John Sinclair 1974 - Timothy Stahl - E-Book

John Sinclair 1974 E-Book

Timothy Stahl

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Beschreibung

Die Schwarzen Vampire waren meine Armee. Sie dienten mir als Kämpfer in der Schlacht, als Leibgarde und Kundschafter. Ich schickte sie oft als Spione aus, zu meinem Erzfeind - dem Schwarzen Tod.

Die menschlichen Bewohner von Atlantis empfanden die Schwarzen Vampire als Schreckensgestalten, hässlich und furchterregend.

Aber ich war kein Mensch, ich war Myxin, der Magier ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ich, Myxin

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2926-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ich, Myxin

von Timothy Stahl

Lange bevor die Ozeane Atlantis verschlangen …

Wabernder Nebel füllte das Tal der schweigenden Steine. Lava speiende Vulkane, die ihre kahlen, schwarzen Häupter über den Horizont reckten, ließen den Himmel erglühen und färbten die Nebelschwaden rot, als würde in der Tiefe unter ihnen Blut verkochen.

Und inmitten dieses Tals, das die schroffen Berge spaltete, als hätte eine gigantische Götteraxt hineingeschlagen, brodelte faulig stinkend der Höllensumpf – die Geburtsstätte der Monster und Dämonen …

… und des Schwarzen Tods!

Das flackernde Glutlicht, das der Himmel widerspiegelte, zeichnete die Silhouette seiner riesenhaften Statur in den Nebel. Das Wogen der Schwaden erweckte den Eindruck, der Schatten würde sich bewegen – ganz im Gegensatz zu der Gestalt, die ihn warf: Der Schwarze Tod regte sich nicht.

Wie die Statue eines übergroßen schwarzen Skeletts stand er zwischen den Felsen am Rand des Tals der schweigenden Steine. Bewegung war nur in seinen roten Augen, die glosten, als hätte sich in den fleischlosen Höhlen Magma gesammelt. Ihr Blick schweifte über den Höllensumpf.

Wäre ein Beobachter zugegen gewesen, hätte er diesen Blick vielleicht als nachdenklich empfunden. Als erinnerte sich der Schwarze Tod zurück an seine Geburt, an die Stunde, in der er selbst diesem schwarzen Boden entstiegen war, daraus hervorgerufen von seinen Schöpfern, den sagenumwobenen Großen Alten, oder als dächte er an all die Kreaturen, die er seinerseits schon aus diesem unheilvollen Sumpf geholt hatte, um sie in seine Dienste zu stellen.

Ihre Zahl war Legion, denn aus dem, was der Höllensumpf an Schreckenswesen in die Welt entließ, rekrutierte der Schwarze Tod seine Armeen. Sie würde er dereinst anführen, um die Herrschaft über Atlantis anzutreten, wie es ihm die Großen Alten bestimmt hatten.

Aber es war kein Beobachter zugegen, der all das in den Blick des Schwarzen Tods hätte hineininterpretieren können. Oder doch? Der Dämon wusste sehr wohl, dass Atlantis unzählige Augen und Ohren hatte, und das galt auch für den Höllensumpf, mochte diese Gegend auch gefürchtet sein wie kaum eine andere des Kontinents. Dass er niemanden sah, hieß längst nicht, dass er wirklich allein war.

Egal, denn in ihn hineinsehen und -horchen, das konnte niemand. Und deshalb brauchte der Schwarze Tod nicht zu fürchten, dass jemand allein aus der Art und Weise, wie er da am Höllensumpf stand, hinter seine geheimsten Gedanken und Absichten kommen könnte.

Die teerschwarze Fläche, die sich durchs Tal zog, war weder vollkommen flach noch völlig leer. Hier und da dümpelten bleiche Knochen auf der breiigen Brühe. An etlichen Stellen entstanden immer wieder sich träge drehende Strudel, oder es wölbten sich Blasen wie aus schmutzigem Glas aus der Oberfläche, die sich aufblähten, platzten und stinkende Gase freisetzten.

Glieder unterschiedlichster Art tauchten triefend aus dem zähen Morast auf. Sie tasteten tropfend und wie Halt suchend umher, ohne fündig zu werden, und wurden geräuschvoll wieder hinabgeschlürft, weil die zugehörigen Geschöpfe noch nicht reif für die Welt außerhalb des Sumpfes waren.

Auch Fratzen kamen bisweilen zum Vorschein, die Züge wie vor Schmerzen und Entsetzen verzerrt. Aus den Mündern drangen schreckliche Laute, deren Echos zwischen den Felswänden des Tals hin und her wehten, scheinbar endlos, denn kaum war ein Schrei verklungen, setzte ein neuer ein, untermalt von Heulen und Zähneklappern wie aus der tiefsten Hölle.

Ein Ort, an dem der Wahnsinn nistete. Und einer, an dem der Schwarze Tod sich wohlfühlte, denn er badete gleichsam in diesen Schrecken. Sie zu hören, zu spüren, sie mit allen Sinnen und Fasern wahr- und in sich aufzunehmen, das kräftigte ihn, so wie Blut einen Vampir stärkte oder Mondschein den Werwolf.

Darüber hinaus hatte ihm der Sumpf heute jedoch nichts zu bieten. Keines der Geschöpfe, die in den bodenlosen Tiefen ausgebrütet wurden, genügte den Ansprüchen, die der Schwarze Tod an eine besondere Generation von Dienern stellen musste. Diese speziellen Schergen hatten spezielle Voraussetzungen zu erfüllen. Und deshalb mussten sie speziell für den Schwarzen Tod gemacht werden.

Zum Glück kannte er jemanden, der dazu in der Lage war – und in perfider Voraussicht hatte er die Weichen vor langer Zeit so gestellt, dass dieser Jemand ihm einen Gefallen schuldete.

»Nepreno?«, drang es grollend aus dem lippenlosen Mund des Schwarzen Tods.

Hinter ihm rührte sich eine kolossale Kreatur, die bislang unbewegt, als wäre sie selbst ein Teil der himmelhohen Felswand, ausgeharrt hatte.

Nepreno, der Flugdrache, den die Großen Alten ihrem Diener an die Seite gestellt hatten, hob sein gewaltiges Haupt und blickte wie fragend herab auf den Schwarzen Tod, der trotz seiner eigenen enormen Größe fast zwergenhaft wirkte im Vergleich zu dem schwarzgrün geschuppten Untier.

»Ruf ihn«, befahl der knöcherne Dämon dem Drachen.

Und Nepreno gehorchte, er riss sein riesiges Maul auf und brüllte!

Sein feuriger Atem verdampfte den Nebel und brachte die Felsen, über die er strich, zum Glühen. Die Lautstärke ließ das Tal erbeben und versetzte den Höllensumpf in Wallung.

Der Ruf wurde von magischer Kraft getragen und reichte weit über die Grenzen von Atlantis hinaus. Jeder Drache vernahm ihn, einerlei, wo er sich aufhielt. Aber gelten sollte er nur einem, und nur dieser eine musste dem Ruf des Königs der Drachen folgen …

***

Atlantis war vieles. Sowohl ein Kontinent, sprich ein Teil der Erde, als auch eine regelrechte eigene Welt, die voller Rätsel steckte.

Nicht einmal der Schwarze Tod kannte alle Geheimnisse, die Atlantis barg, und ebenso wenig begriff er sämtliche Phänomene, auf die selbst er in diesem Reich an allen Ecken und Enden stieß.

So konnte er sich auch nicht wirklich erklären, woher der sonderbare Eindruck rührte, dass er und sein fliegendes Reittier vom Höllensumpf hierher mehr als nur den bloßen Weg zurückgelegt hatten. Ihm war, als hätten sie auch Hürden überwinden müssen, die weder himmelhohe Bergzüge noch dergleichen waren, sondern unerklärbare Barrieren, die sich nicht nach Länge oder Breite bestimmen ließen. Vielmehr handelte es sich um Schranken, die er ohne magische Kräfte nicht hätte passieren können. Obwohl er gar keine Magie eingesetzt hatte, jedenfalls nicht bewusst.

Trotzdem musste es so gewesen sein, denn der Schwarze Tod fühlte sich etwas geschwächt, er spürte, dass ein kleiner Teil seiner Kräfte buchstäblich auf der Strecke geblieben war.

Es mochte daran liegen, dass Teile des uralten Kontinents vielleicht in andere Dimensionen hineinreichten oder andere Welten überlappten. Und womöglich nahm man deshalb, wenn man ein Dämon oder sonst ein magisch entsprechend starkes Wesen war, automatisch Umwege, für die ein ganz besonderer Zoll zu entrichten war – magische Energie, die dafür gebraucht wurde, all diese Besonderheiten aufrecht zu erhalten. Sie war das Bindemittel, das diese Konstruktionen zusammenhielt, so wie Lehm und Leim es mit irdischen Bauten taten. Und irgendwo musste diese magische Energie schließlich herkommen …

Darüber nachzudenken führte selbst ein Geschöpf wie den Schwarzen Tod an die Grenzen seines geistigen Fassungsvermögens. Irgendwann würde er all dem auf den Grund gehen und Erklärungen finden, um sich die dann gewonnenen Erkenntnisse anderweitig zunutze zu machen. Wenn er Atlantis erst unterjocht hatte, wenn es ihm gehörte, würde er diesem Reich alles abpressen, was es ihm zu bieten hatte.

Aber bis dahin gab es noch manchen Stein aus dem Weg zu räumen. Und wegen eines solchen Steines war er nun hier – im Land, das nicht sein durfte!

Es lag jenseits des Gebirges, in dem der Schwarze Tod sich selbst niedergelassen hatte. Und es war die Hölle auf Erden. Hier gab es nichts außer Vulkanen, glühenden Lavaströmen, karstigen Bergen und Schründen so tief, als reichten sie bis in den Kern des Erdballs hinein. Nicht einmal genügsamste Pflanzen konnten hier gedeihen.

Dieses Land atmete Angst und Schrecken. Hier hausten Wesen, die so furchtbar waren, dass es keine Namen gab, um sie zu beschreiben. Diesen Teil des Inselkontinents suchte niemand freiwillig auf. Wer hierher kam, den hatten Mächte, gegen die aller Widerstand zwecklos war, an diesen Ort verbannt. Oder er wurde herbeigerufen vom König jener Kreaturen, die sich das Land, das nicht sein durfte, zu ihrer Heimat erkoren hatten und denen es seinen zweiten Namen verdankte: Land der Drachen.

Die dämonischen Urtiere waren allgegenwärtig in diesem Reich aus Schwärze, Fels und roter Glut. Auch wenn man sie nicht überall sah. Doch wo man auch hinschaute, mochte in den undurchdringlichen Schatten ein Drache lauern. Und als mächtige Schemen pflügten sie mit weit ausgebreiteten Schwingen durch die rauchige, rußige Luft über den Bergen und in den Schluchten.

Ihr dröhnendes Gebrüll nahm kein Ende. Ihr Dasein war ein ständiger Kampf darum, zu beweisen, wer der Stärkste war. Denn nur die Stärksten paarten sich miteinander, um noch stärkere Nachkommen hervorzubringen. In den Tälern woben sich aus Bodenspalten aufsteigender Dampf und von oben niedersinkender Rauch um die gewaltigen Skelette jener Drachen, die solche Kämpfe verloren und den Siegern nur noch zum Fressen getaugt hatten.

Der Schwarze Tod saß auf dem Rücken Neprenos, dicht hinter dem kräftigen Hals des Tieres, denn über den Rücken bis hinab zur Schwanzspitze zog sich ein scharfer Zackenkamm.

Und der Dämon sah, wie sein Drache den Blick mit geradezu spürbarem Wohlwollen über das Reich wandern ließ, in dem er sich als der Stärkste von allen erwiesen hatte und dessen König er deshalb war. Nicht unangefochten. Immer wieder einmal wagte es ein junger Drache, den alten Herrscher herauszufordern. Bislang hatte es keiner auch nur annähernd geschafft, ihm den Thron streitig zu machen.

Auch die Knochen all dieser Drachen rußten am Grund der Täler vor sich hin oder waren in den Seen und Flüssen aus Lava versunken. Um Nepreno zu bezwingen, da musste schon ein anderer kommen, ein ganz besonderer Kämpfer, und der Schwarze Tod konnte sich nicht vorstellen, dass ein solcher je geboren würde.

Geboren, das war das Stichwort. Auch der Schwarze Tod blickte sich mit seinen roten Augen um. Derjenige, den er Nepreno zu rufen befohlen hatte, war noch nicht da. Verzeihlich, denn das Land, das nicht sein durfte, war nicht leicht zugänglich.

Das Treffen hätte auch woanders stattfinden können. Doch der Schwarze Tod hatte diesen Ort mit Bedacht gewählt. Zum einen hatte er vor langer Zeit genau hier die Bekanntschaft desjenigen gemacht, auf den er nun wartete. Und zum anderen war hier die Wahrscheinlichkeit, unbeobachtet zu sein, sehr groß. Denn selbst jene, die mutig genug waren, dem Schwarzen Tod die Stirn zu bieten, fürchteten die Drachen und wagten sich nicht ohne Weiteres in deren ureigenes Land.

Selbst der Schwarze Tod hatte höchsten Respekt vor diesen Wesen, weshalb er nie der Verlockung erlag, sie in seine Dienste zu zwingen. Sie duldeten ihn, auch Neprenos wegen, aber unterwerfen würden sie sich ihm nicht. Warum auch? Was hätte er den Drachen zu bieten gehabt, das sie nicht schon hatten oder sich hätten nehmen können, wenn sie es gewollt hätten? Und davon abgesehen, brauchte er die Drachen auch nicht. Er kannte schließlich andere Wege, um seine Reihen aufzufüllen.

In diesem Moment war es, als ginge ein Ruck durch das Land der Drachen! Und alles schien zum Erliegen zu kommen, den Atem anzuhalten. Tief unter den Bergen rumorte es. Fels bebte und krachte.

Dann schoss aus dem Schlund eines nahen Vulkans eine Lavafontäne empor, immer höher, bis die Schwerkraft einsetzte und die Spitze dieser flüssigen Glutsäule pilzförmig auseinanderplatzte – und ein Drache mit leuchtend weißen Augen daraus auftauchte!

Pfeilgerade, die Flügel angelegt, jagte das langhalsige Riesentier noch weiter in die Höhe, monströs und anmutig zugleich. Dann kam es für einen Augenblick zum Stillstand, schwebte da wie schwerelos hoch über der niedergehenden Lava, und während das kochende Gestein sich donnernd auf die Bergflanken ergoss und daran entlang nach unten wälzte, breitete der Drache die Schwingen aus. Er vollführte einen mächtigen Schlag, der ihm genug Schwung verlieh, um sich erst wie ausgelassen in der Luft zu drehen und dann auf den Schwarzen Tod und Nepreno zuzusteuern, ehe er in gebührendem Abstand und mit gespreizten Flügeln vor ihnen verharrte.

Der Schuppenpanzer des Tieres glühte vom Ritt durch die Lava dunkelrot und kühlte vernehmlich knackend ab. Mit leichten Bewegungen der Flügelenden hielt es sich in der Luft, der lange Schwanz pendelte mit zuckender Spitze unter ihm. Der Drache war offensichtlich noch jung, kaum halb so groß wie Nepreno.

Die inzwischen nur noch golden glimmenden Augen in dem von hörnerartigen Auswüchsen gekrönten Schädel musterten den König der Drachen, unschuldig und neugierig wie die eines Kindes.

Und Nepreno erwiderte den Blick aus seinen hellen, grünstichigen Augen, die kugelartig aus der Schuppenhaut hervorquollen und deren Schlitzpupillen sich wie pulsierend verengten und weiteten, verengten und weiteten …

Tief unter ihnen setzte ein kurzfristig zum Erliegen gekommener Kampf zweier Drachen wieder ein. Einer der Kontrahenten nutzte offenbar das Überraschungsmoment, um dem anderen den Garaus zu machen, wie dessen durchs Tal hallender Todesschrei verriet.

Abgelöst wurde er vom wütenden Gebrüll eines anderen Tieres, des Weibchens, um das der Kampf sich gedreht hatte und das mit dessen Ausgang nicht einverstanden zu sein schien. So konnte man sich das Geschehen jedenfalls zusammenreimen, denn wirklich zu sehen war in der rauchverhangenen Tiefe so gut wie nichts …

»Du hast gerufen?«

Im ersten Augenblick klang es, als spräche der junge Drache selbst zu Nepreno und dem Schwarzen Tod. Doch schon im nächsten klärte sich dieser Irrtum auf. Es sprach zwar aus dem Drachen, aber nicht mit dessen Stimme.

Das leicht spitz zulaufende Maul öffnete sich, die gut armlangen Zähne glitten mit schleifenden Geräuschen auseinander. Weit hinten leuchtete es rötlich aus dem Rachen, der sich dort halbrund wie der Eingang einer Höhle abzeichnete. Und daraus trat, aus dem schlangenähnlichen Hals des Drachens emporgestiegen, die Gestalt hervor, deren Stimme magisch verstärkt aus dem Tier gedrungen war.

Der Schwarze Tod musterte die eigenartige Figur. Sie war um ein Vielfaches kleiner als er selbst. und obschon sie nackt war, verbarg sich ihr Geschlecht unter dem triefenden, grasähnlichen Haar, das stellenweise aus der leicht schuppigen Haut spross.

Dennoch handelte es sich unverkennbar um einen Mann, der eine greisenhaft dürre Erscheinung bot. Jung wirkten nur die Augen, die weit aus dem fischbauchbleichen Gesicht hervortraten, als machte er Stielaugen ob des Anblicks, der sich ihm bot. Aber dieser Anblick war ihm so wenig fremd, wie er selbst dem Schwarzen Tod fremd war. Sie kannten einander. Sehr lange schon. Auch wenn sie sich seither nicht mehr gesehen hatten. Wesen wie sie vergaßen niemanden und nichts.

»Nun?«, fragte der eigentümliche Greis, der inzwischen bis an den vorderen Rand des Drachenmauls vorgetreten war. »Hast du uns gerufen?«

Der Schwarze Tod nickte, sein großer Knochenschädel bewegte sich knarrend auf den Halswirbeln. Und mit knirschenden Kiefern antwortete er: »Ja, das habe ich, Phorkys.«

***

Phorkys trat auf die schwammig weiche Zungenspitze seines Drachen und gab dem Tier mit dem Fuß das Zeichen, ihn hinaus und in die Höhe zu heben.

Der Drache streckte die Zunge aus dem zahnumkränzten Maul und stemmte seinen Herrn aufwärts.

Phorkys hatte das Gefühl, er schwebte dem Schwarzen Tod und dessen Drachen entgegen. Tier und Reiter ragten über ihm scheinbar bis zum grauen Himmel empor. Ein imposantes Duo. Nepreno in seinem schwarzgrünen Schuppenkleid war gigantisch, um so vieles größer als sein eigener Drache. Aber der war jung und würde noch wachsen.

Wenn es nach Phorkys ging und wenn er bei der Erschaffung seines Drachen alles richtig gemacht hatte, dann würde seine Nalzamur – so hieß sie – zu noch mächtigerer Größe heranwachsen als Nepreno, ihr Vater.

Trotzdem, obwohl der alte Drache die ungleich kolossalere Erscheinung war, dominierte doch der Schwarze Tod das Bild, das er im Gespann mit seinem Drachen bot. Er war beeindruckend und selbst für jemanden wie Phorkys, den Vater der Ungeheuer, auf fast unbeschreibliche Weise einschüchternd.

Seine Wirkung war nicht einfach nur seiner Größe und der Tatsache, dass er ein lebendes Skelett war, geschuldet. Ebenso wenig war es der Umstand, dass seine schwarzen Knochen aussahen, als bestünden sie aus geronnener Nacht und als spiegelte sich ewig schimmernd das Licht sämtlicher Sterne auf ihnen. Und es lag auch nicht an seinen roten Augen, die in ihren Höhlen wie Vulkane flammten. Nein, der Schwarze Tod strahlte etwas aus, für das es keinen Namen gab und das nicht wirklich zu begreifen war – etwas, das in jedem anderen Wesen das Gefühl auslöste, es schnürten sich ihm Hals und Herz zusammen, ganz gleich, ob es aufs Atmen angewiesen war oder überhaupt Blut durch seine Adern gepumpt werden musste.

Vielleicht, dachte Phorkys, während nun er angesichts des Schwarzen Tods genau diese Empfindungen am eigenen Leib verspürte, ist es das Urböse, über das der Schwarze Tod verfügte wie ein Gift, das anderen durch seine bloße Präsenz eingeflößt wurde. Und augenblicklich hatte der Vater der Ungeheuer das Verlangen, etwas zu besitzen von diesem Toxin, um es für sein eigenes Wirken nutzen zu können. Um die Geschöpfe, die er produzierte und in die Welten entließ, damit auszustatten.

Wer weiß, womöglich könnte es ihm gelingen, einen zweiten Schwarzen Tod zu erschaffen! Oder eine Kreatur, die noch mächtiger, noch furchterregender war …

Phorkys kappte den Gedankenfaden. Nicht nur aus Angst, der Schwarze Tod könnte ihm seine hochtrabenden Ideen ansehen und als Frevel auslegen, sondern auch, weil er seiner überbordenden Fantasie bisweilen fast gewaltsam Einhalt gebieten musste. Sonst gewann seine Gabe, wie ein Gott Monstren und Bestien aller Art hervorzubringen, noch die Oberhand und machte sich ihn zum Werkzeug.

Leben zu schaffen, das war wie eine Sucht, der er verfallen war, kaum dass er mit seiner Schwester Keto angefangen hatte, eine ungeheure Nachkommenschaft zu zeugen – die Gorgonen, die Graien, die Skylla und Thoosa, die Mutter des Zyklopen Polyphem …