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Valerie Grosvenor Myer

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Beschreibung

Jane Austen (1775–1817) hat in ihrem kurzen Leben sechs Romane veröffentlicht, die zu den unvergänglichen Werken der Weltliteratur gehören. Valerie Grosvenor Myer geht in ihrer Biographie u. a. den Fragen nach, woher Jane Austen in ihrem engen, äußerlich ereignislosen Dasein als unverheiratete Pfarrerstochter ihre Stoffe genommen hat und wie sie sich als Schriftstellerin in der damaligen Zeit hat durchsetzen können. Eine genaue, sehr amüsant zu lesende Biographie, deren Reiz noch erhöht wird durch anschauliche Beschreibungen des Lebens und der gesellschaftlichen Konventionen in England im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 449

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Valerie Grosvenor Myer

Jane Austen

Ein Leben

Aus dem Englischen von Christine Frick-Gerke

FISCHER Digital

Inhalt

Für Jean GooderIch habe nun die [...]DanksagungVorwort1 Wie war sie?2 Ursprünge3 Geschwister und Gesellschaft4 Erziehung5 Liebeleien und Skandale6 Der Heiratsmarkt7 Brüder und deren Frauen8 Schmetterling und Schürhaken9 Tanzen und Einkaufen10 Exil11 Bath12 Lyme und Bath13 Stoneleigh Abbey14 Southampton15 Besuche16 Trauer in Godmersham17 Neubeginn18 Chawton19 Veröffentlichung20 Ein Bestseller21 Ein kurzer Friede22 Königliche Gunst23 Schiffbruch, Bankrott und andere Mißgeschicke24 WinchesterAnhangZitateAuswahlbibliographieRegister

Für Jean Gooder

Ich habe nun die wahre Kunst des Briefeschreibens erreicht, die ist, wie es immer heißt, auf dem Papier genau auszudrücken, was einer zu derselben Person durch Wort und Mund sagen würde; ich habe diesen ganzen Brief über zu Dir, so schnell ich konnte, geredet.

Jane Austen an ihre Schwester Cassandra, 5. Januar 1801

Danksagung

Für großzügige Hilfe und Unterstützung danke ich Tom Carpenter, Keith Crook, Rodney Dale, Sylvia Greybourne, David Keane, Gina Keane, Jascha Kessler, Susan McCartan, Derek McCulloch, Ken May, Brian Sibley, Ken Turner, David Weeks and Margaret Wilson. Yvonne Holland hat mir als Lektorin mit Einfallsreichtum und Feingefühl einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Für sein präzises Korrekturlesen, seine innige Kenntnis der Welt Jane Austens und seinen Beistand bin ich meinem Mann, Michael Grosvenor Myer, dankbar.

Vorwort

Jane Austen lebte immer in finanziell unsicheren Verhältnissen und war auch in der Gesellschaft weniger gesichert, als viele Leserinnen und Leser ihrer Romane bisher annahmen. Sie gehörte nicht zur besitzenden Klasse, sondern zum oberen Ende jener Mittelschicht, deren Angehörige einem Beruf nachgingen. Ihr ganzes Leben lang war sie die arme Verwandte. Sie verkehrte mit reicheren Nachbarn und besuchte ihre begüterte Verwandtschaft, hatte durchaus Einblick in die Lebensgewohnheiten der Wohlhabenden. Diese unterschieden sich jedoch sehr von ihren eigenen. Zu Hause herrschte vornehme Armut, besonders nachdem ihr Vater sich zur Ruhe gesetzt hatte. Es war das Leben einer Randfigur mit Bick ins Innere der feinen Gesellschaft. Genaugenommen war sie nicht einmal »Miss Austen«. Als jüngere Tochter, die weniger galt als die ältere, ihr vorgesetzte Schwester, war sie nur »Miss Jane Austen«. Die Ältere hatte den Vortritt. Ihre engsten Familienangehörigen besaßen Bildung, Energie und Beziehungen zum Adel, aber wenig Geld. Sie waren immer in finanziellen Schwierigkeiten. Als alleinstehende Frau ohne Barschaft spielte Jane Austen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle. Ihre fragwürdige Stellung prägte ihre Ansichten, und die Briefe, die von ihr erhalten sind, lassen Augenblicke der Bitterkeit erkennen. Den Heiratsantrag eines reichen Mannes wies sie zurück, weil ihr eigensinniges Herz nur eine wirkliche Liebesheirat zuließ. Ihr Leben war voller Enttäuschung und Entbehrung, nur in ihren letzten Jahren konnte sie ein wachsendes Ansehen als Schriftstellerin genießen. Ihre kritische Einschätzung anderer Schriftsteller zeigt, wie sehr sie sich des eigenen Könnens bewußt war; daß sie nicht mehr damit verdiente, grämte sie. Sie bezichtigte sich der »Geldgier« und neidete dem bereits reichen und berühmten Dichter Walter Scott seine zusätzliche Position als Romanschriftsteller. Die Anerkennung kam spät in ihrem kurzen Leben. Zu ihren Lebzeiten erschienen nur vier ihrer Bücher, alle anonym.

Valerie Grosvenor Myer, 1997

1 Wie war sie?

Jane Austen galt durchaus als hübsch. Sie war anziehend, vom Äußeren und vom Wesen her. Das einzige Porträt mit verbürgter Echtheit stammt von ihrer älteren Schwester Cassandra, eine laienhafte aquarellierte Bleistiftzeichnung, die sich heute in der National Portrait Gallery in London befindet. Allerdings zeigt Cassandras Zeichnung eine Frau mit einem eher herben als gefälligen Gesicht; die Augen unter den deutlich gezeichneten Brauen sind groß und wunderschön; aufmerksam sind sie auf einen Punkt links außerhalb des Bildes gerichtet. Unter der Haube drängt lockiges Haar hervor. Doch um die Mundwinkel hat die Dargestellte einen enttäuschten Zug, und der Mund selbst ist schmal und verkniffen; ein wenig wirkt sie wie ein in die Enge getriebenes kleines Tier. Ihre Nichte Anna Austen Lefroy, Tochter ihres ältesten Bruders, fand dieses Porträt häßlich und unähnlich.

Cassandra hat ein weiteres, noch rätselhafteres Bild von Jane gezeichnet, eine aquarellierte Bleistiftskizze: Rückansicht im blaßblauen Kleid; darauf ist ihr Gesicht fast vollständig von einer großen blauen Haube verdeckt.

Ein zeitgenössischer Schriftsteller fand, als sie jung war, seien ihre Wangen »ein bißchen zu voll« gewesen, doch allgemein galt sie als gutaussehend; ihr Teint soll fein und von kräftigen Farben gewesen sein, eher bräunlich als blaß. Sie hatte rotbraune Naturlocken. Eine dieser Locken existiert noch, doch mit der Zeit ist sie verblichen. Die Nase war schmal und womöglich ziemlich lang, wie die von Mutter und Schwester.

1944 fand ein Buchhändler in einem Exemplar der zweiten Auflage von Mansfield Park (1816; die Erstausgabe erschien 1814) den Schattenriß eines Kopfes. Leider enthielt der Band weder ein Exlibris noch einen anderen Hinweis auf den Besitzer, doch unter dem Schattenriß stand in unbekannter Handschrift »L'aimable Jane«. Damit kann keine der Romanfiguren gemeint sein, denn es gibt zwar eine Jane Bennet in Pride and Prejudice und in Emma Jane Fairfax, doch keine Jane in Mansfield Park. So könnte es sich bei diesem die Phantasie anregenden Profil um ein Porträt Jane Austens handeln. Ihre Nichte Caroline Austen, Annas Halbschwester, fand, ihre Tante Jane sei die erste Frau gewesen, die ihr wirklich auffallend hübsch vorgekommen sei. Die junge Frau auf dem Schattenriß ist gewiß ausgesprochen hübsch, und wohl unter dreißig Jahren alt. Ihr Gesicht wirkt klar, ausgewogen durch einen kleinen, adretten, hochsitzenden Knoten, eine anmutige Halspartie, einen hohen, festen Busen. Wahrscheinlich trägt sie eine Halskette.

Ein anderer Schattenriß aus dem Besitz des Domkapitulars von Winchester, »angefertigt wohl von ihr selbst 1815«, zeigt eine Frau mit der typischen Austen-Nase und ohne die Haube, die sie sonst gewöhnlich trug.

Auch ein ganzfiguriges Jugendbildnis – womöglich ein Werk Johann Zoffanys (gestorben 1810) – wurde lange Zeit für ein Porträt Janes gehalten, doch Kostümwissenschaftler datierten es auf 1805, als Jane bereits dreißig war. Damals starb Janes Vater, und sie und ihre verwitwete Mutter waren arm; es ist unwahrscheinlich, daß sie sich einen der modischen Porträtisten leisten konnten. Womöglich handelt es sich bei dem Künstler auch um Ozias Humphrey (oder Humphreys oder Humphries) und bei dem Porträt tatsächlich um Janes Gesicht, doch die Gesichtsform ähnelt jener in Cassandras Zeichnung nicht im geringsten. Das hier gezeigte Gesicht ist rund, ohne das spitze Kinn, das Cassandra festgehalten hat. Möglich ist auch, daß es sich um das Bildnis einer jüngeren, entfernten Cousine gleichen Namens handelt.

Als Reverend James-Edward Austen-Leigh, Janes Neffe, 1869 sein (auf 1870 datiertes) Memoir – seine Erinnerungen an seine Tante – veröffentlichte, äußerte sich Mrs. Charlotte Maria Beckford, die als Kind die Schriftstellerin – damals in mittleren Jahren – gekannt hatte, enttäuscht über das Porträt auf dem Frontispiz. Ein Mr. Andrews aus Maidenhead hatte Cassandras Original als Vorlage für ein süßliches Miniaturaquarell benutzt: die Augen größer, der Mund brav lächelnd. Dieses Bild war in jeder Hinsicht eine Fälschung: Weder gab es Aufschluß über Janes Wesen noch über ihr Aussehen. Noch schlechter war die Stahlstich-Version des von Mr. Andrew entstellten Bildes: Darauf wirkte sie eher hochnäsig als wach – eine sentimentale viktorianische Figur in nun mit Spitzen und Schleifen verschönter Haube. Leider wird diese Fälschung immer noch abgebildet. Nur Haltung und Kleidung ähneln noch Cassandras Skizze einer wachen, aufmerksamen Dame des Regency. Mrs. Beckford hatte statt dessen eine große, schmale Person in Erinnerung, mit auffallenden Backenknochen, die Wangen rot und die blitzenden Augen nicht groß, aber vergnügt und klug. Sie behauptete, Janes Gesicht sei ganz und gar nicht so breit und rundlich gewesen wie auf Abbildungen. Im Gedächtnis geblieben war ihr auch Janes bissiger Humor und ihre Beliebtheit bei Kindern, an deren Spielen sie sich beteiligte, was auch Janes Nichten bestätigten.

Vielleicht geben zwei Porträts ihrer Nichte Anna Austen Lefroy auch über Janes Aussehen Aufschluß. Anna glich ihrer Tante, beide besaßen den bräunlichen Teint, kastanienbraunes Haar, haselnußbraune Augen, eine ähnliche Figur. Anna glich auch Janes Brüdern, von denen zutreffende Porträts erhalten sind, und Mrs. Beckfords Beschreibung paßt auf sie. Bekannt ist, daß Jane einen leichten, festen Gang hatte und eine angenehme Stimme – sie war eine hervorragende Vorleserin. Nur das wirkliche Gesicht bleibt verschollen. Dennoch existieren genügend Zeugnisse, um die wirkliche Frau faßbar zu machen; sie war ungewöhnlicher und ungezwungener, als man bisher annehmen durfte.

Jane führte das eingeschränkte Leben eines unverheirateten Fräuleins. Sie wußte, was sich schickte, obwohl die Welt um sie herum durchaus gewalttätig und sittenlos war. In ihrem Geburtsjahr 1775 hatte Amerika seine Unabhängigkeit erkämpft, und der Sturm auf die Bastille, der Höhepunkt der Französischen Revolution, fand statt, als sie dreizehn war. Während eines Großteils ihres Erwachsenenlebens befand England sich am Rand der Revolution und führte Krieg gegen Frankreich. Eine Invasion war nicht auszuschließen. In England waren Stadt und Land weder sicher noch friedlich. Der Prinz von Wales und sein Bruder, der Herzog von York, wurden am hellichten Tag am Londoner Berkeley Square überfallen. Schätzungen vermuteten 100000 Gewalttäter allein in London. Straßenräuber lauerten am Wege durch Hounslow Heath. Diebe wurden öffentlich gehängt. Am 23. Februar 1807 wurden drei Gewalttäter vor 40000 Schaulustigen gehängt. 1813 wurden siebzehn »Maschinenstürmer« in York öffentlich hingerichtet.

So untadelig Jane sich verhielt, sie genoß Klatsch und Sensationsgeschichten. Mit Vergnügen las sie die Schauerromane, die sie in Northanger Abbey persifliert. Ihr Humor war handfest, und nur zu gern schockierte sie ihre prüdere Schwester Cassandra mit extremen Ansichten. Schon als junges Mädchen nahm sie kein Blatt vor den Mund, schrieb unbekümmert über Themen wie Geschwisterneid, Trunksucht, Ehebruch, Verführung, uneheliche Geburt, Elend, Selbstmord, Geldheirat, Mord, Gefängnis, Todesstrafe, Mißbildung, Sprachbehinderung, galoppierende Schwindsucht, Fangeisen, Körperverletzung. In Sense and Sensibility findet ein Duell statt, in Mansfield Park kommt Unzucht vor, in Emma Sklaverei, in Pride and Prejudice Prostitution.

Jane war eifrige Zeitungsleserin. Sie erwähnt ihre »politischen Korrespondenten«, mit denen sie die Tagespolitik diskutierte – was gäbe man für diese Briefwechsel. Die Briefe, die erhalten sind, besonders jene an ihre Schwester Cassandra, sind voller Klatschgeschichten, Neuigkeiten aus der Familie und gelegentlichen zornigen, auch gehässigen Ausbrüchen. Zuweilen sind sie von epigrammatischer Schärfe: »Lady Elizabeth und Annamaria kamen heute morgen; jawohl, sie kamen, aber mehr gibt es über sie nicht zu sagen. Sie kamen und sie saßen und sie gingen.« Auch ihre Bekanntschaften kommentierte sie mit spitzen Bemerkungen, und daß sie nicht reich war, bemerkte sie wiederholt mit Bedauern. Glücklicherweise hat Cassandra in ihrer Voraussicht Janes Briefe aufbewahrt. Im Alter unterzog sie diese jedoch einer strengen Zensur und verbrannte die meisten. Der größere Teil der Briefe wurde vernichtet, und aus den erhaltenen wurden Stücke herausgeschnitten.

Janes Nachfahren, besonders die, die bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts lebten, bestritten, daß die gehässigen Briefpassagen, der beißend satirische Ton der Romane dem wahren Wesen der Autorin entsprächen. Sie bemühten sich, sie zur vornehmen Dame zu stilisieren, hoben ihre betulichen, sanften Seiten hervor und ignorierten die bissige Ader, die uns fasziniert. Sie unterzogen ihre Briefe einer strengen Zensur und verfälschten ihr Bild. Jane Austen war härter, streitbarer und bitterer gewesen, als sie wahrhaben wollten.

Janes Briefe offenbaren dennoch, wie sehr sie Annehmlichkeiten, Eleganz und Luxus bei ihrem reichen Bruder Edward auf Godmersham Park schätzte und neidete. Edward war – wie Fanny Price in Mansfield Park – von reichen Verwandten namens Knight adoptiert worden. Edward war der Vater der ältesten und bevorzugten Nichte Jane Austens, Fanny Knight, der späteren Lady Knatchbull. Mit fünfundachtzig schrieb Fanny ihrer jüngeren Schwester Marianne:

Ja, meine Liebe, wie wahr doch, daß Tante Jane aus verschiedenen Gründen nicht so vornehm war, wie es ihrem Talent entsprach, und hätte sie fünfzig Jahre später gelebt, hätte sie in mancherlei Hinsicht mehr unserem feineren Geschmack entsprochen. Sie waren nicht reich, und die Leute, mit denen sie hauptsächlich verkehrten, waren nicht alle hochwohlgeboren, oder kurz, kaum mehr als mediocre, und wenn auch in den geistigen Fähigkeiten und Kultur überlegen, waren sie, was Vornehmheit angeht, auf gleicher Ebene – doch ich denke, daß sie im späteren Leben mit Mrs. Knight verkehrten (die ihnen sehr zugetan war), war für beide von Vorteil, und Tante Jane war zu klug, nicht alle möglichen Anzeichen von »Gewöhnlichkeit« abzulegen (wenn so ein Begriff erlaubt ist) und sich zu größerer Vornehmheit zu erziehen, zumindest im allgemeinen menschlichen Verkehr. Beide Tanten (Cassandra und Jane) wurden in vollständigster Unkenntnis der Welt und der Sitten erzogen (ich meine gute Manieren etc.), und wenn Papas Ehe sie nicht nach Kent gebracht hätte und Mrs. Knight nicht in ihrer Freundlichkeit die eine oder andere der Schwestern recht oft zu sich genommen hätte, wären sie, wenn auch nicht weniger gescheit und angenehm an sich, sehr weit unter Standard geblieben, was gute Gesellschaft und Sitten angeht.

Mrs. Knight hatte Fannys Vater, Jane Austens Bruder Edward, im Alter von sechzehn Jahren als Erben adoptiert. Anders als ihre Tanten war Fanny in Reichtum und Komfort aufgewachsen. Es ist fraglich, an welcher Art Feinheit es der wählerischen Jane Austen mangelte und welche Art »Gewöhnlichkeit« sie ablegen sollte. Jane kritisierte in einem Brief vom November 1813 eine Mrs. Britton: »Sie amüsiert mich sehr mit ihrer affektierten Vornehmheit und Eleganz.« Gleichzeitig bewunderte sie Lady Honeywood »wegen ihrer umgänglichen, gutgelaunten und unaffektierten Art«. Was ließe sich gegen diese Auffassung von guten Manieren einwenden?

Womöglich erinnerte sich Lady Knatchbull daran, daß Jane und Cassandra Stelzschuhe trugen, auf Eisenringen befestigte Holzsohlen, damit die eigentlichen Schuhe nicht mit Matsch und Nässe in Berührung kamen. Später waren Stelzschuhe Arme-Leute-Schuhe. Vielleicht hatte Jane eine altmodische Aussprache? Ihr Bruder Henry, Oxford-Student, rühmte ihre angenehme Sprechweise, und ihre Eltern sprachen sicher gut und korrekt; sie sprach wohl keinen Hampshire-Dialekt. Eine reine Aussprache hatte bei den gebildeteren Frauen des niederen Adels im achtzehnten Jahrhundert einen hohen Stellenwert. Die Töchter ihres Bruders James, Anna und Caroline, die ihr beide von Herzen zugetan waren, betonten Janes angenehme Umgangsformen. Zugegeben, ihre Garderobe ließ wegen Geldmangels zu wünschen übrig. Doch Lady Knatchbulls Unbehagen gründet tiefer. Peinlich berührt von ihrer Tante Jane Austen, rühmt Lady Knatchbull ihre eigenen Verdienste als (adoptiertes) Mitglied der wohlhabenden Knights, obwohl ihre Großmutter väterlicherseits, Mrs. Austen, geborene Leigh, tatsächlich aristokratischer Herkunft war. Lady Knatchbulls Mutter war die Tochter eines Barons und hatte teure Schulen besucht, vielleicht fand sie Jane provinziell oder kam nicht mit ihrer spitzen Zunge zurecht. Fannys Cousine Anna zufolge galt die unverheiratete Tante Jane als nicht ganz standesgemäß. Sie wurde im wohlhabenden, wohlerzogenen, aber unintellektuellen Godmersham, wo Fanny aufwuchs, eher geduldet als geschätzt. Dennoch war sich Fanny des Talents der Tante so sicher, daß sie fünfzig Jahre nach Janes Tod ihrer Schwester Louisa noch einmal Pride and Prejudice vorlas.

Herzlos und versnobt schilt die Nachwelt dieses fragwürdige Urteil, das Lady Knatchbull sich anmaßte. Dabei war Jane für die spätere Generation wohl einfach zu direkt. Fanny Knatchbulls Brief dokumentiert den Wandel vom Regency zum viktorianischen Zeitalter, als sich, von der starken evangelischen Bewegung innerhalb der anglikanischen Kirche beeinflußt, die Mittelschicht zunehmend vom fluchenden, gotteslästerlichen Proletariat abgrenzte und »Grobheit« oder »Rohheit« peinlich mied. Unanständiges Reden hieß in feiner Gesellschaft »Billingsgate« – der Name des Fischmarkts, dessen Händler berühmt waren für ihre Flüche.

Gelegentlich entsetzten sich Jane und Cassandra über die heitere Gleichgültigkeit, mit der ihre Mutter die Grenzen des guten Geschmacks überschritt: Sie hielten sie für fähig, im Wohnzimmer vor Besuchern Strümpfe zu stopfen. Als Großnichte des Herzogs von Chandos hatte Mrs. Austen vielleicht unter Stand geheiratet und konnte sich deshalb über kleinliche Vorstellungen von Benehmen und Schicklichkeit mit aristokratischer Ungerührtheit hinwegsetzen. 1805 beschrieb Jane Austen eine Bekannte als bedeutend »feiner« als die dazugehörigen Eltern – eine Entwicklung, die sie auch bei anderen jungen Damen beobachtet hatte. Sie benutzt das Wort ohne Ironie als uneingeschränktes Lob. In der Höflichkeit machte sich der Fortschritt bereits bemerkbar. Als Fanny Knatchbull ihrer jüngeren Schwester Marianne jenen unrühmlichen Brief schrieb, hatte der Begriff »fein« seine einstige Bedeutung eingebüßt. Heute impliziert er die gekünstelte Sorge um geschliffene Manieren und den zwanghaften Gebrauch von Euphemismen.

Die Prüderie breitete sich in England bereits ab 1780 aus, als der Begriff »schwanger« (engl. pregnant) als höflicher galt als der traditionelle Ausdruck »mit Kind«; statt »im Kindbett liegen« oder »entbinden« sprach man von »Niederkunft« oder nahm Zuflucht zu französischen Begriffen wie »accouchement«. In ihren Briefen zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts benutzte Jane Austen ungeniert die älteren Formen. Doch bereits 1818, ein Jahr nach ihrem Tod, veröffentlichte Dr. Thomas Bowdler seinen von allen Anstößigkeiten gereinigten Family Shakespeare. Das Spektrum angemessener Gesprächsthemen schrumpfte im Verlauf des zunehmend zimperlichen Jahrhunderts.

Eine andere Erklärung für Lady Knatchbulls Befremden ist vielleicht Jane Austens lebhafte Art. 1838 erinnerte sich der 1791 geborene Fulwar-William Fowle: Sie war »hübsch, gewiß hübsch – leuchtend, hatte viel Farbe im Gesicht – wie eine Puppe – nein, das trifft es ganz und gar nicht, denn sie war so ausdrucksvoll – fast wie ein Kind, sehr lebhaft und humorvoll – liebenswert, allerliebst …« Fulwar-William fand sie anziehend, ungestüm und reizend. Aber Ausdrucksstärke war keine von viktorianischen Gesellschaftsdamen geschätzte Eigenschaft. Stolze Zurückhaltung, eisige Ungerührtheit waren Mode.

Noch weniger mögen Lady Knatchbull die Themen gefallen haben, welche die Tante in ihren Briefen anschnitt. So schrieb sie 1814 aus London: Ihre kleine Nichte Cassandra, die älteste Tochter ihres Bruders Charles, habe hoffentlich »vergangene Nacht mein Bett komfortabel gefunden und keine Flöhe hinterlassen«. Im nächsten Brief resigniert sie: »Wenn Cassandra mir Flöhe ins Bett gesetzt hat, ist sie gewiß auch selbst gebissen worden.« Womöglich ein Scherz, oder vielleicht hatte das damals achtjährige Mädchen tatsächlich Flöhe. In keinem Fall wäre Lady Knatchbull darüber amüsiert gewesen. Allein eine Anspielung auf Parasiten hätte ihr Naserümpfen hervorgerufen.

Zwei Tage nach ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag schrieb Jane Austen an Cassandra: »Meine Mutter ist gut beisammen, ihr Appetit und ihre Nächte sind sehr gut, aber der Darm ist noch nicht gänzlich in Ordnung, und manchmal klagt sie über Asthma, Wassersucht, Wasser in der Brust, und ein Leiden der Leber.« Als Lady Knatchbulls Sohn, der Erste Lord Brabourne, 1884 Janes Briefe für die Veröffentlichung vorbereitete, verbannte er die Hinweise auf Darm und Flöhe – auch Mundgeruch und Schwangerschaft fanden bei ihm keine Gnade. Er zensierte Janes mißmutige Bemerkungen über ihren Bruder James und milderte ihren Zorn darüber, wie aus verheirateten Frauen Gebärmaschinen wurden. Er beteuerte, in Briefen und Gesprächen innerhalb der Familie Austen sei »gutmütige Satire« zwar an der Tagesordnung gewesen, dahinter stecke jedoch keinerlei Boshaftigkeit. Niemand, so betonte er, ging in Wirklichkeit mit anderer Leute Gefühlen gutherziger und rücksichtsvoller um als Jane. Lord Brabourne fürchtete wohl, seine berühmte Großtante hätte in dieser Hinsicht einige Abbitte zu leisten, sonst hätte ihm die Diskrepanz zwischen Augenschein und angeblicher »Wirklichkeit« nicht solche Sorgen bereitet. Nur zu oft zerriß sich Jane in ihren Briefen gehörig den Mund über ihre Nächsten.

Jane wuchs im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts auf, als man noch kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchte. Sie war umgeben von klugen und interessanten Verwandten, die offen, kultiviert und unmißverständlich ihre Ansichten kundtaten, in Gesprächen wie in Briefen. Ihre Mutter verfaßte gern gereimte Grüße, ihr Vater war klassisch gebildet, und ihr älterer Bruder gab eine satirische, der Tory-Politik nahestehende Zeitschrift heraus, in der die sentimentale Literatur jener Tage parodiert wurde. Janes früheste Werke waren ähnlich komische Parodien. Ihre reiferen Werke sind soziale Komödien, die, nach Überwindung aller Schwierigkeiten und Mißverständnisse, mit der Ehe enden. Ihre positiven Heldinnen werden mit liebevollen Ehemännern belohnt, die negativen bleiben allein oder landen in schlechten Ehen. Wunschdenken und Kränkungen mögen Janes Schreiben zugrunde liegen. Aus den Romanen der »lieben Jane«, die so verletzend sein konnte, wurde beides herausgelesen. Nach ihrem Tod schrieb ihr Bruder Henry: »Obwohl die Fehltritte, Schwächen und Torheiten anderer ihrem Blick nie entgingen, hat sie nie gewagt, solche Fehler mit Unfreundlichkeit zu kommentieren.«

Henry sagte die Unwahrheit, wohl um den Ruf seiner Schwester zu schützen. Womöglich kannte er auch ihren bitterbösen schwarzen Humor in den Briefen an Cassandra nicht. Zu gern machte sie sich auf Kosten anderer lustig, verschonte nicht einmal eine Bekannte, »die gestern mit einem toten Kind niederkam« – einer Frühgeburt infolge eines Schocks. Jane verstieg sich zu der Bemerkung, der Schock der Mutter sei durch den Anblick des Ehemanns ausgelöst worden eine entsetzliche Taktlosigkeit. Über tote Kinder macht man keine Scherze. Manche ihrer Bewunderer werten solche geschmacklosen Bemerkungen als »Ausrutscher«, als untypisch für die »liebe« Jane. Aber sie zeigen einen wichtigen Aspekt ihrer Persönlichkeit. Jane konnte Menschen grausam aburteilen, wirklich existierende Menschen, mit denen sie verkehrte; und ihre erfundenen Romanfiguren stellte sie in all ihrer Entsetzlichkeit dar.

Dennoch war Jane auch warmherzig. Sie und die drei Jahre ältere Cassandra liebten einander innig. Beide waren nur zwei Jahre zur Schule gegangen, hatten dabei wenig Möglichkeiten gehabt, jene Schul- und Studienfreundschaften zu knüpfen und zu pflegen, die für spätere Frauengenerationen so wichtig wurden. Der emotionale Abstand zu den Eltern war zu ihrer Zeit oft beträchtlich, und die Familien waren groß. Also waren es die Kinder, die sich zu eng verwobenen Gruppen zusammenschlossen. Jane pflegte die Freundschaft zu ihren Vettern und Cousinen ersten Grades, die nach ihrer Ansicht gleich nach den Geschwistern rangierten. Ihre Verwandten betonten, wie sehr sie an ihrer Familie hing, doch wenn auch Jane Austens Familie nicht wegzudenken ist, muß man dem Bild, das diese Familie von ihr überliefert hat, eine gehörige Prise Salz beifügen.

2 Ursprünge

Jane Austen wurde am 16. Dezember 1775 geboren. Ihre Mutter hatte eine lange, schwere Schwangerschaft überstanden, schließlich kam das Kind einen Monat später als erwartet. Der glückliche Vater, Reverend George Austen, beschrieb sie als »gegenwärtig ein Spielzeug für ihre Schwester Cassy und später eine Gefährtin«. Er schrieb seiner Schwägerin:

Sie haben zweifellos schon seit einiger Zeit Nachrichten aus Hampshire erwartet und vielleicht ein bißchen gestaunt, daß wir auf unsere alten Tage solch schlechte Rechner geworden sind, aber so war es, denn Cassy erwartete gewiß schon vorigen Monat, ins Kindbett zu geraten: dennoch war es letzte Nacht an der Zeit und ohne große Warnung war bald alles glücklich vorbei. Wir haben jetzt noch ein Mädchen … Sie soll Jenny sein …

Geburten zu berechnen war in jenen Tagen wichtig, als es noch keine chemischen Schwangerschaftstests gab. Die Austens hätten darin bereits eine gewisse Übung haben können, denn dies war Mrs. Austens siebte Niederkunft. Das kleine Mädchen, das später weltberühmt werden sollte, wurde im Familienkreis Jenny genannt, gängige Koseform für Jane. Kosenamen waren üblich: von Janes Brüdern hieß James »Jemmy«, Edward war »Neddy« und Francis »Frank«.

»Alt« war George Austen nur, was seine Erfahrungen im Vater-Werden betraf; als Jane zur Welt kam, war er Mitte Vierzig. Er stammte aus einer alten, in Kent ansässigen Familie, ursprünglich Wollstoffabrikanten und unter der malerischen Bezeichnung »die Grauen Röcke von Kent« bekannt. Georges Vorfahre John Austen aus Horsmonden, Kent, wurde 1584 mit Joan Berry verheiratet. Bei seinem Tod besaß John Ländereien in Kent und in Sussex. John und Joan gründeten eine große Familie. Einer ihrer Söhne, Francis Austen (1600–1687), errichtete eine Manufaktur und hatte so viel Erfolg, daß er zwei Herrenhäuser im Tudorstil kaufte, Grovehurst und Broadford, die an die nachfolgenden Generationen gingen. Francis' Sohn John heiratete Jane Atkins und zeugte einen weiteren John Austen, der Elizabeth Weller heiratete. Erst nach seinem Tod begriff seine Witwe, daß er ihr nur Schulden hinterlassen hatte. Findig wie sie war, verkaufte Elizabeth, was sie verkaufen konnte, und zog nach Sevenoaks, Kent, wo sie ein Pensionshaus eröffnete und ihren Söhnen den kostenlosen Besuch der dortigen Grammar School, der öffentlichen Lateinschule, ermöglichte, indem sie den Schulmeister und einige der Schuljungen versorgte. Bildung, das wußte sie, war wichtig.

Einer ihrer Söhne, Francis Austen, ging bei einem Rechtsanwalt in die Lehre, machte sich – so berichtete sein Großneffe Henry – »mit 800 Pfund und einem Bündel Bleistifte« selbständig und hatte Erfolg. Francis' jüngerer Bruder William (1701–1737) war Jane Austens Großvater. William war Chirurg und heiratete die Witwe eines Chirurgen, Rebecca Walter. Rebeccas Vater, Sir George Hampson, gehörte zum niederen Adel. Die verwitwete Mrs. Walter brachte einen Sohn mit in die Ehe, den späteren Vater von Jane Austens Halbcousine Philadelphia (»Phila«, nicht zu verwechseln mit George Austens Schwester Philadelphia Hancock).

William und Rebecca bekamen vier Kinder, eines von ihnen, George, 1731 geboren, wurde Jane Austens Vater. Als George kaum laufen konnte, starb Rebecca, und die Kinder bekamen eine Stiefmutter, Susannah Kelk. Soweit bekannt ist, behandelte Susannah sie nicht gut. William starb, als sein Sohn George sechs war. Susannah, die in Georges Testament nicht bedacht wurde, kümmerte sich nicht um die jungen Waisen, schließlich waren sie nicht mit ihr verwandt. Williams Bruder Stephen, ein Verleger, nahm George und seine zwei überlebenden Schwestern Philadelphia und Leonora zu sich, empfand jedoch die Kinder als Last und vernachlässigte sie.

Onkel Francis Austen, mittlerweile ein erfolgreicher Rechtsanwalt und Grundbesitzer, der bevorzugt nüchternes Grau und eine würdevolle Perücke trug, nahm den Jungen George zu sich. Francis war ein geschickter Geschäftsmann und vertrat den Herzog von Dorset auf Schloß Knole in Kent. Jane Austens Bruder Henry lernte als Junge von neun Jahren den Großonkel kennen, als dieser zweiundachtzig war. Er erlebte ihn als beleibten, Macht ausstrahlenden Herrn, mit kräftigem Kinn und schmallippigem Mund. »Ich glaube, er wurde noch unter Königin Anne geboren, und natürlich war er ein tüchtiger Anhänger von König George I. Es ist eine Ehre, solch ein Exemplar des vergangenen Jahrhunderts gesehen und gesprochen zu haben«, erinnerte sich Henry. Francis hatte zweimal reich geheiratet und hatte die Patin seines ältesten Sohnes, die Viscountess Falkland, dazu gebracht, ihm 100000 Pfund zu hinterlassen.

Francis bezahlte Georges Schulaufenthalt in Tonbridge, und dort erhielt der Junge ein Stipendium für das St. John's College in Oxford. Da war er sechzehn, für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich jung. Er war ein liebenswürdiger, heiterer Mann, trotz seiner frühen Entbehrungen. Nach Abschluß seines Studiums kehrte er als Lehrer an die Schule von Tonbridge zurück. 1754 wurde er in Oxford zum Diakon ordiniert und ein Jahr später zum Priester geweiht. Er war Lehrer und gleichzeitig Pfarrer von Shipbourne in Kent.

Die Anforderungen für ein Amt in der Anglikanischen Kirche waren nicht hoch. Nötig war nur der Abschluß einer der beiden Universitäten. Als Ben Lefroy, der Ehemann von Georges Enkelin Anna, später zur Ordination antrat, wurden ihm nur zwei Fragen gestellt: Ob er der Sohn von Mrs. Lefroy in Ashe war, und ob er eine Miss Austen geehelicht hatte. Daß George Austen gewissenhafter war als die meisten, beweist die Tatsache, daß er 1760 ein Theologiestudium abschloß, welches er wiederum durch seine Tätigkeit an der Schule in Tonbridge finanziert hatte.

Dank der Unterstützung durch seine Familie wurde er Hilfsgeistlicher. Ein Mann wie der Erzbischof von Canterbury verdiente im Jahr 25000 Pfund, doch viele Pfründen beliefen sich auf ganze 100 Pfund jährlich, und mehr war auch Georges Pfarrei in Steventon nicht wert. Wegen der geringen Gehälter war der sogenannte (später beanstandete) »Pluralismus« an der Tagesordnung. Wer mehr als eine Pfarrstelle bekleidete, hieß »Galoppierer«, weil er zu Pferde von einer Kirche zur nächsten eilte, um seine Gottesdienste abzuhalten. Den »Galoppierern« wuchsen die Pflichten häufig über den Kopf, und viele Kirchen und Friedhöfe verfielen nach und nach. Grenzten die Pfarren aneinander, wie die von George nach 1773, konnte man von Glück sagen. Viele Geistliche waren ständig abwesend, lebten in Saus und Braus und womöglich in Ausschweifung, nahmen ihre Gelder ohne die geringste Gegenleistung ein und beschäftigten allenfalls zu Hungerlöhnen, manchmal für weniger als 30 Pfund im Jahr, Hilfsgeistliche. Andere versahen sonntags einen einzigen Gottesdienst und spendeten vierteljährlich die Kommunion.

Im Alter von siebenundzwanzig Jahren kehrte der gebildete, fleißige George als Kaplan an sein College zurück. Er wurde zum »Fellow« ernannt, erhielt also neben seiner Stelle als Geistlicher eine akademische Position: Von nun an war er der »hübsche Proktor«. Ein Proktor ist für die Disziplin der Studenten in den unteren Semestern verantwortlich. George Austen war schlank, gut gewachsen und hatte strahlende haselnußbraune Augen, die zwar klein waren, doch von der Farbe, die seine Tochter Jane erbte. Er ergraute frühzeitig. Aber selbst als er siebzig war, hatte er noch schöne Locken, wie seine Enkelin Anna hervorhob. Als junger Mann trug er eine Perücke mit Ringellocken über den Ohren.

Fellows, Angehörige des Lehrkörpers, in Oxford und Cambridge durften eigentlich nicht heiraten, doch wieder kam die Familie zu Hilfe. Einmal ordiniert, hatte ein junger Geistlicher auf eine vakante Stelle zu warten. Bischöfe und Dekane wurden von der Krone ernannt, die Pfarrer von Domkapitularen und in vielen Fällen von privaten Brotherren, Landadeligen wie Lady Catherine de Bourgh in Pride and Prejudice. Da achtundvierzig Prozent der Pfründen in privater Hand lagen, war es für einen angehenden Geistlichen wichtig, die richtigen Leute zu kennen. Mr. Collins in Pride and Prejudice hat allen Grund, sich über seine Gönnerin Lady Catherine zu freuen, der er sein Auskommen verdankt, einschließlich der behaglichen Pfarrei und des Dinners zweimal wöchentlich im Herrenhaus mit anschließender Heimfahrt in der Kutsche ihrer Ladyschaft. Ein entfernter Cousin, Thomas Knight von Godmersham Park, ernannte George 1761 zum Pfarrer von Steventon, einem Dorf an der nördlichen Grenze von Hampshire. Thomas Knight besaß ausgedehnte Güter in Hampshire und Kent, wo verschiedene Verwandte und Freunde ihr Auskommen hatten. Diese Art von Vetternwirtschaft war nicht nur recht und billig, sondern galt als verantwortungsbewußte Einflußnahme. Die Pfründen wurden als Kapital zur Versorgung jüngerer Söhne des Land- und Hochadels betrachtet.

Steventon ist ein abgelegener Flecken, erreichbar immer noch allein über schmale, gewundene Heckenwege. Heute sind diese Straßen mit einer Fahrbahndecke versehen und in gutem Zustand, doch im achtzehnten Jahrhundert waren es holprige, ausgefahrene Karrenwege. Das Pfarrhaus stand an der Hauptstraße, die ins Dorf führte. Dahinter stand, erhöht auf einem Hügel, ein wenig vom Dorf entfernt, die kleine graue frühenglische Kirche St. Nicholas mit ihren typischen Spitzbogenfenstern aus dem dreizehnten Jahrhundert.

Das Gehalt von jährlich 100 Pfund reichte nicht zum Leben, doch zur Pfarrei gehörte Land, das George Austen bewirtschaftete, und das Recht auf den Kirchenzehnt, mit dessen Eintreiben er seine Schwierigkeiten hatte. Ursprünglich bedeutete der Zehnt ein Zehntel der Ernteerträge aller Gemeindemitglieder, doch die Regel war bereits unterhöhlt, und nach Erlaß der »Enclosure Act«, der Privatisierung des Gemeindelandes, auf dem die Armen ihre Tiere weideten, gab es oft Geld statt landwirtschaftlicher Erträge. Theoretisch wurde das Geld von den Landadeligen gezahlt, in deren Händen auch die Bezahlung der Geistlichen lag. Das System war umständlich und das Einkommen daraus schwer voraussehbar. Äpfel unterlagen zum Beispiel dem Kirchenzehnt, aber über das Fallobst entschied erst ein Gerichtsbeschluß. Eine schlechte Ernte konnte den Pfarrer wie seine Gemeinde zu armen Leuten machen. Auch eine geringe Landbevölkerung führte unweigerlich zu kärglichem Kirchenzehnt.

Zusätzlich pachtete George den Hof Cheesedown und ließ ihn von einem Verwalter, John Bond, bewirtschaften.

Mit dreiunddreißig heiratete George die neun Jahre jüngere Cassandra Leigh. Sie hatte gezögert, ihre Freiheit aufzugeben, doch sie brauchte für ihre frisch verwitwete Mutter ein Zuhause. Da George ausgesprochen gut aussah, war das Opfer vielleicht doch nicht so groß. Die Hochzeit fand in Bath statt, in der Kirche St. Swithin zu Walcot. Die Trauung wurde am 26. April 1764 von Pfarrer Thomas Powys vollzogen, nur Cassandras Bruder James Leigh-Perrot und ihre Schwester Jane Leigh waren anwesend. In jener Zeit wurde bei Hochzeiten in der Regel wenig Aufwand betrieben. Cassandra trug ein wollenes rotes Reitkostüm, das sie auch in den ersten zwei Ehejahren trug. Neue Kleider kaufte sie nicht. Später wurden aus diesem Kostüm ein Jackett und eine Hose geschneidert, die wohl ihr Sohn Francis zur Jagd trug. Sparsamkeit war etwas, das Jane Austens Mutter in der Not gelernt hatte. Die Hochzeitsreise bestand aus einer Übernachtung in Andover auf dem Weg nach Hampshire.

Cassandra Leigh war die Tochter eines Pfarrers und mütterlicherseits die Enkelin eines Arztes aus Oxford, Dr. John Walker. Als gute Christin wußte sie, was ein Leben als Pfarrersfrau bedeutete. In ihrer Familie gab es acht Geistliche, und als später ihre Tochter Jane Pride and Prejudice schrieb, war Mr. Collins eine ihrer Lieblingsfiguren. Nicht nur Jane Austens Vater, ebenso zwei ihrer Brüder und vier ihrer Cousins waren Geistliche. So wie die Schriftstellerin über den Landadel schrieb, an dessen Peripherie sie sich bewegte, benutzte sie auch ihre eigene Familie als Vorlage, bezog literarische Anregungen aus jener Schicht, die ihr am vertrautesten war: wo Geistliche zwar gute Beziehungen, aber kein Geld hatten. Mehrere ihrer Figuren heiraten Geistliche: Mrs. Grant und Mrs. Norris in Mansfield Park sind bereits zu Beginn des Romans Pfarrersgattinnen, und Fanny heiratet zu guter Letzt den Reverend Edmund Bertram. Die Helden in Northanger Abbey und Sense and Sensibility, Henry Tilney und Edward Ferrars, sind beide Kirchenmänner. Nebenfiguren wie Charlotte Lucas in Pride and Prejudice, Miss Augusta Hawkins aus Bristol in Emma und Henrietta Musgrove in Persuasion heiraten allesamt Pfarrer.

Cassandra Leigh gehörte zur guten Gesellschaft. Ihr Onkel leitete das Balliol College in Oxford und war berühmt für seine geistvolle Art, derentwegen er sogar in einem Brief an Dr. Samuel Johnson erwähnt wurde. Cassandra war außerdem die Großnichte eines Herzogs von Chandos. Ihr Vater war Reverend Thomas Leigh, Pfarrer in Harpsden (sprich: Harden), Oxfordshire, früher ein Fellow des All Souls College in Oxford. Dieses All Souls College ist eine herausragende Gesellschaft von Wissenschaftlern, ein College ohne Lehrfunktion. Cassandra war, wie viele ihrer Verwandten, nach ihrer herzoglichen Großtante genannt worden. Diese stammte von Sir Thomas Leigh (1498–1571) ab, der als Londons Bürgermeister von Elizabeth I. zum Ritter geschlagen wurde. Zu ihrer Verwandtschaft zählte auch William Pitt der Ältere, der von 1783 bis 1801 und noch einmal von 1804 bis 1806 konservativer Minister war. Sie war ebenfalls mit William Lamb verwandt, dem Zweiten Grafen Melbourne, Queen Victorias erstem Premierminister, und mit einem späteren Premierminister, Sir Winston Churchill (1874–1965).

Als Sechsjährige beeindruckte die kleine Cassandra ihren Onkel, den Master von Balliol College, durch ihre aufgeweckte Art und die von ihr verfaßten Gedichte. Doch weil sie ein Mädchen war, wurden ihre intellektuellen Fähigkeiten nicht gefördert. Wir wissen nicht, ob dies sie erzürnte oder ob sie es als weibliches Schicksal hinnahm. Die Enkelin Anna bedauerte, daß ihre Großmutter Cassandra so wenig Erziehung genossen hatte, sah jedoch in ihrer schnellen Auffassungsgabe und ihrem guten Gedächtnis einen Ausgleich für den Mangel an Unterweisung. Anna zufolge war sie eine aufgeweckte Frau, die in geistreichen Gesprächen brillieren konnte und eine außergewöhnlich gewandte Briefschreiberin war, in Prosa wie in Versen. Diese erhoben keinerlei Anspruch auf Dichtkunst, es handelte sich lediglich um spielerisch gereimte Alltäglichkeiten. Von ihrer Tante, Miss Anne Perrot, lernte sie Lesen und feines Handarbeiten. Ihre Fähigkeiten und ihre Geisteskultur machten sie für George zu einer vortrefflichen Ehefrau. Außerden war sie nicht völlig unvermögend. Sie sollte, wie Elizabeth Bennet in Pride and Prejudice, nach dem Tod ihrer Mutter 1000 Pfund erben, die ihr mit ihrem übrigen Kapital ein jährliches Einkommen von 140 Pfund brachten.

Bis in ihr hohes Alter behielt ihr dunkles Haar seine Farbe. Sie war eine recht gutaussehende Frau, wenn auch ein bißchen schmalgesichtig und schmallippig und bereits mit fünfzig ohne Schneidezähne. Sie selbst hielt jedoch wenig von ihrem Äußeren, denn ihre Schwester Jane Leigh, die spätere Mrs. Cooper, galt als die eigentliche Schönheit in der Familie. Cassandra Leigh hatte große graue Augen, ausgeprägte Augenbrauen und wie ihr Ehemann eine aristokratisch gebogene Nase.

Die Austens waren ein schönes, elegantes Paar und brachten ansehnliche Kinder zur Welt. Da das Pfarrhaus in Steventon in jämmerlichem Zustand war, bezogen sie das glücklicherweise leerstehende Pfarrhaus des Nachbardorfes Deane. Sie zahlten dem abwesenden Geistlichen jährlich 20 Pfund für ein niedriges, feuchtes Haus mit ungemütlich kleinen Zimmern, doch 1774, ein Jahr vor Janes Geburt, zogen sie schließlich ins Pfarrhaus von Steventon um, sieben Meilen von Basingstoke entfernt. Georges Stiefmutter Susannah war verstorben, und ihr Haus war verkauft worden. Georges Anteil belief sich auf 1200 Pfund, genug, sein eigenes Haus zu renovieren und einzurichten. Der Umzug war mühselig, und die Fahrt auf einem Karrenfuhrwerk über den morastigen Holperweg mußte Mrs. Austen durch ein Federbettpolster erträglich gemacht werden.

Die Gegend um Steventon erschien Mrs. Austen, die in Henleyon-Thames aufgewachsen war, eintönig und uninteressant. Die Kreidehügel mit ihren Schafweiden waren sanft und wenig eindrucksvoll. In den fruchtbaren Tälern wuchsen Getreide, Rüben, Klee, Gemüse, die Wiesen lieferten Heu und Grünfutter. Bis heute ist diese Landschaft weitgehend unberührt. »Austen Country« ist immer noch ländlich, mit sanften Hügeln, die Höfe und die Häuser der malerischen Dörfer sind mit Stroh gedeckt. Im Gegensatz zur zersiedelten Landschaft, wie sie in England im späten zwanzigsten Jahrhundert typisch geworden ist, überrascht und erfreut Jane Austens Hampshire durch seine Aufgeräumtheit.

Das Pfarrhaus in Steventon, wo Jane Austen zur Welt kam, lag am Dorfrand; es hatte große Fenster zu beiden Seiten der Eingangstür, einen spalierumgebenen Vorbau, Schiebefenster und hoch oben auch Dachfenster. Der rechteckige Grundriß war nach hinten durch zwei Flügel erweitert worden. Im Erdgeschoß lagen die »gute Stube« und das Wohnzimmer oder vielmehr Eßzimmer, in dem die Familie ihre Mahlzeiten einnahm, sowie die Küche. Dahinter lag Mr. Austens Arbeitszimmer, das durch ein Bogenfenster einen schönen Blick auf den Garten hatte, in dem sich hinten eine Sonnenuhr befand. Oben im Haus gab es sieben Schlafzimmer und drei Dachbodenkammern. Die Balken lagen im ganzen Haus frei, was damals nicht als dekorativ, sondern als Zeichen von Armut galt, und zwischen Wänden und Zimmerdecken gab es keinen Stucksims, was spätere Austen-Generationen bedauerten, weil es ihrer Ansicht nach ebenfalls darauf hindeutete, wie ärmlich ihre berühmte Verwandte gewohnt hatte.

Als die Schwestern älter waren, wurde ein Schlafzimmer neben dem ihren in ein Wohnzimmer verwandelt. Sein schokoladenbrauner Fußboden bekam einen gemusterten Teppich, Schrank und Bücherregale wurden passend braun gestrichen, dazu eine blaue Tapete und blaugestreifte Vorhänge. Zwischem den Fenstern hing ein ovaler Spiegel. Jane mochte diesen Raum lieber als das untere Wohnzimmer, fand ihn behaglicher und eleganter.

Hinter dem Wohnbereich war eine Waschküche mit Pumpe über einem Brunnen, der das Haus mit sauberem Wasser versorgte. Das Grundstück ist heute dem Erdboden gleich, nur die Pumpe steht noch da, mitten im Feld. Zu dem Anwesen gehörte ein altmodischer Garten, in dem Blumen und Gemüse durcheinander wuchsen und Erdbeerpflanzen den grasigen Pfad säumten. Östlich wurde der Garten von einer reetgedeckten Lehmmauer begrenzt. Auf einem hügeligen Rasenstück konnten die Kinder Purzelbäume schlagen, wie die junge Catherine Morland in Northanger Abbey. Reverend George Austen und seine Frau wirkten in ihrem Garten mit viel schöpferischem Elan. Sie legten im Vorgarten eine »Auffahrt« an, pflanzten hinter dem Haus Nutzbäume und Sträucher. Das Haus stand in einer Senke, umgeben von hügeligen Wiesen, auf denen in unregelmäßigen Abständen Ulmen wuchsen. Es gab eine einsame, von Geißblatt umrankte Silbertanne und auf einer langen weißen Stange einen Wetterhahn, der im Drehen ein, wie die Kinder es nannten, »schrappendes« Geräusch von sich gab.

Nicht weit von der Kirche lag das Herrenhaus Steventon, ein frühes Tudorgebäude, das Georges Brotherrn Thomas Knight gehörte, aber von der Familie Digweed bewohnt wurde, mit der sich die Austens befreundeten; Jane machte sich große Sorgen, als ein Pferd James Digweed »ein großes Loch in den Kopf trat«. In der Kirche und auf dem Kirchhof, wo heute wilde Veilchen wuchern, sind Monumente und Gräber der Digweeds zu finden, dazu im Kircheninnern eine Gedenktafel, die daran erinnert, daß Jane Austen hier die Gottesdienste besuchte. Gleichzeitig finden sich im Innern marmorne Gedenksteine für die erste Frau ihres ältesten Bruders James, Anne Mathew, für James selbst von seiner zweiten Frau und ihren gemeinsamen Kindern; und von diesen Kindern für die Mutter.

Mit vierundzwanzig beschrieb Jane in einem Brief an ihre Schwester Cassandra:

ein merkwürdiges Krachen, das mich erschreckte – in einem Augenblick danach wiederholte es sich; ich ging dann ans Fenster, das ich gerade noch erreichte, als die letzte unserer hochgeschätzten Ulmen auf die Auffahrt hinabstürzte! Die andere, die schon gefallen war, ich schätze, beim ersten Krachen, und die dem Teich am nächsten stand, fiel mehr in östliche Richtung und schlug zwischen unserer Kastanien- und Tannenreihe auf, riß eine Rottanne nieder, einer anderen die Spitze weg, und brach im Fallen den beiden Kastanien an der Ecke mehrere Zweige ab. Dies ist nicht alles. Eine große Ulme, von den zweien auf der linken Seite, wenn Du in den Ulmenweg kommst, ist auch umgeweht worden; der Ahorn, der den Wetterhahn trug, ist in zwei gebrochen, und was ich mehr als alles andere bedauere, ist, daß alle drei Ulmen, die in Halls Wiese wuchsen und sie so schmückten, dahin sind; zwei wurden umgeweht, und die dritte ist so sehr beschädigt, daß sie nicht stehenbleiben kann.

Dennoch war sie erleichtert, daß der Sturm nur die Bäume beschädigt hatte. Jane schrieb scherzhaft an ihre Schwester:

Alle drei Digweeds kamen am Dienstag, und wir spielten zusammen Commerce (ein Kartenspiel). James Digweed verließ heute Hampshire. Ich denke, er muß in Dich verliebt sein, so besorgt ist er, daß Du nur ja zu den Bällen in Faversham gehst; auch meint er, die beiden Ulmen seien vor Kummer über Deine Abwesenheit umgefallen.

In Abständen kaufte Mr. Austen, der Pfarrer und Landwirt, gemeinsam mit Mr. Digweed, James Digweeds Vater, auf einen Schlag zwanzig, dreißig Schafe. Der Gerechtigkeit halber war abgemacht, daß die erste Hälfte der Herde, die aus dem Pferch lief, Mr. Austen gehörte, der Rest Mr. Digweed. Eines Tages entdeckte Mr. Austen in seiner Herde ein besonders prächtiges Schaf. Seinem Verwalter John Bond erklärte er: »Also, John, ich glaube, heute haben wir mit Mr. Digweed gehörig Glück gehabt, daß wir das Schaf bekommen haben.«

John lachte. »Vielleicht nicht so viel Glück, wie Sie denken, Sir. Ich seh' es im Moment, wie ich reinkomme und die Schafe anschaue, da hau ich ihm just beim Pferchöffnen eins mit dem Stock über, und raus läuft's.« Immer wieder tauchen in Jane Austens Briefen Bemerkungen über Schafe, Schweine, Truthähne, Enten, Hühner, Perlhühner und Bienenzucht auf. George Austens Leben als Landwirt und Mann literarischer Bildung spiegelt sich in einem Brief Janes vom November 1798 an Cassandra, die ihren Bruder Edward in Godmersham besuchte: In einem Satz erzählt sie Cassandra, daß die Schafe den Vater fünfundzwanzig Shilling pro Stück gekostet hätten und daß der Vater gern wüßte, wie es Edward geht. Im nächsten berichtet sie von Bücherkäufen.

In ihrem folgenden Brief schreibt sie, der Vater sei froh, daß Edwards Schweine gediehen, und Edward solle wissen, daß Lord Bolton sich ausgesprochen für Schweine interessiere: Er habe ihnen schöne Ställe gebaut und besuche sie jeden Morgen zuallererst. Die Schweine mußten schließlich geschlachtet werden. Eines der Schweine ihres Vaters wurde an den Metzger verkauft, und das Viertel wog siebenundzwanzig ein viertel Pfund. Janes Schwester Cassandra schrieb später in Erinnerung an ihre glückliche Kindheit, ein ländlicher Bauernhof sei ein Ort des Vergnügens und der Erquickung: Wer diese Freuden erlebt habe, vergesse sie nicht so leicht.

Zwischen Pfarrhaus und Kirche wuchsen Hecken, in deren Schutz Schlüsselblumen, Anemonen und wilde Hyazinthen blühten. Eine Hecke diente im Hampshire jener Zeit nicht bloß zur Begrenzung, sondern war ein Rain aus Nutzholz und Unterholz, oft breit genug für einen Innenpfad. Einige Beispiele sind noch heute zu besichtigen. Der Ulmenweg, auch »Waldweg« genannt, ging von der Anhöhe nach Westen, streifte die Kleewiesen und führte in ein Gebüsch auf der Sonnenseite. Ein anderer Heckenweg hieß »Kirchenweg« und führte durch den Wald bergauf zur Kirche. Dort wuchsen Bergahorn, Dornbüsche und Flieder, die eine Vielzahl von Vögeln und Insekten behausten. Jane Austen erwähnt eine solche Hecke in Persuasion: Sie war so dicht, daß Anne Elliot darin versteckt belauschen konnte, was Captain Wentworth und Louisa Musgrove über sie zu reden hatten.

George und Cassandra lebten von Anfang an mit ihrer Mutter und einem Pflegekind. Die mittellose Waise Philadelphia Austen, Georges Schwester, war mit einundzwanzig nach Indien geschickt worden, um sich dort einen Ehemann zu suchen. Diese Methode, einsame weiße Geschäftsleute oder Beamte mit britischen Ehefrauen zu versorgen, hieß im Volksmund »die Angelflotte«. Die Seereise dauerte acht Monate. Nur weitere sechs Monate benötigte die schlanke, elegante Philadelphia mit ihrem dunklen hochgesteckten Haar und den großen dunklen Augen, um einen Arzt mittleren Alters, Tysoe Saul Hancock, zu heiraten. Er war ein Pedant, und ihr Leichtsinn und ihre Vergeßlichkeit stellten seine große Zuneigung zu ihr auf eine harte Probe.

Saul und Philadelphia Hancock brachten bei ihrer Rückkehr aus Indien in ihrer Obhut einen kränkelnden Jungen namens George Hastings mit, den mutterlosen Sohn des berühmten Warren Hastings, des späteren Generalgouverneurs von Bengalen. George Hastings war, wie damals üblich, zum Schulbesuch in die Heimat geschickt worden. Saul Hancock reiste nach Indien zurück. Die Tatsache, daß er in der Heimat nicht im gleichen Luxus wie in Indien leben konnte, enttäuschte ihn. Die Rückreise kostete 1500 Pfund. Auch in Indien geriet er zunehmend in Schwierigkeiten. 1772 gab ihm Warren Hastings 5000 Pfund, später noch einmal soviel. Das Paar begann einen Handel mit Salz, Hölzern, Teppichen, Reis und Opium. Sensationsberichte haben versucht, Jane Austens Vater als Drogenhändler darzustellen, weil er als Agent in diesem Handel aushalf: Doch Opium wurde, auch wenn die Gefahr der Abhängigkeit bekannt war, als normales Schmerzmittel benutzt, es war ebenso leicht zu beschaffen wie heute Aspirin. Hancock, ein hingebungsvoller Vater, starb in Calcutta, einen Monat vor Jane Austens Geburt, Welten entfernt von seiner Ehefrau und seiner Tochter Eliza. Er war vierundsechzig Jahre alt. Mrs. Hancock besaß nur noch 600 Pfund im Jahr, das Einkommen aus Hastings' Geschenk. In London konnte man davon kaum leben, also zog sie auf den Kontinent, erst nach Deutschland und Belgien, später nach Paris, wo sie großes Aufsehen erregte und Eliza jene glanzvolle Erziehung zukommen ließ, von der die Cousinen Austen später so beeindruckt waren.

Warren Hastings war für die Familie Austen ein Held. Jane Austen war begeistert, als er Pride and Prejudice rühmte, das ihr Bruder Henry ihm hatte zukommen lassen. Mr. Austen ersuchte Warren Hastings um Protektion bei der Beförderung seines Sohnes Frank in der Marine. Als Hastings 1788 vor dem Oberhaus der Grausamkeit und Erpressung angeklagt wurde, hörte Janes Halbcousine Phila Walter bei seinem Prozeß Berühmtheiten wie Sheridan, Burke und Fox reden. Der Dramatiker Richard Brinsley Sheridan sprach so leise, daß ihn keiner verstand; Edmund Burke erhitzte sich dermaßen, daß man ihn auch nicht verstand, und jedes Wort aus dem Munde von Charles James Fox (dem berühmten Führer der liberalen Opposition gegen den konservativen Premierminister William Pitt) war zwar deutlich hörbar, aber für Phila ein Affront, weil Fox ein Feind Warren Hastings' war. Hastings wurde schließlich nach siebenjährigem Prozeß freigesprochen.

Vielleicht bot George Austen sich selbst als Erzieher für Warren Hastings' Sohn an. Das Kind lebte jedoch nicht lange. Auch Janes Großmutter, Mrs. Leigh, starb bald. Jane Austen hat ihre Großeltern nie gekannt. Cassandra trauerte um den kleinen George Hastings, der nur sechs Monate bei ihnen lebte, wie um ein eigenes Kind, auch wenn sie selbst bald schwanger wurde.

Saul Hancock behielt mit seiner Voraussage recht, daß es für George »leichter sei, an eine Familie zu kommen, als für sie zu sorgen«. Georges und Cassandras Familie wuchs fast jährlich um ein Kind, und sie hatten bald Schulden. Georges Einkommen schwankte von Jahr zu Jahr und überstieg nie 600 Pfund. Später erhielt er eine kleine Pension, doch wohlhabend war er nie. Von seinem reichen Schwager James Leigh-Perrot lieh er vier Jahre nach seiner Eheschließung, als er bereits drei Kinder hatte, die beträchtliche Summe von 865 Pfund. Nur zwanzig Pfund von diesem Darlehen zahlte er zurück, denn er unterstützte seine Schwester Philadelphia. 1772 – da hatte er schon vier Kinder – lieh er sich weitere 300 Pfund, die er diesmal, dank seines Onkels Francis, zurückzahlte.

Zwei Jahre vor Janes Geburt kaufte ihm Onkel Francis die benachbarte Pfarrei in Deane, anderthalb Meilen entfernt, die weitere 110 Pfund jährlich einbrachte. Georges beide Pfarren umfaßten insgesamt höchstens dreihundert Seelen. Überraschenderweise befanden sich darunter keine erklärten Dissenter oder Katholiken. Die Pfründe von Ashe, ebenfalls im Besitz des Onkels Francis, hatte Reverend Dr. Richard Russell inne. Später verkaufte der Onkel die Pfarrei an einen weiteren wohltätigen Onkel, Benjamin Langlois, der sie wiederum seinem Neffen gab, Reverend Isaac Peter George Lefroy, dessen Frau Anne später mit Jane Austen eng befreundet war. Mr. Austen nahm, wie andere Pfarrer in finanziellen Nöten, Schüler ins Haus. Heute ist ein einziger Geistlicher, einfacher Gehaltsempfänger, für die Pfarreien von Steventon, Ashe, Deane und North Walton zuständig.

Obwohl es nur wenige Gemeindemitglieder gab, führten George und seine Frau alles andere als das Leben eines feinen Herrn und einer Dame, die dem Müßiggang frönten. Sie waren weitgehend Selbstversorger, ernährten Kinder und Dienstboten. Mrs. Austen war für den Hühnerhof und die Molkerei zuständig, stellte Butter und Käse her. Auch Brot wurde zu Hause gebacken und Bier gebraut. Wenn es Honig gab, machten die Austens Met. Gelegentlich erhielt George Pachtgelder für Land im Besitz der Familie Austen. Er war Treuhänder eines Anwesens in Antigua, wie jenes, das Sir Thomas Bertram in Mansfield Park besitzt.

Die Austens waren ein treu liebendes Paar, und George hatte große Sehnsucht nach seiner Frau, wenn sie ihre Schwester Jane, Mrs. Edward Cooper, besuchte. Mrs. Austen war immer erleichtert, wenn sie wieder zu Hause war. Sie klagte, sie habe sich in London »gehetzt« gefühlt. Es sei »ein trauriger Ort; ich möchte um keinen Preis dort leben; man hat keine Zeit, seine Pflicht zu tun, weder Gott noch den Menschen gegenüber«, schrieb sie später.

Im gleichen Brief berichtet sie, wie sehr sie sich über ihre kleine Alderney-Kuh freue, die mehr Butter gebe, als sie brauchen könne, und daß sie eine zweite gekauft habe. Das Landleben gefiel Mrs. Austen, sie baute selbst Gemüse an, und wenn sie Kartoffeln ausgrub, trug sie eine grüne Arbeitsschürze. In jenen Tagen waren Kartoffeln in England ein Luxus. Die Frau eines Pächters, zu Besuch im Pfarrhaus, hatte noch nie welche zu Gesicht bekommen. Als Mrs. Austen der Frau vorschlug, ebenfalls Kartoffeln im Garten anzubauen, bekam sie zur Antwort: »Nein, nein; für Sie Herrschaften sind sie gerade recht, aber sicher ist der Anbau schrecklich teuer.« Kartoffeln wurden erst nach 1820 ein Arme-Leute-Essen. Die Kluft zwischen dem niederen Adel und der restlichen Bevölkerung war demnach echt. Geistliche der Anglikanischen Kirche wurden als Herren angesehen, doch viele, die Austens eingeschlossen, hatten Mühe, einen herrschaftlichen Lebensstil aufrechtzuerhalten.

3 Geschwister und Gesellschaft

Der älteste der Austen-Söhne war James, geboren am 13. Februar 1765. Er wurde wie sein Vater Geistlicher, und es war James' Sohn aus zweiter Ehe, Reverend James-Edward Austen-Leigh, der im Jahr 1869 unter dem Titel Memoir seine Erinnerungen an seine Tante Jane veröffentlichte – da war er der älteste Nachfahre, der sie persönlich gekannt hatte. Bei ihrer Beerdigung 1817 war er der jüngste Trauergast gewesen.

Der zweite Sohn wird selten erwähnt, im Memoir wird er übergangen. Er war behindert, litt unter Anfällen. Als er vier war, schrieb seine Mutter: »Mein armer kleiner George hat mich heute besucht, es scheint ihm recht gut zu gehen, obschon er letztens einen Anfall hatte, knapp zwölf Monate ist es her, seit er davor einen hatte, so war ich in Hoffnung, er habe sie überwunden, aber darf es mir jetzt nicht einbilden.« Womöglich war er auch taubstumm, denn Jane konnte »mit den Fingern sprechen«. Er lebte nicht zu Hause. Sein Vater tröstete sich mit der Vorstellung, daß »er kein schlechtes oder böses Kind sein kann«.

Der dritte Sohn, Edward, geboren am 7. Oktober 1767, war in gewisser Hinsicht ein Glückskind. Mit sechzehn wurde er vom Brotherrn seines Vaters, dem reichen kinderlosen Thomas Knight II., adoptiert und erbte Godmersham Park, einen stattlichen Landsitz in Kent. Thomas Knights Vater hieß ursprünglich Thomas Brodnax, nahm aber, als er einen Landsitz erbte, den damit verbundenen Namen May an. Zu jener Zeit war dies keine ungewöhnliche Bedingung, doch bei Namensänderungen war die gesetzliche Zustimmung des Parlaments nötig. Thomas May fand es lohnend, seinen Namen ein zweites Mal zu wechseln, als eine entfernte Cousine, Mrs. Elizabeth Knight, ihm ihre Besitztümer in Steventon und Chawton in Hampshire vermachte. Seine eiligen Namensänderungen provozierten ein Parlamentsmitglied zu der Bemerkung: »Der Herr verursacht so viel Aufhebens, am besten erlassen wir ein Gesetz für ihn, daß er sich nennen kann, wie ihm beliebt.« Thomas verhielt sich gegenüber seinen verschiedenen Verwandten großzügig; denen im Dienst der Kirche gab er die ihm unterstehenden Pfarrstellen. Edward war mit dem Sohn (ebenfalls ein Thomas Knight) eng befreundet und verbrachte viel Zeit auf Godmersham. Als Thomas Knight II. vorschlug, den Jungen zu adoptieren, riet Mrs. Austen ihrem Mann, das Angebot anzunehmen. Edward und seine Kinder werden gewöhnlich unter dem Namen »Knight« geführt, obwohl Edward lange Jahre den Namen »Austen« behielt und erst 1812, als Mrs. Knight starb, seinen Namen änderte.

Mrs. Austen schrieb, als ihr Sohn James mit vierundfünfzig Jahren starb, Edward sei »ein rechter Geschäftsmann«, wohingegen James »klassische Bildung, literarischen Geschmack und die Fähigkeit, elegant zu schreiben« besessen habe. Beide, fügte sie hinzu, waren gleichermaßen gut, liebenswert und sanftmütig. Die Mutter erkannte und respektierte, daß Edward kein so großes Talent zur akademischen Bildung besaß wie James oder Henry.

Ein Schattenriß zeigt den Vater, wie er seinen Sohn den wohlhabenden Gönnern übergibt. Edward, bekleidet mit engem Gehrock und Kniehosen, streckt ihnen seine Hände entgegen, den Rücken seinem Vater zugekehrt; und Mrs. Knight schaut teilnahmslos von einer Partie Schach auf, die sie mit einer anderen Dame spielt. Die Damen tragen Schnürtaillen und hochgetürmte Frisuren mit Schleifenhauben, die erwachsenen Männer Zopfperücken. Edward trägt sein Haar lang bis auf die Schultern.

Edward studierte nicht in Oxford, unternahm statt dessen die damals bei wohlhabenden jungen Herren beliebte »Grand Tour«, die Bildungsreise auf den Kontinent – ein mehr als gleichwertiger Studienersatz. Er besuchte die Schweiz, Dresden und Rom; in Dresden blieb er über ein Jahr. Doch seine Bindung an die Familie war stark, und Cassandra fühlte er sich immer besonders nah. Jane dagegen empfand eine besondere Nähe und intellektuelle Übereinstimmung mit dem vierten Sohn, Henry.

Henry, geboren am 8. Juni 1771, war brillant und von einnehmendem Wesen, scheint aber der labilste der Brüder gewesen zu sein, auch wenn er nach Ansicht des Vaters »das talentierteste« der Kinder war. Er galt allgemein als der hübscheste der jungen Austens, obwohl aus heutiger Sicht und auch nach Ansicht der Freundin Mrs. Lefroy der bestaussehende von allen der Jüngste, Charles, war. Henry, dessen war man sich einig, war ein wunderbarer Unterhalter. Jane liebte seine Gesellschaft. Er war von Natur aus optimistisch, was günstig war, denn sein Werdegang, anders als der seiner Brüder, war wechselvoll. Er folgte seinem älteren Bruder James nach Oxford, wo ihnen beiden durch die aristokratischen Beziehungen mütterlicherseits als »Gründernachkommen« finanzielle Sonderregelungen zustanden. Nach den Statuten hatten sechs Studenten aus den Familien Leigh, Walker, Perrot oder White ein Recht auf Unterhalt. Mit ihrem Eintritt ins College wurden sie »Fellows« und konnten es bleiben, bis sie ihre Laufbahn als Geistliche einschlugen. Sie waren keine Fellows im heutigen Sinn, also Angehörige des Lehrkörpers, wie ihr gelehrter Vater es gewesen war, sondern Inhaber großzügiger Stipendien. Der Brauch, Nachkommen der Gründungsmitglieder der Colleges bevorzugt zu behandeln, war speziell in Oxford üblich und wurde im neunzehnten Jahrhundert aufgegeben.

Der Kern der Familie Austen hielt eng und fürsorglich zusammen. George Austen liebte Frau und Kinder. Als Mrs. Austen 1770