Inner Circle Gesamtausgabe - Sophie Oliver - E-Book

Inner Circle Gesamtausgabe E-Book

Sophie Oliver

0,0

Beschreibung

Die Gesamtausgabe der beliebten Inner-Circle-Reihe! Inner Circle - Wie Feuer im Regen Anne Catherine Marsden kommt von ganz unten. Mit Intelligenz und Ehrgeiz schafft sie es alleine bis an die Spitze der Londoner Gesellschaft. Doch am Ziel ihrer Träume stolpert die kühle Karrierefrau über ihre Gefühle. Viel zu schnell öffnet sie ihr Herz für Marc Harper, einen schwerreichen australischen Industriellen – und für James Harkdale, einen britischen Aristokraten und Betreiber eines exklusiven Internetclubs. Wird sie die richtige Wahl treffen? Und welche wäre das, wenn man sich eigentlich nicht zwischen zwei Männern entscheiden will? Inner Circle - Wie Wasser in deiner Hand Anne Catherine Marsden hat sich entschieden – für den Mann, den sie liebt und das Leben, das sie führen möchte. Doch dann taucht überraschend ihr Ex-Freund wieder auf sowie ein reicher Investor, der den Inner Circle haben will. Als dann noch eine Leiche hinzukommt, steht die sichere Zukunft, die Anne sich er-träumt, erneut auf dem Spiel. Sie muss auf ihren Scharfsinn und ihren Instinkt vertrau-en, um Freund von Feind zu unterscheiden und keinen Fehler zu machen. Inner Circle - Wie Eis und Asche Nach glücklichen Jahren taucht Anne Catherine Marsden wieder ein ins Haifisch-becken der High Society. Ihr Mann hat eine neue Geschäftsidee, die den Inner Circle übertrifft und so gut ist, dass sie gefährliche Leute auf den Plan ruft. Leute, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Und solche, die in Annes Vergangenheit nach den Leichen in ihrem Keller graben. Wird die Liebe Anne retten – oder wird sie ihr zum Verhängnis werden?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 570

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurzbeschreibung:

Inner Circle - Wie Feuer im Regen

Anne Catherine Marsden kommt von ganz unten. Mit Intelligenz und Ehrgeiz schafft sie es alleine bis an die Spitze der Londoner Gesellschaft. Doch am Ziel ihrer Träume stolpert die kühle Karrierefrau über ihre Gefühle.Viel zu schnell öffnet sie ihr Herz für Marc Harper, einen schwerreichen australischen Industriellen – und für James Harkdale, einen britischen Aristokraten und Betreiber eines exklusiven Internetclubs. Wird sie die richtige Wahl treffen?Und welche wäre das, wenn man sich eigentlich nicht zwischen zwei Männern ent-scheiden will?

Inner Circle - Wie Wasser in deiner Hand

Anne Catherine Marsden hat sich entschieden – für den Mann, den sie liebt und das Leben, das sie führen möchte.Doch dann taucht überraschend ihr Ex-Freund wieder auf sowie ein reicher Investor, der den Inner Circle haben will.Als dann noch eine Leiche hinzukommt, steht die sichere Zukunft, die Anne sich er-träumt, erneut auf dem Spiel. Sie muss auf ihren Scharfsinn und ihren Instinkt vertrau-en, um Freund von Feind zu unterscheiden und keinen Fehler zu machen.

Inner Circle - Wie Eis und Asche

Nach glücklichen Jahren taucht Anne Catherine Marsden wieder ein ins Haifisch-becken der High Society. Ihr Mann hat eine neue Geschäftsidee, die den Inner Circle übertrifft und so gut ist, dass sie gefährliche Leute auf den Plan ruft. Leute, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Und solche, die in Annes Vergangenheit nach den Leichen in ihrem Keller graben. Wird die Liebe Anne retten – oder wird sie ihr zum Verhängnis werden?

Sophie Oliver

Inner Circle Gesamtausgabe

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2020 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2020 by Sophie Oliver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-351-9

www.instagram.com

www.facebook.com

www.edelelements.de

Inhalt

Inner Circle 1 - Wie Feuer im Regen

Kurzbeschreibung

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Inner Circle 2 - Wie Wasser in deiner Hand

Kurzbeschreibung

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Inner Circle 3 - Wie Eis und Asche

Kurzbeschreibung

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Kurzbeschreibung:

Anne Catherine Marsden kommt von ganz unten. Mit Intelligenz und Ehrgeiz schafft sie es alleine bis an die Spitze der Londoner Gesellschaft. Doch am Ziel ihrer Träume stolpert die kühle Karrierefrau über ihre Gefühle.Viel zu schnell öffnet sie ihr Herz für Marc Harper, einen schwerreichen australischen Industriellen – und für James Harkdale, einen britischen Aristokraten und Betreiber eines exklusiven Internetclubs. Wird sie die richtige Wahl treffen?Und welche wäre das, wenn man sich eigentlich nicht zwischen zwei Männern ent-scheiden will?

Weitere Titel der Autorin bei Edel Elements

Inner Circle - Wie Wasser in deiner HandInner Circle - Wie Eis und Asche

Sophie Oliver

Inner Circle - Wie Feuer im Regen

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Sophie Oliver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur.

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart.

Lektorat: S. Lasthaus

Korrektorat: Susann Harring

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-219-2

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

1.

England, 2007

Schuppenfries.

So nannte man es wohl, das Band, welches dicht unter der Decke rings um den ganzen Raum lief.

Anne überlegte, woher sie den Ausdruck kannte, aber es fiel ihr nicht ein.

Drei Reihen von Halbkreisen lagen übereinander, wie die Schuppen eines Fisches.

Die Verzierung bestand aus weißem Gips und hob sich frisch und sauber von der Wand in gedecktem Grün ab.

Farngrün, dachte Anne, Pistaziengrün, Cremegrün, Blassgrün, Porzellangrün …

Weil ihr keine weiteren Begriffe für Grünschattierungen einfielen, ließ ihre Konzentration nach, und der schwere Körper des Mannes wurde ihr wieder bewusst. Das Kratzen seiner drahtigen Brusthaare auf ihrer Haut, sein Atem, der nach Wein roch, säuerlich wie sein Schweiß, sein alter, aufgedunsener Körper, seine Bewegungen, die sie auf und in sich spürte. Rasch zog sie sich wieder in ihre Gedanken zurück und beschäftigte sich weiter mit dem Schuppenfries. Das würde sie mehr in Anspruch nehmen als die grüne Wand. Es war ein Stilelement der Romanik, ähnlich wie das Rundbogenfries. Ein schmaler Streifen aus Gips. Nur Dekoration.

Stammte das Schlafzimmer auch aus romanischer Zeit? Anne runzelte die Stirn, den Blick starr auf das Fries gerichtet, seitlich am Mann vorbei. Durch seine Bewegungen schoben sich ab und an ein paar graue Haarsträhnen in ihr Blickfeld, deshalb drehte sie den Kopf etwas weiter zur Seite.

Wann hatte die Romanik noch einmal begonnen? So um elfhundert, zwölfhundert?

Auf keinen Fall war das Schlafzimmer original. Der Landsitz des Earls von Breckon, Poffy, wie sie ihn nennen sollte, war zwar alt, aber nicht so alt.

Poffy stöhnte nun lauter, und Anne suchte verzweifelt in ihren Gedanken nach Ablenkung.

Romanik, Romanik, was gab es da noch?

Sakralbauten! Kirchen! Kathedralen! Sie könnte Städte aufzählen, in denen es Kathedralen gab! Speyer, Paris, Metz …

Als sie bei der Kathedrale von Reims angekommen war, ging ein Zucken durch den Körper des Mannes und mit einem letzten befriedigten Grunzen sank er erschöpft auf sie.

Sein Schweiß auf ihrer Haut verursachte schmatzende Geräusche, während sie versuchte, sich unter ihm hervor zu winden. Anne musste an sich halten, um nicht laut loszuschreien.

Wenigstens war es überstanden.

Sie brachte ihre gesamte Willenskraft auf, um ihn anzulächeln, während sie wieder in ihre Schuluniform schlüpfte. Auf keinen Fall durfte er den Ekel in ihren Augen sehen, dann wäre alles verloren.

»Das war sehr schön, Poffy«, log sie und hasste sich dafür.

Mit schwitziger Hand tätschelte er väterlich ihren Kopf. »Das war es, mein Engel, das war es. Leider können wir uns nächste Woche nicht sehen. Meine Frau besteht darauf, dass ich mit zu dieser öden Jagdgesellschaft fahre.«

Er tat gerne so, als ob Anne wüsste, wovon er sprach. Als ob sie seine Vertraute wäre. Tatsächlich jedoch stellte sie nie Fragen. Nicht weil sie besonders diskret gewesen wäre – sie wollte einfach keine Details aus seinem Leben wissen. Angefangen bei seinen zahlreichen Titeln, seinen Freizeitbeschäftigungen bis hin zu all den wichtigen Menschen, die er kannte. Es interessierte sie nicht, welche Schlösser, Ländereien und Wohnsitze er besaß, wie er seine Wochenenden verbrachte, und am allerwenigsten wollte sie etwas über seine Familie hören. Der Gedanke, dass Poffy seine Frau mit ihr betrog, einem Mädchen, wahrscheinlich jünger als seine Kinder, trieb Anne Tränen der Scham in die Augen. Sie drehte sich rasch weg und begann, ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zu binden. Währenddessen ging sie im Kopf die Noten von Chopins Grande Valse durch. Sie stellte sich die Klaviertastatur vor und dachte an die fröhliche Melodie. Das half ihr, schnell ruhig zu werden und ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Was hatte er gerade gesagt? Hatte sie wirklich eine Woche ohne seine klebrigen Hände vor sich?

Anne jubelte innerlich. »Wie schade. Na ja, da kann man nichts machen. Aber am Mittwoch läuft die Frist für das nächste Halbjahr aus …«

»Dein Schulgeld habe ich selbstverständlich anweisen lassen, das ist längst erledigt, meine Liebe.« Er lag noch immer nackt auf dem Bett und rollte nun auf seinen ausladenden Bauch. »Wer mit so vollem Körpereinsatz seine Ziele verfolgt wie du, soll schließlich nicht enttäuscht werden. Du kannst dich dann übernächste Woche bei mir dafür erkenntlich zeigen.«

Sein lüsternes Grinsen ließ Übelkeit in Anne aufsteigen. »Das mache ich doch gerne, Poffy«, sagte sie zum Abschied, bevor sie das Zimmer verließ, um zurück zur Schule zu gehen.

Egal, wie lange sie unter der heißen Dusche stand, der Ekel ließ sich nie ganz abspülen. Dabei war sie sich nicht einmal sicher, ob sie der alte Mann mehr anwiderte, der sexuelle Gefälligkeiten im Gegenzug für die Finanzierung ihrer Schulausbildung forderte, oder sie sich selbst, weil sie sich für ihre Ausbildung prostituierte. Wenn auch nur eine einzige ihrer hochwohlgeborenen Mitschülerinnen erfahren würde, dass sie ein Verhältnis mit dem Earl von Breckon hatte, dem Vorsitzenden der Stiftung zum Erhalt der St. Margaret Privatschule, würde sie sofort von ebendieser verwiesen werden und müsste nach Wien zurückgehen. Das war keine Option, lieber würde sie sterben.

Umgekehrt hatte auch der Earl einiges zu verlieren, wenn seine Vorliebe für minderjährige Mädchen bekannt werden würde, angefangen von Ansehen und Ämtern bis hin zu seiner perfekten Vorzeigefamilie. Neutral betrachtet war es ein gewinnbringendes Arrangement für beide Seiten. Und Anne war nicht in der Position, wählerisch sein zu können. Sie musste nur noch ein halbes Jahr durchhalten, dann konnte sie ihren Abschluss machen, und der Albtraum würde ein Ende haben. Obwohl Poffy davon sprach, dass er in den Gremien mehrerer renommierter Universitäten saß, würde sie seine Unterstützung nicht weiter in Anspruch nehmen. Anne hasste sich, ihren Körper, die ganze Welt und am meisten ihre Mutter – dafür, dass sie ihr außer Schönheit nichts ins Leben mitgegeben hatte. Schließlich stellte sie das Wasser ab und griff nach dem Handtuch.

Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie an ihre Mutter dachte. Eine Schlampe war sie, das war nicht einmal übertrieben, und eine Alkoholikerin dazu, die sich einen Dreck um ihr Kind scherte und den ganzen Tag an nichts anderes dachte als an Schnaps und Zigaretten. Und Männer. Sie wusste nicht einmal, welcher ihrer zahlreichen Liebhaber sie letztendlich geschwängert hatte.

Anne war in einer winzigen Altbauwohnung in Wien aufgewachsen, in der die Zimmer mehr hoch als breit waren, muffig und feucht, und in der sie meist allein gewesen war, bereits als kleines Kind. Wenn nicht die alte Frau Sedlek im Hinterhaus gewesen wäre, Witwe und ebenso einsam wie sie – Anne wusste nicht, was aus ihr geworden wäre.

So hatte sie jeden Tag nach der Schule Frau Sedlek besucht, Tante Martha, die ihr zu essen gab und darauf achtete, dass sie ihre Hausaufgaben machte und lernte. Wenn sie fertig mit den Aufgaben war, durfte sie sich an das alte Klavier in der Wohnküche setzen, und Tante Martha brachte ihr bei, wie man wunderschöne Melodien spielte.

Später war sie stets mit einem wohligen Gefühl im Bauch nach Hause gegangen, das auch noch eine Weile anhielt, wenn Mutter sie anschrie, wie immer betrunken. Anne dachte dann einfach an das letzte Klavierstück, das sie gespielt hatte, ging im Kopf die Tasten durch, über die ihre Finger geflogen waren – so hörte sie die heisere Stimme kaum, die sich in Schimpftiraden erging, einfach so, weil sie unzufrieden war.

Mit der Zeit lernte Anne, auf diese Weise allen Widrigkeiten mit beherrschtem Gleichmut zu begegnen, wenigstens nach außen.

Ihre Gefühle hob sie sich für die Nachmittagsstunden am Klavier auf.

Sie war begabt, zweifellos, das Notenlesen fiel ihr leicht, und sie brauchte nie lange, um ein neues Stück zu erlernen. Aber sie war kein Wunderkind. Was sie zu einer außergewöhnlichen Pianistin machte, war die Seele, die sie in die Musik legte und die jeden Zuhörer verzauberte. So war es auch beinahe selbstverständlich, dass sie den Musikwettbewerb ihrer Schule gewann. Als ersten von vielen. Mutter erfuhr von alldem nichts.

Nicht einmal von dem hochdotierten Klavierwettbewerb, bei dem der erste Preis ein Jahresstipendium an einer englischen Privatschule war.

»Das ist deine Chance«, sagte Tante Martha. »Du bist jetzt fünfzehn Jahre alt. Wenn du gewinnst, kannst du weiter zur Schule gehen, noch dazu auf eine gute.«

Anne blickte auf das Anmeldeformular in ihrer Hand. »Ich weiß nicht. Man braucht die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten für den Fall, dass man gewinnt. Mutter wird dagegen sein.«

»Das sollte dich nicht davon abhalten.« Tante Martha bestrich eine Palatschinke mit Marillenmarmelade, rollte sie zusammen und schob Anne den Teller über das gelbe Wachstischtuch zu. »Wenn du darauf warten willst, dass deine Mutter etwas für dich tut, dann kannst du warten, bis du schwarz wirst, Kind.«

»Aber was soll ich denn tun? Ohne ihre Einwilligung kann ich nicht antreten.«

Tante Martha nahm ihr das Formular aus der Hand, zog einen Stift aus der Kitteltasche und unterschrieb unleserlich auf der gestrichelten Linie.

»Da hast du deine Unterschrift. Kann sowieso keiner entziffern. Jetzt fülle den Rest aus und überlege dir, was du spielen willst.«

Eine Weile hatten sich die alte Frau und das Mädchen schweigend in die Augen gesehen, dann hatte Anne genickt. »Ich werde den Wettbewerb gewinnen.«

»Selbstverständlich. Und dann gehst du nach England und kommst nie wieder zurück. Versprich mir das. Du wirst es hier rausschaffen und zu etwas bringen.«

Wütend schleuderte Anne das Handtuch in die Ecke, nachdem sie sich abgetrocknet hatte.

Eineinhalb Jahre lag ihr Versprechen zurück. Eineinhalb Jahre, in denen sie Dinge getan hatte, die mehr als ekelerregend waren. Aber wie hätte sie sonst hierbleiben können? Ohne Geld? Ohne Unterstützung? Tante Martha wäre entsetzt, wenn sie wüsste, was aus Anne geworden war. Und das nach all dem Aufwand, den sie betrieben hatte! Dabei war der Wettbewerb nicht das Problem gewesen – viel komplizierter hatte sich der Abgang aus Österreich gestaltet. Angefangen bei ihrem Namen.

Chantal Nowotny!

Ein Name wie ein Brandzeichen. Unterschicht. Sozial schwach, ungebildet, dumm. Sogar mit ihrem Namen hatte Mutter es geschafft, Anne Steine in den Weg zu legen. So hätte sie es niemals geschafft.

»528,20 Euro«, war Tante Marthas Lösung gewesen.

»Was?«

»So viel kostet es, seinen Namen zu ändern.« Verschmitzt hielt sie im Staubwischen inne und zwinkerte Anne zu. »Ich habe einen alten Freund in der Magistratsabteilung, der ein Auge zudrücken und den Vorgang schnell durchwinken würde.«

Sie legte den Staubwedel ab und nahm einen Umschlag aus der Tischschublade.

»Da drin sind tausend Euro. Mein Notgroschen. Das reicht für die Namensänderung, das Ticket nach England und für die erste Zeit dort. Mehr habe ich nicht. Danach bist du auf dich allein gestellt – aber du wirst es schaffen! Du bist ein schlaues Kind.«

»Das kann ich nicht annehmen, Tante Martha. So viel Geld. Das brauchst du doch selbst.«

»Ich habe es für Notfälle gespart, und dies ist ein Notfall. Ich will, dass du es nimmst.«

Anne schüttelte den Kopf. »Aber ich würde es nie zurückzahlen können.«

»Das musst du doch gar nicht, Dummchen. Du hast mir so viel Freude geschenkt, indem du deine Zeit mit einer einsamen alten Schachtel verbracht hast. Ich gebe es dir gerne.«

Unsicher sah Anne auf das Geld. Es wäre die Chance ihres Lebens. Wahrscheinlich die einzige, um dem Mief der Wiener Mietskaserne zu entkommen.

»Danke, Tante Martha!« Sie fiel der alten Frau um den Hals. »Ich verspreche dir, ich werde dich nicht enttäuschen.«

»Das weiß ich. Und nun lass uns überlegen, wie du heißen willst. Ich finde, es muss ein Name sein, der klassisch klingt. Und englisch sollte er auch sein.«

Und so wurde aus Chantal Novotny auf dem Schreibtisch eines kulanten Wiener Beamten Anne Catherine Marsden.

Wie erwartet erhielt sie das Stipendium, und wie erwartet fiel ihrer Mutter erst nach zwei Wochen auf, dass ihre Tochter nicht mehr da war.

Eine Zeit lang nahm sich Frau Nowotny fest vor, eine Vermisstenanzeige aufzugeben, aber schon bald verpuffte diese gute Absicht im Rausch einer mehrtägigen Kneipentour, die im weiteren Verlauf zum Versagen der überstrapazierten Leber und somit zum Tod führte.

Dem Sozialarbeiter, der die Wohnung auflöste, wurde durch die Schule zwar mitgeteilt, dass es eine Tochter gab, die sich derzeit im Ausland befand, aber da der gestresste Mann beim besten Willen keine Chantal Nowotny auffinden konnte, gab er sich bereitwillig mit einem Stipendiatsschreiben zufrieden, das in der Wohnung aufgefunden worden war. Chantal hatte es Tante Martha sofort nach ihrem Schulstart in England zukommen lassen, um tiefergehenden Nachfragen vorzubeugen, und die hatte es strategisch günstig platziert. Der Beamte durfte somit einige Erledigt-Häkchen in der Akte setzen, die wegen der täglichen Flut der Fälle irgendwann unbemerkt in irgendeinem Archiv verschwand.

Der einzige Mensch, der Anne vermisst hatte, war Martha Sedlek gewesen.

2.

Mit der flachen Hand wischte Anne über den beschlagenen Spiegel und blickte in ihr trauriges Gesicht.

Ihre Augen waren verquollen von den Tränen, die sie unter der Dusche vergossen hatte.

»Tante Martha wird stolz auf mich sein«, sagte sie entschlossen zu ihrem Spiegelbild. »Ich werde Erfolg haben – und die Opfer, die ich dafür bringe, werden nicht umsonst sein!«

»Sprichst du schon wieder mit dir selber, Annie?« Die amüsierte Stimme gehörte Caroline, einer Mitschülerin, die gerade das Badezimmer betrat und ihren Kosmetikbeutel nachlässig auf das Waschbecken schleuderte.

»Ich vergesse immer, dass du keine Engländerin bist, aber wenn du in dieser komischen Sprache vor dich hin murmelst, dann ist das echt unheimlich, weißt du?«

Anne ärgerte sich, ertappt worden zu sein. Es war wichtig, dass sie dazugehörte, sich nicht von den anderen unterschied. Und Selbstgespräche auf Deutsch ließen sie nicht besonders britisch erscheinen.

»Sieh mich nicht so entsetzt an«, rief Caroline lachend, »ich mache doch nur Spaß!«

In den ersten vier Wochen im Internat hatte Anne kaum ein Wort gesprochen. Sie hatte nur zugehört und wie ein Schwamm alles in sich aufgesaugt, was ihre Mitmenschen von sich gaben. Jede Floskel, das Auf und Ab der Töne, die Stimmmelodie hatte sie sich eingeprägt wie ein neues Musikstück. Und als sie schließlich angefangen hatte, mit dem richtigen Akzent zu sprechen, der geschliffenen Ausdrucksweise der englischen Oberschicht, hatten alle schnell vergessen, dass die neue Schülerin wochenlang gar nichts gesagt hatte und noch dazu aus dem Ausland kam – immerhin hörte sie sich so viel kultivierter an als die unzähligen reichen Russen oder Araber, die sich im vornehmen englischen Internat Sozialprestige kauften.

»Was machst du eigentlich hier, mitten am Nachmittag? Alles ist voller Wasserdampf! Wie lange warst du unter der Dusche?«

»Gefühlte drei Stunden.« Anne schlang ein frisches Handtuch um ihre nassen Haare. »Mir war kalt.«

»Kein Wunder bei diesem scheußlichen Wetter. Ich habe das Gefühl, als würde die Heizung in unseren alten Gemäuern nicht richtig funktionieren.« Caroline zog ein pfirsichfarbenes Lipgloss aus ihrer Kosmetiktasche und trug es sorgfältig auf. »Nichtsdestotrotz ist heute Freitag, und wir haben Ausgang – den wir bei jeder Witterung wahrnehmen! Kommst du mit ins Fox and Dagger? So in einer Stunde?«

Anne nickte. Das Fox and Dagger war der Pub im Dorf und wurde von Internatsschülern wie Einheimischen gleichermaßen geliebt.

Zurück in ihrem Zimmer, dachte sie an ihren ersten Besuch in einem englischen Pub, während sie sich die Haare föhnte. Eigentlich hatten nur die Schüler der Oberstufe Ausgang – offiziell. Doch inoffiziell gab es Mittel und Wege, sich aus dem Internat zu schleichen und in die etwas weiter entfernte Kleinstadt zu fahren, in der es mehrere Bars und Lokale gab, in denen man als St. Margaret-Schüler nicht so sehr auffiel wie im Fox and Dagger. Der Anlass ihres damaligen Ausfluges war eigentlich ein pragmatischer gewesen.

Anne hatte vorgehabt, ihre Unschuld zu verlieren.

Zu der Zeit war ihr Stipendium ausgelaufen, und in einem persönlichen Gespräch hatte Poffy sie darüber informiert, welche Möglichkeit es für sie gäbe, weiter auf St. Margret zu bleiben, obwohl sie nicht einmal einen Bruchteil des Schulgeldes aufbringen konnte.

Nach anfänglicher Entrüstung hatte Anne schließlich eingesehen, dass das Schicksal keine Alternativen für sie bereithielt. Entweder würde sie dem Earl von Breckon zu Willen sein oder zurück in die Wiener Unterschicht gehen.

Mit ihrem Körper konnte sie sich ein besseres Leben kaufen. Sie war gerade sechzehn geworden. Jung, mit schlanken Hüften, langen Beinen und straffer Haut – genau so hatte Poffy es gerne.

Für ihre Unberührtheit hätte es sogar noch eine großzügige Extrazahlung gegeben, doch Anne war nicht bereit gewesen, diese letzte intime Bastion dem dicken alten Mann zu opfern.

In einem Anflug von verzweifelter Geistesgegenwärtigkeit hatte sie behauptet, sie wäre keine Jungfrau mehr. Die Enttäuschung hatte man ihm deutlich angemerkt, aber da Anne ein außergewöhnlich hübsches Mädchen war, hatte er wohl darüber hinweggesehen, dann war sie eben nicht ganz so unverbraucht. Einige Tage vor ihrer ersten Verabredung zum Stelldichein mit dem alten Earl war Anne deshalb heimlich nachts in eine Bar in der Kleinstadt gefahren. Eigens für diesen Abend hatte sie ein hübsches Top gekauft, das so viel Dekolletee zeigte wie möglich, ohne billig zu wirken. Dazu trug sie Jeans und schwarze Pumps. In einer Frauenzeitschrift hatte sie gelesen, dass die Kombination aus knackigen Jeans und hohen Schuhen bei flirtwilligen Männern am liebsten gesehen wurde. Ebenso stand in dem Artikel, dass man die Haare unter allen Umständen offen tragen sollte, weshalb Annes dunkelblondes Haar in leichten Wellen über ihren Rücken fiel. Im schummrigen Licht würde niemand ahnen, dass sie erst sechzehn war. Auch der Barkeeper fragte nicht nach ihrem Ausweis, als sie bestellte.

Es dauerte nur einen halben Gin Tonic, dann hatte sie sich entschieden.

Am anderen Ende der Bar stand eine Gruppe junger Männer in Anzügen, die sich über einem Feierabendbier unterhielten. Sie schienen alle Anfang zwanzig zu sein und hatten offensichtlich Jobs, die gepflegte Kleidung erforderten. Einer von ihnen sah besonders gut aus.

Anne dachte, es wäre besser, einen attraktiven Mann für ihr Vorhaben zu gewinnen, da dieser es bestimmt gewohnt war, Erfolg bei Frauen zu haben, was die Sache beschleunigen würde. Darüber hinaus wollte sie natürlich lieber mit einem hübschen Mann ins Bett gehen, so viel war klar. Tatsächlich wusste er sofort, dass er gemeint war, als Anne ihn anlächelte, und kam mit seinem Glas in der Hand auf sie zu.

»Was trinkst du da?«, fragte er.

Seine Stimme war tief und passte zu ihm. Anne fand es lächerlich, wenn Männer helle Stimmen hatten.

»Wieso?«

»Weil ich dich gerne auf dein nächstes Getränk einladen würde, wenn du nichts dagegen hast.«

Als er sein Glas auf dem Bartresen abstellte, sah Anne, dass seine Hände kräftig und gebräunt waren. Keine typischen Anzugträgerhände.

Er hatte ihren Blick bemerkt. »Restbräune«, meinte er beinahe entschuldigend. »Ich habe erst vor zwei Wochen eine Stelle hier angenommen und war vorher ein Jahr lang in Asien unterwegs. Ein Sabbatical, weißt du.«

»Ein ganzes Urlaubsjahr? Das klingt beneidenswert!« Und es erklärte die vielen blonden Strähnen in seinem hellbraunen Haar, die zu natürlich wirkten, um von einem Friseur zu stammen.

»O ja, es war traumhaft. Umso härter hat mich der Schock des Alltags getroffen – aufstehen, wenn es noch dunkel ist, in der Kälte zur Arbeit gehen und dann den ganzen Tag auf einen Computerbildschirm starren, schrecklich! Ich heiße übrigens Chris.« Er streckte ihr die Hand hin.

»Chris wie Christian?«

»Nein, Chris wie Christopher.«

Nachdem auch Anne sich vorgestellt hatte, hielt Chris ihre Hand ein wenig länger als nötig. Sie empfand das nicht als unangenehm, und beide mussten lachen, als er sie schließlich wieder losließ.

»Bist du allein hier, Anne?«

»Ja. Wieso?«

»Weil ich mich frage, weshalb ein so hübsches Mädchen ohne Begleitung an einem Wochentag in dieser Bar sitzt.«

»Und was denkst du, ist die Antwort darauf, Chris?«

»Da gibt es mehrere Möglichkeiten.« Er fischte nach dem hinter ihm stehenden Barhocker und setzte sich. »Möglichkeit eins: Du kommst von St. Margaret, hast eine schlechte Note bekommen, bist aus dem Fenster geklettert und in ein Taxi gestiegen und möchtest deinen Kummer im Alkohol ertränken.«

Er lehnte sich vor und sah ihr in die Augen, um nach einer Reaktion darin zu suchen, aber sie schüttelte nur leicht den Kopf. »Fahr ruhig fort, Sherlock, ich will erst alle Optionen hören, bevor ich mich für eine entscheide.«

»Also gut. Möglichkeit zwei, du arbeitest irgendwo in der Nähe, hattest einen höllischen Tag, weil dein Boss ein Mistkerl ist und dich nur schikaniert, und möchtest deinen Kummer im Alkohol ertränken. Möglichkeit drei hat nichts mit Schule oder Arbeit zu tun, sondern: Du wurdest von deinem Freund verlassen, Schrägstrich hast mit ihm Schluss gemacht und möchtest deinen Kummer im Alkohol ertränken. Und schließlich noch Möglichkeit vier: Du warst mit einer Freundin verabredet, sie hat dich versetzt und …«

»Und ich möchte meinen Kummer im Alkohol ertränken? Das ist es? Mehr fällt dir nicht ein?«

Er hob lachend beide Hände. »Oje, das heißt wohl, das Passende war nicht dabei, oder?«

»Nein, leider nicht. Aber ich werde dir deine Frage beantworten, später, versprochen.«

Es war einfach, sich mit Chris zu unterhalten. Obwohl er sich seines guten Aussehens durchaus bewusst war, war er nicht überheblich, sondern freundlich und entspannt. Er schien ein netter Kerl zu sein. Anne bedauerte es fast, ihn ausgewählt zu haben. Er war jemand, mit dem man richtig befreundet sein könnte, Boyfriend-Material, wie die Mädchen in der Schule das nannten. Aber sie war nicht auf der Suche nach einem Freund.

Zwei Stunden und vier Gin Tonics später, Chris’ Freunde waren längst gegangen, läutete der Barkeeper die Glocke über dem Tresen.

»Letzte Runde«, bemerkte Chris auffordernd.

Anne schüttelte den Kopf. »Ich möchte nichts mehr trinken.«

Er nahm ihre Hand. »Was möchtest du dann?«

»Dir eine Antwort auf die Frage geben, was ich eigentlich allein hier in der Bar mache.«

Anne hatte sich Mut angetrunken.

Ich hatte noch nie Sex und muss morgen mit einem fetten alten Mann ins Bett gehen, der auf gar keinen Fall mein Erster sein soll. Deshalb möchte ich, dass du mit mir schläfst, damit ich wenigstens eine schöne Erinnerung an mein erstes Mal habe. Ich will nur einen One-Night-Stand, nichts weiter … Wieso sollte ich ihm nicht sagen, wie es wirklich ist, dachte sie und merkte, dass sie leicht beschwipst war.

»Okay, geheimnisvolle Anne. Aber ich will nur die Wahrheit hören. Erzähl mir jetzt nicht irgendeinen Blödsinn.«

»Ich hatte noch nie Sex und muss morgen mit einem fetten alten Mann ins Bett gehen, der auf gar keinen Fall mein Erster sein soll. Deshalb möchte ich, dass du mit mir schläfst, damit ich wenigstens eine schöne Erinnerung an mein erstes Mal habe. Ich will nur einen One-Night-Stand, nichts weiter.« Erschrocken schlug sie sich die Hand vor den Mund.

O Gott! Hatte sie es tatsächlich gesagt? Mit einem Schlag war sie stocknüchtern.

Das Lächeln verschwand aus Chris’ Augen.

Anne rutschte von ihrem Barhocker, sie wollte so schnell wie möglich verschwinden. »Das war ein Scherz! Ich muss jetzt gehen.«

Sie wollte sich umdrehen, aber er hielt sie am Handgelenk fest. »Warte. Lauf nicht weg. Denke nicht, dass ich blöd bin – ich kann die Wahrheit erkennen, wenn ich sie höre, und deine Antwort, die dir sicherlich nur so herausgerutscht ist, weil du mich eigentlich mit irgendeiner Lüge abspeisen wolltest, ist absolut wahr. Du hast das echt vor. Weshalb willst du mit einem alten Sack Sex haben, um Himmels willen?«

Sie schloss für einen Augenblick die Augen. Nie wieder würde sie mehr trinken, als sie verkraften konnte. Nie wieder würde sie unbedachte Dinge sagen. Was für ein Fiasko! Weshalb hatte sie sich nicht auf die Zunge gebissen?

Er saß noch immer auf seinem Hocker, hielt ihr Handgelenk umklammert und sah sie schockiert an. Mit ihrer freien Hand machte sie sich los und beugte sich zu ihm.

»Hör zu, Chris, wir kennen uns jetzt seit ein paar Stunden. Das gibt dir nicht das Recht, über mich zu urteilen. Ich bin in diese Bar gekommen, um jemanden für heute Nacht kennenzulernen, verstehst du? Die Gründe dafür gehen nur mich etwas an. Ich fand dich attraktiv und dachte, du stehst auf mich. Offenbar lag ich damit falsch.« Sie kramte einen Geldschein aus ihrer Tasche und warf ihn auf den Tresen. »Es tut mir leid.« Sie drehte sich um und verließ die Bar.

Draußen war es kalt. Anne schlang ihren Mantel fest um sich, verschränkte die Arme vor der Brust und lief in Richtung High Street, wo die meisten Taxen fuhren.

Nach ein paar Metern hörte sie Schritte hinter sich.

»Warte!«

Sie blieb stehen und drehte sich um, die Arme noch immer verschränkt.

»Ich hatte dich eingeladen«, Chris schob den Geldschein wütend in Annes Manteltasche. »Und es kommt überhaupt nicht infrage, dass du bezahlst. Egal, wie katastrophal dieser Abend zu Ende ging.«

Beim Sprechen bildete sich in der kalten Luft Nebel vor seinem Mund. Sie blickten einander stumm an, bis sie merkten, dass die Wut des anderen nachließ.

Schließlich lächelte Chris. »Ich werde dir keine dummen Fragen mehr stellen. Versprochen. Es ist ja auch alles geklärt, denke ich. Meine Wohnung liegt fünf Minuten von hier.« Er streckte ihr die Hand hin.

Anne zögerte nur kurz, dann ergriff sie sie.

3.

Australien, 2008

Am anderen Ende der Welt war Marc Harper im Vergleich zu Anne Catherine Marsden im Paradies aufgewachsen. Sprichwörtlich. Als erstgeborener Sohn von Marcus Harper, Inhaber der Harper Mining Company, und dessen Frau Ivy, einem ehemaligen Model, hatte er nicht nur ein millionenschweres Erbe zu erwarten, sondern wurde in allem gefördert, was ihm Spaß machte. In erster Linie waren das Surfen und Polo spielen.

Sport und Freizeit bestimmten seine Kindheit und Jugend und machten aus dem hochgewachsenen Jungen einen durchtrainierten Sonnenschein, dem in Sydneys bester Gesellschaft alle Türen offen standen. Die erste Kollision mit dem wirklichen Leben hatte Marc erst mit einundzwanzig Jahren, als seine Mutter unerwartet starb.

Die Polizei stellte eine Überdosis Kokain als Todesursache fest. Augenscheinlich ein Versehen, denn die Kokainreste auf dem Nachtschränkchen waren von erstaunlicher Reinheit gewesen, und den ebenfalls anwesenden Golflehrer hatte das gleiche Schicksal ereilt.

Ein philippinisches Zimmermädchen hatte zeitgleich die New South Wales Police Force und die Presse verständigt, weshalb am folgenden Tag Fotos von Marcs toter Mutter neben dem ebenfalls toten Golflehrer der Boulevardpresse ein dickes Umsatzplus bescherten – und Marcs Familie einen handfesten Skandal.

Die Ehe der Eltern war bereits vor Jahren am absoluten Tiefpunkt angelangt. Aber man hatte sich arrangiert. Eine Scheidung wäre für Marcus Harper teuer geworden, zudem war Violet, das Nesthäkchen, erst zwölf, so dass man sich entschieden hatte, eine »Familie« zu bleiben.

Marc hatte nichts von den Affären und Drogenproblemen seiner Mutter geahnt. Sicher, ihm war aufgefallen, dass sich seine Eltern bestmöglich aus dem Weg gingen und nur bei Veranstaltungen gemeinsam auftraten, aber so war es schon immer gewesen. Dad arbeitete ständig, und Mum war oft unterwegs mit Freunden. Eigentlich war er selbst viel zu beschäftigt mit seinem eigenen Leben, als dass er sich Gedanken um die Eltern gemacht hätte.

Der Tod seiner Mutter erschütterte ihn zutiefst. Einerseits traf ihr Verlust ihn hart, andererseits nagte das schlechte Gewissen an ihm. Wie hatte er nicht bemerken können, dass sie Drogen nahm? Wahrscheinlich war sie unglücklich gewesen, vielleicht verzweifelt. Wem hatte sie von ihren Sorgen erzählt? Er war jedenfalls nicht für sie da gewesen, und jetzt war es zu spät. Marc Harper hatte keine Mutter mehr.

»Ich verstehe nicht, wie du so schnell wieder zum Tagesgeschäft übergehen kannst, Dad!«

Am Tag nach der Beerdigung erschien Marc wütend im Büro seines Vaters im Harper Tower, unangemeldet.

Marcus Harper saß hinter seinem Schreibtisch. Er nahm die Lesebrille ab und ließ den Blick langsam über seinen Sohn gleiten. Dieser trug Polokleidung, schmutzige Stiefel und hielt eine Reitgerte in der Hand. Dann setzte er die Brille wieder auf und sagte, während er einen Brief unterschrieb: »Du siehst selbst auch nicht gerade aus wie der trauernde Sohn. Bist du hierher geritten?«

»Zum Teufel, nein! Kannst du mich nicht wenigstens ansehen, wenn du mit mir sprichst?«

»Nicht, wenn du weiterhin darauf bestehst zu fluchen.«

»Ist doch egal. Wir stehen sowieso vor ganz Australien da wie eine Bande Asozialer. Da macht es keinen Unterschied, wie ich spreche.«

Jetzt legte Marcus seine Brille ab, erhob sich und drückte auf ein Wandpanel, welches lautlos zur Seite glitt und den Blick auf eine gut sortierte Bar freigab.

»Whisky?«

Marc ließ sich in einen schwarzen Ledersessel fallen, der so breit war wie eine kleine Couch, und zuckte die Schultern. »Sicher. Wenn du meinst, dass das hilft.«

»Das bezweifle ich. Aber es betäubt wenigstens etwas.« Marcus goss für beide ein und setzte sich in den zweiten Sessel, bevor er Marc ein Glas reichte.

»Du hast es gewusst, oder?«

»Was?«

»Dass sie dich betrügt. Dass sie es mit dem Golflehrer treibt.«

»Du sprichst von deiner Mutter, Junge. Bitte etwas mehr Respekt.«

Marc schnaubte verächtlich. »Er war nur drei Jahre älter als ich. Sie haben sich zusammen Drogen durch die Nase gezogen. Wie könnte ich da noch Respekt haben?«

»Weil sie deine Mutter war. Sie hat dich jeden Abend ins Bett gebracht und dir eine Geschichte vorgelesen, als du klein warst. Sie war immer für dich da und hat dich in allem unterstützt. Sie war dir und Violet eine gute Mutter, und egal, was sie getan hat, du schuldest ihr Respekt!« Marcus’ Stimme war lauter geworden, aber nun nahm er einen Schluck aus seinem Glas und bemühte sich um Beherrschung.

Auch Marc nippte am Whisky. Er brannte auf den Lippen.

»Entschuldige.«

»Ist schon gut. Es ist alles sehr schwierig momentan, ich weiß.«

»Wann werden die Reporter abhauen?«

»Stehen sie immer noch unten?«

Marc nickte. »Und zu Hause vor dem Tor. Und vor Violets Schule, vor dem College und vor dem Polo Club. Sie sind überall.«

»Was für ein Albtraum. Aber es wird nicht mehr lange dauern. Sobald sie die nächste Schlagzeile haben, werden sie sich nicht mehr für uns interessieren.«

»Ich hasse die Presse!«

»Ich weiß. Ich auch.«

Eine Weile schwiegen sie gemeinsam.

»Violet möchte auf ein Internat in der Schweiz gehen«, sagte Marc schließlich.

»Ja. Sie hat es mir gestern gesagt.«

»Wirst du es ihr erlauben?«

Marcus sah müde aus. Er lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen. »Wieso nicht? Wenn es ihr hilft, all das zu verarbeiten.«

»Weißt du, ich könnte auch nach Europa gehen. Dann wäre es leichter, ab und zu nach ihr zu sehen.«

»Warum sagst du mir nicht einfach, was du willst, Marc? Du warst noch nie jemand, der um den heißen Brei herumredet.«

»Ich will auch weg von hier. Weit weg. Für lange Zeit.«

»Also gut.« Marcus schien zu überlegen. »Du könntest in England eine Universität besuchen und nach deinem Abschluss unsere Niederlassung in London leiten. Falls du willst. Aber ich erwarte, dass du eines Tages hierher zurückkommst, um die Gesamtleitung des Konzerns zu übernehmen.«

»Und wenn ich etwas anderes machen möchte?«

»Das sind die Bedingungen, zu denen ich dich weiterhin unterstütze und die dir in Europa ein sorgenfreies Leben ermöglichen werden. Mir ist klar, dass du wegwillst – ich würde auch am liebsten untertauchen, aber das kann ich nicht, ich habe Pflichten. Und von dir erwarte ich ebenfalls, dass du etwas Sinnvolles mit deiner Zeit anfängst. Du wirst studieren und danach arbeiten und später einmal Harper Mining übernehmen. Du bist mein einziger Sohn.«

»Und Violet darf in die Schweiz gehen?«

»Ja.« Marcus stand auf und streckte ihm die Hand hin. Nach kurzem Zögern schlug Marc ein. Dann umarmten sie sich.

»Es tut mir unendlich leid, dass ihr Kinder das miterleben müsst«, flüsterte Marcus. »Aber unsere Familie wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Wir sind Harpers, wir schaffen alles.«

Zwei Wochen später flogen Marc und Violet First Class nach Frankfurt, wo sie sich unter Tränen voneinander verabschiedeten und vereinbarten, sich monatlich zu treffen. Dann stieg Violet in das Flugzeug nach Zürich und Marc in das nach London, und beide waren erleichtert, in die Anonymität eines neuen Kontinents einzutauchen und Australien für lange Zeit hinter sich zu lassen.

4.

Irland, 2012

»Es ist doch vollkommen egal, dass er schwul ist!«, schrie Jamie Harkdale. »Er ist dein Sohn!«

Wütend lief er im Kaminzimmer auf und ab. Das Geräusch seiner Schritte wurde von dem riesigen Perserteppich verschluckt, der das edle Parkett beinahe vollständig bedeckte.

Sein Vater saß unbeeindruckt im Sessel vor dem Feuer, die Füße auf einem mit Samt bespannten Schemel, und zog an einer Zigarre.

»Das ist es nicht, Jamie. Ich hinterlasse doch nicht all das hier einer Schwuchtel.«

»Du sprichst von deinem ältesten Sohn, Vater! Du ekelst mich an.«

»Ich ekle dich an? Und was ist mit Harry? Er treibt es mit Männern. Das nenne ich ekelhaft.«

Nach zwei Jahren in New York war Harry am Tag vor Weihnachten nach Hause gekommen und hatte sich vor seiner Familie geoutet. Jamie hatte seit Langem vermutet, dass sein Bruder Männer bevorzugte, doch für ihn war das nie ein Problem gewesen. Er wusste, Harry würde sich ihnen offenbaren, wenn er die Zeit für reif hielt. Außerdem änderte seine sexuelle Neigung nichts daran, dass er der beste große Bruder war, den es gab. Sowohl Mutter als auch Alice, seine Schwester, dachten wie Jamie – aber Vater war völlig ausgeflippt. Tatsächlich hatte er so lautstark und lang anhaltend getobt, dass Harry am ersten Weihnachtsfeiertag mit dem Helikopter zurück nach Dublin und von dort nach New York geflogen war, nicht willens, die Schmähungen des Vaters länger zu ertragen.

»Ich werde mein Testament ändern. Du wirst als Haupterbe eingesetzt und mein Nachfolger werden, und deinen Bruder werde ich aus meinem letzten Willen streichen.«

Jamie blieb abrupt stehen. »Das kannst du vergessen. Ich will weder deinen Besitz noch deinen Titel. Harry ist der rechtmäßige Erbe.«

»Aber von ihm sind keine Nachkommen zu erwarten.«

»Falls es dir nur darum geht – woher weißt du, dass ich mich fortpflanzen werde? Außerdem – auch schwule Paare können heutzutage Kinder haben.«

»Mach dich nicht lächerlich. Das kommt überhaupt nicht infrage.«

»Ich sage dir hiermit eines, Vater, ich stehe als dein Nachfolger nicht zur Verfügung. Und bevor du den Lebenswandel deines Sohnes verurteilst, kehre lieber vor deiner eigenen Tür!«

Der alte Mann lief dunkelrot an. »Was soll das heißen? Was erlaubst du dir überhaupt?«, brüllte er.

»Ich erlaube mir, festzustellen, dass deine amourösen Ausflüge nicht unbemerkt geblieben sind. Wir wissen doch alle genau, dass kein Rock vor dir sicher ist. Mutter leidet darunter, aber das ist dir anscheinend egal. Sobald eine hübsche Frau in deiner Nähe ist, benimmst du dich wie ein brünstiger Pavian, das nenne ich ekelhaft! Und respektlos der Familie gegenüber obendrein.«

»Das ist mein gutes Recht! Ich bin der Herr des Hauses. Unserer Familie gehört dieses Land seit Jahrhunderten, und das Oberhaupt kann machen, was es will. Wir Harkdales hatten schon immer Mätressen, das ist in unserem Stand etwas ganz Normales, und ich verbitte mir jegliche Kritik deinerseits!«

»In unserem Stand?«, schnaubte Jamie. »Ich pfeife auf unseren Stand. In welcher Zeit lebst du eigentlich?«

»Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen! Geh mir aus den Augen, du undankbarer Flegel!«

»Ausnahmsweise füge ich mich dieser Anweisung gerne.« Jamie musste sich sehr beherrschen, um die Tür nicht zu knallen. Ein Schatten huschte in eines der Zimmer, während er die breite Treppe hinaufstapfte, und Jamie wusste, dass einer der Bediensteten an der Tür gelauscht hatte. In dem riesigen Anwesen außerhalb Dublins war eine Vielzahl von Zimmermädchen und Hausangestellten beschäftigt, und irgendwer spionierte immer. Nichts blieb unbemerkt.

Alice und Mutter warteten bereits in seinem Zimmer.

»Wie ist es gelaufen?«

Zwei Paar tiefblaue Augen sahen ihm entgegen und Jamie musste unwillkürlich lächeln. Niemand hätte bestreiten können, dass sie verwandt waren.

Jamies Mutter hatte ihre klassische irische Schönheit, rabenschwarzes Haar und blaue Augen, an ihre Kinder weitergegeben. Doch während Alice und Harry über die Sanftmut ihrer Mutter verfügten, hatte Jamie das hitzige Temperament seines Vaters geerbt. Gottlob jedoch nicht dessen Überheblichkeit und Egoismus.

Jane Harkdale entstammte einem Adelsgeschlecht, das wesentlich älter und wohlhabender war als das von Geoffrey Harkdale, dennoch benahm er sich wie ein Pascha und terrorisierte Familie und Bedienstete.

Jamie setzte sich auf ein Sofa. »Was denkt ihr wohl? Entsetzlich. Er führt sich auf wie die Axt im Walde. Er hat sogar vor, Harry zu enterben.«

»Ich hasse ihn.« Die Worte kamen aus Alice’ tiefstem Herzen. Sie griff nach dem Rotweinglas, das vor ihr auf dem niedrigen Couchtisch stand, und nahm einen großen Schluck.

Ihre Mutter streichelte ihr den Rücken. »Er wird sich schon wieder beruhigen. Immerhin ist Harry der Erstgeborene, und ich kann mir nicht vorstellen, dass euer Vater einen Skandal verursachen wird, indem er ihn enterbt. Außerdem würde sich dann der Grund dafür herumsprechen, und das wird er um jeden Preis vermeiden wollen.«

Nachdem er sich selbst ein Glas Wein eingeschenkt hatte, stand Jamie auf und trat an eines der raumhohen Fenster, die auf den Park hinausgingen.

Sein Zimmer war lang gestreckt, beinahe ein Saal, der im hinteren Teil ein Bett mit vier massiven Pfosten aus dunklem Holz beherbergte und im vorderen Bereich eine Sitzecke um den Kamin. Dazwischen lag so viel Platz, dass Jamie und Harry als Kinder heimlich Fußball auf dem Parkett gespielt hatten – so lange, bis eines Tages eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen war.

Draußen war es stockdunkel, aber die Beleuchtung der Veranda erhellte den mit Raureif überzogenen Rasen.

»Ich werde nach London gehen«, sagte er leise.

»Was?« Alice klang entsetzt. »Das geht nicht! Wir brauchen dich hier! Du kannst uns nicht mit ihm allein lassen!«

»Er ist doch dauernd unterwegs. Die Tage, die er hier verbringt, lassen sich an einer Hand abzählen, Alice.« Er drehte sich um und ging zurück zur Couch. »Ich bin jetzt fünfundzwanzig und habe mein ganzes Leben hier verbracht …«

»Das stimmt nicht, du hast in England studiert.«

»Davon rede ich aber nicht. Ich bin erwachsen und will raus hier. In die Stadt.«

Jane legte Alice beschwichtigend eine Hand auf den Arm, als diese protestieren wollte.

»Lass ihn, Kind, er hat recht. Es ist Zeit, das Nest zu verlassen. Was hast du vor, Jamie?«

»Ich dachte, ich könnte erst einmal bei Cousin George wohnen.«

»Warum nicht in unserem Haus in Mayfair?«

»Vater steigt dort ab, wenn er in London ist.«

Seine Mutter nickte. »Er wird dagegen sein, dass du gehst.«

»Weißt du was? Das ist mir völlig egal! Er interessiert sich doch sowieso nur für sich selbst. Was wir machen, ist ihm entweder gleichgültig, oder er ist dagegen. Ich habe die Nase voll von ihm. Wie er sich Harry gegenüber benommen hat, ist beschämend!«

5.

England, 2015

Wenige Jahre später hatte Jamie Harkdale es geschafft, sich völlig aus dem Schatten des Vaters zu lösen. Zu verdanken hatte er dies den weitreichenden Verbindungen seines Cousins George in der Londoner Gesellschaft, seinem Namen und, nicht zu vergessen, seiner Geschäftsidee.

Das Netzwerk aus Freunden, Kontakten, Unternehmern, Adel, Schönen und Reichen, welches sich ihm schnell erschlossen hatte, organisierte er in einem exklusiven Internetclub, zu dem nur handverlesene Mitglieder Zugang hatten. Der Club umspannte dank des World Wide Webs bald den Globus, und alles, was Rang und Namen hatte, wollte Mitglied im Inner Circle werden.

Wer dabei war, konnte sich sicher sein, zu den vornehmsten Festen und exklusivsten Premieren geladen zu werden. Ebenso konnte man Kontakte zu Investoren und Geschäftspartnern knüpfen, die alle in einer Liga spielten.

Der Inner Circle war das Who-is-who des internationalen Jetsets, zusammengefasst auf einer Webseite und für die Auserwählten überall leicht erreichbar. Firmen überschlugen sich, um auf den Seiten des Circle Werbung schalten zu dürfen, und bald war Jamie allein durch die PR-Einnahmen unabhängig von seinem Trust Fund und damit von seiner Familie. Dazu kamen noch die Inner Circle-Feste und Sportveranstaltungen, bei denen die Mitglieder in amüsantem Ambiente diskret netzwerken konnten.

»Ich finde meine Vorschläge für die neue Webseite sehr gut.« Cheryl, Jamies Assistentin, beugte sich über den Schreibtisch, um auf den Monitor blicken zu können.

Dabei streifte ihre Brust wie zufällig Jamies Schulter.

Er verdrehte die Augen. »Es fühlt sich an wie Plastik, und es ist nicht nötig, mich ständig damit anzustupsen.«

»Es fühlt sich an wie Plastik, weil es Plastik ist, Schätzchen!«, schmollte sie. »Aber sie waren so teuer, dass ich einfach gern jeden an meinem Glück teilhaben lassen möchte.«

Cheryl war eins fünfundachtzig groß, mit einer Figur, für die die meisten Frauen töten würden – wunderschön, langbeinig, mit schwarzem Haar und dunkler Haut. Nur wenige Menschen wussten, dass sie vor ihrer Operation nicht Cheryl, sondern Charles gewesen war. Charles und Jamie hatten dieselbe Universität besucht. Trotz seines Unglücks, im falschen Körper zu stecken, sah Charles die Welt positiv. Er war ein begnadeter Software-Spezialist und fähiger Betriebswirt.

Beide Abschlüsse hätten ihm hochbezahlte Jobs garantiert, wenn die Sache mit seiner Geschlechtsumwandlung nicht gewesen wäre.

Kurz nach Gründung des Inner Circle hatte Jamie die frischgebackene Cheryl deprimiert hinter dem Bartresen eines Clubs angetroffen – und sofort wiedererkannt. Anscheinend war das Mixen von Cocktails die einzige Beschäftigung, die man ihr als Transsexuelle zutraute. Während ihrer Studienzeit hatte sich Charles als Hacker einen gewissen Namen in einschlägigen Kreisen gemacht. Cheryl nahm ihre körperliche Verwandlung zum Anlass, sich von solchen Dingen zu distanzieren. Aber zu dem Zeitpunkt, als Jamie sie wiedergetroffen hatte, war sie finanziell derartig klamm gewesen, dass sie sogar eine Wiederaufnahme dieser Tätigkeit in Erwägung gezogen hatte. Jamie hatte Cheryl vorgeschlagen, Geschäftsführerin seines neuen Unternehmens zu werden, und ihr damit nicht nur eine Karriere geboten, sondern verhindert, dass sie in die Illegalität abglitt, um über die Runden zu kommen. Auch ihrem Können war der Erfolg des Internetclubs zu verdanken.

Sie rekrutierte Investoren und kümmerte sich um die Webseite. Er netzwerkte und entschied über neue Mitglieder.

Für Jamie war Cheryl ein Glücksfall, und für Cheryl war Jamie der Weg zurück in die seriöse Geschäftswelt. Für Außenstehende war der Umgangston der beiden, eine Mischung aus burschikoser Ruppigkeit und trockenem Humor, oft verwunderlich, doch so hörte es sich eben an, wenn sich zwei Jugendfreunde unterhielten.

»Mir gefallen deine Entwürfe auch sehr gut, ich möchte nur nicht, dass irgendwo ein Bild von mir auftaucht.«

»Aber du bist der Boss! Das interessiert die Leute!«

»Die Startseite ist für jeden im Netz einsehbar – ich habe keine Lust darauf, dass alle mein Gesicht kennen und versuchen, über mich in den Club zu kommen. Ich will meine Ruhe haben.«

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Ach, du alter Brummbär. Sei doch ein wenig offener! Mir würde es nichts ausmachen, wenn gut aussehende Menschen mich ansprechen und einladen, weil sie glauben, es bringt sie in den Inner Circle.«

»Ich weiß. Du würdest eine Flasche Champagner einfordern, dir die Visitenkarte geben lassen und dann die Bewerbung ablehnen!«

»Genau – ich hasse Opportunisten!«

»Weshalb nehmen wir dann nicht ein Bild von dir?«

»Von mir?«

»Ja, du bist der Geschäftsführer.«

»Du meinst, die Geschäftsführerin.«

»Natürlich. Wie konnte ich mich nur so versprechen …«

Cheryl schien nachzudenken. »Das würde dir nichts ausmachen? Nicht einmal falls bekannt wird, wer ich bin?«

»Du bist ein Mensch, Cher. Ob ich dich nun Charles oder Cheryl nenne und ob du einen Satz Brüste oder Haare auf der Brust hast, hat nichts mit der Tatsache zu tun, dass du hier ausgezeichnete Arbeit leistest. Niemand repräsentiert die Firma besser als du.«

Sie strahlte. »Ich danke dir. Also schön. Dann lösche ich dein Bild raus und füge ein Foto von mir auf der Startseite ein. Ich zeige dir das neue Layout, bevor wir es online nehmen.«

Jamie stand auf und ging zur Tür »Alles klar. Ich treffe mich mit George zum Lunch.«

Er nahm den Aufzug und fuhr neunzehn Stockwerke nach unten. Dabei sah er durch die Glasfront des Lifts hinaus aufs Wasser. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Geschäftsräume in den Docklands zu beziehen. Der tägliche Arbeitsweg war zwar etwas weiter, aber Jamie liebte die Lage am Canary Wharf. Die modernen Glasbauten wurden hauptsächlich von Banken und großen Firmen genutzt, doch dank seiner guten Verbindungen hatte er es geschafft, sich ein Büro mit fantastischer Aussicht zu sichern.

Unten angekommen, stellte er erfreut fest, dass es warm und relativ windstill war – George hatte sich hoffentlich für einen Tisch auf der Terrasse entschieden.

6.

London, 2015

Der Klimaschock der ersten Jahre war zu einer fernen Erinnerung verblasst. Trotzdem war Marc nach sieben Jahren in England noch immer euphorisch, wenn das triste britische Wetter eine Pause einlegte und sich die Sonne zeigte.

Nach seinem Universitätsabschluss hatte er folgsam die Leitung von Harper Mining UK übernommen und den Umzug der englischen Niederlassung in die Docklands durchgeführt. In einem gläsernen Büropalast ging er seitdem erfolgreich im Sinne seines Vaters den Geschäften nach.

Nun, mit beinahe dreißig Jahren, verstand Marc die Leidenschaft für das Familienimperium. Die Freude an einem guten Geschäftsabschluss und die langen Arbeitszeiten, die er seinem Vater früher vorgeworfen hatte, waren Teil seines Lebens geworden. Er ließ sich gut gelaunt in den freien Stuhl gegenüber von George und Jamie fallen und winkte die Bedienung heran. Im Sommer war es für Normalsterbliche quasi unmöglich, ohne wochenlange Vorbestellung einen Tisch bei Bernardo zu bekommen.

Der Nobelitaliener war zurzeit mehr als angesagt.

Bei schönem Wetter speiste man al fresco auf einem weiß lackierten breiten Holzdeck über der Wasseroberfläche. Eine lange, ebenfalls weiß lackierte Bar trennte den Außenbereich vom Restaurant, das dank einer großen Glasfront den freien Blick aufs Wasser möglich machte.

Für Marc, George und Jamie war es selbstverständlich, jederzeit unangemeldet einen Platz bei Bernardo zu bekommen.

»Weshalb das fröhliche Gesicht, Harper? Hast du wieder einmal einen Konkurrenten aufgekauft?« Jamie setzte seine Sonnenbrille auf.

»Einen? Mehrere natürlich! Und gleich treffe ich mich mit dieser neuen PR-Agentin, von der alle sprechen, damit sie das Image von Harper Mining UK etwas aufpoliert.«

»Ach ja? Kann man das denn? In diesen wirtschaftlich schlechten Zeiten? Ich meine, dein Konzern frisst die Konkurrenz – was gäbe es da zu beschönigen?«

Marc griff nach der schweren Stoffserviette und faltete sie auseinander. »Ich glaube nicht, dass ich dir das auf die Schnelle erklären könnte, Harkdale. Dafür braucht es Sachverstand.«

»Ach – und du denkst, den habe ich nicht?«

Die Bedienung brachte eine Flasche Weißwein, und George gestikulierte wild in der Luft. »Jetzt ist es gut, ihr beiden! Seid friedlich, sonst bekommt ihr nichts von diesem guten Tropfen. Klärt eure Unstimmigkeiten auf dem Poloplatz, aber nicht beim Mittagessen.«

»Dein Cousin hat recht, Jamie«, lenkte Marc ein. »Es ist viel zu schön heute, um nicht gut gelaunt zu sein.«

»Eben, eben.« Zufrieden lehnte George sich zurück und hielt sein sommersprossiges Gesicht in die Sonne. Trotz seiner einunddreißig Jahre sah Lord George Finmore noch immer aus wie ein Lausejunge. Ein Umstand, der ihm die Sympathien der Herren und die Herzen der Damen zufliegen ließ.

»Da wir schon von Polo sprechen – du kommst doch zum Training heute?«, wollte Jamie von Marc wissen.

Dieser schob gerade etwas getrüffelte Pasta auf seine Gabel. »Selbstverständlich. Wir müssen uns ranhalten, wenn wir die Franzosen am Samstag schlagen wollen.«

Ein Schatten fiel auf den Tisch, und die drei Männer sahen auf.

»Es tut mir leid, dass ich beim Essen störe. Mein Name ist Anne Marsden von Janus PR. Der Herr am Eingang sagte, dass ich Mr Harper hier finden würde. Wir sind für halb zwei verabredet, aber lassen Sie sich ruhig Zeit, ich werde an der Bar auf Sie warten.«

7.

London, 2015

Anne hatte die vergangenen Jahre nicht im Luxus verbracht. In einer hässlichen Abschiedsszene hatte Poffy geschworen, ihr das Leben zur Hölle zu machen, sollte sie ihm nicht weiterhin zu Willen sein. Dann hatte er allerdings beschlossen, dass sie ihm nun ohnehin zu alt und nichts weiter als eine billige Schlampe wäre. So war Anne nach dem Schulabschluss an einem regnerischen Sonntagmorgen mit dem Zug nach London geflüchtet, weg aus ihrem alten Leben.

In der Anonymität der Millionenstadt hoffte sie, für Poffy unauffindbar zu sein. Zudem schien London ihr alles zu bieten, was sie brauchte, um es allein zu schaffen.

Denn das war ihr Ziel – unabhängig zu sein. Natürlich verfügte sie nicht über genügend Geld, um sich sofort an einer der Universitäten einzuschreiben, aber sie hatte einen Plan.

Zwei Jahre lang arbeitete sie beinahe Tag und Nacht in den verschiedensten Jobs. Sie war Rezeptionistin in einer Schönheitsklinik, wusch Leichen für ein Bestattungsinstitut und spielte Klavier in Hotelbars. Ihr neues Heim war ein winziges Zimmer in einem nostalgischen, jedoch heruntergekommenen Haus in Fulham, direkt unter dem Dach.

Im Winter war es dort eisig kalt, im Sommer heiß und stickig, aber es war ihr eigenes kleines Reich.

Das Bett nahm gut die Hälfte des Raumes ein. An der gegenüberliegenden Wand war ein Kleiderschrank eingebaut, und neben der Tür hatte Anne einen Kühlschrank und eine Kochplatte aufgestellt, um die Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss zu meiden.

Das Bad teilte sie sich mit zwei Neuseeländerinnen und einer Japanerin, die die restlichen Räume des Dachgeschosses bewohnten.

Von ihrem allerersten Gehalt gönnte sie sich ein Digitalpiano, das gerade so unter dem Fenster Platz fand. Hier saß sie Abend für Abend mit einem großen Kopfhörer und spielte Musik, die nur sie allein hören konnte. Das entschädigte sie für die Entbehrungen des Alltags und machte sie glücklich. Oft dachte sie an Tante Martha, nie an ihre Mutter.

Durch ihre zahlreichen Jobs bekam Anne Einblick in viele Bereiche und lernte die unterschiedlichsten Menschen kennen, so dass es ihr letztendlich nicht schwerfiel, sich für eine Studienrichtung zu entscheiden. Aber selbst während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften arbeitete sie weiter wie besessen.

Während ihre Kommilitonen feiern gingen, machte Anne die Öffentlichkeitsarbeit für die Clubs und Bars, in denen die anderen sich amüsierten. Verbrachten die Studenten die Semesterferien am Meer, nutzte Anne ihre Beziehungen, um Kontakte zu Firmen in London zu knüpfen. Bei ihrem Abschluss hatte sie bereits einen hochwertigen Kundenstamm, den sie mit ihrer neu gegründeten PR-Agentur betreute.

Nach weiteren Jahren harter Arbeit konnte sie nicht nur ein kleines, aber feines Büro in Chelsea mieten, sondern auch noch die Anzahlung für eine Wohnung in der Nähe leisten.

Die Zeit der Entbehrungen und des Sparens hatte sich gelohnt. Anne Catherine Marsden stand auf eigenen Füßen.

Als sie an jenem Sommertag das Bernardo betrat, war sie gut vorbereitet. Sie hatte ihren potentiellen Auftraggeber gegoogelt und wusste, dass Harper Mining ein mächtiges Familienunternehmen aus Australien war. Obwohl sie keine aktuellen Fotos von Marc Harper gefunden hatte, war sie sich sicher, dass er auf keinen Fall der sommersprossige Mann mit der Stupsnase oder der auffällig gut aussehende mit den durchdringenden blauen Augen war.

Ein Bauchgefühl sagte ihr, dass es der Dritte im Bunde sein musste, der sich dann auch tatsächlich erhob und ihr die Hand hinstreckte. »Ich bin Marc Harper. Ist es schon so spät? Entschuldigen Sie bitte, anscheinend habe ich die Zeit vergessen.«

»Kein Problem. Essen Sie ruhig in Ruhe zu Ende, ich kann wirklich warten.«

Sein Händedruck war kräftig. »Nein, nein. Ich bin fertig. Lassen Sie uns dort hinübergehen.« Er wies auf einen etwas entfernt stehenden Tisch am Rande des Holzdecks. »Dann können wir ungestört reden. Ich hatte extra um einen Platz ein wenig abseits gebeten. Ihr entschuldigt mich bitte, wir sehen uns ja später noch.« Er nickte seinen zwei Begleitern zu und legte eine Hand leicht an Annes Ellenbogen, um sie zu dem freien Tisch zu dirigieren.

Als sie sich von den beiden Männern verabschiedete, erwiderte nur der Sommersprossige ihr Lächeln, der Schwarzhaarige starrte sie stumm und unfreundlich an.

»Ich hoffe, ich habe nicht bei etwas Wichtigem gestört. Ihr Freund schien über die Unterbrechung nicht gerade begeistert gewesen zu sein«, erkundigte sie sich, sobald sie außer Hörweite waren.

Marc lachte. »Sie meinen wegen seines sauertöpfischen Gesichts? Ach nein, das ist typisch Jamie Harkdale – er ist einfach so. Mehr der ernste Typ, das liegt nicht an Ihnen.«

»Da bin ich aber beruhigt.«

Sie sah zu, wie er den Stuhl etwas nach hinten schob, um bequem sitzen zu können. Er war groß und wirklich breitschultrig. Anscheinend ein Relikt aus seiner Zeit als Surfer. Im Internet hatte sie einige Artikel über seine Sportkarriere in Australien gefunden. Sein leicht gebräunter Teint und das von der Sonne ausgebleichte Haar sprachen dafür, dass er noch immer viel Zeit draußen verbrachte.

»Wunderbar, dass Sie den Termin heute einrichten konnten, Miss Marsden.«

Marc Harper war kein auffällig schöner Mann, aber er hatte Charisma, und wenn er lächelte, bildete sich ein Grübchen auf seiner Wange, und seine Augen strahlten.

Schnell beugte sich Anne nach unten, um ein paar Unterlagen aus ihrer Tasche zu ziehen – und um etwas Zeit zu gewinnen. Sie hatte es sich angewöhnt, ihr Gegenüber innerhalb weniger Sekunden zu analysieren, so wertfrei wie möglich. Meist lag sie mit ihrer Einschätzung richtig. Heute jedoch ließ ihr siebter Sinn sie im Stich. Nicht nur, dass Marc Harper aussah wie eine Mischung aus Naturbursche und Leistungssportler und so gar nicht wie der Geschäftsführer einer internationalen Firma, er hatte auch noch ein äußerst anziehendes Lächeln, das sie völlig aus dem Konzept brachte.

In den vergangenen Jahren hatte sich Anne mit einigen jungen Männern getroffen, aber die Beziehungen waren allesamt nicht von langer Dauer gewesen. Sie hatte sich für niemanden wirklich begeistern können. Umso ärgerlicher empfand sie es, dass ausgerechnet ein potentieller Neukunde ihr Schmetterlinge im Bauch verursachte.

Sie konnte es sich nicht leisten, unprofessionell zu wirken. Nach all den Aufträgen aus der Modebranche war Harper Mining ein völlig neues PR-Gebiet, das sie zu erobern hoffte.

»Das ist doch selbstverständlich, Mr Harper. Ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen kann.«

»Marc, bitte. Mr Harper ist mein Vater.«

»Also gut, Marc. Allerdings nur, wenn Sie mich Anne nennen. Was kann ich für Sie tun?«

»Mir gefällt es nicht, wie die Öffentlichkeit Harper Mining sieht. In den vergangenen Jahren ist der Eindruck entstanden, dass wir nur kleinere Firmen aufkaufen und die Natur ausbeuten. Aber dem ist nicht so. Seit ich hier in London die Leitung übernommen habe, engagieren wir uns international stark für den Umweltschutz. Wir betreiben keinen Raubbau, weder an der Erde noch an unserem Personal, sondern bemühen uns um Nachhaltigkeit und Fairness. Und ich möchte, dass das bekannt wird.«

Anne nickte. »Nachhaltigkeit und Fairness sind Worte, die die Leute ebenso gerne verwenden wie hören. Wir sollten in Ihrem Unternehmen konkrete Beispiele dafür finden, die sich positiv darstellen lassen.«

Der Nachmittag verging wie im Flug. Marc beantwortete Annes Fragen zu seiner Firma und erklärte ihr seine Wünsche und Vorstellungen genau. Als schließlich sein Telefon läutete, erschrak er.

»Ach herrje! Es ist ja schon nach fünf. Ich habe das Polotraining völlig vergessen.«

»Wir können den Rest gern ein andermal besprechen. Wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie es vielleicht noch.«

»Ja, gut.« Er sprang auf. »Wie wäre es morgen? Neunzehn Uhr? OXO Tower?«

Sie zögerte. Eine abendliche Verabredung im schicken OXO Tower war nicht wirklich ein geschäftlicher Rahmen.

Mit gespielter Verzweiflung nahm er ihre Hand. »Bitte, sagen Sie Ja. Ich muss los. Die anderen bringen mich um, wenn ich nicht zum Training erscheine.«

Anne musste lachen. »Also gut. Dann treffen wir uns morgen um sieben an der Bar.«

8.

Als Anne am darauffolgenden Abend aus dem Aufzug trat und den marmorverkleideten Empfangsbereich vor der OXO Bar mit wenigen Schritten durchquerte, ärgerte sie sich darüber, dass ihr Herz schneller pochte als sonst. Sie war rein geschäftlich hier, versuchte sie sich in Erinnerung zu rufen.

Marc wartete bereits in einem der halb runden, elfenbeinfarbenen Sessel vor der großen Glasfassade. Als er sie sah, erhob er sich und reichte ihr die Hand.

»Freut mich, dass Sie gekommen sind!« Sein Lächeln war umwerfend. Anne konnte nicht anders, als zurückzulächeln, und so standen sie einige Augenblicke da und strahlten einander an.

»Ich hoffe, der Platz ist Ihnen recht«, sagte er schließlich etwas verlegen und wies auf den zweiten Sessel.

»Sicher. Direkt am Fenster, sehr schön. Ist London nicht herrlich?«

Die OXO Bar und das dazugehörige Restaurant lagen am Südufer der Themse in einem Turm und boten spektakuläre Ausblicke über die Stadt. Es war zwar noch nicht dunkel, aber es dauerte bestimmt nicht mehr lange, dann würde jenseits des Flusses ein Lichtermeer erblühen.

»Haben Sie über unser Gespräch nachgedacht?«, fragte Anne, um auf den Grund ihres Treffens überzuleiten. Ein Kellner brachte ihren Tee, und Marc wartete, bis er wieder weg war.

»Natürlich. Ihre Vorschläge gefallen mir. Harper Mining UK braucht frischen Wind, was die Öffentlichkeitsarbeit betrifft, und ich denke, wir können von Ihrer Erfahrung und Ihren Ideen profitieren. Deshalb möchte ich Ihnen hiermit ganz offiziell den Auftrag erteilen, unsere Firma als Öffentlichkeitsreferentin zu vertreten.«

»Das freut mich sehr, vielen Dank.«

»Wäre es vielleicht möglich, mit etwas anderem als Tee auf unsere neue Verbindung anzustoßen?«

»Sie sind der Boss – was immer Sie sagen.« Anne konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.