In der Mondsichel und anderen Herzgegenden - Elisabeth Reichart - E-Book

In der Mondsichel und anderen Herzgegenden E-Book

Elisabeth Reichart

0,0

Beschreibung

Elisabeth Reichart entdeckt in diesem Gedichtband erstmals das Genre der Lyrik für sich. Die poetische Sprache ihrer Romane und Erzählungen verdichtet sich hier zu Augenblicken der Schönheit, der Liebe, zu Träumen und der Trauer über ihren Verlust. Zeit und Entfernung verschwinden in dieser Lyrik, die bekannte und unbekannte Orte bereist, sich in der Natur niederlässt, zwischen Frau und Mann, Armut und Reichtum, Vergangenheit und Heute, Abschiednehmen und Ankommen. Die thematische Reichhaltigkeit spiegelt sich wider in der sprachlichen Vielfalt, im Nebeneinander von dichtkomponierten, fast hermetischen Gedichten und erzählender Lyrik, deren sinnliche Erfahrungen die Sprache vibrieren lassen. Mit In der Mondsichel und anderen Herzgegenden schenkt uns die Autorin ein außergewöhnliches und vielgestaltiges Werk.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 24

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ELISABETH REICHART

IN DER MONDSICHEL UNDANDEREN HERZGEGENDEN

ELISABETH REICHART

IN DER MONDSICHELUND ANDERENHERZGEGENDEN

GEDICHTE

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1212-2eISBN 978-3-7013-6212-7

© 2013 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIENAlle Rechte vorbehaltenSatz: Media Design: Rizner.atDruck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

JEDER ORT/KEIN ORT

 

GINKO

Auf dem Asphalt

vor meiner Haustür

mitten in Wien

Ginkoblätter

in diesem Sommer

zum ersten Mal

All die Ginkos

auf all den Inseln

im Land der

vergessenen

Göttin

Jetzt grüne Fächer

vor meiner Haustür

Wiener Ginko

 

NAGOYA

I

Buntes Herbstlaub

der Wind treibt die Farben

durch die Stadt

Das Meer wölbt sich dunkel gegen den Kai

tote Fische umschwärmen die Mauer

Ich flüchte ins Innere der Stadt

Der Taifun naht

peitscht den Regen

durch die Straßen

II

Guten Morgen, reiche Stadt

deine Armut in Blau gehüllt

Unter der Stadtautobahn

in den Parks

hinter den Tempeln

blaue Planen gespannt

– glänzendes helles Blau –

gestampfte Erde davor

Wäscheleinen zwischen Kiefern

weiße Hemden und Hosen

trocknen in der stechenden Sonne

Reiner ist mir die Armut

nirgendwo begegnet

Stille

Die Armen

sieht man nicht

Schönen Nachmittag, reiche Stadt

in der die Armut nicht betteln geht

Akrobaten lenken Fahrräder

unsichtbare Akrobaten

verschwunden hinter Riesensäcken

gefüllt mit leeren Metalldosen

Plastikabfall

Guten Abend, reiche Stadt

in dir eilen die Menschen

von einer Hoffnung zur nächsten

in deinen Bars

verschwinden die Mädchen

betrinken sich die Männer

verschwinden die Mädchen

Gute Nacht, reiche Stadt

gereinigt vom Taifun

Die Armen sammeln

die blauen Planen ein

und die Tränen der Mädchen

schmecken nach Zitronengras

III

Auf Wiedersehen, reiche Stadt

Etsuko lebt in dir

Etsuko nahm mir den Vogel ab

den ich auf der Straße fand

braun war er, passte in meine Hand

erstarrt vor Angst saß er da

Etsuko nannte ihn Pietschan

bei ihr lernte er fliegen

fraß ihr aus der Hand

fliegend starb er

brach sich das Genick

am geschlossenen Fenster

der Taifun zog über das Land

 

KIRSCHBLÜTE

Die Nachrichten

blühen auf

begleiten

die Kirschblüte

in den Norden

Auf dem kleinen Friedhof

die alten Männer

unter der Kirschblüte

mit ihnen Sake getrunken

ihre Worte nicht verstanden

verstanden, warum sie

ihren Sake

unter der Kirschblüte trinken

Die Kirschbaumallee

an dem Bach

der nach jedem Regen

zum reißenden Fluss wird

mein Spazierweg

nach Utopia

morgens führen Frauen

kleine Hunde aus

nachts wanken Betrunkene

in ihre Einsamkeit

Während der Kirschblüte

taumelnde Blicke

entrückte Gesichter

in Rollstühlen sitzen

Gebrechliche

Junge führen Alte

Eltern halten ihre Kinder

in die Kirschblüte

das Lachen der Kinder

entblättert die Blüten

All die Kirschblütenfeste

All der Schmuck

All die Geschenke

All die Festspeisen

All die Lieder

und winzigen

Kirschblütenkuchen

Eine Kirschblüte

für sich

verliert den rosa Schimmer

 

MAGISCHER AUGENBLICK

Auf dem Kirschblütenweg

morgens um sechs

mit dem Fahrrad gestürzt

ein Körper liegend

ein Fahrrad liegend

auf dem Asphalt

vor der schmalen Brücke

Fußgänger kommen

mir entgegen

werden mehr

Liegend sehe ich

aus einigen Menschen

einen durchsichtigen

Körper heraus gleiten

der zu mir will