Jetset-Bea im Wilden Westen - Bea Swietczak - E-Book

Jetset-Bea im Wilden Westen E-Book

Bea Swietczak

4,8

Beschreibung

"Jetzt reichts!", sagte sich Society-Reporterin Bea Swietczak, als sie eines Tages vor lauter Stress schon ihr abgeschaltetes Handy klingeln hörte. Statt wie andere tapfer weiter bis zum Burnout zu arbeiten, erfüllte sie sich ihren größten Wunsch: den Cowboys auf der Spur durch den Wilden Westen reisen. Denn Cowboys sind, davon ist sie überzeugt, noch wahre Männer. Kurzentschlossen buchte sie sich das "Wohnwagen-Roulette", d.h. die Überführung eines nagelneuen Wohnmobils von A nach B. Ersparnis: zwei Drittel des üblichen Preises. Der einzige Haken: Es gibt verschiedene Größen. Und man muss nehmen, was kommt. Doch das elf Meter lange Monster, das man ihr andrehte, war nicht die einzige Herausforderung, die sie auf dieser Reise zu bewältigen hatte. Aber kneifen ist nicht, wenn man ganz auf sich allein gestellt in der Prärie steht. Dabei liefen ihr Wölfe, Waschbären, Stinktiere und possierliche Erdmännchen über den Weg. Sie fuhr über Ölfelder in Texas, durchquerte Indianerreservate, Prärien und Wüstenstriche in New Mexico und Arizona. Sie fuhr sich in einer Schlucht fest, übernachtete auf Ranches, trank in Saloons mit Cowboys um die Wette und traute sich zum ersten Mal in ihrem Leben selbst auf ein Pferd. Dieses Buch ist hervorragende Unterhaltung und ein Credo für das Allein-Reisen. Es soll Mut und Lust machen und zeigt Bea Swietczaks Devise: auf zu neuen Abenteuern.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
Originalausgabe
1. Auflage 2016
© 2016 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Foto­kopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Antje Steinhäuser
Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch
Umschlagabbildung: Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
Fotos Innenteil: privat
ISBN Print 978-3-86882-594-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-776-9
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-777-6
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de

Inhalt

1. Kapitel: Weit weg, und zwar allein
2. Kapitel: Meine To-do-Liste in Washington
3. Kapitel: Russisch Roulette in Chicago
4. Kapitel: Der Pott in seiner ganzen Pracht
5. Kapitel: Mit dem Monster auf Tour
6. Kapitel: Ein Stück Route 66
Bildteil
7. Kapitel: Bei den Amischen
8. Kapitel: Cowboys treffen in Oklahoma
9. Kapitel: In Dallas töte ich das Monster
10. Kapitel: Ein Jeep – Die neue Freiheit gönn’ ich mir
11. Kapitel: Mit Arizona-Bill durch Tombstone
12. Kapitel: Klarer Sternenhimmel und unendliche Weiten

1. KapitelWeit weg, und zwar allein

Ich will ’nen Cowboy als Mann. Das wusste ich schon als kleines Mädchen. Zum Schulfasching ging ich meistens als Cow­girl. Ich las Wildwestromane und schaute Western im Fernsehen. ­Bonanza, Rauchende Colts und Die Leute von der Shiloh Ranch. Das waren meine Serien. Bonanza hatte es mir am meisten angetan. Ich liebte diesen Männerladen. Vater Ben Cartwright mit seinen Söhnen Adam, Hoss und Little Joe, die gemeinsam auf der Ponderosa-Ranch lebten und es mit jedem aufnahmen, der ihnen dumm kam.

Obwohl ich noch weit von der Pubertät entfernt war, fühlte ich mich besonders zu Adam Cartwright hingezogen. Ein echter Kerl. Stark, breitschultrig, sonnengegerbte Haut. Ich war mir ganz sicher: So einen wollte ich später, wenn ich groß bin, mal heiraten.

Aber auch das ganze Drumherum liebte ich. Die Weite der Prärie, die Westernsaloons, die Lagerfeuerromantik, die Pferde. Eigenartig, dass ich nie Reiten gelernt habe. Das ist wohl meinem Elternhaus geschuldet. Mitten in Hamburg, wo ich aufwuchs, gab es keine Reiterhöfe. In meiner Freizeit sollte ich lieber für die Schule und ein Instrument lernen.

Stattdessen spielte ich mit meinen Freunden auf dem Hinterhof Cowboy und Indianer. Es machte mir eine Riesenfreude, mit meiner Plastik-Winchester die blöden Jungs zu erschießen. Aber nur, wenn sie Heulsusen waren. Die starken Jungs mochte ich. Sie wurden verschont.

Heute, Jahrzehnte später, fühle ich mich immer noch zu diesem Männerbild hingezogen. Ich mag Kerle, die wissen, was sie wollen. Dranbleiber. Die eine klare Ansage machen. Bei denen das, was sie sagen und was sie tun, nahtlos einhergeht. Nicht wie beim Gros der Männer, die hü sagen und hott meinen. Und dann trotzdem immer in der Brrrr-Stellung verharren.

Ich verabscheue auch Waschlappen. Männer, die nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen können. Solche, die sich morgens ihre Kleidung von ihren Ehefrauen herauslegen oder sich im Restaurant von ihnen Probierhappen in den Mund schieben lassen. Und die womöglich ihre Gemahlin auch noch »Mutti« oder »Mama« nennen, wenn sie gemeinsame Kinder haben.

Richtig tollen Männern, die auch als Partner taugen, bin ich nicht oft begegnet. Meistens solchen, die in ihren Berufen aufgehen und der Karriere hinterherjagen. Die ihre Ehefrauen und Familien vernachlässigen, aber trotzdem die Zeit finden, sich Geliebte zu halten. Denen Besitz, Ansehen und Geld das Wichtigste im Leben zu sein scheint. Solche Männer sind keine richtigen Kerle. Solche Männer sind jämmerliche Egoisten.

Deshalb erfüllte ich mir einen langersehnten Herzenswunsch. Ich buchte eine Reise nach Nordamerika. Ins Land der unbegrenzten Freiheit. Zwar war ich schon oft in den Staaten, aber nie ganz privat. Ich hatte Sehnsucht nach den endlosen Weiten der Prärien.

Ich wollte herausfinden, wie frische Zypressen duften, einen Pferderücken unter meinem Hintern spüren. Erfahren, wie es ist, abends in einem klaren See zu baden, um sich die staubige Hitze des Tages von der Haut zu waschen. Und ganz nebenbei wollte ich auch noch herausfinden, ob es da drüben richtige Männer gibt. Kerle, die anpacken können. Ja, ich musste Cowboys kennenlernen.

Ich wollte unbedingt weg und meine Neugier und Sehnsucht stillen. Das war mir Monate zuvor klar geworden. Es gibt ja immer diesen einen Moment, in dem es Klick macht. Im Bruchteil einer Sekunde. Das passierte, als ich nach einem Flug am New Yorker Airport am Schalter einer Leihwagen-Vermietung stand. Ich war gerade damit beschäftigt, meinen Vertrag zu unterzeichnen.

Da klingelte das Handy in meiner Umhängetasche. Doch das konnte gar nicht sein. Denn ich hatte es nach der Langstrecke noch nicht wieder eingeschaltet. Ich war mir dennoch ganz sicher, dass ich es klingeln hörte. Ich wühlte in meiner Tasche und sah nach. Es war aus. Die erste Stufe zum Burnout. Und das kommt nicht von ungefähr.

Wenn ich nicht verreise, was meine größte Leidenschaft ist, bin ich in meinem normalen Leben Society-Reporterin. Freischaffend. Single. Kinderlos, haustierlos, pflanzenlos und im besten Alter. Seit mehr als zwanzig Jahren mache ich diesen Job. Ich liebe ihn, keine Frage. Ich drehte Beiträge für große Fernsehsender, schrieb Gesellschaftskolumnen in der BILD, der Welt, der Welt am Sonntag, der Hamburger Morgenpost und berichte über Promis für Unterhaltungsblätter wie Bunte, Closer und einige ­Yellows.

Mir wird nie langweilig. Der Job öffnet Tor und Türen, durch die ich sonst nie hindurchgehen könnte. Er bringt mich an die Bretter, die die Welt bedeuten. Ich lerne viele Persönlichkeiten kennen. Hollywoodstars, Musikproduzenten und Filmmogule. Spitzensportler, Kultur-Ikonen, Politiker und Wirtschaftsbosse. Aber auch Schein-VIPs in einer Glamourwelt, die völlig irreal ist.

Was viele sich aber nicht vorstellen können: Dieser Beruf ist verdammt anstrengend. Ich arbeite mindestens an sechs Tagen die Woche, komme regelmäßig zu spät ins Bett. Muss immer hellwach und aufmerksam sein und ständig neue Storys über die Schönen und Reichen für meine Auftraggeber und Abnehmer am Start haben.

Klar, es ist ein Jetset-Leben. Weshalb mir enge Freunde den Namen »Jetset-Bea« verpasst haben. Ich komme viel herum, werde zu Helikopterflügen und auf private Jachten eingeladen. Ich werde hofiert und verwöhnt. Aber ich bin immer auf dem Sprung, muss binnen kürzester Zeit eine Story druckreif recherchieren. Connections pflegen, flexibel sein und neugierig. Ich muss über rote Teppich gehen, hinter die Kulissen schauen, Partys und Premieren besuchen, an Dinners teilnehmen und mir die Nächte in High-Society-Clubs um die Ohren schlagen. Dazu muss ich auch noch trinkfest sein.

Am meisten liebe ich Schampus. Roederer Cristal und Dom Pérignon sind meine Lieblingsmarken. Im niedrigen Preissegment bevorzuge ich Moët & Chandon, Lanson und Taittinger. Am liebsten Rosé. Ich muss auch stressresistent sein, unangenehme Interview-Fragen stellen können und immer schön freundlich bleiben. Natürlich muss ich auch noch strahlend frisch und gestylt aussehen. Wie Carrie Bradshaw in Sex and the City. Na ja, so ähnlich (ich bin vollschlank). Aber das ist ja auch nur im Film.

Meine Freunde und Freundinnen finden alle ganz toll, was ich mache. Klar, sie würden auch gern Superstars treffen: Jodie Foster und Richard Gere interviewte ich in einem Luxushotel in Hamburg, Top-Model Karolína Kurková während einer Taxifahrt durch Berlin, Antonio Banderas in seinem Wohnwagen am Filmset in Toronto, Mick Jagger während einer Stones-Tournee in Mailand.

Seiner Exfrau Bianca Jagger stellte ich in der Umkleidekabine einer Edelboutique am Sunset Boulevard Fragen, während ich ihren BH zuknöpfte (kein Witz). Mickey Rourke lud mich ein, mit ihm im Pool seiner Beverly-Hills-Villa zu baden. Was ich natürlich tat, da war er ja auch noch saftig. Mit Rod Stewart klönte ich auf einer Backstage-Party nach seinem Konzert im Londoner Hyde Park.

Mit Colombo-Darsteller Peter Falk und Pamela Anderson saß ich bei einer Tierschutz-Gala in Los Angeles am Ehrentisch. Ich traf Dieter Bohlen und seine damalige Freundin Estefania bei sich zu Hause, und bei einem Pferderennen in Abu Dhabi traf ich irgendeinen milliardenschweren Scheich aus Dubai, dem eine Fluglinie und eine Fußballmannschaft gehören. In der Villa des Top-Models Tatjana Patitz bin ich über die Jahre immer wieder gern gesehener Gast, wenn ich in ihrer Gegend in Malibu und Santa Barbara bin.

Von unseren deutschen Stars wie Til Schweiger, Peter Maffay, Barbara Schöneberger und den anderen üblichen Verdächtigen ganz zu schweigen, traf ich auch die Klitschkos, Jessica Alba, Paul McCartney, Bruce Willis, Barry White, David Bowie, Donald Sutherland, George Clooney, Whoopie Goldberg, Robbie Williams sowie Eric Clapton und die Jungs von Deep Purple und Led Zeppelin (ich liebe Rock’n’Roll).

Es waren über die Jahre endlos viele. Unvergessen der Besuch bei der »Traumfrau« Bo Derek. Sie lebte damals, als ich ein Fernseh-Feature für das ZDF über sie drehte, auf ihrer Ranch im Stil einer mexikanischen Hazienda auf einem Hügel in der Pampa in Kalifornien. Mit 22 Pferden, einem Ara-Papagei und acht (!) Hunden.

Bo hatte Cowboys für die Pferde, einen Whirlpool für sich und ein eigenes Schwimmbecken für ihre Hunde. Das ganze Haus war aus Naturmaterialien gebaut. Erdfarben im Wohnbereich, Türkistöne im Bad, mit Rinderfellen bedeckte Ledersessel, Longhorn-Schädel an den Holzwänden, Lagerfeuerstellen draußen. Boah, fand ich das toll.

Damals war mein Besuch auf dem Derek-Anwesen nach einem Tag beendet. Alles im Kasten, Klappe zu. Aber so was in der Art wollte ich nun auf meiner anstehenden Reise erneut erleben. Ich wollte tolle Locations sehen, Leute treffen, die darin leben. Da ahnte ich noch nicht, dass es viel, viel besser kommen würde. Und auch nicht, dass ich zu einer neuen Erkenntnis gelangen würde: Minimalismus ist der neue Luxus.

Für einen Freischaffenden ist es viel schwieriger, wegzukommen. Mal eben so zwei Monate am Stück abdüsen? Schließlich verdient man in der Zeit nichts. Aber ich setze immer alles daran, meine Träume zu verwirklichen. Die To-do-Liste wird gnadenlos abgearbeitet. Bloß später nichts bereuen müssen. Wer möchte schon kurz vorm Himmelstor denken: Ach, hätte ich doch bloß …? Das ist Sünde.

Australien, Asien, Afrika, Europa sowieso. Ich habe schon alle Kontinente gesehen. Zu zweit und allein. Mit Freundin oder Lover. Es zieht mich immer wieder nach Amerika. Ich liebe die vielseitige Landschaft und die kontaktfreudigen und offenen Menschen. Zwar bringen sie mich manchmal zur Verzweiflung. Aber es ist okay für mich, wenn die Leute etwas oberflächlich, aber dafür freundlich daherkommen.

Bei jeder Reise, die ich mit einem Leihwagen mache, plane ich eine neue Route. So wird es nie langweilig. Langeweile ist Rückschritt. Meistens endet meine Tour in Los Angeles, weil ich dort Freunde habe, die ich besuche. Zudem kann ich gleichzeitig ein paar Hollywood-Storys für meinen Job aufreißen.

»Hast du denn gar keine Angst? So weit weg und ganz alleine?«, fragt mich meine Freundin Birgit jedes Mal. Und jedes Mal antworte ich: »Ganz ehrlich? Nein, hab ich nicht. Wenn du hier zum Supermarkt einkaufen gehst, bist du auch allein. Wenn du mit dem Auto zu einem Termin fährst, sitzt auch keiner neben dir. Ich mache nichts anderes. Nur in big.«

»Aber es ist bestimmt langweilig, so ganz allein«, guckt mich Birgit mit fragenden Augen an, als hätte sie mich erwischt.

»Das Gegenteil ist der Fall. Man lernt überall neue Leute kennen, ist viel offener«, sage ich. »Man fühlt sich richtig frei, kann aufstehen und essen, wann man möchte, muss auf niemanden Rücksicht nehmen und braucht sich für nichts zu rechtfertigen. Außerdem findest du unterwegs deinen Seelenfrieden. So eine Reise erspart garantiert den Klapsdoktor.«

Sie gibt nicht auf: »Und was ist, wenn dir etwas passiert?«

»Hallo? Ich reise doch nicht zu den Taliban«, sage ich dann. »Aber natürlich bin ich aufmerksam und nicht leichtsinnig. Genau wie hier in Deutschland auch.«

Schon bei der Planung überkommt mich Vorfreude wie vor einem ersten Date mit einem Traummann. Mit Bauchkribbeln und so. Ich überlege mir die Strecke mithilfe von Google Maps am Computer. Die beiden Klassiker an der Westküste bin ich schon gefahren: Route 66 von Los Angeles nach Chicago, und Highway 1 von San Francisco bis San Diego. Die sind empfehlenswert, aber mehr was für Einsteiger.

Als Highway-Profi will ich dieses Mal neben Sightseeing-Hot­spots auch in unberührte Gebiete vorstoßen. Fernab der üblichen Touristenpfade. Im Netz lässt sich gut recherchieren, was es unterwegs zu sehen gibt. Herrlich! Vorfreude pur. Dabei grille ich in meiner Fantasie schon mit coolen Cowboys Steaks am Lagerfeuer.

Meine Wahl fiel auf eine Tour von Chicago nach Los Angeles. Aber nicht klassisch über die Route 66, die in Chicago beginnt. Darüber wollte ich nur den ersten Teil der Strecke zurücklegen und mich dann südlich halten. Dabei würde ich um die 4000 Kilometer fahren und sieben Bundesstaaten durchqueren: Illinois, Missouri, Oklahoma, Texas, New Mexico, Arizona und Kalifornien. Yes! That’s it!

Am besten mit dem Wohnwagen. Das erste Mal ganz allein in einem fahrenden Wohnzimmer. Eine Premiere. Mit einem Wohnmobil war ich zwei Jahre zuvor schon mal mit meinem Exfreund Tom zwei Wochen lang durch die Staaten unterwegs. Von New York bis Miami. Einfach toll. Nicht wegen Tom, sonst wäre er ja nicht mein Ex, aber wegen der fahrenden Wohnung mit Küche und Dusche. Man fühlt sich vollkommen unabhängig.

Ich gehöre nicht zu jenen, die alles genau durchplanen. Spontaneität ist die Würze des Lebens. Doch bei so einem großen Vorhaben lohnt sich die Recherche im Internet. Aus Gründen der Kostenminimierung. Dabei suche ich auch nach landestypischer Musik. Das kommt immer ganz gut. In diesem Fall Country. Willie Nelson, Hank Williams und ein bisschen Johnny Cash. Zum Einstimmen auf die Cowboys. Das macht Laune.

Ich buchte einen Flug mit der Icelandair (kannte ich vorher gar nicht). Von Hamburg aus musste ich zwei statt einen Zwischenstopp in Kauf nehmen. Erst Kopenhagen, dann Reykjavík in Island. Ein kleiner Umweg, aber dafür ein Viertel gespart. Zudem fand ich einen deutschen US-Reisespezialisten, der günstige Wohnmobile anbietet. Ein sogenanntes Wohnwagen-Roulette.

Man bucht zum Drittel des üblichen Preises ein Wohnmobil neu ab Werk, das man von A nach B bringt. Einziger Haken: Es gibt neun verschiedene Größen. Welches Modell man beim Abholen vor Ort bekommt, wird eine Überraschung. Es kann der kleine Wohnwagen mit fünfeinhalb Metern Länge sein, oder der größte mit über elf Metern. Gott bewahre.

Deshalb wies ich bei der Buchung extra darauf hin, dass ich allein reise und gern einen kleinen Wohnwagen hätte. »Es handelt sich ja um ein Roulette, weil wir nicht wissen, was man Ihnen zur Verfügung stellen wird«, sagte die freundliche Kundenberaterin.

»Das richtet sich ganz danach, welche Modelle das Werk gerade an den Verleiher ausliefert und welche Modelle später bei Ihrer Abgabestation geordert sind.«

»Hm, kann ich denn gar keinen Einfluss darauf nehmen?«, fragte ich.

»Doch schon«, meinte die nette Dame. »Wir versuchen gern, individuelle Wünsche zu berücksichtigen, aber ohne Garantie. Wenn Sie beim Ausfüllen des Buchungsformulars im Extrafeld Ihr Anliegen vermerken, leiten wir das an die Abholstation in Chicago weiter.«

»Aber was ist, wenn ich dort ankomme und sie mir von den neun Größen ausgerechnet das allergrößte Modell geben?«, hakte ich nach. »Dafür braucht man doch bestimmt eine LKW-Lizenz. Darf man so ein Gefährt denn mit einem Führerschein, Klasse 3, fahren?«

»Ja, schon. In Amerika ist das kein Problem. Dort können Sie mit dem normalen deutschen Führerschein fast alles kutschieren«, bekam ich zur Antwort. »Aber nun seien Sie mal zuversichtlich. So ein Fall ist noch nicht vorgekommen.«

Na, denn.

Ich buchte also das Wohnwagen-Roulette von Chicago bis Los Angeles und meinen Flug von Hamburg nach Washington. Denn ich hatte vor der Wohnwagen-Rutsche in der US-Hauptstadt etwas ungeheuer Wichtiges zu erledigen, bevor es nach Chicago ging. So ein Mädchen-Ding. Das stand nämlich auch auf meiner To-do-Liste. Und daran ist Tom schuld. Wie gesagt, mein Ex. Der hatte mir bei einem früheren Urlaub unseren Washington-Trip vermiest. Ich hatte etwas nachzuholen. Mehr dazu später.

Nun steht die große Reise an. Als freie Mitarbeiterin habe ich keine verpflichtenden Verträge. Dennoch melde ich mich bei den Redaktionen, für die ich öfter arbeite, ab.

»Waaas? Zwei Monate bist du weg?«

»Ja, du hast richtig gehört. Außerdem ist hier in Hamburg wieder Fluchtwetter, es regnet«, sage ich zu Dieter, meinem Lieblingsressortleiter bei Bunte.

»Genau deshalb bin ich ja Freie geworden, damit ich so frei sein kann, das zu tun.«

»Du hast ja recht. Wenn ich frei wäre, würde ich das wohl auch machen«, meinte er verständnisvoll. Dieter ist ein Vollblutjournalist. Einer der alten Garde. Er ist rund um die Uhr erreichbar, wenn es um eine Story geht. Sogar im Urlaub. Wenn Dieter sich privat mal für zwei Wochen nach Kalifornien ausklinkt, dann ist er gefühlt auf langer Weltreise. Ich nenne das einen Kurztrip. Selbst für Festangestellte sollten zumindest vier Wochen am Stück drin sein, in denen man Amerika locker bereisen kann. Aber dieser ganze gemachte Leistungsdruck hindert die Leute am Leben.

Es wird immer schlimmer. Hierzulande läuft etwas grundlegend falsch. Die Firmen kündigen ihren Mitarbeitern. Betriebsbedingt, wie es so schön heißt. Planstellen werden nicht neu besetzt, wenn jemand geht. Redaktionen werden zusammengelegt, damit weniger Leute nötig sind. Es herrscht ein Klima der Angst. Angst, dass andere besser sind. Angst, nicht mehr gebraucht zu werden. Angst, den Job zu verlieren.

Ich kenne viele Kollegen, die trotz Krankheit in die Redaktion schleichen, anstatt sich zu Hause auszukurieren. Junge Väter, die auf ihren Vaterschaftsurlaub verzichten, damit nicht andere die Abwesenheit nutzen und an ihren Stühlen sägen. Mütter, die nach der Geburt ihres Babys vorzeitig zur Arbeit gehen oder von zu Hause aus Geschichten in ihrer freien Zeit recherchieren.

Kollegen, die auf ihre Mittagspause verzichten und unappetitlich von ihrem Kantinenteller essen, der neben der Computertastatur steht, während sie hektisch ihre Storys reinhacken. Die immer Überstunden machen und selbst an den Wochenenden per E-Mail und Handy erreichbar sind. Wundert mich nicht, wenn die auch bald ihr Handy klingeln hören, obwohl es ausgeschaltet ist.

Das Wesentliche im Leben bleibt dabei auf der Strecke: Partner (wenn vorhanden), Freunde, Familie, Entspannung, Genuss, das Glücklichsein. Das führt zu Frust, Traurigkeit und irgendwann zum Mentalkollaps, Tinnitus oder gar Herzinfarkt. In anderen Branchen verhält es sich ähnlich. Die Leute tun so, als hätten sie fünf Leben. Dabei ist das eine schon viel zu kurz. Ich war auch mal in so einem Hamsterrad. Dabei lehne ich es kategorisch ab, nicht glücklich zu sein.

Deshalb mache ich da nicht mehr mit. Freiheit ist das höchste Gut. Ich reise so oft und so lange ich kann. Da war es nur naheliegend, meinem Kindheitstraum zu folgen und mich im Wilden Westen auf die Suche nach dem persönlichen Glück zu machen. Und zwar ganz allein.

Ganz wichtig ist dabei die Gepäckauswahl. Je weniger im Koffer desto bequemer die Reise. Und mal ehrlich: Man schleppt immer einen ganzen Hausstand mit. Besonders Frauen. Zehn Kilo inklusive des Koffers reichen vollkommen aus. Maximal. Es gibt unterwegs doch überall Waschcenter. Wozu stapelweise Klamotten mitschleppen?

Ich brauche für acht Wochen USA nur eine Jeans und eine kurze Hose, ein Paar Flip-Flops sowie ein Paar Sportschuhe, fünf T-Shirts, einen Pulli, eine wärmende Jacke, einen Badeanzug, etwas Unterwäsche, Socken. Keine Handtücher, die werden gestellt. Eine Taschenlampe. Am schwersten ist die Kulturtasche. Wieso heißt die eigentlich so? Creme fürs Gesicht und den Body, Sonnenmilch, Aftersun, Shampoo und Haarkur, Nageletui - ist ’n Mädelsding. Und mein Anny-Nagellack namens »Dark Night«. Ein tiefes Dunkelrot, die Lieblingsfarbe für meine Nägel. Das alles wiegt halt, kann man aber auch unterwegs kaufen.

Aber Make-up bleibt strikt zu Hause. Das ist psychischer Ballast und der Verzicht eine richtige Befreiung. Von der Zeitersparnis ganz zu schweigen. Schon das tägliche Schminken, um im Job ansprechend auszusehen, reicht mir. Wenn ich mich an sechs Tagen in der Woche schminke und jedes Mal fünfzehn Minuten brauche, dann sind das ungefähr achtzig Stunden im Jahr. Also über drei Tage kostbare Lebenszeit. Hallo? Geht’s noch?

Im Urlaub wird keine Zeit verplempert, nur genossen. Ganz wichtig ist eine vollständige Reiseapotheke. Dort hinein gehören (neben der Pille): Aspirin, krampflösende Tabletten wie Buscopan (bei Bauchweh), Augentropfen (gegen Trockenheit), Pflaster und Wunddesinfektionsspray sowie Präservative (man weiß ja nie).

Ich nehme auch immer Kortisontabletten mit, seitdem ich mal einen Allergieschock hatte. Vor einem Boxkampf zwischen ­Vitali Klitschko und Chris Arreola in Los Angeles aß ich Bio-Tante ausgerechnet Fast-Food-Mist. Es gab nichts anderes. Ich bekam schlimmes Hautjucken und Atemnot. Wahrscheinlich wegen irgendeiner fiesen Chemiekeule im Essen.

Statt zur After-Show-Party ging’s ins Krankenhaus Cedars-Sinai. Kennt man aus den Medien. Dort werden Hollywoodstars nach ihren Sufftouren und Drogenexzessen eingeliefert. Hätte ich Kortison dabei gehabt, wäre die Sache nach ein paar Stunden erledigt gewesen. Aber so musste ich erst sämtliche Untersuchungen über mich ergehen lassen.

Kortison ist verschreibungspflichtig. Auch in den USA, wo es sonst aber eine vielfältige Auswahl an recht preiswerten Medikamenten ohne Rezept gibt. Und zwar im Supermarkt. Viele haben 24 Stunden lang geöffnet. Was beim Packen fehlt, kann jederzeit nachgekauft werden.

An Bargeld nehme ich nur 500 Dollar mit, rund 400 Euro. Drüben setze ich für alles meine Kreditkarte ein. Das ist dort üblich. Die Amis zahlen jeden Lolli mit ihrer Karte. So sind sie halt. Von Travellerschecks rate ich ab. Banken, die sie einlösen, sind schwer zu finden.

Jetzt habe ich meine Siebensachen zusammen. Und los geht’s. Anderen Arbeitsjunkies gegenüber bin ich klar im Vorteil. Denn ich kann abschalten, sobald ich im Flieger sitze. Ob die Ferres Herrn Dödeldingsbums heiratet, die Neubauer einen neuen Film rausbringt oder Branjolina wieder ein neues Kind adoptieren, interessiert mich dann nicht die Bohne. Leben im Hier und Jetzt. Das ist die Devise.

Erster Zwischenstopp: Kopenhagen. Drei Stunden Aufenthalt. Mein Handy, das ich nur für den Notfall mitnehme, bleibt ausgeschaltet. Ich beobachte ein wenig mitleidsvoll die vielen Geschäftsleute. Wie sie mit Aktenkoffern in der einen und Kaffee-Pappbechern in der anderen Hand es irgendwie schaffen, sich ihre mobile phones hinters Ohr zu klemmen.

Ein grauhaariger Bartträger im Edelzwirn hat sich in die sogenannte »Quiet Zone« verdrückt. Die richten einige Flughäfen für Zwischenstopps bei Langstreckenflügen ein. Fürs Nickerchen zwischendurch. Seine Mitmenschen sind dem Mann völlig egal. Er spricht so laut, als wäre er ganz allein auf dem Planeten. Wahrscheinlich denkt er, die »Quiet Zone« ist dafür da, dass er dort in Ruhe telefonieren kann.

Während des Weiterfluges nach Reykjavík sitze ich in der Dreierreihe am Fenster. Zum Glück. Mein Lieblingsplatz im Flieger ist immer am Fenster. Da kann ich mich ganz in die Ecke drücken und muss nicht ständig für den Nachbarn aufstehen, wenn der eine schwache Blase hat.

Neben mir sitzt ein rothaariger Wikinger-Hüne in einem senf­gelben Anzug, igitt. Ganz selbstverständlich stützt er beide Ellenbogen auf die beiden Mittellehnen. Wem gehören die eigentlich? Die Dame mit dem Gangplatz in unserer Reihe wirft mir einen solidarischen Blick zu. Wir denken dasselbe. Nun legt dieser unhöfliche Kerl seinen Kopf in den Nacken und schnarcht mit offenem Mund. Ich will endlich in die Prärie.

Dem Generve und der langen Flugzeit entkomme ich mithilfe meiner Fantasie. Sie beamt mich in die nächsten zwei Monate und ganz weit weg vom letzten Alltagsärger. Zum Beispiel über meinen Nachbarn. Der hatte sich über ein paar lächerliche Nussschalen beschwert. Die waren beim Eichhörnchen-Füttern auf seinen Balkon gefallen. Ärgern kann ich mich auch über diese Müttergeschwader bei Starbucks. Wenn sie ganz selbstverständlich mit ihren Kinderwagen den Eingang blockieren und böse reagieren, wenn du was sagst.

Meine Gedanken fliegen schon mal vorweg. Nach Washington, meinem ersten USA-Step. Bis zum Abholen meines Wohnmobils bleibt noch eine Woche Zeit. Wenn man die Ostküste der Vereinigten Staaten anfliegt, ist der Regierungssitz Pflicht. Die Stadt hat viel zu bieten: die zahlreichen Museen und die geschichtsträchtigen Gebäude wie das Weiße Haus, das Capitol, das Lincoln Memorial oder die FBI-Zentrale.

Auch freue ich mich auf Leckereien, die es so nicht in Deutschland gibt. Die werde ich mir alle reinziehen. Ohne Rücksicht auf Kalorien. Bin ja schließlich im Urlaub. Es gibt ein paar Dinge, die ich immer haben muss. Dazu gehören Red-Velvet-Cupcakes auf die Hand, Blended Margaritas mit Salzrand in einer Rock-Bar und Tuna-Melt-Sandwiches bei Whole Foods.

Whole Foods ist nicht irgendeine Lebensmittel-Ladenkette. Whole Foods ist die größte amerikanische Biosupermarktkette und eine Lebensphilosophie. 1980 in Texas gegründet gibt es inzwischen mehr als 400 Filialen. 2014 verzeichnete der Konzern einen Jahresumsatz von 14,2 Milliarden Dollar. Das Konzept setzt auf zeitkonforme Ganzheitlichkeits-Attitüde und Nachhaltigkeit im Umgang mit Natur und Tier. Das Verkaufspersonal ist jung, locker, cool drauf und suggeriert den Kunden, dass alle glücklich sind.

Es gibt nur hochwertige Lebensmittel und fast nur Bioprodukte. Davon aber eine Riesenauswahl, die nach allen Regeln der Verkaufspsychologie exklusiv präsentiert wird. Dazu kann man an den Tresen frische Schnellgerichte wie warme Sandwiches, Pizzas, Eintöpfe oder Currys ordern. Praktisch: Sie können an den Bistrotischen hinter den Kassen oder draußen im Freiluftcafé verzehrt werden. Natürlich gibt es auch ein ansprechendes Sortiment an Biokosmetikprodukten sowie Bioputzmittel und Klopapier. Damit der Whole-Foods-Jünger bloß nicht noch woanders zum Einkaufen hin muss.

Firmenchef John Mackey begründete den Erfolg des börsennotierten Unternehmens in einem Interview mal so: »Nicht das Einkommen unserer Kunden treibt unser Geschäft voran, sondern deren Bildungsgrad.«

Wer Whole Foods einmal verfallen ist, wird eine Menge Geld los. Denn die Preise sind gepfeffert. Whole Foods bestimmt auch andere Wirtschaftszweige. Untersuchungen belegen, dass die Mieten in der Nachbarschaft deutlich ansteigen, sobald dort eine Whole-Foods-Filiale eröffnet.

Und während ich mir noch ausmale, wie ich genüsslich in mein geliebtes Tuna-Melt-Sandwich beiße, wird endlich der Landeanflug eingeleitet.

2. KapitelMeine To-do-Liste in Washington

Nach achtzehn langen Reisestunden lande ich in Washington D. C. Es ist später Nachmittag und für Anfang April angenehme 21 Grad warm. Meine Unterkunft liegt am Dupont Circle. Sehr zentral in der Nähe sämtlicher Sehenswürdigkeiten. Ich hatte sie von zu Hause aus über Trivago gebucht. Mit diesem Hotelportal habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Es empfiehlt sich, zeitig vor einer Reise die Preise zu beobachten. Sie ändern sich ständig. Wie bei der Börse. Mit neunzig Euro pro Nacht für mein Drei-Sterne-­Hotel bin ich gut bedient. Washington ist nämlich teuer.

Ich nehme eine Dusche und bin hundemüde. Aber egal. Ich muss raus. Angreifen. Das Leben spüren. Statt ins Bett falle ich in die nächste Bar. Sie ist schummerig, gemütlich und gut besucht. Ich finde einen Platz am Tresen und beobachte die Leute. Männer in Business-Anzügen, Frauen in schicken Kostümen. Sie sind wohl aus ihren Büros gekommen und auf einen Absacker hier.

»Hi, mein Name ist Ben. Was kann ich für dich tun?«, fragt der äußerst attraktive Barkeeper. Och, da fiele mir so einiges ein. Er hat einen dunklen, raspelkurzen Haarschnitt, der gut zu seinen weichen Gesichtszügen und den großen, grünen Augen passt. »A blended Margarita, please. With salt«, sage ich und beobachte Ben mit seinem Knackarsch, wie er flink wie ein Panther hinter seinem Tresen agiert. Ruckzuck steht mein Drink vor mir.

Ich bin mit sechs Dollar dabei, nehme einen großen Schluck aus dem schweren Longdrinkglas und lecke noch etwas von dem Salzrand ab. Ach, tut das gut. Es gibt diesen Cocktail in allen Geschmacksrichtungen: Erdbeere, Mandarine, Mint, Kiwi, Waldmeister. Ich bevorzuge die klassische Variante: Tequila, Zitronensaft, Zuckersirup. Und »blended« steht für die Zubereitung im Blender mit Crushed Ice. Viele trinken ihn »on the rocks«. Aber ich finde »blended« sexy. Genauso sexy wie Ben.

Während ich vor mich hin süffel und dem Treiben um mich herum zuschaue, denke ich an morgen. Diesmal werde ich alles anders machen. Ganz anders als damals mit Tom. Und zwar Ich-gerecht. Als ich mit meinem Ex einen Abstecher nach Washington gemacht hatte, ist er mit mir durch die Stadt gehetzt. Echt nervig. Er wollte im Hop-on-Hop-off-Bus die Stadt erkunden. Typisch Mann. Praktisch und zeitsparend musste es sein. Doch in so einer Tourikiste zeigt sich der US-Regierungssitz nur von seiner sauberen, unschuldigen Seite.

Meine Pläne sind diesmal ganz anders. Ich will die Stadt als Frau erkunden. Maßgeschneidert. Ohne einen männlichen Störer an meiner Seite. Ich will die Schauplätze meiner Lieblingsserien und Blockbuster sehen. Ich will wie die durchgeknallte CIA-Agentin Carrie Mathison in Homeland, gespielt von Claire Danes, durch die Straßen laufen. Oder wie der Intrigen-Politiker Francis Underwood, alias Kevin Spacey, in House of Cards.

Ich will wie Clint Eastwood und Rene Russo in In the Line of Fire auf den Stufen des Lincoln Memorials sitzen. Oder wie Owen Wilson und Vince Vaughn in Die Hochzeitscrasher, die sich nach einer durchzechten Nacht eine Flasche Schampus auf denselben Stufen reinziehen. Ich will in den schicken Lokalen abhängen, in denen die Typen von der Tea-Party, den eigentlichen Machthabern in Washington, verkehren. Kurzum: Ich will endlich tun, was ich schon immer mal tun wollte.

Am nächsten Morgen geht’s los. Ich verzichte auf einen Leihwagen. In Washington kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln bequem ans Ziel. Zum Glück habe ich einen Jetlag und bin deshalb früh wach. Ich kaufe mir im Internet ein Drei-Tage-Ticket, lasse es an der Hotelrezeption ausdrucken und kann damit in jeden Bus steigen. Mein erstes Ziel ist das Weiße Haus. Das ist Pflicht.

Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass überall Kirschbäume blühen. Ein Pastellmeer aus Weiß und Rosa. Fast jede Straße wird von der Blütenpracht gesäumt. Das berühmte, jährliche National Cherry Blossom Festival mit seinem großen Showprogramm habe ich leider knapp verpasst.

Dafür mache ich ein paar Touri-Selfies an einigen der 3000 Bäume. Im Hintergrund das Washington Monument, das Capitol, das Jefferson Memorial. Ist ja auch mal hübsch, nä? Dann komme ich endlich zum Lincoln Memorial, wo ich mich auf die Stufen setze und diesen Punkt in meiner To-do-Liste abhaken kann. Zu schön. Zum Glück ist es nicht kalt und ich genieße den Ausblick.

Von den Stufen schaut man auf den berühmtesten Pool der Welt. Er ist über 600 Meter lang und 50 Meter breit. Sie nennen ihn »Reflecting Pool«. Von der einen Seite reflektiert er das Lincoln Memorial, vor dem ich jetzt sitze. Auf der anderen das Wash­ington Monument, eine Säule, die hoch in den Himmel ragt. In den Pool ist hüfthoch Wasser eingelassen.

Wie Rene Russo fühle ich mich zwar nicht. Ist ja auch kein Clint Eastwood an meiner Seite. Aber dafür lasse ich auf den Stufen die Sixties und Seventies Revue passieren. Ich stelle mir auch vor, wie Hunderttausende von Vietnam-Krieg-Protestlern im Pool ihren Ärger kundtun. Was für ein geschichtsträchtiger Platz. Hier ist schon so viel passiert. Fast demütig halte ich inne und sehe vor meinem geistigen Auge, wie der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. im Angesicht des Sklavereigegners Abraham Lincoln, der als Statue von seinem Thron zuschaut, seine berühmte »I have a dream«-Rede hält.

Keine Ahnung, wie lange ich vor mich hin träume, als ich auf dem Gehweg gegenüber einen chromfarbenen Imbisswagen entdecke. Hach, auch wie im Kino. Kennt man eher aus Mafiafilmen, die in New York spielen. Es gibt Hotdogs. Und plötzlich gebe ich mich einer derben Fast-Food-Attacke hin. Was für eine Schande. Dieses Teil für 4,20 Dollar schmeckt leider einfach mega. Saftige Wurst, würzige Soße, genau so und nicht anders.

Ich, die am liebsten Biozeug isst und Fast-Food-Läden verachtet. Wie kann ich nur? Aber hey, was soll’s. Das muss jetzt einfach sein. Ich schaue auf die Uhr. Halb zehn. Jetset-Bea isst ein Hotdog zum Frühstück. Ich muss grinsen. Diese Food-Verirrung glauben mir meine Mädels zu Hause niemals.

So, schnell noch ein paar Tourifotos machen, und weiter geht’s. Kulturausgehungert lege ich einen kleinen Geschichtsmarathon per Bus hin. Es geht in Richtung Capitol, Jefferson Memorial und FBI-Gebäude. Der hässliche Klotz ist nach dem schillernden Justizminister J. Edgar Hoover (der 1972 verstorben ist) benannt. Da muss ich nicht überall hineingehen. Vorbeifahren, gucken und gut ist. Aber das Weiße Haus ist natürlich ein Muss. Dort will ich aussteigen.

Ich sitze im Bus ganz vorn, quasi gegenüber der schwarzen Busfahrerin. Sie trägt ihr geglättetes, schwarzes Haar offen und schulterlang. Ich schätze sie auf höchstens dreißig. Sie ist mollig und hat ein hübsches, mädchenhaftes Gesicht. Ihr weißes Arbeitshemd mit den dunkelblauen Schulterklappen sieht aus wie das Herrenhemd eines Kapitäns. Als sie irgendwas vor sich hin brummelt, merkt sie, dass ich sie beobachte. Vielleicht ist mein Blick fragend, denn sie sagt: »Sorry, ich bin so genervt, weil sich ein Kollege krankgemeldet hat. Jetzt soll ich seine Tour auch noch übernehmen.«

»Ich hoffe, die Tour ist nicht so lang«, sage ich.

»Es geht so«, meint sie und schenkt mir ein freundliches Lächeln. Dann ist sie still.

Ich lächele zurück und beobachte sie noch eine Weile, als in mir eine böse Vorahnung wächst. Ich denke an das Wohnmobil, das ich bald fahren werde. Wenn diese Frau es schafft, einen riesigen Bus sicher durch die Straßen zu lenken, dann wird es mir auch gelingen. Aber hoffentlich fällt mein Camper nicht ganz so groß aus.

Ob ich mich schon mal in Chicago bei der Mietstation melden sollte? Mich überkommt Skepsis. Wer weiß, ob die deutsche Reisefirma weitergeleitet hat, dass ich ganz allein unterwegs bin. Nicht, dass sie mir noch bei der Roulette-Buchung ein Riesenfamilienteil unterjubeln werden. Doch ich kriege mich wieder ein. Es wird schon alles gutgehen, beruhige ich mich. Der Worst Case wird schon nicht eintreten. Ich darf mich jetzt nicht verrückt machen.

Meine dunklen Gedanken verfliegen, als wir zum Weißen Haus kommen. Vom Busstopp sind es nur noch ein paar Gehminuten. Ich stehe vor dem mächtigsten Gebäude der Welt. Überall wimmelt es von Touristen und Sicherheitsleuten. Sie haben alles im Blick. Ich stelle mich an den hohen Zaun mit den Eisenstäben. Vor dem stehen immer die politischen Korrespondenten mit ihren Kamerateams, wenn sie die neuesten weltrelevanten Informationen und den Politikertratsch in die Welt streuen. Oder was verbindet man/frau denn am häufigsten mit dem Oral Office? Äh, ich meine natürlich das Oval Office.

Ich mache ein paar Alibifotos. Damit hat es sich. Next step: die Museen, von denen viele sogar freien Eintritt gewähren. Es sind so viele, dass ich die nächsten zwei Tage mit ihnen verbringen werde. Die National Gallery of Art mit Werken alter Meister. Das National Air and Space Museum, das gemessen an den Besucherzahlen als das beliebteste Museum Amerikas gilt. Das Museum of Natural History mit seinen gigantischen Dinosaurier-Fossilien und von Berufs wegen natürlich das Newseum, ein fünfstöckiges, futuristisches Bauwerk mit einer Art Medien-Retrospektive. Es liegt an der berühmten Pennsylvania Avenue zwischen dem Weißen Haus und dem Capitol.

Als ich mein Ticket hole, eilt auch eine Schulklasse mit Vierzehnjährigen an mir vorbei. Ich schnappe ein paar Gesprächsfetzen auf und merke, wie freudig aufgeregt sie sind. Alles kleine Nachwuchsschreiberlinge, was? Für Kids scheint der Journalismus etwas Faszinierendes zu haben. Als ich die Ausstellung sehe, wird mir völlig klar, was die Generation Facebook anfixt.

Die Schüler können an nachgebauten Nachrichtendesks wie in einem echten TV-Studio in die Kamera quatschen. Über eine Webcam erscheinen sie dabei bildschirmgroß auf einem Monitor. Und dann bekommen sie davon einen Fotoausdruck, den sie überall stolz herumzeigen können. Als würde man nur im schicken Kostüm vor einem Mikro stehen und was erzählen. So wird der Beruf romantisiert.

Hatte mein Job jemals etwas Romantisches? Spontan denke ich an einen organisierten Journalistentrip nach Menorca. Um den Tourismus weiter anzukurbeln, laden Reiseveranstalter gern zu so was ein. Sie geben sich Mühe, damit wir alles ganz toll finden und schön darüber schreiben.

Die See war ruhig damals. Unsere Gruppe glitt in der Abenddämmerung in einem Boot langsam in den Yachthafen Cala’n Bosch ein. Überall funkelten Lichter. Ein lauwarmer Wind umschmeichelte uns. Auf dem Deck wurde eisgekühlter Schampus gereicht. Dabei ertönte aus den Lautsprechern Peer Gynts »Morgenstimmung«. Romantisch, was?

Oder meine Begegnung mit Filmstar Antonio Banderas. War die romantisch? Ein bisschen. Ich wurde von einer Produktionsfirma nach Kanada geflogen, um den Ex von Schauspielerin Melanie Griffith während Dreharbeiten zu einem neuen Film zu interviewen. Es war Winter. Eisige minus 25 Grad. Darauf hatte der heißblütige Spanier gar keine Lust. Deshalb lud er mich in seinen Wohnwagen ein, in dem er die Pausen am Filmset verbrachte. Draußen klirrende Kälte und drinnen kuschelig warm. Und ich ganz allein mit Antonio Banderas. Ha, das hatte was.

Zu Ende geträumt. Weiter geht’s im Newseum. Hier gibt es auch ein 4-D-Kino. Da werden Nachrichten auf einer 3-D-Leinwand gezeigt. Faktor 4 sind die Special Effects. Sie sorgen dafür, dass sich der Zuschauer mitten im Geschehen befindet. Entweder ruckelt dein ganzer Sessel wie bei einem Erdbeben, oder bei der Szene mit einer Überflutung spritzt Wasser aus versteckten Düsen. Na, ja. Ist ja ganz lustig. Wenigstens gibt es noch viel Anschauungsmaterial, das die Entstehung der öffentlichen Berichterstattung erklärt.

Vor einer meterlangen Bildergalerie halte ich inne. Sie zeigt Fotos, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurden. Meistens schreckliche Kriegsmotive wie das nackte vietnamesische Mädchen, das vor einer Napalm-Wolke flieht. Oder wie der Polizeichef von Saigon einem jungen Zivilisten mit seiner Pistole den Kopf wegbläst.

Mich fesselt am meisten ein Foto, das ein sudanesisches Kleinkind zeigt. Es war vor Hunger kraftlos zusammengebrochen und kauerte auf dem Boden. Ein paar Meter dahinter lauerte ein Aasgeier. Es entstand im März 1993. Die Vereinten Nationen hatten die Weltpresse eingeflogen. Darunter auch den südafrikanischen Fotografen Kevin Carter, den Urheber des Fotos. Nachdem er es in der New York Times veröffentlicht hatte, erregte es weltweit Aufsehen.

Ein Jahr später wurde Carter dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Über die genaue Entstehung des Bildes kursieren unterschiedliche Geschichten. Unter dem Foto hängt eine Bildbeschreibung. Demnach hat Carter dem Kind nicht geholfen, weil man der Presse empfohlen hatte, keine kranken Kinder zu berühren. Wieder zu Hause sei Carter damit nicht fertig geworden und nahm sich wenige Monate nach der Preisverleihung das Leben. Er war 33 Jahre alt.

Zum Runterkommen fahre ich mit dem Fahrstuhl hoch auf die offene Dachterrasse. Ich atme tief ein und beobachte den emsigen Verkehr auf der Pennsylvania Avenue. Die Bilder wollen nicht aus meinem Kopf. Keine Ahnung, wie lange ich hier schon stehe. Ein leichtes Hungergefühl holt mich zurück ins Jetzt. Ich beschließe für heute: keine weitere Kulturtour.

Am Ausgang werfe ich noch einen Blick in den Souvenirshop und entdecke Newseum-T-Shirts für zwanzig Dollar das Stück. Sie haben originelle Aufdrucke: »Trust me I’m a reporter« und »The best way to kill an idea is to take it to a meeting« und »I write for money«.

Ich habe das große Bedürfnis, mich irgendwo gemütlich hinzusetzen. Meine Füße schmerzen. Außerdem macht sich mein Hunger jetzt deutlich bemerkbar. Ich habe gehört, dass man im District Chophouse & Brewery viele Tea-Party-Typen antrifft. Das ist die politische Upperclass in Washington. Eine rechtskonservative, populistisch angehauchte Organisation mit sehr einflussreichen Wirtschaftsbossen an der Spitze. Also auf zu den Wichtigen.

Das Lokal befindet sich zentral an der 7th Street. Als ich eintreten will, kommt ein älterer Herr mit Silberhaar raus. In seinem Designeranzug wirkt er sehr gepflegt und attraktiv. Ein Typ wie John Forsythe aus dem Denver Clan. Vielleicht ein Abgeordneter? Das Weiße Haus ist ja gleich um die Ecke. Oder ein Anwalt? Oder einfach nur einer jener wohlhabenden Leute, denen man nachsagt, sie sparen eher am weißen Trüffel als an teuren Therapeuten. Er hält mir höflich die Tür auf. Ich bedanke mich mit einem Lächeln und bleibe am Empfangstresen stehen, wo ich brav warte, bis mich die nette Servicedame zu meinem Tisch begleitet.