert sich vielleicht, wie es mit dir war, aber mein Hirn tut das auch. Du bist ein schlechter Mensch. Ich dachte, die Swords waren schlecht, aber du warst noch schlimmer. Viel, viel schlimmer. Die waren wenigstens ehrlich, so wie sie mich behandelten. Mein Vater hat mich zur Hure gemacht, als ich vierzehn war. Er hat mir ins Gesicht gesagt, dass ich nur so für ihn oder den Club von Wert war. Er hat mich mit Drogen losgeschickt und mich anderen Clubs angeboten, um Deals zu kitten. Ich war so am Boden, und er ließ zu, dass sie mich vor seinen Augen zusammenschlugen, aber wenigstens wusste ich, was ich für ihn war – für meinen Bruder und jedes andere Mitglied dieses Clubs. Aber du hast mich glauben lassen, ich sei dir mehr wert als das.«

Sie hielt es nicht aus, ihn anzusehen, also schaute sie zum Fenster hinaus in die Nacht. Wieder und wieder war sie jedes Detail ihres Lebens mit ihm durchgegangen und hatte nach Zeichen dafür gesucht, dass es eine Farce gewesen war. Eine totale Augenwischerei. Sie war einfach so jung und dumm gewesen.

»Breezy, komm schon, Baby, so war es nicht, und das weißt du auch.«

»Nicht. Lass das, Steele. Ich bin heute eine andere. Dafür hast du gesorgt. Ich bin jetzt nicht mehr naiv. Ich habe heftige Lektionen gebraucht, aber sie sind angekommen. Du hast dich klar ausgedrückt, und ich habe jedes Wort verstanden. Ich habe mir ein eigenes Leben aufgebaut und …« Sie brach ab, bekam keine Luft mehr. Es dauerte einige Minuten, bis sie wieder atmen konnte. »Habt ihr den internationalen Präsidenten der Swords wirklich umgebracht? Dieses Gerücht ist nämlich in Umlauf. Die Swords hassen euch mehr als jeden anderen ihrer Feinde, und auf jeden von euch ist ein Preis ausgesetzt.«

»Er hatte den größten Menschenhändlerring der Welt, Breezy. Er hat sogar seinen Klienten erlaubt, auf seinen als Frachter ausgewiesenen Schiffen Männer, Frauen und Kinder zu benutzen und zu töten; die Leichen hat er dann im Meer entsorgt. Er musste gehen.«

»Der Zar ist als Erster beigetreten. Und dann ihr, einer nach dem anderen«, stellte sie fest. Sie waren der Ortsgruppe in Louisiana beigetreten, zu der auch ihre Familie gehörte. Der Zar war rasch in der Hierarchie aufgestiegen. Er war so furchterregend, und Habit, der Präsident der Ortsgruppe, hatte sich sehr auf ihn verlassen. Wann immer der Zar einen Kandidaten vorgeschlagen hatte, war Habit mehr als glücklich gewesen, sich darauf einzulassen. Jeder der Männer war eiskalt und absolut todbringend gewesen. Sie hatten die Gruppe extrem stark gemacht.

»Das war der Plan.«

»Du bist drei Jahre lang mit ihnen gefahren, ehe du mich weggeschickt hast.« Im ersten Jahr war er Kandidat gewesen, und er hatte sie beobachtet. Ein Jahr lang waren sie umeinander herumgetanzt. Im nächsten war sie seine Frau gewesen, seine Old Lady. Kein anderer hatte gewagt, sie zu berühren oder sie zu irgendetwas zu benutzen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich sicher gefühlt. Und dann … hatte er ihr die Wahrheit gesagt. Er wolle sie nicht mehr haben. Er habe sie von Anfang an nicht gewollt. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass ihr Vater sie Steele gegeben hatte, um sich beim Zaren und seinen starken Kerlen anzubiedern.

»Der Zar war fünf Jahre lang bei den Swords. Ich bin vier Jahre mit ihnen gefahren.« Er bog vom Highway 1 Richtung Caspar ab.

»Du warst vier Jahre dabei, ein Jahr noch, nachdem du mich fortgeschickt hattest, und trotzdem konntest du sie so leicht verraten?« Sie wusste, dass er es konnte. Schließlich hatte er auch ein Jahr mit ihr verbracht, obwohl sie ihm nichts bedeutet hatte.

»Sie sind totaler Abschaum, Breezy. Jeder Einzelne von ihnen.«

Sie konnte nicht anders. Sie funkelte ihn an. »Und du etwa nicht? Du bist mit diesen Mistkerlen gefahren, hast dich als ihr Bruder ausgegeben und ihnen dann eine Kugel verpasst? Du hast einige von ihnen umgebracht, stimmt’s? Du und deine Freunde.«

»Ja, haben wir«, erwiderte Steele ohne das leiseste Zeichen einer Reue. »Und ich würde es sofort wieder tun. Glaub mir, Baby. Das kostet mich nicht eine Minute Schlaf.«

»Das glaube ich dir sofort.« Und ebenso sicher war sie, dass er auch ihretwegen keine schlaflosen Nächte hatte. Der Beweis dafür war gewesen, dass sie ihn nackt unter drei Frauen liegen gesehen hatte.

»Du lässt kein Thema aus bis auf das, über das wir reden müssen.«

Der Ärger in seinem Ton stachelte auch ihren an. Am liebsten hätte sie ihm mit dem Stiefel voll in die Brust getreten. Die Spitze mitten in sein schwarzes Herz gestoßen. Doch sie saß ganz still da, nur dass das Blut ihr in den Ohren donnerte.

»Du musst mich gehen lassen. Ich habe das alles gut überlegt. Alles, was ich von dir wollte, war, dass du dich an den Plan hältst. Das war’s. In all der Zeit habe ich sonst nichts gewollt. Ich weiß, du bist voll mit deinen Partys beschäftigt, Steele. Das ist klar. Aber vielleicht kannst du dieses eine Mal, für ein paar Tage, aufhören dich zu besaufen, damit du bereit bist, falls du gebraucht wirst. Ich gehe zuerst hinein und nehme alles Risiko auf mich. Vielleicht können sich deine drei Weiber abwechseln dabei, dir einen zu blasen und dich glücklich zu machen, während du abwartest, um zu sehen, ob ich umgebracht werde oder nicht.«

Er trat auf die Bremse, blickte sie wütend an und sprang aus dem Wagen. Sie verfolgte, wie er um die Haube herum ging, einem der Kandidaten den Schlüssel zuwarf, und dann riss er die Beifahrertür auf. Er packte sie hart am Kinn, zwang sie, ihm in die vor Zorn wild funkelnden Augen zu sehen. »Wenn du glaubst, ich lasse dich in dieses Hornissennest hineingehen, dann denk noch einmal gründlich nach. Er ist mein Sohn. Ich werde ihn da rausholen.«

2. Kapitel

Er hatte einen Sohn. Schon allein wenn er es aussprach, tat ihm das Herz weh. Mehr noch, er hatte einen Sohn mit Breezy. Mit seiner Frau. Der Frau, die er tausendmal auf tausenderlei Weise genommen hatte, ohne je genug von ihr zu bekommen. Er wusste, er würde nie genug von ihr bekommen. Sie zu berühren war immer ein Fehler. Auch jetzt, wo sie ihm ihr Gesicht zugewandt hatte, wollte er schon wieder seinen Mund auf ihre Lippen drücken und sie küssen, bis ihnen beiden die Luft wegblieb.

Das war das Problem. So war er. Er mochte gewisse Dinge. Das hatte er schon sehr früh gelernt. Er wollte, dass die Dinge seinem Willen gemäß verliefen. Immer. Auch das hatte er schon sehr früh gelernt. Er war programmiert worden, und soweit er wusste, war es das; diese Programmierung ließ sich nicht rückgängig machen, und er wollte das auch gar nicht. Er war es gewohnt, respektiert zu werden und die Herrschaft an sich zu reißen. Er war gewohnt, dass andere taten, was er sagte. Als Arzt war sein Wort Gesetz. Als Vizepräsident des Clubs verhielt es sich nicht anders.

Zu sagen, er sei schockiert gewesen, als er diesen Brief las, war eine Untertreibung. Es gab nicht viel, was ihn umhaute, doch das tat es. Es hatte ihn wahnsinnig gemacht. Sie war ganz allein gewesen. Sie war vorher nie von dem Club weg gewesen, hatte nie gelernt, selbst Entscheidungen zu treffen. Sie hatte das nicht gekonnt, weil alles per Befehl von ihrem Vater oder Bruder angeordnet worden war. Zum ersten Mal allein und auf sich gestellt zu sein, und dazu auch noch schwanger, musste ein Albtraum für sie gewesen sein.

Er fühlte Angst um sie. Um seinen Sohn. Wut auf sich selbst. Auf die Situation. Gefühle kochten in Steele hoch; er ließ Breezys Gesicht los, fasste sie um die Hüfte, zog sie aus dem Pick-up und warf sie sich über die Schulter, als sei sie ein Sack Kartoffeln. Sie schrie auf, doch es klang wie Musik in seinen Ohren, obwohl er sie doch eigentlich hatte schütteln wollen, um sie zur Vernunft zu bringen. Am liebsten hätte er sie übers Knie gelegt und ihr ordentlich den Arsch versohlt. Er spürte ihre Brustwarzen fest an seinem Rücken, zwei kräftige Knospen, die ihm sagten, dass sie allein durch diese körperliche Nähe schon ebenso erregt war wie er. Wie auch durch seinen aggressiven Umgang mit ihr. Ihr Körper reagierte auf Aggressivität, ob es ihr gefiel oder nicht. Wenigstens war er nicht allein in seiner Hölle.

Er stapfte ins Clubhaus, knallte die Tür hinter sich zu und setzte sie mitten im Aufenthaltsraum ab. Savage warf ihm ein Messer zu, mit dem er den Kabelbinder durchschnitt. Savage war einer der beiden Vollstrecker des Torpedo-Ink-Clubs. Er hatte das Ordner-Abzeichen an seiner Weste. Sein Schädel war rasiert, er hatte eiskalte blaue Augen, und er sah so gefährlich aus wie er war. Er nickte ihr zu, ohne zu lächeln.

Breezy massierte sich die Handgelenke. Steele nahm ihre Hände, als sie versuchte, sie ihm zu entziehen, und sah nach, ob sie einen Bluterguss oder Ähnliches abbekommen hatte, doch es war nichts zu sehen.

»Breezy«, begrüßte der Zar sie.

Er war der Präsident der Torpedo Inks, was für sie absolut nicht überraschend war. Sie wusste, dass er der Vollstrecker in der Ortsgruppe ihres Vaters gewesen war. Schon damals war er sehr furchterregend gewesen; jetzt war er es noch mehr. Sie blieb sehr still, reglos, erstarrt wie das Mäuschen, als das sie sich oft selbst sah. Schon als Kleinkind, als ihre Mutter nach zu vielen Prügeln, zu viel Missbrauch und Zwangsprostitution geflohen war, hatten sie Breezy geschlagen, weil sie immer nur störte. So lernte sie, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen. Ihr Bruder hatte sie mit derselben Verachtung behandelt. Und die anderen Mitglieder des Clubs waren diesem Beispiel gefolgt.

Sich stillzuhalten verringerte die Schläge. Je weniger sie bemerkt wurde, desto besser für sie. Sie hatte gelernt, mit gesenktem Blick ihre Umgebung zu beobachten. Ohne überall herumliegende Leiber wirkte der Raum sehr groß. Jemand hatte gründlich sauber gemacht. Der Boden glänzte, und es roch frisch, völlig anders als vorher.

»Steele hat mich den Brief lesen lassen, den du ihm gegeben hast«, begann der Zar und bedeutete ihr, sich einen Sessel zu nehmen. »Ich möchte, dass du uns alles Schritt für Schritt erzählst, alles, was passiert ist. Absinth setzt sich neben dich und hält dein Handgelenk.«

Ihr Blick irrte zu Absinth, und dann taumelte sie zu dem Sessel, auf den der Zar gezeigt hatte. Sie hatten alle Ausgänge versperrt. Wie zufällig stand nahe jeder Tür ein Mann, und alle beobachteten sie. Sie ließ sich auf den Sessel sinken und blickte zu Steele. Der Sessel hatte eine hohe Lehne, nicht unbequem, und doch sagte es einiges, dass man ihr nicht einen der wirklich schönen Sessel auf der anderen Seite des Raums angeboten hatte.

Absinth setzte sich in einen Sessel neben ihr. Sie sah ihn an. Er war wie sie alle, ein Muskelprotz. Auf seiner linken Wange hatte er eine Narbe, und seine Nase war wohl mehr als einmal gebrochen worden. Die blonden Haare fielen ihm in die Stirn. Damit hätte er eigentlich jung aussehen sollen, doch das tat er nicht. Seine Augen waren anders. Hell. Fast wie zwei Kristalle.

Breezy streckte den Arm aus und starrte auf den Boden. Sie wollte einfach nur diese Befragung hinter sich bringen und dann gehen. Absinth umfasste ihr Handgelenk sehr sanft und legte dabei die Finger auf ihren Puls. Sie wusste, dass ihr Herz raste, und das machte ihr Angst; sie fürchtete, er werde ihnen sagen, dass sie lüge, auch wenn dem gar nicht so war.

»Du willst mir die Wahrheit sagen«, erklärte Absinth in einem Ton, der so sanft war wie seine Berührung.

Sie hielt das für ziemlich seltsam, hatte sie doch gar nicht vor, ihn zu belügen. Was hätte das gebracht?

»Breezy, hast du einen Sohn?«

Sie hörte ein Schnaufen und blickte auf. Die Atmosphäre war schlagartig aufgeladen. Lana war da. Alena. Sie waren während ihrer Zeit bei den Swords mit den sechzehn Männern gefahren und immer beschützt worden. Immer. Ihre Mienen verrieten Entsetzen, wie auch die der meisten Männer im Raum. Alle hatten auf sie herabgeblickt, weil sie zu den Swords gehört hatte. Außerdem war sie eine Hure und ein Drogenkurier gewesen und damit rangniedriger als einige der anderen Frauen, die versuchten, mit Clubmitgliedern Beziehungen aufzubauen. Nun war sie die Mutter von Steeles Sohn. Das musste ziemlich hart für sie alle sein, Steele eingeschlossen.

»Ja.«

Sie sah, wie ihre Blicke alle auf Absinth schwenkten. Er nickte. »Ist er Steeles Sohn?«

»Ja.« Sie blickte zu Steele auf. »Du bist so ein Mistkerl. Ich wäre niemals hierhergekommen, wenn ich nicht deine Unterstützung brauchen würde. Ich habe dich um nichts gebeten. Um absolut gar nichts. Du weißt, dass ich mit niemandem sonst geschlafen habe, sobald wir zusammen waren. Das Flittchen, das warst du, nicht ich!« Sie schleuderte ihm die Anschuldigung ins Gesicht, wütend, weil er ihr Wort in Frage stellte, dass ihr Sohn auch der Seine war. Steele hatte wie gewöhnlich eine ausdruckslose Maske aufgesetzt; es war nicht zu ergründen, was er dachte, doch die Frage sagte ihr alles.

»Breezy.« Absinth lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder zu ihm.

»Bringt es hinter euch!«, schnauzte sie und biss dann die Zähne zusammen.

»Haben dein Bruder und dein Vater deinen Sohn gekidnappt?«

»Ja. Haben sie.«

»Hattest du davor Kontakt zu ihnen?«

»Nein.« Sie schluckte, denn ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Sie wollte sich zusammenreißen. Zane hatte bestimmt solche Angst, und ihr Vater schlug Kinder so lange, bis sie nicht mehr weinen konnten. Das wusste sie aus eigener Erfahrung. »Ich habe in einem Diner in New Mexico gearbeitet. Jemand hat mich dort gesehen, zumindest hat mir das Braden – ihr kennt ihn als Junk – erzählt.« Sie wusste nicht, ob sie sich an Vornamen von Clubmitgliedern erinnerten, da sie nur selten benutzt wurden.

»Hast du mit deinem Bruder gesprochen?«

»Sie kamen mitten in der Nacht, brachen ein und nahmen ihn mit.« Ihre Stimme überschlug sich. Sie dachte, Steele zu verlassen, nach den hässlichen Dingen, die er zu ihr gesagt hatte, wäre das Schlimmste gewesen, was ihr passieren konnte, doch sie hatte sich getäuscht. Sie drehte den Kopf nach rechts, zu Absinth, und strich ihre Haare zurück, damit er den Bluterguss unter dem Make-up, das sie aufgetragen hatte, sehen musste. »Ich habe noch mehr davon. Viel mehr.«

»Du hast gegen sie gekämpft?«

»Na klar. Glaubt ihr, ich hätte ihnen mein Baby einfach so übergeben? Ich habe einen Albtraum von Kindheit mit ihnen durchgemacht.« Sie schloss die Augen und zwang sich zu atmen, weil sie sich wieder einer Ohnmacht nahe fühlte. »Ich will ihn einfach nur wiederhaben. Ich muss gehen. Ihn mir holen.«

»Was haben sie dir alles angetan?«

Diese Frage hatte sie nicht erwartet. »Nicht viel. Das war nicht schlimm.« Sie hatte die Lüge kaum ausgesprochen, als etwas voll in ihren Kopf stach, als habe sie einen Schlag an die Schläfe bekommen. Sie schrie auf.

Absinth ließ sie sofort los, und der Schmerz klang ab. Steele wollte zu ihnen gehen, doch der Zar packte ihn am Arm und schüttelte den Kopf.

»Bring es zu Ende, Absinth, aber mit Gefühl«, warnte er.

»Ich versuche es ja. Ich habe nur nicht erwartet, dass sie an dieser Stelle lügt, weil sie bisher die Wahrheit gesagt hat«, erklärte Absinth.

Breezy verstand nicht, was sie meinten, doch als Absinth wieder nach ihrem Handgelenk griff, schien er sich noch mehr zu sträuben als sie.

»Du willst mir die Wahrheit sagen, Breezy.« Absinth wiederholte, was er zuvor schon gesagt hatte. »Wir alle kennen deinen Vater und deinen Bruder und wissen, wie sie drauf sind. Sie schlagen Frauen. Wir müssen wissen, was sie dir angetan haben.«

Seltsamerweise vermittelte ihr seine Frage die Hoffnung, sie könnten ihr helfen, Zane zurückzubekommen. Warum hätten sie es sonst wissen wollen? »Hauptsächlich Blutergüsse. Beim Atmen tun mir die Rippen weh. Und der Bauch. Wenn ich aufs Klo gehe, blute ich ein wenig, und am Schenkel habe ich einen riesigen Bluterguss. Keine Knochenbrüche.«

»Diese gottverdammten Scheißkerle!«, stieß Steele hervor. »Ich bringe sie beide um!«

»Nicht, wenn ihr mich hier herauslasst«, sagte Breezy. »Dann mache ich es nämlich selbst.«

»Das ist auch die Wahrheit«, erklärte Absinth den anderen. »Wieso hast du Steele den Brief nicht per Post geschickt?«

»Ich wusste nicht, ob Torpedo Ink der richtige Club ist. Ich musste das erst herausfinden. Ich rechne nicht damit, dass ich es lebend schaffe, ihn zurückzubekommen, deshalb wollte ich, dass Steele weiß, wo er ist. Ich hatte gehofft, es wäre wichtig für ihn zu wissen, dass er einen Sohn hat, aber dann vergaß ich, dass er mich ja für eine Nutte hält.«

Sie ignorierte Steeles leises Knurren und fuhr fort. »Ich dachte außerdem, dass es für euch alle wichtig ist zu wissen, dass sie Blut sehen wollen. Das vom Zaren.« Sie weigerte sich, Steele anzusehen, und schaute stattdessen zu dem Mann mit dem Abzeichen, das ihn als den Präsidenten auswies. »Ich muss gehen. Ihr seht, dass ich keine Bedrohung für euch bin. Ich habe nicht einmal eine Waffe dabei. Ich habe euch lediglich gewarnt. Was wollt ihr sonst noch von mir?«

»Willst du, dass die Swords am Club Vergeltung üben?«, insistierte Absinth.

»Nein.«

»Warum haben die Swords dir nicht gesagt, wo wir sind?«

»Sie wissen nicht, dass ihr die Torpedo Inks seid. Sie wissen nicht viel davon, was mit den Mitgliedern passierte, die hierherkamen, um Deveau zu töten. Sie wissen nur, dass sie nicht zurückkamen, dass sie alle tot sind, so wie der internationale Präsident, und dass das ganze Geld ebenso weg ist wie ihre Möglichkeit, ein Handelsnetz aufzubauen. Sie verdächtigen euch alle, weil ihr dazu in der Lage seid, schätze ich. Aber wissen tun sie praktisch nichts.«

»Sie wollten also, dass du uns findest und uns für sie tötest.«

Sie nickte. »Ich fing in Kalifornien an, weil die Mitglieder alle dorthin wollten. Sie kamen von verschiedenen Ortsgruppen. Ich hörte, dass in Caspar ein Club neu aufgemacht hat, und habe das nachgeprüft. Es waren achtzehn Mitglieder. Ich habe zuerst noch ein paar andere Clubs gecheckt, aber als ich hörte, dass ihr achtzehn seid, war ich mir ziemlich sicher, dass dies der richtige Club war.«

»Hast du ihnen gesagt, wo wir sind, nachdem du uns gefunden hast?«, wollte Absinth wissen.

Sie hätte sich am liebsten die Haare gerauft. »Natürlich nicht! Was würde es denn für einen Sinn machen, euch zu warnen, wenn ich ihnen gleichzeitig sage, wo ihr seid?« Verzweiflung rang mit Erschöpfung in ihr. Sie hatte praktisch ohne Erfolg versucht, den Tag über zu schlafen. Die kurzen Intervalle, in denen sie eingenickt war, konnten nicht die Nächte wiedergutmachen, in denen sie fieberhaft nach den Torpedo Inks gesucht hatte, nachdem man ihr das Kind weggenommen hatte.

»Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?«, fragte Alena.

Breezy versuchte, von Absinth loszukommen. Ihr war klar, dass sie ihren Club wie auch sich selbst schützen mussten. Doch dies war eine persönliche Frage und eine, die sie nicht beantworten wollte. Sie presste die Lippen zusammen und zuckte mit den Schultern.

»Breezy.«

Steeles Stimme durchbohrte sie. Sie war kalt, es war die Stimme, die er benutzte, wenn ihm etwas, das sie getan hatte, missfiel. Früher hatte sie sich dann immer schmollend zurückgezogen. Sie hasste es, wenn er sauer auf sie war. Nun aber – sollte er doch zur Hölle fahren. Sie sah ihm voller Trotz ins Gesicht, ein Kampf der Blicke, bei dem sie Knoten im Bauch bekam und ihr ganzer Körper leicht bebte.

»Ich beende das hier jetzt«, sagte Absinth und ließ ihr Handgelenk los. »Es ist klar, dass sie eine ganze Weile nichts gegessen hat. Sie ist leichenblass, sie zittert und fällt womöglich gleich in Ohnmacht.«

»Einige sehr böse Menschen haben mir meinen Sohn weggenommen!«, fauchte sie und rieb an ihrem Handgelenk, als könne sie so Absinths Berührung loswerden. »Ich muss gehen. Ihr habt jetzt alles, was ihr wolltet, und wisst, dass euch nichts passiert, und deshalb muss ich jetzt von hier weg!« Es klang giftig und beleidigend, wie sie dies sagte, und sie hoffte, ihn – sie alle – damit zu beschämen. Zane war ein Kleinkind. Sie waren erwachsen.

»Du gehst nicht weg«, erklärte Steele. »Das kommt nicht in Frage. Ich werde dich nicht in die Nähe deines Vaters und Bruders und all der anderen Arschlöcher lassen. Wir holen unseren Sohn zurück, aber wir machen das, nicht du, Breezy.«

»Und ob ich gehen werde! Er ist mein Kind, Steele! Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich habe ihn aufgezogen. Du warst nicht da, und du hast damals klargemacht, dass du nicht da sein wolltest.«

»Ich habe dir Geld gegeben …«

Sie sprang auf, das Adrenalin schoss wie wild durch ihren Körper. Adrenalin, Zorn und pure Verletzung. »Als ob ich dein Geld nehmen würde! Ich bin keine Hure. Ich war auch keine Hure, als wir zusammen waren, und ich lasse nicht zu, dass du mich zu einer abstempelst und dein Gewissen reinwäschst, indem du mir Geld gibst. Das habe ich dir auch gesagt. Jeden Cent, den ich anfangs für uns ausgegeben habe, werde ich wieder zurückzahlen, sobald ich ihn habe und wieder nach Hause kann.«

»Verdammt noch mal, Breezy, ich habe dir das Geld gegeben, damit du auf der sicheren Seite bist.«

Sie trat auf die Tür zu. Der Mann, den sie immer Savage genannt hatten, stand davor, und er machte ihr eine Höllenangst. Sie würde nicht gegen ihn kämpfen, um hinauszukommen. Sie wandte sich an den Clubpräsidenten.

»Ich muss mein Kind zurückholen, Zar. Ich möchte dich bitten, den anderen zu sagen, dass sie mich gehen lassen sollen.«

Der Zar studierte eine gefühlte Ewigkeit lang ihre Miene. Dann schüttelte er den Kopf, und ihr Mut verflog.

»Süße, du weißt doch, dass du nicht lebend mit ihm zurückkommen würdest. Du weißt, dass du dein Leben wegwerfen würdest. Das machen wir, und für uns ist es keine Frage, dass wir gehen werden. Wir haben eine bessere Chance, ihn da herauszubekommen. Sobald du deinem Vater sagst, wir sind tot, würde er diesen Jungen umbringen, und dann dich. Und wenn er dich nicht töten würde, würde er dich verkaufen.«

Sie hasste es, dass alles, was er sagte, der Wahrheit entsprach. Doch sie wollte sich nicht wieder hilflos fühlen. Oder hoffnungslos. Sie hatte das alles hinter sich gelassen und war so viel mehr geworden. Tränen brannten ihr in den Augen, doch sie würde nicht vor diesen Leuten heulen. Sie konnte nichts tun, außer dem Pochen ihres Herzens zu lauschen und zu spüren, wie Entsetzen sie überwältigte. Zane war bei ihnen. Ihr wunderschöner kleiner Junge mit ihrem lohfarbenen Haar und Steeles ungewöhnlichen mitternachtsblauen Augen. Das Dunkelblau wäre schon selten genug gewesen, doch Steeles Augen waren so schwarz, dass sie oft aussahen wie der Mitternachtshimmel. Und ihr Sohn hatte sie von seinem Vater geerbt.

»Er wird solche Angst haben.« Die Worte entwischten ihr, ehe sie sie zurückhalten konnte.