John Sinclair 1903 - Timothy Stahl - E-Book

John Sinclair 1903 E-Book

Timothy Stahl

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Beschreibung

Das schwere Fernglas vor den Augen, spähte Brooke Adams durch die Windschutzscheibe den Hang hinunter. Sie war einer heißen Story auf der Spur: Ein ganzes Dorf, das vor Hunderten von Jahren einfach verschwunden war, würde hier heute Nacht wie aus dem Nichts wieder auftauchen! Es war nicht das erste Mal, dass dies passierte, wie Brooke herausgefunden hatte. Doch was sie nicht wusste, war, dass dieses Mal alles anders sein würde. Heute Nacht würde das Grauen über die Dorfbewohner hereinbrechen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Dorf aus dem Jenseits

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/Slava Gerj

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-0829-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Dorf aus dem Jenseits

von Timothy Stahl

Mittelengland, 1682

Die nackte junge Frau zeichnete mit dem warmen Blut des geköpften Hahns einen magischen Bannkreis in den Schnee. Dann wirbelte sie das tote Tier über ihren Kopf und tanzte mit grotesken Sprüngen im bleichen Schein des Vollmonds über die Lichtung.

Ihr Atem dampfte, als sie Beschwörungsformeln flüsterte. Im Wald ringsum hallte jede Silbe so laut wider, als brüllte die Frau. Nur das letzte Wort schrie sie tatsächlich in befehlendem Ton, und gleichzeitig schleuderte sie den blutigen Hahn zielsicher in den magischen Kreis. »Erscheine!«

Und sie erschien. Die Anführerin aller Hexen.

Wikka!

Der kopflose Hahn platzte auseinander wie unter einem mächtigen Hammerhieb, der die Lichtung und den Wald erschütterte. In den Baumkronen zerpulverte Schnee. Eis brach klirrend von Zweigen.

Wo eben noch das tote Tier gelegen hatte, stand nun, wie aus dem Boden aufgefahren, eine schlanke Frauengestalt mit schwarzem, in der Mitte streng gescheiteltem Haar über einem Gesicht, das wie aus weißem Marmor gemeißelt wirkte.

Zähe Augenblicke lang stand Wikka da, als bestünde sie wirklich von Kopf bis Fuß aus starrem Stein. Nur ihr dunkles, teils durchscheinendes Gewand bewegte sich leicht im Wind – und die beiden grün geschuppten Schlangen, die sich aus Wikkas Stirn wanden, als wollten sie daraus hervorkriechen.

Aus kleinen Augen mit geschlitzten Pupillen lugten sie umher. Dann heftete sich ihr Blick auf die junge Frau, deren entblößter Leib mit trocknendem Hahnenblut verschmiert war. Als bannte sie dieser Anblick, erstarrten die schillernden Schlangen.

Dafür kam nun Bewegung in Wikka. Ihr eben noch bleiches Gesicht verfärbte sich grünlich, wie immer, wenn sie sich in Erregung versetzt fühlte und ihr grünes Hexenblut in Wallung geriet.

»Wer wagt es …?«, begann sie.

Vor Hitze wabernder Atem brodelte zwischen spitzen Zähnen aus ihrem Mund hervor und senkte sich trotz der kalten Januarluft zu Boden. Magie hatte Einzug gehalten und hob die Naturgesetze auf.

Der Schnee zu Wikkas Füßen schmolz. Der Bannkreis, in dem sie der Beschwörung gehorchend erschienen war, wurde ausgelöscht. Die letzten Reste verwischte die mächtige Hexe mit einer wütenden Fußbewegung. Der Blick ihrer fast schwarzen Augen erfasste die junge Frau wie mit einer kräftigen Hand, ein Ruck ging durch ihren nackten Körper, sie wurde in die Höhe gerissen und hing plötzlich drei, vier Fuß hoch über dem Boden.

»Wer wagt es«, nahm Wikka den Faden wieder auf und trat drohend einen Schritt vor, »mich herbeizuzitieren wie einen Dämon von niederstem Rang?«

Auch die Schlangen unter ihrem Haaransatz rührten sich wieder. Sie reckten sich weiter aus ihrer Stirn – der jungen Frau entgegen, um sie mit menschlich anmutender Neugier zu mustern. Als wollten auch sie zu gern wissen, wer vermessen genug war, die höchste aller Hexen aus ihrem ureigenen Reich in die Menschenwelt zu beordern, statt mit gebührender Demut um ihr Erscheinen zu bitten.

Und diese Neugier wurde gestillt – mit einem Donnerschlag!

Der unsichtbare Griff um die Nackte wurde regelrecht gesprengt. Wikka wankte wie von einer Welle aus dem Nichts getroffen nach hinten.

Die junge Frau mit der wilden Lockenmähne landete geschmeidig, verharrte geduckt wie eine sprungbereite Raubkatze und blies mit gespitzten Lippen zu Boden. Ganz leicht nur, wie es schien – aber in Wirklichkeit steckte eine ungeheure Macht dahinter.

Schnee stob auf wie unter einer Sturmbö, schmiegte sich wie die Säule eines Wirbelsturms um die nackte Gestalt und hob sie von Neuem in die Luft, diesmal jedoch sanft schwebend, als wäre sie auf einmal schwerelos.

Als das glitzernde Kreiseln verebbte, hatte sich der Schnee in seidigen Stoff verwandelt, der die junge Frau umhüllte. Tausende von funkelnden Eiskristallen schienen darin eingewoben zu sein. Im Mondlicht schimmerte das Zaubergewand der Frau ebenso silbern wie ihr Haar.

Federleicht sank sie wieder herab. Kaum hatte sie festen Boden unter den immer noch bloßen Füßen, bekannte sie furchtlos: »Ich wage es, dich hierher zu zitieren.«

»Du?« Wikka hob eine ihrer strichdünnen Augenbrauen. Zugleich ließ ein Windstoß ihr Kleid wehen und erweckte den Eindruck, als legte das stilisierte Teufelsgesicht, das darauf abgebildet war, fragend die Stirn in Falten.

»Und wer bist du?«, setzte die Hexe hinterher.

»Ich bin Allyn«, bekam sie zur Antwort.

»Der Name sagt mir nichts.« Wikka klang, als interessiere er sie auch gar nicht.

»Das wird sich ändern«, meinte Allyn, die junge Frau mit dem Silberhaar. »Mein Name wird bald in aller Munde sein und mit Ehrfurcht genannt werden – wenn er deinen ablöst.«

Der zynische Zug, der stets um Wikkas Mund lag, verstärkte sich um eine Spur. »Ich verstehe. Du forderst mich heraus.«

Allyn nickte, ohne Wikka aus den Augen zu lassen. »Ja, ich fordere dich heraus – zum Duell um den Hexenthron!«

***

Wikka kannte dieses Spiel. Denn mehr waren diese Herausforderungen junger Hexen bislang nie gewesen – ein Spiel, das Wikka mitgemacht und stets gewonnen hatte.

Es gehörte dazu. Wer an der Spitze einer Hierarchie stand, der musste damit rechnen, dass andere ihn herunterstoßen wollten. Die Macht, die dort oben wartete, war verlockend. Die Aussicht, über alle Hexen zu gebieten, die liebste Braut des Teufels zu sein …

Dass dieser Platz an der Sonne, wenn man ihn so nennen wollte, auch Schattenseiten hatte, sah man von unten nicht.

Trotzdem war Wikka nicht willens, ihn aufzugeben. Sie würde ihn auch gegen diese Allyn verteidigen, so wie sie ihn gegen alle verteidigt hatte, die ihn ihr hatte streitig machen wollen.

In einer Position, wie Wikka sie im Gefüge der Hölle hatte, hatte man nur zwei Möglichkeiten: Man musste sie entweder mit Erfolg verteidigen oder bei dem Versuch umkommen. Andernfalls verlor man viel mehr als nur seinen Rang …

»Worauf wartest du?«, schallte Allyns Stimme über die Lichtung. »Bist du bereit?«

Wikka antwortete nicht darauf. Das war ihre erste Regel, eine der wichtigsten Ingredienzien ihres Erfolgsrezepts: Nicht lang reden, gleich handeln!

Wikka sah, dass Allyn sich konzentrierte, ihre Kräfte sammelte. Ihr silbriges Haar schien heller zu leuchten als zuvor. Vielleicht gewann sie Macht aus dem Mondlicht, das sich darin fing.

Ein interessanter Gedanke, fand Wikka.

Auch sie wappnete sich. Jedoch ohne es sich äußerlich anmerken zu lassen. Ihre Erfahrung allein war wie eine Panzerung, hinter der sie, wenn sie es wollte, jede Regung verbergen konnte.

So müßig es bisweilen auch war, sich mit den jungen Dingern herumzuschlagen, es eröffnete auch Möglichkeiten. Wikka konnte demonstrieren, wie unnütz es war, sich mit ihr anzulegen. Und sie konnte Exempel statuieren.

Diese Gelegenheit nutzte Wikka auch hier. Mit beiden Händen griff sie um sich, als zöge sie ringsum einen Vorhang beiseite. Ein Säuseln war zu hören, wie von einer Windbö. Schnee wirbelte hoch. Doch abgesehen davon geschah auf den ersten Blick nichts.

»Das war alles?«, fragte Allyn spöttisch. »Ich …«

Was immer sie noch sagen wollte, blieb ihr im Halse stecken. Denn in diesem Augenblick sah sie, was Wikka bewirkt hatte.

Hinter jedem Baum im Wald trat eine im Mondlicht schemenhaft auszumachende Gestalt hervor. Große, kleine. Dicke, dünne. Ihre Augen glühten im Dunkeln wie ferne Feuer. Alle Blicke waren auf die Lichtung gerichtet.

Hexen aus aller Welt. Hingezaubert von Wikka, vielleicht nicht einmal wirklich anwesend, aber alle gespannt auf das, was sich hier anbahnte. Zuschauer, die alles, was sie gleich zu sehen bekamen, weitererzählen würden. Sie würden es ausschmücken und aufblasen, um einander zu übertrumpfen.

Und so würden sie Wikkas Ruhm vergrößern, ihren Stand festigen und die eine oder andere aus den eigenen Reihen von frevelhaften Ideen abbringen.

»Sehr schön«, meinte Allyn. »Je mehr Zeugen, desto besser. Dann brauche ich mich nicht persönlich bei jeder einzelnen meiner neuen Dienerinnen vorzustellen und …«

Wikka glaubte schon, Allyn würde jenen Fehler begehen, den sie selbst tunlichst vermied, und erst einmal ein Wortgeplänkel anzetteln, statt umgehend zur Sache zu kommen. Aber da täuschte sie sich. Oder vielmehr täuschte Allyn sie!

Die Hexe mit dem Silberhaar unterbrach sich mitten im Satz, der nichts weiter gewesen war als ein Ablenkungsmanöver. Unvermittelt schlug sie zu. Und sie langte gleich zu Anfang ganz tief in ihre persönliche Trickkiste.

Worte in einer der Hexensprachen ließen Feuerbälle in Allyns Händen entstehen. Die warf sie jedoch nicht nach Wikka, sondern einen nach dem anderen in die Kronen der Bäume rings um die Lichtung.

Das Geäst explodierte unter dem magischen Feuer. Die entstehenden Flammen erstarrten, wurden stofflich und schossen auf Allyns Geheiß hin auf Wikka zu. Wie Pfeile und Speere, aus allen Richtungen.

Wenn nur einer davon traf, wäre Wikka schon überrumpelt, und Allyn könnte nachsetzen.

Aber es traf keiner. Ein einziges Wort in Wikkas ureigener Sprache, das so viel bedeutete wie »Aus heiß mach kalt!«, und eine simple Drehbewegung mit der Hand genügten.

Die glühenden Geschosse erstarrten in der Luft, verwandelten sich knisternd in Eis und zersprangen in winzige Splitter, die der Wind davontrug, ehe sie den Boden berührten.

Ein Raunen ging durch den Wald. Aber nicht nur das Hexenpublikum war beeindruckt. Auch Wikka staunte über die Begabung ihrer Gegnerin.

Sie spürte es mit ihren feinen Sinnen. In dieser silberhaarigen jungen Frau, die ihrem Äußeren nach fast noch ein Mädchen war, in Wirklichkeit aber älter als die älteste Menschengreisin auf Erden sein mochte, steckte ein immenses Machtpotenzial. Allein die Tatsache, dass Wikka bisher nicht explizit auf sie aufmerksam geworden war, sprach für ihr besonderes Geschick.

Beinahe wünschte die Anführerin der Hexen, Allyn unter anderen Bedingungen begegnet zu sein. Eine wie sie hätte Wikka gebrauchen können. Als rechte Hand, als jemanden, der ihr den Rücken deckte und stärkte.

Dazu war es jetzt zu spät. Allyn war zu eigensinnig, zu machtlüstern. Zu gefährlich. Und dementsprechend würde es nicht reichen, sie einfach nur zu bezwingen und gedemütigt von dannen ziehen zu lassen …

Ganz gleich jedoch, was Wikka auch tun wollte, sie musste sich beeilen – denn Allyn schlug schon wieder zu!

***

Wikka spürte ein Rumoren im Boden unter sich.

Zweifellos hatte Allyn dort etwas geweckt, wahrscheinlich mit einem gedanklichen Befehl, denn gehört hatte Wikka nichts. Womöglich rief sie in der Tiefe nistendes Gewürm herauf, dessen Größe und Kräfte sie steigerte, um es auf ihre Kontrahentin zu hetzen.

Das Beben des Bodens nahm zu. Hier und da zeigten sich erste Risse. Doch darin war nur Schwärze zu sehen, noch keine Bewegung. Was immer Allyn heraufbeschwor, musste wirklich tief aus dem Bauch der Erde kommen.

Wikka beschloss, ihr zuvorzukommen.

Sie holte sich Hilfe, die unmittelbar unter der Erdoberfläche nur darauf wartete, dass man sich ihrer bediente.

Die Worte aus Wikkas Mund und die Bewegungen ihrer Hände und Arme wurden eins. Einen Moment lang sah es aus, als veränderte ihr Körper seine Form, als verästelte er sich zu etwas, das mit einer menschlichen Gestalt nichts mehr gemein hatte.

Dann stand Wikka wie mitten in der Zauberpose zur Statue geworden da. Aber was sie gerade vollführt hatte, fand seinen Widerhall im Erdreich der Lichtung und übertrug sich auf das, was den Boden durchzog und darin wuchs und jetzt auf einmal wild wucherte.

Wurzelwerk.

Es barst unter der Schneedecke hervor, sprengte den Boden. Wie vielgelenkige, dürre Gliedmaßen schossen die unter Magie entarteten Wurzeln empor, verwoben sich miteinander, bildeten krude Hände und griffen damit in die Luft, die auf einmal erfüllt war vom würzigen Duft feuchter Erde.

Gleichzeitig sandte Wikka einen anderen Teil des Wurzelgeflechts im Boden weiter in die Tiefe, um dort aufzuhalten, was Allyn geweckt und heraufbefohlen hatte. Zu sehen war davon nichts, aber die Echos dieses unterirdischen Zusammenpralls ihrer Magien ließen den Erdboden schwanken wie ein Schiff im Sturm.

Und dieses Beben beschränkte sich nicht auf die Lichtung. Es knackte und knirschte im Gehölz ringsum, Bäume neigten sich, irgendwo brach ein Stamm, riss andere mit sich und schlug zu Boden.

Die zuschauenden Hexen schrien auf vor Schreck.

Und Allyn schrie auf, weil sie gepackt wurde von Händen aus verflochtenen Wurzelsträngen. Diese Klauen waren mit zig erdverklebten Fingern bestückt und diese Finger jeweils mit einer Kralle besetzt, die sich in Allyns Fleisch bohrte. Diese Schmerzen allein reichten, um sie wie am Spieß schreien zu lassen.

Doch Wikka ließ es damit nicht genug sein.

Forciert von Worten, die als kaum verständliches Murmeln über Wikkas Lippen rannen, vermischt mit dem flüsterhaften Zischeln der Schlangen auf ihrer Stirn, gruben sich die Krallen bis in Allyns Adern hinein.

Die Hexe mit dem Silberhaar wand sich in den knirschenden Fesseln, die sie umspannten wie ein Kokon aus knochenbleichen Fasern und Strängen und winterkalter, nasser Erde. Sie keifte und schrie, deklamierte Formeln und Flüche.

Aber Wikka hatte das Netz aus Wurzeln, in dem sich ihre Widersacherin verfangen hatte, mit neutralisierender Kraft angereichert, die jeden Zauber, der daraus hervordringen wollte, im wahrsten Sinne des Wortes verpuffen ließ.

Jetzt trat sie bis dicht an die Ausläufer des Wurzelgewirrs heran und blickte auf Allyn hinab. Die las in diesem Blick, dass die Herrin der Hexen ihr nun den Rest geben würde. Allerdings schien sie mit dem Tod zu rechnen, und dem versuchte sie trotzig entgegenzusehen – nicht ahnend, dass Wikka etwas sehr viel Perfideres im Sinn hatte …

Sie ließ ihre spitzen Eckzähne unter der Oberlippe hervorblitzen und ritzte sich an einem davon die Daumenkuppe. Grünes Blut quoll hervor. Vier, fünf Tropfen davon schnippte Wikka in Richtung ihrer wehrlosen Kontrahentin.

Ein hinterhergeflüstertes Wort mehrte die Tropfen und teilte sie immer wieder. So wurde ein giftgrüner Regen daraus, der auf das Wurzelgespinst niederprasselte. Wikkas Blut leuchtete pulsierend, weil es immer noch dem Takt ihres Herzens folgte. Es ummantelte die Wurzelstränge und floss daran entlang, auf Allyn zu – und in sie hinein!

Die besiegte Hexe schrie, wie in weitem Umkreis noch nie jemand geschrien hatte, weder Mensch noch Tier. Und im Wald um die Lichtung lachten die Hexen wie höhnisch krächzende Krähen.

Allyns Adern glühten auf, als das fremde Blut sich mit ihrem vermischte. Grün glommen sie unter ihrer Haut und wanden sich wie die Schlangen auf Wikkas Stirn.

»Ich verfluche dich, Allyn, die du mir den Thron nehmen wolltest, den Asmodis mir und nur mir gab!«, hob Wikka mit Stentorstimme an. »Mit jedem Schritt sollen fortan deine Kräfte aus dir fließen und Verderben säen, wohin du den Fuß auch setzt. Die Maske der ewigen Jugend soll dir vom Leibe bröckeln, und wer dich sieht, soll sich mit Grausen abwenden. Mein Blut wird dich für die Menschen zum Inbegriff der hässlichen, alten, bösen Hexe machen. Du wirst sie gegen dich aufbringen, und sie, diese armseligsten aller Wesen, werden dein Verderben sein!«

Wikka drehte sich einmal um sich selbst, und kalkweißes Licht aus dem Nichts riss jedes einzelne Gesicht um sie herum aus der Dunkelheit.

»Und ihr«, sprach Wikka zu den Hexen, die sie zum Zusehen gezwungen hatte, »werdet kundtun unter euren Schwestern, wie es Allyn erging – und wie es allen ergehen wird, die glauben, sie könnten mich entthronen!«

Finsternis senkte sich zwischen die Bäume und verschluckte alles. Und als der Vollmond die Schwärze auflöste wie die Sonne den Frühnebel und den Wald wieder in vage Helligkeit tauchte, waren sämtliche Hexen verschwunden.

Wikka fauchte ein Wort. Das Wurzelnetz verdorrte und zerbröselte zu grauem Staub.

Allyn lag wie auf Asche gebettet da. Sie war wieder nackt, denn auch ihr aus Schnee gezaubertes Gewand hatte sich unter Wikkas Magie aufgelöst. Das grüne Leuchten der Adern unter ihrer Haut verblasste.

»Steh auf«, befahl Wikka.

Allyn gehorchte. Es fiel ihr sichtlich schwer.

»Und nun geh«, verlangte Wikka. »Geh mir aus den Augen.«

Sie sah Allyn nach. Einem geprügelten Hund gleich schlich die zwischen den Bäumen davon. Mit jedem Schritt, den sie tat, verlor ihr Haar ein wenig von seinem silbernen Schimmer und wurde stattdessen grau wie der Staub auf dem Boden der Lichtung.

Wo Allyns Füße sich hoben, ließen sie nur tote Erde zurück.

Und die Bäume entlang ihres Weges würden lange Zeit weder Laub noch Früchte tragen.

Der zynische Zug um Wikkas Mund wurde zu einem maliziösen Lächeln, von dem sich selbst der Teufel noch etwas hätte abschauen können.

Dann drehte sie sich um und verschwand mit wenigen Schritten, aber nicht im Wald, sondern in ihr eigenes Reich, das jenseits dieser und vieler anderer Welten lag …

***

Ost-England, Grafschaft Norfolk, heute

»Ah, es tut sich was!«

Das schwere Fernglas vor den Augen, spähte Brooke Adams durch die Windschutzscheibe den Hang hinunter.

Ihr japanischer Pseudo-Jeep sehr viel älteren Baujahrs stand gut versteckt zwischen wilden Lavendelsträuchern und unter überhängenden Baumkronen. Von der nur anderthalbspurigen Straße aus, die sich am Fuß des Hügels durch die idyllische Landschaft schlängelte, war er nicht zu entdecken.

Brooke Adams konnte hingegen alles genau beobachten. Und so sah sie nun auch, wie sich ein zweiter Geländewagen dem ersten näherte, dem sie und ihr Beifahrer und Kameramann Ray Robertson heute Morgen heimlich gefolgt waren.

Der Land Rover hatte unten am Straßenrand angehalten und stand seitdem da, Brooke und Ray waren mit dem Jeep einen Umweg gefahren und hatten sich dann buchstäblich in die Büsche geschlagen.

Nachdem Brooke einen Tipp bekommen hatte, trieben sie sich nun seit drei Tagen in der Gegend herum und spielten Touristen. In Glenville, dem Dorf, in dem sie sich einquartiert hatten, schien man ihnen abgenommen zu haben, dass sie tatsächlich nichts weiter waren als harmlose Urlauber, die sich von der Natur bezaubern ließen.

Heute hatten sie ihre Unterkunft räumen müssen. Angeblich sei der Gasthof – der einzige im Ort – für die nächsten Tage komplett ausgebucht.

Daran zweifelte Brooke nicht nur, weil sie in den vergangenen drei Tagen die einzigen Gäste gewesen waren. Es passte auch zu ihrer Vermutung, dass es heute so weit war. Dass heute etwas passieren würde, über das man in Glenville den Mantel des Schweigens breitete – und zwar schon seit Hunderten von Jahren, immer wieder, wenn ihr Informant nicht gelogen hatte. Genau genommen, alle ungefähr fünfundfünfzig Jahre wieder …

Sehr mysteriös.