HR Management und Mutterschaft - Susanne Dietz - E-Book

HR Management und Mutterschaft E-Book

Susanne Dietz

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  • Herausgeber: UVK
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Unternehmen konnten in jüngster Vergangenheit im Personalbereich viele Problemfelder nicht beseitigen: Der Fachkräftemangel, der bereits vor Jahren mit erhobenem Zeigefinger prognostiziert wurde, hält inzwischen Einzug in nahezu allen Fachbereichen und Branchen. Employer Branding und War for Talents sind längst keine exotischen Begrifflichkeiten mehr, sondern fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Zugleich wird der Ruf nach weiblichen Führungskräften immer lauter. In diesem Buch wird aufgezeigt, dass die Lösung dieser Problemebenen in der konsequenten Berücksichtigung der weiblichen Fach- und Führungskräfte liegt - und zwar vor, während und nach der Mutterschaft. Es wird aufgezeigt, welche Maßnahmen das Personalmanagement ergreifen muss, um einerseits dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und wie die Frauenquote irrelevant wird. Andererseits kann mit der Beseitigung dieser Personalproblematik der wirtschaftlicher Erfolg durch einen Wettbewerbsvorteil im Personalmanagement erreicht werden.

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Seitenzahl: 211

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Susanne Dietz / Peter Kugler

HR Management und Mutterschaft

Weibliche Fach- und Führungskräfte für Unternehmen sichern

Umschlagabbildung: © monkeybusinessimages iStockphoto

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381106325

 

© UVK Verlag 2024— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISBN 978-3-381-10631-8 (Print)

ISBN 978-3-381-10633-2 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Fachkräftemangel, Frauenquoten und verlorene High Potentials1.1 Fachkräftemangel1.2 Über die Anforderungen an die moderne Frau und die großartigen Abiturientinnen und Hochschulabsolventinnen1.3 Fluktuation von Potenzialträgerinnen und sensitiver Punkt: Elternzeit1.4 Mitschuldig: Werbung, soziale Medien, SozialisationTraditionelle Rollen von FrauenDer schöne Schein der WerbeweltDie gefährlichen sozialen MedienDie vermeintlichen VorbilderDie fehlende Offenheit unter MütternDie individuelle Biografie und Herkunftsfamilie1.5 Multioptions- und Sinngesellschaft1.6 Über die Verantwortung von Müttern, Vätern, Kolleg:innen und Arbeitgebern2 Warum es partnerschaftliches Miteinander braucht, damit weibliche Fach- und Führungskräfte bleiben2.1 Die Arbeitgeber-Mutter-Beziehung und warum guter Kontakt wichtig ist„Die große Liebe“ – Wie alles beginnt.Warum Veränderung unausweichlich ist, nicht nur für MütterScheidungsgründe und was Unternehmen präventiv dagegen tun können.2.2 Was guten Kontakt wirklich ausmachtUnternehmenskulturStimmigkeitUnsere Empfehlung für guten Kontakt2.3 Der Kontakt vor, während und nach der ElternzeitVor der ElternzeitWährend der ElternzeitNach der Elternzeit2.4 Verantwortung der Führungskraft und ZielgruppenanalyseZielgruppenanalyse als Basis für gemeinsamen Erfolg3 Über die Identitätsentwicklung zur Mutter und was wirklich passiert3.1 Die 5 Säulen der Identität nach PetzoldKörper und GesundheitSoziale BeziehungenArbeit und LeistungMaterielle SicherheitSinn und Werte3.2 Mütter als Wettbewerbsvorteil – Kompetenzen, die vor allem Mütter habenBusiness-Kompetenz: Flexiblität und AgilitätBusiness-Kompetenz: ResilienzBusiness-Kompetenz: DiversitätBusiness-Kompetenz: EffizienzBusiness-Kompetenz: ChangeBusiness-Kompetenz: Führung4 Programme, Tipps und konkrete Maßnahmen4.1 Kultur, Mindset und Zeit4.2 Die drei häufigsten Gründe für das Misslingen des WiedereinstiegsÜberhöhte Ansprüche und Ehrlichkeit der MütterOrientierungslosigkeit und IsolationPlanlosigkeit und fehlende gemeinsame Ziele4.3 Warum Vereinbarkeit alle angeht4.4 Hard-Facts der Vereinbarkeit: Prozesse, Arbeitszeiten, Finanzen und KinderbetreuungProzesse aufsetzen und kommunizierenFlexible Arbeitszeit- und ArbeitsortgestaltungFührung in TeilzeitFinanzielle Unterstützung als unterschätzte Ressource der familienfreundlichen KulturOrganisationen in der Organisation: Kinderbetreuung und Kantine4.5 Coaching, Workshops, Onboarding Programme, Teamentwicklungen, ElternetzwerkeCoaching und WorkshopsEntsendung in die Elternzeit und Onboarding-Programme zum WiedereinstiegTeamentwicklungen vor, während und nach der ElternzeitPerspektivenplanung mit High-Potential-MütterEltern-Netzwerke und Mentoring-Programme4.6 Kommunikation – das A und OKommunikation der SchwangerschaftKultur der Ehrlichkeit und OffenheitKontaktpläne und Regelkommunikation in der ElternzeitEin unterschätztes (Gefahren-)Potenzial4.7 Zu guter Letzt: Verständnis – im Sinne von Verstehen – füreinander aufbauenEin Wort zum SchlussQuellenLiteraturWebsite-Links:KontaktplanFahrplan KontaktplanIndex

Vorwort

Damals war ich Mitte 20 und Personalentwicklerin in einem Konzern. Donnerstagabend, ich saß im Büro meines Chefs. Etwas lustlos und mit Gedanken schon in der S-Bahn nach Hause setzte ich mich an den mit Papier überfüllten Besprechungstisch meines Chefs. Es ging um meine Kollegin. Sie hatte Anfang der Woche ihre Schwangerschaft verkündet und zu diesem Zeitpunkt bereits die Bereitschaft signalisiert nach wenigen Monaten Elternzeit von zu Hause aus ein paar Stunden arbeiten zu wollen. „Völlig ok,“ dachte ich und damit war das Thema für mich durch. Mein Chef, Vater von drei erwachsenen Kindern, sah dieses Vorhaben damals kritisch und äußerte in diesem Gespräch mit mir: „Es hängt im Grunde davon ab, wie das Kind ist. Das können wir jetzt noch gar nicht sagen, ob wir die Kollegin nach ein paar Monaten schon wieder einsetzen können.“ Stupide und fast lethargisch wiederholte ich seine Worte, ohne nur einen Funken Ahnung zu haben, was dieser wirklich bedeutet: „Jaja, das stimmt schon, wir müssen erst abwarten, wie das Kind ist.“

Jahre später, als ich selbst Mutter wurde, schämte ich mich im Nachhinein für diese leidenschaftslose Unterhaltung. Zu meiner Verteidigung – und da sind wir schon beim Hauptproblem – ich hatte damals ja keine Vorstellung, wie unterschiedlich der Start in die Mutterschaft ausfallen kann, was Mutterwerden mit der eigenen Persönlichkeit macht und dass es da diese ungewisse Komponente Kind mit ganz individuellem Temperament gibt. Hinzu kommt die gesundheitliche Konstitution der Mutter, die Identitätsentwicklung zur Mutter, die das Wertegerüst komplett auf den Kopf stellt, Prioritäten verschiebt und damit in der Schwangerschaft stimmige Wiedereinstiegspläne gänzlich zu nichte machen können. Ich hatte wirklich keine Ahnung!

Ich frage mich auch heute noch oft, wäre es leichter gewesen, in der ersten Zeit mit meinem Baby, wenn mir jemand ehrlich und in all seinen Facetten erzählt hätte, was es wirklich bedeutet Mutter zu werden? Hätte ich es verstanden, welche Herausforderungen auf mich zukommen und was es mit mir und meinem Job macht, in dem ich doch immer so viel Sinn gefunden habe? Wieder: Keine Ahnung!

Doch eines weiß ich, da bin ich mir sicher: Ich hatte damals einen riesigen blinden Fleck – und das obwohl ich, wie mir oft zurückgemeldet wurde, als HR-Managerin meiner Zeit in vielen Dingen meiner Zeit immer voraus war. Mir war nicht bewusst, welch unglaubliches Potenzial in deutschen Unternehmen brach liegt: Das Potenzial der vergessenen Mütter. Frauen, die gut ausgebildet, hoch ambitioniert sind und dann schlichtweg vergessen und damit den Unternehmen als Fach- und Führungskräfte verloren gehen. Ganz einfach dann, wenn sie Mutter geworden sind. Unternehmen versäumen es diese Lebensphase mit ihren Mitarbeiterinnen gemeinsam zu gehen, so auch die Chance die Mitarbeiterin für eine langfristige Arbeitgeber-Arbeitnehmerinnen Beziehung zu sichern und damit gleichzeitig die komplette Organisation auf eine komplett neue Entwicklungsstufe zu heben. Es fehlen interne Prozesse sowie Entwicklungsmaßnahmen, aber vor allem das Bewusstheit über das Potenzial dieser Frauen und der Identitätsentwicklung als Mutter. Einst hoch im Kurs gehandelte webiliche High-Potentials sind für immer verloren.

Ich erinnere mich, eine ältere Kollegin erwähnte damals schon in einem Nebensatz beim Mittagessen, dass es doch dumm von Unternehmen wäre, nicht in die Mütter zu investieren. Denn angenommen eine Frau würde mit Mitte 30 ein Kind bekommen und lassen wir es mal 10 Jahre sein, in der die Mutter nur in Teilzeit zurückkommt, dann verbleiben mit Mitte 40 immer noch 20 Jahre Arbeitsleben, in dem die Mütter aber dann wirklich motiviert arbeiten können und werden. Weil sie den Job durch die Anstrengungen der Mutterschaft schätzen gelernt hat, weil sie gemerkt hat, wie wichtig der Job für ein erfülltes Leben ist, aber vor allem, weil sie dankbar ist, dass der Arbeitgeber die herausfordernde Zeit mit kleinen Kindern mit ihr gemeinsam gestemmt hat. Diese Mitarbeiterin ist nicht nur motiviert, sondern auch langfristig loyal. Das ist keine schwierige Rechnung. Und ich stimme ihr da nach 10 Jahren berufstätiger Mutterschaft vollkommen zu.

Wenn Vereinbarkeit, speziell Wiedereinstieg und die Integration weiblicher High-Potentials gelingen soll, dann müssen sowohl Arbeitgeber als auch Mütter selbst in die Verantwortung kommen. Sie dürfen die Lebensphase „Mutterschaft“ als gemeinschaftliches Projekt sehen und damit auch gemeinsam gestalten.

Und genau darum soll es gehen. Es geht uns – Peter Kugler und mir – in erster Linie darum im HR-Management Bewusstheit zu schaffen, dass weibliche Fach- und Führungskräfte bereits in Ihrem Unternehmen vorhanden sind. Viel zu viele gut ausgebildete Mütter kommen gar nicht oder nur in „minderwertige“ Positionen in die Arbeitswelt zurück. Wir möchten die Erkenntnis an smarte Arbeitgeber weitergeben, dass Vereinbarkeit als Kulturmerkmal ein echter Wettbewerbsvorteil ist und damit sämtliche negative Vorurteile, die Mutterschaft mit sich bringen zu relativieren und zu beseitigen. Es geht darum, dass Arbeitgeber dann den Fach- und Führungskräftemangel deutlich mildern können, indem sie die Mitarbeiterinnen fördern, die bereits da sind bzw. von anderen Arbeitgebern vergessen wurden – ganz einfach, weil sie Mutter geworden sind. Wir möchten neben der aktuellen Situation von Müttern auf den Erfolgsfaktor des Kontakthaltens zwischen Arbeitgeber und Mutter eingehen, die Identitätsentwicklung von Frauen zur Mutter beleuchten und damit eine Antwort geben, warum Chefs oft nach der Elternzeit rückmelden „Da kam eine komplett andere Frau zurück!“.

Wir bieten einen großen Blumenstrauß an Lösungen an, wie gelungenes HR-Management mit dem Thema Mutterschaft aussehen kann und Unternehmen dadurch Vorreiter in Sachen Arbeitgeberattraktivität werden können.

An verschiedenen Stellen des Buches auf den Podcast

buSINNess MOM, der Podcast für Vereinbarkeit

von Susanne Dietz verwiesen – z. B. erreichbar unter

https://businnessmom.captivate.fm

1Fachkräftemangel, Frauenquoten und verlorene High Potentials

“Sonst noch was?“

Die Situation von Unternehmen und Mütten ist auf beiden Seiten seit Jahren eine schwierige: In Unternehmen zieht der seit Jahren prognostizierte Fach- und Führungskärftemangel ein. Der Kampf um die besten Mitarbeiter:innen gestaltet sich zunehmend anstrengender und komplexer. Unternehmerische Existenzen drohen daran zu zerbrechen. Frauen hingegen wurden durch die Krisen der letzten Jahre, zu wenig zeitgemäßer Maßnahmen seitens Politik und Wirtschaft, aber auch aufgrund mangelnder Eigenverantwortung als wertvolle menschliche Ressource für Arbeitgeber vergessen. Ja noch weiter, sie drohen sogar mehr und mehr zurück in die Rolle der Frau im Heim zu kehren und damit unsichtbar zu werden. Die Investition in Bildung und Förderung von Frauen in den ersten Berufsjahren scheint damit wert- und sinnlos.

Im Folgenden skizzieren wir die aktuelle Situation für Unternehmen und vor allem auch für Mütter. Wir benennen die wichtigsten Faktoren, warum Vereinbarkeit aus unserer Sicht noch nicht gelingt und möchten dadurch einen allumfassenden und multiperspektivischen Überblick über das Thema geben.

1.1Fachkräftemangel

„Seit Jahren nichts Neues“

Vor etwa 20 Jahren gab es bereits Prognosen, dass die Anzahl der arbeitssuchenden Akademiker:innen verschwindend gering werden würde.

Konkret vorstellen konnte sich das damals niemand. Wir selbst auch nicht. Denn trotz sehr guter Referenzen, Zensuren und Zertifikate brauchte man vor 20 Jahren immer noch eine große Portion Glück, um einen Job zu bekommen, der den eigenen Vorstellungen entsprach. Es war in der Tat so, Bewerber:innen mussten sich gut verkaufen können, bereit sein Kompromisse wie Wohnortwechsel einzugehen und proaktiv engagiert tätig zu werden. Heute, in Zeiten in denen Begriffe wie Employer Branding und War for Talent zum Standard-Portfolio jeder Personalabteilung gehören, hat sich das Blatt gewendet: Die Arbeitgeber sind es nun, die sich gut verkaufen dürfen und die Bewerber:innen stehen vor der Qual der Wahl.

Lassen Sie uns zu Beginn auf einige wenige relevante Zahlen sehen:

Laut Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (www.bmwk.de, Stand 24.9.2023) fehlen 630.000 Fachkräfte in Deutschland. Das ist die Anzahl der offenen Arbeitsstellen, für welche keine qualifizierten Bewerber verfügbar sind. Ein Drittel der internationalen Studierenden bleibt nach dem Studium in Deutschland und ist damit für den Arbeitsmarkt verfügbar. 2021 waren es drei von vier Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgingen.

Laut Statistischem Bundesamt (Destatis, Stand 24.9.2023) gehen im Jahre 2020 75 Prozent der Mütter einer Erwerbsarbeit nach. Davon sind 65,5 Prozent in Teilzeit – jede vierte Mutter geht einer geringfügigen Teilzeit von weniger als 15h/Woche nach –, während nur 7,1 Prozent der Väter in Teilzeit erwerbstätitg sind. (siehe Abbildung) Frauen gehen dadurch, dass sie den Großteil der Care-Arbeit im Haushalt übernehmen – Betreuung von Kindern, aber auch älteren pflegebedürftigen Familienangehörigen – dem Arbeitsmarkt zeitweise oder sogar dauerhaft verloren.

Bei den Frauen ohne Kinder sind es hingegen zwei Drittel der Erwerbstätigen, die in Vollzeit sind, so das Bundesminisiterium für Familie und Soziales in einem Bericht „Ausgeübte Erwerbstätigkeit von Müttern“ von 2010.

Betrachtet man das Thema Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen so ist festzuhalten, dass laut einer Studie (Bundesamt für Statistik) in 2018 bei 26 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss kinderlos waren. Das heißt im Umkehrschluss, dass 74 Prozent der Frauen mit Hochschulabschluss mit dem Thema Vereinbarkeit konfrontiert sind, was wiederum in der Besetzung von Fach- und Führungpositionen unbedingt berücksichtigt werden sollte.

Wir möchten uns hier gar nicht lange mit Statistiken und alarmierenden Zahlen aufhalten. Dazu gibt es seit Jahrzehnten hervorragende Publikationen und Arbeiten diverser Institute. Doch Fakt ist: Wir haben seit Jahren FachkräftemangelFachkräftemangel in Deutschland, der nicht nur die MINT-Bereiche betrifft, sondern nahezu überall Einzug hält. Gleichzeitig haben wir exzellent ausgebildete Mütter, die zu Hause sitzen und vergessen wurden und irgendwann kaum Selbstbewusstsein für eine gelingende Rückkehr in den Arbeitsmarkt haben – wegen einer einfachen Tatsache, die so alt ist wie die Menschheit selbst: Sie sind Mutter geworden.

Ursula von der Leyen erwähnte es bereits 2008 im Rahmen der Initiative „Perspektive Wiedereinstieg“ des Bundesfamilienministeriums und der Bundesagentur für Arbeit:

„Gelingt einer Mutter um das 40. Lebensjahr der Wiedereinstieg, gibt es auf allen Seiten nur Gewinner. Die Berufsrückkehrerin hat die große Chance, die rund 27 verbleibenden Erwerbsjahre bis zum Erreichen der Altersgrenze intensiv zu nutzen. Und zwar nicht nur für den eigenen Berufsweg, sondern – heute mindestens so wichtig – für eine solidiere und unabhängige finanzielle Absicherung im Alter. Auch für die Unternehmen rechnet sich die Beschäftigung von Frauen nach der Familienzeit. Wiedereinsteigerinnen sind in der Regel hoch motiviert, zuverlässig und reich an Lebenserfahrung und Kompetenz. Diese Erkenntnis muss in Zeiten eines nahenden Fachkräftemangels jeden pfiffigen Personaler aufhorchen lassen.“ (Allmendinger 2010, S. 23)

Was damals schon richtig erkannt und prognostiziert wurde, hat jedoch nun fast 15 Jahre später noch kaum Gehör gefunden und auch Arbeitgeber sind auch nur sehr zaghaft in die Umsetzung gekommen. Vermutlich war der Leidensdruck bisher noch nicht groß genug, um das Potenzial der gut ausgebildeten Mütter, die zu Hause vergessen wurden, zu heben.

Die amtierende Familienministerin Lisa Paus hat die große Chance für Arbeitgeber, Chefs und Personaler im Oktober 2022 auf den Punkt gebracht:

"Wenn alle Frauen mit Kindern unter sechs Jahren so viele Stunden im Job arbeiten würden, wie sie Umfragen zufolge gerne möchten, dann hätten wir mit einem Schlag 840.000 mehr Arbeitskräfte in Deutschland.“ (SZ 17.10.2022, „Familienministerin: Frauen als Lösung für Fachkräftemangel“)

Das heißt für Arbeitgeber konkret: Wenn Deutschland attraktiver Wirtschaftsstandort bleiben möchte, dann muss es den Fachkräftemangel bezwingen. Es wird nur funktionieren, wenn sie die große, bisher nicht verinnerlichte Chance nutzen, die 800.000 gut ausgebildeten Frauen zurück in den Arbeitsmarkt zu holen.

1.2Über die Anforderungen an die moderne Frau und die großartigen Abiturientinnen und Hochschulabsolventinnen

„Die Leistungstöchter unserer Gesellschaft“

Sabine Asgodom sagte in einem Gespräch, dass in den 1980ern die Frauenbewegung schon viel weiter fortgeschritten war, als wir es heute vorfinden.

Podcastfolge 53 „Queen of fucking everything!“ – buSINNess® Talk mit Sabine Asgodom, 27.5.2021

https://businnessmom.captivate.fm/episode/queen-of-fucking-everything-businness-talk-mit-sabine-asgodom

Damals gab es viel mehr Solidarität unter Frauen und auch unter Eltern. Probleme wurden sichtbar gemacht und darüber gesprochen. In den letzten Jahrzehnten wurde diese Bewegung jedoch rückläufig. Frauen wurden leiser und weniger sichtbar. Es scheint so, als wären sie von der traditionellen Rolle der Frau eingeholt worden.

Beispielsweise hatte man während der Krise 2008 messen können, dass Werte wie Familie und dadurch auch die Lebensentwürfe von Frauen in der Krise verändert wurden. Plötzlich wurde das Kinderkriegen wieder attraktiver und auch die traditionelle Rolle der Frau einer „Stay-at-home-Mom“ schlich sich fast unmerklich in die Köpfe junger Frauen.

Die Sache mit der Kindererziehung ist inzwischen ohnehin eine sehr komplizierte. Aus unserer persönlichen Sicht, mit noch recht kleinen Kindern, können wir sagen, nur um das Thema kurz anzureißen und die Herausforderungen junger Eltern zu skizzieren: Man kann es nicht richtig machen. Konzepte der Bedürfnisorientierung, welche fälschlicherweise oft so ausgelegt werden, dass die Kinder machen und tun dürfen, was sie wollen und gleichzeitig Selbstfürsorge-Trends, bei denen man ganz stark auf sich selbst achten sollte, um nicht eines Tages im Familien-Dschungel zu kollabieren, machen es richtig schwer: Bedürfnisse aller Familienmitglieder beachten, sich selbst dabei nicht zu vergessen. Das sei jedoch nur am Rande erwähnt, soll jedoch deutlich machen, dass sich Eltern und vor allem Frauen schon alleine in der Rolle der Erziehungsberechtigten oft überfordert fühlen. Junge Eltern fühlen sich zerrissen, verunsichert, verlieren den Kontakt zu sich selbst.

Es bedarf schon eines recht stabilen Wertekonstrukts sich in diesem Hin-und-her und Richtig-und-Falsch nicht zu verlieren. Was gleichzeitig absurd und unmöglich erscheint, wenn man sich die heftige Identitätsentwicklung einer Mutter ansieht, die automatisch einen Wertewandel mit sich bringt (siehe Kapitel 3).

Moderne Frauen stehen daher mehr als je zuvor vor den Herausforderungen mannigfaltige Rollen auf ganz unterschiedlichen Bühnen bespielen zu können:

Die liebevolle Mutter, die ihre Kinder in ihrer Einzigartigkeit erkennt und damit individuell fördert und entwickelt.

Die einfühlsame Partnerin, die die eigene Liebesbeziehung nicht aus den Augen verliert.

Die nach wie vor ambitionierte Business-Lady, die Sinn in ihrem Job findet und dabei einen wertvollen Beitrag zu einer modernen Gesellschaft leistet.

Und zuletzt die achtsame Frau, die Selbstliebe kennt und lebt und dabei auf einen gesunden und ausgeglichenen Lebensstil achtet.

Und: Eine Frau, die es schafft, sich vom Perfektionismus zu lösen und dabei Gelassenheit für das ganze Familiensystem ausstrahlt.

Aus unserer Perspektive unmöglich: Frustration aufgrund überhöhter Ansprüche an sich selbst ist vorprogrammiert. Es erfordert ein gigantisches Maß an Selbstreflexion, ein Umfeld, das achtsam kooperiert und vielleicht auch manchmal ein bisschen Glück sich nicht komplett in all den selbst gesteckten Anforderungen zu verlieren. Denn auch das sei hier erwähnt: Vor allem Frauen neigen dazu die Erwartungen an sich selbst viel zu hoch zu stecken. Das große Lernfeld vieler Frauen ist: Netter zu sich selbst sein. Scheitern und dadurch verbundener Frust ist unumgänglich. Der Selbstwert sinkt. Ein selbstzerstörerischer Mechanismus.

In einer norwegischen Studie (von Scheppingen et al. 2018) wurden 84.000 Mütter zu ihrem Selbstbild als Mutter befragt. Die Befragungen fanden während der Schwangerschaft bis zum Alter des Kindes von drei Jahren wiederholt statt. Die Frauen sollten Fragen über sich selbst wie „Manchmal fühle ich mich komplett nutzlos“ beantworten. Dabei stellte Manon von Scheppingen und sein Team von der Universität Tilburg fest, dass das SelbstwertgefühlSelbstwertgefühl bereits während der Schwangerschaft zu schwinden begann und sich dieser Trend nach der Entbindung forsetzte, unabhängig davon, ob es sich um erstes, zweites, drittes etc. Kind handelte. Frauen trauten sich demnach, je länger sie in der Rolle der Mutter und je länger sie aus dem Jobumfeld heraus waren, weniger zu. Das Selbstbewusstsein sank und der innere Antrieb mit voller Kraft zurück in den Job zu kehren verschwand.

Gründe für das sinkende Selbstwertgefühl können wie folgt erklärt werden:

Der Kontakt zu sich selbst geht verloren (siehe auch Identitätsentwicklung, Kapitel 3).

Die körperlichen Veränderungen werden oft als negativ wahrgenommen und die Frau entspricht weniger dem gängigen Schönheitsideal.

Die Beziehung in der Partnerschaft verschlechtert sich und es fehlt an Bestätigung der eigenen Persönlichkeit.

Das gesellschaftliche Bild des Mutterseins vermittelt oft wenig Wertschätzung und entsprechende Bezahlung fehlt.

Isolation der Mutter mit dem Kind zu Hause schwächen die Psyche, die sozialen Kontakte nehmen ab, Bestätigung und Interesse von Außen fehlen.

Es mangelt an Ehrlichkeit unter Müttern und über echte Herausforderungen wird nicht gesprochen. Das Gefühl als Einzige „es nicht hinzubekommen“ macht sich breit.

Aufgrund des sinkenden Selbstbewusstseins und vor allem fehlender Bestätigung von Außen ist der Kontakt zwischen Müttern und Arbeitgeber ein so elementarer Bestandteil, dass Wiedereinstieg wirklich gelingt. Ausführlich gehen wir dazu in Kapitel 2 darauf ein. Arbeitgeber, Führungkräfte und HR-Manager dürfen sich dieses Phänomen bewusst machen und die Mütter in ihrem Unternehmen immer wieder aktivieren. Gleichzeitig bedarf es der Fähigkeit Wertschätzung für ihre besondere Leistung am Unternehmen sowie als Mutter an einer Zukunft für alle auszudrücken. Leider ist nicht selten das Gegenteil der Fall.

Ein Praxisfall dazu:

Maria, promovierte Psychologin und Personalentwicklerin im Konzern, ist das Zugpferd der Abteilung, so ihr Chef. Sie ist diejenige, welche gute Ideen einbringt, vorangeht, sich nicht scheut neue Projekte vor dem Vorstand zu präsentieren, ist empathisch gegenüber ihren Teamkolleg:innen. Sie wird intern als die neue Personalleiterin gehandelt. Eine Frage der Zeit.

Maria wird schwanger. Ab da wird alles anders. Sie wird von großen Projekten abgezogen, weil man ihr das nicht mehr zumuten könne. Einen Perspektivenplan für die Elternzeit und den Wiedereinstieg gibt es nicht, da müsse man kurz vorher betrachten, wie Maria dann wieder eingesetzt werden würde. Man unterstellt ihr, sie würde ja vielleicht gar nicht mehr zurückkommen oder nur für ein paar Stunden, ohne das mit ihr geklärt zu haben. Und der intrigante Kollege, der keinen Mehrwert für das Vorankommen der Abteilung bisher hatte und stets Sand im Getriebe war, schafft es nun sich für die Position des Personalleiters ins Gespräch zu bringen.

Maria ist traurig, wütend, frustriert und enttäuscht. Sie spricht jedoch intern mit niemanden darüber. Sie ist professionell, wie sie es immer war. Mit dieser großen Kränkung und der fehlenden Wertschätzung geht sie in die Elternzeit. In dieser Zeit gewinnt sie Abstand zu dem, was vorgefallen ist. Sie stellt zugleich fest, dass Muttersein nicht ausreicht. Sie will nach einem Jahr Elternzeit zurück in den Job.

Drei Monate vor Ablauf des Jahres in Elternzeit ruft sie daher ihren Chef an, um zu klären, wie sie gemeinsam ihren Wiedereinstieg gestalten können. Auf die Frage, wann und wie Maria denn wiederkommen könnte, antwortet ihr Chef überfordert: „Ach, das ist ja eine Überraschung, mit Ihnen hatten wir gar nicht mehr gerechnet. Ja, lassen Sie mich mal überlegen, also bei uns in der Abteilung… da kriege ich Sie beim besten Willen nicht mehr unter. Aber in der Nachbarabteilung, da wäre eine Sachbearbeiter-Stelle in Teilzeit frei. Die Aufgabe auf dieser Stelle beinhaltet Arbeitszeugnisse am Zeugnisgenerator schreiben. Sie müssten aber dann intern auf ihren Doktor-Titel verzichten. Sie verstehen sicherlich, das wäre sonst ein wenig blöd für ihre künftigen Kollegen und Kolleginnen, die ja alle keinen Titel haben.“

Maria kehrt zurück. Auf die Sachbearbeiterstelle. Sie verzichtet intern auf die Nennung ihres Doktortitels. Hatte aber unmittelbar nach dem Telefonat einen Entschluss gefasst: Ab jetzt nur noch Dienst nach Vorschrift – bis sich etwas Neues findet oder – sie vielleicht dann doch gleich noch ein zweites Kind bekommt.

Aus der einst so ambitionierten, talentierten und und fleißigen Mitarbeiterin ist unwiederruflich eine traurige, enttäuschte Nine-to-Five-Söldnerin geworden. Eine ausgezeichnete Mitarbeiterin für immer fürs Unternehmen und vielleicht sogar die ganze Arbeitsweilt verloren.

1.3Fluktuation von Potenzialträgerinnen und sensitiver Punkt: Elternzeit

„Sucht ihr euch einen anderen Clown und ich such mir einen anderen Zirkus.“

Woran liegt es, dass Frauen, welche ohnehin so diszipliniert, anspruchsvoll an sich selbst arbeiten aus den Talent- und Führungskräfte-Pools verschwinden und als Fach- und Führungskräfte für die Unternehmen nicht mehr verfügbar sind? Gehen wir ein paar Schritte zurück. An den Anfang jeder beruflichen Karriere.

Frauen haben die besseren Schul-, Hochschul- und Ausbildungsabschlüsse und sind auch in der Mehrzahl. Laut einer Pressemitteilung vom 27.2.2023 des Statistischen Bundesamts lag der Frauenanteil bei den Studienberechtigten – also Schulabgänger mit Hochschulreife – bei 54,3 Prozent.

Anmerkung zur Abbildung:

Ohne Abiturient:innen von Abendrealschulen, Abendgymnasien, Kollegs und Externe. Der alterstypischJahrgang in Bundesländern mit 12 Jahren bis zum Abitur (G8) ist der Durchschnitt der 18- und 19-Jährigen, in Ländern mit 13 Jahren bis zum Abitur (G9) der Durchschnitt der 19- und 20-Jährigen.

Quelle: Marcel Helbig (2010). Sind Mädchen besser? Campus Verlag, S. 69; für die Jahre ab 2015 ergänzend Datenabruf von Genesis-Online Lizenz: Creative Commons by-nc-nd/3.0/de Bundeszentrale für politische Bildung, 2020, www.bpb.dehttps://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/201019_bpb_Abiturientenquoten_nach_Alter.pdf

Das heißt, die Startchancen in den Beruf und die Aussichten auf eine glänzende Karriere könnten nicht besser sein. Frauen und Mädchen gelten auch ferner als diszipliniert und zuverlässig. Sie absolvieren Ausbildung oder Studium in kürzerer Zeit als ihre männlichen Kommilitonen.

In Trainee-Programmen sind Frauen stets gut vertreten, doch blickt man dann in die Führungsmannschaften von Unternehmen, sind sie wenig präsent. Je höher die Hierarchiestufe, desto geringer ist der Frauenanteil. Dieses Phänomen ist auch unter dem Begriff der „Leaky Pipeline“ bekannt geworden. Auch das ist nichts Neues. Die Frauen scheinen in ihren 30ern bis 40ern regelrecht aus den Unternehmen zu verschwinden oder werden zumindest für die Karriereverläufe vieler Fachrichtungen unsichtbar. Wir gehen sogar soweit und sagen, man hat sie verscheucht, vergrault und vergessen. Die einstigen Leistungsträgerinnen der Unternehmen, in die Arbeitgeber viel investiert haben, sind einfach nicht mehr verfügbar.

Doch wie sollen der Frauenanteil in Führungsetagen erhöht werden und weibliche Fachkräfte eingesetzt werden, wenn sie verscheucht, vergrault und dann vergessen wurden? Es sind kaum noch Frauen da, oder aber man hat sie in den Unternehmen aus den High-Potential-Pools genommen aus einem einfachen und natürlichen Grund: Weil sie Mutter geworden sind.

Etwa 20 Prozent der Frauen in Deutschland sind gewollt oder ungewollt kinderlos (Statistisches Bundesamt Stand 26.9.2023) Das heißt jedoch im Umkehrschluss, dass sich 80 Prozent der Frauen mit dem Thema Mutterschaft und Job auseinandersetzen dürfen. Und stehen mit dieser doch nicht ganz so trivialen Herausforderung immer noch oft allein da. Da wird bagatellisiert, untertrieben und beschönigt. Das gesellschaftliche Bild von Mutterschaft mit all den Blind-Spots und Tabuthemen tut hier ihr übriges. Keiner mag hier so recht hinsehen und in die Verantwortung kommen: Politik, Arbeitgeber, Gesellschaft, Chefs, Kollegen, Väter und die Mütter selbst.