Isla Mortale - Petra Knauer - E-Book

Isla Mortale E-Book

Petra Knauer

3,7

Beschreibung

Die Tierheilpraktikerin Elisabeth Schönberg, genannt Elli, hat sich ihren Urlaub auf Teneriffa verdient. Allerdings schon beim Abflug am Airpark Baden-Baden kollidiert sie wegen mitgeführter Hundetransportboxen unschön mit der reichen Immobilienmaklerin Melissa Cramer. Die beiden sich fast schon feindlich gesinnten Frauen wohnen ausgerechnet im gleichen Hotel auf Teneriffa. Das ist der Anfang einer Geschichte, die beide Frauen an den Rand ihrer Kräfte bringt. Mord, Erpressung, Tsunamis und Tierschutz lassen kaum Spielraum für entspannte Urlaubstage. Wäre da nicht der gutaussehende Nationalparkranger Gerald Bellard, der Melissa gehörig den Kopf verdreht, hätten die Urlaubstage ein sehr schnelles Ende gefunden. Die Autorin Petra Knauer entführt mit ihrem dritten Kriminalroman um die Tierheilpraktikerin Elli den Leser auf die wunderschöne Urlaubsinsel Teneriffa. Vulkanlandschaften, seltene Pflanzen, azurblaues Meer, frühlingshafte Wärme, traumhafte Bergdörfer bilden den Hintergrund für beängstigende Vorgänge, die auch Entführung und Mord nicht auslassen. Nähere Informationen über die Autorin unter: www.petra-knauer.com

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 290

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,7 (16 Bewertungen)
6
4
1
5
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Die Autorin Petra Knauer wurde am 29.9.1963 in Heidelberg geboren.

Nach Grundschule und Gymnasiumsbesuch das Abitur 1983. Danach die Studiengänge Biologie und Architektur an den Hochschulen Darmstadt und Karlsruhe. Seit 1992 Diplom Ingenieurin der Fachrichtung Architektur. Es folgte die Ausbildung zur Tierheilpraktikerin. Seit 1995 führt die Autorin eine eigene erfolgreiche Tierheilpraxis mit Hundesalon in Leopoldshafen in der Nähe von Karlsruhe.

Nebenher schreibt sie in jeder freien Minute Krimis und Kurzgeschichten.

2010 eine Zweitplatzierung beim Kurzkrimiwettbewerb des Röser Verlags Karlsruhe »Rabenschwarzer Boulevard«.

Im Engelsdorfer Verlag erschienen bisher die beiden Kriminalromane:

»Aqua Mortale« und »Musika Mortale«.

Besondere Interessensgebiete:

- Lesen und schreiben, vorzugsweise Krimis

- Aktiver Tierschutz

- Fauna und Flora, besonders einheimische Orchideen

- Musik, spielt Saxophon, und Querflöte aktiv in einer Band

Petra Knauer

ISLA MORTALE

Ein Teneriffa-Krimi

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Prolog

1. Tag

2. Tag

3. Tag

4. Tag

5. Tag

6. Tag

7. Tag

8. Tag

Epilog

Prolog

Teneriffa, Februar 2015

Zehn Delphine zogen friedlich ihre Runden. Sie spielten miteinander, sprangen vor lauter Freude hoch aus dem Wasser, schlugen Kreise. Eine richtige Großfamilie. Ihr Lebensraum waren die Kanarischen Inseln. Genauer gesagt der fischreiche Atlantik zwischen den Inseln Teneriffa und La Gomera. Zahlreich sind sie dort noch vertreten. Viele Touristen besuchen jedes Jahr die Inseln und schippern mit Walewatching Booten über den Atlantik, um diese freundlichen Säugetiere zu beobachten. Diese begleiten dann oftmals sogar die Schiffe und lassen sich filmen und fotografieren. Nicht jedoch an diesem etwas stürmischen Morgen. Es herrschten Windböen etwa Stärke vier, das Meer war sehr rau, mit Schaumkronen bestückt. Das störte die Delphine jedoch in keinster Weise. Unter Wasser war davon nichts zu merken. Sie tauchten tiefer. Touristenboote waren an diesem Morgen keine unterwegs. Die Skipper wollten nicht riskieren, ihre wunderschönen alten Segelboote von nicht sehr seefesten Touristen verschmutzt zu bekommen. Die zehn Delphine schwammen weiterhin eifrig zwischen Teneriffa, La Palma und La Gomera hin und her, mal höher, mal tiefer im Atlantik. Plötzlich geschah etwas völlig Unerwartetes. Eine heftige Explosion unter Wasser. Zuerst bemerkten die klugen Tiere davon gar nichts. Sie waren zu dem Zeitpunkt in tieferen Wasserschichten. Die Druckwelle breitete sich jedoch aus, näherte sich rasend schnell der Stelle, an der die Delphine gerade miteinander spielten und auftauchen wollten. Sie erfasste die zehn Tiere, welche vor lauter Schreck blitzartig an die Wasseroberfläche schossen. Die enorme Druckwelle zerstörte erbarmungslos ihre Gleichgewichtsorgane und Gehirne. Sie verendeten alle zehn, Eltern wie Jungtiere, qualvoll unter Zuckungen und Todesschreien und trieben auf die Südküste Teneriffas zu.

Pablo betrat seine kleine Finca im Örtchen Callao. Was er gefilmt hatte, erfüllte ihn immer noch mit Entsetzen. Diese armen Delphine. Das konnte er mit seinem Gewissen nicht mehr verantworten. Und das waren erst die Anfänge. Die Entscheidung, die er spontan getroffen hatte, bereute er nicht. Der kurze Abstecher ins Hotel Barcello vorhin auf dem Heimweg hatte ein wenig sein schlechtes Gewissen erleichtert. Nun musste er nicht mehr allein an dieser Schuld tragen. Aber was sollte er jetzt weiterhin unternehmen? Zur Polizei gehen? Ging nicht! Ratlos wanderte er im Wohnzimmer umher. Da klingelte es an der Haustür. Wer konnte das sein? Er erwartete keinen Besuch.

Etwas entnervt wegen der unerfreulichen Unterbrechung seiner wichtigen Gedankengänge eilte er zur Tür um zu öffnen. Kaum erkannte er die Person, welche den Türrahmen ausfüllte, bemerkte er seinen fatalen Fehler. Ein unerwarteter Faustschlag mitten ins Gesicht ließ ihn rückwärts taumeln und zu Boden sinken. Zu spät, dachte er noch als Letztes, bevor er nach einem Fußtritt in die Nierengegend vor Schmerz das Bewusstsein verlor.

1. Tag

Karlsruhe, zwei Tage davor.

Drei Grad über Null, Nieselregen. Die Scheibenwischer des Taxis quietschten rhythmisch im Takt der nervtötenden Reggaemusik aus dem Radio. Der Taxifahrer hatte auf Wunsch seines Fahrgastes das Radio leiser gestellt. Melissa Cramer bekam immer Kopfschmerzen von dieser Art Musik. Gelangweilt blickte sie aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Fünf Uhr morgens, auf dem Weg zum Airpark Baden-Baden. Draußen war außer vereinzelten Lichtern nicht viel zu erkennen. Die Fahrt würde höchstens eine halbe Stunde dauern. Die gut betuchte Immobilienmaklerin hatte beschlossen, das Geschäftliche mit dem Vergnüglichen zu verbinden. Eine Reise auf die Kanarischen Inseln, genauer gesagt nach Teneriffa, schien ihr dafür geeignet. Normalerweise entsprachen eher die Malediven oder Seychellen ihrem luxuriösen Lebensstil. Jedoch hatten einige vielversprechende Objekte auf Teneriffa ihr geschäftliches Interesse geweckt. Gebucht hatte sie selbstverständlich nicht selbst, sondern lediglich ihrer neuen Sekretärin den Auftrag erteilt, für zwei Wochen ein ansprechendes Hotel zu suchen. Mit solch belanglosen Kleinigkeiten gab sie sich persönlich nicht ab. Wozu hatte man schließlich Personal. Die Sekretärin war schon oft auf Teneriffa gewesen. Melissa verließ sich ganz auf sie. Nervös zog sie das iphone aus ihrer nagelneuen Kelly Bag, um ein weiteres Mal die E-Mails zu checken. Ihr Notebook war schon im Koffer verstaut. Sie hoffte, dass der ebenfalls nagelneue Luis Vuitton Schalenkoffer in dem nicht ganz sauberen Kofferraum dieses Taxis keinen Schaden nehmen würde. Der kaffeebraune Fahrer mit Rastazöpfen pfiff leise vergnügt zur Musik und fragte: »Sie fahren in Urlaub? Im Februar garantiert in den sonnigen Süden?«

»Ja, das ist richtig. In den Süden, aber zum Arbeiten.« Sie zog nervös ihren Lippenstift im Beifahrerspiegel nach.

»Ah, immer arbeiten. Nicht gut! Auch mal Urlaub machen.«

»Ja, ja, mache ich ja auch. Kein unnötiger Smalltalk bitte.« Der Fahrer erschien ihr zudringlich. Konnte er nicht einfach die Klappe halten? Sie wollte nur ihre Ruhe haben. Fühlte sich sowieso schon ganz zappelig, da ihre Flugangst langsam wieder einmal hochkam. Seit jener Notlandung in London vor ein paar Jahren, bei der sie glücklicherweise mit lediglich ein paar Prellungen davongekommen war, litt sie darunter. Ohne Beruhigungsmittel ging gar nichts. Die würde sie kurz vor dem Flug auch einwerfen. So lange galt es noch durchzuhalten. Endlich, der Flughafen. Das Taxi fuhr direkt vor die Abflughalle, Melissa zahlte und stieg aus. Der coole Taxifahrer wuchtete den Koffer hinaus und stellte ihn ihr vor die Füße.

»Wie, Sie bringen ihn mir nicht hinein? So eine Unverschämtheit! Ich habe Sie doch gut bezahlt.«

»Ist nicht im Preis mit inbegriffen.« Der Fahrer klemmte sich wieder hinter sein Steuer und zischte ab. So eine affektierte Kuh konnte ihm gestohlen bleiben. Jeder anderen hätte er den Koffer gerne hineingerollt, aber der nicht. Für ein mickriges Trinkgeld von drei Euro? Niemals!

Die entrüstete Immobilienmaklerin schnappte sich verärgert den Griff ihres Koffers. Energisch schüttelte sie ihre schulterlangen Haare nach hinten. Ein älteren Mann mit grau melierten Schläfen verbeugte sich plötzlich galant vor ihr. Er hatte die Szene beobachtet.

»Gnädige Frau, darf ich Ihnen helfen?«

»Gerne, wie freundlich von Ihnen.« Es gab also doch noch echte Gentlemen. Er ergriff beherzt ihren Koffer mit der einen Hand, seinen eigenen mit der anderen und rollte beide hinein. Melissa stöckelte hinterher. Glücklicherweise schützten ihr Boss Mantel und ihr Businessanzug von Bogner sie vor der kühlen Nachttemperatur.

»An welchen Schalter? Nach Berlin oder Teneriffa? Die Qual der Wahl ist gering.«

Er hatte recht. Mehr Schalter gab es gar nicht. »Ich fliege nach Teneriffa, also der rechte Schalter.«

»Was für ein angenehmer Zufall. Ich auch.«

»Sie sind wirklich zu freundlich und zuvorkommend. Das fehlt den Männern heutzutage meist.« Sie lächelte ihn charmant an. Seite an Seite rückten sie in der langen Schlange von Reisegästen nach vorne zum Abfertigungsschalter. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch.

»Mein Name ist übrigens Wittmann, Georg Wittmann«, stellte sich der ältere Mann vor. Er fühlte sich von dem Interesse der jungen, sehr gut aussehenden Mittdreißigerin geehrt.

»Ich heiße Melissa Cramer. Von Cramer Immobilien Karlsruhe.« Flugs zog sie eine Visitenkarte aus ihrer Kelly Bag und überreichte sie ihm fast schon feierlich. Ein Duft von Chanel zog ihm in die Nase und ließ ihn leicht schwindelig werden. Vor Glück. Sollte er etwa bei so einer jungen Frau noch Chancen haben? Er war schließlich ungebunden. Allerdings schätzte er ihren Altersunterschied auf etwa dreißig Jahre. Verrückt, er fühlte Schmetterlinge im Bauch.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir könnten doch im Flugzeug Plätze nebeneinander verlangen. Ich würde Ihnen auch den Fensterplatz überlassen.« Mutig wagte er diesen Vorstoß.

»Nein, nein.« Melissa zuckte entgeistert zurück.

Oh, zu weit gegangen, bedauerte er schon.

»Ich meine, bitte kein Fensterplatz. Ich habe Flugangst und die wird nicht besser, wenn ich die Höhe auch noch sehe.«

»Keine Angst, meine Liebe. Neben mir werden Sie sich sicher fühlen. Ich bin Maschinenbauingenieur, allerdings im Ruhestand. Ich kann Ihnen genau erklären, was bei einem Flugzeug vor sich geht. Sozusagen Antiflugangst Seminar gratis.«

»Das wäre vielleicht nicht schlecht, aber ich werfe sowieso immer Tabletten ein gegen die Angst.«

»Versuchen Sie es doch einmal ohne Tabletten. Ein einfaches Bier müsste ausreichen.«

Sie wollte schließlich nicht unhöflich erscheinen und schwieg einfach. In dem Augenblick tönte heftiges Kläffen durch die Halle. Melissa drehte sich erschrocken um. Hunde! Das so was überhaupt hier drin erlaubt war! Die machten doch sicherlich alles schmutzig. Und erst der Lärm. Ein Pärchen stand eng umschlungen neben der Eingangstür, vier Hunde wedelten um die beiden herum. Einer, der grau-weiße wuschelige, kläffte dazu.

»Miro, halt die Klappe, ich bin doch in zwei Wochen wieder da. Bei Michael fühlst du dich doch auch wohl. Und Chris bleibt ja leider auch hier.«

»Ja, ja und du lässt dich dann wieder in irgendwelche Morde verwickeln. Kennen wir doch zur Genüge. Und ich kann dich dann nicht beschützen«, maulte Miro, der Lhasa Apso Verschnitt aus Griechenland lautstark.

»Ach, jetzt sei doch nicht so«, beschwichtigte Pida, die Pudelmischlingsdame, ebenfalls aus Griechenland. »Elli macht doch Urlaub auf Teneriffa. Da wird ihr schon nichts passieren.«

»Ich glaube, die beiden haben dich verstanden, Elli«, lachte der gut aussehende Mann. Die schlanke, sportliche Frau gab ihm einen innigen, langen Kuss. Er ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten, auf ihrem Po verweilen und drückte sie demonstrativ an sich.

Musste das denn sein?, dachte Melissa. In aller Öffentlichkeit. Und dann redete die auch noch mit ihren Hunden. Wie kindisch! Melissa blickte entschlossen nach vorne auf die Ankündigungstafeln, weg von den beiden. Sie fand deren Verhalten ziemlich deplatziert. Wegen zwei Wochen so ein Theater zu veranstalten. Gott sei Dank war sie selbst wieder Single. Eine enge Beziehung wäre für sie im Moment gar nicht in Frage gekommen. Und dann noch vier Hunde. Das wäre für sie undenkbar. Die machten doch nur alles schmutzig und hinterließen einen Haufen Dreck in der Wohnung. Niemals! Mit Grausen stellte sie sich vor, wie ihre Penthousewohnung mit den wertvollen Perserteppichen von Hunden beschmutzt würde. Es schüttelte sie. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem netten Nachbarn zu.

»Fliegen Sie zum ersten Mal nach Teneriffa?«

»Nein, nein. Ich war früher öfter beruflich dort für eine Maschinenbaufirma. Aber diesmal hauptsächlich privat. Habe nur eine Kleinigkeit an der Universität in der Hauptstadt zu tun. Und Sie? Beruflich oder privat?« Wittmann war neugierig, was seine neue Bekannte denn so für Interessen hegte und vor allem, ob sie verheiratet oder alleinstehend war.

»Ich bin sowohl beruflich als auch privat unterwegs. Ich habe einige nette Immobilienobjekte entdeckt, die ich mir einmal ansehen möchte. Den Urlaub verknüpfe ich damit.« Ihr Handy piepste leise. Diesmal das Blackberry. »Entschuldigen Sie mich bitte.« Sie sah kurz auf die eingegangene Mail. Nur ihre Sekretärin, die schon so früh wach war, um eine neues Objekt unter Dach und Fach zu bringen. Eine zuverlässige Frau und auch so kompetent. Ihre Entscheidung für Frau Zilinski war eine gute gewesen. Sie freute sich langsam auch auf ihren ersten Aufenthalt auf den Kanaren. Könnte ein erholsamer, ruhiger Urlaub werden, dachte sie, nicht ahnend, dass dieser Wunsch nicht so ganz der Wirklichkeit entsprechen würde.

Hinter ihr hatte sich mittlerweile die Hundeliebhaberin offensichtlich von ihrem Freund oder Mann loseisen können. Sie hörte ein leises Schniefen. Jetzt heulte die auch noch! Mit Verachtung im Blick drehte sich Melissa um. Da stand die Unglückliche neben einem großen, schmuddeligen Rucksack und etwas, das wie eine große Box aussah. Eine zusammengeklappte Hundetransportbox etwa? Bei näherem Hinsehen erkannte Melissa, dass es sich in der Tat sogar um mehrere ineinander gestellte Boxen handelte. Auch das noch! Irgend so eine durchgeknallte Tierschutzzicke. Melissa hatte im Allgemeinen nichts gegen Hunde. Gepflegte, frisch frisierte Pudel oder ähnliche Rassen waren schon in Ordnung, aber diese Straßenhunde dreckig und mit allen Krankheiten verseucht nach Deutschland zu schleppen, das sollte ihrer Meinung nach verboten werden. Sie schüttelte den Kopf und stieß unbeabsichtigt laut die Luft aus, was der Frau hinter ihr nicht entging.

»Ist irgend etwas?«, fragte diese aggressiv. »Probleme mit den Hundeboxen oder was?« Anscheinend war ihr der entrüstete Blick Melissas auf das Corpus Delicti nicht entgangen. Diese hielt eine Antwort gar nicht für nötig. Auf solch unnötige Diskussionen legte sie partout keinen Wert. Das lag weit unter ihrem Niveau. Mittlerweile waren sie vorne angekommen, legten ihre Tickets auf den Schalter und bekamen zwei Sitzplätze nebeneinander. Die Tierschutzzicke hinter ihnen, die mit den sperrigen Boxen zu kämpfen hatte, ignorierte sie. Stattdessen schlenderten Melissa und ihr neuer Bekannter in die Cafeteria.

»Darf ich Sie zu einem kleinen Prosecco einladen?« Wittmann war glücklich über seine neue Reisebekanntschaft. Melissa kicherte etwas. »Wieso eigentlich nicht, Herr Wittmann. Dann wirkt mein Beruhigungsmittel auch besser.«

Galant nahm er ihren Arm und führte sie zu einem Tisch mit Blick nach draußen.

»Bitte Platz zu nehmen. Möchten Sie vielleicht noch einen Kaffee?«

»Gerne, einen Latte Macchiato ohne Zucker.« Melissa genoss die Aufmerksamkeit des Älteren und entspannte sich doch tatsächlich etwas. Wieso hatte sie ihr Glück eigentlich noch nie bei älteren Männern gesucht? Bisher hatte sie immer nur jüngeren den Vorzug gegeben. Toyboys sozusagen. Obwohl sie selbst erst siebenunddreißig war. Aber sie kam sich dann immer etwas vor wie Madonna. Und außerdem hielten jüngere Männer sie fit. Na ja, ein älterer wäre auch mal nicht schlecht, obwohl dieser hier nun doch etwas zu alt war. Aber nett und hilfsbereit. Ein Kavalier der alten Schule. Das war sehr angenehm. Schon eilte er herbei, in den Händen ein Tablett mit zwei Gläsern Prosecco und zwei Latte Macchiato.

»Auf einen wunderschönen Urlaub, Frau Cramer. Und natürlich Glück bei den Fincas.«

Sie prosteten einander zu. Die Zeit verging wie im Flug. Sie passierten die Sicherheitskontrolle, Melissa stöberte noch etwas im Duty Free Shop, entdeckte ein neues Parfüm, einen schönen Lippenstift und kaufte beides. Dann betraten sie auch schon den Flieger, der pünktlich die Rollbahn verlassen würde. Melissa setzte sich tatsächlich mutig auf den Fensterplatz. Ihre alte Angst kam schnell wieder hoch. Nervös kramte sie in der Tasche nach den Tabletten.

»Versuchen Sie doch einfach einmal sie wegzulassen. Ich sitze neben Ihnen und werde gerne helfen, die Angst zu dämpfen.«

Melissa blickte ihn an, erkannte die Gutmütigkeit in seinen blauen Augen und steckte die Tabletten wieder weg.

»Also gut, ich versuche es. Wissen Sie, ich habe einmal in London eine Notlandung mitmachen müssen. Seitdem diese Angst.« Der Flieger rollte auf die Startbahn, Wittmann ergriff fest ihre linke Hand.

»Machen Sie einfach die Augen zu bis er vom Boden weg ist. Atmen Sie tief durch und konzentrieren Sie sich auf eine ruhige, gleichmäßige Atmung. Alle Geräusche, die heftige Beschleunigung und das etwas unangenehme Abheben sind völlig normal. Es passiert Ihnen nichts.«

Der Flieger beschleunigte immer schneller, sie wurde in den Sitz gedrückt. Dann der unangenehme Druck des Abhebens, der sie immer schwindelig werden ließ. Mit geschlossenen Augen und feuchten Händen, aber ohne Panik bewältigte sie ihren ersten Start ohne Beruhigungstabletten. Ihre Hand fest in der ihres Sitznachbarn.

»Puh, das ging ja halbwegs.« Erleichtert öffnete sie die Augen und blickte ihren Sitznachbarn an. Ein Kribbeln durchlief die beiden. Hastig entzog sie ihm ihre Hand. Er wirkte verlegen und blickte schnell weg. Schweigend verging die nächste halbe Stunde. Der übliche Service an Bord begann mit Kopfhörerverkauf, Kinderspielzeug verteilen, dann ein kleines Frühstück. Mittlerweile plauderte Melissa entspannt mit Wittmann über dies und das, gemeinsame Interessen, Theaterbesuche, Ausstellungen. Auch er stammte aus Karlsruhe, aus der Nordweststadt. Unbemerkt von den beiden saß eine Sitzreihe vor ihnen die Tierschützerin aus der Abflughalle und wurde ungewollt Zeugin der in ihren Augen belanglosen Gespräche der beiden hinter ihr.

»Blah, blah, schwall, lall«, murmelte sie fast lautlos. »Der alte Knacker will wohl noch mal ran an die Buletten sozusagen. Na ja, mit der wird er noch sein Vergnügen haben. Die ist so blond wie blöd. Da hätten wir es wieder mal. Blond, blöd, Riesentitten. Darauf fahren die Kerle einfach ab.«

Ihr war klar, welch ungerechtfertigte Gedanken sie gerade im Kopf wälzte, aber sie war missgelaunt. Sie vermisste ihren Freund Chris Holland, den Karlsruher Hauptkommissar, jetzt schon schrecklich. Er hatte diesmal keinen Urlaub nehmen können und so musste die Tierheilpraktikerin Elisabeth Schönberg, genannt Elli, alleine nach Teneriffa fliegen, um Urlaub und Tierschutz miteinander zu kombinieren. Sie fühlte sich einsam ohne ihn und ihre mittlerweile vier Hunde Miro, Pida, Susi und deren Tochter Santana. Leider hatte sie auch noch nach dem Buchen erfahren, dass ihr guter Freund Gerald, bei dem sie in Teneriffa immer wohnen durfte, kurzfristig nach Südamerika verreist war und seine Finca für die Zeit untervermietet hatte. Aber sie brauchte einfach die Entspannung nach den letzten stressigen Wochen, und die Kälte in Deutschland bekam ihr schon lange nicht mehr. Sie beschloss, das Beste daraus zu machen, die Ruhe im Hotel alleine zu genießen und ein paar Wanderungen für die Hotelgäste zu organisieren. Vielleicht konnte sie auch an ihrem Buch weiterschreiben, welches sie als neues Hobby entdeckt hatte. Seufzend steckte sie ihren Ipod ins Ohr und wippte im Takt mit dem Fuß zu den fetzigen Rhythmen ihrer eigenen Band HotDogs.

Die beiden Reisegefährten hinter ihr verstanden sich immer besser, entdeckten Gemeinsamkeiten und kicherten und alberten herum. Dabei bemerkten sie auch, dass sie zufälligerweise das gleiche Hotel gebucht hatten. Melissas Flugangst hatte sich relativ schnell gelegt und sie sprach schon dem dritten Gläschen Prosecco zu. Auch Wittmann hatte sich lange nicht mehr so amüsiert, wie bei diesem Flug. Melissa bekam etwas Schluckauf.

»Hicks, Entschuldigung. Ich glaube wir, hicks, könnten uns jetzt so langsam duzen, hicks oder?«

»Ja, das finde ich auch. Also«, er hob sein Gläschen. »Ich bin der Georg.«

Sie erhob das ihre. »Ich bin die, hicks, Melissa.«

»Küsschen, Küsschen, würg, würg, hicks«, dachte Elli verächtlich einen Sitz weiter vorne und steckte sich symbolisch den Zeigefinger in den Hals. Ihren Ipod hatte sie beiseite gelegt. Der Mann war ihr ja sympathisch, aber diese Tussi. Neureich, affektiert, blond, na ja vielleicht doch nicht so blöd, aber einfach unmöglich. Die hatte sie in der Abflughalle doch angesehen wie ein Stück Dreck.

Melissa, schon immer mit einer schwache Blase gestraft, musste sich wohl oder übel des öfteren nach vorne zu den Toiletten durchkämpfen. Ihr Gang schwankte schon etwas, verstärkt durch ihre Highheels, was jedoch wegen leichter Turbulenzen im Flugzeug nicht weiter auffiel. Drinnen erleichterte sie sich und zog den Lippenstift nach. Sie fühlte sich beschwingt und leicht, etwas verliebt. Ach was soll`s auch. Georg war zwar fast dreißig Jahre älter, aber für eine kurze Urlaubsaffäre theoretisch gut geeignet. Dieser hingegen schwebte auf Wolke sieben. Ihn hatte es voll erwischt. Und das mit fast fünfundsechzig! Diese Frau haute ihn einfach um. Ob er sich allerdings irgendwelche Chancen bei ihr erhoffen durfte, stand in den Sternen. Man würde sehen. Melissa kehrte zurück, wollte sich gerade durchquetschen bis zu ihrem Fenstersitz, da drückte sie eine heftigere Turbulenz eng an Wittmann. Sie kicherte verlegen, er wurde knallrot, hielt sie aber ritterlich in seinen Armen fest.

»Na, na Melissa. Bitte nicht stürzen. So, jetzt setz dich erst mal wieder hin.« Fürsorglich schob er sie auf ihren Fensterplatz.

Nach weiteren zwei Stunden setzte der Flieger zum Landeanflug an. Melissa schaltete ihre beiden Handys aus. Mit ein paar Rumplern setzte der Flieger auf und bremste dann scharf.

»Willkommen in Teneriffa, meine Liebe.« Wittmann konnte es nicht unterlassen, seine Nachbarin herzlich auf die Wange zu küssen. Diese, mittlerweile wieder etwas ernüchtert, neigte huldvoll ihr Haupt und nickte ihm zu. Es folgte das übliche Gedränge und Geschiebe, bis alle ihr Gepäck in den Händen hielten und das Flugzeug verlassen konnten. Da erst bemerkte Melissa diese komische Tierschutztante vor ihr. Sie dankte wem auch immer dafür, dass sie nicht neben ihr gesessen hatte. Die roch doch sicherlich eklig nach Hund. Da war ihr Georg lieber gewesen, obwohl er langsam etwas zudringlich wurde. Sie musste ein wenig auf Abstand gehen. Nur nicht zu schnell nachgeben. Das mochten Männer, besonders ältere, sicherlich nicht. Sie musste es zumindest am Anfang langsam angehen. Das wusste sie aus reichhaltiger Erfahrung. Hochnäsig drängelte sie sich nach vorne, schob die anderen Passagiere beiseite. Wittmann folgte ihr wohl oder übel. Während Melissa wieder einmal die Toilettenräume aufsuchte, bemühte sich der ältere Mann um ihr beider Gepäck vom Laufband. Als er bemerkte, wie sich die nette junge Dame, die vor ihnen gesessen hatte, mit den Hundeboxen abquälte, half er auch ihr.

»Vielen Dank. Nett von Ihnen. Die Teneriffa Hunde werden es Ihnen danken. Zumindest wenn sie dann in Deutschland eingetroffen sind.«

»Ach, Sie nehmen ein paar der armen Kreaturen von hier nach Deutschland mit? Das finde ich aber sehr schön.« Melissa, die den letzten Satz mitbekommen hatte, strich affektiert ihre blonde Mähne zurück und meinte.

»Als ob wir bei uns nicht schon genug Hunde hätten. Die koten doch sowieso nur unsere Gehwege voll und urinieren überall herum.«

»Das liegt ja wohl nicht an den Hunden, sondern eher an verantwortungslosen Besitzern«, giftete Elli zurück. »Und im übrigen. Ist Ihnen das Schicksal alle Lebewesen so egal?«

»Sie können doch nicht alle Lebewesen über einen Kamm scheren«, empörte sich die Immobilienmaklerin.

»Ach, und wieso nicht? Es gibt viele Bedürftige, denen man helfen sollte. Ich mache da keine Unterschiede.« Die beiden Frauen blickten sich mit hasserfülltem Blick an.

»Aber, aber, meine Damen«. Wittmann schob sich dazwischen. »Wir sind doch hier im Urlaub oder etwa nicht? Friedlich, bitte. Die Welt ist böse genug. Und hier kommt doch auch schon dein Koffer, Melissa. Schau, hier ist er. Komm doch bitte.« Er zog ihn vom Band, stellte ihn auf und zog ihn Richtung Ausgang. Georg und Melissa beschlossen, gemeinsam ein Taxi ins Hotel zu nehmen, da der Transport mit dem Bus der Reisegesellschaft unter Melissas Niveau lag. Sie wunderte sich sowieso schon, weshalb das Hotel über keinen VIP Transport verfügte. Wider Willen, da sie immer noch Verärgerung über den Zusammenstoß mit dieser unverschämten Person vorhin in sich fühlte, musste sie zugeben, dass die Landschaft sie sofort in ihren Bann schlug. Die Luft war trotz Flughafenmief schön warm und seidig leicht. Vor vier Stunden noch bei drei Grad in Deutschland gestartet, lockerten die herrlich angenehmen zwanzig Grad hier ihre verspannte Muskulatur vom Flug sofort. Palmen, Bougainvileen, blühende Hibiskus ließen den warmen Süden erahnen.

»Wie herrlich«, seufzte sie auf. Wittmann lachte erfreut.

»Warte erst mal ab, bis du das ganze Teneriffa gesehen hast. Der Flughafen ist nur ein müder Abklatsch von dem, was die Insel zu bieten hat.«

Ein Taxi brachte sie weiter Richtung Süden. Wittmanns Spanisch erschien Melissa perfekt. Er plauderte angeregt mit dem Taxifahrer, deutete hie und da auf Gebäude und Hotels.

»Die Gegend hier ist nicht ganz so schön. Der Orte Los Cristianos und Playas Americas sind mit Hotelbunkern zugepflastert worden«, erklärte er ihr. »In den siebziger Jahren sah das noch ganz anders aus. Aber wir fahren ja weiter bis Los Gigantes. Dort geht es noch etwas ruhiger und stilvoller zu. Obwohl es auch hier eine Reihe schöner Hotels gibt.«

Ihr Begleiter entpuppte sich als echter Kenner Teneriffas, was ihr auch beruflich sehr entgegen kam.

»Du kennst dich aber sehr gut aus.« Vertraulich legte sie eine Hand auf seinen Arm.

»Na ja, ich bin schon sehr oft hier gewesen, nicht nur beruflich. Ich habe auch Freunde hier, die ich leider zu selten sehe.« Dabei schwenkte sein Blick in die Ferne. Nachdem sich die Hoteldichte etwas gelockert hatte, zeigte sich Melissa eine beeindruckende Felslandschaft. Kleine kakteenartige Gewächse lagen wie grüne Tupfer in den schwarz- braunen Gesteinsschichten. Sie erinnerte sich, dass die gesamten Kanaren vulkanischen Ursprungs waren. Also entwicklungsgeschichtlich recht jung. Schöne Fincas mit schneeweißen, verputzten Wänden, grünen Fensterläden, terracottafarbenen Ziegeldächern und großzügigen Gartenanlagen wechselten mit einfachen Häusern mit Flachdächern ab, der typischen Bauweise fast aller südlichen Länder. Zwischendurch durchbrachen ummauerte Bananenplantagen mit den saftigen und dicht an dicht stehenden Wedeln der einheimischen kleinen Banane, platano genannt, das Vulkangestein. Auch die mit weißer Plastikfolie abgedeckten Gewächshäuser boten dem Auge ein neues Bild. Melissa bemerkte sofort die Vielseitigkeit der Insel schon auf diesen wenigen Kilometern. Sie, die schon in vielen Ländern dieser Welt gewesen war, fühlte eine merkwürdige, sehnsüchtige Vertrautheit mit der Landschaft in sich, die sie jedoch sofort wieder unterdrückte. Sie war schließlich hauptsächlich beruflich hier. Vielversprechende Objekte schien es ja in Hülle und Fülle zu geben. Mit dem Kennerblick der professionellen Maklerin schätzte sie schon mal eventuelle Kosten einzelner Objektes ab. Sie hatte einige betuchte Kunden an der Hand, die nach Prachtbauten auf der Suche waren. Ihr Begleiter deutet begeistert auf dieses und jenes, erklärte ihr die Namen der Orte, wie Adeje, La Caleta, San Juan und schließlich ihr Ziel Puerte de Santiago und Los Gigantes mit seiner beeindruckenden, steilen Felsküste.

Schon hielten sie vor dem Hotel, Melissa stieg aus und - erstarrte zur Salzsäule. Barcello Santiago, ein Viersterne Hotel. Vier Sterne! Das würde eindeutig Frau Zilinskis Kündigungsgrund werden. Solch einen sozialen Abstieg hatte sie noch nie erleben müssen. Sie betrat doch niemals ein Viersterne Hotel. So weit war sie noch nicht gesunken. Bisher hatte sie ausschließlich mindestens in renommierten Fünfsterne Hotels gewohnt. Aber noch nie in so etwas. Wittmann bemerkte ihr blankes Entsetzen und fragte verwirrt. »Was ist denn los? Ist es nicht wunderschön hier, meine Liebe? Das Barcello Santiago ist das schönste Hotel im Ort.«

Mühsam unterdrückte sie eine aufsteigende Wut und stammelte. »Ja, es ist schon ganz nett, aber es hat nur vier Sterne.« Ihr Tonfall entsprach ungefähr dem eines Bergsteigers, der in eine gefährliche Eisspalte gestürzt war und jetzt um sein Leben kämpfte.

»Na ja, das stimmt, aber manches Fünfsterne Hotel liegt nicht annähernd so schön wie dieses hier. Komm lass uns reingehen.«

Normalerweise wäre sie sofort umgekehrt und hätte sich über die Reiseleitung eine anderes, angemessenes Hotel gesucht, jedoch der treuherzige Blick von Wittmann hinderte sie daran. Zögerlich stakste sie hinter ihm her und betrat das feudale Foyer. Nun ja, könnte schlimmer sein. Aber ihre Sekretärin würde dafür büßen müssen. Sie einfach in ein Viersterne Hotel zu verfrachten. So was von niveaulos. Wie sollte sie es hier nur zwei Wochen aushalten? Während sie erschöpft ihre Kelly Bag auf dem Empfangstresen abstellte, wurde ihr von einem Kellner schon ein Sektglas in die Hand gedrückt. In einem Zug kippte sie es hinunter. Am Besten würde sie sich jetzt betrinken. Um ihr unendliches Elend noch zu steigern, hielt in dem Augenblick vor dem Eingang ein weiteres Taxi. Und diesem entstieg - die Tierschützerin vom Flughafen. Schon zerrte sie ihre Hundeboxen aus dem Auto und schleppte sie Richtung Eingang. Sofort eilte Wittmann hinaus, um ihr zu helfen. Melissa überlegte kurz, ob sie in das noch wartende Taxi steigen und von hier flüchten sollte. Aber so eine Blöße wollte sie sich vor der von ihr zutiefst verachteten Frau dann doch nicht geben. Betont lässig stützte sie den Ellenbogen am Tresen ab und blickte verächtlich nach draußen, wo Wittmann bereits die Boxen schulterte und herein trug.

»Na was für eine nette Überraschung doch auch. Sie in so einem Hotel?« Elli blickte sie leicht amüsiert an. »Ich hätte sie eher in einem Fünf-Sterne Golfhotel vermutet.«

»Tja, wissen Sie, ich schaue mir doch gerne an, wie die asozialen unteren Schichten so Urlaub machen. Nur so als Experiment.«

Elli lachte dazu nur verächtlich. Wittmann war zwar ziemlich pikiert über diese Äußerung, beschloss jedoch, sie zuerst einmal zu ignorieren und kümmerte sich um sein Zimmer. Melissa rümpfte ihr Näschen.

»Sie wollen doch wohl diese stinkenden Hundeboxen hier nicht hereinbringen oder? Ist ja widerlich.«

»Doch, genau das werde ich tun.«

Schon eilte ein Bediensteter des Hotels herbei und begrüßte Elli aufs Herzlichste mit Wangenkuss.

»Hallo Frau Schönberg, wie schön Sie wieder einmal bei uns begrüßen zu dürfen. Lange nicht mehr gesehen. Wieder Hunde für Deutschland?«

»Si, si hola Juan. Que tal?«

In erstaunlich perfektem Spanisch ratterte Elli ihre Sätze herunter und Melissa musste sie wider Willen dafür bewundern. Sie sollte dringend auch mal Spanisch lernen. Wenn solche Asozialen dies konnten, dürfte es für sie doch kein Problem sein. Sie wandte sich abrupt zu der Empfangsdame um und ließ sich ein Zimmer mit Meerblick zuweisen. Wittmann Zimmer lag direkt neben ihrem. Ein Bediensteter rollte die beiden Koffer zügig Richtung Aufzüge und dann weiter bis in die wunderschön gelegenen Zimmer. Sie beschlossen, sich zum Abendessen zu treffen. Melissa sank hinter verschlossener Tür völlig erschöpft auf ihr breites, weiches Bett. Sie fühlte sich frustriert, erniedrigt und deplatziert. Und zudem noch zornig. Wütend zückte sie ihr Handy, um als allererstes ihre Sekretärin herunter zu putzen.

Wittmann erledigte, nachdem er seinen Koffer ausgepackt hatte, einen wichtigen Telefonanruf. Melissa konnte durch die offenen Balkontüren seine Stimme hören. Aber das ging sie nichts an. Sie hatte ihren Frust voll an ihrer Sekretärin ausgelassen und fühlte sich nun ein wenig besser. Sie überlegte immer noch, ob sie nicht doch in ein anderes Hotel umsiedeln sollte, jedoch die Gesellschaft von Georg wollte sie dann auch nicht missen. Und sich vor der Tierschützerin so eine Blöße zu geben, kam nicht in Frage. Sie betrachtete das Zimmer gründlich. Zwar nicht die Größe einer Fünf Sterne Suite, aber sehr sauber, gute Matratze und ein unbeschreiblich schöner Ausblick auf die dramatische Felskulisse von Los Gigantes. Na ja, einmal konnte sie es aushalten, in so einem Hotel Urlaub zu machen. Vielleicht sollte sie es als eine Art Abenteuer betrachten. Fast wie damals als Student in einer Jugendherberge. Außerdem musste sie auch an die Arbeit denken. Kurz entschlossen packte sie ihre Kleidung in den Schrank, sortierte ihre drei kleinen Schmink- und Kosmetik Köfferchen im Badezimmer, kontrollierte ihre beiden Handys und setzte sich vor ihr Notebook an den Schreibtisch. Sie rief die einzelnen Objekte auf, sortiert nach Größe und Preis. Fünf Stück insgesamt. Die nächsten Tage würde sie ein Auto mieten, um flexibler zu sein. Kreischendes Gebrüll drang an ihr Ohr. Oh nein, direkt unter ihrem Balkon befand sich ein Kinderspielplatz. Nicht auch das noch. Wieso brach sie das Ganze nicht einfach ab, fragte sie sich. Nur wegen eines fünfundsechzig jährigen Rentners, der offensichtlich Interesse an ihr entwickelte? Hatte sie so etwas nötig? Nachdenklich schob sie ihre Sonnenbrille von Dior auf die Nase und trat hinaus auf den Balkon. Sie stützte sich am Geländer ab und studierte die Umgebung. Zweifelsohne profitierte dieses Hotel von einer unbeschreiblich schönen Lage. Gebaut auf einem Felsplateau mit Blick aufs freie, endlose Meer auf der einen Seite und die Steilküste mit seinen bedrohlichen, schwarzen Felsen auf der anderen, kam sie tatsächlich etwas ins Träumen. Ihr Verhalten entsprach im Moment überhaupt nicht dem einer abgebrühten Immobilienmaklerin. So kannte sie sich überhaupt nicht. Selbst die Kinder auf dem Spielplatz unter ihr hatte sie vergessen. In seinem Zimmer nebenan, verborgen hinter einem dünnen Vorhang, wurde Melissa von Wittmann beobachtet. Sein Blick glitt über ihren schlanken, gut gebauten Körper, der zu Zeit in einem Fitnessanzug von Nike steckte. Diese Frau verkörperte einfach jeden Männertraum. Schulterlange, rötlich blonde Haare, nettes Grübchen am Kinn, manierliche Oberweite, ewig lange, schlanke Beine, knackiger Po. Er atmete tief durch. Das einzige, was dieser Frau fehlte, war ein freundlicheres, weniger affektiertes Wesen. Die Optik alleine genügte für ihn zumindest nicht. Wie sie sich der netten jungen Tierschützerin gegenüber verhalten hatte, fand er fast schon abstoßend. Er war gründlich verwirrt. Im Flugzeug hatten sie sich doch so gut verstanden. Er beschloss, etwas vorsichtiger an die Sache heranzugehen.

Es war Abend geworden. Melissa und Wittmann betraten gemeinsam den Speisesaal des Hotels. Sie fielen auf. Und das nicht zu knapp. Er, normal leger gekleidet, stach deutlich von seiner Begleiterin ab, die ein dunkelblaues Abendkleid von Prada trug, verziert mit goldenen Pailletten. Das Kleid harmonisierte prächtig mit ihren rot blonden Haaren. Eindeutig overdressed. Die Blicke etlicher Gäste fielen auf die beiden, als sie den Saal durchquerten. Melissa genoss diese und warf schwungvoll ihren Hermes Schal über eine Schulter.

»Sollen wir uns da hinten in den Wintergarten setzen?« Wittmann, der das Hotel gut kannte, bevorzugte einen ruhigen, etwas abgelegenen Sitzplatz.

»Aber gerne doch, Georg. Du kennst dich hier sicherlich gut aus.« Melissa, die sich mittlerweile wieder etwas gefangen hatte, hakte sich bei ihm unter und stöckelte mit wackelndem Hinterteil dem erwünschten Platz entgegen. Galant schob er ihr den Stuhl zurecht und bestellte dann für beide einen kanarischen Rotwein.

»Was wirst du die nächsten Tage denn so alles unternehmen?« Er saß vor seinem vollen Teller vom Buffet und bedachte sie mit einem freundlichen Blick.

»Ich werde mir gleich morgen die Objekte alle ansehen. Es sind fünf Stück, die werde ich für einen ersten groben Überblick an einem Tag schaffen. Ich habe von Deutschland aus schon mit einem Makler hier auf der Insel Kontakt aufgenommen. Ich habe vor, mit ihm eng zusammen zu arbeiten. Er wird mich morgen herumfahren.«

»Dann werde ich den Tag nutzen, um einen alten Freund zu besuchen. Vielleicht könnten wir die nächsten Tage dann etwas Gemeinsames unternehmen.«

»Ja, gerne doch. Ich könnte einen Inselführer gut gebrauchen.« Mit glänzenden Augen blinzelte sie ihn verführerisch an. Wittmann wurde es heiß und kalt zugleich. Sein Vorsatz, das Ganze vorsichtig anzugehen, drohte zu schwanken. Wie auch, wenn er mit der begehrtesten Frau des ganzen Hotels an einem Tisch saß und diese ihn gerade anhimmelte. An der Echtheit dieser Avoncen zweifelte er nicht. Melissa hingegen wusste haargenau, wie sie den älteren Mann um den Finger wickeln konnte. Er sollte ruhig etwas köcheln. Als Fremdenführer war er sicherlich geeignet, über alles Weitere musste sie noch nachdenken. Gefallen würde er ihr ja schon, aber sein Alter? Beobachtet wurden die beiden von vielen Gästen. Gründlicher jedoch von zwei Männer, die ihre Plätze schräg gegenüber eingenommen hatten. Melissa bediente sich gerade an den Gambas vom Buffet, trat einen Schritt zurück und stieß ungewollt heftig mit jemandem zusammen. Empört drehte sie sich um und blickte in die vor Wut blitzenden grünen Augen von Elli.

»Das hätte ich mir ja denken können«, schnauzte diese. »Mit den Stöckelteilen würde ich auch überall wie ein Walross anecken.«

Noch ehe Melissa ihren Mund vor Schreck wieder schließen konnte, war Elli schon nach draußen auf die Terrasse verschwunden.

»Stell dir vor, diese blöde Tierschutzkuh hätte mich beinahe über den Haufen gerannt und dann noch als Walross tituliert.« Völlig aufgelöst saß sie wenig später wieder Wittmann gegenüber, der sie tröstete. Der Rest des Abends jedoch verlief friedlich. Sie wechselten in die anliegende Bar und beendeten den Abend mit Margaritas und Sangria. Zu fortgeschrittener Stunde geleitete Wittmann seine Herzensdame bis zu ihrer Zimmertür, öffnete diese für sie, ließ sie eintreten und begab sich dann gleich in sein eigenes Zimmer. Nach der anstrengenden Fliegerei und dem reichlichen Alkoholgenuss waren beide doch sehr ermüdet und sehnten sich nach den angenehm weichen Betten.

Während sich unten an den Stränden und in den Touristenzentren die Urlauber in den Bars, Tavernen und Restaurants tummelten, saß oben am Rande des Ortes Tamaimo Gerald Bellard auf der Terrasse seiner Finca vor einem Glas Rotwein und blickte in die Ferne. Zu sehen waren über dem Meer vereinzelte Lichtpunkte von Fischerbooten und über ihm ein sternenklarer Himmel, der die Milchstraße deutlich sichtbar machte. Neben ihm lungerten gemütlich zwei Podencos, spanische Jagdhunde. Gedankenverloren kraulte er dem einen den zarten, glatten Kopf.

»War heute wieder eine schöne Jagd gewesen, nicht wahr Grisella?« Die super schlanke Podencohündin Grisella hob ihren Kopf, leckte ihrem vierbeinigen Gefährten kurz über die Lefze und antwortete. »Da hast du Recht, Carlo. Die Hasen waren heute besonders leicht zu fangen. Ich hoffe nur, Gerald bekommt davon nichts mit. Das Loch vorne im Zaun hat er nämlich noch nicht entdeckt. Wenn er uns morgen wieder nicht mitnimmt, gehen wir noch mal auf Tour. Super.«

Zufrieden kuschelten sich die zwei aneinander.

»Ach, meine zwei Treuen. Morgen muss ich leider erneut alleine los, aber übermorgen dürft ihr wieder mit.«

Seine Arbeit als Ranger im Teide Nationalpark nahm ihn glücklicherweise nur halbtags in Anspruch. Die andere Hälfte verbrachte er mit Renovierungsarbeiten an seiner Finca, die schon älteren Datums war und dem Anbau, einem ehemaligen Pferdestall. Er hatte sie vor zwei Jahren günstig kaufen können und renovierte seitdem nach und nach die Gebäude. Mittlerweile war das Meiste geschafft, nur noch ein kleiner Anbau und eine Garage für seinen Jeep Defender standen auf dem Plan. Das Areal von insgesamt 5000 Quadratmetern hatte er gerade auch wegen seiner Jagdhunde komplett eingezäunt. Dass die beiden hin und wieder ein Loch unter dem Zaun buddelten, um tagsüber auf Tour zu gehen, war zwar lästig, aber nur schwer zu verhindern. Eine Zwinger- oder gar Kettenhaltung der Hunde käme für ihn niemals in Frage. Dann hätte er die beiden auch gar nicht erst von der Tierschützerin Maria bekommen, die im Norden der Insel ein Tierheim betrieb. Er unterstützte sie nach Kräften, half auch Hunde mit Flugpaten nach Deutschland zu transportieren und brachte ihr ab und zu verletzte und geschwächte Hunde, die er im Nationalpark fand. Viele spanische Jäger ließen ihre Podencos bei der Jagd zurück, wenn sie nicht rechtzeitig wieder kamen. Dann waren sie unbrauchbar geworden. Das waren noch die Glücklicheren. Ab und zu, glücklicherweise nicht sehr häufig, lösten die Jäger das Problem eines ungeeigneten Hundes auch mit dem sogenannten Klavierspielen. Dabei wurde der Hund am Hals an einem Baum aufgehängt und zwar der Art, dass die Hinterbeine des Tieres gerade noch den Boden berührten. Im Laufe der Zeit erlahmten dann dessen Kräfte und es erstickte jämmerlich. Eine entsetzliche Todesart. Gerald dankte wem auch immer dafür, dass er noch nie einen Hund gefunden hatte, dem dies angetan worden war. Er traf nur häufiger auf abgemagerte, wandelnde Gerippe, die allein oder in traurigen Gruppen durch die lichten Kiefernwälder zogen. Sie waren fast immer extrem scheu, ließen sich oft nur anfüttern. Nur selten gelang es ihm, einen einzufangen und in die Tierschutzstation zu bringen. Das Schicksal dieser armen Podencos lag ihm sehr am Herzen und er verbrachte viel unbezahlte Zeit mit deren Versorgung im Nationalpark und auch in den umliegenden Kiefernwäldern. Er hatte die Unabhängigkeit und die Freiheitsliebe dieser Rasse zu schätzen gelernt. Vielleicht wiesen sie gewisse Ähnlichkeit mit ihm selber auf. Die mittlerweile neun Jahre auf Teneriffa hatten ihn verändert. Und das nicht zum Schlechtesten. Davor war sein Leben an einem Tiefpunkt angelangt gewesen, den er beinahe nicht überwunden hätte. Er hatte sich damals eigentlich schon aufgegeben. Wäre ein guter Freund nicht so hartnäckig geblieben und hätte ihn von Deutschland hierher geschleppt, dann gäbe es Gerald Bellard vielleicht schon nicht mehr. Ob der Welt dadurch ein großer Verlust entstanden wäre, glaubte er allerdings nicht. An den Podencos konnte er aber wenigstens einen Teil seiner Schuld abtragen, die er sich aufgeladen hatte. Seufzend trank er sein Glas leer. Er bedauerte es immer noch, dass die geplante Tour nach Costa Rica zusammen mit eben diesem Freund ins Wasser gefallen war. Jener lag mit gebrochenem Fuß im Krankenhaus, und Gerald hatte dann alles abgeblasen. Alleine zu verreisen war nicht so ganz sein Ding. Die Untermieter für seine Finca waren glücklicherweise anderswo untergekommen. Lediglich Elli hatte er vergessen zu benachrichtigen. Na ja, die wollte ja sowieso erst nächsten Monat nach Teneriffa kommen, wie sie ihm versichert hatte. Wohltuend müde begab sich Richtung Schlafzimmer. Morgen stand ihm wieder ein anstrengender Tag mit viel Fahrerei und Arbeit bevor.

Grisella und Carlo sammelten Kraft für den nächsten Tag, der dank des vergessenen Loches im Zaun wieder sehr ereignisreich werden würde.