Hitlers zweiter Putsch - Kurt Bauer - E-Book

Hitlers zweiter Putsch E-Book

Kurt Bauer

4,9

Beschreibung

Die dramatische Geschichte des nationalsozialistischen Putsches im österreichischen Ständestaat Eine wissenschaftliche Sensation! Kurt Bauer räumt mit den vielen Mythen auf, die sich um den Juliputsch 1934 ranken. Er weist erstmals nach, dass Hitler selbst es war, der den Staatsstreich befahl. Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Kanzler Engelbert Dollfuß, der Führer des autoritären Ständestaates, wird schwer verletzt und stirbt. Schon am Abend geben die Putschisten in Wien auf, dafür bricht in der Provinz ein blutiger Naziaufstand aus. Währenddessen sitzt Adolf Hitler im Bayreuther Festspielhaus und hört Wagner. Doch es herrscht Unruhe in der Führerloge - Hitler wartet ungeduldig auf Meldung aus Österreich…

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Kurt Bauer

HITLERSZWEITERPUTSCH

Dollfuß, die Nazisund der 25. Juli 1934

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2014 Residenz Verlag

im Niederösterreichischen Pressehaus

Druck- und Verlagsgesellschaft mbH

St. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:

978-3-7017-4464-0

ISBN Printausgabe:

978-3-7017-3329-3

INHALT

DRAMATIS PERSONAE

PROLOG

DER PUTSCH IN WIEN – 23. BIS 25. JULI 1934

Weydenhammer

Exkurs: Weydenhammers Bericht

Dollfuß

Rintelen

Doblers Verrat

Die Turnhalle

Fehlleistungen

Der Überfall

Ravag

Das Eckzimmer

Dollfuß’ Ende

Exkurs: Vorsätzlicher Mord?

Gegenbewegungen

Fey

Stubenring

Ballhausplatz

Exkurs: Freies Geleit

Fin de partie

DER AUFSTAND IN DER PROVINZ – 25. BIS 28. JULI 1934

Die Durchsage

Innsbruck

Steiermark

Kärnten

Oberösterreich

Salzburg

Das Ende

HITLERS PUTSCH – DIE HINTERGRÜNDE

Quelle Goebbels

Hoffnungen, Ängste

Italien

Stra

Einladungen

Hitlers Irrtum

Der Entschluss

Countdown

Der Plan

Exkurs: Alte Besteckmuster

Exkurs: Bundesheer

Das Rheingold

Szenenwechsel

Sommerfest

Danach

NACHBEMERKUNGEN

ANHANG

Anmerkungen

Abkürzungen

Editorische Hinweise

Literatur

Quellen

Bildnachweis

Personenverzeichnis

DRAMATIS PERSONAE

Altenburg, Günther (1894–1984), Legationsrat der deutschen Gesandtschaft. Spielte am 25. Juli eine nie ganz geklärte Nebenrolle. Viele Jahre später ein wichtiger Zeuge für die Aufdeckung der Hintergründe des Putsches.

Barthou, Louis (1862–1934), französischer Außenminister. Hitlers wichtigster außenpolitischer Gegenspieler im Jahr 1934.

Dobler, Johann (1893–1934), Revierinspektor der Wiener Sicherheitswache. Verriet den Putschplan am Vormittag des 25. Juli.

Dollfuß, Engelbert (1892–1934), Bundeskanzler. Starb am Nachmittag des 25. Juli im Eckzimmer des Bundeskanzleramtes.

Fey, Emil (1886–1938), Wiener Heimwehrführer, früherer mächtiger Sicherheitsminister, ab Juli 1934 »Generalstaatskommissär« im Rang eines Bundesministers. Gab die Meldung vom geplanten Putsch an Dollfuß weiter, geriet in die Gefangenschaft der Putschisten.

Frauenfeld, Alfred Eduard (1898–1977), Gauleiter der Wiener NSDAP. Im Mai 1934 nach Deutschland geflüchtet, einer der Hauptdrahtzieher des Putsches.

Funder, Friedrich (1872–1959), Chefredakteur und Herausgeber der christlich-konservativen Reichspost. Griff am Nachmittag des 25. Juli zweimal in das Geschehen ein.

Glass, Fridolin (1910–1943), entlassener Bundesheersoldat, Führer der SS-Standarte 89. Militärischer Leiter des Juliputsches.

Goebbels, Joseph (1897–1945), Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Sein Tagebuch stellt die wichtigste Quelle zur Aufdeckung der Hintergründe des Juliputsches dar.

Habicht, Theodor (1898–1944), »Landesinspekteur« der österreichischen NSDAP, Hitlers Österreich-Beauftragter. Cheforganisator des Juliputsches.

Hamburger, Fritz (1869–19??), österreichischer Industrieller. Spielte 1933/34 als Kurier und Vertrauensmann der SA eine ominöse Rolle, hinterließ einen höchst aufschlussreichen Bericht über den Putsch.

Hedvicek, Eduard (1878–1947), Türhüter im Bundeskanzleramt. Griff im entscheidenden Moment ein. Unverlässlicher Zeuge der Vorgänge, die zum Tod des Bundeskanzlers Dollfuß führten.

Holzweber, Franz (1904–1934), entlassener Bundesheersoldat, führendes Mitglied der SS-Standarte 89. Unter dem Decknamen »Hauptmann Friedrich« unfreiwillig Führer der Kanzleramtsputschisten am Nachmittag des 25. Juli. Hingerichtet am 31. Juli 1934.

Hitler, Adolf (1889–1945), der »Führer«. Auslösende und befehlsgebende Instanz des Juliputsches.

Hudl, Paul (1894–19??), Holzhändler, Mitglied der SS-Standarte 89. Nahm in Majorsuniform an der Besetzung des Bundeskanzleramts teil (»Putschmajor«). Entging beim Militärgerichtsprozess am 2. August 1934 nur knapp der Todesstrafe.

Kamba, Franz (1898–1983), Kriminalbeamter der Wiener Polizei, nationalsozialistischer Verbindungsmann im Bundeskanzleramt. Verriet den Termin der Ministerratssitzung an die Putschisten. Überbringer eines Ultimatums an das am Stubenring tagende Rumpfkabinett.

Karwinsky, Karl (1888–1958), Sicherheits-Staatssekretär. Machte nach Einlangen der Warnung vor einem möglichen Angriff auf das Kanzleramt einige katastrophale, später vertuschte Fehler. Geriet in die Gefangenschaft der Putschisten.

Miklas, Wilhelm (1872–1956), Bundespräsident. Befand sich am 25. Juli auf Urlaub am Wörthersee. Tat im entscheidenden Moment das Richtige.

Mussolini, Benito (1883–1945), der »Duce«. Protektor des Dollfuß-Regimes. Bei seinem Vieraugengespräch mit Hitler am 14. Juni 1934 war es zu gravierenden Missverständnissen gekommen.

Neustädter-Stürmer, Odo (1885–1938), Sozialminister. Führte am späteren Nachmittag des 25. Juli die Verhandlungen mit den Besetzern des Kanzleramtes.

Pfeffer von Salomon, Franz (1888–1968), ehemaliger Oberster SA-Führer, ab 1933/34 »zur besonderen Verwendung des Führers«. Hitlers Sonderbeauftragter für den Putsch in Österreich.

Planetta, Otto (1899–1934), entlassener Bundesheersoldat, führendes Mitglied der SS-Standarte 89. Nahm am 25. Juli in der Uniform eines Leutnants an der Besetzung des Kanzleramtes teil. Aus seiner Pistole löste sich gegen 13 Uhr jener Schuss, der Dollfuß tötete. Hingerichtet am 31. Juli 1934.

Reschny, Hermann (1898–1971), Lehrer, SA-Obergruppenführer, Chef der österreichischen SA. Verantwortlicher für den Einsatz der SA und der Österreichischen Legion im Zuge des Juliputsches.

Rieth, Kurt (1881–19??), deutscher Gesandter in Wien. Schaltete sich am Abend des 25. Juli in die Verhandlungen mit den Putschisten ein, wurde deshalb von Hitler noch in der Nacht auf den 26. Juli von seinem Posten abberufen.

Rintelen, Anton (1876–1946), ehemaliger Landeshauptmann der Steiermark, ehemaliger Unterrichtsminister, seit Herbst 1933 Gesandter in Rom. Er sollte nach dem erzwungenen Rücktritt Dollfuß’ Bundeskanzler einer neuen, NS-affinen Regierung werden.

Rodenbücher, Alfred (1900–1979), SS-Brigadeführer, Führer der österreichischen SS. Sollte gemeinsam mit Habicht, Frauenfeld und anderen nach dem gelungenen Putsch in einer Sondermaschine nach Wien fliegen.

Rotter, Konrad (18??–1936), Bezirksinspektor der Wiener Kriminalpolizei, ehemaliger Gemeinderat der Wiener NSDAP. Führer einer NS-Gruppe in der Wiener Polizei, Entwickler des Putschplanes, Teilnehmer im Hintergrund. Zahlreiche seiner Leute beteiligten sich aktiv am Juliputsch. Verfasste zwei wichtige Berichte über den Putsch.

Schuschnigg, Kurt (1897–1977), Unterrichtsminister, früher zusätzlich Justizminister. Nachfolger Dollfuß’ als Bundeskanzler und Führer des autoritären Ständestaates.

Steinert, Fritz (1909–1942), Landesorganisationsleiter der österreichischen NSDAP, »rechte Hand« Habichts. Seine Rolle beim Putsch ist unbedeutend, aber er hinterließ ein äußerst aufschlussreiches Dokument zur Erhellung der Hintergründe.

Suvich, Fulvio (1887–1980), italienischer Unterstaatssekretär des Äußeren. Wichtigster Verfechter einer pro-österreichischen Linie in der italienischen Außenpolitik.

Wächter, Otto Gustav (1901–1949), Rechtsanwalt, Hauptamtsleiter der österreichischen NSDAP. Habichts Stellvertreter in Österreich, politischer Leiter des Putsches.

Weydenhammer, Rudolf (1890–1972), deutscher Industrieller, Stabsleiter der NSDAP-Landesleitung Österreich. Chefkoordinator des Putsches. Autor der zwei wichtigsten Berichte über den Juliputsch aus nationalsozialistischer Sicht.

Zehner, Wilhelm (1883–1938), Generalmajor, Heeres-Staatssekretär. Führte gemeinsam mit Minister Neustädter-Stürmer die Verhandlungen mit den Kanzleramtsputschisten.

PROLOG

Bis 1930 war die NSDAP in Österreich nichts als eine unbedeutende Splittergruppe am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums gewesen.1 Eine gewisse politische Bedeutung errang sie erst im Gefolge des Siegeszuges der NSDAP im Deutschen Reich, der in ebendiesem Jahr einsetzte. 1931 entsandte Hitler Theodor Habicht, der als NS-Kreisleiter von Wiesbaden erstaunliche Erfolge erzielt hatte, als eine Art Geschäftsführer (parteiamtliche Bezeichnung: »Landesinspekteur«) nach Österreich, um die zwischen selbstherrlichen Gauleitern und einem schwachen Landesleiter völlig zerstrittene Partei auf Vordermann zu bringen. Der Historiker Bruce Pauley gesteht Habicht eine »nur beschränkte Vertrautheit« mit Österreich zu, es sei ihm aber mit Energie, Mut und Rednerbegabung gelungen, aus der österreichischen NSDAP eine »große und wirksame Waffe« zu machen.

Tatsächlich spielte sich die Partei ab nun im öffentlichen Bewusstsein immer stärker in den Vordergrund. Im April 1932 wurde aus der Randerscheinung mit einem Schlag ein beachtenswerter politischer Akteur: Die NSDAP errang bei drei Landtagswahlen bis zu zwanzig Prozent der gültigen Stimmen. Der triumphale Sieg Hitlers bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 löste auch in Österreich eine erste Nazi-Welle aus. Diese flaute allerdings rasch wieder ab. Bis Jahresende 1932 ging in Österreich, ebenso wie in Deutschland, die Begeisterung für die NS-Ideologie deutlich zurück.

Mit dem 30. Januar 1933, als Hitler das Amt des Reichskanzlers übernahm, änderte sich die Situation grundlegend. Die braune Revolution zerstörte binnen weniger Wochen die letzten intakten Grundfesten der Weimarer Republik. Auch in Österreich erhielt die Hitler-Euphorie nun gewaltigen Auftrieb. Das traditionell heterogene und zersplitterte deutschnationale Lager lief mit fliegenden Fahnen zu den Nationalsozialisten über. Neue Mitglieder strömten in großer Zahl in die NSDAP und ihre Unterorganisationen.

Besonders bedeutsam war es, dass der deutschnationale Flügel der Heimwehrbewegung – allen voran der mitgliederstarke, militärisch bestens gerüstete Steirische Heimatschutz – sich vom regierungstreuen Österreichischen Heimatschutz abspaltete und mit den Nationalsozialisten eine »Kampfgemeinschaft« bildete. Die Großdeutsche Volkspartei ging einige Wochen später ein ähnliches Bündnis ein. Einzig der »Landbund für Österreich«, eine deutschnationale Bauernpartei, die über eine eigene Wehrorganisation verfügte, konnte die Selbstständigkeit noch einige Zeit wahren. Wie sich zeigen sollte, drifteten die Landbündler 1934 ebenfalls ins Nazilager ab.2

Trotz des starken Anwachsens der Nationalsozialisten war die politische Situation in Österreich grundverschieden vom Nachbarland. In Österreich standen sich zwei große politische Blöcke gegenüber – Christlichsoziale und Sozialdemokraten. Das dritte, kleinste, traditionellerweise stark zerrissene Lager, das deutschnationale, war im Wesentlichen im Nationalsozialismus aufgegangen. Aber trotz einiger Rekrutierungserfolge bei ursprünglich sozialdemokratischen und christlichsozialen Anhängern war nicht zu erwarten, dass es den Nazis gelingen würde, in die Kernwählerschichten der beiden großen Lager einzudringen. Das Parteiensystem der Ersten Republik Österreich war nicht annähernd so fragmentiert und erosionsanfällig wie das der Weimarer Republik. Bei regulären Wahlen hätten die österreichischen Nationalsozialisten bundesweit wohl niemals auch nur eine relative Mehrheit erringen können.3

Österreichs Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der seit Mai 1932 eine wackelige Koalition aus Christlichsozialen, faschistischem Heimatblock und deutschnationalem Landbund führte, hatte im März 1933 eine Geschäftsordnungskrise genützt, um das Parlament auszuschalten und auf Basis von Notverordnungen zu regieren. Zur Verbreiterung seiner schmalen Führungsbasis führte Dollfuß Geheimverhandlungen mit den Nationalsozialisten. Zugleich suchte er Annäherung an Mussolini, dem er erstmals zu Ostern 1933 seine Aufwartung machte. Als sich die Verhandlungen über einen Regierungseintritt zerschlugen, gingen Österreichs Nationalsozialisten ab Mitte Mai 1933 zum offenen Terror über. Hitler übte mit einer von der notorischen deutschen Devisenknappheit inspirierten Boykottaktion gegen Österreichs Fremdenverkehr (»Tausendmarksperre«) zusätzlichen Druck aus. Am 19. Juni 1933, am Höhepunkt einer ersten NS-Terrorwelle, verhängte die österreichische Regierung ein Betätigungsverbot über die NSDAP. Österreichs NS-Führer flüchteten, von einigen Ausnahmen abgesehen, nach Deutschland und steuerten von dort aus den mit allen Mitteln von Propaganda, Sabotage und Terror geführten Untergrundkampf gegen das Dollfuß-Regime.4

Der organisatorische Zusammenhalt der Nazibewegung in Österreich konnte gewahrt werden, indem die ehemaligen Parteimitglieder vordergründig unpolitischen oder sogar regimenahen Organisationen beitraten und diese unterwanderten. Und die bereits früher von Nationalsozialisten vereinnahmten Vereine des deutschnationalen Lagers wurden zu organisatorischen Plattformen für den illegalen Kampf umfunktioniert. Viele zumeist junge, arbeitslose, unverheiratete Österreicher trieb eine tatsächliche oder auch nur vermeintliche Verfolgung wegen illegaler Betätigung zur Flucht ins Dritte Reich. Dort wurden sie im Regelfall in die »Österreichische Legion« gesteckt, eine feldmäßig gerüstete, an die zehntausend Mann starke SA-Formation, die im entscheidenden Moment als Bürgerkriegstruppe in Österreich eingreifen sollte.5

Das österreichische Regime antwortete mit oft willkürlichen Verhaftungen und Abstrafungen, mit der Einrichtung von Anhaltelagern und einer ständigen Verschärfung des Strafausmaßes für verbotene politische Betätigung. Auf die Bildung der Legion und die zunehmende Verschärfung des illegalen Kampfes reagierte Dollfuß mit der Gründung des »Freiwilligen Schutzkorps«, die Exekutive in ihrem Kampf gegen die illegalen politischen Bewegungen unterstützen sollte. Diese Truppe rekrutierte sich aus dem regierungstreuen Österreichischen Heimatschutz (auch Heimwehr genannt) und anderen autoritär-semifaschistischen Wehrverbänden.

Angesichts des anhaltenden NS-Terrors setzte der österreichische Kanzler nun stärker noch als vorher auf die Anlehnung an Italien. Mussolini nahm ab Mitte 1933 entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des autoritären Regimes in Österreich. Sein Briefwechsel mit Dollfuß belegt dies eindrucksvoll.6

Bei aller zur Schau gestellten Feindschaft gab es vielfältige, oft weitreichende und tiefgehende Kontakte zwischen den Führern der verschiedenen Fraktionen des österreichischen Regimes und den verbotenen Nationalsozialisten. Anfang Januar 1934 sollte sogar ein persönliches Zusammentreffen zwischen Dollfuß und Habicht stattfinden – nicht die erste Begegnung der beiden übrigens –, doch stemmte sich die Heimwehr so vehement dagegen, dass Dollfuß das geplante Treffen in letzter Minute absagen musste. Pikanterweise hatte Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg seinerseits Sondierungen bei den Nazis unternommen, die im Zuge dieser Affäre ebenfalls aufgedeckt wurden.

Nach dem 12. Februar 1934 (Aufstand des Republikanischen Schutzbundes) konnte sich das Dollfuß-Regime zunehmend festigen. Die mächtige Sozialdemokratie war zerschlagen, die »Vaterländische Front«, eine künstlich geschaffene Einheitspartei, befand sich scheinbar erfolgreich im Aufbau, das faschistische Italien hielt seine schützende Hand über Österreich. Am 1. Mai 1934 ließ Dollfuß die neue autoritäre Verfassung verkünden. Die Gesellschaft sollte sich nach sozialharmonischen »Ständen« formieren. So nannte sich das betont katholische Gebilde denn auch »Christlicher Ständestaat«.

Der NS-Terror dauerte während dieser ganzen Zeit an. Allein die Wiener Polizei registrierte zwischen Mitte Mai und Mitte Juli 1934 nicht weniger als 155 Anschläge. In den ersten Juniwochen, unmittelbar vor dem Hitler-Mussolini-Treffen in Venedig, erreichte die Gewaltwelle einen markanten Höhepunkt und ging danach leicht zurück, ohne zu verebben.7 Der Ständestaat reagierte mit scharfen Gegenmaßnahmen, bis hin zur Verhängung der Todesstrafe für den bloßen Besitz von Sprengstoff.8 Erst in der zweiten Hälfte des Monats Juli schien sich eine gewisse Sommerruhe einzustellen.

DER PUTSCH IN WIEN

23. BIS 25. JULI 1934

WEYDENHAMMER

»Befehlsgemäß«, wie er schreibt, fuhr Rudolf Weydenhammer am Montag, dem 23. Juli 1934 in einer grau lackierten Limousine der Luxusmarke Horch von München nach Wien. Den Grenzübergang bei Salzburg passierte er anstandslos. Probleme hätte allenfalls sein gefälschter Pass bereiten können, denn Weydenhammer reiste unter dem Namen Rudolph Williams.1 Auf seinen zuletzt häufigen Fahrten und Flügen nach Wien und Rom hatte er sich regelmäßig als Deutschamerikaner oder Deutschbrite gegeben, was ihm wegen seiner als ausgezeichnet beschriebenen Englischkenntnisse ohne Weiteres abgenommen worden war. Ein Zeuge beschrieb ihn als »40 bis 45 Jahre alten Herrn von normaler Statur mit brauner Gesichtsfarbe und schwarzen Haaren von distinguiertem Aussehen«, die Polizei als »mittelgroß, untersetzt, volles, rundes Gesicht, dunkles Haar, starke Augenbrauen, kleiner, dunkler Schnurbart«.2

Dr. Weydenhammer war ein Mann von Welt: aus bester Familie, ehemaliger bayerischer Generalstabsoffizier, führender Banker, Aufsichtsrat internationaler Finanz- und Industriekonzerne, Manager, Industrieller, wohlhabend. 1928 hatte er ein Gut am Starnberger See erworben, in vorzüglicher Nobellage, keine dreißig Kilometer von der Münchner Innenstadt entfernt.3

Politisch war er ursprünglich der katholisch-konservativen Bayerischen Volkspartei nahegestanden, hatte sich aber ab 1931/32 unter dem Einfluss des NS-Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser dem Nationalsozialismus zugewandt. Nachdem dieser Ende 1932 im Streit mit Hitler aus allen Funktionen geschieden war, fand sich ein anderer Förderer von Weydenhammers politischem Ehrgeiz: Theo Habicht, der »Landesinspekteur« der österreichischen NSDAP. Dieser saß mit dem größten Teil seines Stabes seit Mitte 1933, als die NSDAP in Österreich verboten worden war, in München. Habicht machte Weydenhammer vorerst zu seinem wirtschaftlichen Berater, dann für ein paar Monate zum kommissarischen Gauleiter von Tirol und schließlich zum Stabsleiter der österreichischen NS-Landesleitung. Letzteres eine »nominelle« Position, wie Weydenhammer später einigermaßen plausibel behauptete. Tatsächlich habe er Habicht hauptsächlich als Kurier gedient und Verhandlungen in seinem Namen geführt.4 Verhandlungen freilich von ganz besonderer Art, denn Rudolf Weydenhammer war der Chefkoordinator des nationalsozialistischen Putsches gegen die österreichische Regierung.

Was hatte den Geschäftsmann dazu gebracht, sich für ein derartig unsicheres Geschäft herzugeben? Denn bei aller in seinen beiden Berichten anklingenden NS-Rhetorik kann man sich ihn beim besten Willen nicht als engstirnigen Nazi der Marke »Alter Kämpfer« vorstellen. Die Nazi-Veteranen lehnten ihn ohnehin ab. Allein schon Weydenhammers Äußeres war ihnen verdächtig, der Duft nach Eau de Cologne, den er verströmte, seine Vorliebe für dickbäuchige Zigarren, seine Selbstgefälligkeit. »Weydenhammer war eben für uns alte Nationalsozialisten Österreichs nicht ein solcher Typ, der uns als besonders willkommen erscheinen musste.«5 So Hanns Blaschke, ein Mitputschist, der 1949/50 seinem in Untersuchungshaft sitzenden einstigen Kameraden durch günstige Aussagen und angebliche Erinnerungslücken – eher lustlos, wie es scheint – gefällig war.

Weydenhammer habe sich wohl nur deshalb den Nazis angeschlossen, meinte ein Berufskollege im Jahr 1946, »um auf dem Rücken derselben zu großer Stellung und Ansehen zu gelangen. Er war maßlos ehrgeizig und wollte Industriekapitän werden und in die Geschichte eingehen.«6 Als »großsprecherisch« und »von sich selbst sehr eingenommen« charakterisierte ihn der Industrielle Hans Lauda,7 einen »ausgesprochenen Konjunkturmenschen« nannte ihn der Tiroler Sicherheitsdirektor.8

An besagtem 23. Juli langte Weydenhammer um 19 Uhr in Wien ein.9 Zuerst begab er sich in die in der Wiener Innenstadt gelegene Kanzlei des Patentanwaltes Blaschke. Hier traf er Otto Gustav Wächter, der als Stellvertreter und Vertrauter Habichts die nicht ungefährliche Funktion eines Leiters der illegalen österreichischen NSDAP ausübte.10 Mit dabei noch Wächters Stabsleiter Rudolf Pavlu und ebendieser Blaschke, wohl eine Art Stellvertreter oder jedenfalls enger Mitarbeiter Wächters. Aktuelle Informationen wurden ausgetauscht. Probleme bei der Beschaffung der Lastautos kamen zur Sprache, jener Fahrzeuge, auf denen die putschenden SS-Leute zum Einsatzort transportiert werden sollten. Blaschke versprach, sich darum zu kümmern.

Aus konspirativen Gründen wollten sich die Verschwörer an keinem Besprechungsort länger als eine Stunde aufhalten. Daher machte Weydenhammer sich bald wieder auf den Weg und schaute gegen 20 Uhr im Hotel Imperial am Kärntner Ring vorbei. Gesandter Rintelen, den er zu sprechen wünschte, war allerdings nicht anwesend. Um 20.30 Uhr war Weydenhammer am Währinger Gürtel, um in einem Restaurant bei der Volksoper neuerlich Otto Gustav Wächter und erstmals Fridolin Glass zu treffen.

Damit saßen die drei Oberputschisten beisammen. Wächter war die Rolle des politischen, Glass die des militärischen Führers zugedacht, Weydenhammer sollte im Namen Habichts alles koordinieren und überwachen. Eine erstaunliche Mischung: der 44-jährige bayerische Industrielle Dr. Weydenhammer, der 33-jährige Wiener Rechtsanwalt Dr. Wächter, und der noch nicht 24-jährige Studienabbrecher Glass. Bei allen Unterschieden war ihnen eines gemeinsam: enge familiäre und berufliche Bindungen an das Soldatentum, hohe Affinität zu allem Militärischen. Weydenhammer war neun Jahre lang königlich bayerischer Offizier gewesen. Seine Berichte über den Juliputsch zeichnete er stolz mit »Hauptmann a. D.«. Wächters Vater hatte es in der alten österreichischen Armee bis zum Oberst gebracht und der Republik als Heeresminister gedient. Er selbst, der Sohn, gehörte jener »Generation des Unbedingten« an, die den Krieg zwar nicht mehr aus eigener Anschauung kennengelernt, aber nach Michael Wildt »das Soldatische, das Kämpferische, das Harte und Erbarmungslose zu ihren Tugenden erhoben« hatte.11 Auch Glass hatte einen Soldaten-Vater (Unteroffizier), war selbst in das österreichische Bundesheer eingetreten und 1933 wegen NS-Betätigung entlassen worden. Gemeinsam mit ebenfalls hinausgeworfenen Kameraden hatte er daraufhin eine der SS angegliederte und von ihm geführte »Militärstandarte« gegründet.

Man beriet Details des kommenden Tages (24. Juli). Wie nun feststand – oder festzustehen schien –, sollte nachmittags, 16 Uhr, die letzte Sitzung der österreichischen Regierung vor der Sommerpause stattfinden. Die erwartete Gelegenheit zum Losschlagen.

Um 21.15 Uhr fuhr Weydenhammer mit Glass in dessen Auto nach Klosterneuburg, einer Kleinstadt nördlich von Wien. Hier, in einem Badehäuschen inmitten der ausgedehnten Donauauen, lag das geheime Hauptquartier der von Glass geführten SS-Standarte 89. Aber deshalb war man nicht hergekommen. Weydenhammer erhielt vielmehr die von ihm so dringend gewünschte Gelegenheit, mit maßgeblichen Bundesheeroffizieren zu sprechen. In einem Wäldchen beim Donaustrandband fand das hochverräterische Treffen statt, bei dem neben Oberstleutnant Adolf Sinzinger zwei weitere Offiziere12 anwesend waren. Sinzinger hatte keine besonders herausragende Stellung innerhalb des österreichischen Bundesheeres inne. Aber er befand sich, wie er meinte, zum Zeitpunkt des Putsches an einer entscheidenden Position in der Befehlskette. Voraussetzung: das Gelingen der Aktion im Bundeskanzleramt. Die Offiziere sagten zu, dass die Sammlung, Uniformierung, Bewaffnung und Abfahrt der Putschisten am nächsten Tag, 16 Uhr, unter ihrer Oberaufsicht im Gebäude des Bundesheer-Stadtkommandos Wien stattfinden könne.

Gegen 23 Uhr endete die Besprechung. Der nächste Treffpunkt war um 23.15 Uhr (oder vielleicht etwas später) ein Heurigenlokal in Nußdorf. Zuvor ließ Weydenhammer sich noch in die Innenstadt chauffieren und fragte im Hotel nach Rintelen. Der war nach wie vor außer Haus. Dann, beim Heurigen in Nußdorf, saßen wieder Weydenhammer, Glass und Wächter beisammen. Letzterer brachte eine Bestätigung des Ministerratstermins mit. Sodann ging es um die Aktion gegen Bundespräsident Wilhelm Miklas, der sich auf Urlaub in Velden am Wörthersee befand. Miklas sollte, zeitgleich mit dem Schlag gegen die Regierung, durch ein SS-Kommando gefangengesetzt werden. Schließlich vereinbarten die drei den Terminplan für den kommenden Tag. Danach sprach Weydenhammer in einem nahe gelegenen Café kurz mit dem polizeibekannten Naziterroristen Max Grillmayer (alias »Kurt März«) und einem jungen Arzt namens Walter Ott, die für die Veldener Aktion vorgesehen waren. Anschließend fuhr er stadteinwärts.

Um halb ein Uhr morgens betrat er neuerlich das Hotel Imperial. Diesmal war Anton Rintelen anwesend, der ehemalige Landeshauptmann der Steiermark, ehemalige Unterrichtsminister und nunmehrige Gesandte in Italien. Die beiden kannten sich mittlerweile recht gut, war Weydenhammer doch in den letzten Monaten mehrfach bei Rintelen in Rom gewesen, als Rudolph Williams übrigens. Für das Kommende war Rintelen die Hauptrolle zugedacht. Der Christlichsoziale mit autoritären Ambitionen und deutschnational-faschistischem Einschlag sollte für die Naziputschisten den neuen österreichischen Bundeskanzler geben. Das folgende längere Gespräch drehte sich in erster Linie um die Putschplanung. Zusätzlich gab Rintelen Interna aus dem Machtgefüge des Ständestaates preis. Auf Weydenhammer machte Rintelen jedenfalls »einen durchaus sicheren und kaltblütigen Eindruck«. Gegen zwei Uhr nachts verabschiedete sich Weydenhammer.

Aber sein Job für diesen Tag war noch nicht erledigt. In einem nahe gelegenen Lokal instruierte er Grillmayer und Ott bezüglich der geplanten Gefangennahme des Bundespräsidenten. Sie sollten noch in der Nacht ein Auto mieten und sich auf den Weg nach Kärnten machen. Erst kurz vor vier Uhr morgens traf Weydenhammer in dem idyllisch im Wienerwald gelegenen Schlosshotel Cobenzl ein, wo ein Zimmer für ihn reserviert war.

Eine kurze Nacht. Um sieben Uhr war er wieder auf den Beinen, um Viertel nach acht Uhr holte er den ehemaligen Vizekanzler Franz Winkler in dessen Wohnung beim Rathaus aus den Federn. Winkler, der im vergangenen September aus der Dollfuß-Regierung geworfen worden war, hatte sich mit dem Hauptteil des deutschnationalen »Landbundes«, den er führte, den Verschwörern angeschlossen. Er sollte nun nach Prag reisen, um dort im Sinne der Putschisten für diplomatischen Flankenschutz zu sorgen. Nach neun Uhr erschien überraschend Rintelen bei Winkler, um diesen zu instruieren. Weydenhammer sah dies »aus Sicherheitsgründen« nicht gerne.

Winkler nahm den nächsten Zug nach Prag.13 Weydenhammer fuhr zur deutschen Gesandtschaft, um heikle Schriftstücke im versiegelten Kuvert zu hinterlegen. Zu tun hatte er dabei mit Legationsrat Günther Altenburg, dessen »Umsicht und vernünftige Einstellung« er in seinem Bericht lobend hervorhebt. Jahrzehnte später stellte Altenburg jede Mitwisserschaft am Putsch entschieden in Abrede. Nur der Gesandte Kurt Rieth sei im Vorhinein, vermutlich am Vormittag des 24. Juli, unterrichtet worden.14 In den folgenden eineinhalb Tagen war die deutsche Gesandtschaft jedenfalls eine Art Ankerpunkt für Weydenhammer. Altenburg, der angeblich Ahnungslose, stellte zudem dreimal seine Privatwohnung in Wien-Wieden für ausgedehnte Unterredungen zwischen Weydenhammer und Wächter zur Verfügung. Und am Abend des 25. Juli schaffte er zu guter Letzt Weydenhammer unter dem Schutz der diplomatischen Immunität per Automobil außer Landes.

Zurück zum 24. Juli. Vom zentrumsnahen Botschaftsviertel chauffierte Weydenhammer seinen Horch nach Nußdorf, um im Vereinshaus eines Ruderklubs mit Wächter und Glass zu konferieren. Mittlerweile war es elf Uhr geworden. Bis zum Beginn des Ministerrates waren es noch fünf Stunden. Um 13 Uhr suchte Weydenhammer Rintelen im Hotel Imperial auf. Dieser hatte die Meldung erhalten, dass die Regierung tatsächlich um 16 Uhr tagen würde. Noch drei Stunden. Um 14 Uhr sprach Weydenhammer im Rathauskeller mit Wächter, um 15 Uhr war er wieder im Imperial. Rintelen empfing ihn mit einer bösen Überraschung: Die Regierungssitzung sei kurzfristig auf den nächsten Tag, elf Uhr, verschoben worden.

Das denkbar schlimmste Szenario. Die Befehle waren ausgegeben, die SS-Leute auf dem Weg zu den Sammlungsorten, die Lastwagen bereitgestellt, die verdeckten Helfer in Warteposition, die Putschführer daran, ihre Posten zu beziehen. Das alles im letzten Moment abzustoppen, war mit höchsten Risiken verbunden. Nicht zuletzt stieg die Gefahr, dass einer aus dem nunmehr ungleich größeren Kreis der Eingeweihten den Plan preisgeben könnte. Und tatsächlich war es in erster Linie der Verrat des Polizeirevierinspektors Dobler am kommenden Tag, der den Putsch misslingen lassen sollte. Am Nachmittag des 24. Juli hätten die Putschisten hingegen völlig überraschend zuschlagen können. So war bereits in dieser unerwarteten Verschiebung am 24. Juli das Scheitern des Putsches am 25. Juli angelegt.

Die Groteske eines ersten Verrates hatte sich allerdings schon am 24. Juli abgespielt. Freilich folgenlos. Es war der Holzhändler Paul Hudl – ausersehen, an der Besetzung des Kanzleramtes teilzunehmen –, der seinen Mund nicht halten konnte. Am Vormittag des 24. Juli erzählte er einem Geschäftspartner namens Wurmbrand, Hauptmann a. D. und Angehöriger des Wiener Heimatschutzes, vom bevorstehenden Schlag gegen die Regierung. Der getreue Staatsbürger Wurmbrand meldete um 16.30 Uhr alles einem Wohnungsnachbarn namens Dr. Attems, Kommissär der Wiener Polizei. Der getreue Staatsdiener Attems verfasste, als er um 18 Uhr seinen Dienst antrat, eine Aktennotiz und schickte die Meldung vom Putsch, der an diesem Abend stattfinden sollte, auf den Amtsweg. Die volle Bedeutung dieser Meldung sollte der Wiener Polizei erst in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli bewusst werden.15

Die Geschichte des Juliputsches ist – auch – eine Geschichte von Irrtümern, Illusionen und Fehlleistungen. Die geplante Aktion gegen den Bundespräsidenten etwa mutet schon in der Vorbereitung äußerst improvisiert, ja leichtsinnig an. Und tatsächlich scheiterte sie kläglich. Grillmayer, Walter Ott und dessen Bruder Rudolf hatten in der Nacht, nach dem Gespräch mit Weydenhammer, mühsam ein Mietauto besorgen können. Der Verleiher drängte ihnen einen Chauffeur auf, der bei dem hochverräterischen Vorhaben nur stören konnte. In Klagenfurt angekommen, gegen Mittag des 24. Juli, trafen sich Grillmayer und Walter Ott mit einem Verbindungsmann der hiesigen SS. Mittlerweile hatte der Autoverleiher, angesichts der seltsamen Begleitumstände der Anmietung mehr und mehr beunruhigt, die Sache angezeigt. Die Klagenfurter Polizei, aus Wien informiert, entdeckte gegen 14.30 Uhr das verdächtige Fahrzeug und verhaftete den anwesenden Rudolf Ott samt unbeteiligtem Chauffeur. Als Walter Ott sich (wieso eigentlich?) in der Polizeidirektion nach seinem Bruder erkundigte, wurde er ebenfalls sofort festgenommen. Grillmayer machte sich daraufhin sang- und klanglos aus dem Staub.16

Ähnlich verhalten agierte in der ganzen Affäre auch Franz Schattenfroh, führender österreichischer NS-Politiker und ehemaliger Bundesrat. Er war gegen Mittag nach Instruktion durch Wächter per Daimler-Wagen nach Kärnten abgefahren, um die »Überwachung der Veldener-Aktion zu übernehmen«. Gemeint ist wohl, er sollte dem sich in der Hand der Putschisten befindlichen, mit ihm persönlich bekannten Bundespräsidenten zureden, Rintelen zum Kanzler zu ernennen. Was genau schließlich in Velden geschah, ob Schattenfroh dort Grillmayer traf, ob er eine Nachricht von Weydenhammer erhielt, ist nicht bekannt. Jedenfalls fuhr er noch am Abend des 24. Juli nach Perchtoldsdorf bei Wien zurück. Damit war ein wichtiger Teil des Putschplans bereits gescheitert.17

Zur selben Zeit, als in Kärnten alles schiefging, herrschte in Wien höchste Eile. Sogleich nachdem er die Unglücksnachricht von der Verschiebung der Regierungssitzung vernommen hatte, um 15 Uhr herum, raste Weydenhammer vom Imperial in die Alser Straße. Dort, in einem Café, wusste er, waren Wächter und Glass anzutreffen. Diese befanden sich bei Weydenhammers Erscheinen bereits in Alarmstimmung, denn sie hatten die Meldung gerade von anderer Seite erhalten. Die drei entwickelten nun eine »fieberhafte Tätigkeit«. Weydenhammer gab auf verschiedenen Postämtern in den Wiener Außenbezirken verschlüsselte Telegramme auf, um »Außenstellen« zu informieren – in erster Linie wohl die Landesleitung in München. Dort wartete man bereits in höchster Spannung auf Nachrichten aus Wien.

Anschließend benützten Weydenhammer und Wächter die Privatwohnung des Legationsrates Altenburg als eine Art Büro, um die notwendigen »Proklamationen und Bekanntmachungen« umzuarbeiten. Als das Dringendste erledigt war, begab sich Weydenhammer zu Rintelen ins Imperial. Es war 19 Uhr. Anschließend stellte er seine Horch-Limousine in einer Garage ein. Es schien ihm sicherer, für die weiteren Wege Autodroschken zu benützen. Und von einer solchen ließ er sich wohl auch zum nächsten Treffen mit Wächter und Glass in ein Hotel in Rodaun bringen, südlich von Wien gelegen. Ein vergleichsweise abseitiger Ort, aus Sicherheitsgründen gewählt, um etwaiger Beschattung zu entgehen. Man war sich einig, die Aktion trotz der nunmehr wesentlich ungünstigeren Bedingungen am kommenden Tag durchzuführen. Auch Rintelen hatte zuvor dafür plädiert.

Gegen Mitternacht setzten Weydenhammer und Wächter ihre Vorbereitungen für den kommenden Tag in der Altenburg-Wohnung fort. Um drei Uhr morgens ging man auseinander. Weydenhammer verbrachte seine zweite, wiederum sehr kurze Nacht im Schlosshotel Cobenzl. Schon um sieben Uhr verließ er das Hotel und wurde hier nie mehr wieder gesehen. Es war der 25. Juli.

EXKURS: WEYDENHAMMERS BERICHT

Eine gute Woche nachdem der Putsch gescheitert war, datiert mit 3. August 1934, verfasste Weydenhammer einen 19 Maschinschreibseiten umfassenden Bericht. Darin beließ er die Vorgeschichte im Vagen und Ungefähren, stellte dafür aber die Vorgänge von 23. bis 25. Juli, soweit sie ihm bekannt waren, umso detailgenauer dar. Ein gerade wegen der Detailgenauigkeit, der unverstellten, weitgehend emotionsfreien Faktizität bedeutendes historisches Dokument. Der Stundenplan eines Putschisten.

Eine zweite, etwas veränderte, zum Teil gekürzte, zum Teil erweiterte Version erstellte Weydenhammer im Jahr 1938. Sie ist als Variante des Berichtes von 1934 anzusehen, nicht als eigenständige Darstellung. Dieses Schriftstück sollte, so viel kann man für gegeben annehmen, Otto Gustav Wächter in einem Verfahren vor dem Obersten Parteigericht der NSDAP unterstützen.18 Eine im selben Jahr gegründete Historische Kommission des Reichsführers-SS zur Aufklärung offener Fragen des Juliputsches griff ebenfalls darauf zurück.

Es fragt sich, ob und inwiefern diese beiden Berichte als historische Quelle ernst zu nehmen sind. Weydenhammer selbst stellte dies strikt in Abrede. Er tat dies allerdings erst nach Ende der NS-Herrschaft, als gegen ihn ein Volksgerichtsverfahren wegen Hochverrats eingeleitet worden war und er als Untersuchungshäftling im Wiener Landesgericht für Strafsachen saß.19

Vor dem Untersuchungsrichter sagte er aus, sein an Habicht gerichteter erster Bericht von 1934 sei ohne sein Zutun erweitert und »frisiert« worden. Den zweiten Bericht (1938) habe er über dringende Aufforderung Wächters verfasst, dieser hätte ohne seine Zustimmung Ergänzungen und Streichungen darin vorgenommen. Der Inhalt beider Berichte sei »mehr oder minder von höherem Ort« befohlen worden, und zwar von der Reichsführung der SS.20 Blaschke, als Zeuge befragt, gab an, dass der erste Bericht von Weydenhammer und Wächter gemeinsam erstellt worden und die Textierung des zweiten in »tagelangen diplomatischen Erörterungen« zwischen Weydenhammer, Wächter und ihm, Blaschke, zustande gekommen sei. Eine eigenmächtige Änderung durch Wächter (wie Weydenhammer es behauptet hatte) halte er für ausgeschlossen. Die Berichte selbst bezeichnete Blaschke – und damit leistete er nun doch seinen Beitrag zur Verteidigung Weydenhammers – als eine vom Reichsführer-SS befohlene »Beugung der Wahrheit«.21

Weydenhammers und Blaschkes Aussagen sind leicht als bloße Schutzbehauptungen zu entlarven. Immerhin wurde das Verfahren gegen Weydenhammer nach § 8 Kriegsverbrechergesetz geführt. Dieses Delikt (»Hochverrat am österreichischen Volk«) war mit dem Tod zu bestrafen, konnte aber in lebenslangen schweren Kerker oder in schweren Kerker von zehn bis zwanzig Jahren umgewandelt werden.22 Es mag sein, es ist sogar wahrscheinlich, dass es eine gewisse Abstimmung zwischen den Hauptbeteiligten gab. Aber die eigenmächtige Bearbeitung von Weydenhammers Text durch Wächter kann nicht sehr sorgfältig gewesen sein. Denn dieser hätte – nur ein Beispiel von zahlreichen möglichen – in diesem Fall sogar die unkorrekte Schreibweise des Namens seines Stabsleiters und engen Mitarbeiters Rudolf Pavlu übersehen. In beiden Berichten wird dieser nämlich konsequent falsch geschrieben (»Pawlo«).

Bezeichnenderweise gab Weydenhammer 1949/50 nur zu, was ohnehin schon im Rintelen-Prozess von 1935 bekannt geworden war – nämlich seinen Aufenthalt im Schlosshotel Cobenzl, seine Treffen mit Rintelen in Rom und die zufällige kurze Begegnung mit dem Tiroler Industriellen Reitlinger im Hotel Imperial.23 Das war einiges und belegt allein schon, dass Weydenhammers Bericht mit den realen Vorkommnissen wohl in weitgehender Übereinstimmung steht.

In einem Zwischenbericht vom Juni 1950 belegte der untersuchende Staatsanwalt minutiös Punkt für Punkt die Richtigkeit der Angaben in den Berichten von 1934 und 1938.24 Tatsächlich lassen sich zahlreiche Angaben durch andere Quellen direkt oder indirekt nachweisen. So etwa bestätigte der damalige Legationsrat Altenburg später im Wesentlichen alle auf ihn bezogenen Angaben Weydenhammers.25 Bestätigung findet auch eine unwahrscheinlich anmutende Episode, nämlich hektische Annäherungsversuche an die Heimwehr am späteren Nachmittag des 25. Juli.26 Oder: Ein von Weydenhammer erwähntes Gespräch Rintelens mit Unterrichtsminister Schuschnigg wird durch dessen Aussage bestätigt.27

Allerdings ist zu bedenken, dass es Weydenhammer letztlich um zweierlei ging: Rechenschaft und Rechtfertigung. Das verständliche Bemühen, sich selbst, seine Mitputschisten, den Putschplan etc. in das bestmögliche Licht zu rücken, ist deutlich erkennbar. Das führte hin und wieder zu Darstellungen, die mit den tatsächlichen Ereignissen nur schwer oder gar nicht in Einklang zu bringen sind. Mit einigen an den Haaren herbeigezogenen Behauptungen wollte er, wie aus dem Kontext klar hervorgeht, die Validität des viel kritisierten Putschplanes unterstreichen. Und auffallend stark betont Weydenhammer das angeblich intensive Bemühen der Putschführer, am Nachmittag des 25. Juli direkt an die Orte des Geschehens vorzudringen. Nicht immer sind seine Angaben glaubwürdig. Hier ging es wohl darum, der heftigen NS-internen Kritik am selbstschonenden Verhalten der Putschführer am 25. Juli zu begegnen.

Weitere Beispiele für bewusst unwahre, verfälschte oder »frisierte« Aussagen lassen sich in beiden Weydenhammer-Berichten – wesentlich stärker im zweiten als im ersten – unschwer finden. Sorgfältige Quellenkritik ist angebracht. Aber es kann keine Rede davon sein, dass der Inhalt »von oben« befohlen worden wäre und daher nicht der Wahrheit entsprochen hätte. Im Gegenteil: Weydenhammers Bericht ist authentisch und zeitnah, die weitaus wichtigste Quelle zum Juliputsch aus nationalsozialistischer Sicht.

DOLLFUSS

Es braucht nicht viel, um seine diktatorischen Anwandlungen auf die Überkompensation eines Minderwertigkeitskomplexes zurückzuführen. Denn Kanzler Dollfuß war, was seinen Wuchs betrifft, bekanntlich von auffallender Kleinheit. So klein, dass er sich mit dem Kissen statt mit der Tuchent (Bettdecke) zugedeckt habe, wie es in einem damals verbreiteten Witz hieß. Leicht ließ sich des Kanzlers geringe Körpergröße ins Metaphorische übertragen. So etwa witzelten die illegalen Sozialdemokraten: Was noch kleiner sei als Dollfuß? Sein Anhang. (Es mag ihnen freilich das Lachen bitter gefallen sein.) »Dollfuß erwachse« schrien die Nazis, ihren eigenen Schlachtruf persiflierend. »Millimetternich« lautete die vielleicht populärste Wortschöpfung. Eine durchaus geistreiche Anspielung auf die autoritären Traditionen des alten Österreich.

Sein Aufstieg vom unehelichen Kind einer Bauerntochter aus dem niederösterreichischen Voralpenland zum führenden Bauernbundfunktionär, Agrarminister und schließlich, noch keine vierzig Jahre alt, zum Bundeskanzler war erstaunlich. Schon der junge Engelbert fand einflussreiche Förderer. Nach der Volksschule gelang dem Bauernbuben der Sprung an das fürsterzbischöfliche Knabenseminar. Danach studierte er Theologie. Er sollte Priester werden, sattelte aber bald auf die Rechtswissenschaft um. Im Weltkrieg stand er mehrere Jahre im vordersten Fronteinsatz. Nach seiner Heimkehr engagierte er sich bei den katholischen Studenten, war ein eifriger, aktiver Propagandist des Anschlusses an Deutschland und äußerte sich in Wort und Schrift antisemitisch. Schließlich fand er eine Anstellung beim Niederösterreichischen Bauernbund, der mächtigsten Teilorganisation der Christlichsozialen Partei. 1931 wurde der Agrarpolitiker Dollfuß Landwirtschaftsminister, und im Mai 1932 übernahm er – als reine Verlegenheitslösung in einer verzwickten Pattsituation – das Amt des Bundeskanzlers. Zu dieser Zeit galt er als aufrechter Demokrat, mit dem sich reden ließ.

Das änderte sich in den politischen Kämpfen und Krämpfen des Jahres 1932 rasch. Seine antiparlamentarischen Instinkte setzten sich zunehmend durch. Diskussionen, Debatten, offene Kritik, Abstimmungen, das Aushandeln von Kompromissen – all das liebte Dollfuß nicht, wusste nicht damit umzugehen, nahm Anwürfe persönlich, reagierte mit Wut, Enttäuschung, Klagen, Depression, neigte mehr und mehr dazu, sich nur noch dort Rat zu holen, wo man ihm kritiklos zustimmte. Charakteristisch für Dollfuß, hat Gerhard Jagschitz geschrieben, sei eine »Mischung von Brutalität in der Anwendung der staatlichen Machtmittel und politischem Jonglieren«. Seine Fähigkeiten hätten einfach nicht ausgereicht, die »wahren politischen Kräfte« zu durchschauen und richtig einzusetzen.

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