Hohlbein Classics - Der Fluch der San Marino - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Hohlbein Classics - Der Fluch der San Marino E-Book

Wolfgang Hohlbein

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe "Hohlbein Classics" versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.

Die Story: Schreckliches geschieht alljährlich in einem winzigen Fischerdorf an der holländischen Küste. Menschen mieten sich in einem der Gasthöfe des Ortes ein und verschwinden anschließend spurlos. Niemand weiß, wo man nach ihnen suchen soll, denn niemand im Dorf kann sich anscheinend an sie erinnern. Damona King und Mike Hunter haben von diesem Geheimnis keine Ahnung. Sie wollen sich nur ein paar freie Tage gönnen - einen Urlaub, der ihr letzter sein soll. Dann wieder ist es soweit, dass ein Mensch verschwinden soll!

"Der Fluch der San Marino" erschien erstmals am 18.04.1983 unter dem Pseudonym Henry Wolf als Teil der "Damona-King"-Serie in der Reihe "Gespenster-Krimi".

Der Autor: Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 125

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverHohlbein ClassicsÜber diese FolgeÜber den AutorTitelImpressumDer Fluch der San MarinoVorschau

Hohlbein Classics

Jetzt zum ersten Mal als E-Book verfügbar: Die Reihe »Hohlbein Classics« versammelt die frühen Werke von Wolfgang Hohlbein, die seinerzeit im Romanheft erschienen sind.

Über diese Folge

Der Fluch der San Marino

Ein Gespenster-Krimi

Schreckliches geschieht alljährlich in einem winzigen Fischerdorf an der holländischen Küste. Menschen mieten sich in einem der Gasthöfe des Ortes ein und verschwinden anschließend spurlos. Niemand weiß, wo man nach ihnen suchen soll, denn niemand im Dorf kann sich anscheinend an sie erinnern. Damona King und Mike Hunter haben von diesem Geheimnis keine Ahnung. Sie wollen sich nur ein paar freie Tage gönnen – einen Urlaub, der ihr letzter sein soll. Dann wieder ist es soweit, dass ein Mensch verschwinden soll!

»Der Fluch der San Marino« erschien erstmals am 18.04.1983 unter dem Pseudonym Henry Wolf als Teil der »Damona-King«-Serie in der Reihe »Gespenster-Krimi«.

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein ist der erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor mit einer Gesamtauflage von über 40 Millionen Büchern weltweit.

WOLFGANG

HOHLBEIN

Der Fluch der San Marino

Ein Gespenster-Krimi Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Aktualisierte Neuausgabe der im Bastei Lübbe Verlag erschienenen Romanhefte aus der Reihe Gespenster-Krimi

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von © shutterstock/Natykach Nataliia; shutterstock/Dmitry Natashin

E-Book-Erstellung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7325-1419-9

Der Fluch der San Marino

Ein Gespenster-Krimi von Henry Wolf

Enkholm wusste, dass er keine Chance hatte. Die Straße war mehr als einen Kilometer entfernt, und selbst wenn es ihm gelänge, sie zu erreichen, würde das das Ende nur hinauszögern. Trotzdem lief er, rannte wie nie zuvor in seinem Leben.

Seine Füße sanken bei jedem Schritt bis über die Knöchel in feuchten Sand, und er spürte, wie er mit jedem Meter mehr Kraft verlor. Sein Atem ging schnell und pfeifend, und jeder Herzschlag schien von einem bohrenden, raschen Schmerz begleitet zu sein.

Er stolperte, glitt im feuchten Sand aus und kroch auf Händen und Knien weiter, stemmte sich hoch, fiel erneut und sprang wieder auf. Irgendwo hinter ihm schlug etwas mit dumpfem Geräusch in den Boden und wirbelte eine Sandfontäne auf, aber er sah sich nicht um.

Ein eisiger Windstoß fauchte von der See her über den Strand, brachte den Geruch von Salzwasser und fauligem Fleisch mit sich und überschüttete Enkholm mit Sand. Harte Schritte hämmerten hinter ihm auf den Boden. Er lief schneller, hetzte die Düne empor und stolperte, kurz bevor er ihren Kamm erreichte.

Diesmal dauerte es länger, bis er aufstand. Sekundenlang blieb er reglos liegen, das Gesicht in den feuchten Sand vergraben. In seiner Brust wühlte ein grausamer, heißer Schmerz, und vor seinen geschlossenen Augen wogten rote blutige Schleier. Er stemmte sich hoch, blieb weitere Sekunden auf Händen und Knien hocken und stand schließlich schwankend auf. Wieder hörte er Schritte hinter sich, dumpfe, platschende Schritte, begleitet von einem Geräusch, als schleife ein nasser Sack über Sandboden. Er wankte weiter, fiel wieder auf Hände und Knie und kroch, zu schwach, ein drittes Mal aufzustehen, vorwärts. Der lose Sand gab unter seinem Gewicht nach. Er fiel, rutschte ein Stück weit zurück und wälzte sich stöhnend auf den Rücken.

Sie waren unter ihm. Drei, vier dunkle, verschwommene Schatten, groß und drohend und von einer Wolke Übelkeit erregenden Verwesungsgestanks eingehüllt. Eine der bizarren Gestalten wich nach links aus und rannte um den Hügel herum, um ihm den Weg abzuschneiden, die drei anderen kamen weiter auf ihn zu.

Die Verzweiflung gab Enkholm neue Kraft. Er sprang auf, sah sich nach einem Fluchtweg um und duckte sich instinktiv, als eine der Gestalten nach ihm griff. Etwas Weiches, Schleimiges streifte seinen Nacken und schleuderte ihn zu Boden. Enkholm fiel vornüber, rollte sich instinktiv zu einem Ball zusammen und prallte gegen einen der Schatten. Eine riesige, schwammige Hand griff nach ihm, presste sich auf sein Gesicht und schnürte ihm den Atem ab. Er trat um sich, schlug blind in Todesangst zu und spürte, wie er etwas traf. Die Hand verschwand für einen Moment von seinem Gesicht. Er rang keuchend nach Luft, wälzte sich auf die Seite und versuchte aufzustehen.

Eine Hand zuckte aus der Dunkelheit auf ihn zu. Sie war verwest, das Fleisch bis auf den Knochen weggefault und da, wo es noch erhalten war, zu einer schwammigen, grünlichen Masse aufgequollen. Enkholm schrie auf, schlug die Klaue mit einer verzweifelten Bewegung zur Seite und stolperte zurück.

Sie hatten ihn eingekreist. Er brüllte, taumelte gegen eine der Albtraumgestalten und machte sich mit einer verzweifelten Bewegung frei, als dürre, schwammige Finger nach seinem Hals tasteten. Eine der drei Bestien warf sich gegen seine Beine und klammerte sich daran fest. Er wankte, fand mit wild rudernden Armen sein Gleichgewicht wieder und versuchte, sich loszureißen, schlug, trat und kämpfte mit der Kraft eines Besessenen. Seine Faust klatschte ins Gesicht des Ungeheuers, traf auf weiches, nachgiebiges Fleisch und Knochen. Aber das Ding schien keinen Schmerz zu kennen. Er sah, dass das Fleisch des Monsters da, wo seine Faust getroffen hatte, weggeplatzt, wie faltiger brauner Stoff zur Seite und zusammengeschoben war, sodass der Knochen weiß hervorschimmerte, aber das Ungeheuer schien die Verletzung nicht einmal zu spüren.

Er warf sich zurück, riss eine der Bestien mit sich zu Boden und zog die Beine an den Körper. Für einen Moment stieß er auf Widerstand, dann kam er mit einem ekelhaften, reißenden Geräusch frei, rutschte, von seinem eigenen Schwung mitgerissen, zwei, drei Meter die Düne herab und blieb liegen. Etwas Weiches, Kaltes hing an seinem rechten Bein. Er sprang auf, sah an sich herab und stieß einen gellenden Schrei aus.

An seinem Bein hing eine Hand.

Der Ruck, mit dem er sich befreit hatte, hatte den Knochen wie dünnes Pergament zerbrochen und sie losgerissen. Aber sie war keineswegs tot. Im Gegenteil.

Langsam, wie eine übergroße, fünfbeinige weiße Spinne, begann sie an seinem Körper emporzukriechen ...

Enkholm begann zu kreischen. Er wehrte sich nicht mehr, als die drei Schatten erneut auf ihn eindrangen.

***

1944

Das Schiff lag wie ein großer, dreieckiger Felsen vor der Küste. Von Zeit zu Zeit drang das dumpfe Klatschen der Wellen, die sich an seinem stählernen Rumpf brachen, über das Heulen des Sturmes, und hinter den abgedunkelten Bullaugen blitzte manchmal ein schwaches trübgelbes Licht auf, aber nur, um sofort wieder zu verschwinden. Der Horizont im Norden schien in Flammen zu stehen. Rotes flackerndes Licht warf blutigen Widerschein auf Meer und Wolken, und der Donner des heraufziehenden Gewitters vermischte sich mit dem entfernten Grollen der Geschütze zu einer höllischen Symphonie.

Der Mann zog die Schultern zusammen, schlug den Kragen seiner groben Arbeitsjacke hoch und verbarg fröstelnd die Hände in den Taschen. Der April war in diesem Jahr kälter als gewöhnlich, und hier, direkt am Meer, spürte man den eisigen Biss des Windes noch deutlicher. Er fror trotz der dicken Jacke und der schweren baumwollenen Hosen, die er übergestreift hatte, und das Sprechen fiel ihm zunehmend schwerer. Die Kälte ließ seine Lippen taub werden, und als er den Kopf wandte und zu dem reglos daliegenden Schiff hinüberstarrte, schlug der Wind wie mit unzähligen winzigen Krallen in sein ungeschütztes Gesicht.

»Sie müssen uns helfen«, sagte er, ohne seinen Gesprächspartner anzusehen. »Es wäre Mord, wenn Sie sich weigern.« Er scharrte mit der Fußspitze im Sand, nahm die Hände aus den Taschen und fuhr mit einem Ruck herum. »Sie müssen«, sagte er noch einmal.

Er war nicht allein am Strand. Vor ihm stand ein hochgewachsener, breitschultriger Mann. Er war dunkel gekleidet und trug einen Hut, dessen tief in die Stirn gezogene Krempe sein Gesicht in zwei scharf abgegrenzte Hälften zu teilen schien. Mund und Kinnpartie wurden vom dunkelroten Widerschein des Feuers in flackerndes Blut getaucht, während Stirn, Nase und Augen hinter einem Vorhang aus schattigem Schwarz verborgen blieben. Nur ab und zu blitzten seine Augen hinter dem Dunkel auf.

Er schüttelte den Kopf; langsam, als bereite ihm die Bewegung große Mühe.

»Es geht nicht«, sagte er. Seine Worte klangen holperig und ungeübt. Man spürte deutlich, dass er mit der Sprache zwar vertraut war, aber sehr wenig Übung hatte. »Ich würde es gerne tun, aber ...«

»Sie müssen!«, beharrte der andere. Er trat einen Schritt vor und deutete mit einer beschwörenden Geste auf den Feuervorhang am Horizont. »Wir haben nicht mehr viel Zeit, VanDijk! Die SAN MARINO ist nicht mehr seetüchtig. Wir …«

»Ich kann Ihnen nicht helfen, Mertens«, sagte VanDijk ruhig, aber in einem Tonfall, der etwas Endgültiges hatte. »Die SS geht in unserem Dorf ein und aus. Es würde keine vierundzwanzig Stunden dauern, und Sie und alle Ihre Schützlinge wären auf dem Weg in ein Konzentrationslager. Und meine Leute mit ihnen.«

Mertens schnaubte erregt. »Das ist es also! Sie haben Angst! Sie sind feige!«

VanDijk nickte ungerührt.

»Ja. Ich habe Angst, Mertens. Aber nicht um mich.« Seine Stimme wurde plötzlich flehend. »Bitte, Kapitän Mertens, begreifen Sie doch! Wenn es nur um mein Leben ginge, würde ich keine Sekunde zögern, jedes nur erdenkliche Risiko einzugehen. Aber ich habe die Verantwortung für ein ganzes Dorf. Sie wissen besser als ich, was die Deutschen mit denen machen, die Flüchtlinge versteckt halten!«

»Ich weiß es«, sagte Mertens erregt. »Aber ich weiß auch, dass ich auf meinem Schiff einhundertdreißig Frauen und Kinder und alte Leute habe, die der sichere Tod erwartet, wenn sie der SS in die Hände fallen. Alles, was ich verlange, ist, dass Sie sie für eine Nacht aufnehmen. Ich ... ich verspreche Ihnen, dass sie in längstens vierundzwanzig Stunden verschwunden sind. Ich werde eine andere Möglichkeit finden. Vielleicht ein anderes Schiff, Lastwagen ...«

VanDijk lachte leise und traurig. »Sie reden Blödsinn, Mertens, und Sie wissen es. Es wird kein anderes Schiff kommen, und die Deutschen werden gewiss keine Lastwagenkolonnen voller Juden durchlassen.« Er schüttelte erneut den Kopf. »Es tut mir leid, Kapitän. Versuchen Sie, die englische Küste zu erreichen. Dort wird man Sie aufnehmen.«

»Das Meer wimmelt von Kriegsschiffen!«, schrie Mertens plötzlich. »Sehen Sie es sich doch an.« Er packte VanDijk grob an der Schulter und riss ihn herum, sodass er den Widerschein des Seegefechtes ansehen musste. »Wir kommen keine zwei Meilen weit, ehe wir versenkt sind!«

VanDijk machte sich mit einer wütenden Bewegung los.

»Das hätten Sie sich eher überlegen müssen«, sagte er hart. »Ich kann das Risiko nicht eingehen. Ich trage die gleiche Verantwortung für die Menschen in meinem Dorf wie Sie für Ihre Besatzung. Sie wussten, welches Risiko Sie eingingen.«

»Das wusste ich nicht!«, brüllte Mertens. »Wir wären längst in Frankreich, wenn dieser verdammte Maschinenschaden nicht gewesen wäre. Bitte, VanDijk – nehmen Sie die Leute auf. Ich fahre mit der San Marino nach Ostende zurück und versuche, die Maschine reparieren zu lassen. Morgen Nacht komme ich wieder und nehme die Leute auf. Ich verspreche es!«

VanDijk maß den Kapitän mit einem Blick, der mehr aussagte als Worte.

»Es ist sinnlos«, sagte er ruhig. »Versuchen Sie, direkt an der Küste entlang nach Westen zu fahren. Mit etwas Glück laufen Sie den Amerikanern in die Hände.«

»Oder einem deutschen Torpedoboot.«

VanDijk schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und ging mit raschen Schritten die Düne empor, hinter der sich die kleine Ortschaft verbarg.

Mertens starrte ihm eine Weile nach, ehe er sich ebenfalls umwandte und zum Beiboot zurückging. Er schob es ächzend ins Wasser, griff nach den Riemen und ruderte los. Es war nicht weit bis zur SAN MARINO. Das Wasser war hier tiefer als an irgendeiner anderen Stelle der niederländischen Küste, einer der Gründe, aus denen er das havarierte Schiff hierher gebracht hatte, und sie hatten bis dicht an den Strand heranfahren können. Er erreichte die SAN MARINO nach wenigen Ruderschlägen. Eine Strickleiter wurde zu ihm heruntergeworfen, helfende Hände streckten sich ihm entgegen, und wenige Augenblicke später befand er sich wieder auf dem überfüllten Deck des kleinen Schiffes.

In seiner Kehle saß plötzlich ein bitterer, harter Kloß. Mit einem Mal fiel es ihm schwer, den Menschen, die auf ihn zutraten und ihn hoffnungsvoll ansahen, ins Gesicht zu blicken. Sie hatten ihre gesamte Hoffnung in ihn gesetzt, all ihre Habe und ihre Heimat aufgegeben und ihr Leben praktisch in seine Hand gelegt.

Es war nicht das erste Mal, dass die SAN MARINO einen Transport mit Flüchtlingen von Ostende nach Frankreich brachte – Menschen, die dem Terror des Nazi-Regimes in Deutschland entfliehen wollten, die von der Gestapo gejagt wurden oder einfach nur Angst hatten. Mertens wusste längst nicht mehr, wie viele Tausend Menschen – vornehmlich Juden – er mit dem angeblichen Kohlefrachter bei Nacht und Nebel allen deutschen Blockaden und Sperren zum Trotz ins rettende Frankreich gebracht hatte. Auch dort wurden sie nicht mit offenen Armen empfangen, aber man brachte sie wenigstens nicht um.

Er hatte immer gewusst, dass es eines Tages schiefgehen würde, dass es ihn irgendwann einmal erwischte. Das Unternehmen hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. Sie hatten überhastet aufbrechen müssen, und es war eigentlich nur einem Wunder zu verdanken, dass sie der auslaufenden deutschen Flotte nicht direkt vor die Kanonen gefahren waren. Und dann der Maschinenschaden. Gleich zwei der vier Dieselmotoren der SAN MARINO waren ausgefallen. Das Schiff erreichte nicht einmal mehr ein Drittel seiner normalen Geschwindigkeit. Dazu kam die Schlacht, die irgendwo vor ihnen im englischen Kanal tobte. Mertens hatte keine Ahnung, gegen wen sie kämpften. Vermutlich hatten sie – was in letzter Zeit häufiger vorkam – einen amerikanischen Geleitzug entdeckt und bemühten sich nun, ihn auf den Meeresgrund zu befördern, ehe englische Luftunterstützung eintraf. Es wäre der reine Wahnsinn, sich unter diesen Umständen mit einem kaum noch seetüchtigen Schiff auf das offene Meer hinauszuwagen.

Er merkte plötzlich, dass er seit fast einer Minute stumm dastand und vor sich hinstarrte. Er fuhr auf, räusperte sich verlegen und drängte sich hastig zur Brücke durch.

Jemand griff nach seinem Arm. Mertens fuhr ärgerlich herum, streifte die Hand ab und wollte weitergehen. Aber ein anderer Mann vertrat ihm den Weg. Der Kapitän erschauerte unter dem Blick großer dunkler Augen, in denen sich Hoffnungslosigkeit und Angst spiegelten.

»Nun?«

»Was, nun?«, fragte Mertens scharf, um seine Unsicherheit zu verbergen.

»Gehen wir an Land?«

Der Kapitän zögerte einen Moment und schüttelte dann knapp den Kopf. »Nein. Es geht nicht.«

»Was soll das heißen, es geht nicht?«

»Das soll heißen, dass es nicht geht. Wir können nicht an Land.«

»Und jetzt?«

Mertens setzte zu einer scharfen Entgegnung an, überlegte es sich dann anders und ging wortlos an dem Mann vorbei die Treppe zum Ruderhaus hinauf. Er hatte genug Sorgen. Es half weder ihm noch seinen Passagieren, wenn er sich auf endlose Diskussionen einließ, die doch zu nichts führten.

Er lief mit wenigen Schritten die Stufen empor, warf die Tür hinter sich ins Schloss und atmete erleichtert auf. Er glaubte die Blicke der Passagiere wie glühende Messer im Rücken zu spüren. Und er fühlte sich mit jeder Sekunde schlechter. Das, was er dem Mann da draußen gesagt hatte, kam einem Todesurteil gleich. Die Nachricht würde sich in Windeseile verbreiten.