Im Schatten des Kauribaums - Sarah Lark - E-Book
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Im Schatten des Kauribaums E-Book

Sarah Lark

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Beschreibung

Neuseeland 1875: Lizzie und Michael Drury haben sich den Traum von einer großen Schaffarm erfüllt, vor ihnen liegt eine verheißungsvolle Zukunft. Doch ihr Leben gerät jäh aus den Fugen, als ihre älteste Tochter Matariki entführt wird - von ihrem leiblichen Vater, dem Maori-Häuptling Kahu Heke ...

Während die Drurys um ihre Tochter bangen, steht der Familie Burton ein scheinbar glückliches Ereignis bevor: Kathleens Sohn Colin kehrt nach Neuseeland zurück. Noch ahnt niemand, was der junge Mann heraufbeschwören wird ...

Zwei Familien sind auf schicksalhafte Weise miteinander verbunden, denn die Vergangenheit lebt in der Gegenwart weiter.

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Seitenzahl: 1145

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Danksagung

Neuseeland

Stammbaum

Kind der Sterne

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kind der Schatten

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Weltuntergang

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Keine Wahl

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Mit offenen Augen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Weiße Kamelien

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Nachwort

Über die Autorin

Sarah Lark, geboren 1958, arbeitete lange Jahre als Reiseleiterin. Ihre Liebe für Neuseeland entdeckte sie schon früh. Seine atemberaubenden Landschaften haben sie seit jeher magisch angezogen.

Sarah Lark ist das Pseudonym einer erfolgreichen deutschen Schriftstellerin. Sie lebt in Spanien und arbeitet zurzeit an ihrem nächsten Roman. Unter dem Autorennamen Ricarda Jordan entführt sie ihre Leserinnen auch ins farbenprächtige Mittelalter (Die Pestärztin).

SARAH LARK

IM SCHATTENDESKAURIBAUMS

Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Dieser Titel ist auch als Lübbe Audio erschienen.

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durchdie Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2011 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Melanie Blank-SchröderLandkarten: Reinhard BornerUmschlaggestaltung: HildenDesign, München

Datenkonvertierung E-Book:

Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0432-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

DANKSAGUNG

Wie immer haben mir bei der Arbeit an diesem Buch viele ­Menschen geholfen. Die Zusammenarbeit mit meiner Lektorin Melanie Blank-Schröder und meiner Textredakteurin Margit von Cossart war wieder mal hervorragend – vielen Dank an beide!

Klara Decker war erneut mit Testlesen und Internetrecherche behilflich, und im Bereich »Fahren mit Pferdefuhrwerken allgemein und Harness Racing im Besonderen« danke ich Judith Knigge für die Beratung in Sachen Kutschenbeleuchtung und authentische Tötungsmethoden mit Hilfe von Sulkys.

Besonderen Dank auch an alle, die immer wieder helfen, die Sarah-Lark-Neuseelandromane erfolgreich an die Leser zu bringen! Vom Vertrieb bis zum Buchhandel, von der Presseabteilung bis zur Umschlaggestaltung – eigentlich gehörten auch all Ihre Namen auf die Bestsellerlisten!

Und selbstverständlich ginge gar nichts ohne meinen wunderbaren Agenten Bastian Schlück und alle Mitarbeiter in der Agentur. Auch hier noch einmal tausend Dank!

Sarah Lark

KINDDER STERNE

Neuseeland, Dunedin und Waikato1875 – 1878England, LondonWales, Cardiff und Treherbert1878

KAPITEL 1

»Und bisher wurde sie privat unterrichtet?«

Miss Partridge, Direktorin der renommierten Otago Girls’ School in Dunedin, warf Matariki und ihren Eltern einen strengen Blick zu.

Matariki erwiderte ihn mit Gemütsruhe. Sie fand die dunkel gekleidete ältere Dame mit ihrem Lorgnon etwas seltsam – Miss Partridge mochte im Alter ihrer Großmütter aus dem Maori-Dorf sein, aber dort trug niemand eine Sehhilfe. Bedrohlich wirkte die Direktorin jedoch nicht auf sie, und auch das Zimmer mit seinen dunklen, zweifellos aus England importierten Möbeln, den schweren Volants vor den hohen Fenstern und den vielen Bücherregalen an den Wänden schüchterte das Mädchen nicht ein. Matariki fand lediglich das Verhalten ihrer Mutter befremdlich. Die war schon während der gesamten Fahrt von Lawrence nach Dunedin auf­geregt gewesen bis zur Hysterie, krittelte ständig an Matarikis Kleidern und ihrer Haltung herum und wirkte fast, als habe sie selbst die Prüfung zu bestehen, der man ihre Tochter heute unterziehen sollte.

»Nicht direkt, M…«

Lizzie Drury konnte sich gerade noch bezähmen, die Schulleiterin unterwürfig Madam zu nennen – bei der Vorstellung hätte sie beinahe einen Knicks gemacht. Sie rief sich energisch zur Ordnung. Lizzie war seit mehr als zehn Jahren verheiratet und Herrin über Elizabeth Station, eine Farm bei Lawrence. Es war lange her, dass sie als Hausmädchen Dienst getan hatte, aber sie konnte sich nicht helfen: Hochherrschaftliches Benehmen schüchterte sie immer noch ein.

»Miss Partridge«, sagte sie jetzt und versuchte, ihre Stimme fest klingen zu lassen. »Unsere Tochter war eigentlich in der Schule in Lawrence. Aber die Ansiedlung stirbt ja langsam aus, seit die Goldgräber weiterziehen. Was da noch übrig ist … na ja, wir mochten die Kinder jedenfalls nicht mehr hinschicken. Deshalb haben wir den Unterricht im letzten Jahr privat geregelt. Allerdings … die Grenzen unserer Hauslehrerin sind inzwischen erreicht.«

Lizzie überprüfte mit nervösen Fingern den Halt ihrer Frisur. Sie trug ihr krauses dunkelblondes Haar ordentlich aufgesteckt unter einem kecken Hütchen. Vielleicht ein zu keckes Hütchen? Vor Miss Partridges würdiger, aber krähenartig dunkler Erscheinung erschienen das zarte Blau und der pastellfarbene Blumenschmuck schon fast zu gewagt. Wenn es nach Lizzie gegangen wäre, hätte sie ihren langweiligen Kapotthut aus der letzten Ecke ihres Kleiderschrankes hervorgekramt und aufgesetzt, um seriöser zu erscheinen. Michael hatte hier jedoch nicht mitgespielt.

»Wir fahren in eine Schule, Lizzie, nicht zu einer Beerdigung!«, hatte er lachend gesagt. »Die werden Riki schon nehmen. Warum auch nicht? Sie ist ein aufgewecktes Kind. Na ja, und wenn nicht … dies ist nicht die einzige Mädchenschule auf der Südinsel!«

Lizzie hatte sich breitschlagen lassen, aber vor den gestrengen Augen der Direktorin meinte sie nun doch, im Boden versinken zu müssen. Denn egal, ob die Otago Girls’ School einzigartig war oder nicht: Matariki war ganz sicher ein Sonderfall …

Miss Partridge spielte mit ihrem Lorgnon, und ihr Blick wurde nun deutlich missbilligend.

»Das ist ja interessant, Kleine …«, meinte sie und wandte sich erstmalig Matariki zu, statt nur ihre Eltern anzusprechen. »Du bist – wie war das noch? – gerade elf Jahre alt. Aber die Möglichkeiten deiner Hauslehrerin sind bereits erschöpft? Du musst ein wahrhaft begabtes Kind sein!«

Matariki, der die Ironie der Rede völlig entging, lächelte – ein Lächeln, das ihr gewöhnlich alle Herzen zufliegen ließ. »Die Großmütter sagen, ich sei klug«, bestätigte sie mit ihrer melodischen, sanften Stimme. »Aku meint, ich könne mehr haka tanzen als alle anderen Mädchen, die so alt sind wie ich. Und Haeata sagt, ich könne tohunga werden, Heilerin, wenn ich weiter Pflanzenkunde lerne. Und Ingoa …«

»Wie viele Großmütter hast du, Kind?«, fragte Miss Partridge verwirrt.

Matarikis große hellbraune Augen verloren sich kurz ins Weite, während sie die Ältesten des Stammes in Gedanken durchzählte. Es ging schnell – auch im Rechnen war das Mädchen weit für sein Alter, wofür allerdings weniger Hauslehrer, Lehrer oder »Großmütter« verantwortlich waren, sondern eher die sparsame Mutter.

»Sechzehn«, sagte sie dann.

Miss Partridge wandte ihren wasserblauen Blick wieder Matarikis Eltern zu. Lizzie verschlug ihr Ausdruck umgehend die Sprache.

»Sie meint die alten Frauen des Maori-Stammes in unserer Nachbarschaft«, erklärte Michael. »Bei den Ngai Tahu ist es üblich, alle älteren Frauen Großmutter zu nennen, nicht nur die leiblichen Großmütter. Das gilt auch für Großväter, Tanten und Onkel … manchmal sogar Mütter.«

»So … ist sie gar nicht Ihr leibliches Kind?«

Miss Partridge schien der Gedanke fast zu erleichtern. Schließlich sah Matariki ihren Eltern nicht sonderlich ähnlich. Michael Drury war zwar dunkelhaarig wie seine Tochter, aber seine Augen blitzten so blau wie der Himmel über Irland – und auch seine Sprache verriet noch seine Herkunft. Sein Gesicht war kantig, nicht rund wie Matarikis, und seine Hautfarbe heller. Von seiner Frau konnte das Mädchen immerhin die zierliche Figur und das lockige Haar haben – aber Lizzies wirkte eher kraus, während Matarikis wellig war. Dazu waren auch Lizzies Augen von hellem Blau. Die Bernsteinfarbe hatte keiner der beiden dem Kind vererbt.

»Nein, nein!« Michael Drury schüttelte entschlossen den Kopf. »Matariki ist natürlich unsere Tochter.«

Lizzie warf ihm einen kurzen, schuldbewussten Blick zu, aber Michael erwiderte ihn nicht, sondern hielt dem offensichtlichen Unmut der Schulleiterin stand. Michael Drury hatte seine Fehler, und mitunter brachte seine leichtsinnige Art Lizzie noch heute zum Wahnsinn. Aber er hielt seine Versprechen, auch jenes, das Lizzie ihm vor Matarikis Geburt abgenommen hatte: Du wirst dem Kind nie vorwerfen, was seine Mutter ist und war.

Tatsächlich hatte Michael die Frage der Vaterschaft nie gestellt, obwohl schon bald nach Matarikis Geburt klar gewesen war, dass er dieses dunkelhäutige, braunäugige Feenkind nicht gezeugt haben konnte. Die einzige Bemerkung, die damals zu diesem Thema gefallen war, bezog sich auf die Wahl des Namens.

»Du willst sie nicht wirklich Mary nennen«, hatte Lizzie gesagt und den Blick beschämt gesenkt.

Mary Kathleen, Michaels Jugendliebe, wäre fast zur Namens­patin der Kleinen geworden. Michael hatte dann jedoch nur den Kopf geschüttelt.

Jetzt straffte sich Lizzie. Die Direktorin konnte nicht glauben, dass Matariki ihrer beider Tochter war. Wenn sie nur ein bisschen von Biologie verstand, musste sie wissen, dass zwei blauäugige Menschen kein braunäugiges Kind zeugen konnten.

»Ich bin ihre Mutter«, sagte Lizzie fest. »Und ansonsten ist sie ein Kind der Sterne.«

So hatte Hainga, die Weise Frau des Maori-Stammes, Matariki einmal genannt. Das Kind war im Taumel des Tou-Hou-Festes gezeugt worden. Die Maori feierten Neujahr, wenn sich die Sternkonstellation Matariki erstmalig am Nachthimmel der Südinsel zeigte.

Miss Partridge runzelte erneut die Stirn. »Also nicht nur über­irdisch begabt, sondern auch noch himmlisch gezeugt …«, bemerkte sie.

Matariki blitzte die Schulleiterin an. Sie war ziemlich arglos, und die Worte der Frau sagten ihr nicht viel, aber sie spürte doch, dass sie ihre Mutter verletzten. Und das würde sie nicht zulassen.

»Haikina sagt, ich sei eine Häuptlingstochter!«, trumpfte sie auf. »Das ist so etwas wie eine Prinzessin. Glaube ich jedenfalls.«

Lizzie hätte beinahe gelächelt. Auch sie hatte das einmal gedacht. Kahu Heke, Matarikis Vater, hatte sie in der Hoffnung in seine Arme gelockt, sie werde seine Königin sein. Aber tatsächlich war es ganz anders gekommen … und Haikina hatte Recht daran getan, Matariki nicht alles darüber zu sagen.

Miss Partridges Blick wurde eher noch unwilliger, aber jetzt raffte Michael sich auf. Er musste eingreifen – er würde nicht länger zuschauen, wie Lizzie vor dieser impertinenten Matrone immer kleiner wurde.

»Miss Partridge, dies ist Matariki Drury, und sie ist die Tochter von Michael und Elizabeth Drury. So steht es im Geburtenregister von Dunedin, und so bitten wir Sie, es zu akzeptieren. Unsere Tochter ist ein kluges Kind, aber als übernatürlich würde ich ihre Gaben nun auch nicht bezeichnen. Allerdings hat ihre Hauslehrerin Haikina lediglich die Missionsschule besucht. Sie kann gut lesen und schreiben, was sie unseren Kindern mit liebevoller Strenge vermittelt. Aber sie spricht weder Französisch noch Latein, und sie kann Matariki weder auf ein Studium noch auf eine Heirat mit einem Mann aus gleicher Gesellschaftsschicht vorbereiten.«

Michael betonte »gleiche Gesellschaftsschicht« fast bedrohlich. Miss Partridge sollte sich unterstehen, ihm hier zu widersprechen. In den letzten Jahren hatten Lizzie und er ihre Farm bei Lawrence zwar nicht zu einem Schafbaronat, aber doch zu einem kleinen, sehr erfolgreichen Zuchtbetrieb ausgebaut. Dabei spezialisierten sie sich weniger auf Wollproduktion in großem Stil denn auf die Zucht von Qualitätstieren. Gezielte Anpaarung und mitunter auch Experimente zur Erzeugung besonderer Wollqualitäten waren in einem kleineren Betrieb einfacher zu handhaben als auf großen Farmen, die allein mit Weideführung und Schur der vielen Tiere voll ausgelastet waren. Widder und Mutterschafe von Elizabeth Station erzielten auf Auktionen höchste Preise, und die Drurys waren durchaus angesehen.

Allerdings litt vor allem Lizzie an Minderwertigkeitsgefühlen, wenn sie zu Treffen der Schafzüchtervereinigungen eingeladen waren oder die dortigen Bälle besuchten. Beide Drurys kamen aus einfachen Verhältnissen, und besonders Michael bemühte sich gar nicht erst um gesellschaftlichen Schliff. Lizzie strengte sich eher an, aber sie war schüchtern. Vor Leuten wie den Wardens aus Kiward Station oder den Barringtons und Beasleys aus Canterbury versagte zunächst ihr sonst Wunder wirkendes Lächeln und dann auch gleich ihre Stimme. Matariki, das hatte sie sich geschworen, sollte es nicht so gehen. Die Otago-Mädchenschule sollte ihr das nötige Rüstzeug dazu geben.

Aber Matariki neigte ohnehin nicht zur Schüchternheit. Sie war auch nicht nervös, als Miss Partridge sich nun endlich dazu bequemte, ihr ein paar Wissensfragen und Rechenaufgaben zu stellen. Mit klarer Stimme und ohne jeden Anklang von irischem Dialekt oder Londoner Cockney, mit dem Lizzie Zeit ihres Lebens kämpfte, löste sie die Aufgaben. Was das anging, war Haikina eine ideale Lehrerin gewesen. Die junge Maori hatte in der Missionsschule ein hervorragendes und völlig akzentfreies Englisch gelernt.

Schließlich wartete Matariki gelangweilt, bis Miss Partridge das Diktat korrigiert hatte. Die Direktorin schaute danach etwas wohlwollender drein. Matariki war lediglich bei einem sehr schwierigen Wort ein Fehler unterlaufen.

»Also, vom Wissensstand her bestehen keine Bedenken gegen ihre Aufnahme«, bemerkte Miss Partridge schließlich etwas säuerlich. »Allerdings … Sie müssen sich darüber klar sein, dass … äh … Mata… äh …riki hier das einzige Mädchen mit einem derart … hm … exotischen Hintergrund sein wird.«

Michael wollte schon wieder auffahren, Miss Partridge jedoch hob beschwichtigend die Hand.

»Bitte, Mr. Drury, ich sage Ihnen das in bester Absicht. Wir haben hier Mädchen … nun ja, die besten Familien aus Canterbury und Otago schicken uns ihre Töchter, und einige dieser Kinder sind … nun ja … sie sind es nicht gewöhnt …«

»Also meinen Sie jetzt, der Anblick unserer Tochter würde diese Kinder so erschrecken, dass sie gleich wieder nach Hause laufen würden?«

Michael reichte es jetzt wirklich. Geduld gehörte nicht zu seinen Stärken, und am liebsten wäre er gleich zur nächsten Schule weitergefahren. Miss Partridges Institut mochte die beste Mädchenschule in Otago sein, aber weiß Gott nicht die einzige auf der Südinsel Neuseelands! Andererseits konnte er Lizzie auf keinen Fall noch eine weitere Prozedur wie diese zumuten. Sie schaute jetzt schon aus wie ein verschrecktes Kätzchen.

»Ich meine das ganz im Sinne Ihrer Tochter«, sagte Miss Partridge. »Die meisten dieser Kinder kennen Maori bestenfalls als Dienstboten. Ihre Tochter wird es nicht leicht haben.«

Lizzie setzte sich auf. Wenn sie den Kopf hob und sich gerade hielt, wirkte sie größer und selbstbewusster – erstmalig an diesem Tag sah sie aus wie die weiße Frau, von der die Ngai Tahu mit mehr Achtung sprachen als von jeder anderen auf der Südinsel: Die pakeha wahine besaß für sie mehr mana als die meisten Krieger.

»Miss Partridge, das Leben ist nicht leicht«, sagte sie ruhig. »Und wenn Matariki das nicht unter schlimmeren Umständen lernt als im Umgang mit ein paar verwöhnten Gören einer Mädchenschule, dann ist sie zu beneiden.« Miss Partridge sah ihre Besucherin erstmalig verwundert an. Eben war sie ihr noch wie eine graue Maus erschienen, aber jetzt … Und Lizzie war noch nicht fertig. »Vielleicht gewöhnen Sie sich auch mal an ihren Namen, wenn sie demnächst hier zur Schule gehen soll. Sie heißt Matariki.«

Miss Partridge verzog den Mund. »Ja … hm … das ist auch so etwas, über das wir noch sprechen sollten. Könnten wir sie nicht … Martha nennen?«

»Natürlich schicken wir sie in die Otago Girls’ School!«

Die Drurys hatten sich von Miss Partridge verabschiedet, ohne genaue Absprachen zu Matarikis Eintritt in die Schule zu treffen, und Michael hatte sofort auf »dieses impertinente Weibsbild« zu schimpfen begonnen, als sie auf die Straße traten. Lizzie ließ ihn eine Zeitlang toben – er würde sich beruhigen, während er die Pferde aus dem Mietstall holte. Als er dann jedoch die Katho­lische Mädchenschule Sacred Heart ins Gespräch brachte, machte sie ihren Standpunkt energisch klar.

»Otago ist die beste Schule, du hast selbst gehört, dass die ganzen Schafbarone ihre Töchter hinschicken. Und sie wollen Matariki aufnehmen. Es wäre Wahnsinn, darauf zu verzichten.«

»Diese jungen reichen Dinger werden ihr das Leben zur Hölle machen!«, regte Michael sich auf.

Lizzie lächelte. »Wie ich vor Miss Partridge schon andeutete«, bemerkte sie, »besteht die Hölle nicht aus Plüschsofas, englischen Möbeln und gut beheizten Klassenzimmern. An solchen Orten mögen sich zwar ein paar Teufelchen herumtreiben, aber bestimmt nicht so viele wie in Newgate Prison und Wicklow Gaol und austra­lischen Sträflingscamps und neuseeländischen Goldgräberlagern. Wir haben das alles überlebt, Michael – aber Matariki willst du nicht mal eine Mädchenschule zumuten?«

Michael schenkte ihr einen fast etwas verschämten Seitenblick, während er die Pferde antreten ließ. »Sie ist immerhin eine Prinzessin«, lächelte er und wandte sich dann seiner Tochter zu. »Möchtest du denn in diese Schule gehen, Matariki?«

Matariki zuckte die Schultern. »Die Kleider sehen hübsch aus«, urteilte sie und wies auf ein paar Mädchen, die in den rot-blauen Schuluniformen der Otago School vorbeigingen. Lizzie ertappte sich bei dem Gedanken, dass ihre Tochter darin entzückend aussehen würde. Auch die weißen Blusen passten gut zu Matarikis fast gold schimmerndem Teint, ihren himbeerfarbenen Lippen und den schwarzen Locken, die weich waren wie Lizzies eigenes Haar, aber kräftiger und voller. »Und Haikina sagt, Mädchen müssen viel lernen, mehr als Jungen! Wer viel weiß, hat viel mana, und wer das meiste mana hat, kann Häuptling werden.«

Lizzie lachte etwas gezwungen. Sie wusste aus eigener, leidvoller Erfahrung, dass zu viel mana einer Frau nicht immer zugutekam.

»Aber Freundinnen, Matariki«, widerstrebend beschloss sie, das Mädchen immerhin auf die möglichen Schwierigkeiten an der Otago School hinzuweisen, »es kann sein, dass du hier keine Freundinnen findest.«

Matariki sah ihre Mutter gleichmütig an. »Ein Häuptling, sagt Haikina, hat keine Freunde. Häuptlinge sind un… unbe…«

»Unberührbar«, ergänzte Lizzie. Auch das weckte böse Erinnerungen.

Matariki nickte. »Das werde ich dann eben auch sein.«

»Wollen wir noch bei den Burtons vorbeischauen?«

Lizzie stellte die Frage nur widerstrebend, als ihre Chaise in südwestliche Richtung durch die nicht sehr sorgfältig gepflasterten Straßen von Dunedin rumpelte. Reverend Burton war zwar stets ihr Freund gewesen, aber seine Frau Kathleen betrachtete sie nach wie vor mit leichtem Argwohn. Zu lange hatte Michael seine »Mary Kathleen« geliebt, und beinahe wäre seine Hochzeit mit Lizzie an seiner wiederaufflammenden Leidenschaft zu ihr gescheitert. Am liebsten hätte Lizzie den Kontakt zu den Burtons deshalb ganz abgebrochen – sie wusste, dass Reverend Peter das verstanden hätte. Er sah Michael ebenso ungern in Kathleens Nähe wie Lizzie Kathleen in seiner. Aber da gab es schließlich noch Sean, Kathleens und Michaels gemeinsamen Sohn. Sean hatte seinen Vater erst als fast Erwachsener kennen gelernt, und auch wenn die beiden sich nicht allzu sehr füreinander erwärmen konnten – sie sollten sich doch nicht mehr vollständig aus den Augen verlieren.

»Sind die nicht in Christchurch?«, fragte Michael. »Ich dachte, Heather hätte da eine Ausstellung.«

Heather war Kathleens Tochter aus ihrer Ehe mit Ian Coltrane – wieder so eine Geschichte, an die Michael sich ungern erinnerte. Viele Jahre zuvor war er gezwungen gewesen, seine schwangere Verlobte Kathleen in Irland zurückzulassen, als man ihn wegen Getreidediebstahls deportierte. Aber Kathleen hatte nicht auf seine Rückkehr warten können. Ihr Vater verheiratete sie mit dem Pferdehändler Ian Coltrane, der versprach, ihrem Kind ein Vater zu sein. Die Ehe war unglücklich geworden, aber nichtsdestotrotz mit zwei weiteren Kindern gesegnet. Das Jüngste war Heather, die sich eben als Porträtmalerin einen Namen machte. In dieser Woche stellte eine Galerie in Christchurch ihre Werke aus. Kathleen und Peter waren mit der jungen Frau dorthin gereist, um das Ereignis zu ­feiern.

Lizzie lauschte Michaels Worten und fand, dass sie nicht bedauernd klangen. Auch Michael schien nicht gerade darauf zu brennen, den Burtons einen Besuch abzustatten, obwohl alle Beteiligten stets sehr freundschaftlich taten. Aber natürlich musste es ihm seltsam erscheinen, seine alte Liebe mit einem anderen verheiratet zu sehen, noch dazu einem Geistlichen der Church of England. Michael und Kathleen waren gemeinsam in einem Dorf in Irland aufgewachsen und selbstverständlich katholisch erzogen. Vielleicht schüchterte das Zusammensein mit dem belesenen, hochgebildeten Peter Burton Michael auch nur etwas ein – oder noch eher das Treffen mit dem nicht minder belesenen und ebenso hochgebildeten Sean.

Michael mochte damit zurechtkommen, dass ein Reverend klüger war als er, aber auf die Besserwisserei seines Sohnes reagierte er empfindlich – zumal der Junge ihn besonders in der Anfangszeit ihrer Bekanntschaft sehr deutlich spüren ließ, dass er nichts von seinem leiblichen Vater wissen wollte. Inzwischen hatte sich das etwas gegeben. Seit Kathleen den Reverend und Michael Lizzie Owens geheiratet hatte, fühlte Sean sich nicht mehr bedroht durch den plötzlich aufgetauchten Vater.

»Und Sean ist jetzt noch in der Kanzlei«, führte Michael weiter aus. Sean hatte an der Universität von Dunedin Rechtswissenschaften studiert und gerade seine erste Anstellung als Referendar angetreten. Er wollte Anwalt werden und arbeitete hart. »Wenn wir ihn sehen wollen, müssen wir in der Stadt bleiben. Sollen wir in ein Hotel gehen?«

Es lagen etwa vierzig Meilen zwischen Dunedin und Elizabeth Station, und Lizzie wurde das Herz ein bisschen schwer, wenn sie daran dachte, dass sie demnächst so weit von ihrer Tochter entfernt leben würde. Auch in Sachen Übernachtung war sie hin und her gerissen. Einerseits liebte sie den Luxus der besseren Hotels und hätte zu gern ein festliches Abendessen und ein Glas Wein mit Michael genossen – dem Wein und auch dem Weinbau gehörte Lizzies Leidenschaft, sie versuchte sich sogar selbst im Anbau von Reben auf ihrer Farm. Andererseits würde Haikina sich möglicherweise sorgen, wenn sie nicht wie angekündigt am Abend zurück wären. Die Maori-Freundin und Hauslehrerin ihrer Kinder hatte der Aufnahmeprüfung Matarikis genauso entgegengefiebert wie Lizzie selbst – sie betrachtete es als Ehre, wenn die Schule eine Halb-Maori aufnahm. Außerdem tanzten die Jungen Haikina auf dem Kopf herum. Es war nicht fair, die junge Frau ohne vorherige Absprache mit ihnen allein zu lassen.

»Nein, lass uns fahren«, meinte Lizzie schließlich. »Sean hat ja vielleicht auch schon etwas anderes vor. Wir sollten ihn nicht so überfallen. Besser treffen wir ihn, wenn wir Matariki endgültig zur Schule bringen.«

Michael zuckte die Schultern, und Lizzie atmete wieder mal darüber auf, wie leicht er sich mit einem nur losen Kontakt zu Sean und Kathleen abfand. Er lenkte sein Gespann – schöne, kräftige Pferde, auf die er sehr stolz war – vorbei an Kirche und Pfarrhaus von Caversham, einem Vorort von Dunedin, in dem Peter Burtons Gemeinde lag. Danach ging es rascher in die Berge Richtung Lawrence. Die Straße war breit und gut ausgebaut, allerdings nicht sehr befahren. Früher war das anders gewesen. Lizzie und Michael waren zur Zeit des Goldrausches nach Otago gekommen. Damals wurde Lawrence noch Tuapeka genannt und es strömten täglich Hunderte von Menschen zum Fundort Gabriel’s Gully. Das Gebiet sah heute noch aus, als habe dort ein Krieg stattgefunden – es war so oft umgegraben worden, dass die normale Vegetation vollkommen zerstört war. Die Goldgräber hatten eine Schlammwüste hinterlassen, die sich nur langsam erholte.

Inzwischen waren die Goldvorkommen um Lawrence weitgehend erschöpft – zumindest jene, zu denen die Goldgräber Zugang hatten. Lizzie dachte mit einem Lächeln an die Reserven auf Eliza­beth Station. Nur sie selbst und der ansässige Maori-Stamm wussten, wie viel Gold der Fluss auf ihrem Besitz führte, und allen war daran gelegen, dies niemandem zu verraten. Immerhin hatte das Gold die Farm der Drurys finanziert, machte den Maori-Stamm nach Maßstäben der Ngai Tahu reich und würde jetzt auch Matarikis höhere Schulbildung ermöglichen.

Die Goldgräber waren an neue Fundorte bei Queenstown weitergezogen, und die von ihnen gegründeten einst großen und belebten Siedlungen schrumpften zu beschaulichen, nur von ein paar Farmern und Händlern bewohnten Dörfern. Natürlich verblieb ein Bodensatz an Gaunern und Glücksrittern, Goldgräber, die zu alt, zu müde oder schlicht zu faul waren, ihr Glück noch einmal woanders zu versuchen. Sie schürften nach wie vor in den Wäldern rund um Lawrence – auch ein Grund, weshalb Michael und Lizzie Haikina und die Kinder ungern allein auf Elizabeth Station ließen. Wenn sie geplant über Nacht wegblieben, bat Lizzie den Stamm um Schutz. Der Häuptling schickte dann ein paar Krieger, die am Fluss kampierten.

Diesmal hätten die Drurys sich allerdings gar nicht sorgen müssen. Als ihre Pferde aus dem Wald auf den Zufahrtsweg nach Eliza­beth Station hinaustraten, sahen sie bereits Bewegung am Fluss. Ein kräftiger Maori-Mann hantierte oberhalb des Wasserfalls mit einer Goldpfanne, während Haikina fischte. In dem winzigen Teich darunter plantschten Kevin und Pat, Michaels und Lizzies jüngere Söhne.

Hemi, Haikinas Mann, winkte den Ankömmlingen nur zu und schwang weiter die Pfanne. Haikina ließ die Reuse dagegen am Ufer fallen und lief dem Wagen entgegen. Sie war eine große, schlanke junge Frau mit hüftlangem, glattem Haar. Wohl um ihrem Amt als Lehrerin gerecht zu werden, trug sie ein Kleid wie die Weißen, die pakeha, wie die Maori sagten, aber sie hatte den Rock lässig hochgebunden, sodass der Blick auf ihre langen braunen Beine fiel.

»Wie war’s, Matariki?«, fragte sie aufgeregt.

Matariki setzte sich aufrecht in Positur: »Bildung lässt das Herz so stark werden wie einen Eichbaum!«, wiederholte sie stolz das Motto der Otago Girls’ School.

Lizzie sah ihre Tochter verblüfft an. Woher hatte sie das bloß? Sie musste es irgendwo gelesen und behalten haben.

»Ich weiß nur nicht, wie stark ein Eichbaum wirklich ist«, bemerkte Matariki. »Vielleicht ist Eichenholz ja gar nicht so hart wie das des Kauri- oder Totarabaums …«

Michael musste lachen. »Herrgott, wir sind wirklich am Ende der Welt. Die Kinder wachsen auf, ohne je eine Eiche gesehen zu haben! Es ist sehr gutes Holz, Riki, absolut ausreichend für ein starkes Herz!«

Haikina lächelte. »Dann nehmen sie dich also auf?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Matariki nickte. »Schon. Aber nur als Un… un… also als Häuptlingstochter. Und ich soll Martha heißen, weil die Schulleiterin Matariki nicht aussprechen kann.«

Haikina nahm das Mädchen spontan in die Arme. »In der Missionsschule nannten sie mich Angela!«, verriet sie ihr.

»Und ich werde Hongi Hika heißen!«

Kevin und Pat hatten ihre Eltern inzwischen gesehen und sich nicht die Mühe gemacht, sich anzukleiden oder auch nur abzutrocknen, bevor sie ihnen entgegenliefen. Pat, der Jüngere, enterte den Bock und umarmte Michael, Kevin, der sich mit seinen acht Jahren eigentlich auch schon groß genug fühlte, in Dunedin zur Schule zu gehen, und Matariki um dieses Privileg beneidete, trumpfte mit seiner Namensvorstellung auf.

»Wenn man in der Schule einen neuen Namen kriegt, dann will ich heißen wie der größte Häuptling.«

»Der größte Häuptling ist überhaupt Te Maiharanui«, überschrie ihn Matariki. »Und Hone Heke! Außerdem kannst du in der pakeha-Schule nicht wie ein Häuptling heißen. Nur wie ein pakeha. Vielleicht … Captain Cook? Oder Prince Albert?«

Lizzie lachte, während Michaels Gesicht eher einen strengen Ausdruck annahm. »Kevin, du hast einen guten, alten irischen Namen! Du bist nach deinem Großvater benannt, und der brannte den besten Whiskey Westirlands! Mal abgesehen davon, wie er die Fiedel spielte und …«

»Du bist nach dem heiligen Kevin benannt«, stellte Lizzie richtig und blitzte ihren Mann an. »Das war ein großer, guter Mann, er gründete das Kloster in Glendalough. Und wahrscheinlich brannte er keinen Whiskey. Wobei ich mir da aber nicht sicher bin. Jedenfalls wird dich niemand umbenennen, mach dir keine Sorgen.«

»Nur Mädchen kriegen neue Namen!«, verkündete Matariki und stieg würdevoll vom Wagen. »Und neue Kleider krieg ich auch!«

Michael zog die Augenbrauen hoch. »Es wird ein Vermögen kosten«, bemerkte er zu Hemi, der eben zu ihm herübergeschlendert kam und ihm wortlos eine Flasche Whiskey reichte. Michael nahm einen Schluck und grinste dem Maori zu. »Und ihr braucht auch mal wieder Geld?« Er wies auf die Goldpfanne.

Hemi seufzte. »Es gibt Nachrichten aus dem Norden«, sagte er dann. »Und Forderungen, wenn man es so nennen will.«

Wie Haikina sprach auch Hemi gut Englisch und gehörte schon deshalb zu Michaels wenigen wirklichen Freunden im Maori-Dorf. Im Grunde schufen Lizzie – und später natürlich Matariki – hier die Verbindungen. Lizzie sprach die Sprache der Ngai Tahu und hatte bei ihnen gelebt. Michael stand stets in ihrem Schatten und hatte die Krieger im Dauerverdacht, ihn für einen Schwächling zu halten. Hemi hatte allerdings wie Haikina die Missionsschule besucht und dann auf einer großen Schaffarm gearbeitet. Er war erst kurz zuvor zum Stamm – und vor allem zu Haikina – zurückgekehrt.

»Forderungen?«, fragte Michael. »Jetzt sag nicht, euer kingi sei auf die Idee gekommen, Steuern zu erheben.«

Hemi lachte grimmig. Bis vor wenigen Jahrzehnten hatte es keine Zentralregierung der Maori auf Neuseeland gegeben. Aber dann war jemand auf die Idee gekommen, dass die Verhandlungsposition der Stämme mit den Weißen besser wäre, würden sie von einem einzigen »König« vertreten. Tawhiao, ursprünglich Häuptling der Waikato-Stämme, war nun der zweite dieser kingi.

»Das wäre wohl das Ende seines Königtums«, bemerkte Hemi. »Aber Sammlungen oder freiwillige Abgaben gibt es schon, meist von den Häuptlingen, die sich gegen die pakeha auflehnen. Und wir Ngai Tahu kaufen uns da ganz gerne frei. Sollen sie sich auf der Nordinsel streiten. Wir leben lieber in Frieden mit den pakeha …«

Tatsächlich lösten die Stämme auf der Südinsel Konflikte meist durch Verhandlungen.

»Aufrührerische Häuptlinge – klingt nach Kahu Heke«, bemerkte Michael. »Treibt der immer noch sein Unwesen bei den Hauhau?«

Hauhau war eine Bezeichnung der Maori für einen Zweig der religiösen Bewegung Pai Marire, die sich heftig dafür einsetzte, Maori-Traditionen zu erhalten und möglichst das Land zurückzugewinnen, auf dem heute pakeha siedelten. Kahu Heke hatte diese Ansicht schon immer vertreten – obwohl er vor dem Auftreten der Hauhau kaum mehr eine Chance dafür gesehen hatte. An die Stelle des pakeha-freien Neuseeland hatte er den Traum einer Maori-Nation unter einem starken, durchsetzungsfähigen kingi gesetzt, und eine Zeitlang hatte er sich selbst in der Position eines solchen Herrschers gesehen. Wobei er einen großmütigen Brückenschlag zu den Weißen plante: Lizzie Owens, die pakeha wahine, hätte seine Königin sein sollen.

Letztlich hatte Lizzie jedoch Michael gewählt, und Kahu Heke hatte die Hauhau als neues Sprungbrett zur Herrschaft erkannt. Allerdings war wohl gleich am Anfang etwas schiefgegangen. Kahu Hekes Truppen hatten den anglikanischen Geistlichen Carl Völkner getötet, und Kahu war anschließend untergetaucht.

»Kahu Heke weiß leider ein bisschen zu viel von unserem Gold«, seufzte Hemi. »Wir glauben, dass er dahintersteckt, wenn wir immer wieder angesprochen werden, den glorreichen Kampf um unser Land, Aotearoa, wenigstens finanziell zu unterstützen. Aber was sollen wir machen … Bevor sie uns womöglich Hauhau-Missionare schicken, und unsere Leute kriegen Appetit auf Menschenfleisch …« Er grinste und klapperte mit der Goldpfanne.

Michael nahm noch einen Schluck Whiskey. »Hauptsache, Kahu Heke bleibt, wo er ist«, bemerkte er mit einem Seitenblick auf Matariki, die ihre hübschen Spitzenkleider abgestreift hatte und nackt mit ihren Brüdern in den Teich sprang.

Das würde sie sich in der Otago Girls’ School abgewöhnen müssen.

Matariki Drury war ein glückliches Kind. Solange sie lebte, hatte sie niemals Unfreundlichkeit oder Ablehnung erfahren. Ausnahmslos jeder liebte das hübsche, lebhafte kleine Mädchen. Natürlich mochte die Frage ihrer Abstammung gelegentlich Gesprächsstoff in der Kleinstadt Lawrence gewesen sein, während sie dort zur Schule ging, aber das ließ man das Kind nicht spüren. In dem ehemaligen Goldgräberstädtchen Tuapeka gab es viele Bürger mit anstößiger Vergangenheit. Die achtbare Besitzerin der Teestube war zum Beispiel ein ehemaliges Freudenmädchen, und der Krämer verdankte den Grundstock für sein Gewerbe weniger seinem Glück beim Goldwaschen als seinem Geschick im Kartenspiel. Was zählte da ein bisschen Untreue von Seiten Lizzie Drurys …

Zudem gehörten Lizzie und Michael zu den reichsten und angesehensten Bürgern des Ortes – waren sie doch eins der seltenen Beispiele dafür, dass Goldsucher wirklich ein Vermögen machen und es auch halten konnten. Nun war mit Matariki Drury noch ein Kind aus Lawrence in der renommierten Otago Girls’ School aufgenommen worden! Die Kleine sonnte sich in Bewunderung und Glückwünschen, sobald sie in die Stadt kam. Miss Barbara lud sie zu heißer Schokolade ein, und der Krämer schenkte ihr Zuckerstangen, die sie widerwillig mit ihren Brüdern teilte.

Häufiger als in dem mehrere Meilen von Elizabeth Station entfernten Lawrence sah man Matariki aber ohnehin in den Häusern der Maori-Siedlung. Dort hatte sie ihre Freundinnen und ihre »Verwandten« – und natürlich liebte man sie auch dort. Bei den Maori waren Kinder stets willkommen, und jeder hatte Zeit für sie. Matariki flocht Flachs mit den anderen Maori-Mädchen und lernte, aus gehärteten Flachsblättern Tanzkleider herzustellen. Sie spielte die Nguru-Flöte mit Mund und Nase und lauschte den Geschichten der Großmütter und -väter über Maori-Götter und Maori-Helden. Zu Hause hörte sie von Michael Märchen über irische Heilige und Helden – und Lizzie dozierte über Weinbau. Matariki half bei der Lese. Den zu Anfang erzeugten Traubensaft fand sie zu sauer – was später leider auch auf den Wein zutraf, aber das stachelte Lizzies Ehrgeiz als Winzerin nur an. Sie hatte als junge Frau im Haus des Gouverneurs James Busby auf der Nordinsel gearbeitet, der als einer der ersten Weinreben nach Neuseeland brachte. Er war damit auch nicht besonders erfolgreich gewesen, doch das focht Lizzie nicht an. Matariki lernte von ihrer Mutter, nicht aufzugeben und optimistisch zu bleiben. Sie war ein Kind von sonnigem Gemüt.

Auch an ihrem ersten Schultag in der Otago Girls’ School war Matariki bester Laune, während ihre Mutter erneut recht nervös wirkte, als sie durch die wuchtigen Türen des würdigen Stadthauses trat. Es war der erste Tag nach den Ferien, und im Eingangsbereich und auf den Fluren herrschte reger Betrieb durch die anreisenden Mädchen. Die meisten Schülerinnen wohnten nicht in Dunedin, sondern auf zum Teil weit entfernten Schaffarmen. Auch Matariki würde in dem der Schule angeschlossenen Internat leben. Nun sah sie sich interessiert in der Eingangshalle um, Lizzie suchte das Sekretariat.

»Warte hier«, wies Lizzie ihre Tochter kurz an.

Sie hatte einen Stapel Formulare ausfüllen müssen, war sich unsicher über einige Dinge von der Liste, die ihr die Schule bei der Anmeldung ausgehändigt hatte, und fühlte sich wieder mal eingeschüchtert. Nahm sie Matariki jetzt mit ins Schulbüro oder nicht? Und wer würde ihr helfen, das Gepäck auszuladen? Michael hatte sie nicht begleiten können, da am selben Tag eine wichtige Viehauktion stattfand, und Lizzie vermisste seine unbeschwerte Selbstsicherheit.

Jetzt folgte sie erst mal einer anderen Mutter ins Büro. Matariki betrachtete die Gemälde an den Wänden der Schulflure, aber sehr lange vermochten die Stillleben und Landschaftsbilder sie nicht zu fesseln. Das Leben auf den Fluren des Wohntrakts war wesentlich spannender. Matariki verfolgte, wie die Schülerinnen einander begrüßten, miteinander wisperten und lachten, und bemerkte zwei nur wenig ältere Maori-Mädchen in hellblauen Kleidern, Häubchen und Spitzenschürzchen, die ihre Koffer und Taschen schleppten. Sie schienen nicht sehr glücklich zu sein, keines der ankommenden Mädchen wechselte ein Wort mit ihnen. Matariki wollte die beiden gerade ansprechen, als ihr selbst aus einem der offenen Zimmer ein paar Worte entgegengerufen wurden.

»Bist du neu? Was stehst du hier rum? Komm, nimm mal diese Sachen und bring sie zur Hausmutter. Sie müssen geplättet werden, im Koffer sind sie ganz faltig geworden.«

Die Sprecherin, ein großes blondes Mädchen, drückte der verblüfften Matariki einen Stapel Blusen und Röcke in die Arme und machte danach eine Bewegung, als scheuche sie ein Huhn davon. Matariki machte sich gehorsam in die gewünschte Richtung auf den Weg – auch wenn sie natürlich keine Ahnung hatte, was eine Hausmutter war und wie man sie ausfindig machte.

Schließlich wandte sie sich an ein dunkelhaariges Mädchen, das theatralisch die Augen verdrehte. »Haben sie dir das nicht gezeigt, als du hier angefangen hast? Du kommst wohl direkt aus dem Urwald!«

Während ihre Freundinnen lachten, wies ihr das Mädchen immerhin den Weg. Gleich darauf fand Matariki eine Art Wäschekammer, in der eine rundliche Frau Bettwäsche und Handtücher an die anstehenden Schülerinnen ausgab. Matariki stellte sich brav in die Reihe und wartete gelassen, bis die Frau sie ansah.

»Nanu, bringst du mir was, statt was zu holen?«, fragte sie freundlich.

Matariki knickste, wie Haikina es sie gelehrt hatte. In der Missionsschule war das Pflicht gewesen, wenn man eine Lehrerin traf.

»Die müssen geplättet werden«, wiederholte sie den Wunsch der Schülerin von eben.

Die Frau runzelte die Stirn. »Müssen sie? Sag, bist du das neue Hausmädchen? Ich dachte, das käme erst nächste Woche, in dem Durcheinander hier kann es doch niemand einweisen. Und es muss auch älter sein.« Sie musterte Matariki verwirrt.

»Ich bin Mata… äh … Martha Drury«, stellte Matariki sich vor. »Und ich kann noch nicht plätten. Aber ich will’s gern lernen. Und Geschichte und Geografie und Literatur …« Sie begann die Schulfächer aufzuzählen, an die sie sich erinnerte. »Plätten« hatte allerdings nicht auf dem Stundenplan gestanden.

Die Hausmutter lachte schallend und befreite Matariki erst mal von dem Bündel Kleider. »Herzlich willkommen, mein Kind! Ich bin Miss Maynard, die Hausmutter. Und du bist die Kleine aus Lawrence, deren Namen unsere geschätzte Direktorin nicht aussprechen kann! Wie heißt du noch? Matariki, nicht wahr? Also, ich finde das gar nicht so schwer. Ich komme aus Australien, Liebchen, und da haben die Aborigines erst merkwürdige Namen! Kannst du dir vorstellen, dass jemand Allambee heißt? Oder Loorea?«

Matariki lächelte. Miss Maynard war nett, sie fühlte sich gleich nicht mehr so fremd in der Schule.

»So, und nun zeigst du mir mal, wer dir seine Bügelwäsche aufs Auge gedrückt hat. Der werden wir was zu hören geben, Matariki! Die kleinen Schafbaronessen pflegen während der Ferien stets zu vergessen, dass hier niemand hinter ihnen herräumt!«

Außer den Maori-Hausmädchen. Matariki schoss der Gedanke nur flüchtig durch den Kopf, aber sie bemerkte nun doch die neugierigen Blicke der anderen Mädchen, die ihr und der Hausmutter folgten – wobei die Maori-Mädchen genauso verwundert schauten wie die pakeha. Sie senkten danach allerdings verschüchtert den Kopf. Ob sie Angst vor der Hausmutter hatten?

»Sie sind so schrecklich unterwürfig«, seufzte Miss Maynard, als sie Matarikis mitleidige Blicke bemerkte. »Wir kriegen sie von der Missionsschule, weißt du. Und da knicksen und beten sie wohl mehr, als zu lernen.«

Matariki fiel jetzt auf, dass von den Schülerinnen niemand knickste, als Miss Maynard vorbeieilte. Die Mädchen grüßten vergnügt – die Hausmutter schien allseits beliebt zu sein.

Schließlich stellte sie das blonde Mädchen zur Rede, das sie mit Alison Beasley ansprach. Alison bekam ihre Wäsche mit der Auflage zurück, sie gefälligst selbst zu plätten – und dabei gleich den neuen Schülerinnen zu zeigen, wie es ging.

»Die Erstklässler erwarten dich morgen um zehn Uhr in der Wäschekammer, Alison – ich werde natürlich auch zugegen sein. Und in der nächsten Zeit bist du dafür verantwortlich, dass die Kleinen täglich in ordentlicher Kleidung in den Unterricht kommen.«

Alison verzog verärgert den Mund. Sie war bereits in der dritten Klasse, kam von einer großen Schaffarm und war es von zu Hause sicher nicht gewöhnt, im Haushalt zu helfen oder gar für irgendetwas verantwortlich zu sein.

»Ach ja, und um weitere Missverständnisse zu vermeiden …«, Miss Maynard erhob die Stimme, sodass alle Mädchen auf dem Flur und in den offenen Zimmern sie hörten, »… dies ist eure neue Mitschülerin Matariki Drury. Sie hat nichts dagegen, wenn ihr sie Martha nennt, aber sie wird euch ganz sicher nicht die Kleider bügeln!«

Alison blitzte Matariki spöttisch an. »Wo kommt sie denn her?«, fragte sie. »Wohl kaum von einer der größeren Schaffarmen.«

Miss Maynard fuhr auf. »Alison, du wirst es nicht glauben, aber es gibt auch sehr kluge und wertvolle Menschen, die nicht von einem Schafbaronat abstammen.«

Matariki erwiderte den Blick der Älteren mit der ihr eigenen Gelassenheit. »Stimmt«, unterbrach sie dann freundlich die Predigt der Hausmutter. »Ich bin eine richtige Prinzessin.«

Lizzie war entsetzlich besorgt und hätte fast vor Erleichterung geweint, als Miss Maynard ihr Matariki unbeschadet zurückbrachte.

»Matariki hatte sich ein bisschen verlaufen«, erklärte sie. »Aber so haben wir uns immerhin schon mal kennen gelernt. Ihre Tochter ist ein ganz außergewöhnliches Mädchen.«

Lizzie runzelte die Stirn und warf sowohl Matariki als auch Miss Maynard argwöhnische Blicke zu. Meinte die Hausmutter das freundlich oder spöttisch?

Matariki lachte sie an. »Die anderen Schülerinnen haben gedacht, ich sei ein Dienstmädchen!«, verriet sie fröhlich.

Miss Maynard biss sich auf die Lippen. »Der Vorfall ist mir natürlich schrecklich peinlich, Mrs. Drury. Wir …«

Lizzie blitzte sie aufgebracht an. »Diese kleinen Biester haben jetzt schon angefangen, sie herunterzumachen?« Sie schien auf dem Sprung, sich Matarikis künftige Mitschülerinnen direkt persönlich vorzunehmen. Lizzie mochte Autoritäten gegenüber zu Schüchternheit neigen, aber für ihre Tochter kämpfte sie wie eine Löwin.

»Es tut mir sehr leid. Es war einfach …« Miss Maynard suchte nach Entschuldigungen.

Und wieder fiel ihr Matariki ins Wort. »Es war lustig!«, sagte sie munter. »Und ich wollte doch schon immer mal Hausmädchen sein. Wie du früher, Mommy! Du hast doch gesagt, dir hat’s gefallen!« Dabei knickste sie geziert und schenkte ihrer Mutter und Miss Maynard ihr unwiderstehliches Lächeln.

Lizzie lächelte zurück. Vielleicht hatten diese Mädchen beabsichtigt, ihre Tochter zu verletzen, aber Matariki war stark. Sie brauchte niemanden, der für sie kämpfte.

Miss Maynard lächelte jetzt auch wieder – vor allem vor Erleichterung. »Wie ich schon sagte: ein ganz außergewöhnliches Mädchen. Wir sind sehr stolz, Prinzessin Matariki Drury, dich bei uns zu haben.«

Wie ihr Eintritt in die Otago Girls’ School, so gestaltete sich auch Matarikis Schulzeit. Egal, was Alison und andere Mädchen anstellten, um die Halb-Maori zu necken oder zu verärgern – es erwies sich als praktisch unmöglich, Matariki zu verletzen. Dabei war das Mädchen nicht naiv – zumindest nach den ersten paar Wochen fiel ihr die Bosheit ihrer Mitschülerinnen durchaus auf, und sie verstand ihre Spötteleien und Anspielungen. Allerdings war sie einfach nicht bereit, das ernst zu nehmen. Alisons böse Bemerkungen über »Bettelprinzessinnen« und ihr Versuch, Matariki mit dem Spitznamen »Aschenputtel« zu belegen, prallten an Lizzies Tochter einfach ab.

Im ersten Schuljahr gab sich Miss Maynard größte Mühe bei der Auswahl ihrer Zimmergenossinnen. Sie versuchte, Matariki mit möglichst toleranten, verständigen Mädchen zusammenzulegen. Dann stellte sie aber bald fest, dass es Matariki ziemlich egal war, mit wem sie das Zimmer teilte. Sie war zu jedem freundlich, suchte aber keine engeren Kontakte. Sobald die Schule am Freitagmittag schloss, ritt sie nach Hause. Ihr Vater hatte ihr ein kräftiges kleines Pferd im nächsten Mietstall eingestellt – der Kauf der kleinen Stute hatte unter den Schafbaronessen in der Schülerschaft für eine kleine Sensation gesorgt. Kiward Igraine, von Matariki schlicht Grainie genannt, kam aus der Zucht der Wardens auf Kiward Station, Canterbury. Eine reinrassige Welsh-Cob-Stute bester Abstammung und unzweifelhaft sehr teuer. Mit Grainie war Matariki nicht darauf angewiesen, von ihren Eltern abgeholt zu werden, wie die meisten anderen Mädchen, ein Umstand, der Miss Partridge zunächst etwas beunruhigte.

»Es sind immerhin vierzig Meilen, Mr. Drury«, gab sie Michael gegenüber zu bedenken. »Wenn dem Kind etwas passiert …«

Michael Drury lachte darüber jedoch nur, und seine Tochter nicht minder.

»Grainie rennt wie der Blitz, Miss Partridge!«, erklärte Matariki stolz. »Mich kann keiner überfallen, ich bin zu schnell vorbei!«

Nun drohte auf den befahrenen Straßen rund um Dunedin auch kaum Gefahr von Wegelagerern. Lediglich auf den alten Goldfeldern drückten sich zwielichtige Gestalten herum, aber was das anging, sorgten die Maori für Schutz. Die Ngai Tahu begannen, die von den Goldsuchern abgegrasten Landstriche langsam wieder in Besitz zu nehmen – und hielten ein Auge auf Matariki, sobald Grainie auch nur einen Huf in die Gegend um Lawrence setzte.

Natürlich brauchte das Pferd auch während der Woche Bewegung, um für die langen Strecken am Wochenende fit zu bleiben – für Matariki eine wohlfeile Ausrede, sich auch wochentags von der Schule abzusetzen, sobald sie die Hausaufgaben erledigt hatte. Spiel- und Nähabende, Chor- und Theaterproben, auf denen die anderen Mädchen Freundschaften pflegten, schwänzte sie.

»Martha redet lieber mit ihrem Gaul!«, höhnte Alison Beasley immer mal wieder – Miss Maynard blieb die Einzige in der Schule, die das Mädchen bei seinem richtigen Namen nannte –, was Matariki mit Gemütsruhe bejahte.

»Eine Prinzessin weiß eben, was sie sich schuldig ist«, gab stattdessen Mary Jane Harrington zurück, ein anderes Opfer von Alisons Spötteleien. Mary Jane war dicklich. »Die Kiward-Cobs haben meines Wissens einen deutlich längeren Stammbaum als die Beasleys auf Koromiko Station.«

Miss Maynard lächelte darüber in sich hinein und verlegte Mary Jane bei nächster Gelegenheit in Matarikis Zimmer. In den folgenden Jahren entwickelte sich zwischen den Mädchen zwar keine wirkliche Freundschaft, aber es herrschte stets hervorragendes Einvernehmen.

Matarikis Menagerie erweiterte sich nach einigen Monaten um einen zusätzlichen Vierbeiner. Auf einem ihrer Ausritte schloss sich ihr ein hellbrauner hochbeiniger Hund an. Halb verhungert und ängstlich versteckte er sich im Stroh neben Igraines Stand. Matariki verzichtete um seinetwillen zunächst auf ihr Abendessen und hörte sich dann gelassen die Schimpftirade des Mietstallbesitzers an.

»Hier kann der Köter nicht bleiben!«, erklärte Donny Sullivan. »Ich werde den Teufel tun und das Viehzeug durchfüttern.«

»Sie brauchen es ja nicht umsonst zu tun«, bemerkte Matariki.

Am nächsten Freitag lief Matariki der Hund nach bis Elizabeth Station und schlief vor ihrer Zimmertür – absolut nicht bereit, sich stattdessen vielleicht Kevin oder Pat anzuschließen, die beide um seine Gunst buhlten. Matariki lehnte dann auch das Angebot ihrer Eltern ab, das Tier auf der Farm zu behalten. Stattdessen versteckte sie beim Abendessen einen Teller in ihrem Kleid und schlich beim ersten Tageslicht zum Bach oberhalb des Wasserfalls. Die Drurys versuchten, ihre Goldquelle vor den Kindern geheim zu halten, aber die Maori waren weniger vorsichtig, und Matariki war nicht dumm. Am Montag »vergoldete« sie Donny Sullivan buchstäblich den Aufenthalt ihres Hundes in seinem Stall. Er musste ihn dort allerdings jeden Abend einschließen. Ansonsten fand Dingo – wie Miss Maynard ihn nach den Hunden in ihrer australischen Heimat nannte – immer irgendeine Möglichkeit, in die Gebäude der Otago Girls’ School zu gelangen und sich vor Matarikis Zimmer auszustrecken.

»Der kann nun aber nicht mit einer besonders außergewöhnlichen Abstammung aufwarten«, bemerkte Alison bösartig. »Oder willst du behaupten, er sei ein Prinz?«

Matariki zuckte nur vielsagend die Schultern.

»Der«, konterte Mary Jane, »hat dafür einen guten Charakter.«

Matariki Drury hatte keine Probleme und verursachte keine – im Gegensatz zu ihrem leiblichen Vater, wie Michael Drury und sein Freund Hemi Kute im dritten Jahr ihrer Schulzeit in Dunedin feststellten. Es war Sommer, und die Männer tranken Bier an einem Feuer neben dem Bach vor Elizabeth Station, während Lizzie und Haikina damit experimentierten, ein Kaninchen zu häuten, auszunehmen und zuzubereiten. Michael hatte es geschossen, als Hemi Gold wusch. Irgendein Schiff hatte die Tierchen auf Neuseeland eingeschleppt, und mangels natürlicher Feinde vermehrten sie sich explosionsartig. Die Ngai Tahu lernten immerhin bald, sie als neue Fleischlieferanten zu schätzen. Wie die Invasion der pakeha, so nahmen sie auch die der Hasen schicksalsergeben hin.

»Te Kooti betrachtet die Viecher als neue Gesandte des Gottes Whiro«, grinste Hemi. Er war wieder mal schlecht zu sprechen auf die Bewegung der Ringatu und der Hauhau. Kahu Heke hatte erneut um Spenden »gebeten«. »Er hat wirklich einem Kaninchen das Herz rausgeschnitten und es den Göttern geopfert.«

»Waren die Gesandten Whiros nicht eigentlich die Eidechsen?«, fragte Lizzie irritiert. Der Gott Whiro galt als Repräsentant alles Bösen auf Erden, und die Eidechse war ihm geweiht. »Also die möchte ich nicht wirklich essen …«

»Die isst auch eher dich!«, lachte Haikina. »Wenn die Götter deinen Tod wollen, senden sie eine, und die frisst dich dann von innen auf. Kaninchen fressen nur den Schafen das Gras weg. Womit sie den pakeha ja eigentlich mehr schaden als den Hauhau. Te Kooti sollte sie eigentlich lieben. Aber dem ist jedes Mittel recht, auf sich aufmerksam zu machen!«

»Durch rituelles Abmurksen eines Kaninchens? Also ich weiß nicht!« Michael hob die Whiskeyflasche. »Habt ihr Maori da nichts Besseres zu bieten?«

Hemi reagierte unerwartet ernst. »Tikanga, meinst du? Alte Bräuche? Natürlich haben wir die, das weißt du doch.« Lizzie und Michael waren zu allen Festlichkeiten des Stammes geladen, wobei Lizzie und Matariki mitsangen und -tanzten. Michael fühlte sich dagegen eher überflüssig – und atmete stets auf, wenn man irgendwann zum Whiskeytrinken und Plaudern überging. »Was die Hauhau da allerdings ausgraben …«

»Die besinnen sich zum Teil auf Rituale, die noch aus der Südsee stammen. Aus Hawaiki, wo wir herkommen«, fügte Haikina hinzu und wirkte nicht minder besorgt. »Bei manchem weiß man gar nicht, ob das auf Aotearoa jemals praktiziert wurde.« Aotearoa war der Maori-Name für Neuseeland. »Jedenfalls ist es ziemlich lange her, seit wir Maori unsere Feinde gegessen haben«, erklärte Haikina. »Aber von den Hauhau hört man da Dinge … Te Kooti soll die Menschen in seinen Kriegen auf das Grausamste abgeschlachtet haben.«

Te Kooti und seine Männer hatten die Nordinsel in den Jahren zwischen 1868 und 1872 durch immer neue Überfälle in Atem gehalten. In einer Schlacht waren allein fast dreißig pakeha umgekommen, darunter viele Frauen und Kinder.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Kahu Heke so was mitmacht!«, sagte Lizzie.

Im Allgemeinen sprach sie nicht über Matarikis Vater, vor allem nicht in Michaels Beisein. Natürlich hatte ihr Mann irgendwann erfahren, wer Matariki unter welchen Umständen gezeugt hatte, auch unter den Maori blühte schließlich der Klatsch. Aber zwischen den Eheleuten war Lizzies Beziehung zu Kahu Heke nie ein Thema gewesen.

Jetzt jedoch konnte Lizzie nicht an sich halten. Sie musste ihre Bedenken einfach äußern, schließlich war Kahu Heke kein ungeschlachter Krieger. Er hatte die Missionsschule bis hin zur Hochschulreife besucht. Wäre er geduldiger und gemäßigter in seinen Anschauungen gewesen, hätte er Anwalt oder Arzt werden können. Aber Kahu war ein Häuptlingssohn, stolz, hochfahrend und leicht zu beleidigen. Die Demütigungen, denen er bei den Missionaren und später bei verschiedenen Arbeitgebern auf der Nordinsel ausgesetzt war, hatten ihn aufgebracht und zu einem glühenden Nationalisten werden lassen. Am Anfang waren seine Aktionen oft kindisch gewesen – wie sein Vorfahr Hone Heke, dessen Dreistigkeit 1845 den Fahnenmastkrieg entfesselt hatte, machte auch Kahu durch umgerissene Flaggenmäste und zerstörte oder beschmutzte Denkmäler der pakeha von sich reden.

Erst als ihn sein Onkel Hongi Hika zu seinem Nachfolger wählte, hatte er begonnen, die Politik wirklich ernst zu nehmen. Den Traum vom Königtum hatte ihm jedoch erst Lizzie zerstört, und dann sein Ungeschick als Rächer in Opotiki. Tatsächlich hatte er Hongi Hika bis heute nicht beerbt. Die Ngati Pau hatten einen Mann mit eher gemäßigten Ansichten zum Häuptling gewählt und hielten sich aus den Kämpfen gegen die pakeha vollständig heraus.

»Kahu ist doch nicht dumm«, wandte Lizzie jetzt ein. »Und das, was die Hauhau predigen … er kann nicht glauben, dass irgendwelche Rituale die Krieger unverwundbar machen oder dass man jemanden mit Wasser vergiften kann, das vom Dach des Hauses des Häuptlings rinnt.«

Michael wollte etwas Gehässiges bemerken, aber Hemi gebot ihm Einhalt. »Er nicht«, bemerkte der junge Maori. »Nehme ich jedenfalls an, ich hatte ja nicht das Vergnügen, ihn kennen zu lernen.« Als Kahu Heke sein Gastspiel bei den Ngai Tahu gab, war Hemi noch in Dunedin gewesen. »Aber seine Anhänger! Der durchschnittliche Hauhau ist ein Krieger, kein Missionsschüler. Die rekrutieren sich aus den großen Stämmen der Nordinsel, die sich gegenseitig immer gern die Köpfe eingeschlagen haben. Jetzt ziehen ein paar von ihnen gemeinsam gegen die pakeha – aber wenn ihr mich fragt, wollen die vor allem Blut sehen. Sie wollen an etwas glauben, für etwas begeistert werden … na ja, und wenn dabei noch fette Beute rausspringt, umso besser.«

»Kahu dürfte das nicht unterstützen«, meinte Lizzie besorgt.

Haikina nickte. »Richtig. Aber was diese Dinge anging, war er schon immer völlig skrupellos. Und das macht mir Angst. Man weiß nie, was solchen Leuten einfällt – und auf welchen verrückten Brauch oder auf welches tapu sie sich vielleicht als Nächstes besinnen, um einen neuen Krieg zu entfesseln.«

KAPITEL 2

»Es sind ganz andere Sterne …«

Heather Coltrane lehnte sich gegen die Reling des gewaltigen Segelschiffes, dem Meer den Rücken zugewandt, und blickte hinauf in den Himmel.

»Ja, und ich hätte niemals gedacht, dass ich sie noch einmal wiedersehe.«

Kathleen Burton, Heathers Mutter, hatte den Blick zum Wasser gerichtet oder besser zum Land, denn schemenhaft waren eben die ersten Lichter Londons am Horizont zu erkennen. Die Sterne hatten sie nie sehr interessiert, Kathleen war grundlegend praktisch orientiert. Auch jetzt dachte sie weniger wehmütig an ihre ersten Lebensjahre in Irland zurück als daran, dass die Städte in Europa offensichtlich besser beleuchtet waren als in Neuseeland. Als ihr Schiff an einem Sommerabend fast drei Monate zuvor in Lyttelton ablegte, hatte Kathleen das Land schon nach wenigen Minuten aus den Augen verloren. Immerhin hatte Dunedin, ihre Heimatstadt am anderen Ende der Welt, seit einiger Zeit Gasbeleuchtung.

»Einen Penny für deine Gedanken«, lachte Peter Burton und drückte einen leichten Kuss auf den Nacken seiner Frau.

Auch nach über zehn Jahren konnte er kaum mit Kathleen zusammen sein, ohne den Wunsch zu verspüren, sie zu berühren, sie an sich zu ziehen und zu beschützen. Vielleicht, weil es so lange gedauert hatte, bevor ihm all das endlich gestattet wurde. Der Reverend hatte Kathleen viele Jahre lang geliebt, bevor sie ihm das Jawort gab, und er war heute noch stolz darauf, vor all den Toten und Untoten aus ihrer Vergangenheit nicht kapituliert zu haben. Zunächst flüchtete Kathleen damals vor ihrem gewalttätigen Ehemann Ian Coltrane und dann war nach dessen Tod auch noch ihre Jugendliebe Michael Drury wieder aufgetaucht. Die allerletzte Hürde vor der Hochzeit Kathleens Wechsel von der katholischen zur anglikanischen Kirche war ihm schließlich nur noch wie ein unbedeutender Stolperstein erschienen.

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