Jeder ist beziehungsfähig - Stefanie Stahl - E-Book
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Jeder ist beziehungsfähig E-Book

Stefanie Stahl

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

»Eine glückliche Liebesbeziehung ist keine Glückssache, sondern eine Frage der persönlichen Entscheidung«, sagt Stefanie Stahl, Bestsellerautorin und Deutschlands führende Expertin für Bindungsangst. Die Allermeisten von uns haben das Potenzial mit einem Partner glücklich zu werden. Überzeugend und lebensnah zeigt sie, wie das mithilfe der Arbeit mit dem inneren Kind möglich ist. Vor allem gilt es, den Selbstwert zu stärken sowie die Balance zwischen Anpassung und Selbstbehauptung zu finden. Wenn wir diese Mechanismen verstehen, müssen wir nicht mehr darauf warten, dass sich der Partner verändert oder Mr oder Mrs Right anklopft, sondern können unser Glück selbst in die Hand nehmen.

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Seitenzahl: 334

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STEFANIE STAHL

Jeder ist beziehungsfähig

Der goldene Weg zwischen Nähe und Freiheit

Stefanie Stahl ist Diplom-Psychologin und arbeitet in freier Praxis in Trier. Im deutschsprachigen Raum hält sie regelmäßig Seminare zu Bindungsangst, Liebe und Selbstwertgefühl. Mit ihren Büchern wie „Das Kind in dir muss Heimat finden“ oder „Vom Jein zum Ja“ erreicht sie eine riesige Leserschaft. Die Autorin ist eine häufig angefragte Expertin in Presse und Medien.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

© 2017 Kailash Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lektorat: Carola Kleinschmidt, Judith Mark

Covergestaltung: ki 36 Editorial Design, Daniela Hofner München

Covermotiv: © plainpicture/ganguin

Gestaltung der Innenklappen und Illustrationen: bob-design, Trier

Foto der Autorin: Roswitha Kaster, Riol

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-20741-0V009

www.kailash-verlag.de

Für Holger, meinen Ehemann, Geliebten und besten Freund

Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit.

Viktor Frankl

Inhalt

Wie bitte?! Jeder ist beziehungsfähig?

Sind wir nicht doch eine Generation von Beziehungsunfähigen, Frau Stahl?

Bindung und Autonomie

Anpassung und Selbstbehauptung

Unterlegenheit und Überlegenheit

Unser Beziehungsprogramm

Unser Beuteschema

Typisch Mann, typisch Frau

Verlustangst macht scharf, Sicherheit langweilt

Der plötzliche Gefühlstod und andere Distanzierungstechniken

Weitere Ursachen für den Verlust von Liebesgefühlen

Du schmückst mich nicht!

Du bist mir sicher!

Ich darf mich nicht trennen!

Ich kann niemandem vertrauen!

Exkurs: Ich bin gern Single!

Prägung oder Gene?

Das Elternhaus: Trainingslager für unsere Liebesbeziehungen

Urvertrauen und das gespiegelte Selbstwertempfinden

Der fließende Übergang von negativer Prägung zum Trauma

Mut zur Ehrlichkeit

Finde dein Bindungsprogramm

Erster Schritt: Welcher Qualität war deine Bindung zu deinen Eltern?

Übung: Erkunde die Bindung zu deinen Eltern

Zweiter Schritt: Welche Gefühle waren daheim erwünscht bzw. unerwünscht?

Übung: Wie gingen deine Eltern mit Gefühlen um?

Dritter Schritt: Welche Rolle, welchen Auftrag hattest du in deiner Familie?

Übung: Was war deine Familienrolle?

Vierter Schritt: Finde deine Glaubenssätze

Übung: Deine Glaubenssätze zu Bindung, Liebe und Familie

Übung: Finde deine Kernglaubenssätze

Fünfter Schritt: Identifiziere deine Gefühle

Übung: Erkenne deine Gefühle

Sechster Schritt: Zusammenfassung

Übung: Dein Bindungsprogramm auf den Punkt gebracht

Finde dein Autonomieprogramm

Erster Schritt: Wie gut haben deine Eltern dein Bedürfnis nach Autonomie erfüllt?

Übung: Durftest du Autonomie entwickeln oder nicht?

Zweiter Schritt: Welches Vorbild waren dir deine Eltern in Bezug auf Selbstständigkeit?

Übung: Durftest du Selbstständigkeit entwickeln oder nicht?

Dritter Schritt: Wie sind deine Eltern mit deiner Wut umgegangen?

Übung: Durftest du wütend sein und einen eigenen Willen haben?

Vierter Schritt: Finde deine Glaubenssätze

Übung: Deine Glaubenssätze zu Autonomie

Übung: Finde deine Kernglaubenssätze

Fünfter Schritt: Identifiziere deine Gefühle

Übung: Erkenne deine Gefühle

Sechster Schritt: Zusammenfassung

Übung: Dein Autonomieprogramm auf den Punkt gebracht

Lerne dein Schattenkind kennen

Übung: Visualisiere dein Schattenkind

Unser 4D-Film: Von der Feld- in die Beobachterperspektive

Unser Erwachsenen-Ich

Das Schattenkind und seine Schutzstrategien

Extra- und introvertierte Schutzstrategien

Intros und Extras in der Partnerschaft

Selbstschutz im Dienste der Bindung

Idealisieren und Verdrängen

Unterdrücken der eigenen Gefühle

Harmoniestreben

Das Helfersyndrom

Perfektionsstreben

Kindbleiben und Hilflosigkeit

Jammern, Klammern und Fordern

Shoppen, Konsum und Sucht

Hysterische Schutzstrategien

Depressive Schutzstrategien

Selbstschutz im Dienste der Autonomie

Misstrauen und Abwertung

Verlust von Liebes- und Lustgefühlen

Machtstreben und Wettkampf

Flucht und Vermeidung

Angriff und Attacke

Mauern und Gesprächsverweigerung

Intellektualisieren und Rationalisieren

Narzisstische Schutzstrategien

Zwanghafte Schutzstrategien

Schizoide Schutzstrategien

Typische Konflikte rund um das Thema Elternschaft

Verlust von Gleichberechtigung

Ungleiche Machtverteilung

Ungerechte Verteilung von Geben und Nehmen

Heilung

Wie sieht eigentlich eine glückliche Beziehung aus?

Stärke dein erwachsenes Ich

Ertappe dich und schalte um

Übung: Zwei Positionen der Wahrnehmung

Übung: Die drei Positionen der Wahrnehmung

Unterscheide Fakten von Interpretationen

Übung: Realitätscheck

Nimm dich aus der Verstrickung

Argumente statt Bauchgefühl

Nimm dein Schattenkind an die Hand

Übung: Das Schattenkind an die Hand nehmen

Alltagsstrategien fürdas Schattenkind

Aufmunternde Sprüche

Klare Ansagen

Kraftquellen

Powerposen

Übung: Powerposen – kraftvolle Körperhaltungen

Entdecke dein Sonnenkind

Übung: Schöne Kindheitserinnerungen

Übung: Finde deine positiven Glaubenssätze

1. Positive Glaubenssätze aus der Kindheit

2. Umdrehen der Kernglaubenssätze

Übung: Argumente für das Sonnenkind

Übung: Finde deine Stärken und Ressourcen

Übung: Spüre dein Sonnenkind

Vom Sonnenkind in die Beobachterposition

Finde deine Schatzstrategien

Allgemeine Schatzstrategien

Übernimm die Verantwortung und bejahe, was ist

Löse deine Projektion auf und finde eine Metahaltung

Sieh zu, dass dir dein Leben Spaß macht

Schatzstrategien im Dienste der Autonomie: Lerne, dich abzugrenzen, mach dein Ding!

Nimm dich wichtig

Mach die Augen auf

Spüre dich selbst

Übung: Das verärgerte Schattenkind beruhigen

Entscheide und handle

Übung: Körperliche Empfindungen als Entscheidungshilfe nutzen

Diskutiere und argumentiere

Lerne, Nein zu sagen

Lass los

Schatzstrategien im Dienste der Bindung: Lerne, dich anzupassen, vertraue und lass dich ein!

Löse deinen Widerstand auf

Übung: Widerstand auflösen mit den drei Positionen der Wahrnehmung

Lass deine schwachen Gefühle zu

Übung: Schwache Gefühle bejahen

Lerne zu vertrauen

Übe dich in Wohlwollen und Empathie

Übung: Wohlwollen einüben mit den drei Positionen der Wahrnehmung

Du darfst dir auch mal helfen lassen

Sag einfach mal Ja

Finde deine persönlichen Schatzstrategien

Zusammenfassung: Acht Schritte in ein neues Leben

Literaturverzeichnis

Register

Wie bitte?! Jeder ist beziehungsfähig?

Ja, Sie haben richtig gelesen: Die allermeisten Menschen, die vergeblich ihr Glück in der Liebe suchen, weil sie scheinbar nie den oder die Richtige finden oder weil sie in einer unglücklichen Partnerschaft verharren, haben das Potenzial, mit einem Partner – auch mit dem, den sie schon haben – glücklich zu werden. Voraussetzung ist allerdings, dass man ein paar Dinge lernt, die für eine glückliche Partnerschaft grundlegend sind. Um welche Fertigkeiten es sich hierbei handelt und wie man sie erlernen kann, das will ich Ihnen in diesem Buch erklären. Eine erfüllte Liebesbeziehung ist nämlich keine Glückssache, sondern eine Frage der persönlichen Entscheidung und der inneren Einstellung.

Natürlich gibt es in Einzelfällen Menschen, die nahe Liebesbeziehungen nicht bzw. nur sehr eingeschränkt gestalten können. Diese Menschen haben entweder so massive psychische Traumata erlitten, dass ihr Vertrauen in andere Menschen zerstört ist, und/oder ihnen fehlen, zum Teil auch genetisch bedingt, Fähigkeiten wie zum Beispiel Einfühlungsvermögen und eine gewisse emotionale Schwingungsfähigkeit, die für die Liebe wichtig sind. Bei sehr schweren Störungen des emotionalen Erlebens sind dem psychotherapeutischen Handeln Grenzen gesetzt. Insofern möchte ich mein freches Statement: »Jeder ist beziehungsfähig!« für diese Fälle einschränken.

Aber ich bin überzeugt: (Fast) Jeder kann eine glückliche Beziehung führen, wenn ihm die Balance zwischen Anpassung und Selbstbehauptung gelingt oder, wie die Psychologen sagen, zwischen Bindung und Autonomie. Das klingt geradezu banal und ist es irgendwie auch. Und trotzdem ist kaum jemandem bewusst, wie ungeheuer weitreichend diese beiden Fähigkeiten – also sich einerseits anpassen zu können und sich andererseits selbst zu behaupten – unser Fühlen, Denken und Handeln bestimmen. Bindung (hierzu gehört die Anpassung) und Autonomie (hierzu gehört die Selbstbehauptung) sind Themen, die die gesamte Menschheit betreffen und stellen existenzielle psychische Grundbedürfnisse dar. Sie prägen sogar unser Selbstwertgefühl. Denn unser Gefühl dafür, ob wir uns eher als wichtig und wertvoll empfinden oder häufig an unserem Wert zweifeln, resultiert letztlich aus den Erfahrungen, die wir als Kinder und Erwachsene mit Bindung und Liebe auf der einen Seite und Selbstbehauptung und Autonomie auf der anderen machen bzw. gemacht haben.

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass die Wahl unseres Partners, unserer Partnerin ebenso wie das Gelingen oder Scheitern einer Beziehung sich auf die Gegensätze Bindung und Autonomie sowie Unterlegenheit und Überlegenheit (Selbstwertgefühl) reduzieren lassen. Auch das Problem, keinen Partner zu finden, obwohl man sich eine Beziehung wünscht, sowie der Wunsch, als Single zu leben, haben ihre Wurzeln in einem ungünstigen Umgang mit den Polen Bindung und Autonomie.

Gerechtigkeit, Aufgabenverteilung, Kompromisse, Machtkämpfe, Attraktivität, Leidenschaft, Erotik, Elternschaft, Heirat, Singleleben, Seitensprünge, Affären, Vertrauen, Misstrauen … all diese Themen, die in Partnerschaften oder auch beim Alleinleben eine so wichtige Rollen spielen, kann man auf die Bindungswünsche und Autonomiebedürfnisse der Beteiligten sowie auf ihre Unterlegenheits- bzw. Überlegenheitsgefühle zurückführen, verstehen, und ganz wichtig: verbessern und lösen. Wer eine gute Balance zwischen Anpassung und Selbstbehauptung findet und sich auf Augenhöhe mit seinem Partner (und anderen Menschen) fühlt, ist beziehungs-, arbeits- und genussfähig. Diese drei Fähigkeiten sind auch gleichsam die Säulen seelischer Gesundheit.

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt jedoch auf der Beziehungsfähigkeit, so wie es der Titel verheißt. Ich möchte Ihnen erklären, wie tief unsere menschlichen Grundbedürfnisse nach Bindung, Autonomie und Selbstwerterhöhung unsere Beziehungsgestaltung durchdringen. Unser Umgang mit diesen Grundbedürfnissen bestimmt wesentlich, was wir wollen und wer wir sind; wen wir lieben und wie wir mit unseren Partnern umgehen; was uns Angst macht und wie wir uns vor dieser Angst schützen; ob wir uns selbst verwirklichen oder fremdbestimmt leben; was uns anmacht und was uns abtörnt; worüber wir streiten und wo wir nachgeben und noch viel, viel mehr.

Außerdem möchte ich Ihnen natürlich erklären, wie Sie, um Ihr Glück in der Liebe zu finden, Ihre Bindungsfähigkeit und/oder Ihre autonomen Fähigkeiten verbessern können und damit einhergehend Ihren Selbstwert stabilisieren. Für diesen Zweck gebe ich viele praktische Anregungen und Übungen.

Dieses Buch richtet sich an Menschen jeglicher sexueller Ausrichtung, da die beschriebenen Mechanismen von Bindung, Autonomie und Selbstwert in jeder Beziehung eine zentrale Rolle spielen. Auch wenn die Beispiele in diesem Buch sich auf heterosexuelle Paare beziehen, mögen sich bitte Schwule, Lesben und Transsexuelle genauso angesprochen fühlen.

Mein Anliegen ist, dass Sie Ihr Glück in der Liebe selbst in die Hand nehmen und nicht passiv darauf warten, dass sich Ihr Partner irgendwann verändert oder Mr bzw. Mrs Right bei Ihnen anklopft. Mithilfe dieses Buches können Sie sich aktiv selbst auf den Weg zu Ihrem Wunschpartner begeben oder auch erkennen, dass Sie ihn vielleicht schon längst gefunden haben.

Ich habe viele praktische Übungen zusammengestellt, die Ihrerseits Einsatz verlangen. Es sei Ihnen überlassen, ob Sie alle Übungen aktiv durchführen oder sie nur lesen und sich hierbei innerlich sortieren. Sie können natürlich auch nur diejenigen Übungen machen, die Sie ansprechen.

Sind wir nicht doch eine Generation von Beziehungsunfähigen, Frau Stahl?

Diese Frage wird mir seit dem Erscheinen des Bestsellers »Generation Beziehungsunfähig« des Bloggers Michael Nast Anfang des Jahres 2016 von Journalisten häufig gestellt. Nast behauptet ja, dass der Perfektionismus und der Selbstoptimierungswahn in unserer Gesellschaft, vor allem in der jungen Generation, exorbitant seien und die Jüngeren deswegen immer bindungsunwilliger würden. Die jüngere Generation suche nach dem perfekten Partner, den es aber leider nicht gebe. Außerdem werde, vor allem von jungen Männern, die Aussage: »Ich bin beziehungsunfähig!« häufig schlicht als Ausrede für Bindungsunwilligkeit benutzt. Diese sei sozusagen die Migräne des Mannes. Dating-Portale trügen ein Übriges dazu bei, dass die Beziehungen immer oberflächlicher und unverbindlicher würden, so Nast. Michael Nast schreibt aus seiner persönlichen Erfahrung, und wie seine große Anhängerschaft zeigt, teilen viele Menschen seine Erfahrungen.

Sicherlich gibt es nicht wenige Menschen, die man als beziehungsunfähig bezeichnen könnte – aber war das nicht schon immer so? Könnte es nicht sein, dass die Beziehungsunfähigkeit heute nur anders ausgelebt wird als früher? Um diese Frage zu beantworten, habe ich mir als Erstes die aktuelle psychologische Studienlage zum Thema »Liebe und Beziehung über verschiedene Generationen« angeschaut und bin zu folgenden Schlussfolgerungen gekommen: Schwierige Beziehungen und kaputte Ehen hat es schon immer gegeben, und man darf nicht die Dauer einer Beziehung/Ehe als Kriterium für Beziehungsfähigkeit heranziehen. Heutzutage trennen sich Paare zwar öfter und auch schneller, aber nicht, weil die Menschen weniger beziehungsfähig sind, sondern weil die Ansprüche an die Beziehungsqualität gestiegen sind. Dies hat etwas mit der wachsenden Unabhängigkeit von Frauen zu tun, die sehr viel seltener als früher geneigt sind, in einer unglücklichen »Versorgungsehe« auszuharren: Die meisten Scheidungen werden von Frauen eingereicht. Außerdem ist auch das gesellschaftliche Korsett viel lockerer geworden: Kein Mensch muss heutzutage heiraten und eine Familie gründen, um als ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu gelten. Auch die Sexualität kann heute viel freier und unverbindlicher ausgelebt werden. Das Internet macht die Anbahnung von sexuellen Abenteuern mühelos. Aber all diese Umstände tragen nicht dazu bei, dass die Menschen beziehungsängstlicher werden, sondern sie machen es Betroffenen lediglich leichter, mit ihrer Beziehungsangst zu leben. Es gibt also nicht mehr Beziehungsängstliche als früher, sie sind in unserer modernen Gesellschaft nur besser sichtbar. Außerdem möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass schon in den 1960er Jahren die Beziehungslosigkeit zum Wunschzustand deklariert wurde: »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment!«, lautete die Devise – das ging damals auch schon ganz ohne Internet.

Beziehungsunfähigkeit entsteht nicht durch das Internet und die vielen Wahlmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, und auch nicht durch das Leben in der Großstadt. Beziehungsfähigkeit ist etwas, das man im Elternhaus lernt. Bei Mama und Papa erfahren wir, ob wir liebenswerte Wesen sind und ob man zwischenmenschlichen Beziehungen im Großen und Ganzen vertrauen kann. Die Prägungen, die wir durch unsere Eltern erfahren, beeinflussen unser späteres Beziehungsleben ganz erheblich. Die Bedingungen für Kinder sind in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht schlechter geworden. So sind die Eltern jüngerer Generationen im Schnitt wesentlich besser darüber informiert, was Kindern guttut, und sie gehen einfühlsamer mit ihrem Nachwuchs um, als es die häufig traumatisierten Eltern der Nachkriegsgenerationen taten. Das Wissen über Kindererziehung hat unglaublich zugenommen, und auch in bildungsfernen Schichten hat sich herumgesprochen, dass es nicht gut ist, seine Kinder zu schlagen. Dem steht zwar eine höhere Scheidungsrate gegenüber, aber – auch das haben zahlreiche Studien ergeben – eine Scheidung ist für Kinder besser zu ertragen als ein Dauerstreit der Eltern. Eine hochzerstrittene Beziehung der eigenen Eltern ist übrigens eine häufige Ursache von Bindungsangst.

Bindungsangst entsteht, wenn Kinder sich zu sehr anpassen müssen, um ihren Eltern zu gefallen. Wenn also die Eltern nicht in der Lage sind, die Entwicklung ihres Kindes einfühlsam zu fördern, übernimmt das Kind die Verantwortung dafür, dass seine Beziehung zu seinen Eltern gelingt. Es ist existenziell von ihnen abhängig und bereit, alles zu tun, damit seine Eltern es liebhaben. Hierfür zahlt es jedoch den Preis der Überanpassung, für die ein Teil seiner eigenen Identität auf der Strecke bleibt. Dies ist der Nährboden für Bindungsangst im Erwachsenenalter. Bindungsängste resultieren aus der Mischung von Verlustangst und Angst vor dem Selbstverlust in einer nahen Liebesbeziehung. Hierauf werde ich noch ausführlich zu sprechen kommen. Die Phänomene, die Nast in seinem Buch beschreibt, wie die Suche nach dem perfekten Partner, plötzliches Abtauchen nach den ersten Dates, Promiskuität, Unverbindlichkeit und heftige Wechsel von Nähe und Distanz, sind typische Symptome von Bindungsangst. Wer jedoch meint, Bindungsängstliche heirateten grundsätzlich nicht – weit gefehlt. Es gibt nicht wenige Ehen mit bindungsängstlichen Strukturen: Einer oder beide Protagonisten halten innerhalb der Ehe mithilfe zahlreicher Distanzmanöver Abstand, wie etwa Flucht in die Arbeit und Hobbys, sexuelle Lustlosigkeit, Außenbeziehungen, schweigen oder häufig streiten etc.

Der Bindungswunsch als angeborenes Grundbedürfnis ist jedoch in allen Menschen vorhanden. Und er wird auch in aktuellen Umfragen genau so formuliert: Die allermeisten Menschen wünschen sich nach wie vor, den Partner fürs Leben zu finden bzw. mit ihrem Partner alt zu werden. Daran hat sich nichts geändert. Auch meine persönliche Beobachtung bestätigt dies: Ich kenne sehr viele junge Leute, die sich sehr früh, manchmal schon zu Schulzeiten, an einen Partner binden, und die ewig lang zusammenbleiben – das hat es in meiner Zeit so gut wie nie gegeben. Wir haben früher viel öfter die Partner gewechselt. Vielleicht haben wir es heutzutage also sogar mit einer Generation »beziehungsfähig« zu tun.

Bindung und Autonomie

Wie ich bereits gesagt habe, zählen unser Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit und unser Bedürfnis, freie, autonome Menschen zu sein, zu unseren existenziellen menschlichen Grundbedürfnissen. Unser gesamtes Leben von Anfang bis Ende ist von ihnen durchdrungen. Wir kommen an die Nabelschnur gebunden auf die Welt und werden dann entbunden. Wenn der Säugling keine Bindungsperson findet, die sich seiner annimmt, stirbt er. Er ist vollkommen abhängig von der Pflege und Versorgung durch andere Menschen. Unser erstes Erleben auf dieser Welt ist also von einer existenziellen Abhängigkeit bestimmt. Bindung und Abhängigkeit sind miteinander assoziiert. Die einzig autonome Handlung, die dem Säugling verbleibt, um auf sich aufmerksam zu machen, ist Schreien. Nur durch Schreien kann er Einfluss auf seine Eltern nehmen. Wenn die Eltern darauf nicht reagieren und das Kind ewig schreien lassen, macht es die Erfahrung, dass sein Handeln wirkungslos ist und es nicht in sein Leben eingreifen kann. Dies ist eine tiefe Ohnmachtserfahrung, die Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter hat, vor allem dann, wenn auch die weitere Kindheit und Jugend davon bestimmt sind, dass das Kind wenig Einfluss auf seine Eltern nehmen kann, weil diese autoritär und rigide an seinen Bedürfnissen vorbei handeln.

Unsere gesamte Entwicklung ist darauf ausgelegt, dass wir immer selbstständiger und autonomer werden. Das Ziel ist, dass wir als junge Erwachsene vollkommen autonom und losgelöst von den Eltern ein eigenständiges Leben führen können. Somit werden auch die Einflussmöglichkeiten des Kindes im Laufe seines Heranwachsens immer größer: Es lernt greifen, krabbeln, laufen, sprechen, und sein Handlungsspielraum wird immer größer. Gleichzeitig spielen aber auch die Bindungsbedürfnisse des Heranwachsenden durchweg eine sehr wichtige Rolle: Am Anfang steht die Bindung an die Eltern, danach folgt die Bindung an die weitere Familie wie Geschwister und Großeltern. Im Kindergarten erweitert sich der Bezugsrahmen um Erzieher, Erzieherinnen und Spielkameraden und in der Schule um Lehrkräfte und Freunde. Ab der Pubertät werden zumeist die ersten Versuche einer Liebesbeziehung gestartet.

Unser gesamtes Leben sind wir damit beschäftigt, einerseits unsere Bindungswünsche zu erfüllen und andererseits selbstbestimmt und frei zu handeln. Dabei beschränkt sich unser Bedürfnis nach Bindung natürlich nicht nur auf Liebesbeziehungen, sondern kann auch beim Chatten, Public Viewing, in der Kneipe oder im Beisammensein mit Freunden erfüllt werden. Sind die ersten zwei Jahrzehnte unseres Lebens davon bestimmt, dass wir immer autonomer werden und sich unser zwischenmenschlicher Bezugsrahmen erweitert, so sollte die Mitte unseres Lebens davon gekennzeichnet sein, dass wir eine gute Balance zwischen Bindung und Autonomie finden. Gegen Ende unseres Lebens verringert sich unsere Autonomie hingegen vielfach wieder, weil wir auf die Hilfe anderer angewiesen sind, und wir verlieren die Bindungen an nahestehende gleichaltrige Menschen, weil diese sterben. Mit unserem eigenen Tod lösen sich schließlich sowohl unsere Bindungen als auch unsere Autonomie auf.

Anpassung und Selbstbehauptung

Soll eine zwischenmenschliche Beziehung, welcher Natur auch immer, gelingen, so müssen die Beteiligten in der Lage sein, sich sowohl anzupassen als auch selbst zu behaupten. Die Anpassung dient unserem Bindungsbedürfnis und die Selbstbehauptung unserem Bedürfnis nach Autonomie. Wer sich nicht anpassen kann, kann sich nicht binden, und wer sich nicht selbst behaupten kann, verliert innerhalb einer Beziehung seine persönliche Freiheit. Die meisten Menschen passen sich tendenziell eher zu sehr an, oder sie grenzen sich zu stark ab. Einige pendeln auch zwischen beiden Polen, je nach Art und Phase der Beziehung. Einem sehr starken Partner unterwerfen sie sich vielleicht. In einer anderen Beziehung nehmen sie selbst die dominante Position ein.

Überangepasste Menschen unterdrücken in zwischenmenschlichen und insbesondere in Liebesbeziehungen weitgehend ihre Wünsche und Bedürfnisse. Sie versuchen, die Erwartungen ihres Partners (und häufig auch anderer Menschen) bestmöglich zu erfüllen. Sie sind von der unterschwelligen Angst getrieben, dass sie andernfalls die Nähe zu ihrer Bindungsperson verlieren könnten. Es ist aber auch möglich, dass ein überangepasster Mensch, genau den gegenteiligen Weg wählt, indem er enge Liebesbeziehungen vermeidet oder nach Momenten der Nähe immer wieder Distanz herstellt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von Bindungsangst. Die Betroffenen sehen keine andere Möglichkeit, ihre persönliche Freiheit zu retten, als sich immer wieder oder auch endgültig von ihrem Partner zu distanzieren. Sie können sich nur richtig frei und unabhängig fühlen, wenn sie allein sind bzw. von Menschen umgeben, die keine besonderen Erwartungen an sie stellen. Nur dann geben sie sich die Erlaubnis, nach ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu handeln, die sie dann am besten spüren können, wenn kein Erwartungsträger in der Nähe ist.

Um mich anpassen zu können, benötige ich bestimmte soziale Fertigkeiten: So muss ich etwa die Wünsche meines Gegenübers wahrnehmen und erfassen können. Dies geschieht über das menschliche Einfühlungsvermögen, die Empathie. Die Empathie bildet die Brücke vom Ich zum Du. Zwischenmenschliche Bindungen und Beziehungen verlangen, dass die Beteiligten aufeinander zugehen, sich öffnen, Kompromisse finden, sich integrieren, hinwenden, nachgeben, sich vereinen und aneinander festhalten. Dies sind alles Verhaltensweisen, die der Anpassung und Bindung dienen. Anpassung erfordert, dass ich die Unterschiede zu meinem Gegenüber verringere, ihm ähnlicher werde, seine Erwartungen erfülle, damit es mich annimmt. Auf der Gefühlsebene motivieren uns Liebe, Zuneigung und erotische Anziehung, Bindungen einzugehen, während uns Schamgefühle nötigen, uns an allgemeine Regeln und Normen der Gesellschaft anzupassen.

Um mich an einen anderen Menschen binden zu können, benötige ich aber auch ein gewisses Ausmaß an persönlicher Autonomie, sonst laufe ich Gefahr, mich selbst und meine Freiheit in einer zwischenmenschlichen Beziehung zu verlieren. Eine Gefahr, die viele Menschen bei dem Gedanken an eine enge Liebesbeziehung durchaus verspüren.

Die Behauptung eigener Interessen und Bedürfnisse verlangt andere Fähigkeiten als jene, die meinen Bindungswunsch erfüllen: Ich muss mich abgrenzen und trennen können. Mein Blick richtet sich nicht auf das Gemeinsame und Verbindende, sondern darauf, was meinen Partner und mich unterscheidet und voneinander trennt. Indem ich mich aus-einander-setze, nehme ich Abstand zu meinem Gegenüber ein. Ich muss also riskieren, dass ich die Nähe zum anderen – zumindest für einen Moment – verliere. Um diese Trennung zu verkraften, brauche ich einen eigenen Willen, der mich zu meinen Zielen und Interessen führt. Und natürlich benötige ich auch eine gewisse Konfliktfähigkeit: Ich muss meinen Standpunkt einnehmen und ihn behaupten können.

Begriffe, die mit Autonomie verknüpft sind, sind unter anderem: Freiheit, Kontrolle, Abgrenzung, Macht, Selbstbestimmung, Loslassen, Abschied, Trennung, Dominanz, Wettbewerb und Konkurrenz. Hier geht es also um den persönlichen Überlebenskampf und die Durchsetzung der eigenen Interessen, notfalls auch gegen die Interessen meiner Mitmenschen oder meines Partners. Deswegen benötigen wir für unsere persönliche Freiheit und Autonomie auch die Fähigkeit, uns trennen und loslassen zu können. Im Zuge des Erwachsenwerdens müssen wir uns von unseren Eltern und manchmal auch von anderen Menschen lösen, wenn wir unseren eigenen Weg gehen wollen. Die Fähigkeit, sich zu trennen, die gleichsam auch eine Erlaubnis ist, dies tun zu dürfen, ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir uns auf eine Liebesbeziehung einlassen können. Wer nämlich die Empfindung hegt, dass er von einem potenziellen Partner nie wieder loskommt oder sich niemals trennen darf, der verspürt viel Widerstand, wirklich Ja zu einem Partner zu sagen: Der imaginierte Freiheitsverlust ist in diesem Fall sehr groß. Die Betroffenen haben in der Regel bei mindestens einem Elternteil erfahren, dass sie sich nicht ohne Schuldgefühle lösen dürfen. Das enttäuschte Gesicht der Mutter kann eine tiefe Prägung sein, durch die eine Liebesbeziehung mit einem Zuviel an Angebundensein und Verpflichtung assoziiert wird.

Auf der Gefühlsebene benötigen wir für die Bewahrung unserer Autonomie Aggression, wir sprechen auch von sogenannter Trennungsaggression. Wut und Aggression verspüren wir, wenn unsere persönlichen Grenzen überschritten werden, wir uns gestört, aufgehalten, unverstanden, zurückgewiesen, beleidigt oder ungerecht behandelt fühlen. Aggression ist notwendig, damit wir uns beschützen und verteidigen können. Und wir benötigen auch ein gewisses Ausmaß an Aggression, um uns im Leben das zu nehmen, was wir haben wollen.

Unterlegenheit und Überlegenheit

Neben unseren Wünschen, sowohl autonom als auch gebunden zu sein, haben wir alle ein großes Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz unserer Person. Unser Selbstwert ist eng verknüpft mit der Qualität unserer Bindungen und mit unserer subjektiv empfundenen Wehrhaftigkeit. Wer sich gut selbst behaupten kann, fühlt sich psychisch stark. Wer über liebevolle und tragfähige Bindungen verfügt, fühlt sich angenommen und dazugehörig. Beides stärkt unseren Selbstwert.

Die Frage ist jedoch: Was müssen wir tun, um geliebt und angenommen zu werden? Genügt es, dass ich einfach so bin, wie ich bin? Darf ich in einer Beziehung zu meinen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen stehen? Oder muss ich die Erwartungen des anderen erfüllen und mich anpassen? Die Antworten auf diese Fragen hängen von meinem Selbstwertgefühl ab. Verfüge ich über ein stabiles Selbstwertgefühl, werde ich befinden, dass ich okay bin, so wie ich bin, und dass ich mich in einer Liebesbeziehung weder verbiegen noch verstecken muss. Ist mein Selbstwertgefühl ein wenig oder sogar stark angeknackst, werde ich zu dem Ergebnis kommen, dass ich mich in irgendeiner Form anstrengen muss, um geliebt zu werden. Hier liegt eine ganz zentrale Ursache für Beziehungsprobleme: Viele Menschen trauen sich nicht, authentisch zu sein. Sie verstecken Teile von sich, indem sie bestimmte Gefühle unterdrücken, ihre Bedürfnisse zu wenig äußern, eine bestimmte Rolle einnehmen, Konflikte vermeiden und Probleme unter den Teppich kehren. Sie fühlen sich nicht wirklich auf Augenhöhe mit ihrem Partner, sondern wähnen sich ihm in irgendeiner Weise unterlegen. Wenn wir uns jedoch einem (scheinbar) stärkeren Gegenüber unterlegen fühlen, ist unsere natürliche Reaktion, uns zu unterwerfen (oder vor ihm zu fliehen). Die Anpassung ist die kleine Schwester der Unterwerfung, und sie mündet darin, dass wir uns bemühen, die Erwartungen unseres scheinbar stärkeren Partners zu erfüllen, damit wir ihm gefallen und von ihm angenommen werden. Mit anderen Worten: Wir opfern in diesem Fall einen Teil unserer Autonomie, um unserem Bindungswunsch zu entsprechen.

Wer in der Position des Überlegenen und wer in jener des Unterlegenen ist, hängt aber nicht allein von unserem empfundenen Selbstwert ab, sondern auch davon, wie sicher wir uns in einer Beziehung fühlen. So kann es passieren, dass zwei Menschen mit einem labilen Selbstwertgefühl sich ineinander verlieben und mithin theoretisch auf Augenhöhe wären. Nun ist es aber oft so, dass einer der beiden Partner seinen labilen Selbstwert schützt, indem er eher Distanz zum anderen einhält, sich also in die Autonomie flüchtet, während der andere Partner sich anpasst und klammert, also einen sehr starken Bindungswunsch verspürt. Hier spielen natürlich auch Beziehungsdynamiken eine wichtige Rolle: Je mehr der scheinbar autonome Partner sich distanziert, desto stärker schürt er die Verlustangst im anderen und löst bei diesem folgerichtig einen heftigen Klammerimpuls aus. Die Macht in dieser Konstellation hat der »Näheflüchter«, die Ohnmacht der »Klammeraffe«. Durch dieses Machtgefälle ist der Flüchtende in der stärkeren, überlegenen Position, während sein anklammernder Partner sich unterlegen und abhängig fühlt. Dabei erfolgt die Distanzierung des um Autonomie ringenden Partners nicht nur aktiv, indem er die Zeit des Zusammenseins mit seinem Partner knapp bemisst und diesen möglichst auch körperlich auf Distanz hält, sondern auch passiv, indem er zwar körperlich anwesend ist, sich aber wenig öffnet und sich kaum für die Beziehung engagiert.

Der wünschenswerte Zustand ist, dass sich zwei Menschen auf Augenhöhe begegnen und sich gleichwertig fühlen. Dann können sie sowohl ihren Wunsch nach Bindung, Nähe und Abhängigkeit als auch ihr Bedürfnis nach Selbstständigkeit und Autonomie unter einen Hut bekommen. Für die gelingende Bindung können sie vertrauen, zuhören, empathisch sein, sich hingeben, nachgeben und Kompromisse schließen. Für die gelingende Autonomie können sie authentisch sein, zu ihren Wünschen und Bedürfnissen stehen, argumentieren, verhandeln und streiten. Wenn die Partner dann noch hinsichtlich ihrer Werte und Interessen ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen, werden sie eine glückliche und lebendige Beziehung führen. Wie man dahin kommt, ist der Inhalt dieses Buches.

Unser Beziehungsprogramm

Unsere Kindheitsprägungen sind von enormer Bedeutung, wenn wir uns selbst und unsere Interaktionsmuster verstehen wollen. Unsere ersten Liebesbeziehungen sind jene zu unseren Eltern. Hier lernen wir, ob wir es wert sind, dass man sich um uns kümmert, und ob wir Einfluss auf unser Leben nehmen können. Bei unseren Eltern machen wir existenzielle Erfahrungen mit Bindung und Autonomie. Diese Erfahrungen spuren sich tief in unserem Gehirn ein, vor allem in unserem Gefühlsleben. Es handelt sich um tiefe Konditionierungen, die wir als unbewusste, psychische Programme mit in unser Erwachsenenleben nehmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich in den ersten sechs Lebensjahren zentrale Schritte unserer Gehirnentwicklung vollziehen und unsere Erfahrungen aus dieser Zeit zu neuronalen Verknüpfungen führen, die dann unser Gehirn quasi wie eine Landkarte prägen. Dies möchte ich an einem konkreten Beispiel erklären: Julia ist seit zwei Jahren mit Robert zusammen. Sie fühlt sich in der Beziehung oft einsam. Nach einer verliebten Anfangszeit hat sich Robert immer mehr von ihr entfernt. Er arbeitet sehr viel und hat wenig Zeit für sie. Aber auch, wenn sie zusammen sind, wirkt er oft gestresst und innerlich abwesend. Julia leidet in dieser Beziehung unter starker Verlustangst, und sie tut viel dafür, Robert enger an sich zu binden, indem sie sich sehr bemüht, ihm zu gefallen. Julia hat ihre Eltern in liebevoller Erinnerung. Allerdings standen diese im öffentlichen Leben und haben sie deswegen öfter der Obhut von Kindermädchen überlassen. Die kleine Julia hat sich oft einsam gefühlt und ihre Eltern schrecklich vermisst. Diese kleine Julia steckt immer noch in der erwachsenen Frau, als ihr sogenanntes inneres Kind. Das »innere Kind« ist eine psychologische Metapher, die für jenen Persönlichkeitsanteil in uns steht, der immer wieder und unbewusst in alte, kindliche Muster zurückfällt. Roberts distanzierte Art ruft das innere Kind von Julia auf den Plan – sie fühlt sich genauso einsam und ohnmächtig wie damals, wenn ihre Eltern mal wieder in der Welt unterwegs waren und sie daheim zurückließen. Julia kann – wie damals bei ihren Eltern – keinen Einfluss auf die Situation nehmen. Robert macht stur sein eigenes Ding. Sie hat ihn schon oft und vergeblich um mehr Nähe und Verbindlichkeit gebeten. Julia ringt in der Beziehung zu Robert um mehr Bindung.

Auch Robert beheimatet natürlich ein inneres Kind in sich. Seine Mutter hat ihn abgöttisch geliebt und ihn sehr eng an sich gebunden. Der kleine Robert hatte immer das Gefühl, dass er die Mama nicht alleine lassen darf, zumal der Vater durch häusliche Abwesenheit »glänzte«. Robert spürte, dass die Mama sich einsam und unglücklich fühlte und übernahm deswegen unbewusst die Verantwortung für sie. Entsprechend hatte er oft Schuldgefühle, wenn er sich lieber mit seinen Freunden zum Spielen verabreden wollte, statt bei der Mama zu bleiben. Roberts inneres Kind wurde also so geprägt, dass es mit einer Liebesbeziehung Angebundensein, Verpflichtung und Schuldgefühle assoziiert. Deswegen hat er oft das Gefühl, in der Beziehung mit Julia zu ersticken, weswegen er sich in die Arbeit und andere Aktivitäten flüchtet. Robert ringt in der Beziehung zu Julia um seine Freiheit und Autonomie.

Wenn Robert und Julia eine glückliche Beziehung miteinander führen wollten, müssten sie zuerst lernen, ihr inneres Kind zu verstehen, sich also ihre tiefen, unbewussten Kindheitsprogramme bewusst machen. Denn nur dann können sie diese im nächsten Schritt verändern. Robert könnte so lernen, dass er auch innerhalb einer engen Liebesbeziehung ein freier Mensch sein kann, und Julia könnte sich aufmachen und ihre autonomen Fähigkeiten verbessern, damit sie sich nicht mehr so abhängig von Robert fühlt und aufhört zu klammern.

Unser Beuteschema

Wenn wir unsere Beziehung verbessern oder einen Partner finden möchten, mit dem wir glücklich werden, ist es notwendig, dass wir messerscharf analysieren, woran es bislang hapert. Oft meinen wir ja, der Partner wäre schuld, wenn die Beziehung schwierig ist, oder auch das Schicksal, das uns immer die Falschen zuspielt. Wir haben die Tendenz, die Ursachen unseres Unglücks in der Außenwelt zu verorten. Tatsächlich sind sie dort jedoch eher selten zu finden – meiner Meinung nach eigentlich nur bei völlig unverschuldeten Schicksalsschlägen. Ich gehe davon aus, dass alle Probleme, die im weitesten Sinne eine eigene Beteiligung aufweisen – und das gilt für alle Beziehungsprobleme –, hausgemacht sind. Möglicherweise finden Sie diese Aussage sehr krass, und sie mag Ihren Widerspruch provozieren. Vielleicht haben Sie einen Partner, der sich tatsächlich sehr schwierig verhält, wie Robert im obigen Beispiel. Gleichwohl stellt sich die Frage, warum Sie sich genau diesen Partner oder diese Partnerin ausgesucht haben. Und warum Sie bei ihm bleiben. Vielleicht meinen Sie aber auch, Ihnen wäre einfach noch nicht der oder die Richtige über den Weg gelaufen. Oder, dass Sie sich immer in die Falschen verlieben. Vielleicht lautet Ihr Widerspruch auch: Warum soll ich denn eine feste Beziehung haben? Habe ich gar keinen Bock drauf. Ich bin gern Single!

Man denkt ja immer, es sei Zufall oder Glückssache, ob wir den richtigen Menschen finden, mit dem wir glücklich werden können. Tatsächlich ist es jedoch so, dass unser Unterbewusstsein, also unser inneres Kind, einen erheblichen Einfluss darauf nimmt, in wen wir uns verlieben oder eben auch nicht verlieben. Wenn ich scheinbar immer an die Falschen gerate, dann hat das etwas mit meinem Liebesprogramm, mit meinem unbewussten Beuteschema zu tun. Wenn ich in einer schwierigen Beziehung verharre, dann hat dies ebenso mit meinem inneren Kind zu tun. Häufig trägt es ja auch selbst dazu bei, dass die Beziehung nicht rundläuft. Wenn ich die Ansicht vertrete, dass ich keine feste Bindung benötige, das Alleinsein oder zahlreiche Affären bevorzuge, dann ist auch dies auf mein Beziehungsprogramm zurückzuführen.

Unser Beziehungsprogramm und unser Beuteschema sind ineinander verwoben – das eine hängt vom anderen ab. Dies möchte ich noch einmal am Beispiel von Julia und Robert erläutern: Julias Beziehungsprogramm ist geprägt davon, dass ihre Eltern sie häufig alleingelassen haben, weswegen ihr inneres Kind sich stark nach Bindung und Liebe sehnt. Julias Balance zwischen Bindung und Autonomie ist also zugunsten der Bindung aus dem Gleichwicht. Julia hat alle Fertigkeiten, um sich zu binden und anzupassen: Sie ist harmoniebedürftig, kompromissbereit und sehr bemüht, alles richtig zu machen und die Erwartungen von Robert zu erfüllen. Was ihr hingegen schwerfällt, ist, autonom auf eigenen Füßen zu stehen. Sie hat zwar einen guten Beruf und kann sich selbst versorgen, sie ist auch schon phasenweise als Single klargekommen, aber ihr inneres Kind hat große Angst vor der Unabhängigkeit und dem Alleinsein. Es fühlt sich auf einer tiefen Ebene diesem Leben nicht wirklich gewachsen. Julia sehnt sich nach einer starken Hand, die sie durchs Leben führt. Für ihr inneres Kind ist die sicherste Option, dass jemand bei ihr ist. Und deswegen sucht Julia in ihrem Partner genau das, was ihr fehlt: ein starkes, autonomes Ich. Und genau dieses meinte sie (unbewusst) in Robert gefunden zu haben. Robert ist sozusagen ein »cooler Typ«, er strahlt Unabhängigkeit und Stärke aus, das macht ihn für Julia ungeheuer attraktiv.

Roberts inneres Kind hingegen hat Angst vor zu viel Nähe. Es fühlt sich schnell vereinnahmt und manipuliert. Die sicherste Option von Roberts innerem Kind lautet, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Seine innere Balance ist also zugunsten der Autonomie gestört. Deswegen mag er Frauen wie Julia, die so viel Wärme ausstrahlen, weil sein inneres Kind zwar Angst vor der Bindung hat, sich aber gleichzeitig sehr danach sehnt. Julia hat also jene Fähigkeiten, die ihm eher abgehen.

Julia sagt über sich, dass sie auf »die coolen Jungs« stehe, die netten und lieben finde sie hingegen langweilig. Solange sie also nicht ihr Beuteschema ändert, wird sie nicht den Richtigen finden. Sie wird sich immer von Männern angezogen fühlen, die viel Distanz und persönlichen Freiraum in einer Beziehung benötigen, was Julia jedoch verunsichert und verängstigt. Sie müsste lernen, autonomer und selbstständiger zu werden, dann bräuchte sie diese Seite nicht in einem pseudostarken Gegenüber zu suchen, sondern hätte sie in sich selbst verinnerlicht. Hierdurch würde sich ihr Blick auf die Männer verändern, und sie würde viel schneller durchschauen, dass manche »coolen Typen« gar nicht so cool sind, sondern einfach nur ein Bindungsproblem haben. Gleichzeitig könnte es dann gut passieren, dass Männer, die auf den ersten Blick nicht so cool wirken, in ihr Blickfeld gerieten, weil sie mit beiden Füßen im Leben stehen und authentisch sind.

Würde Robert hingegen sein Beziehungsprogramm verändern, indem er seine Angst vor Nähe auflöste, bräuchte er nicht mehr vor Julia davonzulaufen und könnte sich auf eine nahe Beziehung zu ihr einlassen.

So wie Julia und Robert geht es den meisten Menschen: Wir suchen in unserem Partner gern etwas, das uns selbst fehlt. Wir suchen nach unserer »besseren Hälfte«. In den allermeisten Fällen bleibt dieser Wunsch nach Ergänzung und Vervollkommnung durch den Partner jedoch unbewusst, und das innere Kind ist an der Partnersuche aktiv beteiligt. Es möchte seine alten Verletzungen aus früheren Zeiten heilen. Bei Julia etwa besteht diese Verletzung im Alleingelassen-Werden durch die Eltern. Robert wiederum ist durch das Anklammern der Mutter tief verletzt worden. Der Versuch, bei einem Partner Wiedergutmachung für das zu finden, was in der Kindheit schiefgelaufen ist, misslingt jedoch häufig. Das innere Kind benötigt Heilung in sich selbst. Je gesünder es wird, desto beziehungsfähiger wird es, und es gelingt ihm dann viel leichter, den richtigen Partner zu erkennen. Möglicherweise muss es sich dazu aus einer bestehenden Partnerschaft lösen. Vielleicht wird es aber auch den Partner, den es bereits hat, mehr wertschätzen und lieben lernen.

Typisch Mann, typisch Frau

Es gibt sie, die Unterschiede im Verhalten von Männern und Frauen. Doch sind sie genetisch bedingt oder anerzogen? Nachdem es lange Zeit populär war, von angeborenen Geschlechtsunterschieden auszugehen und dies von einigen Studien scheinbar bestätigt wurde, deutet die aktuelle Forschung darauf hin, dass die genetischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen überinterpretiert werden und es im Wesentlichen die gesellschaftlichen Rollenbilder sind, mit denen Mädchen und Jungen erzogen werden, die zu den unterschiedlichen Verhaltens- und Denkweisen beider Geschlechter beitragen. Dies hat eine breit angelegte Studie der US-amerikanischen Forscherin Lisa Eliot ergeben.*

Wie auch immer – genetisch und/oder erziehungsbedingt tendieren circa zwei Drittel der Männer eher zum autonomen Pol, während zwei Drittel der Frauen sich eher auf der Bindungsseite verorten. Welche Auswirkungen hat dies in der Kommunikation und im Verhalten? Zunächst einmal betonen Männer stärker den Sachaspekt, während bei Frauen die Beziehung im Vordergrund steht. Männern fällt es im Durchschnitt leichter, einen Abstand zu Dingen einzunehmen und sehr kopfbetonte Entscheidungen zu treffen. Frauen sind stärker auf Kooperation bedacht und überlegen sich, welche Auswirkungen ihre Entscheidung auch auf andere Menschen hat. Wenn Julia Robert von einem Problem erzählt, das sie mit einer Freundin hat, dann erwartet sie, dass Robert ihr zuhört und sich in sie einfühlt. Robert hingegen ist bemüht, eine Lösung für Julias Problem zu finden. Davon will Julia jedoch eigentlich gar nichts wissen – die Lösung wird ihr im Gespräch wahrscheinlich selbst einfallen. Ihr geht es um Roberts Anteilnahme.

Der Psychotherapeut und Buchautor Björn Süfke hat für dieses häufig vorzufindende Kommunikationsproblem zwischen Männern und Frauen eine plausible Erklärung. Süfke sagt, dass in der männlichen Sozialisation schwache Gefühle nicht erwünscht seien: Ohnmacht, Hilflosigkeit, Trauer, Angst und Scham dürfen traditionell eher von Frauen als von Männern gefühlt werden. Jungen lernen früh, sogenannte schwache Gefühle in sich zu unterdrücken. Freude und Wut sind hingegen legitim. Ich erinnere: Wut bzw. Aggression ist die Emotion auf der autonomen Seite. Wenn nun Julia traurig und ein bisschen hilflos ist, weil sie einen Konflikt mit ihrer besten Freundin hat, dann ist das Robert unangenehm, weil er mit diesen Gefühlen bei sich selbst nichts zu tun haben will. Aber genau so funktioniert Einfühlung: Man geht in Kontakt mit seiner eigenen Trauer, um die Trauer des anderen zu spüren. Wenn dieser innere Draht zu den eigenen Gefühlen aber irgendwie gefährlich ist, dann muss man auch über die entsprechenden Gefühle beim Gegenüber hinweggehen, weil sie ja genau diese Gefühle in einem selbst wachrufen könnten. Der Empathiemangel ist also eine Abwehr gegen die eigenen schwachen Gefühle, die Mann nicht spüren will. Empathie ist nun aber eine der Grundfähigkeiten, die wir für Bindung benötigen. Die Schwierigkeiten mancher Männer (und auch Frauen), sich empathisch in ihr Gegenüber einzufühlen, vermindern mithin auch ihre Bindungsfähigkeit.

Wenn Sie zu den Empathiemuffeln gehören, möchte ich Ihnen empfehlen, dass Sie sich im ersten Schritt erlauben, Ihre schwachen Gefühle zu spüren und sich im zweiten Schritt für die Gefühle Ihrer Mitmenschen öffnen. Den Kontakt zu Ihren eigenen Gefühlen können Sie herstellen, indem Sie ganz bewusst auf sie achten. Wenn Sie dann zum Beispiel ein leises Gefühl von Trauer verspüren, dann drücken Sie es bitte nicht automatisch weg, wie Sie es sonst immer tun, sondern tun Sie genau das Gegenteil: Geben sie ihm innerlich Raum. Keine Sorge, es wird weder ewig anhalten noch Sie vollkommen vom Hocker reißen. Gefühle sind immer vorübergehend – die positiv empfundenen ebenso wie die negativ wahrgenommenen. Je besser Ihr Draht zu Ihren eigenen Gefühlen wird, desto weniger rätselhaft werden Ihnen die Gefühle Ihrer Mitmenschen erscheinen.

Weil Männer eher sachbezogen sind, unterhalten viele von ihnen sich auch wesentlich lieber über Sachthemen als über Beziehungen, und sie finden sich auch gern zu gemeinsamen Aufgaben zusammen. Für Männer ist das »Nebeneinanderher« eine angenehme Form des Miteinander-Seins. Das heißt, sie tüfteln zum Beispiel nebeneinander an einem Auto, gehen angeln, segeln oder auf den Golfplatz. Frauen hingegen beziehen sich in ihren Gesprächen und ihrem Tun stärker aufeinander.