Im Schatten der Wälder - Nora Roberts - E-Book

Im Schatten der Wälder E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Rot wie die Liebe. Rot wie die Wut. Rot wie der Tod.

Fiona Bristow lebt als Hundetrainerin und Mitglied einer Hunderettungsstaffel auf der idyllischen Orcas Island vor der Küste Seattles. Keiner weiß, dass die Insel Fionas Refugium ist, um einen Albtraum zu vergessen. Sie ist die einzige Überlebende eines Serienkillers, der junge Frauen mit einem roten Schal erwürgte und auch Fionas Verlobten ermordete.

Mit Fionas Ruhe ist es vorbei, als der knurrige Künstler Simon mit seinem Hund Jaw in ihr Leben stolpert. Simon wollte nie einen Welpen, und definitiv will er keine Frau. Als Fiona mit Jaw trainiert und Simon lernt, sowohl Hund als auch Trainerin mehr und mehr zu schätzen, bricht die Vergangenheit in Fionas Leben ein. Fionas Verfolger sitzt im Gefängnis, aber eines ist klar: Er hat einen Schüler, draußen in den Wäldern von Orcas, der nur ein Ziel hat – den roten Schal um den Hals der Frau zu schlingen, die damals entkommen ist …

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Seitenzahl: 754

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel »The Search« bei G.P. Putnam’s sons, published by the Penguin Group, New York

Copyright © der Originalausgabe 2010 by Nora Roberts

Copyright © für die deutsche Ausgabe 2010 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenSatz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-07891-1V002

www.blanvalet.de

www.randomhouse.de

Für Homer und Pancho Und alle, die vor ihnen mein Lebenschöner gemacht haben.

ERSTER TEIL

Richtig abgerichtet kann ein Mensch der beste Freund eines Hundes sein.

Corey Ford

1

An einem kalten, verregneten Morgen im Februar liebten Devin und Rosie Cauldwell sich langsam und schläfrig. Es war der dritte Tag ihres einwöchigen Urlaubs – und seit zwei Monaten versuchten sie, zum zweiten Mal schwanger zu werden. Ihr dreijähriger Sohn, Hugh, war das Ergebnis eines langen Wochenendes auf Orcas Island in den San Juans und – davon war Rosie überzeugt – eines verregneten Nachmittags und einer Flasche Pinot Noir.

Sie hofften, ihren Erfolg bei einem weiteren Besuch auf Orcas wiederholen zu können, und machten sich fröhlich an die Arbeit, während ihr kleiner Sohn mit seinem geliebten Wubby im Nebenzimmer schlief.

Für Wein war es noch viel zu früh am Tag, aber Rosie nahm den leichten Nieselregen als gutes Omen.

Als sie sich danach erhitzt und gelöst vom Sex aneinander kuschelten, lächelte sie.

»Wer hatte die allerbeste Idee?«

Devin kniff ihr in den Hintern. »Du.«

»Warte mal, gerade ist mir noch etwas eingefallen.«

»Ich glaube, ich brauche erst noch ein paar Minuten.«

Lachend stützte sie sich auf seine Brust und grinste ihn an. »Denk nicht immer nur an das Eine.«

»Ich glaube, dafür brauche ich auch noch ein paar Minuten. «

»Wir brauchen Pfannkuchen. Regnerischer Morgen, unser gemütliches Haus – das schreit geradezu nach Pfannkuchen.«

Er blinzelte sie an. »Wer macht sie?«

»Lassen wir das Schicksal entscheiden.«

Sie setzte sich auf, und dann überließen sie die Entscheidung, wie es bei den Cauldwells seit jeher üblich war, Schere, Stein, Papier.

»Verdammt«, murmelte sie, als er ihre Schere mit seinem Stein zermalmte.

»Der Beste siegt eben.«

»Ach, du liebe Güte. Aber fair ist fair, und außerdem muss ich sowieso aufs Klo. « Sie gab ihm einen schmatzenden Kuss und sprang aus dem Bett. »Ich liebe Urlaub«, sagte sie, als sie ins Badezimmer lief.

Vor allem diesen Urlaub, dachte sie, mit ihren beiden gut aussehenden Männern. Wenn der Regen noch anhielt, konnten sie drinnen spielen, aber wenn es aufhörte, konnten sie Hugh in seinen Kindersitz setzen und Fahrrad fahren oder vielleicht einen langen Spaziergang machen.

Hugh war überaus gerne hier. Er liebte die Vögel, den See, die Rehe, die sie ab und zu sahen, und natürlich die Kaninchen – alles Geschwister seines treuen Wubby.

Und möglicherweise hatte er ja im Herbst ebenfalls ein Geschwisterchen. Sie hatte einen Eisprung – aber es war nicht so, dass sie davon besessen war, schwanger zu werden. Es hatte doch nichts mit Besessenheit zu tun, wenn man die Tage zählte, dachte sie, als sie ihre vom Schlaf zerzausten Haare mit einem Band zurücknahm. Sie hatte nur ein gesundes Körperbewusstsein.

Sie ergriff ein Sweatshirt und eine Flanellhose und warf noch einen Blick auf Devin, der schon wieder eingedöst war.

Sie hatten es wirklich gut.

Rasch zog sie sich dicke Socken über, dann blickte sie auf ihre Armbanduhr, die auf dem Nachttisch lag.

»Es ist ja schon nach acht. Dass Hugh so lange schläft!«

»Liegt wahrscheinlich am Regen«, murmelte Devin.

»Ja, wahrscheinlich.«

Trotzdem schaute sie in seinem Zimmer nach, wie sie es jeden Morgen tat. Sie bewegte sich leise, damit er nicht aufwachte – es war selten genug, dass sie eine Tasse Kaffee trinken konnte, bevor sie das erste Mommy des Tages hörte.

Vorsichtig spähte sie ins Zimmer, in der Erwartung, ihn an sein Stoffhäschen gekuschelt vorzufinden. Das leere Bett versetzte sie nicht in Panik. Er war bestimmt aufgestanden, um Pipi zu machen, schließlich war er schon fast sauber.

Sie geriet auch noch nicht in Panik, als sie ihn in dem kleinen Badezimmer hinten am Flur nicht fand. Da er für gewöhnlich früh wach wurde, hatten sie ihn ermuntert, noch ein bisschen zu spielen, bevor er sie weckte. Sonst hatte sie ihn immer gehört, wenn er mit seinen Spielsachen redete oder seine Autos fahren ließ, aber der Feriensex hatte sie abgelenkt.

Gott, dachte sie und lief die Treppe hinunter, wenn er nun ins Zimmer geschaut hatte, als sie es taten? Nein, dann wäre er hineingekommen und hätte gefragt, was sie da spielten.

Halb lachend wandte sie sich zu dem hübschen Wohnzimmer, wobei sie erwartete, ihren kleinen Jungen umgeben von seinen Lieblingsspielsachen auf dem Boden sitzen zu sehen.

Als das jedoch nicht der Fall war, stieg zum ersten Mal leises Unbehagen in ihr auf.

Sie rief seinen Namen und rannte los, ihre Socken rutschten auf den Holzdielen.

Jetzt schlug die Panik zu, scharf wie ein Messer.

Die Küchentür stand weit offen.

 

Kurz nach neun hielt Fiona Bristow vor dem kleinen Ferienhaus mitten im Moran State Park. Stetig fiel feiner Nieselregen, was schlecht für die Spurensuche war. Sie gab ihrem Partner ein Zeichen, im Wagen zu bleiben, dann stieg sie aus und trat auf einen der Polizisten zu.

»Davey.«

»Hey, Fee. Du bist aber schnell hier.«

»Ich hatte es nicht weit. Die anderen sind auch schon unterwegs. Können wir das Haus als Basis benutzen, oder sollen wir es hier draußen aufschlagen?«

»Nein, wir nehmen das Haus. Du willst sicher selbst mit den Eltern reden, aber ich kann dir ja schon mal das Wichtigste sagen. Hugh Cauldwell, drei Jahre alt, blond und blauäugig. Trug zuletzt einen Spiderman-Pyjama.«

Fiona sah, dass er seine Lippen ein wenig zusammenpresste. Davey hatte ebenfalls einen Jungen in dem Alter, und er besaß wahrscheinlich genauso einen Spiderman-Pyjama.

»Gegen acht Uhr fünfzehn ist der Mutter zum ersten Mal aufgefallen, dass er verschwunden war«, fuhr Davey fort. »Die Hintertür stand offen. Keine sichtbaren Zeichen von gewaltsamem Eindringen oder einem Einbrecher. Die Mutter sagte dem Vater Bescheid. Sie haben direkt bei uns angerufen und haben unmittelbar um das Haus herum nach ihm gesucht und gerufen.«

Und den gesamten Bereich für die Spurensuche unbrauchbar gemacht, dachte Fiona. Aber wer konnte es ihnen verdenken?

»Wir haben Haus und Grundstück sorgfältig durchsucht, um sicherzugehen, dass er sich nicht nur versteckt hat.« Davey wandte sich wieder zu Fiona. Vom Schirm seiner Kappe tropfte der Regen. »Er ist nicht im Haus, und seine Mutter sagt, er hat sein Plüschhäschen dabei. Er schläft immer damit und schleppt es überall mit sich herum. McMahon und Matt haben sich schon auf die Suche gemacht«, fügte er hinzu. Das waren die Namen des Sheriffs und seines jungen Deputy.

»McMahon hat mich auch angewiesen, deine Einheit anzufordern. Ich soll hier vor Ort bleiben.«

»Ja, wir legen gleich los. Zuerst möchte ich aber mit den Eltern sprechen, wenn es dir recht ist.«

Davey wies aufs Haus. »Sie haben Angst, wie du dir denken kannst – und sie möchten am liebsten sofort nach ihm suchen. Vielleicht kannst du mir helfen, es ihnen auszureden. «

»Ich werde zusehen, was ich tun kann.« Sie trat wieder an ihr Auto, öffnete die Tür und ließ ihren Partner heraus. Peck sprang heraus und ging mit ihr und Davey zum Haus.

Fiona trat zu dem Paar, das eng umschlungen auf der Couch gesessen hatte und jetzt aufstand. Die Frau umklammerte ein kleines rotes Feuerwehrauto.

»Mr und Mrs Cauldwell, ich bin Fiona Bristow von der Hunderettungsstaffel. Das ist Peck.« Sie legte die Hand auf den Kopf eines schokoladenbraunen Labradors. »Der Rest meiner Einheit ist unterwegs. Wir werden bei der Suche nach Hugh helfen.«

»Sie müssen sofort losgehen. Jetzt, sofort. Er ist erst drei.«

»Ja, Ma’am. Der Rest meiner Einheit muss jeden Moment hier sein. Es würde uns helfen, wenn ich zuerst einige Informationen bekommen könnte.«

»Wir haben der Polizei und den Rangers schon alles gesagt. « Devin blickte zum Fenster. »Ich muss hinaus und nach ihm suchen. Wir vergeuden hier nur Zeit.«

»Glauben Sie mir, Mr Cauldwell, die Polizei und die Ranger tun ihr Bestes, um Hugh zu finden. Sie haben uns hinzugezogen, weil wir speziell für solche Suchen ausgebildet sind. Für uns ist es oberste Priorität, Ihren kleinen Jungen zu finden. Wir arbeiten mit der Polizei und den Rangern zusammen, aber ich muss mich vergewissern, dass wir alle nötigen Informationen haben, damit wir unsere Ressourcen optimieren können. Sie haben gegen acht Uhr fünfzehn gemerkt, dass Hugh nicht da war, ist das richtig?«

Rosies Augen schwammen in Tränen. »Ich hätte früher nach ihm gucken sollen. Er schläft eigentlich nie länger als bis sieben. Ich hätte …«

»Mrs Cauldwell … Rosie«, sagte Fiona und benutzte den Vornamen, damit sie die Frau besser trösten konnte. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Kleine Jungs sind nun mal neugierig. Hat Hugh noch nie das Haus allein verlassen?«

»Nein, noch nie. Ich dachte zuerst, er wäre zum Spielen heruntergegangen, aber dann konnte ich ihn nicht finden und ging in die Küche. Und die Tür … die Tür stand offen. Weit offen. Und ich konnte ihn nicht finden.«

»Eventuell könnten Sie es mir zeigen.« Fiona gab Peck ein Zeichen, ihr zu folgen. »Trägt er seinen Schlafanzug?«

»Ja, einen Spiderman-Pyjama. Ihm ist bestimmt kalt, und er ist nass und hat Angst.« Ihre Schultern bebten, als sie zur Küche ging. »Ich verstehe nicht, was Sie anderes machen können als die Polizei.«

»Wir verfügen über andere Hilfsmittel. Peck ist darauf trainiert. Wir haben ihn schon bei zahllosen Suchen eingesetzt. «

Rosie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Hugh mag Hunde. Er mag alle Tiere. Wenn der Hund bellt, hört Hugh es vielleicht und kommt zurück.«

Fiona schwieg. Sie öffnete die Tür und hockte sich hin, um den Blickwinkel eines Dreijährigen einzunehmen. Er mag alle Tiere. »Hier in der Gegend gibt es bestimmt jede Menge Tiere. Rehe, Füchse, Kaninchen.«

»Ja. Ja. Es ist ganz anders als in Seattle. Er guckt stundenlang aus dem Fenster oder von der Terrasse. Und wir haben Wanderungen und Fahrradtouren gemacht.«

»Ist Hugh schüchtern?«

»Nein. O nein. Er ist abenteuerlustig und kontaktfreudig. Furchtlos. Oh, Gott.«

Instinktiv legte Fiona Rosie den Arm um die zuckenden Schultern. »Rosie, wir werden uns hier in der Küche versammeln, wenn das für Sie okay ist. Ich brauche von Ihnen fünf Sachen, die Hugh kürzlich angehabt hat. Die Socken von gestern, Unterwäsche, ein T-Shirt, so etwas. Fünf kleine Kleidungsstücke. Fassen Sie sie nur mit spitzen Fingern an, und stecken Sie sie hier hinein.«

Fiona reichte ihr Plastikbeutel.

»Wir sind zu fünft. Fünf Hundeführer, fünf Hunde. Wir brauchen alle etwas von Hugh, damit die Hunde seine Fährte aufnehmen können.«

»Sie… sie spüren seine Fährte auf?«

Fiona nickte. Wozu sollte sie jetzt komplizierte Erklärungen abgeben? Der Junge war schon seit über einer Stunde verschwunden. »Ja, genau. Mag er irgendeine Süßigkeit besonders gerne? Vielleicht etwas, was er bekommt, wenn er artig war?«

Rosie zupfte an ihren Haaren und blickte sich um. »Ach so, ja. Er mag Gummibärchen.«

»Wunderbar. Haben Sie welche da?«

»Ich … ja.«

»Wenn Sie bitte die Kleidungsstücke und die Gummibärchen holen könnten«, bat Fiona sie lächelnd. »Ich höre meine Einheit schon. Wir machen uns jetzt bereit.«

»Okay. Okay. Bitte … er ist erst drei.«

Rosie eilte aus dem Zimmer. Fiona warf Peck einen kurzen Blick zu und begann mit den Vorbereitungen.

Als ihre Leute hereinkamen, schilderte sie ihnen kurz die Lage und zeigte ihnen auf den Karten ihre Sektoren. Sie kannte das Gebiet wie ihre Westentasche.

Ein Paradies, dachte sie, für die, die für eine Zeit lang der Hektik der Städte entkommen wollten und Ruhe und Landschaft suchten. Für einen kleinen Jungen jedoch, der sich verirrt hatte, eine Welt voller Gefahren. Schluchten, Seen, Felsen.

Mehr als fünfzig Kilometer Wanderpfade, dachte sie, mehr als zwanzig Quadratkilometer Wald, die einen Dreijährigen und sein Plüschhäschen verschlucken konnten.

»Es regnet, deshalb halten wir die Suchgitter engmaschig und decken diesen Bereich ab.« Fiona umrandete die Sektionen ihrer Mitarbeiter auf der Karte, während Davey die entsprechenden Daten auf einer großen weißen Tafel auflistete. »Die Abschnitte überlappen einander, aber wir sollten auf gute Kommunikation achten, damit wir uns nicht auf die Füße treten.«

»Mittlerweile ist er bestimmt nass und durchgefroren.« Meg Greene, selbst Mutter zweier Kinder und seit Kurzem Großmutter, warf ihrem Mann Chuck einen Blick zu. »Der arme kleine Kerl.«

»Ein Kind in diesem Alter hat ja bestimmt noch keinen Orientierungssinn. Er wird Gott weiß wo herumlaufen.« James Hutton überprüfte stirnrunzelnd sein Funkgerät.

»Vielleicht ist er auch müde geworden und hat sich einfach irgendwo zum Schlafen hingelegt.« Lori Dyson nickte zu ihrem Schäferhund Pip. »Er hört wahrscheinlich gar nicht, wie wir nach ihm rufen, aber unsere Jungs werden ihn schon erschnüffeln.«

»So habe ich mir das vorgestellt. Haben alle ihre Koordinaten? Funkgeräte und Rucksäcke überprüft? Vergewissert euch, dass ihr den Kompass dabei habt. Mai hat einen Notfall und Davey muss allein die Stellung halten, also meldet euch regelmäßig bei ihm.«

Sie hielt inne, als die Cauldwells hereinkamen.

»Ich habe …« Rosies Kinn bebte. »Ich habe die Sachen geholt. «

»Wunderbar.« Fiona trat zu ihr und legte der völlig verängstigten Mutter die Hände auf die Schultern. »Denken Sie positiv. Jeder da draußen hat nur eins im Sinn: Hugh zu finden und ihn nach Hause zu bringen.«

Sie ergriff die Tüten und reichte sie ihren Leuten. »Okay, dann wollen wir mal los.«

Sie trat mit den anderen nach draußen und streifte ihren Rucksack über. Peck stand neben ihr. Ein leichtes Beben seines Körpers war das einzige Zeichen dafür, dass er endlich anfangen wollte. Jeder nahm seine Position ein und richtete den Kompass aus.

Sie öffnete die Tüte, die eine kleine Socke enthielt, und hielt sie Peck vor die Nase.

»Das ist Hugh. Hugh. Hugh ist ein kleiner Junge, Peck. Das ist Hugh.«

Der Hund schnüffelte enthusiastisch – er kannte seinen Job. Er warf ihr einen Blick zu, schnüffelte erneut, dann blickte er sie aufmerksam an, und sein Körper bebte, als wolle er sagen: Okay, ich habe verstanden! Lass uns loslegen!

»Such Hugh.« Sie machte ein Handzeichen, und Peck hob die Nase in die Luft. »Los, such Hugh!«

Sie beobachtete, wie er einen Bogen schlug und die Witterung aufnahm, dann überließ sie ihm die Führung. Der stetige Nieselregen war ein Hindernis, aber Peck arbeitete gut im Regen.

Sie blieb, wo sie war, und ermunterte ihn verbal. Der Regen tropfte auf ihren hellgelben Anorak.

Als er sich nach Osten wandte, folgte sie ihm in den Wald.

Peck war fünf Jahre alt, ein siebzig Pfund schwerer, schokoladenbrauner Labrador – stark, klug und unermüdlich. Fiona wusste, er würde stundenlang unter allen Bedingungen, in jedem Gelände nach lebenden oder toten Personen suchen. Sie musste es nur von ihm verlangen.

Zusammen bewegten sie sich durch den tiefen Wald, über den weichen Boden, der hoch mit den Nadeln der riesigen Douglasfichten und uralten Zedern bedeckt war. Hier und dort standen Gruppen von Pilzen, gefallene Baumstämme waren mit dickem, grünem Moos bedeckt, und dornige Ranken wucherten darüber. Fiona achtete auf die Körpersprache ihres Partners, blickte auf ihren Kompass, merkte sich, wo sie entlanggingen. Ab und zu sah Peck sie an, damit sie wusste, dass er bei der Arbeit war.

»Such Hugh. Lass uns Hugh suchen, Peck.«

Er schnüffelte am Boden um einen gefallenen Baumstamm.

»Hast du etwas gefunden? Das ist gut. Guter Hund.« Sie kennzeichnete die Stelle mit einem hellblauen Klebeband, dann blickte sie sich um und rief Hughs Namen. Um besser hören zu können, schloss sie die Augen.

Aber sie hörte nur das leise Rauschen des Regens und das Wispern des Windes in den Bäumen.

Peck stupste sie an, und sie öffnete die Tüte, damit Peck den Geruch erneut aufnehmen konnte.

»Such Hugh«, wiederholte sie. »Such Hugh, Peck.«

Er lief wieder los, und Fiona kletterte in ihren kräftigen Stiefeln über den Baumstamm und folgte ihm. Als Peck sich nach Süden wandte, gab sie ihre neue Position an Davey durch und verständigte sich mit den Mitgliedern ihres Teams.

Das Kind war mindestens seit zwei Stunden draußen, dachte sie. Eine Ewigkeit für besorgte Eltern.

Aber Kleinkinder hatten kein wirkliches Zeitgefühl. Kinder in seinem Alter waren sehr mobil und verstanden noch nicht, dass man sich verirren konnte. Sie liefen ziellos herum, abgelenkt durch das, was sie sahen und hörten, und bewiesen oft beachtliche Ausdauer. Es konnte Stunden dauern, bevor Hugh müde wurde und nach seiner Mutter verlangte.

Sie schaute einem Kaninchen nach, das ins Gebüsch sprang. Peck besaß zu viel Würde, um ihm mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken.

Aber ein kleiner Junge?, dachte Fiona. Einer, der seinen »Wubby« liebte, der Tiere mochte? Seine Mutter hatte gesagt, der Wald faszinierte ihn. Würde er nicht hinterherlaufen, in der Hoffnung, mit ihm spielen zu können? Er würde doch sicher versuchen, es einzuholen. Ein typischer Stadtjunge, dachte sie, den der Wald und die Tiere magisch anzogen, weil alles so anders war als zu Hause.

Wie sollte er da widerstehen?

Sie verstand die Magie. Sie war selbst einmal ein Stadtkind gewesen und hatte sich von den grünen Schatten, dem tanzenden Licht, der unendlichen Weite von Bäumen, Hügeln und Seen verzaubern lassen.

In diesem riesigen Gelände konnte ein Kind sich ohne Weiteres verlaufen.

Ihm ist kalt, dachte sie. Er hat mittlerweile Hunger und Angst. Er will zu seiner Mutter.

Der Regen wurde stärker, aber sie suchten unermüdlich weiter, der Hund und die Frau in der wetterfesten Hose und den Schnürstiefeln. Ihr rotblonder Pferdeschwanz hing wie ein nasses Seil auf ihren Rücken herunter, und ihre meerblauen Augen blickten forschend in das Dämmerlicht.

Als Peck erneut die Richtung änderte und einen gewundenen Waldweg hinunterlief, stand ihr auf einmal ein Bild vor Augen. In etwa einem halben Kilometer würden sie auf einen Bach stoßen, der die südöstliche Grenze ihres Abschnitts bildete. Chuck und sein Hund Quirk suchten auf der anderen Seite. Um diese Jahreszeit floss das Wasser schnell, und das steile, felsige Ufer war rutschig vom Moos und dem Regen.

Hoffentlich war der kleine Junge nicht zu dicht herangegangen oder hatte versucht, ans andere Ufer zu gelangen.

Außerdem hatte sich der Wind gedreht, stellte sie fest. Verdammt. Sie würden sich den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Sie würde Peck etwas zu trinken geben und ihn noch einmal Witterung aufnehmen lassen. Sie waren jetzt fast zwei Stunden unterwegs, und obwohl Peck dreimal angeschlagen hatte, hatte sie bis jetzt noch kein Zeichen von dem Jungen gesehen – keinen Fetzen von der Kleidung an den Dornenranken, keinen Fußabdruck auf dem weichen Boden. Sie hatte die Stellen, an denen Peck sich gemeldet hatte, mit blauen Klebefähnchen markiert und ihren Weg mit orangefarbenen gekennzeichnet, daher wusste sie, dass sie ein- oder zweimal im Zickzack gegangen waren.

Ich werde Chuck anfunken, beschloss sie. Wenn Peck auf der Spur ist und der Junge den Bach überquert hat …

Den Gedanken, dass er hineingefallen sein könnte, gestattete sie sich nicht. Noch nicht.

Sie griff gerade nach ihrem Funkgerät, als Peck erneut anschlug. Er begann zu rennen, wobei er ihr einen auffordernden Blick über die Schulter zuwarf.

Sie sah das Licht in seinen Augen.

»Hugh!«, schrie sie gegen den rauschenden Regen und den pfeifenden Wind an.

Den Jungen hörte sie nicht, aber Peck bellte dreimal kurz.

Fiona begann ebenfalls zu rennen.

Sie rutschte ein wenig, als sie den Abhang hinunterlief. Und da sah sie ihn. Am Ufer des Baches – ein wenig zu nah für ihren Seelenfrieden – lag ein klatschnasser kleiner Junge auf dem Boden und klammerte sich an den Hund.

»Hey, Hugh, hi.« Rasch trat sie zu ihm, hockte sich hin und nahm ihren Rucksack ab. »Ich bin Fiona, und das ist Peck.«

»Wauwau.« Er schluchzte in Pecks Fell. »Wauwau.«

»Das ist ein lieber Wauwau. Der beste überhaupt.«

Peck wedelte zustimmend mit dem Schwanz. Fiona zog eine Thermodecke aus ihrem Rucksack. »Ich wickele dich jetzt ein – und Wubby auch. Ist das Wubby?«

»Wubby ist hingefallen.«

»Ah, ich verstehe. Aber es ist schon okay. Jetzt gleich wird euch beiden warm. Hast du dir wehgetan? Oh, oh.«

Ihr Tonfall blieb fröhlich, während sie ihm die Decke um die Schultern wickelte. Seine Füße waren blutig und voller Schlamm. »Aua, hm? Das wird alles wieder heil.«

Die Arme immer noch um Peck geschlungen, wandte Hugh Fiona den Kopf zu und bedachte sie mit einem kläglichen Blick. »Ich will zu Mommy.«

»Ja, klar. Peck und ich bringen dich jetzt zu deiner Mommy. Hier, schau mal, was Mommy mir für dich mitgegeben hat.« Sie zog die kleine Tüte Gummibärchen heraus.

»Hugh böser Junge«, sagte Hugh, beäugte aber trotzdem voller Interesse die Süßigkeiten.

»Mommy ist dir nicht böse. Daddy auch nicht. Na los, bedien dich.« Sie reichte ihm die geöffnete Tüte und nahm ihr Funkgerät. Als Hugh Peck ein Gummibärchen anbot, blickte Peck Fiona fragend von der Seite an.

Darf ich? Ja? Darf ich?

»Na los – und sag danke.«

Peck nahm das Gummibärchen ganz vorsichtig von dem Jungen, schluckte es herunter und bedankte sich mit einem schlabberigen Kuss, der Hugh zum Kichern brachte.

Fiona nahm Kontakt zur Basis auf.

»Wir haben ihn. Gesund und munter. Sag der Mom, er isst seine Gummibärchen, und wir machen uns jetzt auf den Heimweg.« Sie zwinkerte Hugh zu, der gerade sein Plüschkaninchen fütterte, bevor er dasselbe Gummibärchen in seinen Mund steckte. »Er hat ein paar Kratzer und ist nass, aber ansonsten ist er in Ordnung. Over.«

»Ich gebe es weiter. Gute Arbeit, Fee. Brauchst du Hilfe? Over.«

»Nein, wir schaffen das schon. Ich halte dich auf dem Laufenden. Over und aus.«

»Du solltest etwas trinken«, sagte sie zu Hugh und hielt ihm ihre Feldflasche hin.«

»Was ist das?«

»Nur Wasser.«

»Ich mag lieber Saft.«

»Wenn wir nach Hause kommen, bekommst du welchen. Aber jetzt trink ein bisschen, okay?«

Schniefend gehorchte er. »Ich habe draußen Pipi gemacht, wie Daddy es mir gezeigt hat. Ohne Hose.«

Sie grinste ihn an. Deshalb hatte Peck so deutlich angeschlagen. »Das hast du gut gemacht. Soll ich dich Huckepack nehmen?«

Seine Augen leuchteten auf. »Okay.«

Sie wickelte ihn fest in die Decke ein und drehte sich so, dass er auf ihren Rücken klettern konnte. »Sag Fee zu mir. Wenn du etwas brauchst, sagst du einfach, Fee, ich will oder ich brauche.«

»Wauwau.«

»Er kommt auch mit. Er zeigt uns den Weg.« Immer noch in der Hocke, kraulte sie Peck. »Guter Hund, Peck. Guter Hund. Und jetzt zurück.«

Sie hängte sich den Rucksack über die linke Schulter, hielt den Jungen auf dem Rücken fest, und die drei machten sich auf den Heimweg.

»Hast du die Tür ganz allein aufgemacht, Hugh?«

»Böser Junge«, murmelte er.

Na ja, dachte sie, wer war nicht schon mal ab und zu ein bisschen unartig? »Was hast du aus dem Fenster gesehen? «

»Wubbies. Wubby hat gesagt, komm, wir gehen zu den Wubbies.«

»Hm.« Kluges Kind, dachte sie. Er schiebt einfach alles auf sein Kuscheltier.

Hugh plapperte mittlerweile so schnell und viel in Kindersprache, dass Fiona nur noch die Hälfte verstand. Aber das Wesentliche bekam sie mit.

Mommy und Daddy schliefen, Kaninchen vorm Fenster, da musste er doch hinterher. Und dann war das Haus auf einmal verschwunden, und er konnte es nicht wiederfinden. Als er sie rief, kam Mommy nicht, und er dachte, sie wolle ihn bestrafen.

Fiona konnte sich seine Angst lebhaft vorstellen, denn bei den Worten brach er in Tränen aus und presste sein Gesicht an ihren Rücken.

»Also, ich finde, Wubby hat mindestens genauso viel Strafe verdient wie du. Hey, sieh mal, Hugh, sieh mal! Bambi und seine Mama.«

Immer noch schniefend hob er den Kopf, aber beim Anblick der Ricke mit ihrem Kitz versiegten seine Tränen sofort, und er quietschte vor Entzücken. Dann legte er seufzend seinen Kopf wieder an ihre Schulter. »Ich habe Hunger.«

»Das kann ich mir vorstellen. Du hast ja auch ein großes Abenteuer hinter dir.« Es gelang ihr, einen Müsliriegel aus dem Rucksack zu ziehen.

Der Marsch zurück dauerte nicht so lange wie die Suche, aber als sich der Wald zu lichten begann, drückte der kleine Junge zentnerschwer auf ihren Rücken.

Hugh plapperte ununterbrochen. Alles faszinierte ihn. Amüsiert ließ Fiona ihn reden und träumte dabei von dampfendem Kaffee, einem riesigen Burger und einem Eimer voller Pommes frites.

Als sie das Haus durch die Bäume sehen konnte, beschleunigte sie ihren Schritt. Sie waren kaum aus dem Wald getreten, als Rosie und Devin auch schon aus dem Haus gerannt kamen.

Fiona hockte sich hin. »Na los, Hugh. Lauf zu Mommy.«

Sie schlang den Arm um Peck, dessen ganzer Körper vor Freude wackelte.

»Ja«, murmelte sie, als Devin den kleinen Jungen in die Arme riss. Dann hatte auch seine Frau ihn erreicht, und man sah nur noch ein Knäuel aus Gliedmaßen und Tränen des Glücks. »Ja, heute ist ein guter Tag. Du bist der Beste, Peck.«

Mit ihrem Sohn auf den Armen rannte Rosie zum Haus. Devin ging zögernd auf Fiona zu.

»Danke. Ich weiß nicht, wie ich …«

»Gern geschehen. Er ist ein toller Junge.«

»Er ist… er bedeutet uns alles. Vielen, vielen Dank.« Mit Tränen in den Augen umarmte Devin Fiona und ließ seinen Kopf auf ihre Schulter sinken. »Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«

»Das brauchen Sie nicht.« Auch ihr traten die Tränen in die Augen, als sie ihm den Rücken tätschelte. »Peck hat ihn gefunden. Ihm müssen Sie danken. Er würde sich freuen, wenn Sie ihm die Pfote schütteln.«

»Oh.« Devin rieb sich übers Gesicht und holte tief Luft. »Danke, Peck. Danke.« Er hockte sich hin und streckte dem Hund seine Hand entgegen.«

Peck lächelte, so wie Hunde eben lächeln, und legte seine Pfote in Devins Hand.

»Kann ich … kann ich ihn umarmen?«

»Aber gerne.«

2

Nach der Schlussbesprechung fuhr Fiona nach Hause. Peck lag hinten im Wagen und schlief. Das hatte er sich verdient, dachte sie, so wie sie den Burger verdient hatte, den sie essen würde, während sie ihren Bericht in den Computer schrieb.

Sie musste unbedingt Sylvia anrufen, um ihrer Stiefmutter zu berichten, dass sie das Kind gefunden hatte und sie sie nicht im Nachmittagsunterricht zu vertreten brauchte.

Jetzt, wo die Arbeit getan war, ließ der Regen nach. Typisch, dachte Fiona. Sie konnte sogar schon ein paar blaue Flecken am grauen Himmel erkennen.

Heißer Kaffee, dachte sie, eine heiße Dusche, etwas zu essen und dann den Papierkram erledigen. Mit etwas Glück war es heute Nachmittag trocken.

Als sie vom Parkplatz fuhr, sah sie über der Bucht einen Regenbogen schimmern. Ein gutes Zeichen, dachte sie – vielleicht verhieß es ja sogar eine glückliche Zukunft. Vor ein paar Jahren noch war ihr Leben wie der Regen gewesen – eintönig grau und trübe. Die Insel war ihr blaues Loch in den Wolken gewesen, und mit der Entscheidung, sich hier niederzulassen, hatte sie ihre Chance auf Regenbogen wahrgenommen.

»Ich habe jetzt alles, was ich brauche«, murmelte sie. »Und der Rest wird sich finden.«

Sie bog von der Straße in ihre holperige Einfahrt ein. Peck, der die Richtungsänderung bemerkte, gab einen Schnarchlaut von sich und rappelte sich auf. Sein Schwanz klopfte auf den Sitz, als sie über die schmale Brücke rumpelten, die ihren plätschernden Bach überspannte. Als das Haus in Sicht kam, klopfte der Schwanz schneller, und der Hund bellte zweimal kurz.

Mitten im Wald stand ihre winzige, mit Zedernschindeln verkleidete Hütte. Im weitläufigen Garten dahinter befanden sich die Trainingsbereiche – Rutschen, Wippen, Leitern und Plattformen, Tunnel und Tore, umgeben von Bänken, Reifenschaukeln und Rampen. Es sah aus wie ein eindrucksvoller Waldspielplatz für Kinder.

Das war es ja eigentlich auch, dachte Fiona. Nur dass die Kinder vier Beine hatten.

Ihre beiden anderen Kinder erwarteten sie schon schwanzwedelnd auf der überdachten vorderen Veranda. Das war mit das Schönste bei Hunden – sie freuten sich jedes Mal uneingeschränkt, wenn man nach Hause kam, ganz gleich, ob man fünf Minuten oder fünf Tage lang weg gewesen war.

Sie parkte den Wagen, und Peck wackelte am ganzen Körper vor Vorfreude auf seine besten Kumpel, die bereits um das Auto herumliefen.

Fiona stieg aus und streichelte die beiden. »Hi, Jungs.« Als sie die hintere Tür aufmachte, sprang Peck heraus, und die überschwängliche Begrüßung begann.

Sie beschnüffelten sich und rasten auf und ab. Während Fiona ihren Rucksack aus dem Wagen holte, drehten sie ihre Runden, um dann wieder erwartungsvoll vor ihr stehen zu bleiben.

Immer bereit zum Spielen, dachte sie, als drei Paar Augen sie hoffnungsvoll anblickten.

»Bald«, versprach sie ihnen. »Ich muss erst duschen, etwas Trockenes anziehen und etwas essen. Lasst uns hineingehen. Was meint ihr, wollt ihr mitkommen?«

Sofort schossen alle drei zur Tür.

Newman, ein blonder Labrador und mit seinen sechs Jahren der älteste und würdevollste der drei, führte das Rudel an. Aber Bogart, der schwarze Labrador und mit drei Jahren das Baby, musste sowieso erst noch sein Seil holen.

Bestimmt wollte doch jemand mit ihm Ziehen spielen.

Sie stürmten hinter ihr ins Haus, ihre Pfoten klickten auf dem Dielenboden. Sie hatte Zeit, dachte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr, wenn auch nicht übermäßig viel.

Sie ließ ihren Rucksack draußen, weil sie erst noch die Thermodecke austauschen musste, bevor sie ihn wegräumen konnte. Die Hunde legten sich auf den Fußboden, und sie schürte das Feuer und gab ein weiteres Holzscheit hinzu. Während sie zusah, wie die Flammen aufflackerten, schälte sie sich aus ihrer nassen Jacke.

Das machte einen Raum gemütlich, dachte sie. Hunde auf dem Boden, ein Feuer im Kamin. Am liebsten hätte sie sich auf die Couch gelegt und ein kleines Nickerchen gehalten.

Aber dazu war nun wirklich keine Zeit. Kurz überlegte sie, was sie dringender brauchte: trockene Kleidung oder etwas zu essen, aber dann beschloss sie, sich wie eine Erwachsene zu benehmen und sich zuerst umzuziehen. Als sie sich zur Treppe wandte, schlugen alle drei Hunde an. Sekunden später hörte sie das Rumpeln auf der Brücke.

»Wer kann das denn sein?«

Den blauen Truck kannte sie nicht, und auf einer Insel in der Größe von Orcas gab es nicht viele Fremde. Vermutlich ein Tourist, der sich verfahren hatte.

Resigniert ging sie nach draußen und gab ihren Hunden ein Zeichen, an der Tür zu warten.

Ein Mann stieg aus dem Wagen. Groß, dunkle Haare, abgenutzte Stiefel, abgewetzte Jeans, lange Beine. Gutes Gesicht, dachte sie, scharf geschnitten, mit einem leichten Bartschatten, als ob er es entweder zu eilig gehabt hatte oder zu faul gewesen war, sich heute Morgen zu rasieren. Er wirkte leicht frustriert oder verärgert, als er sich mit der Hand durch die Haare fuhr.

Große Hände, stellte sie fest, lange Arme.

Wie die Stiefel hatte auch die Lederjacke, die er trug, schon einige Jahre auf dem Buckel. Aber der Truck sah neu aus.

»Brauchen Sie Hilfe?«, rief sie. Er hatte stirnrunzelnd den Trainingsbereich gemustert und drehte sich jetzt zu ihr um.

»Fiona Bristow?« Seine Stimme klang ein wenig rau. Bogart hinter ihr winselte leise.

»Ja.«

»Hunde-Trainerin?«

»Ja.« Sie trat auf ihn zu und beobachtete, wie sein Blick über ihre drei Wächter glitt. »Was kann ich für Sie tun?«

»Haben Sie die drei da trainiert?«

»Ja.«

Seine goldbraunen Augen richteten sich auf sie. »Dann sind Sie engagiert.«

»Hm. Für was?«

Er zeigte auf ihre Hunde. »Als Hundetrainerin. Sagen Sie Ihren Preis.«

»Okay. Fangen wir mal bei einer Million Dollar an.«

»Kann ich auch in Raten bezahlen?«

Sie lächelte. »Darüber können wir reden. Beginnen wir besser andersherum. Fiona Bristow«, sagte sie und reichte ihm die Hand.

»Entschuldigung. Simon Doyle.«

Arbeitshände, dachte sie, als sie seine harte, schwielige Hand ergriff. Dann klickte es. »Oh, klar, Sie sind der Holz-künstler. «

»Hauptsächlich baue ich Möbel.«

»Tolle Sachen! Ich habe vor ein paar Wochen eine Ihrer Schalen gekauft. Einer schönen Schale kann ich nie widerstehen. Meine Stiefmutter hat Ihre Sachen in ihrem Laden, Island Arts.«

»Sylvia, ja. Sie ist wunderbar.« Er überging das Kompliment und den Smalltalk einfach. Offenbar war er ein Mann mit einer Mission. »Sie hat mir empfohlen, mich an Sie zu wenden. Also, wie viel von der Million brauchen Sie als Vorauszahlung? «

»Wo ist der Hund?«

»Im Auto.«

Sie spähte an ihm vorbei und sah den Welpen durch die Scheibe. Ein Labrador/Retriever-Mischling – und im Moment sehr beschäftigt.

»Ihr Hund frisst gerade das Auto.«

»Was?« Er wirbelte herum. »Scheiße!«

Fiona gab ihren Hunden das Zeichen zu bleiben und folgte ihm zum Wagen. Den Mann, den Hund und ihre gegenwärtige Dynamik konnte sie am besten beurteilen, wenn sie beobachtete, wie er mit der Situation umging.

»Um Himmels willen!« Er riss die Tür auf. »Verdammt noch mal, was ist bloß los mit dir?«

Der Welpe, der weder Angst noch Reue zeigte, sprang dem Mann begeistert in die Arme und bedeckte sein Gesicht mit feuchten Küsschen.

»Lass das! Hör auf!« Er hielt den Welpen auf Armlänge von sich entfernt.

»Ich habe diesen Truck gerade erst gekauft. Er hat die Kopfstütze angeknabbert! Wie hat er das denn in weniger als fünf Minuten geschafft?«

»Es dauert etwa zehn Sekunden, bis ein Welpe sich langweilt. Gelangweilte Welpen kauen Sachen an. Glückliche Welpen kauen Sachen an. Traurige Welpen ebenfalls.«

»Da sagen Sie was«, erwiderte Simon bitter. »Ich habe ihm einen Berg von Kauspielzeug gekauft, aber er nimmt sich lieber Schuhe, Möbel, Steine und alles Mögliche andere vor – einschließlich meines neuen Autos. Hier.« Er drückte Fiona den Welpen in den Arm. »Tun Sie etwas.«

Der Welpe kuschelte sich sofort an sie und leckte ihr übers Gesicht. Sein warmer Welpenatem roch schwach nach Leder.

»Na, du bist ja süß. Bist du ein hübscher Junge?«

»Er ist ein Ungeheuer«, knurrte Simon. »Ein Entfesselungskünstler, der nie schläft. Wenn ich ihn auch nur zwei Minuten aus den Augen lasse, dann frisst er irgendwas, macht etwas kaputt oder erleichtert sich an den unmöglichsten Stellen. Ich hatte in den vergangenen drei Wochen nicht eine einzige Minute Ruhe.«

»Hm.« Sie drückte den kleinen Hund an sich. »Wie heißt er?«

Simon warf dem Welpen einen ungnädigen Blick zu. »Jaws.«

»Sehr passend. Na, dann wollen wir mal sehen, wie er sich so benimmt.« Sie hockte sich mit ihm hin und gab ihren Hunden ein Zeichen, zu ihr zu kommen. Dann setzte sie den Welpen zu Boden.

Manche Welpen würden sich hinkauern, andere würden sich verstecken oder weglaufen. Nicht so Jaws. Er war härter im Nehmen. Er sprang an den großen Hunden hoch, bellte und wedelte mit dem Schwanz. Er beschnüffelte sie ebenso ausgiebig wie sie ihn und schnappte verspielt nach ihren Beinen und Schwänzen.

»Tapferer kleiner Soldat«, murmelte Fiona.

»Er hat keine Angst. Das können Sie gerne mal ausprobieren. «

Seufzend schüttelte Fiona den Kopf. »Warum haben Sie überhaupt einen Hund?«

»Weil meine Mutter ihn mir geschenkt hat. Und jetzt sitze ich da. Ich mag Hunde, okay? Ich würde ihn sofort gegen einen von Ihren eintauschen. Sie haben die Wahl.«

Sie studierte Simons scharf geschnittenes, stoppeliges Gesicht. »Sie haben nicht viel Schlaf bekommen, was?«

»Wenn ich ihn mit ins Bett nehme, geht es etwa eine Stunde lang gut. Er hat schon alle meine Kissen in Fetzen gerissen. Und mit der Matratze hat er auch schon angefangen.«

»Sie sollten ihn an einen Kennel gewöhnen.«

»Ich habe einen Kennel gekauft. Er hat ihn aufgefressen. Jedenfalls so weit, dass er herauskonnte. Ich glaube, er kann sich flach wie eine Schlange machen. Ich komme nicht zum Arbeiten. Vielleicht hat er ja einen Hirnschaden oder ist einfach psychotisch.«

»Nein. Er ist ein Baby, das viel Zeit zum Spielen braucht, Liebe, Geduld und Disziplin«, erwiderte sie. Jaws rieb sich fröhlich an Newmans Bein.

»Warum tut er das? Er bespringt einfach alles. Wenn er ein Baby ist, wie kommt er dann überhaupt auf die Idee?«

»Es ist Instinkt – und ein Versuch, Dominanz zu zeigen. Er will ein großer Hund sein. Bogart! Hol das Seil!«

»Himmel! Ich will ihn doch nicht aufhängen. Eigentlich nicht«, sagte Simon, als der schwarze Labrador über die Veranda durch die offene Tür ins Haus lief.

Der Hund kam mit dem Seil in der Schnauze heraus, sprang zu Fiona und legte es ihr vor die Füße. Als sie danach griff, senkte er den Körper auf die Vorderpfoten, streckte sein Hinterteil in die Luft und wedelte mit dem Schwanz.

Fiona schüttelte das Seil. Bogart sprang hoch, schnappte danach und begann, spielerisch knurrend, daran zu zerren.

Jaws ließ Newman in Ruhe und sprang ebenfalls nach dem Seil, verpasste es jedoch und fiel auf den Rücken. Er rollte sich herum und startete einen neuen Versuch. Sein kleiner Schwanz schlug aus wie ein Metronom.

»Willst du das Seil, Jaws? Willst du spielen?« Sie senkte das Seil, so dass er darankam, und als er es mit seinen Zähnchen gepackt hatte, ließ sie los.

Bogart zog so kräftig an dem Seil, dass der kleine Hund wie ein pelziger Fisch am anderen Ende hin und her wackelte, aber er ließ nicht los.

Entschlossen, dachte Fiona und freute sich, als Bogart seinen Zug schwächer werden ließ und auf den Welpen einstellte.

»Peck, Newman, holt die Bälle. Holt die Bälle!«

Wie ihr Rudelgefährte stürzten auch Peck und Newman davon. Sie kamen mit gelben Tennisbällen zurück und warfen sie Fiona vor die Füße. »Newman, Peck! Lauft!« Rasch hintereinander warf sie die Tennisbälle.

»Guter Wurf!« Simon beobachtete, wie die Hunde die Bälle holten und zu ihr zurückbrachten.

Dieses Mal machte sie ein Kussgeräusch, und Jaws, der immer noch am Seil zog, legte den Kopf schräg. Sie warf die Bälle ein paar Mal in die Luft und beobachtete seine Augenbewegungen. »Lauft!«, wiederholte sie dann.

Als die großen Hunde davonrannten, hoppelte der Welpe hinter ihnen her.

»Er hat einen starken Spielinstinkt – und das ist gut. Sie müssen ihn nur in die richtigen Bahnen lenken. Hat er alle tierärztlichen Untersuchungen und Impfungen?«

»Ja, alles auf dem neuesten Stand. Sagen Sie mir bitte, dass Sie ihn nehmen. Ich bezahle Ihnen Unterkunft und Vollpension. «

»So funktioniert es nicht.« Während sie mit ihm sprach, nahm sie die Bälle wieder in Empfang und warf sie erneut. »Wenn ich ihn aufnehme, nehme ich auch Sie auf. Sie sind jetzt eine Einheit. Wenn Sie sich an den Hund, sein Training, seine Gesundheit und sein Wohlergehen nicht gebunden fühlen, dann helfe ich Ihnen, ein neues Heim für ihn zu finden. «

»So schnell gebe ich nicht auf.« Simon steckte die Hände in die Taschen, während Fiona ein weiteres Mal die Bälle warf. »Außerdem würde meine Mutter … daran darf ich gar nicht denken. Sie hat die fixe Idee, ich bräuchte Gesellschaft, seit ich hierhergezogen bin. Entweder eine Frau oder einen Hund. Eine Frau kann sie mir nicht besorgen, also …«

Er runzelte die Stirn, als der große blonde Labrador dem Welpen den Ball überließ. Triumphierend brachte Jaws ihn zurück.

»Er hat ihn gefangen.«

»Ja. Bitten Sie ihn darum.«

»Was?«

»Sagen Sie ihm, er soll Ihnen den Ball geben. Hocken Sie sich hin, strecken Sie die Hand aus, und sagen Sie ihm, er soll Ihnen den Ball geben.«

Simon hockte sich hin und streckte die Hand aus. »Gib mir …« Jaws sprang so ungestüm in seinen Schoß, dass er beinahe umgefallen wäre, und drückte ihm die Schnauze mitsamt Ball ins Gesicht.

»Sagen Sie aus«, wies Fiona ihn an. Sie musste ein Lächeln unterdrücken, weil Simon Doyle die Situation anscheinend gar nicht lustig fand. »Setzen Sie ihn auf sein Hinterteil, halten Sie ihn sanft fest, und nehmen Sie ihm den Ball weg. Dann sagen Sie Guter Hund und wiederholen es so enthusiastisch wie möglich. Lächeln Sie dabei.«

Simon gehorchte, obwohl es leichter gesagt als getan war, weil der kleine Hund sich wand wie ein nasser Wurm.

»Sehen Sie, er hat ihn erfolgreich gefangen und zu Ihnen gebracht. Wenn Sie ihm ein Leckerli geben, ihn überschwänglich loben und immer wieder die gleichen Kommandos verwenden, wird er es schnell begreifen.«

»Das sind tolle Tricks, aber ich bin eigentlich mehr daran interessiert, dass er mein Haus nicht mehr zerstört.« Verbittert warf er einen Blick auf seine zerkaute Kopfstütze. »Oder meinen Truck.«

»Jeder Befehl, den er befolgt, fördert die Disziplin. Er wird lernen zu tun, was Sie sagen, wenn Sie es ihm spielerisch beibringen. Er will spielen – er will mit Ihnen spielen. Belohnen Sie ihn mit Spielen und mit Futter, mit Lob und Zuneigung, und er wird lernen, die Regeln im Haus zu respektieren. Er will Ihnen gefallen«, fügte sie hinzu, als der Welpe sich auf den Rücken rollte und ihm seinen Bauch präsentierte. »Er liebt sie.«

»Offensichtlich ist er leicht zu beeindrucken. Unsere bisherige Beziehung war kurz und steinig.«

»Wer ist ihr Tierarzt?«

»Funaki.«

»Mai ist die beste. Ich brauche seine medizinischen Unterlagen für meine Akten.«

»Ich bringe sie Ihnen.«

»Sie kaufen am besten weiche Hundekuchen, die er einfach herunterschlucken kann. Die Belohnung ist unmittelbarer. Bei den größeren, härteren muss er stehen bleiben und kauen. Und zusätzlich zu seinem normalen Halsband brauchen Sie ein Halti und eine Leine.«

»Ich hatte eine Leine. Er …«

»Hat sie aufgefressen«, beendete Fiona den Satz. »Das habe ich mir schon gedacht.«

»Toll. Und was ist ein Halti?«

»Eine Art Geschirr. Es ist sanft, aber effektiv. Sie benutzen es während des Trainings hier und zu Hause. Es engt nicht wie ein Halsband die Kehle ein, sondern übt eher Druck auf beruhigende Punkte aus, so dass der Hund besser an der Leine geht und nicht so zieht.«

»Gut. Ich besorge alles, wenn es nur funktioniert.«

»Ich rate Ihnen, den Kennel zu reparieren oder einen neuen zu kaufen, und ihn mit Kauspielzeug auszustatten. Dazu eignet sich ein Seil, Tennisbälle, Kauknochen, solche Dinge. Ich gebe Ihnen eine Liste mit, auf der alles steht, was Sie für das Training brauchen. Ich habe einen Kurs in …« Sie blickte auf die Armbanduhr. »Mist. In einer halben Stunde. Und ich habe Syl nicht angerufen.«

Als Jaws begann, an ihr hochzuspringen und den Versuch machte, ihr Bein zu besteigen, beugte sie sich einfach vor und drückte sein Hinterteil auf den Boden. »Sitz.« Da sie keine Belohnung zur Hand hatte, hockte sie sich hin, hielt ihn in der Position und lobte ihn in den höchsten Tönen. »Wenn Sie Zeit haben, können Sie auch gleich hierbleiben. Ich trage Sie für den Kurs ein.«

»Ich habe keine Million Dollar bei mir.«

Sie ließ den Welpen los und nahm ihn auf den Arm. »Haben Sie denn dreißig?«

»Ich denke schon.«

»Dreißig Minuten Gruppentraining kosten dreißig Dollar. Wie alt ist er? Etwa drei Monate?«

»So ungefähr.«

»Es funktioniert schon. Es ist ein achtwöchiger Kurs, und Sie sind zwei Wochen im Rückstand. Ich werde zwei zusätzliche Sitzungen mit ihm durchführen, damit er aufholt. Ist das für Sie in Ordnung?«

Simon zuckte mit den Schultern. »Es ist billiger als ein neuer Truck.«

»Sehr viel billiger. Für heute leihe ich Ihnen eine Leine und ein Halti.« Mit dem Welpen auf dem Arm ging sie zum Haus.

»Und wenn ich Ihnen fünfzig Dollar zahlen würde, und Sie würden alleine mit ihm arbeiten?«

Sie warf ihm einen Blick zu. »Das mache ich nicht. Er ist nicht der einzige Hund, der Training braucht.« Im Haus drückte sie ihm den Welpen in den Arm. »Kommen Sie mit nach hinten. Ich habe ein paar zusätzliche Leinen und Halsbänder, und Sie brauchen Hundekuchen. Und ich muss noch einen Anruf erledigen.«

Sie ging in den Haushaltsraum hinter der Küche, wo auf Regalen Leinen, Halsbänder, Bürsten, verschiedene Hundespielzeuge und Hundefutter säuberlich aufgereiht lagen.

Simon hatte das Gefühl, sich in einer kleinen Hundeboutique zu befinden.

Erneut warf sie Jaws einen Blick zu, als er sich in Simons Armen wand und versuchte, an der Hand seines Herrchens zu knabbern.

»Machen Sie es so.«

Sie drehte den Kopf des kleinen Hundes zu sich und schloss ihm die Schnauze sanft mit Zeigefinger und Daumen. »Nein.« Ohne den Hund aus den Augen zu lassen, griff sie hinter sich und hielt ihm einen kleinen Kauknochen aus Rindshaut hin. »Der gehört dir.« Als er ihn ins Maul nahm, nickte sie. »Guter Hund! Setzten Sie ihn jetzt zu Boden. Wenn er an Ihnen herumkaut oder sonst etwas anknabbert, was er nicht haben darf, machen Sie es genauso. Korrigieren Sie ihn, sagen Sie nein, und geben Sie ihm etwas, das er haben darf. Sie müssen ihn ständig positiv verstärken. Und jetzt suchen Sie sich eine Leine und ein Halsband für ihn aus.«

Sie ging in die Küche, ergriff das Telefon und gab die Nummer ihrer Stiefmutter ein. »Mist«, murmelte sie, als der Anrufbeantworter ansprang. »Syl, ich hoffe, du bist noch nicht unterwegs. Ich bin abgelenkt worden und habe vergessen anzurufen. Ich bin zu Hause. Wir haben den kleinen Jungen gefunden. Es geht ihm gut. Er ist einem Kaninchen hinterhergelaufen und hat sich verirrt, aber es ist nichts Schlimmes passiert. Na ja, wenn du schon unterwegs bist, sehe ich dich ja gleich. Wenn nicht, danke für den Bereitschaftsdienst. Ich rufe dich später noch mal an. Tschüs.«

Sie legte das Telefon ab und drehte sich um. Simon stand in der Tür, eine Leine in einer Hand und ein kleines Halti in der anderen. »Die hier?«

»Ja, das müsste passen.«

»Was für ein kleiner Junge?«

»Hmm. Oh, Hugh Cauldwell – er und seine Eltern machen ein paar Tage Ferien im Nationalpark. Er ist heute Morgen, als sie noch schliefen, einfach aus dem Haus und in den Wald gelaufen. Haben Sie das nicht gehört?«

»Nein. Sollte ich?«

»Na ja, wir sind hier auf Orcas. Auf jeden Fall ist ihm nichts passiert. Er ist wieder zu Hause.«

»Arbeiten Sie für den Nationalpark?«

»Nein. Ich gehöre zur freiwilligen Hunderettungsstaffel.«

Simon wies auf die drei Hunde, die schlafend auf dem Küchenboden lagen. »Mit denen?«

»Ja. Sie haben alle eine entsprechende Ausbildung. Jaws könnte unter Umständen auch ein guter Kandidat für die Rettungsstaffel sein.«

Simon gab einen Laut von sich, der entfernt einem Lachen ähnelte. »Ja, klar.«

»Starker Spieltrieb, neugierig, mutig, freundlich, körperlich stabil.« Sie zog die Augenbrauen hoch, als der Welpe sich von seinem neuen Spielzeug abwandte, um die Schnürsenkel an Simons Schuhen zu attackieren. »Er hat eine Menge Energie. Haben Sie das Training schon wieder vergessen, Mensch?«

»Hä?«

»Korrigieren, ersetzen und loben.«

»Oh.« Er hockte sich hin und wiederholte das, was Fiona vor Kurzem demonstriert hatte. Jaws nahm kurz den Kauknochen zwischen die Zähne, spuckte ihn aber sofort wieder aus und wandte sich erneut den Schnürsenkeln zu.

»Machen Sie einfach weiter. Ich muss rasch ein paar Dinge vorbereiten.« Sie wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen. »Können Sie mit der Kaffeemaschine umgehen? «

Er blickte auf das Gerät, das auf der Küchentheke stand. »Ich glaube schon.«

»Können Sie mir dann bitte einen Kaffee machen? Schwarz, ein Stück Zucker.«

Stirnrunzelnd blickte er ihr nach.

Er war erst seit ein paar Monaten auf der Insel und bezweifelte, dass er sich jemals an die lässige, offene Art des Umgangs miteinander gewöhnen würde. Ein vollkommen Fremder wurde einfach hereingelassen und buchstäblich allein gelassen, um Kaffee zu machen.

Sie hatte doch nur sein Wort, wer er war, und außerdem wusste niemand, dass er da war. Wenn er nun ein Irrer wäre? Ein Vergewaltiger? Okay, drei Hunde, dachte er und warf ihnen einen Blick zu. Aber bisher waren sie genauso freundlich und entspannt wie ihre Besitzerin gewesen.

Und im Moment schnarchten sie alle drei.

Wie mochte sie es wohl geschafft haben, mit drei Hunden klarzukommen, während er mit einem kaum fertig wurde? Als er hinunterblickte, sah er, dass der Welpe aufgehört hatte, an seinen Schnürsenkeln zu kauen, weil er quer über seinem Stiefel eingeschlafen war, die Schnürsenkel immer noch zwischen den Zähnen.

So vorsichtig, wie ein Mann sich von einem wilden Eber wegbewegen würde, zog Simon seinen Fuß zurück und hielt den Atem an, bis der Welpe als seidiges Häufchen Fell auf dem Fußboden lag.

Er schlief tief und fest.

Eines Tages, dachte er, als er an die Kaffeemaschine trat, würde er es seiner Mutter heimzahlen. Irgendwann einmal.

Er studierte die Maschine und überprüfte, ob genügend Kaffeebohnen und Wasser darin waren. Als er sie einschaltete, weckte das mahlende Geräusch der integrierten Kaffeemühle den Welpen, und er fing wie wild an zu bellen. Auch die anderen Hunde spitzten die Ohren. Einer von ihnen gähnte.

Jaws sprang fröhlich auf und stürmte zum Rudel.

Während sie miteinander rangelten, überlegte Simon, ob er sich nicht einen von ihnen ausleihen könnte. Als Babysitter, dachte er.

Da die Schränke Glastüren hatten, hatte er kein Problem, zwei kobaltblaue Kaffeebecher zu finden. Auf der Suche nach Kaffeelöffeln musste er mehrere Schubladen öffnen, aber das gab ihm Gelegenheit, darüber zu staunen, wie ordentlich und aufgeräumt alles war.

Wie machte sie das bloß? Er war erst seit ein paar Monaten in seinem Haus, und seine Küchenschubladen sahen schon aus wie ein Flohmarkt. So organisiert konnte man doch gar nicht sein. Das war nicht normal.

Aber die Frau sieht interessant aus, dachte er, während er sich umschaute. Die Haare waren nicht richtig rot, aber auch nicht richtig blond, und die Augen waren von einem klaren, perfekten Blau. Sie hatte eine Stupsnase mit ein paar Sommersprossen und einen leichten Überbiss, der ihre Oberlippe besonders voll wirken ließ.

Langer Hals, dachte er, als er den Kaffee einschenkte, schmal und langgliedrig.

Nicht schön. Auch nicht hübsch oder niedlich. Aber … interessant. Und wenn sie lächelte, dann war sie beinahe attraktiv. Beinahe.

Er gab einen Löffel Zucker in eine Tasse und ergriff die andere. Während er den ersten Schluck trank, blickte er aus dem Fenster über ihrer Spüle. Als er ihre Schritte hörte, drehte er sich um. Sie bewegte sich rasch, mit einer Effizienz, die auf sportliches Training hindeutete. Nicht nur schmal, dachte er, sondern drahtig.

Als sie eintrat, hockte Jaws sich gerade hin.

Simon öffnete den Mund, aber bevor er Hey! schreien konnte, warf Fiona krachend den Aktenordner, den sie in der Hand hielt, auf den Küchentresen und klatschte zweimal scharf in die Hände.

Das Geräusch erschreckte Jaws, und er hielt inne.

Sie hob ihn mit einer Hand hoch und ergriff mit der anderen die Leine. »Guter Hund, Jaws, guter Hund. Komm, wir gehen raus. Zeit, rauszugehen. Speisekammer, zweites Regal, das Glas mit den kleinen Leckerli, nehmen Sie eine Handvoll«, befahl sie Simon und klickte die Leine ans Halsband, während sie zur Hintertür eilte.

Die drei Hunde liefen ihr hinterher.

Ihre Mini-Speisekammer war genauso makellos organisiert wie die Schubladen. Simon nahm sich eine Handvoll kleiner Hundekuchen und folgte ihr mit den beiden Kaffeebechern.

Sie trug den Hund immer noch und ging mit ihren langen Beinen rasch zum Waldrand, der die Grenze ihres Grundstücks bildete. Dort setzte sie Jaws ab.

»Stopp.« Sie hielt den Welpen davon ab, die Leine zu attackieren und streichelte ihm über den Kopf. »Guck zu den Großen, Jaws! Was machen die großen Hunde?« Sie drehte ihn um und ging ein paar Schritte.

Offensichtlich fand Jaws interessant, was die Hunde machten. Er hoppelte zu ihnen, als sie schnüffelten und das Bein hoben.

»Ich lasse ihm ein bisschen Spielraum. Danke.« Fiona ergriff den Kaffeebecher, trank einen Schluck und seufzte befriedigt. »Oh, himmlisch. Okay. Sie sollten sich eine feste Stelle aussuchen, an der Ihr Hund einen Haufen machen kann, schließlich wollen Sie ja bestimmt nicht überall auf dem Grundstück Tretminen haben. Sie gehen also immer mit ihm an dieselbe Stelle. Nach einer Weile wird er ganz von allein dort hinlaufen. Sie müssen nur wachsam und konsequent bleiben. Er ist noch ein Baby, was bedeutet, dass Sie mehrmals am Tag mit ihm herausmüssen. Sobald er morgens aufwacht und bevor Sie abends zu Bett gehen und jedes Mal, wenn er gefressen hat.«

Im Geiste sah Simon schon vor sich, wie er sein Leben nur nach dem Verdauungsrhythmus des Hundes ausrichtete.

»Und wenn er tut, was er tun soll«, fuhr Fiona fort, »seien Sie begeistert. Positive Verstärkung ist wichtig – und zwar reichlich. Er will Ihnen gefallen. Er will gelobt und belohnt werden. Sehen Sie, er macht es den großen Hunden nach.«

Simon schüttelte den Kopf. »Wenn ich mit ihm rausgehe, dann schnüffelt er stundenlang herum, und kaum sind wir wieder im Haus, löst er sich.«

»Machen Sie es ihm vor. Sie sind doch ein Mann. Ziehen Sie ihn heraus, und pinkeln Sie.«

»Jetzt?«

Sie lachte – ja, dachte er, beinahe attraktiv. »Nein, zu Hause, in Ihrem Garten. Hier.« Sie drückte ihm die Leine in die Hand. »Hocken Sie sich hin, und rufen Sie ihn. Fröhlich. Benutzen Sie seinen Namen, und wenn er kommt, loben und streicheln Sie ihn, und geben Sie ihm ein Leckerli.«

Er kam sich blöd dabei vor, glückliche Laute von sich zu geben, nur weil sein Hund im Wald einen Haufen machte, aber da er an die zahllosen Häufchen dachte, die er schon vom Fußboden geputzt hatte, befolgte er ihre Anweisungen.

»Gut gemacht. Und jetzt probieren wir mal ein grundlegendes Kommando aus, bevor die anderen kommen. Jaws.« Sie versicherte sich der Aufmerksamkeit des Welpen und streichelte ihn, bis er sich beruhigt hatte. Dann nahm sie eins der Leckerchen, die Simon mitgebracht hatte, legte es auf ihre linke Handfläche und hob ihren rechten Zeigefinger. »Jaws, sitz! Sitz!« Während sie sprach, bewegte sie ihren Finger nach oben, so dass der Welpe ihm mit seinen Blicken folgte. Sein Hinterteil plumpste zu Boden.

»Guter Hund! Brav!« Sie fütterte ihn, tätschelte ihn, lobte ihn. »Das müssen Sie ständig wiederholen. Er wird automatisch hochblicken, und dann geht sein Hinterteil herunter. Sobald er sitzt, loben und belohnen Sie ihn. Hat er es einmal begriffen, brauchen Sie nur noch Ihre Stimme einzusetzen. Wenn er es nicht kapiert, fangen Sie noch mal von vorne an. Und immer wieder loben und belohnen.«

Sie trat einen Schritt zurück.

Da der Welpe ihr folgen musste, hatte Simon ein wenig zu kämpfen.

»Sorgen Sie dafür, dass er sich auf Sie konzentriert. Sie sind der Boss. Er soll Sie nicht für ein Weichei halten.«

Verärgert warf Simon ihr einen kühlen Blick zu. Aber er musste zugeben, dass es ihn stolz machte, als das Hinterteil des Welpen auf den Boden plumpste.

Fiona stand mit verschränkten Armen da und beobachtete ihn. Nein, sie beurteilt mich, dachte Simon, als er die Übung ständig wiederholte. Als ihre Hunde sich wie drei Sphinxen neben sie setzten, kam er sich völlig lächerlich vor.

»Versuchen Sie es ohne allzu viel Bewegung. Heben Sie den Zeigefinger, sagen Sie das Kommando. Halten Sie Blickkontakt. Zeigen Sie, sagen Sie das Kommando.«

Als ob das funktionieren würde, dachte Simon, aber er hob gehorsam den Zeigefinger. »Sitz.« Er riss die Augen auf, als Jaws sich hinsetzte. »Er hat sich hingesetzt. Du sitzt ja. Gut gemacht. Gut gemacht.« Jaws inhalierte den Hundekuchen, und Simon grinste übers ganze Gesicht. »Haben Sie das gesehen?«, sagte er zu Fiona.

»Ja. Er ist ein guter, kluger Hund.« Ihre Hunde spitzten die Ohren. »Wir müssen langsam anfangen. Ihre Klassenkameraden sind im Anmarsch.«

»Woher wissen Sie das?«

»Sie wissen es.« Sie legte dem Hund, der mit gespitzten Ohren neben ihr saß, die Hand auf den Kopf. »Hier, lassen Sie sich von Newman beschnüffeln.«

»Was?«

Wortlos ergriff sie Simons Hand und hielt sie an Newmans Nase. »Newman, das ist Simon. Das ist Simon. Geh mit Simon. Geh. Ich muss noch ein paar Sachen aufbauen. Newman begleitet Sie, während sie ein bisschen Leinentraining mit Jaws machen. Holen Sie das Halti, und dann kommen Sie wieder her. Newman hilft Ihnen.«

Als sie mit den anderen Hunden wegging, wollte Jaws ihnen hinterherstürmen, aber Newman versperrte ihm sanft den Weg.

»Willst du mit zu mir nach Hause kommen, Großer? Ich könnte dich gut gebrauchen. Wir gehen jetzt, oder? Wir gehen! «

Mit zahlreichen Pausen und tatkräftiger Unterstützung des erwachsenen Labradors gelang es Simon, den Welpen über den Rasen zu ziehen.

Wenn die drahtige, beinahe attraktive Hundetrainerin ihr Geld wert war, dachte er, hatte er am Ende vielleicht einen so tollen Hund wie Newman.

Wunder gab es immer wieder.

 

Eine Stunde später warf sich Simon in seinem eigenen Wohnzimmer erschöpft auf die Couch. Jaws scharrte winselnd an seinem Bein.

3

Da sie den ganzen Tag über Kurse hatte, brauchte Fiona ein kräftiges Frühstück. Über gesüßtem schwarzem Kaffee überlegte sie, ob Fruit Loops oder Toaster Strudels besser waren.

Vielleicht eine Kombination aus beidem, dachte sie, schließlich waren ihr gestern wegen Mann und Hund der fette Burger und die Berge von Pommes entgangen.

Ein sexy Mann und ein süßer Hund, sinnierte sie, aber sie hatte das Ende des Tages mit Tiefkühlpizza beschließen müssen, weil sie zu müde gewesen war, um zu kochen.

Und da jetzt schon wieder ein langer Tag vor ihr lag, konnte eine zusätzliche Portion Zucker ja wohl nicht schaden, oder?

Sie trank den Kaffee und beobachtete ihre Hunde, die draußen spielten. Sie wurde es nie leid, ihnen zuzuschauen. Und hatte sie nicht großes Glück, dass sie mit den Hunden ihren Lebensunterhalt verdienen und etwas Wichtiges tun konnte?

Sie dachte an den kleinen Jungen und seinen Vater, der vor Erleichterung weinend ihren Hund umarmte. Und jetzt sprang dieser Hund mit einem Stöckchen im Maul herum, so stolz auf seinen Fund – oder beinahe so stolz –, wie er darauf gewesen war, den Jungen gefunden zu haben.

Sie sah, dass alle drei Hunde die Ohren spitzten und vorne zum Haus liefen.

Jemand war über die kleine Brücke gefahren.

Verdammt! Ihr Tag fing doch erst in einer Stunde an. Bevor sie sich mit anderen Menschen abgeben konnte, brauchte sie erst noch ein anständiges Frühstück.

Aber als sie an die Tür trat und sie öffnete, hob sich ihre Laune. Mit Sylvia kam sie jederzeit zurecht.

Sylvia sprang aus ihrem schicken kleinen Hybrid-Auto – eine kompakte, lebhafte Frau mit dicken braunen, welligen Haaren. Sie trug kniehohe Stiefel mit dünnen Absätzen, dazu einen fließenden Rock mit einem pflaumenblauen Pullover, der zweifellos aus ihrem eigenen Laden stammte. An ihren Ohren baumelten riesige Silber-Triangel. Hinter ihr hüpfte ihr Boston Terrier Oreo aus dem Wagen.

Die Hunde begrüßten ihn freudig – Schnüffeln, Lecken, Wälzen, Rennen. Anmutig stieg Sylvia über die Meute hinweg und schenkte Fiona ein strahlendes Lächeln.

»Morgen, Süße! Wir sind eine Stunde zu früh, aber ich wollte noch ein bisschen mit dir tratschen. Hast du Zeit?«

»Für dich immer.« Fiona hockte sich hin und streichelte Oreo, der rasch zu ihr gekommen war, um sie ebenfalls zu begrüßen, bevor er zu seinen Spielgefährten zurücklief. »Komm in die Küche. Du kannst einen Tee trinken. Ich muss noch frühstücken.«

Sylvia umarmte sie, und Arm in Arm gingen sie ins Haus.

»Dass du und Peck den kleinen Jungen gefunden habt, ist das Thema auf der Insel. Das habt ihr gut gemacht.«

»Peck war perfekt. Und die Tatsache, dass Hugh zweimal Pipi machen musste, hat nicht geschadet. Aber es ist trotzdem erstaunlich, welche Strecke so ein kleiner Junge im Spiderman-Pyjama zurücklegen kann.«

»Er muss ja schreckliche Angst gehabt haben.«

»Ich glaube, eigentlich haben ihm die Nässe und die Kälte mehr zugesetzt. Und er war müde.« Fiona schaltete den Wasserkocher ein und zeigte auf den Schrank, wo sie für Sylvia eine Auswahl an Kräutertees aufbewahrte. »Es tut mir leid, dass ich dich nicht gleich angerufen und dir Bescheid gesagt habe.«

»Kein Problem.« Sylvia wedelte mit der Hand und entschied sich für Zimt-Pfirsich. »Ich war sowieso in einer Töpferei – und habe natürlich mein Handy im Auto vergessen. Das muss ich mir auch mal abgewöhnen.«

Sie kniff die Augen zusammen, als Sylvia eine Schachtel Fruit Loops aus dem Schrank nahm. »Du willst doch nicht im Ernst dieses bearbeitete Zuckerzeug zum Frühstück essen.«

»Da ist doch Obst drin.« Fiona lächelte hoffnungsvoll und schüttelte die Schachtel. »Es steht doch drauf.«

»Setz dich. Ich mache dir ein anständiges Frühstück.«

»Syl, das hier ist in Ordnung.«

»Vielleicht als du zehn warst, und auch dann nur ab und zu. Setz dich«, wiederholte sie und öffnete Fionas Kühlschrank. »Hm, hm. Na gut, damit kann ich was anfangen. Du bekommst ein Eiweiß-Omelette mit Vollkorntoast.«

»Ja?«

»Und erzähl mal. Er sieht interessant aus, oder?«