INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei - Eberhard Weidner - E-Book

INQUISITOR MICHAEL INSTITORIS 1 - Teil Zwei E-Book

Eberhard Weidner

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Beschreibung

Als Michael Institoris von der bayerischen Inquisitionsabteilung in München von einem Informanten die Mitteilung erhält, dass ein Hexenzirkel noch in dieser Nacht eine Beschwörung durchführen will, beschließt er kurzerhand, sich ganz allein um die Sache zu kümmern. Schließlich stellen ein paar Hexen für einen ausgebildeten Inquisitor kein großes Problem dar. Außerdem soll er in wenigen Tagen in Rom vom Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Leo XIV., zum Oberinquisitor ernannt werden, spätestens dann dürften seine geliebten Alleingänge der Vergangenheit angehören. Doch sobald Institoris in das vermeintliche Hexenhaus eingedrungen ist, muss er feststellen, dass er in eine Falle gelockt wurde und es mit einer tödlichen Übermacht aller nur denkbaren Kreaturen der Finsternis zu tun hat, die sich ihm von allen Seiten nähern. Auf der Suche nach einem Ausweg findet der Inquisitor nicht nur die Leiche seines Informanten, sondern trifft auch auf einen Besessenen. Der Dämon im Körper des Besessenen behauptet, Institoris bei einem Hexensabbat mit einer Hexe gezeugt zu haben, und will ihn dazu zwingen, bei der bevorstehenden Papstaudienz im Vatikan den Pontifex zu ermorden, um die Welt dadurch in den Abgrund zu stürzen. Doch Institoris widersetzt sich dem Dämon und kommt einer groß angelegten Verschwörung der Mächte der Finsternis auf die Spur, die schon vor seiner Geburt seinen Anfang nahm und nicht nur in die Zentrale der bayerischen Inquisition, sondern bis nach Rom führt ...

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Seitenzahl: 478

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INHALTSVERZEICHNIS

COVER

TITEL

6. Kapitel

7. Kapitel

Zweiter Teil: DIE HEXE

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

NACHWORT

WEITERE TITEL DES AUTORS

6. Kapitel

Erneut öffnete sich eine Tür in der Nähe, und ein weiterer Mann trat in den Gang.

Die Geräusche, die unvermittelt die atemlose Stille durchbrachen, hätten der Funke sein können, der das Pulverfass zur Explosion brachte. Doch die Vermummten reagierten nicht und rührten keinen einzigen Muskel, was den Inquisitor vermuten ließ, dass sie mit dem Auftauchen des Neuankömmlings gerechnet hatten. Und Michael gelang es gerade noch, seinen vor Anspannung zitternden Zeigefinger unter Kontrolle zu behalten und daran zu hindern, den Abzug der Automatik durchzudrücken.

Michael wagte nicht, den anvisierten Gegner für einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, während ihm der Schweiß in perlenden Tropfen auf die Stirn trat. Dennoch interessierte ihn, wer soeben die Bühne dieses Dramas betreten hatte. Er blinzelte mehrmals, als ihm salziger Schweiß brennend ins linke Auge lief, und ließ den Blick in die Richtung huschen, von wo der Neuankömmling sich näherte, ohne große Eile an den Tag zu legen.

Aufgrund der Lichtverhältnisse war zunächst nur eine dunkle Silhouette zu erkennen, die Michael vertraut vorkam. Er bemerkte den Stock, den der Schattenriss in der rechten Hand hielt und bei jedem Schritt, den er mit dem rechten Bein machte, zur Unterstützung auf den Boden setzte, und hörte das charakteristische Geräusch, mit dem die Spitze des Gehstocks auf dem dünnen Bodenbelag auftraf.

»Machen Sie keinen Unsinn, Institoris!«, sagte im selben Moment, in dem Michael ihn erkannte, Generalinquisitor Maximilian Brunner und trat ins Licht. Obwohl er aufgrund einer alten Verletzung, die er während seines aktiven Dienstes als Inquisitor erlitten hatte, einen Gehstock benötigte, war er noch eine eindrucksvolle Erscheinung. Er war von großer und kräftiger Statur, hatte in den letzten Jahren allerdings an Körpergewicht zugelegt, vor allem im Bereich seiner Körpermitte, was nicht nur dem Umstand geschuldet war, dass er mittlerweile die meiste Zeit hinter dem Schreibtisch verbrachte, sondern auch daran lag, dass er eine Vorliebe für Pralinen hatte. Sein kurz geschnittenes Haar war ergraut, aber so voll wie vor dreißig Jahren. Zusammen mit dem grauen Vollbart und der großen fleischigen Nase verlieh es ihm das Aussehen eines gutmütigen Weihnachtsmannes. Unmittelbar hinter der Kreislinie, den die bewaffneten Männer bildeten, blieb der Generalinquisitor stehen und platzierte die Spitze seines Stockes so vehement und laut auf dem Boden, als wollte er auf diese Weise ein Ausrufezeichen hinter seine Worte setzen. »Ergeben Sie sich, Institoris! Dann wird niemandem etwas geschehen. Sie haben ohnehin keine Chance.«

Michaels Augen huschten nervös zwischen seinem Vorgesetzten und dem Vermummten hin und her, auf dessen Stirn die Mündung seiner Pistole zielte.

»Was hat das zu bedeuten, Herr Generalinquisitor? Warum lassen Sie es zu, dass diese Leute ihre Waffen auf uns richten?«

»Tut mir leid, Institoris. Aber Sie sind verhaftet!«

»Verhaftet?« Michael hatte mit vielen Dingen gerechnet, als er dieses Gebäude betreten hatte. Dass er eine Abmahnung erhielt, weil er einen Kollegen belogen, Beweismittel unterschlagen und seine Vorgesetzten nicht unverzüglich über alle Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt hatte. Dass er einen Anschiss bekam, weil der BMW ein ausgebrannter Schrotthaufen war. Sogar, dass seine ausstehende Beförderung wegen seiner Eigenmächtigkeit revidiert würde. Aber eine Verhaftung hatte er nicht in Erwägung gezogen, da er sich keinen einen vernünftigen Grund dafür vorstellen konnte. »Aber … aber warum?«

»Sie stehen unter dem dringenden Tatverdacht, mit dem Luziferianerpack gemeinsame Sache gemacht und vier Kollegen ermordet zu haben. Und jetzt lassen Sie endlich die verdammte Waffe fallen, Mann, bevor ich den Beamten des Sondereinsatzkommandos befehle, Sie auf der Stelle zu erschießen!«

Ein weiterer Schweißtropfen auf Michaels Stirn war so weit angewachsen, dass er der Schwerkraft nicht länger widerstehen konnte und abwärts lief, direkt in sein linkes Auge. Er zwinkerte heftig, als die salzige Flüssigkeit wie Säure in seinem Auge brannte und es tränen ließ. Währenddessen wirbelten die Schlüsselbegriffe, die der Generalinquisitor genannt hatte, in dem Bemühen durch seinen Verstand, von ihm in einen logischen Kontext gebracht und verarbeitet zu werden.

Verhaftet … dringender Tatverdacht … Luziferianerpack … gemeinsame Sache … Kollegen ermordet … Beamten des Sondereinsatzkommandos…

Die Erkenntnis, dass ausnahmsweise nicht seine üblichen Gegner, die Luziferianer, ihn umringten und mit tödlichen Waffen bedrohten, sondern Männer eines Sondereinsatzkommandos, brachte ihn endlich dazu, den rechten Zeigefinger zu lockern und vom Abzug der Glock zu nehmen. Er hatte zwar keine Hemmungen, auf Gestaltwandler, Blutsauger, Magier, Zauberer, Hexen und deren willfährige menschliche Handlanger zu schießen, vor allem, wenn sie ihm ihrerseits an den Kragen wollten. Es hätte ihm aber erhebliche Probleme bereitet, einen Polizisten verletzen oder gar töten zu müssen. Schließlich erledigten diese Leute auch nur ihren Job und waren am wenigsten für das Schlamassel verantwortlich, in das er unversehens geraten war.

Doch letzten Endes war es der Schock darüber, dass der Generalinquisitor ihn tatsächlich des Mordes an seinen Kollegen für fähig hielt, der ihn dazu brachte, die Waffe allmählich sinken zu lassen, bis die Mündung zu Boden zeigte.

Das kann nur ein Irrtum sein!, wiederholte sein Verstand fortlaufend. Das kann nur ein Irrtum sein! Das kann nur ein Irrtum sein! Bis die Worte zu einem unverständlichen Buchstabenbrei wurden, den er dennoch ständig wie eine defekte Schallplatte herunterleierte: DaskannnureinIrrtumseindaskannnureinIrrtumsein…

Während die Waffe seinen gefühllosen Fingern entglitt und zu Boden polterte, rief Michael: »DAS KANN NUR EIN IRRTUM SEIN!«

Sobald Michael seine Pistole fallen ließ, wurde er von mehreren vermummten Männern angesprungen und zu Boden gerissen, obwohl er keinen Versuch unternahm, Widerstand zu leisten. Er war viel zu schockiert über den Mordvorwurf, der auf ihm lastete. Er wirkte lethargisch und teilnahmslos und beruhigte sich ständig selbst in Gedanken, dass alles ein Irrtum sei, der sich letzten Endes aufklären würde.

Der Inquisitor lag lang ausgestreckt auf dem Bauch, während einer der Männer auf seinem Rücken kauerte und seine knochigen Kniescheiben schmerzhaft gegen Michaels Schulterblätter drückte. Er wurde rasch und gekonnt nach weiteren Waffen abgetastet, und der Dolch, den er am Gürtel trug, wurde ihm abgenommen. Anschließend wurden seine Taschen gelehrt und fast alles entfernt, was er bei sich trug. Nur die Geldbörse und die Uhr an seinem Handgelenk ließen sie unangetastet, was ihn in diesem Moment aber nicht interessierte.

DaskannnureinIrrtumsein!

Erst nachdem ihm Handschellen angelegt worden waren, hob er den Kopf. Er verspürte das dringende Bedürfnis, mit dem Generalinquisitor zu sprechen und ihm umfassend Bericht zu erstatten, so wie er es vorgehabt hatte, als er ins Hauptquartier zurückgekommen war. Doch Maximilian Brunner bedachte ihn nur mit einem vernichtenden Blick und schüttelte mit missbilligender Miene den Kopf, bevor er sich abwandte und davonging. Sein Stock pochte bei jedem zweiten Schritt laut auf den Boden, während er zur Tür des verbliebenen Fahrstuhls humpelte, um in sein Büro zurückzukehren.

Michael ließ den Kopf wieder kraftlos zu Boden sinken und ergab sich in sein Schicksal. Statt gegen die grobe Behandlung zu protestieren, mit der er auf die Füße gestellt und abgeführt wurde, hüllte er sich während der kompletten, nun ablaufenden Prozedur, die er genau kannte, bisher aber ausschließlich aus einer anderen Perspektive wahrgenommen hatte, in Schweigen und in den schützenden Umhang, den er mit seiner mantraartigen, automatisch wiederholten Formel um sich wob.

DaskannnureinIrrtumsein!

Nachdem die SEK-Beamten ihn überwältigt und ihre Aufgabe erfüllt hatten, übergaben Sie ihn an zwei Kollegen, Hauptinquisitor Stephan Becker und Inquisitor Laurin Steinbach, die, von Michael unbemerkt, hinzugekommen waren und schweigend darauf gewartet hatten, dass sie den Gefangenen abführen konnten.

Michael kannte Steinbach vom Sehen bei mehreren Begegnungen in den Fluren und in der Cafeteria und der gemeinsamen Teilnahme an verschiedenen Fortbildungsseminaren. Er war noch jung, ungefähr Mitte zwanzig, ein großer und stämmiger Bursche, der zum Übergewicht neigte und den Eindruck machte, als stünde es mit seiner Kondition und seiner körperlichen Fitness nicht zum Besten. Er hatte kurz geschnittenes, rotes Haar, fleischige, rot geäderte Wangen und dazu ein Paar großer, abstehender Ohren. Er war leger gekleidet, trug weite beigefarbene Jeans, ein kariertes Hemd und eine blaue Windjacke.

Mit Becker hatte Michael in den letzten Jahren mehrere Einsätze durchgeführt, die der Hauptinquisitor aufgrund seines höheren Dienstgrades geleitet hatte. Sie hatten dabei keine Probleme miteinander gehabt und gut zusammengearbeitet. Ihr Verhältnis war jedoch stets kollegial geblieben, und sie respektierten einander. Becker war Mitte vierzig und sowohl äußerlich als auch charakterlich das genaue Gegenteil seines jüngeren Kollegen Steinbach. Er war klein, ungefähr ein Meter siebzig, und hager. Er erweckte einen drahtigen Eindruck und erinnerte an einen Terrier, denn wenn er sich in eine Sache verbissen hatte, ließ er so schnell nicht locker. Darüber hinaus galt er als geradlinig und zuverlässig. Er hatte hellblondes Haar, das schon schütter wurde und streichholzkurz geschnitten war, und eine hohe, glatte Stirn. Er trug einen karamellfarbenen Anzug, dem man ansah, dass er ein paar Jahre auf dem Buckel hatte und aus der Mode war.

Die beiden Kollegen brachten Michael durch das Treppenhaus ins Untergeschoss, wo er erkennungsdienstlich behandelt wurde, wie jeder andere, der von der Inquisition verhaftet und in den gefürchteten Keller des Glaspalastes gebracht wurde. Michael machte sich aber keine großen Sorgen, schließlich war er unschuldig. Seiner Meinung nach war es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen das ebenfalls erkannten. Er sah jedoch ein, dass die Kollegen die Form wahren und ihn behandeln mussten wie jeden anderen Verdächtigen, bis seine Unschuld zweifelsfrei erwiesen war, um hinterher nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, sie hätten bei den Ermittlungen geschlampt und einen Verdächtigen begünstigt, weil es sich um einen Kollegen gehandelt hatte. Die schlechte Publicity der Inquisition in der Öffentlichkeit hätte dadurch neue Nahrung erhalten.

DaskannnureinIrrtumsein!

Michael schwieg beharrlich und klammerte sich an sein Mantra, während seine Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht wurden. Die beiden Kollegen zeigten sich vor dem Verhör kaum gesprächiger und beschränkten sich auf knappe Anweisungen, die Michael nicht gebraucht hätte, da er selbst wusste, was zu tun war. So wie er auch wusste, dass es sinnlos war, Becker und Steinbach schon jetzt von seiner Unschuld überzeugen zu wollen. Die beiden Inquisitoren würden erst dann mit ihm über die erhobenen Vorwürfe sprechen, wenn sie alle gemeinsam in einem der Verhörzimmer saßen, er über seine Rechte belehrt worden war und jedes Wort aufgenommen und jede Bewegung gefilmt wurde.

Als er durch die Kellerflure, die vom kalten Neonlicht nahezu taghell erleuchtet wurden, von einem Raum in den nächsten geführt wurde, begegneten ihm zahlreiche Kollegen, die er kannte, und viele andere Mitarbeiter und Bedienstete, die ihm unbekannt waren. Es ging fast so emsig zu wie in einem Bienenstock, und die Erregung und Beunruhigung der Leute, die er bei seiner Ankunft im oberirdischen Teil des Glaspalastes erwartet hatte, war hier unten deutlich zu spüren. Jetzt wusste er, dass die unnatürliche Stille und die gespenstische Ruhe im Erdgeschoss auf den Hinterhalt der SEK-Beamten zurückzuführen waren, die dort auf ihn gewartet hatten. Anfangs nickte er dem einen oder anderen bekannten Gesicht unter all denen, die geschäftig an ihm und seinen Begleitern vorbeieilten, noch automatisch zu, wie er es an jedem anderen gewöhnlichen Arbeitstag auch getan hätte, doch niemand beantwortete seinen Gruß. Leute, mit denen er seit vielen Jahren zusammenarbeitete, erwiderten seinen Blick nun mit finsterem Gesichtsausdruck oder sahen ihn so entsetzt an, als wären ihm über Nacht Teufelshörner aus der Stirn gewachsen. Andere wandten rasch den Blick ab, als wagten sie es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Die Nachricht, dass er des Mordes an den Kollegen verdächtigt wurde, musste sich in Windeseile im ganzen Haus verbreitet haben. Und scheinbar gab es niemanden, der ihm die Tat nicht zutraute und ihn für unschuldig hielt.

Dieser Umstand hätte ihm schon da zu denken geben müssen, aber er vertraute noch immer fest darauf, dass sich letzten Endes alles als tragischer Irrtum herausstellen und er rehabilitiert werden würde. Währenddessen spulte sein Verstand die endlose Litanei ab – daskannnureinIrrtumseindaskannnureinIrrtumsein –, die mittlerweile wie eine zur Unkenntlichkeit verzerrte Bandaufnahme klang, weder einen klar definierten Anfang noch ein Ende und durch die pausenlose Wiederholung ihren Sinn verloren hatte.

Beiläufig registrierte er, dass die Spuren der nächtlichen Gewaltakte, die in diesen Gängen stattgefunden hatten, nahezu beseitigt worden waren. Lediglich an der Wand, vor der er die Leiche des jungen Inquisitors gefunden hatte, dem die Kehle zerrissen worden war, waren noch der blutige Handabdruck und bräunlich verfärbte Flecken zu sehen und zeugten von den dramatischen Ereignissen, die sich an diesem Ort abgespielt hatten. Mit Sicherheit würden auch diese Spuren im Laufe des Tages mit weißer Wandfarbe überstrichen werden, um die letzten Zeugnisse der schrecklichen Nacht zu tilgen. Doch auch wenn alle Leichen in die Pathologie gebracht und sämtliche sichtbaren Beweise ausgelöscht worden waren, würden die Erinnerungen an die Taten der Luziferianer in diesem Gebäude, das bis heute als Festung gegen die Teufelsbrut angesehen worden war, und die daraus resultierende Verunsicherung lange in den Köpfen der Mitarbeiter verankert bleiben.

Viel zu spät, kurz bevor ihn seine Kollegen in den Verhörraum brachten, fiel Michael auf, dass seine Begleiterin von seiner Seite verschwunden war. Ihm war bislang nicht bewusst geworden, dass sie getrennt worden waren, so in sich selbst versunken war er gewesen. Er erinnerte sich, dass er sie das letzte Mal bewusst wahrgenommen und an sie gedacht hatte, nachdem die Beamten des SEK sie umzingelt hatten. Doch anschließend hatte er sie nicht mehr gesehen. Sicherlich war sie woanders hingebracht worden, nachdem er in Handschellen in den Keller geführt worden war. Er hoffte, dass seine Kollegen Marcella nicht ebenfalls irrtümlich verdächtigten, an den Morden beteiligt gewesen zu sein, und anständig behandelten. Schließlich hatte er sie an diesen Ort gebracht und ihr versprochen, dass ihr nichts geschehen würde. Er würde es bedauern, wenn Marcella ebenfalls festgenommen worden war, nachdem sie erst kürzlich aus einer Gefangenschaft entkommen war. Aber er konnte momentan ohnehin nichts für sie tun. Erst musste er sich selbst helfen und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe widerlegen, so widersinnig sie in seinen Augen auch waren. Anschließend wäre er wieder in der Lage, sich um andere zu kümmern. Aber noch waren ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden.

Nach Abschluss der erkennungsdienstlichen Behandlung brachten Becker und Steinbach ihn in den Verhörraum. Es handelte sich um denselben Raum, in dem er erst wenige Stunden zuvor den Leichnam des diensthabenden Inquisitors Peter König gefunden und den Magier Ingo Schott überwältigt hatte. Er seufzte leise, protestierte jedoch nicht. Die Rückkehr an diesen Ort löste eine Flut von Bildern und Geräuschen aus, die seinen Verstand unter sich begruben: eine Detailaufnahme der blutig roten Lache auf den grauen Bodenfliesen, und ein Plätschern, als ein weiterer Tropfen aus Blut und Gehirnmasse in der Pfütze landete; ein aggressives Zischen, als die Luft zum Kochen gebracht wurde; eine helle Furche im dunklen Holz des Tisches, einer frischen Wunde gleich und wie mit einem Lineal gezogen, verursacht von einem Projektil, das den Inquisitor töten sollte; ein vor Todesqual und namenlosem Entsetzen verzerrtes Gesicht, als der Magier von unsichtbaren Händen erdrosselt wurde und qualvoll erstickte.

Michael erschauderte unter diesen Eindrücken, die ihn das, was in diesem Raum vorgefallen war, erneut im Zeitraffer durchleben ließen, und verdrängte die unwillkommenen Bilder energisch aus seinem Verstand. Was hier geschehen war, war unwiderruflich vorbei und interessierte ihn gegenwärtig nicht, denn er trug keine Schuld an einem dieser Tode. Einzig auf die Gegenwart und die Anschuldigungen, die auf ihm lasteten, kam es an.

Inquisitor Steinbach führte ihn zu dem Stuhl, der sich weiter von der Tür entfernt befand. »Setzen Sie sich, Institoris«, sagte er knurrig, ließ Michaels Arm los und drückte seine Schulter nach unten, als wäre Michael nicht selbst in der Lage, sich zu setzen.

Michael widersetzte sich auch dieser unnötig groben Behandlung nicht und nahm widerstandslos Platz. Wenn diese Sache aufgeklärt war, würde er ein paar deutliche Worte mit dem Kollegen wechseln. Vorerst war es aber für alle besser, wenn er ihr Spiel mitspielte.

Unter dem düsteren Blick des bislang sehr schweigsamen Hauptinquisitors Stephan Becker öffnete Steinbach die Schelle von Michaels linkem Handgelenk, führte sie durch einen Ring, der an der Unterseite der Tischplatte befestigt war, und schloss sie anschließend wieder um Michaels Arm. Jetzt war er an den Tisch gefesselt, der seinerseits am Boden verankert war.

Während der Prozedur hatte sich Michael mit mäßigem Interesse umgesehen. Er war froh, dass er nicht auf dem Stuhl auf der anderen Seite des Tisches sitzen musste, wo der Leichnam des unglückseligen Peter König gesessen hatte, obwohl er davon ausging, dass der Stuhl nach dem Entfernen des Toten ausgetauscht worden war. Normalerweise war er nicht der Typ, der sich von irrationalen Gefühlen oder düsteren Bedenken beeindrucken ließ, und vertraute auf seinen wachen Verstand. Aber die Strapazen der letzten Nacht steckten ihm in den Knochen. Und die Müdigkeit, die seinen Verstand lähmte und langsamer arbeiten ließ als gewöhnlich, leistete sicherlich einen entscheidenden Beitrag, dass er eher emotional als rational reagierte. Nicht nur die Leichen waren entfernt worden, auch das Blut war gründlich aufgewischt worden, sodass kein einziger Tropfen oder Spritzer übrig geblieben war. In der Kürze der Zeit war man jedoch nicht in der Lage gewesen, alle Spuren der Auseinandersetzung zwischen Michael und dem Magier zu beseitigen. Der blasenübersäte Verputz, den der Hitzezauber des Magiers an der Wand neben der Eingangstür hinterlassen hatte, wirkte wie eine klaffende Wunde. Und auch die Krater, die Michaels und Schotts Kugeln in die Wand geschlagen hatten, waren nicht so schnell und einfach zu beheben gewesen. Allerdings war der Hörer des Telefons, den Michael versehentlich zerstört hatte, durch einen neuen ersetzt worden.

Insgesamt gab es in diesem Teil des Gebäudes sechs Verhörzimmer, die alle gleichartig aufgebaut waren. Da von den sechs Luziferianern, die in der letzten Nacht festgenommen worden waren, fünf verstorben und einer – vermutlich der Bösartigste unter ihnen – entkommen war, ging Michael davon aus, dass es außer diesem Zimmer noch andere gegeben hätte, die zurzeit verfügbar waren. Er vermutete daher, dass seine Kollegen ihn absichtlich in diesen Raum gebracht hatten, wo Inquisitor König den Tod gefunden hatte. Vielleicht hofften sie, Michael eher zu einem Geständnis bringen zu können, wenn sie ihn mit dem Ort einer seiner Taten unmittelbar konfrontierten. Eine Vorgehensweise, die Michael nachvollziehen konnte und möglicherweise ebenfalls angewandt hätte, wäre er an der Stelle seiner Kollegen gewesen.

Doch das Verhör hatte noch nicht begonnen. Nachdem Michael an den Tisch gefesselt worden war, verließen Becker und Steinbach den Raum, ohne ihren Gefangenen eines Blickes zu würdigen oder ihm eine Erklärung zu geben. Aber Michael war selbst Inquisitor und brauchte keine Erklärung. Er konnte sich denken, dass die Kollegen ihn eine Weile zappeln lassen wollten. Vermutlich gingen sie in die Cafeteria, tranken in aller Ruhe Kaffee und besprachen ihr Vorgehen. Anschließend lagen unter Umständen schon die ersten Ergebnisse der ballistischen Untersuchung vor, mit denen sie Michael konfrontieren konnten.

Er durchschaute solche taktischen Spielchen, weil er sie ebenfalls angewandt hatte. Manch inhaftierter Luziferianer hatte sich in den langen Stunden, die er allein in diesem Raum ausgeharrt hatte, die schrecklichsten Dinge ausgemalt, die ihm widerfahren würden, sobald die Inquisitoren zurückkehrten. Und kaum waren diese durch die Tür getreten, hatte er angefangen, sämtliche Geheimnisse, die er kannte, freiwillig auszuplaudern. Bei Michael würde dies aber nicht geschehen. Er kannte die Methoden, die erlaubt waren, und wusste, wie weit die Mitarbeiter der Inquisition gehen durften. Außerdem würde sich früher oder später ohnehin herausstellen, dass er unschuldig war. Spätestens die ballistische Untersuchung seiner Dienstwaffe würde ergeben, dass keiner der Kollegen damit erschossen worden war. Stattdessen würde sich herausstellen, dass die Kugeln, mit denen der Gestaltwandler im abgestürzten Fahrstuhl, die Zauberin im Erdgeschossflur und die Hexe auf dem Rasen vor dem Gebäude erschossen und der erstickte Magier in diesem Raum angeschossen worden waren, alle aus seiner Pistole stammten. Er hatte daher keinen Grund, sich vor seinen Kollegen zu fürchten.

Also wartete er still und reglos auf ihre Rückkehr und war sich instinktiv der aufmerksamen Blicke bewusst, die ihn beobachteten. Aber er wandte nicht ein einziges Mal den Kopf, um zu dem großflächigen Einwegspiegel hinüberzusehen. Dort hätte er nur sein eigenes Spiegelbild gesehen. Außerdem wollte er den heimlichen Beobachtern nicht zeigen, dass er sich ihrer Anwesenheit bewusst war.

Er starrte blicklos ins Leere und fuhr fort, in Gedanken die magischen Worte abzuspulen, die ihn davor bewahrten, schreiend aufzuspringen und wie ein Wahnsinniger an den Handschellen zu zerren, die ihn an den Tisch fesselten.

…IrrtumseindaskannnureinIrrtumseindaskannnureinIrrtumsein…

»Hören Sie zu, Becker: Das kann nur ein Irrtum sein!« Geschlagene dreieinhalb Stunden nach seiner Festnahme klammerte sich Michael noch immer verzweifelt an diesen Satz, als wäre er tatsächlich eine magische Formel, die ihn als Einziges davor bewahrte, dem Wahnsinn dieser verrückten Situation zum Opfer zu fallen.

Hauptinquisitor Stephan Becker schüttelte den Kopf, seufzte schwer, und sagte mit ernster Miene: »Es tut mir leid, Institoris, aber jeder Irrtum ist ausgeschlossen. Wir haben stichhaltige Beweise, dass Sie es waren!«

Beckers Worten gelang das, was in den letzten Stunden nichts anderes geschafft hatte: Sie durchstießen den dichten Panzer, den Michael mit seinem Schutzmantra um sich gewoben hatte, und drangen in sein Bewusstsein vor. Die Formel, die er unzählige Male in Gedanken wiederholt hatte, zersprang wie eine brüchige Porzellantasse auf dem Betonfußboden, und die einzelnen Silben und Buchstaben, die überhaupt keinen Sinn mehr ergaben, wirbelten in alle Richtungen davon und verglühten wie geisterhafte Kometen.

»Beweise?«, fragte Michael irritiert. Dieses einzelne Wort schockierte ihn dermaßen, dass er sich aufrichtete und sich sämtliche Muskeln in seinem Körper unwillkürlich anspannten. »Beweise? Von welchen Beweisen sprechen Sie, Becker? Es gibt keine Beweise! Es kann überhaupt keine Beweise geben, weil ich es nicht war!«

Hauptinquisitor Becker, der erst vor wenigen Minuten an der gegenüberliegenden Seite des Tisches Platz genommen hatte, war Michaels plötzliche Anspannung nicht entgangen. Er beobachtete Michael noch wachsamer als zuvor, als erwartete er einen Angriff, während seine rechte Hand unter der Tischplatte vermutlich näher zu seiner Pistole kroch, die er in einem ledernen Holster am Gürtel trug. Und Inquisitor Laurin Steinbach, der links von ihnen mit dem Rücken an der eierschalenfarbenen Wand lehnte, nachdem er Michael die Handschellen abgenommen hatte, machte sich bereit, notfalls sofort nach vorn zu springen und den tobenden Gefangenen zu bändigen.

Doch Michael hatte anderes im Sinn, als einen aussichtslosen Angriff auf seine Kollegen zu unternehmen. Wozu auch? Er war unschuldig und überzeugt, dass die anderen das früher oder später einsehen würden, wenn sie sich ausreichend Zeit genommen hatten, seine Version der Ereignisse anzuhören und sie mit den Fakten zu vergleichen. Aber die Worte des Hauptinquisitors, der dafür zuständig war, seine Aussage aufzunehmen, machten ihm unmissverständlich klar, dass die Sache nicht so unkompliziert ablaufen würde, wie er sich das bislang ausgemalt hatte.

»Dann erzählen Sie mal, Becker!«, forderte Michael, als der Hauptinquisitor keine Anstalten machte, von sich aus das Wort zu ergreifen. »Wie sehen diese Beweise, die Sie angeblich besitzen, bitte schön aus? Wenn Sie hier nur bluffen, dann hören Sie besser gleich damit auf. Schließlich bin ich keiner der üblichen Verdächtigen auf diesem Stuhl, die Sie mit Ihren Spielchen austricksen und weichklopfen können. Ich bin ebenfalls Inquisitor – schon vergessen? – und kenne dieses Geschäft fast ebenso gut wie Sie. Also rücken Sie schon heraus mit der Sprache! Wenn Sie tatsächlich etwas in der Hand haben – was ich ehrlich gesagt bezweifle –, das mich mit den Morden an unseren Kollegen in Zusammenhang bringt, dann legen Sie die Karten bitte auf den Tisch. Und was ist eigentlich mit der Ballistik. Wenn Ihnen die Untersuchungsergebnisse schon vorliegen, dann sollten Sie mittlerweile wissen, dass die Opfer nicht mit meiner Dienstwaffe erschossen wurden.«

Michael hatte Mühe, seinen Redefluss zu stoppen, da seine Erregung ihn drängte, weiterzusprechen, seine Unschuld zu beteuern und ständig darauf hinzuweisen, dass es keine Beweise für seine Schuld geben konnte, sosehr sein Gegenüber im Gegenzug darauf beharrte. Doch er zwang sich dazu, zu schweigen und dem Hauptinquisitor Gelegenheit zu geben, sich zu äußern. Währenddessen rieb er abwechselnd nervös seine Handgelenke, weil er dort auch nach dem Abnehmen der Handschellen noch wie einen Phantomschmerz ein unangenehmes Druckgefühl verspürte.

»Wie Sie wollen, Institoris«, sagte Becker, der erleichtert wirkte, dass sein Gefangener nur reden wollte, sich wieder etwas entspannt hatte und keine Aggressivität erkennen ließ. Er nahm die rechte Hand von der Griffschale seiner Dienstwaffe und verschränkte die Arme vor der Brust – möglicherweise der unbewusste Versuch, Distanz zwischen sich und dem verhafteten Inquisitor zu erzeugen und keine Spur ihres vorherigen kollegialen Verhältnisses in das Verhör einfließen zu lassen. Derartige Dinge durften in einer Situation wie dieser keine Bedeutung haben, weil die tragischen Ereignisse, die sich letzte Nacht hier zugetragen hatten, dafür gesorgt hatten, dass den drei Männern, die sich gemeinsam in diesem Raum befanden, ihre jeweiligen Rollen zugewiesen wurden. Becker räusperte sich, bevor er weitersprach, und war sich vermutlich bewusst, dass er durch das Glas des Einwegspiegels beobachtet wurde und jedes seiner Worte und jede Bewegung aufmerksam registriert und darüber hinaus aufgezeichnet und für die Nachwelt konserviert wurden. Er durfte nicht den kleinsten Fehler machen und wählte seine Worte besonders sorgfältig. »Sie wollen über Beweise reden, Institoris? Schön, lassen Sie uns über Beweise sprechen.«

Michael nickte und runzelte in Erwartung des Kommenden die Stirn, als hätte er Angst, ihm könnte etwas Wichtiges entgehen, wenn er nicht konzentriert lauschte.

»Sie haben die ballistische Untersuchung ja schon angesprochen. Lassen Sie uns also gleich damit beginnen, einverstanden?«

Erneutes Nicken und noch ausgeprägteres Stirnrunzeln.

Der Hauptinquisitor öffnete den Deckel der frisch angelegten Ermittlungsakte und blätterte durch die wenigen, bislang lose eingelegten Seiten, bis er fand, wonach er suchte. Er nahm das beidseitig bedruckte Blatt, überflog es kurz und legte es mit der Rückseite nach oben in die Mitte des Tisches, sodass Michael lesen konnte, was darauf stand.

»Sie kennen sich mit diesen Untersuchungsberichten ebenso gut aus wie ich, sodass ich Ihnen nicht erklären muss, worum es geht und worauf es ankommt. Wenn Sie die Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses im letzten Absatz lesen, können Sie sehen, was die Ballistiker festgestellt haben. Demnach stimmen die Kugeln, die sowohl den Inquisitor Peter König als auch den Wachmann Klaus Schreiber getötet haben, zu 98,58 Prozent mit den Projektilen der untersuchten Waffe überein.« Becker machte eine Pause – weniger um der Dramatik willen, sondern vielmehr, um die Reaktion seines Gegenübers zu beobachten, während er mit dem akkurat geschnittenen Nagel seines rechten Zeigefingers auf die Zeilen des Berichts, den er soeben zusammengefasst hatte, und dabei in erster Linie auf die dort angegebene Registriernummer der Waffe tippte.

Doch Michael achtete nicht länger auf das, was der Hauptinquisitor tat. Seine Augen flogen über die Zeilen und lasen fieberhaft das Untersuchungsergebnis der Ballistiker, das im Wesentlichen das enthielt, was Becker gesagt hatte, auch wenn die Wissenschaftler wesentlich mehr Worte und wissenschaftliche Ausdrücke gebraucht hatten, um dasselbe zu sagen. Bis sein Blick wie festgenagelt an der Registriernummer haften blieb, auf die Beckers nervtötend klickender Fingernagel hinwies.

Dem aufmerksamen Blick des Hauptinquisitors war nicht entgangen, dass Michaels hin und her huschende Pupillen zum Stillstand gekommen waren. Er nahm das Blatt und drehte es rasch um, da auf der Vorderseite in den ersten Zeilen nicht nur die Registriernummer der untersuchten Schusswaffe, sondern Hersteller, Bezeichnung und Kaliber der Pistole sowie der Name des Waffenbesitzers eingetragen waren.

Michael brauchte diese Bestätigung aus schwarzem Laserdruck auf weißem Papier nicht, um zu wissen, wem die untersuchte Pistole gehörte. Er kannte die Registriernummer auswendig, denn sie gehörte zu seiner eigenen Glock. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen, als ihn dieser neuerliche Schock mit der Wirkung eines Schlags mit einem Vorschlaghammer traf.

Er konnte es nicht glauben, aber die niederschmetternde Wahrheit lag in Form eines unwiderlegbaren Untersuchungsberichts vor ihm – auch wenn er sich nicht erklären konnte, wie das möglich war. Demnach waren König und der Wachmann nachweislich mit seiner Dienstwaffe erschossen worden, obwohl er sie ständig bei sich getragen und die Männer nicht erschossen hatte. Ein Ding der Unmöglichkeit!

Michael wusste aus Erfahrung, dass die Ballistiker gewissenhaft und sorgfältig arbeiteten und in der Regel jeder Irrtum ausgeschlossen war. Aber bedeutete das nicht zwangsläufig, dass einer der Techniker im Dienst der Luziferianer stehen musste, ebenso wie der mysteriöse Janus, bei dem es sich unter Umständen um einen Inquisitor handelte? Michael schüttelte den Kopf, als ihm die Ungeheuerlichkeit seines Verdachts bewusst wurde. Bald verdächtigte er jeden anderen, mit dem Feind zu paktieren. Er musste damit aufhören, sonst wurde er hochgradig paranoid.

»Das ist … das ist unmöglich!«, rief er laut und wischte das belastende Dokument mit einer blitzschnellen Handbewegung vom Tisch, sodass es zu Boden segelte und auf den frisch geputzten Fliesen liegen blieb. »Meine Dienstwaffe kann nicht dazu benutzt worden sein, unsere eigenen Leute umzubringen, weil ich sie ständig bei mir trug. Ich erschoss damit allein drei der Luziferianer in und vor diesem Gebäude und machte den Magier unschädlich, der mir hier auflauerte.« Zum Beweis wies er auf den Krater in der Wand, den eine Kugel aus seiner Pistole verursacht hatte. »Ich hoffe, die Kugeln in den Leichen des Gestaltwandlers im Fahrstuhl, der Zauberin im Erdgeschoss und der Hexe vor dem Glaspalast sowie das Projektil, das diesen Krater verursacht hat, wurden ebenfalls untersucht, da sie im Gegensatz zu den Kugeln, mit denen König und der Wachmann ermordet wurden, tatsächlich aus meiner Dienstwaffe stammen.«

Becker seufzte und nickte. »Selbstverständlich wurden alle gefundenen Projektile untersucht. Die von Ihnen angesprochenen Kugeln stammen aber definitiv nicht aus Ihrer Dienstwaffe, sondern aus Inquisitor Königs Pistole. Es handelt sich zufälligerweise um ein baugleiches Modell, eine Glock 17, Kaliber 45. An Königs Hand wurden zudem Schmauchspuren festgestellt. Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand gehen wir daher davon aus, dass es Inquisitor König war, der die Luziferianer erschossen hat, von denen Sie gerade sprachen, bevor er selbst getötet wurde – und zwar von Ihnen und mit Ihrer Dienstwaffe.« Becker zog ein weiteres Dokument aus der Ermittlungsakte und legte es auf den Tisch, allerdings nicht so nah vor den Gefangenen wie das erste Blatt, als befürchtete er, Michael könnte es in einem neuerlichen Wutanfall ebenfalls vom Tisch fegen. »Wenn Sie wollen, können Sie auch das schwarz auf weiß nachlesen. Es steht alles in diesem Untersuchungsbericht über Königs Dienstwaffe.«

Michael glaubte ihm auch so. Wenn Becker sagte, dass die ballistischen Untersuchungen diese Ergebnisse geliefert hatten, dann war es so. Die Frage, die sich in diesem Fall aber unweigerlich stellte, war folgende: Wie konnten die Untersuchungen der Ballistiker derartige Ergebnisse liefern? Michael schüttelte einen erneuten Anflug von Paranoia ab und konzentrierte sich auf die Fakten. Einer davon war der Umstand, dass er die Glock ständig bei sich gehabt hatte und daher niemand – am wenigsten er selbst – mit dieser Waffe auf den Inquisitor und den Wachmann geschossen haben konnte. Im Gegenteil, er hatte damit sogar mehrere Luziferianer erschossen, doch die Kugeln, die sie getötet hatten, stammten aus der gleichartigen Schusswaffe des ermordeten Leiters des Bereitschaftsdienstes. All das ließ nur eine einzige logische Schlussfolgerung zu: Die beiden Waffen waren ausgetauscht worden, ohne dass Michael es bemerkt hatte! Aber wann hätte das unbemerkt geschehen können? Er hatte seine Dienstwaffe in den letzten Stunden weder aus der Hand gegeben noch aus den Augen gelassen.

Moment mal! Unvermittelt kam ihm die Erinnerung, dass er die Glock doch einer anderen Person überreicht hatte, und er sah die Szene so deutlich vor seinem geistigen Auge, als würde er sie ein zweites Mal miterleben.

Michael Institoris und Peter König standen im Flur der Wohnung, wenige Schritte vom Durchgang zu jenem Zimmer entfernt, in dem Michael auf den Dämon getroffen war und den Besessenen und eine ganze Reihe von Luziferianern getötet hatte. Obwohl die Bretter vor dem Fenster entfernt worden waren und die Luft ungehindert zirkulieren konnte, kam noch immer ein übler Gestank durch die Türöffnung, während er dem aufmerksam lauschenden Leiter des Bereitschaftsdienstes schilderte, wie er in diese gefährliche und am Ende schier aussichtslose Situation geraten war.

Die Lage im Gebäude hatte sich beruhigt, sodass sie Zeit und Ruhe hatten, sich um den lästigen Papierkram zu kümmern, den jeder Einsatz wie einen hässlichen Rattenschwanz hinter sich herzog. König nahm die Aussage seines Kollegen frühzeitig auf, weil ihm die Geschehnisse jetzt noch frisch und detailliert in Erinnerung waren. Zu diesem Zweck hatte er ein Diktiergerät gezückt, das er in Brusthöhe in Michaels Richtung hielt, damit jedes seiner Worte aufgezeichnet wurde. Im Hauptquartier würde der Bericht abgetippt, unterschrieben und zu den Akten gelegt werden. Dies entband Michael jedoch nicht davon, einen eigenen schriftlichen Bericht zu fertigen.

Hin und wieder war noch ein vereinzelter Schuss oder lautes Geschrei aus einem entfernten Teil des weitläufigen Gebäudes zu hören. Ein Teil der Inquisitoren durchsuchte systematisch das Haus und machte Jagd auf flüchtige Luziferianer, die sich in einen finsteren Winkel verkrochen hatten und hofften, dort nicht gefunden zu werden, oder nach einem Schlupfloch suchten, durch das sie entkommen konnten. Außer Michael und König befand sich ein weiterer junger Inquisitor in diesem Teil des Gebäudes, in dem die Auseinandersetzung zwischen Michael und den Luziferianern im Wesentlichen stattgefunden hatte. Michael kannte den jungen Mann nicht, der vermutlich zu Königs Bereitschaftsteam gehörte, jedes Detail akribisch untersuchte und die Ergebnisse eifrig auf den Vordrucken notierte, die er auf einem Klemmbrett bei sich trug. Einmal bemerkte Michael sogar, wie er gewissenhaft die Leichen der Luziferianer zählte und diese Zahl aufschrieb.

König und Michael waren noch nicht fertig – Michael schilderte soeben seine Begegnung mit dem Dämon, ließ aber wesentliche Teile dessen unerwähnt, was dieser ihm offenbart hatte –, als der junge Inquisitor an Königs Seite trat, ihm etwas ins Ohr flüsterte und auf sein Klemmbrett zeigte. Die Störung irritierte Michael. Sein Erzählfluss kam ins Stocken, und er verstummte. Fragend sah er Peter König an.

»Entschuldige die Unterbrechung, Michael«, sagte König und zuckte voller Bedauern mit den Schultern. »Wir benötigen deine Dienstwaffe, um die Registriernummer aufzuschreiben. Du kennst das ja: Die Paragrafenreiter im Hauptquartier sind erst zufrieden, wenn jedes einzelne Kästchen ihrer dämlichen Formulare korrekt ausgefüllt wurde. Also tun wir ihnen den Gefallen, um hinterher keinen Ärger zu kriegen. Gib uns bitte kurz deine Pistole!«

»Selbstverständlich!« Michael zog seine Dienstwaffe aus dem Schulterholster. Das erinnerte ihn daran, dass sich noch immer eine einzige Patrone im Lauf befand. Viel hätte nicht mehr gefehlt, und er wäre ebenfalls als Fußnote in der Leichenstatistik des jungen Inquisitors aufgetaucht. Er reichte König die Glock. »Hier, bitte. Das ist wirklich kein Problem, Peter. Ich kenn die Vorschriften ja auch.«

Es entsprach den Regeln und dem üblichen Vorgehen, da auf diese Weise sichergestellt und beweiskräftig dokumentiert wurde, welche Waffen an einem Schusswechsel beteiligt gewesen waren. Auf diese Weise konnte im Nachhinein leicht und zweifelsfrei nachvollzogen werden, wer wie viele Schüsse abgegeben und welche Ziele getroffen hatte.

»Dauert auch nur eine Minute. Du kannst ja schon mit deinem Bericht fortfahren, während unser junger Kollege sich rasch die Nummer notiert«, sagte König und dachte kurz nach, bevor er fortfuhr: »Ich glaube, du erzähltest gerade, wie der Besessene dir das geweihte Kreuz aus der Hand schlug.«

Michael richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Leiter des Bereitschaftsdienstes und achtete nicht auf das, was der junge Inquisitor unterdessen tat. Wozu auch? Er hegte keinen Verdacht, dass der Mann etwas Vorschriftswidriges tun würde. Stattdessen dachte er angestrengt darüber nach, an welcher Stelle er seinen Bericht unterbrochen hatte, und stellte fest, dass König recht hatte. Er war bei der Schilderung der Situation gewesen, als der Dämon im Körper des Besessenen ihm das Holzkreuz aus der Hand geschmettert hatte, sodass es an der Wand zerschellt war – und dabei vermutlich seine Unterarmknochen gebrochen hatte. Aber dieses Detail ließ er unerwähnt, da es aufgrund seiner wundersamen Genesung zu unglaubwürdig geklungen und unweigerlich dazu geführt hätte, dass Fragen über seine erstaunlichen Selbstheilungskräfte gestellt worden wären. Er fuhr mit seinem mündlichen Bericht fort und ließ die Geschehnisse wie einen Film in seinen Gedanken ablaufen.

Es dauerte weniger als eine Minute, bis der Inquisitor ihm die Waffe zurückgab. Michael nickte dankbar und nahm sie entgegen. Dieses Mal ließ er sich aber nicht erneut aus dem Konzept bringen, sondern fuhr unbeirrt in seiner Berichterstattung fort.

König nickte dem jungen Kollegen ebenfalls knapp zu. Er wedelte mit der freien Hand, als wollte er eine Fliege verscheuchen, zum Zeichen, dass er sie nicht länger stören sollte. Der andere wandte sich wortlos ab und verschwand aus der Wohnung, um seine Arbeit an einem anderen Ort in diesem Haus fortzusetzen, wo er weniger störte.

Michael warf einen kurzen, abwesenden Blick auf die Glock und hegte keinerlei Zweifel, dass es seine eigene Dienstpistole war, die er soeben zurückbekommen hatte – dieselbe Waffe, die er dem jungen Kollegen kurz zuvor ausgehändigt hatte. Darüber hinaus war er durch die gleichzeitige Schilderung seiner Erlebnisse abgelenkt, da er nicht nur die Ereignisse wiedergeben, sondern gleichzeitig darauf achten musste, welche Details er dem Leiter des Bereitschaftsdienstes erzählte und welche er sicherheitshalber für sich behielt. Und bei alldem durfte er sich nicht in Widersprüche verwickeln. Deshalb steckte er die Waffe umgehend ins Schulterholster, ohne sie einer genaueren Überprüfung zu unterziehen. Er dachte nicht einmal länger darüber nach, denn für ihn war die ganze Aktion alltäglich und keine große Sache gewesen.

Aus diesem Grund musste ihm dieses Ereignis im Nachhinein nicht sofort und von selbst eingefallen sein, sondern erst, nachdem er gründlicher über die Möglichkeit eines Austauschs seiner Dienstwaffe nachgedacht hatte.

Hauptinquisitor Becker, der ihn schweigend beobachtet hatte, musste ihm angesehen haben, dass ihm etwas Wichtiges in den Sinn gekommen war, da er umgehend nachfragte: »Nun, Institoris, ist Ihnen möglicherweise etwas eingefallen, das Licht in diese mysteriöse Angelegenheit bringen könnte? Wenn ja, würde ich gern daran teilhaben.«

Michael sah sein Gegenüber nachdenklich an. Gleichzeitig war er sich der Blicke anderer Beobachter bewusst, die ein unangenehmes Prickeln zwischen seinen Schulterblättern verursachten, als klebten die roten Lichtpunkte der Laservisiere noch immer auf seinen ungeschützten Rücken und könnten jederzeit von tödlichen Projektilen ausgestanzt werden. Und es war nicht nur die Aufmerksamkeit von Inquisitor Steinbach, der an der Wand lehnte und die Befragung schweigend verfolgte, die er spürte, sondern das Interesse unsichtbarer Personen, die sich zweifellos hinter der spiegelnden Glasfläche verbargen und denen ebenfalls kein Wort entging.

Michael überlegte fieberhaft, ob er von seinem Verdacht erzählen sollte. Es war die einzige Gelegenheit, bei der seine und Königs Dienstwaffen ausgetauscht worden sein konnten. Je länger er darüber nachdachte, desto überzeugender erschien es ihm. Doch würden Becker und die anderen, die seine Worte hörten, ihm glauben? Er hatte eher das Gefühl, dass man längst von seiner Schuld überzeugt war und dass es für diese Überzeugung noch einen schwerwiegenderen Grund geben musste als das Ergebnis der ballistischen Untersuchung. Michael ging daher davon aus, dass Becker noch etwas in der Hinterhand hatte und auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um es ihm zu präsentieren.

Was sollte er also tun? Für seine eigene Überzeugung, dass die mit Ausnahme der Registriernummern identischen Waffen vertauscht worden waren, hatte er schließlich keine Beweise. König war tot und hatte den Austausch wohl ohnehin nicht bemerkt. Wäre er Teil dieses Komplotts gewesen, hätte man ihn nicht töten müssen. Und von dem jungen Inquisitor, der rasch und verstohlen den Austausch durchgeführt haben musste, kannte er nicht einmal den Namen und konnte allenfalls eine Personenbeschreibung liefern. Und selbst wenn man den Kollegen daraufhin fand und befragte, würde er Michaels Vorwurf mit Sicherheit bestreiten, sodass am Ende die Aussage eines Mordverdächtigen gegen die Aussage eines unbescholtenen Inquisitors stand. Man musste kein Hellseher sein, um prognostizieren zu können, wem die ermittelnden Inquisitoren und seine Vorgesetzten mehr Glauben schenken würden. In seinen Augen war es daher nicht nur sinnlos, Königs Mitarbeiter zu beschuldigen, sondern darüber hinaus kontraproduktiv, weil dieser dadurch gewarnt werden würde. Effektiver war es, ihn selbst aufzuspüren und bei passender Gelegenheit dazu zu zwingen, den Austausch zuzugeben und sein Wissen preiszugeben. Doch dafür müsste Michael auf freiem Fuß sein, wovon er gegenwärtig meilenweit entfernt schien.

»Jemand muss die beiden Dienstwaffen ausgetauscht haben«, äußerte Michael nach reiflicher Überlegung einen generellen und eher vagen Verdacht, ohne auf die konkrete Situation und die Person des jungen Inquisitors zu sprechen zu kommen.

Becker demonstrierte seinen Unglauben, indem er die Augen verdrehte und trotz der ernsten Angelegenheit schmunzelte. »Und wann soll dieser ominöse Austausch stattgefunden haben? Haben Sie Ihre Dienstwaffe in letzter Zeit jemand anderem gegeben? Haben Sie unter Umständen eine konkrete Person in Verdacht?«

Michael zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Becker. Leider habe ich keine Ahnung, wann es passiert ist und wer es getan hat. Ich habe den Austausch bis gerade eben ja selbst nicht bemerkt. Aber es ist nun einmal die einzige Möglichkeit, wie die Ergebnisse der ballistischen Untersuchung einen Sinn ergeben, da ich weder König noch den Wachmann erschossen habe. Was ist mit den Fingerabdrücken auf den Pistolen? Wurden diese schon untersucht?«

Becker nickte, während sich sein Gesicht wieder verdüsterte. »Die Abdrücke auf Ihrer Dienstwaffe stammen eindeutig von Ihnen, und die auf Königs Pistole sind mit seinen Prints identisch. Damit dürfte Ihrer Schutzbehauptung, die Waffen seien ohne Ihr Wissen vertauscht worden, endgültig jede Grundlage entzogen sein.«

Michael seufzte laut und ließ sich so vehement auf seinen Stuhl zurücksinken, dass die Rückenlehne bedenklich knarrte. »Das ist keine Schutzbehauptung, Becker! Ich wiederhole es gern noch einmal etwas deutlicher: Ich – war – es – nicht! Die ganze Sache stinkt doch zum Himmel, merken Sie das denn nicht? Wenn ich wirklich der schlaue und hinterhältige Mörder wäre, für den Sie mich offensichtlich halten, warum sollte ich dann meine eigene Dienstwaffe für die Morde benutzen, die noch dazu förmlich mit meinen Fingerabdrücken übersät ist? Für wie blöd halten Sie mich eigentlich?«

»Ich halte Sie überhaupt nicht für blöd, Institoris. Im Gegenteil, ich hatte schon immer eine hohe Meinung von Ihnen und halte Sie für überdurchschnittlich intelligent. Aber jeder, sogar der intelligenteste Mensch ist fehlbar, Institoris. Allem Anschein nach auch Sie! Vermutlich gingen Sie davon aus, dass man Sie erst gar nicht verdächtigen würde, und machten sich deshalb auch nicht die Mühe, Ihre Spuren zu verwischen. Immerhin besaßen Sie einen untadeligen Ruf und sollten Anfang nächster Woche sogar zum Oberinquisitor befördert werden. Wer würde einem solchen Mann zutrauen, dass er zwei Kollegen heimtückisch ermordet hat? Aber im Endeffekt wurde Ihnen Ihre eigene Arroganz zum Verhängnis. Wollen Sie wissen, was uns überhaupt erst auf Ihre Spur brachte, Institoris?«

Michael zuckte mit den Schultern. Jetzt kommt’s, dachte er, gleich lässt er die Katze aus dem Sack. Er überlegte, welche Überraschung der Hauptinquisitor in petto haben könnte. Aber er konnte sich keine weiteren stichhaltigen Beweise für seine vermeintliche Schuld vorstellen. Das Einzige, was ihm in den Sinn kam, war ein Augenzeuge, der ihn beschuldigte und behauptete, die Morde mit angesehen zu haben. Falsche Zeugenbeweise waren am leichtesten zu produzieren, man musste nur überzeugend genug lügen können. Er konnte zwar weiterhin vehement seine Unschuld beteuern, doch als Mordverdächtiger hatte sein Wort nicht halb so viel Gewicht wie das eines vermeintlichen Augenzeugen.

»Wahrscheinlich sagen Sie’s mir ohnehin, ob ich will oder nicht«, antwortete Michael und verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte er sich unbewusst gegen weitere Unwahrheiten wappnen. »Also schießen Sie los!«

Becker schüttelte den Kopf. »Über kurz oder lang wird Ihre Selbstsicherheit, die Sie hier demonstrativ zur Schau stellen, schon noch bröckeln, Institoris. Alles nur eine Frage der Zeit. Wollen Sie nicht endlich reinen Tisch machen und ein Geständnis ablegen?«

Michael schüttelte den Kopf.

»Gut, wenn Sie es partout nicht anders haben wollen.« Becker zuckte mit den Schultern und richtete den Blick auf seinen Kollegen. »Steinbach!«

Die beiden Inquisitoren mussten sich zuvor abgesprochen haben, da Steinbach umgehend reagierte, ohne dass eine konkrete Anweisung an ihn ergangen war.

Michael beobachtete, wie der jüngere Mann sich in Bewegung setzte und zur Tür ging. Er verschwand im Flur und tauchte im Nu wieder auf. Doch wenn Michael damit gerechnet hatte, dass er einen Belastungszeugen hereinführte, sah er sich getäuscht. Stattdessen schob Steinbach einen Rolltisch vor sich her, auf dem ein Fernseher und ein Videorekorder standen. Michael kannte die Geräte, die er schon bei eigenen Vernehmungen benutzt hatte, um Inhaftierten zum Beispiel belastende Aussagen ihrer vermeintlichen Freunde vorzuführen. Er nahm an, dass es in seinem Fall einem ähnlichen Zweck dienen sollte, und übte sich in Geduld, während Steinbach die Tür hinter sich schloss und den Tisch an einen Platz schob, an dem der Bildschirm für jeden – einschließlich der unsichtbaren Beobachter hinter dem Einwegspiegel – gut sichtbar war und der sich gleichzeitig nah genug bei den Steckdosen befand. Er korrigierte die Position noch um ein paar Millimeter, bevor er zufrieden war und die Geräte einsteckte. Schließlich nahm er die Fernbedienung, mit der er beide Geräte gleichzeitig bedienen konnte, und trat zurück.

»Ich empfehle Ihnen, die Vorführung besonders aufmerksam zu verfolgen, Institoris«, meldete sich Becker zu Wort. »Vielleicht sind Sie im Anschluss bereit, Ihren sinnlosen Widerstand aufzugeben und uns endlich zu erzählen, was letzte Nacht tatsächlich geschah.« Er verstummte mit bedeutungsvoller Miene und wies mit einer Kopfbewegung auf den schwarzen Bildschirm. Anschließend gab er seinem jüngeren Kollegen das Zeichen, dass die Vorstellung beginnen konnte.

Steinbach musste die entsprechenden Tasten bereits gedrückt haben, da die beiden Geräte unverzüglich zum Leben erwachten. Das Fernsehgerät zeigte zunächst verwirrendes Schneegestöber, während der Videorekorder leise zu surren begann. Im nächsten Moment erschien ein Bild auf der Mattscheibe.

Was Michael zu sehen bekam, hatte er im Prinzip erwartet: eine Aufnahme aus einem Verhörzimmer. Doch als er genauer hinsah und die gefilmten Personen erkannte, stockte ihm der Atem. Er beugte sich unwillkürlich näher zum Bildschirm, als könnte er dadurch besser erkennen, ob ihn sein erster Eindruck getäuscht hatte und die Aufnahme nicht jemand anderen zeigte. Aber es war kein Irrtum. Bei den aufgenommenen Personen handelte es sich um zwei Männer, die er mit Sicherheit nicht zu sehen erwartet hatte.

Bei einem flüchtigen Blick hätte man den Inhalt des Videobandes für eine Liveübertragung aus diesem Verhörzimmer halten können, doch nicht nur das Aufnahmedatum am rechten unteren Bildrand, sondern vor allem das Fehlen einer dritten Person bewiesen, dass die Aufnahme zu einem anderen Zeitpunkt erfolgt sein musste. Laut Datum war das Geschehen in der letzten Nacht aufgenommen worden, und zwar – das wurde Michael rasch klar, als er darüber nachdachte – exakt zu der Zeit, als er selbst sich bereits im Glaspalast aufgehalten hatte. Vermutlich hatte er um diese Zeit im Fahrstuhl um sein Leben gekämpft.

Der Verhörraum, der von jenseits des Einwegspiegels gefilmt worden war, war zwar mit demjenigen identisch, in dem Michael jetzt saß, aber die beiden Männer, die auf den Stühlen zu beiden Seiten des Tisches saßen, unterschieden sich deutlich von Hauptinquisitor Becker und ihm. Michael hielt unwillkürlich den Atem an, als er seine Aufmerksamkeit auf den Inquisitor Peter König und den Magier Ingo Schott konzentrierte, die auf dem Bildschirm zu sehen waren und ausgesprochen lebendig aussahen. Dabei wusste er bereits, dass dieser Zustand nicht mehr lange andauern würde und die Aufnahme unmittelbar vor dem Mord an König erfolgt sein musste. Dieser war nur Minuten vor seinem eigenen Eintreffen an diesem Ort geschehen, sodass unter Umständen beides gefilmt worden war. Aber dann musste auch der wahre Mörder zu sehen sein, und das sollte ihn eher entlasten und nicht belasten.

Michael konzentrierte sich so intensiv auf die bewegten Miniaturabbilder der beiden Männer, die ihm zuletzt als starre, leblose Körper in Erinnerung waren, dass er erschrak, als unvermittelt Königs laute Stimme aus dem Lautsprecher des Fernsehgeräts drang wie eine gespenstische Aufnahme aus dem Reich der Toten.

»Hör mir jetzt mal gut zu, Schott«, sagte König, dessen eindrucksvolle Erscheinung in einem seiner gewohnten pastellfarbenen Anzüge unverwechselbar war. »Mir reißt nämlich bald der Geduldsfaden bei der ganzen Scheiße, die du mir erzählst. Ich kann auch andere Saiten aufziehen, das kannst du mir ruhig glauben. Nicht alle Geschichten, die man sich über die Inquisition und diese Kellerräume erzählt, sind erfunden oder übertrieben. Also überleg es dir besser zweimal, ob du so weitermachen willst.«

Schott, der am selben Platz saß, den Michael nun einnahm, und dessen dürrer Körper neben der massigen Statur des Inquisitors wie ein Strichmännchen aussah, hob beide Hände in einer hilflos wirkenden Geste, kam jedoch nicht weit, weil er mit Handschellen an den Tisch gefesselt war.

Wie der Rest des Gebäudes waren die Verhörräume bis gestern Nacht gegen jeglichen Einsatz von Magie und Zauberei abgeschirmt gewesen. Der Inquisitor, der das Verhör führte, hatte daher nicht befürchten müssen, dass Schott seine magischen Kräfte einsetzen könnte. Aber spätestens als Michael wenig später in den Verhörraum gekommen war, war dieser schützende Bann aufgehoben gewesen, da der Magier ihn mit dem Hitzestrahl angegriffen hatte. Außerdem hatte zuvor bereits die Zauberin im Erdgeschoss ihre rotierenden Blitze auf ihn schleudern können.

Beiläufig fragte sich Michael, ob die Bannsprüche, die ein unerlaubtes Eindringen der Luziferianer ins Gebäude verhindern und im Innern an der Ausübung ihrer magischen Fähigkeiten oder am Ändern ihrer körperlichen Erscheinung hindern sollten, inzwischen wiederhergestellt oder noch inaktiv waren. Er beschloss, Becker später zu fragen, und verfolgte fürs Erste weiter konzentriert das aufgezeichnete Verhör.

»Ich kann Ihnen doch nichts sagen, was ich selbst nicht weiß«, jammerte der Magier beschwörend. »Ich bin nur ein klitzekleines Licht, ein winziges Rädchen im Getriebe. Man sagt mir nur, was ich zu tun habe und wann ich es tun soll, aber kein Sterbenswörtchen mehr. Bitte glauben Sie mir das endlich!«

König schüttelte den kantigen Schädel mit dem weißblonden Bürstenschnitt. »Genau das fällt mir schwer, Schott. Ein Magier deines Kalibers ist doch kein reiner Befehlsempfänger. Und selbst wenn dir dieses Mal wirklich niemand erzählt hat, worum es bei der Sache ging, musst du doch irgendwelche Gerüchte gehört haben. Erzähl mir schon irgendetwas, das ich an meine Vorgesetzten weiterleiten kann. Ansonsten kann ich meine bisherige Freundlichkeit dir gegenüber nicht länger rechtfertigen und muss zu drastischeren Methoden greifen, so ungern ich das tun würde. Aber du lässt mir ja keine andere Wahl, obwohl …«

Der Inquisitor verstummte, als von außen laut gegen die Tür geklopft wurde. »Herein!«, rief er, runzelte die Stirn und wandte sich zur Seite, um zu sehen, wer an der Tür war. Mit einer Unterbrechung des Verhörs hatte er scheinbar nicht gerechnet.

Die Tür wurde geöffnet, und ein Mann trat ein.

Michael traute seinen Augen nicht, als er sein eigenes Abbild auf dem Bildschirm sah. Für einen Moment flimmerte die kleine Gestalt vor seinen Augen, aber er war sich nicht sicher, ob es an der Aufnahme lag oder seine Sehkraft aufgrund des Schocks einen Aussetzer hatte, da sich die Erscheinung sofort wieder stabilisierte. Trotzdem konnte Michael nichts von dem glauben, was er mit eigenen Augen sah, denn als er das Verhörzimmer in Wirklichkeit betreten hatte, war König längst tot gewesen und hatte Schott nicht mehr gefesselt am Tisch gesessen. Doch obwohl er wusste, dass das Ganze eine, wenn auch ziemlich raffinierte Fälschung war, zog ihn das weitere Geschehen in seinen Bann und fesselte seine Aufmerksamkeit.

Der Neuankömmling betrat das Verhörzimmer und schloss die Tür. Seit Königs »Herein« hatte sich alles in absoluter Lautlosigkeit abgespielt, als hätte jeder der drei Männer vor Überraschung die Luft angehalten und keinen Ton herausgebracht. Doch Michael vermutete, dass es andere Gründe für die gespenstische Stille geben musste. Da das Band so offensichtlich manipuliert worden war, hatte man unter Umständen verräterische Äußerungen der Beteiligten entfernen müssen. Vielleicht hatte König oder Schott den richtigen Namen des Mannes genannt, der den Raum betreten hatte.

Michael, der seinen eigenen Körper am besten kannte, hatte sofort bemerkte, dass die Person zwar seinen Kopf hatte und die gleiche Kleidung trug wie er, der Körper sich jedoch in grundlegenden Details von seinem eigenen unterschied. Die Gestalt erschien ihm geringfügig kleiner, dafür etwas massiger zu sein. Auch die Proportionen von Hals und Kopf stimmten nach Michaels Überzeugung nicht hundertprozentig überein. Aber vor allem die Körperhaltung war ihm fremd und bewies in seinen Augen am deutlichsten, dass er es hier nicht mit Aufnahmen von sich selbst zu tun hatte, sondern dass sein Kopf auf den Körper eines anderen Mannes kopiert worden war, der wie er gekleidet war und dessen körperliche Erscheinung seiner eigenen ähnelte. Doch für andere waren diese winzigen Abweichungen vermutlich nicht so leicht erkennbar. Sie sahen sein Gesicht, und damit war die Sache für sie glasklar.

Nach der kurzen Phase absoluter Lautlosigkeit waren wieder Geräusche zu hören. Die Kette von Schotts Handschellen klirrte leise, als würden seine Hände vor unterdrückter Erregung zittern. Kurz darauf scharrte ein Fuß geräuschvoll über den Boden, bevor Inquisitor Königs lautes Organ zu hören war und jegliches andere Geräusch übertönte: »Entschuldige bitte, aber was hat dich hierher verschlagen? Ich führe hier gerade eine Befragung durch, wie du unschwer erkennen kannst. Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«

Königs Worte ließen vermuten, dass er den Besucher gut genug kannte, um ihn mit dem vertraulichen Du anzusprechen. Allerdings wusste Michael, dass König nicht viel von übertriebener Förmlichkeit gehalten und fast jeden geduzt hatte, sofern es sich nicht um einen Vorgesetzten oder den Papst persönlich gehandelt hatte. Dennoch verstärkte dieses unscheinbare Detail möglicherweise die beabsichtigte Wirkung auf einen aufmerksamen Zuschauer, da es bekannt war, dass der Leiter des Bereitschaftsdienstes und Michael sich kannten und duzten.

Der Neuankömmling sagte kein einziges Wort, sondern zog in einer fließenden Bewegung eine Pistole aus einem Holster unterhalb der linken Achsel – exakt dort, wo es auch Michael trug.

»He, lass den Unsinn!«, rief König und hob abwehrend die linke Hand, sodass die Handfläche in Richtung der Pistolenmündung wies, als könnte er damit die Projektile aufhalten. »Was immer er dir angetan hat – er ist nur ein Stück Scheiße und es nicht wert, dass du ihn abknallst und damit deine Karriere ruinierst. Also nimm die Waffe runter.«

»Sieh nach vorn, König!« Die Stimme des Mannes mit Michaels Gesicht war nur ein Flüstern und daher nicht identifizierbar.

König schien den Ernst der Situation erkannt zu haben. Er gehorchte und drehte den Kopf, bis er nach vorn zu seinem Gefangenen sah. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als der Bewaffnete mit einem raschen Schritt hinter ihn trat, die Pistole hob und schoss.

Das Donnern des Schusses war so laut, dass es Königs Worte auslöschte. Die Kugel stanzte ein Loch in seinen Hinterkopf und riss beim Austritt den größten Teil seines Gesichts weg. König war auf der Stelle tot, auch wenn seine Arme und Beine noch ein paar Sekunden lang zuckten. Das kantige Kinn sackte auf die Brust, und jegliche Bewegung seines massigen Körpers erstarrte, während Blut und Gewebeteile in seinen Schoß und zu Boden tropften und begannen, eine dunkle Lache auf den hellen Fliesen zu bilden.

Der Magier hatte sich instinktiv aus der Schusslinie geduckt, sodass die Kugel, nachdem sie Königs Schädel passiert hatte, über ihn hinweg sauste und sich in die Wand bohrte. Jetzt starrte er verblüfft auf den toten Mann vor ihm und anschließend auf den Neuankömmling mit der Schusswaffe, als könnte er nicht glauben, was er mit angesehen hatte.

Auch Michael hatte unwillkürlich die Luft angehalten, als der vorhersehbare, aber in seiner Plötzlichkeit und Brutalität dennoch überraschende Angriff erfolgt war. Er ließ den angehaltenen Atem zischend entweichen, als er König exakt so dasitzen saß, wie er ihn später vorgefunden hatte.

Der Mörder mit Michaels Gesicht steckte seelenruhig die Waffe weg. Er hatte bislang nur vier flüsternde Worte gesprochen und hüllte sich in Schweigen. Er sah zu Schott, der den Blick erwiderte und den Mund öffnete. Doch was immer der Magier sagen wollte, erfuhren die Zuschauer nicht, da die makabre Aufnahme in diesem Moment endete und von wirbelnden, weißen Flocken ersetzt wurde.

Michael stöhnte vor Enttäuschung. Er ahnte, dass die Aufnahme mit voller Absicht an diesem Punkt gestoppt worden war, weil Schott anschließend den wahren Namen des Mannes genannt hatte, der König kaltblütig erschossen hatte. Und da es nicht Michaels Name gewesen sein konnte, hätte es den Zweck vereitelt, den diejenigen, die das Band manipuliert hatten, damit verfolgten. So jedoch war die ganze Zeit über deutlich Michaels Gesicht zu sehen gewesen.

Michael schauerte, als er sich die unheimlichen Szenen erneut vergegenwärtigte. Er fragte sich, ob technische Veränderungen der Originalaufnahme ausgereicht hatten oder ob unter Umständen sogar magische Kräfte zur Anwendung gekommen waren, um diese Fälschung herzustellen. Selbst für ihn, der seinen Körper und die Art, wie er sich bewegte, genau kannte, war nur anhand kleiner Unregelmäßigkeiten erkennbar, dass die Aufnahme manipuliert worden war. Ansonsten waren der Körper des Mörders und sein eigener hinzumontierter Kopf allerdings perfekt aufeinander abgestimmt worden. Für andere musste die Aufnahme daher überzeugend wirken.

Immerhin wusste Michael jetzt, warum die anderen überzeugt waren, dass er König und den Wachmann erschossen hatte. Die Aufnahme war ein bestechender Beweis seiner Schuld und würde sich schwer widerlegen lassen. Allenfalls im Labor könnte festgestellt werden, ob und wie das Videoband manipuliert worden war. Aber falls Magie bei der Herstellung mit im Spiel gewesen war, konnten selbst die fähigsten Techniker dies im Nachhinein nicht mehr feststellen.

Michael seufzte, ehe er den Blick vom flimmernden Bildschirm abwandte und auf Becker richtete, der ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen hatte und mit vor der Brust verschränkten Armen darauf wartete, was Michael zu der Aufnahme zu sagen hatte.

Inquisitor Steinbach richtete die Fernbedienung auf die Geräte und betätigte die Tasten. Der Bildschirm wurde schwarz, als das Fernsehgerät abgeschaltet wurde. Der Videorekorder gab einen surrenden Ton von sich, während die Kassette zurückgespult wurde.

»Wurde die Kassette schon im Labor untersucht?«, fragte Michael sein Gegenüber und brach damit das angespannte Schweigen.

Becker nickte, nahm ein Blatt Papier aus der Akte und hielt es hoch. Scheinbar hatte er mit dieser Frage gerechnet und sich vorbereitet. Ohne vom Blatt abzulesen, fasste er das Ergebnis mit eigenen Worten zusammen: »Es handelt sich um das unbearbeitete Originalband, das sich noch in der Kamera befand, als unsere Techniker die Beweise am Tatort sicherstellten.« Er ging mit keinem Wort darauf ein, dass sie sich exakt an jenem Tatort befanden. »Im Labor konnten weder Manipulationen noch nachträgliche Veränderungen festgestellt werden.«

»Aber die Aufnahme endet abrupt, bevor Schott den Namen des Mörders nennt. In meinen Augen ist bereits das eine Manipulation des Bandes.«

»Die Kamera, mit der die Aufnahme gemacht wurde, ging in diesem Moment kaputt, deshalb wurde die Aufnahme an dieser Stelle unterbrochen. Und selbst wenn die Szene weiterhin gefilmt worden und zu hören gewesen wäre, wie Schott den Namen des Mörders ausspricht, dann wäre es Ihr Name gewesen, Institoris. Haben Sie denn Ihr eigenes Gesicht nicht erkannt? Wozu brauchen wir einen Namen, wenn wir den Mörder leibhaftig und in Farbe auf Band haben, den wir alle so gut zu kennen glaubten?«