J.R.R. Tolkien - Michael Coren - E-Book

J.R.R. Tolkien E-Book

Michael Coren

4,8

Beschreibung

"Wer ist der beste englischsprachige Schriftsteller?" - so lautete zur Jahrtausendwende die Frage in unzähligen Leserbefragungen. Die einhellige Antwort: J.R.R. Tolkien, der Schöpfer von "Der kleine Hobbit" und der "Herr der Ringe"-Trilogie. 1999 wurde Tolkiens bekanntestes Werk, das von den spannenden Abenteuern des Hobbits Frodo berichtet, in der Amazon.com-Kundenbefragung sogar zum "Buch des Jahrhunderts" gewählt. Doch wer ist der Mann, dessen Werke in über 25 Sprachen übersetzt wurden und der Millionen Fans in aller Welt begeistert? Der kanadische Autor Michael Coren zeichnet in dieser liebevoll bebilderten Biographie das bewegte Leben des Mannes hinter dem Mythos nach: seine ersten Lebensjahre in Südafrika, den tragischen frühen Tod seiner Eltern, Tolkiens Kindheit in England, seine große Liebe Edith und das Leben mit seinen Kindern. Lesen Sie über Tolkiens Jahre an der Universität Oxford, den literarischen Durchbruch, der sein Leben verändern sollte, und lernen Sie den Mann kennen, der über 50 Millionen Leser - und im Dezember 2001 auch zahllose Kinogänger des lang erwarteten ersten Teils der aufwändig verfilmten Trilogie "Der Herr der Ringe - Die Gefährten" - verzaubert!

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J. R. R. Tolkien

J. R. R. Tolkien

Der Mann, der

„Herr der Ringe“ erschuf

Michael Coren

HEEL

IMPRESSUM

HEEL Verlag GmbH Gut Pottscheidt 53639 Königswinter Tel.: 02223 9230-0 Fax: 02223 9230-26www.heel-verlag.de

Deutsche Ausgabe: © 2001 by Heel Verlag GmbH 2012 Sonderausgabe

Kanadische Originalausgabe: Stoddart Publishing Co. Ltd. 895 Don Mills Road Toronto, Canada M3C 1W3 Originaltitel: J.R.R. Tolkien – The Man Who Created The Lord Of The Rings © 2001 by Michael Coren

Deutsche Übersetzung: Mike Hillenbrand, Mülheim a. d. Ruhr Lektorat: Petra Hundacker, Antje Schönhofen, Bernd Perplies

Für David Mainse,

Inhalt

Vorwort

KAPITEL EINS Am Anfang

KAPITEL ZWEI Oxford und darüber hinaus

KAPITEL DREI Das Leben als Inkling

KAPITEL VIER Ein Loch im Boden

KAPITEL FÜNF Seine Lordschaft, der „Herr der Ringe“

KAPITEL SECHS Ein ganz normaler Lehrer

KAPITEL SIEBEN

VORWORT

OLKIEN hätte es sicherlich geliebt – und eine Reihe von eingebildeten und arroganten Leuten hat es ebenso sicher geärgert. Es spielt anscheinend keine Rolle, dass der Autor von „Der Herr der Ringe“ und „Der kleine Hobbit“ vor mehr als 20 Jahren gestorben ist. Noch immer scheint er in der Lage zu sein, einen Disput vom Zaun zu brechen – in diesem Falle einen regelrechten Streit!

Folgendes war geschehen: Als sich das 20. Jahrhundert seinem wohl verdienten Ende zuneigte, entschied eine bekannte Zeitschrift in Großbritannien, dass es nun an der Zeit sei, in einer groß angelegten Umfrage das beste Buch des ausklingenden Jahrhunderts zu küren. Über 25.000 Männer und Frauen gaben ihre Stimmen ab, und das Buch, das den weitaus größten Zuspruch erhielt, war J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“.

Als nun die Zeitschrift das Resultat ihrer Befragung veröffentlichte, entsprach es absolut nicht den Vorstellungen einiger Personen, die dieses Ergebnis daher auch sofort anzweifelten. Andere Zeitschriften und Buchhandlungen führten daraufhin – sowohl in Großbritannien als auch in den USA – ihre eigenen Umfragen durch. Die Resultate waren immer identisch: Tolkien gewann – jedes Mal.

Auch die in England hoch geschätzte „Folio Society“ entschloss sich nun, eine Befragung ihrer Mitglieder durchzuführen. Diese sollten allerdings nicht nur aus den Büchern des 20. Jahrhunderts, sondern aus Publikationen aller Epochen wählen. Vielleicht ist es ganz interessant darauf hinzuweisen, dass sich die rund 50.000 Mitglieder der „Folio Society“ aus durchweg belesenen Leuten zusammensetzen. Sie gelten als wahre Kenner guter Literatur und richten sich bei ihrer Meinungsbildung nicht nach aktuellen Trends. Und welches Buch wählten diese respektablen Literaturkenner? Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ schnitt ganz gut ab, ebenso Charles Dickens „David Copperfield“. Aber ganz oben auf der Liste stand auch hier ein gewisser Tolkien mit einem Buch namens „Der Herr der Ringe“.

Diese erneute Bestätigung des Ergebnisses gefiel den eingangs erwähnten Personen natürlich gar nicht. Ganz besonders laut meldeten sich jene zu Wort, die ständig im Fernsehen zu sehen und im Radio zu hören sind. Sie nennen sich Buchkritiker und bemühen sich nach Kräften, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

Spekulationen und Andeutungen tauchten auf: Die Umfragen seien nicht besonders sorgfältig durchgeführt worden, hieß es, oder die Ergebnisse schlicht und ergreifend gefälscht – gewagte Behauptungen. Doch die Anschuldigungen entsprachen nicht der Wahrheit und konnten entkräftet werden, was die Ankläger erzürnt zur Kenntnis nahmen und in einen ruppigeren Tonfall verfallen ließ.

Ein englischer Autor, zufällig nicht gerade ein Fan von Tolkien, merkte an, dass dieses Ergebnis vor allem zeige, warum es eine ziemlich schlechte Idee gewesen sei, dem Menschen das Lesen beizubringen und nun alle Büchereien besser geschlossen würden. Seine Aussagen sollten scherzhaft klingen, nur nahm man ihm den Humor darin nicht so recht ab ...

Andere Autoren und Kritiker attackierten Tolkien direkt und verspotteten seine Leser und seine Fans. Es schien fast so, als würden die Umfrage-Ergebnisse diese Menschen persönlich angreifen. Waren Sie etwa wütend darüber, dass ihre eigenen Favoriten in diesen Listen nicht an der erhofften Stelle auftauchten?

Man könnte die Angelegenheit als Verhaltensstudie einer selbst ernannten Elite betrachten. Diese Gruppen bestehen in der Regel aus wenigen, aber dafür einflussreichen Leuten, die der festen Meinung sind, sie wüssten ziemlich genau, was für alle anderen das Beste ist. Für gewöhnlich liegen sie mit dieser Einschätzung falsch. Aber die Tatsache, dass es Tolkien zu seinen Lebzeiten immer abgelehnt hatte, einer solch elitären Gruppe beizutreten, dürfte sie in diesem Fall besonders geschmerzt haben. Denn hier hatte nicht nur ein Buch einen großen Sieg errungen, sondern ebenso sein Autor.

J.R.R. Tolkien – der beliebteste Schriftsteller aller Zeiten

Nur um noch ein wenig Salz und vielleicht auch eine Spur Pfeffer in die Wunden dieser literarischen Snobs zu streuen, sei hier noch festgehalten, dass Tolkien kurze Zeit nach der Kontroverse um das beste Buch erneut für große Schlagzeilen sorgte. Als nämlich im Sommer des Jahres 2000 die Realverfilmung von „Der Herr der Ringe“ gedreht wurde, beschlossen die Produzenten des Films, einen kleinen Vorab-Trailer auf der offiziellen Film-Homepage zu veröffentlichen. Direkt am Erscheinungstag dieses recht kurzen Videoclips wurde dieser im Internet über 1,7 Millionen Mal heruntergeladen!

Dies waren doppelt so viele Downloads wie der bisherige Rekordhalter vorweisen konnte, bei dem es sich immerhin um „Star Wars – Episode I: Die Dunkle Bedrohung“ handelte und der aufgrund des riesigen Erfolgs der ersten drei Kinofilme eine enorme Publicity in den Medien genießen konnte. Dagegen wussten die meisten Leute nicht einmal, wer alles im „Der Herr der Ringe“- Film zu sehen sein würde oder wann das Leinwand-Abenteuer überhaupt in die Kinos kommen sollte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es offensichtlich: Tolkien war nicht nur ein großartiger Autor, man konnte mit ihm auch lukrative Geschäfte machen.

Da konnten sie noch so sehr schimpfen, jeder seiner Kritiker hätte wahrscheinlich alles dafür gegeben, um einmal so bekannt und erfolgreich zu sein, wie der Mann, auf den sie angeblich so tief hinabblickten.

Tolkien selbst strebte allerdings nie nach Ruhm oder Reichtum. Bei den Dingen, die er schätzte, handelte es sich um ein gutes Buch, eine leckere Pfeife und eine angenehme Unterhaltung. Ob in der Gesellschaft der Reichen und Berühmten oder in der von Armen und Unbekannten: Tolkien fühlte sich überall gleichermaßen wohl.

Und es ist durchaus vorstellbar, dass er – während all jene albernen Dinge geschahen – uns von einem Platz aus zusah, wo die Bücher noch besser, die Pfeifen noch leckerer und die Unterhaltungen weitaus angenehmer sind – und sich über all diesen Unsinn belustigte. Möglicherweise schmunzelte er amüsiert, während er in seinem Tabakbeutel wühlte und dabei einen Schluck von diesen wirklich beeindruckenden Getränken nahm, die dort oben serviert werden. Könnte es nicht sein, dass er einen kleinen Seufzer der Zufriedenheit ausstieß, der aus einem Teil in ihm stammt, der auf den Namen Frodo Beutlin hört.

Tolkien, du alter Held – du hast es wieder mal geschafft!

Dies ist nun die Geschichte von J.R.R. Tolkien. Von dem Mann, der so viel so gut schrieb, was viele von uns so berührte. Dies ist die Geschichte seiner Anfänge, seines Lebens und seines Endes. Es ist die Geschichte eines gewöhnlichen Menschen, der außergewöhnliche Dinge vollbrachte. Es ist aber auch eine Geschichte über Mütter und Väter, Söhne und Töchter. Und eine Geschichte über Gott und Religion, über große Freude, tiefes Leid, enge Freundschaft und eine unglaubliche Begabung.

Oh ja: Es ist natürlich auch die Geschichte von „Der Herr der Ringe“, eines der großartigsten Bücher, das je geschrieben wurde.

KAPITEL EINS

Am Anfang

ENN wir an Südafrika denken, denken wir an einen aufgewühlten und zerstrittenen Staat. Und genau das ist er auch. Aber unzählige Jahre lang war es noch viel schlimmer, als ein schreckliches und ungerechtes System die Macht innehatte, das wir unter dem Namen Apartheid kennen. Innerhalb dieses Systems wurden schwarze Menschen ohne Grund verhaftet, eingesperrt und mitunter auch ermordet. Nun, wo der Apartheid ein Ende bereitet wurde, befindet sich dieses wunderschöne Land in einem Prozess der Heilung, die aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, denn der Weg dorthin ist weit.

Tatsächlich hat Südafrika im Laufe seiner Geschichte selten Zeiten der Ruhe und des Friedens erlebt, was zuerst an den Stammeskriegen und anschließend an der Invasion durch die Europäer lag. Und sicherlich waren die Zeiten auch nicht gerade friedlich, als am 3. Januar 1892 John Ronald Reuel Tolkien in Bloemfontein in der Provinz Orange Free State geboren wurde.

Schon zu dieser Zeit war Südafrika zwischen mehreren Bevölkerungsgruppen aufgeteilt: zwischen Menschen mit schwarzer, brauner und weißer Hautfarbe. Und die letzteren waren es auch, die – obwohl zahlenmäßig in der Minderheit – die stärkste Macht im Land darstellten. Es war jene Bevölkerungsschicht, in die J.R.R. Tolkien hineingeboren wurde.

Um genau zu sein, waren es vor allem zwei weiße Gruppen, die das Land besiedelt und erschlossen hatten: Briten und die ehemals europäischen Afrikaner. Die weißen Afrikaner waren für gewöhnlich niederländischer Abstammung, allerdings fand man unter ihnen auch deutsche und französische Protestanten, die damals als Hugenotten bekannt waren. Sie benutzten eine Sprache, die dem Holländischen ähnelt, die aber auch einige Brocken anderer europäischer Sprachen enthielt und durch die zahlreichen afrikanischen Dialekte angereichert wurde. Diese weißen Afrikaner waren schon früh im 17. Jahrhundert nach Südafrika gekommen, doch die Briten hatten dann die komplette Region im 19. Jahrhundert erobert.

So lebten beide Gruppen mehr recht als schlecht nebeneinander und waren jederzeit bereit, aufeinander loszugehen. Die Spannungen eskalierten in blutigen Konflikten, die als die „Burenkriege“ bekannt wurden.

Es hat schon etwas Ironisches, dass Tolkien, der in seinem Benehmen und in seiner Ausstrahlung so absolut britisch war, so weit von England entfernt geboren wurde. Der Grund dafür waren natürlich seine Eltern, Arthur Reuel Tolkien und Mabel Suffield, die aufgrund von Arthurs beruflicher Tätigkeit nach Afrika kamen.

Arthur Reuel Tolkien hatte als Banker bei der Lloyds Bank in Birmingham, einer großen Stadt im Westen Englands, gearbeitet. Eine Tätigkeit, für die er wie geschaffen war und die auch gut bezahlt wurde. Doch der robuste und ambitionierte Arthur sah seine größten Karrierechancen in den Kolonien, und als er 1890 ein Angebot von der Bank of South Africa erhielt, griff er ohne zu Zögern zu und bekam zunächst einen durchaus prestigeträchtigen Posten, bevor er schließlich sehr viel später selber der Leiter einer großen Zweigstelle dieser Bank werden sollte.

Und wie war es mit Arthurs Frau Mabel? Sie war eine attraktive und intelligente junge Dame, die schon als Teenager ihren späteren Ehemann kennen lernte. Sie akzeptierte seinen Heiratsantrag im Alter von 18 Jahren, als er bereits 33 war. Doch aufgrund ihrer Jugend zögerte Mabels Familie die Heirat so lange hinaus, bis sie selbst älter und reifer geworden war. Während dieser Zeit durfte Mabel ihren Zukünftigen nur selten sehen, doch sie nahm es hin und wartete. Arthur und Mabel schrieben sich oft und trafen gelegentlich bei Gesellschafts- und Tanzabenden in Birmingham aufeinander. Mehr geschah nicht, schließlich befand man sich im viktorianischen England, und in London mochten die Uhren vielleicht langsam anders gehen, aber sowohl in den Vororten als auch im Binnenland und im Norden Englands wurden die Dinge noch immer sehr genau und recht steif betrachtet.

Ihnen blieb also nur ein verstohlenes Lächeln aus der Entfernung, eine kurze Berührung der Hände während einer Vorlesung, und das Höchste der Gefühle war das gemeinsame Verspeisen der leckeren Gurkensandwiches, die Mabel so gut zubereiten konnte.

Zwar hatten sie sich einander versprochen, durften sich aber nicht wie ein zukünftiges Ehepaar benehmen, was besonders Mabel sehr frustrierte. Nicht nur, dass sie ihren Verlobten von Herzen liebte, sie bewunderte ihn auch zutiefst. Er war ein Mann von Welt, hatte Charakter und Mut. Mit seinem dicken, herabhängenden Schnurrbart, der zu jener Zeit so populär war, seinem starken und muskulösen Körper und mit seinem Charme – mit dem er Mabel jederzeit zum Lachen und zum Träumen bringen konnte – war er der Prototyp eines erfolgreichen jungen Gentlemans im Königreich Queen Victorias.

Es war für sie schon hart genug, auf den Mann ihrer Träume zu verzichten, obwohl er nur ein paar Meilen entfernt wohnte. Aber stellen Sie sich vor, wie schmerzhaft es für sie wurde, als dieser Mann auch noch fortzog – und zwar nicht nur in ein anderes Land, sondern gleich auf einen anderen Kontinent! Arthur segelte allein nach Südafrika, festen Willens mehr aus sich zu machen, ehe er seine junge Verlobte heiraten würde. Und es gelang ihm. Schließlich schrieb er den entscheidenden Brief, in dem er Mabel schilderte, dass er nicht nur über ein Haus und eigene Diener verfügte, sondern sein Einkommen auch durchaus als solide bezeichnet werden konnte. Und dann fragte er sie, ob sie ihm nach Südafrika folgen wolle, um nun endlich seine Ehefrau zu werden. Natürlich tat sie es. Mit dem Segen ihrer Eltern buchte die inzwischen 21-jährige Mabel Suffield im Januar 1891 eine Passage auf einem großen, grauen und ziemlich dreckigen Schiff namens „Roslin Castle“, um ihrem neuen Zuhause entgegenzusegeln.

Stellen Sie sich den Unterschied vor, den Mabel verarbeiten musste. Sie, die aus dem Herzen der britischen Industrie in Birmingham stammte, sah sich nun den offenen und weiten Landstrichen Südafrikas gegenüber. Anstelle der dicken und dunklen Rauchwolken aus den alles überragenden Industrieschloten, entdeckte sie nun Staubwolken, die ein galoppierendes Gnu auf seinem Weg über die Steppen Afrikas aufwirbelte. Anstelle der engen und wie am Lineal gezogenen Reihen britischer Ziegeldächer erblickte sie die verrücktesten Bauwerke und um sie herum wild aussehende Burschen mit Gewehren, die auf ihren Pferden vorüberritten. Es roch nach Schmutz, schmeckte nach Gefahr und sie konnte die Unterschiede durchaus auch körperlich fühlen. Und was sie fühlte, gefiel ihr gar nicht. Sie konnte Südafrika nicht leiden.

Arthur hingegen mochte dies alles sehr. Das Land versprach ihm die Möglichkeiten, die er sich ersehnt hatte, und auch wenn sein geliebtes Kricket hier auf eine sehr aggressive Art gespielt wurde, so passte das doch zumindest mehr zu seinem Temperament als der zurückhaltende, britische Stil. Doch was immer Mabel auch über Südafrika dachte, sie war fest entschlossen zu bleiben und den Mann, auf den sie so lange hatte verzichten müssen, nicht wieder loszulassen. So heiratete sie am 16. April 1891 ihren Arthur in der Cape Town Cathedral. Nach viel zu kurzen Flitterwochen stieg das Paar in einen Zug, der sie 700 lange, heiße und zermürbende Meilen zurück nach Bloemfontein brachte.

Bloemfontein war – anders als Johannesburg oder Cape Town – niemals eine wichtige Stadt in Südafrika. Um 1890 herum konnte man sie eigentlich noch nicht einmal eine Stadt nennen. Die kleine Gruppe Englisch sprechender Menschen, die dort lebte, unterstützte einander nach besten Kräften, und jeder war bemüht, die Erinnerungen an die alte Heimat nicht verblassen zu lassen. All ihre Nachbarn waren freundlich, dennoch unterschied sich ihre Art zu leben völlig von der, die Mabel von ihrer Familie und von ihren Freunden zu Hause gewohnt war. Darum betrachtete sie Südafrika auch niemals als ihr neues Zuhause, sondern immer nur als einen vorübergehenden Aufenthaltsort. So gerne wäre sie nach Hause – nach England – zurückgekehrt.

Ihre schönsten Momente erlebte sie, wenn sie allein mit Arthur war. Wenn er ihre Hand nahm und mit ihr einen langen Spaziergang unternahm, wenn er ihr auf dem Piano etwas vorspielte und sang, dann schien es keine Rolle zu spielen, wo sie waren: Sie liebten sich einfach. Und als logische Konsequenz ihrer innigen Romanze wurde bald darauf ihr erstes Kind geboren. Dieses Kind war John Ronald Reuel Tolkien, der Held unserer Geschichte.

Der Name John stammte von Tolkiens Großvater, Reuel war der mittlere Name seines Vaters Arthur, aber wo der Name Ronald herkommt, wissen wir nicht. Ironischerweise war es gerade der Name Ronald, mit dem seine Familie und seine Freunde ihn zuerst riefen, auch wenn sich das im Laufe der Jahre ändern sollte. Seine engen Freunde nannten ihn später einfach nur Tolkien oder Tollers. Das war aber später.

Erst einmal war er ein unheimlich niedliches Baby. So, wie es halt alle Babys einmal sind, was allerdings auch die einzige Gemeinsamkeit mit den meisten anderen Babys sein dürfte. Die Zeit in Südafrika war in vielen Belangen für ihn außergewöhnlich. Da war zum Beispiel der Zwischenfall, als ein Affe über den Gartenzaun kletterte, die meisten Sachen von der Wäscheleine herabzog und sie zerriss. Oder später seine Begegnung mit einer vermeintlich harmlosen Spinne – die ihn dann biss. Die ungefährliche Spinne stellte sich als hochgiftige Tarantel heraus, und wenn nicht ein aufmerksamer Diener rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre, der das Gift geistesgegenwärtig aus der Wunde saugte, hätte weder Tolkien noch der „Herr der Ringe“ eine glorreiche oder überhaupt eine Zukunft vor sich gehabt! Spinnen sind in Tolkiens Büchern auch ziemlich eindeutig charakterisiert – und es ist keine Kunst zu erraten, warum dem so ist.

Das Stadtleben entsprach nicht gerade dem europäischen Standard. Man sah oftmals ganze Scharen eingeborener Jäger durch die Straßen ziehen, die, bis zu den Zähnen bewaffnet, auf der Jagd nach wilden und gefährlichen Tieren waren, um sie zu töten, ehe ihnen ein Mensch zum Opfer fallen konnte.

Abgesehen davon führte die junge Familie jedoch ein gutes Leben. Die Sonne schien die meiste Zeit über, es stand immer genug zu Essen auf dem Tisch, und Arthur war weiterhin erfolgreich in seinem Job. So erfolgreich, dass sich die Tolkiens Gedanken über ein weiteres Kind machten. Im Februar 1894 wurde schließlich Hilary Arthur Reuel geboren. Hilary schien eindeutig besser nach Südafrika zu passen. Er wuchs schneller und komplikationsloser heran als sein älterer Bruder und litt auch nicht so sehr unter der Hitze und dem unkonventionellen Leben. Tolkien dagegen erkrankte schwer, kaum dass er einen Schritt vor den anderen setzen konnte. Er wurde so krank, dass seine Eltern vor Sorge schier verzweifelten.

Ihnen blieb nichts anderes übrig, als nach England zurückzukehren, wo nicht nur die Familie größer, die medizinische Versorgung fortgeschrittener, sondern auch das Wetter wesentlich angenehmer war. Obwohl in Afrika ständig die Sonne schien, war es dennoch eine trockene und raue Gegend. Mitunter wurde es dort so heiß, dass kranke oder schwache Menschen kaum noch in der Lage waren zu atmen. Eindeutig keine gute Gegend für ein krankes Kind. Das Problem war nur, dass es in jener Zeit keinen Luftverkehr gab, und eine Schiffsreise von Afrika nach England war nicht nur sehr lang, sondern auch sehr teuer. Arthur konnte weder seine Arbeit für eine Reise nach England im Stich lassen, noch hatte er das Geld dazu. Mabel musste also alleine mit ihren beiden Söhnen aufbrechen.