Ketten und Macht - Die Napoleon-Saga 1795 - 1803 - Simon Scarrow - E-Book
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Ketten und Macht - Die Napoleon-Saga 1795 - 1803 E-Book

Simon Scarrow

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Beschreibung

Im Chaos, das die Französische Revolution hinterlässt, wird Napoleon des Verrats angeklagt. Um seine Reputation zu retten, begibt der große Feldherr sich auf Kriegszüge nach Italien und Ägypten. Während Napoleon sich in zahlreichen blutigen Schlachten verliert, schickt England sich an, unter der Führung Wellingtons das mächtige Frankreich zu unterwerfen. Die beiden großen Schlachtenlenker Napoleon und Wellington stehen sich als erbitterte Feinde gegenüber in einem Kampf, der die Grundfesten der Weltgeschichte erschüttert ...

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DAS BUCH

Die Tür ging auf und Carnot konnte bis zum anderen Ende des wesentlich größeren äußeren Büros sehen. Carnots Sekretär war ein schmaler Mann mit kurz geschnittenem grauem Haar, der seinen neuen Herren mit der Unterwürfigkeit diente, die er unter dem alten Regime gelernt hatte. Er betrat Carnots Büro und verbeugte sich tief.

»Monsieur, Brigadegeneral Bonaparte ist hier.«

»Bonaparte?« Carnot runzelte die Stirn. »Hat er einen Termin?«

»Er behauptet es, Bürger.«

»So, tut er das?« Carnot konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war dem jungen Brigadegeneral zwar noch nie begegnet, aber durch eine stete Flut von Korrespondenz mit dem Mann beschäftigt gewesen, seit Napoleon Bonaparte vor fast zwei Jahren das Kommando über die Artillerie vor Toulon übernommen hatte. Bonapartes brillanter Geist war aus den Einsatzplänen klar ersichtlich geworden, die er für die Alpenarmee und die Italienarmee entwickelt hatte, aber auch seine Ungeduld und sein Beharren darauf, dass alles nach seinen Vorstellungen zu geschehen habe. Einen Moment lang war Carnot versucht, den Offizier warten zu lassen. Vielleicht sollte man den jungen Schnösel an seine Stellung im Gefüge des Ganzen erinnern, überlegte Carnot. Doch dann gab er nach, nicht zuletzt, weil er sehen wollte, ob Bonaparte dem Bild entsprach, das sich Carnot aufgrund seiner umfangreichen Korrespondenz mit dem Mann gemacht hatte.

DER AUTOR

Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, bevor er mit dem Schreiben begann. Mittlerweile zählt er zu den wichtigsten Autoren historischer Romane. Mit seiner großen Rom-Serie und der vierbändigen Napoleon-Saga feiert Scarrow internationale Bestsellererfolge.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.simonscarrow.co.uk

Simon Scarrow

KETTEN UND MACHT

DIE NAPOLEON-SAGA 1795–1803

Aus dem Englischen von Fred Kinzel

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Die englische Originalausgabe

The Generals

erschien 2007 bei Headline Review, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Vollständige deutsche Erstausgabe 04 / 2020

Copyright © 2007 by Simon Scarrow

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München, unter Verwendung von Motiven von © Arcangel Images / Jordi Bru

Umsetzung Ebook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-23413-3V004

www.heyne.de

Für Pat und Mick

Danke für den Spaß all die Jahre

1

Napoleon

Paris 1795

Es war ein heißer Tag Anfang August, die Hitze lag wie eine Decke über den Dächern von Paris, und unter ihr schmorte die Stadt in ihren Gerüchen: Abwässer, Rauch und Schweiß. Lazare Carnot saß in seinem Büro in einer Ecke des Tuilerien-Palasts an einem großen Schreibtisch voller Papiere in beschrifteten Ablagekörben. Der Inhalt eines jeden Korbs war von seinen Mitarbeitern als vorrangig zu behandeln eingestuft worden, damit Bürger Carnot – wie er sich bezeichnete – die dringlichsten Anforderungen der französischen Armeen, die sich um die Verteidigung der neugeborenen Republik mühten, schnell auf den Weg bringen konnte. Seit der Hinrichtung König Ludwigs betrachteten die Feinde Frankreichs das Land als eine monströse Verirrung. Monarchen und Adlige in ganz Europa würden nicht ruhen, bis die Revolution gnadenlos zerschmettert war und die Bourbonen auf den Thron zurückkehrten. Deshalb tobte ein Krieg quer über den Kontinent, und riesige Armeen prallten unter den Standarten Österreichs und der französischen Trikolore aufeinander. Und Carnots Pflicht bestand darin, dafür zu sorgen, dass seine Landsleute organisiert und gut versorgt waren, damit sie die Siege erringen konnten, die das Überleben der Revolution und ihrer Ideale sicherten.

Die Armeen hungerten nach immer weiteren Rekruten, nach mehr Uniformen und Stiefeln, Schießpulver, Musketen und Kanonen, nach neuen Pferden für die Kavallerie und den vielen kleinen Ausrüstungsgegenständen, die nötig waren, damit ein Heer marschieren und kämpfen konnte. Jeden Tag musste Carnot die drängenden Forderungen von Generälen aus den begrenzten Ressourcen, die ihm zur Verfügung standen, so gut wie möglich befriedigen. Es gab Engpässe bei allem, was die Armeen brauchten, und besonders knapp war Geld. Die Schatzkammer war so gut wie leer, und die Nationalversammlung war gezwungen gewesen, Papiergeld – die Assignaten – herauszugeben, das offen zu einem Bruchteil seines Nennwerts gehandelt wurde. Carnot lächelte grimmig beim Gedanken daran und zeichnete eine Anforderung über Artillerieuniformen an eine Textilfabrik in Lyon ab. Wenigstens kostete es die Regierung nichts, noch mehr Assignaten zu drucken, um die Uniformen zu bezahlen. Wenn der Fabrikbesitzer einen Verlust bei ihrem Umtausch machte, so war das sein Problem. Carnot griff nach seinem Federkiel, tauchte ihn in das Tintenfass und unterschrieb mit schwungvoller Gebärde: Bürger Carnot, im Namen des Wohlfahrtsausschusses.

Ein ironischer Name für den Ausschuss, überlegte er, wenn man bedachte, dass seine Angehörigen für den Tod Tausender ihrer Mitbürger verantwortlich waren, um die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu bewahren. Der Ausschuss bekämpfte skrupellos jedes Anzeichen von Widerspruch im Innern, während er gleichzeitig den Krieg gegen die äußeren Feinde Frankreichs steuerte. Doch die Mitgliedschaft in dem Ausschuss war selbst nicht ohne Gefahr, wie Robespierre und sein harter Kern an Jakobinern entdecken mussten – sie hatte sie den Kopf gekostet. Carnot seufzte und schob die unterschriebene Anforderung in die Ausgangsablage.

Wenn sich das Kriegsglück nicht wendete und die politische Lage in Frankreich nicht stabilisierte, dann würde die Revolution scheitern, und alles, was für das gemeine Volk erreicht worden war und vielleicht noch erreicht werden konnte, würde verloren sein. Dann würde die Rache der Monarchisten, Aristokraten und Geistlichkeit noch schrecklicher ausfallen als die schlimmsten Auswüchse in den frühen Jahren der Revolution.

Carnot lehnte sich zurück und zerrte am Kragen seines Hemds. Seine Haut juckte von der Hitze, und ein Rinnsal Schweiß lief ihm über den Rücken. Er trug eine dunkle Jacke über seinem Hemd, aber sie auszuziehen kam nicht infrage. Er war ein Soldat alter Schule, und Leiden hatte seit jeher zu seinem Beruf gehört.

Ein leises Klopfen an der Tür störte seine Konzentration, er setzte sich gerade und antwortete: »Ja?«

Die Tür ging auf, und Carnot konnte bis zum anderen Ende des wesentlich größeren äußeren Büros sehen. Seine Mitarbeiter saßen auf Hockern an ordentlichen Reihen von Schreibtischen. Carnots Sekretär war ein schmaler Mann mit kurz geschnittenem grauem Haar, der seit dem Verlassen der Schule im Kriegsministerium gearbeitet hatte und seinen neuen Herren mit der Unterwürfigkeit diente, die er unter dem alten Regime gelernt hatte. Er betrat Carnots Büro und verbeugte sich tief.

»Monsieur, Brigadegeneral Bonaparte ist hier.«

»Bonaparte?« Carnot runzelte die Stirn. »Hat er einen Termin?«

»Das behauptet er, Bürger.«

»So, tut er das?« Carnot konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war dem jungen Brigadegeneral zwar noch nie begegnet, aber durch eine stete Flut von Korrespondenz mit dem Mann beschäftigt gewesen, seit Napoleon Bonaparte vor fast zwei Jahren das Kommando über die Artillerie vor Toulon übernommen hatte. Bonapartes brillanter Geist war aus den Einsatzplänen klar ersichtlich geworden, die er für die Alpenarmee und die Italienarmee entwickelt hatte, aber auch seine Ungeduld und sein Beharren darauf, dass alles nach seinen Vorstellungen zu geschehen habe. Einen Moment lang war Carnot versucht, den Offizier warten zu lassen. Seine Zeit war schließlich kostbar, und Bonaparte hatte sich keinen Termin geben lassen, um ihn auf offiziellem Weg zu sprechen. Vielleicht sollte man den jungen Schnösel an seine Stellung im Gefüge des Ganzen erinnern, überlegte Carnot. Doch dann gab er nach, nicht zuletzt, weil er sehen wollte, ob Bonaparte dem Bild entsprach, das sich Carnot aufgrund seiner umfangreichen Korrespondenz mit dem Mann gemacht hatte.

»Nun gut«, sagte er achselzuckend. »Bitte führen Sie den Brigadegeneral herein.«

»Jawohl, Bürger«, erwiderte der Sekretär und verbeugte sich reflexartig, bevor er hinausging und die Tür leise hinter sich zuzog. Carnot hatte Zeit, eine weitere Anforderung zu überfliegen und setzte gerade seine Unterschrift darunter, als er hörte, wie die Tür erneut aufging und Stiefel über die Bodenbretter scharrten.

Der Sekretär hüstelte. »Brigadegeneral Bonaparte, Monsieur.«

»Gut«, antwortete Carnot, ohne aufzublicken. »Sie dürfen uns allein lassen.«

Als die Tür zuging, las Carnot das Dokument noch einmal durch, das er gerade unterschrieben hatte, und nickte zufrieden, ehe er es auf den Ausgangsstapel legte. Dann blickte er auf.

Auf der anderen Seite des Schreibtischs stand eine schmächtige, kleine Gestalt mit dunklem Haar, das auf seinen Kragen fiel. Es war quer über die blasse Stirn in einer strengen, geraden Linie geschnitten. Die grauen Augen leuchteten, ihr Blick huschte durch das Büro und schien jede Einzelheit aufzunehmen, ehe er auf Carnot zu ruhen kam. Die Nase des jungen Offiziers war zierlich und schmal, und er schürzte leicht die Lippen, ehe er den Mund zu einem spontanen Lächeln öffnete. Sofort zwang er sich wieder zu einem teilnahmslosen Gesichtsausdruck und stand stramm.

Carnot sah den Brigadegeneral an und bedauerte den Umstand, dass so viele junge Männer im Zeitraum weniger Jahre zu so hohen Rängen aufgestiegen waren. Viele Offiziere waren während der Revolution geflohen, und Robespierre hatte die Reihen derer gelichtet, die geblieben waren. Zwangsläufig waren Offiziere deshalb knapp geworden, und jedem, der puren Mut zeigte oder wenigstens einen gesunden militärischen Verstand erkennen ließ, drängte man eine Beförderung auf. Brigadegeneral Bonaparte war einer der wenigen, die beides besaßen.

»Willkommen, Bonaparte. Ich wollte Sie schon lange einmal kennenlernen.«

»Danke, Bürger.«

Die Stimme war leise, und Carnot fand sie angenehm; er setzte ein Lächeln auf. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass Sie so bald in Paris eintreffen. Wie lange sind Sie schon hier?«

»Wir sind gestern Abend eingetroffen, Bürger.«

»Wir?«

»Meine Stabsoffiziere und ich. Hauptmann Marmont und Leutnant Junot.«

»Ich verstehe. Und haben Sie eine angenehme Unterkunft gefunden?«

Der Brigadegeneral neigte den Kopf zur Seite und zuckte mit den Achseln. »Ich habe einige Zimmer in einem Hotel im Quartier Latin genommen. Sie sind billig, aber ganz behaglich. Vielleicht finde ich etwas Passenderes …«, Bonaparte legte eine Pause ein, um den folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen, »… sobald ich wieder meinen vollen Sold erhalte, Bürger.«

Carnot rutschte in seinem Sessel hin und her, als er sich die Umstände in Erinnerung rief, die zur Gehaltskürzung des Brigadegenerals geführt hatten. Bonaparte war ein Protegé der Robespierre-Brüder gewesen, und viele ihrer Anhänger hatte man nach dem Sturz der beiden hingerichtet. Andere, wie Napoleons korsischer Landsmann Antoine Saliceti, waren untergetaucht. Wieder andere, wie Bonaparte selbst, der die jakobinische Politik offen unterstützt hatte, waren geächtet worden. Wegen erfundener Korruptionsvorwürfe und der Beschuldigung, Informationen an ausländische Mächte verkauft zu haben, war Bonaparte einige Tage im Gefängnis gewesen. Obwohl man die Vorwürfe fallen ließ, war er nur vorläufig freigekommen, um seinen Dienst in der Armee bei halbem Sold fortzusetzen. Kein Wunder, dass er verbittert klang, dachte Carnot.

»Ich versichere Ihnen, ich tue, was ich kann, um Sie wieder in Ihre Rechte einzusetzen.« Carnot spreizte die Hände. »Es ist das Mindeste, was Frankreich für einen seiner vielversprechendsten jungen Offiziere tun kann.«

Falls er für diese Bemerkung eine bescheidene Dankesbekundung erwartet hatte, so wurde er umgehend enttäuscht. Napoleon nickte lediglich.

»Ja, Bürger … wirklich das Mindeste. Ich habe Frankreich gute Dienste geleistet, war der Revolution treu und habe immer noch den Ehrgeiz, beiden so gut es geht zu dienen.«

»Frankreich und die Revolution sind ein und dasselbe, Bonaparte.«

Napoleon gestikulierte in Richtung Fenster. »Das sagen Sie vielleicht, Bürger, aber in den Straßen gibt es Stimmen zuhauf, die anders lauten. Ich bin auf meinem Weg hierher bestimmt an zwanzig Zetteln von Royalisten an den Wänden vorbeigekommen. Ganz zu schweigen von einem Mann, der keine hundert Schritte vom Eingang zu den Tuilerien entfernt royalistische Schriften verkauft hat. Ich bezweifle, dass er Frankreich und die Revolution als dasselbe ansehen würde.«

»Dann ist er ein Narr.«

Napoleon zog die Augenbrauen in die Höhe. »Und wie viele Narren gibt es wohl noch da draußen, Bürger?«

»Genügend, um den Feinden der Republik als Ermutigung zu dienen«, räumte Carnot ein. »Und genau deshalb müssen sie erbarmungslos vernichtet werden. Es ist die Pflicht eines jeden Offiziers in der französischen Armee, dabei zu helfen, so abstoßend Ihnen das offenbar erscheint. Finden Sie eine solche Pflicht abstoßend, Bonaparte?«

»Ja. Wie Sie aus meinem Brief wissen dürften.«

»Ach ja, ich erinnere mich. Anscheinend wünschen Sie nicht, Ihren Dienst bei der Westarmee wiederaufzunehmen.«

»Ich bin mir sicher, dass meine Talente bei anderen Armeen besser zur Geltung kommen, Bürger. Man erntet keinen Ruhm mit der Bekämpfung der eigenen Landsleute, wie fehlgeleitet ihre Politik auch sein mag. Welche Chancen haben sie gegen ausgebildete Soldaten? Sie werden abgeschlachtet wie unschuldige Kinder. Ja, ich finde das abstoßend.«

Carnot beugte sich vor und senkte die Stimme. »Für einen Haufen unschuldiger Kinder machen sie in der Vendée einen gewaltigen Wirbel. Greifen unsere Patrouillen an, brennen Munitionsdepots nieder und vergiften die Herzen und Hirne der einfachen Bauern und Arbeiter. Und wer, glauben Sie, unterstützt sie? England. Englische Schiffe setzen beinahe täglich Spione und Unruhestifter an unseren Küsten ab, die Taschen voll mit englischem Gold. Machen Sie sich nichts vor, Bonaparte. Der Kampf, den wir im Innern führen, ist genauso entscheidend wie der Krieg gegen unsere ausländischen Feinde. Vielleicht ist er sogar noch wichtiger. Solange wir die Schlacht um Frankreich nicht gewinnen, spielt es keine Rolle, was in der Poebene oder an den Ufern des Rheins passiert. Wenn wir den Kampf um die Herrschaft über unser eigenes Land verlieren, ist alles verloren.« Er lehnte sich zurück und zwang sich zu einem Lächeln. »Sie verstehen also, warum der Ausschuss seine besten Offiziere zu der Armee abkommandieren will, die sich der schwierigsten Aufgabe gegenübersieht.«

Napoleon blickte leicht amüsiert drein. »Ich frage mich, wie viel diese Abkommandierung mit meinen Fähigkeiten zu tun hat, Bürger.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich bin Artillerieoffizier. Mein Spezialgebiet ist die Bewegung und Aufstellung von Kanonen. Suchen Sie mir eine Festung, die ich belagern kann, oder lassen Sie mich die geschlossenen Reihen einer Armee mit meinen Batterien zertrümmern. Das kann ich so gut wie nur irgendein Artillerieoffizier. Was sollte ich der Westarmee nützen? Es sei denn, Sie wollen, dass ich sämtliche Scheunen in der Vendée beschieße oder mit Kartätschen auf Schatten feuere, die an einem Waldrand entlanghuschen.«

»Wie Sie bereits wissen, sollen Sie keine Artillerie befehligen. Man hat sie zu einer Infanterie-Brigade abkommandiert.«

»Ganz recht, Bürger. Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Ich bin Kanonier. Ich sollte Kanonen befehligen, nicht Kanonenfutter.«

»Sie haben andere Talente erkennen lassen«, erwiderte Carnot kurz und bündig. »Ich habe die Berichte über Ihr Wirken in Toulon gelesen. Sie haben von der vordersten Reihe geführt. Das ist die Inspiration, die unsere Männer brauchen, wenn es gegen den aufständischen Abschaum in der Vendée geht. Außerdem besitzen Sie organisatorisches Geschick. Vor allem aber sind Sie zielstrebig und vielleicht auch skrupellos. Deshalb werden Sie in der Westarmee gebraucht.«

Napoleon schwieg einen Moment, ehe er antwortete. »Selbst wenn das stimmt, kann ich mir noch einen weiteren Grund denken, warum der Wohlfahrtsausschuss mich in die Vendée schicken will.«

»Ach ja?« Carnot sah ihn an und sagte in scharfem Ton: »Bitte erklären Sie sich!«

»Mir scheint, dass noch Zweifel an meiner Loyalität bestehen. Wenn mich der Ausschuss zu einem Zeitpunkt, zu dem gute Artillerieoffiziere in den anderen Armeen dringend gebraucht werden, gegen Franzosen in den Kampf schickt, dann doch wohl, weil er einen Beweis haben will, dass ich nicht gemeinsame Sache mit den Rebellen mache.«

»Der Ausschuss hat seine Gründe, und er ist nicht verpflichtet, sie Ihnen mitzuteilen, Bonaparte. Sie haben Ihre Befehle. Sie sind Soldat. Es steht Ihnen nicht zu, Befehle infrage zu stellen. Sie werden sich schnellstmöglich der Westarmee anschließen. Damit ist die Angelegenheit geklärt.«

»Ich verstehe.« Napoleon nickte. »Es sei denn, der Ausschuss hat Grund, seine Entscheidung zu überdenken.«

»Das wird er nicht tun.« Carnot legte die Hände zusammen und schob sie unter das Kinn. »Mehr gibt es nicht zu sagen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen, ich habe zu tun.«

»Natürlich, Bürger«, erwiderte Napoleon nach kurzem Schweigen. »Dann werde ich mich verabschieden.«

Die Anspannung wich sichtbar aus Carnots Körper. Er hatte befürchtet, der Brigadegeneral würde verstockter sein, und er hatte das Gefühl, er sollte noch einige ermutigende Worte anfügen. »Wenn Sie uns in der Vendée so gut dienen, wie Sie uns in Toulon gedient haben, dann werden Sie sicherlich feststellen, dass Ihr nächster Posten angenehmer und … ruhmvoller sein wird.«

Napoleon sah ihn mit ruhigem Blick an. »Ich verstehe, Bürger.«

»Dann einen guten Tag.« Carnot griff rasch nach seinem Federkiel und zog eine neue Anforderung von dem Stapel.

Napoleon ging zur Tür, ehe er innehielt und sich noch einmal umdrehte. »Bevor ich mein neues Kommando antrete, muss ich mich noch um einige persönliche Dinge kümmern. Ich hatte seit mehr als einem Jahr keinen Urlaub. Ich würde es begrüßen, wenn ich etwas Zeit bekommen könnte, um meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, Bürger.«

»Wie lange?«

Napoleon schürzte die Lippen. »Einen Monat. Vielleicht zwei.«

»Also gut, zwei Monate. Nicht mehr. Mein Sekretär wird den Ausschuss informieren.«

»Sehr gut. Danke, Bürger.« Napoleon nickte, ging zur Tür hinaus und knallte sie hinter sich zu.

Carnot zuckte zusammen und murmelte: »Dieser verdammte … Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist?«

2

Ich habe meine Kutsche verkauft«, sagte Napoleon und schenkte Wein in die Becher seiner beiden Freunde nach. Sie saßen in einer der Schänken an der Avenue du Palais Royal. Die breite Durchgangsstraße begann sich mit Menschen zu füllen, die nach abendlicher Unterhaltung suchten.

Marmont und Junot wechselten einen Blick, ehe Junot einen kräftigen Schluck trank und seinen Becher leise absetzte. »Was haben Sie dafür bekommen?«

»Dreitausend Francs.«

Marmont schürzte die Lippen. »Das ist ein ganz anständiger Preis.«

Napoleon schüttelte den Kopf. »Ich wurde in Assignaten bezahlt.«

»Oh … Das ist natürlich nicht so gut.«

»Nein«, stimmte Napoleon zu. »Aber es geht nicht anders. Ich brauche das Geld. Ich habe keinen Sold mehr bekommen, seit wir Marseille verlassen haben, und der Hotelbesitzer wird nicht länger auf seine Miete warten. Wenigstens haben wir jetzt für ein paar Wochen ein Dach über dem Kopf und Wein in den Bechern. Also trinkt, aber nicht zu schnell, verstanden, Junot?«

Die beiden anderen lächelten, aber Junot sah schuldbewusst aus, als er in die Neige in seinem Becher blickte. Dann hob er den Kopf. »Es ist nicht recht, dass Sie für uns bezahlen müssen. Meine Familie hat ein wenig Geld. Ich könnte …«

»Genug, Junot. Sie gehören zu meinem Stab. Zu meiner militärischen Familie. Es ist nur recht und billig, dass ich für uns alle bezahle. Was für ein Befehlshaber wäre ich, wenn ich mich um solche Dinge nicht kümmern würde?«

»Ein reicherer«, warf Marmont mit einem müden Lächeln ein. Er streckte den Arm aus und tätschelte Napoleons Schulter. »Kopf hoch. Sicher wird sich etwas ergeben. Wir haben Krieg. Man braucht uns. Unsere Zeit wird noch kommen. Bis dahin wollen wir hoffen, dass Carnot Ihren Urlaub ein wenig verlängert.«

»Ja, das hoffe ich tatsächlich.«

Napoleon überlegte, dass es mehr als einen Monat her war, seit ihm der Kriegsminister Urlaub gewährt hatte. Zu seinem Glück hatte sich Carnot einen großen Teil dieser Zeit nur wenig um militärische Angelegenheiten gekümmert. Eine neue Verfassung wurde gerade in der Abgeordnetenkammer debattiert, und alle politischen Strömungen kämpften darum, dass ihre Sicht der Dinge in dem Dokument verankert wurde. Während Carnot mit der Debatte beschäftigt war, hatte Napoleon den Beamten im Kriegsministerium seine Sache vorgetragen und einen anderen Posten zu bekommen versucht. Aber die Zeit lief ihm davon. Wenn sich die militärische Lage nicht änderte, würde er gezwungen sein, Paris zu verlassen und sich dem undankbaren Kampf gegen die Rebellen in der Vendée anzuschließen. Und das vielleicht schon sehr bald. An diesem Morgen hatte er eine Nachricht aus dem Kriegsministerium erhalten und war zu einem Treffen am folgenden Tag eingeladen worden.

Napoleon hob sein Glas und trank einen Schluck von dem billigen Wein, ehe er seine Umgebung in Augenschein nahm.

Nun, da die Tage der jakobinischen Schreckensherrschaft vorbei waren, hatte die Hauptstadt rasch viel von ihrer Fröhlichkeit zurückerlangt. Die wohlhabenderen Bürger kleideten sich nicht mehr absichtlich ärmlich, wenn sie ausgingen, um nicht für Aristokraten gehalten zu werden. Protzige Kutschen tauchten wieder in den Straßen auf, und die Damen, die es sich leisten konnten, trugen ihre modische Kleidung offen zur Schau. Die billigeren Theater spielten wieder Komödien und heitere Szenen, in denen sie es wagten, sich über die toleranteren oder lachhafteren Mitglieder der Nationalversammlung lustig zu machen, wenngleich die Angehörigen des Wohlfahrtsausschusses von den Pariser Stückeschreibern geflissentlich übersehen wurden. Täglich, so schien es, tauchte eine neue Zeitung in den Straßen auf, und die Blätter nahmen eine zunehmend kritischere Haltung gegenüber den Regierenden der Republik ein. Alle Übel wurden der Regierung angekreidet: die Inflation, die Missernte, der Schwarzmarkt, die offenkundige politische Anarchie und die schlechte Kriegsführung. Manche Zeitungen wagten es sogar, sich für die Wiedereinführung der Monarchie auszusprechen, und in den Straßen hatte es wütende Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Monarchisten gegeben. Obwohl die hohen Temperaturen des Sommers der Vergangenheit angehörten, war die Atmosphäre in Paris aufgeheizt und angespannt wie die Luft, bevor ein Sturm losbricht, und Napoleon hegte wie alle anderen Leute schlimme Vorahnungen. Und das aus gutem Grund. Er trank sein Glas leer und murmelte: »Ich soll morgen Mittag im Ministerium vorstellig werden. Man hat es mir heute Morgen mitgeteilt.«

»Warum?«, fragte Junot.

»Das weiß ich nicht, aber ich fürchte, mein Urlaub wird ein abruptes Ende finden.« Napoleon zuckte mit den Achseln. »Ich kann also ebenso gut das Beste aus diesem Abend machen. Kommt, lasst uns weiterziehen. Ich habe gehört, bei Madame Marcelle gibt es ein paar neue Mädchen.«

Das Palais Royal wurde von einem Ende zum anderen durch orangefarbenen Laternenschein erhellt. Madame Marcelles Etablissement lag in der hintersten Ecke, und als sich die drei Offiziere einen Weg durch das abendliche Gedränge aus Freunden, Familien, Liebespaaren, Straßenhändlern und allen möglichen Unterhaltungskünstlern bahnten, bemerkte Napoleon, dass sich eine Menge um einen Mann versammelt hatte, der von einem großen, vor einem Kaffeehaus stehenden Weinfass herab sprach. Vier Männer mit langen Stöcken schirmten ihn von seinem Publikum ab. Beim Näherkommen hörte Napoleon die ersten Worte des Sprechers, sie klangen schneidend gegen den gut gelaunten Tonfall der größeren Menge.

»Bürger! Ihr seid in größter Gefahr – eure Selbstzufriedenheit droht euch zum Verhängnis zu werden! Wisst ihr nicht, dass genau in diesen Augenblick die Agenten der Bourbonen Pläne schmieden, um die Revolution zu stürzen? Sie sind es, die hinter den Preiserhöhungen und der Lebensmittelknappheit stecken. Sie sind es, die versuchen, die neue Verfassung zu untergraben. Die uns die Freiheit stehlen wollen, die wir uns erstritten haben.« Der Sprecher hob die Fäuste. »Alles, wofür wir gekämpft haben, alles, wofür die tapferen Märtyrer der Bastille gestorben sind – alles, ALLES wird uns entrissen werden, und wir werden wieder Sklaven sein. Wollt ihr das?«

»Nein!«, rief eine volltönende Stimme. Napoleon nahm den theatralischen Ton des Rufs wahr und lächelte. Ein Unterstützer, der sich in die Menge gemischt hatte. »Nein! Niemals!«, rief die Stimme wieder und andere fielen ein.

Der Sprecher nickte und hob eine Hand, um die Leute zum Schweigen zu bringen, ehe er fortfuhr. »Ihr seid gute Patrioten, das sehe ich sofort. Nicht wie dieser bourbonische Abschaum, der seine Seele an fremde Mächte und ihre Söldnerhorden verkauft. Sie sind Verräter!«

»Verdammter Lügner!«, rief eine schrille Stimme. »Königstreue sind keine Verräter. Wir wollen Frankreich von der Tyrannei der Gottlosen befreien!«

Napoleon blieb stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, um über die Köpfe der Menge zu dem Protestierer zu spähen. Er sah einen hochgewachsenen, dünnen Mann auf einem Sockel stehen. Kaum hatte er gesprochen, wandte er sich um und winkte in Richtung des Säulengangs. Sofort tauchte eine Schar Männer aus dem Dunkel zwischen den Säulen auf. Alle hatten Tücher vor das Gesicht gebunden und Knüppel in den Händen.

Eine Frau schrie. Ihr Schrei wurde aufgenommen, und die Menge strömte wie ein Leib vor den heranstürmenden Männern fort.

»Tod den Königsmördern!«, schrie die Stimme. »Für Gott und die Monarchie!«

Der Mann sprang von seinem Sockel und schloss sich seinen Anhängern an, die ihre Knüppel schwingend in die verängstigte Menge stürmten und ohne Ansehen von Alter oder Geschlecht auf die Leute einschlugen. Eine dicht gedrängte Masse von Körpern wogte plötzlich Napoleon entgegen und stieß ihn gegen seine Begleiter. Junot packte ihn am Arm und hielt ihn fest, während Marmont mit lautem Gebrüll vortrat und die Fäuste schwang, damit ihnen niemand aus der panischen Menge zu nahe kam. Während die Leute links und rechts an ihnen vorbeiströmten und Schreie die Luft erfüllten, knurrte Napoleon: »Kommt! Wir erteilen diesen Königstreuen eine Lektion.«

»Was?« Junot sah ihn überrascht an. »Sind Sie verrückt? Die knüppeln uns im Handumdrehen nieder.«

»Er hat recht.« Marmont bewegte sich langsam rückwärts auf seine Freunde zu. »Drei gegen zwanzig oder mehr. Was können wir schon ausrichten?«

»Drei im Augenblick«, räumte Napoleon ein, und seine Stimme verriet seine nervöse Erregung. »Aber wenn wir Widerstand leisten, werden sich andere anschließen. Kommt!«

Er schob sich an Marmont vorbei gegen den Strom der Menschen, die vor den Angreifern flohen. Dann sah er über die Köpfe der Fliehenden hinweg die erhobenen Keulen und die vermummten Gesichter der Männer, die sich einen Weg zu dem ursprünglichen Redner und seinen Bewachern prügelten. Napoleon hielt mit geballten Fäusten und klopfendem Herzen inne und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob es klug war, was er da tat. Dann sah er die lang gestreckte Gestalt eines alten Mannes auf dem Boden, Blut strömte von seinem Schädel auf das Pflaster. Neben ihm lag eine Krücke. Napoleon hob sie auf und klemmte sie instinktiv wie eine Muskete unter den Arm. Sein Selbstvertrauen kehrte zurück, er wandte sich wieder den Angreifern zu und wich einer Frau aus, die mit wehenden Röcken floh und einen kleinen Jungen an die Brust drückte. Kurz hinter ihr kam der erste der Royalisten. Er sah Napoleon mit vor Überraschung geweiteten Augen über dem Halstuch an und zögerte kurz, ehe er seinen Knüppel hob. Napoleon stürmte vorwärts und rammte dem Mann mit aller Wucht das Fußende der Krücke in die Brust. »Schweinehund«, zischte er durch die Zähne.

Der Stoß warf den Mann um, er prallte mit dem Hinterkopf auf das Pflaster und blieb bewusstlos liegen.

»Marmont! Nehmen Sie seine Keule!«

Nun, da zwei von ihnen bewaffnet waren, steuerten sie ihr nächstes Ziel an. Napoleon täuschte einen Stoß an, und als der Mann ihn abwehren wollte, stürmte Marmont vor und fällte ihn mit einem heftigen Schlag auf den Kopf. Während Junot die Waffe des Mannes an sich brachte, drehte sich Napoleon halb um und rief über die Schulter.

»Bürger! Bürger, hört mir zu! Seid ihr Feiglinge oder Patrioten?«

Einige Gesichter wandten sich ihm zu, und Napoleon nutzte die Gelegenheit, um mitten in die Schar der Angreifer zu stürmen, die sich zu dem Sprecher der Versammlung vorkämpften. Er füllte die Lungen mit Luft und schrie: »Tod der Tyrannei!«

Marmont und Junot rannten ihm nach und stimmten in seinen Schrei ein. Einen Moment später waren sie mitten unter den Royalisten, die mit ihren Knüppeln um sich schlugen. Da sie als Soldaten an den Wahnsinn einer Schlacht gewöhnt waren und um die Notwendigkeit, schnell und hart zuzuschlagen wussten, waren sie gegenüber den Gelegenheitsschlägern der anderen Seite im Vorteil, die außerdem mit einer unbewaffneten Menge gerechnet hatten und nicht mit diesem entschlossenen Gegenangriff. Napoleon stieß seine Krücke wieder vor und traf einen Mann an der Schulter. Der Stoß setzte ihn nicht außer Gefecht, und er schwang seine Keule sofort in Richtung von Napoleons Kopf. Napoleon riss die Krücke zurück und blockierte den Schlag, es krachte laut, und die Wucht des Aufpralls setzte sich bis in seine Arme fort. Marmont trat dem Mann mit dem Stiefel so heftig in die Leiste, dass es den Königtreuen von den Beinen riss, er stöhnte tief auf, krümmte sich auf dem Boden und übergab sich. »Drehen Sie die Krücke verdammt nochmal um, Sie Idiot«, zischte Marmont Napoleon zu. »Sie müssen sie als Keule benutzen!«

Während Napoleon tat wie geheißen, hörte er, wie der Sprecher seinen Leibwächtern zurief: »Helft diesen Männern! Helft ihnen!«

Napoleon, Marmont und Junot standen in einem losen Dreieck Rücken an Rücken, schwangen ihre behelfsmäßigen Waffen und versuchten, sich die Männer ringsum vom Leib zu halten. »Kommt schon, ihr Schweinehunde«, knurrte Marmont. »Wenn ihr euch traut.«

»Girondistenpack!«, rief jemand zurück.

»Girondisten? Girondisten!«, brüllte Marmont. »Ich bin Jakobiner, du Bastard, und du bist tot!«

Er warf sich mitten unter sie und stieß zwei der Royalisten dabei zu Boden, dann schwang er seine Keule in gewaltigen Bögen, zertrümmerte Knochen und schlug Muskeln zu gefühllosem Brei.

Junot rückte näher an Napoleon heran. »Sie hätten ihn wirklich nicht einen Girondisten heißen sollen. Fast tun sie mir ein wenig leid.«

»Dafür ist jetzt keine Zeit«, erwiderte Napoleon. Er holte tief Luft und stürzte sich in Marmonts Kielwasser ins Getümmel. Der Sprecher und seine Leibwache schlossen sich dem Kampf an, und als die Royalisten gezwungen waren, stehen zu bleiben und sich zu verteidigen, hörte die Menge auf, zu fliehen. Einige machten zögerlich kehrt, dann gingen die ersten entschlossener auf das Handgemenge zu und schließlich rannten sie. »Tod den Tyrannen!«, rief Napoleon noch einmal mit kräftiger Stimme, und nun fielen andere ein, ermutigt von seiner Zuversicht.

Napoleon sah zurück, und das Herz ging ihm auf. »Bürger! Helft uns!«

Einige folgten seinem Ruf und stürzten sich auf die Royalisten. Aber einige wurden von den Keulen der Königstreuen brutal zu Boden gestreckt. Napoleon ging vorsichtig um einen zusammengesunkenen Körper auf dem Boden herum, hob seine Krücke und hielt nach einem neuen Gegner Ausschau. Aber in der zunehmenden Dunkelheit sahen die Zivilisten um ihn herum alle gleich aus, bis er ein Gesicht sah, das halb von einem Tuch verdeckt war und seine Krücke sofort auf den Schädel des Mannes hinabsausen ließ. Der Schlag kam nie an. Plötzlich gab es einen grellen Lichtblitz, und Napoleon wurde zurückgeschleudert. Er schüttelte den Kopf und versuchte, wieder einen klaren Blick zu bekommen.

»Flieht!«, rief eine Stimme. »Royalisten! Mir nach!«

Mehrere Gestalten machten kehrt und rannten zum Dunkel des Säulengangs zurück. Die Menge verfolgte sie eine kleine Weile, dann gaben die Leute auf, johlten und riefen dem geschlagenen Feind Beleidigungen hinterher. Obwohl Napoleon einen sengenden Schmerz auf seiner Stirn wahrnahm, wurde er von einem Hochgefühl durchflutet. Er suchte Marmont und gab seinem Freund einen herzhaften Schlag auf den Rücken.

»Auguste Marmont, ich schwöre, Sie sind halb Mensch, halb wildes Tier.«

»Die Bastarde sind selbst schuld«, murmelte Marmont. »Mich einen Girondisten nennen …« Nun bemerkte er den dunklen Fleck an Napoleons Schläfe. »Sie bluten, General.«

Napoleon zog sein Taschentuch hervor und drückte es an den Kopf. Dann betrachtete er die Krücke in seiner anderen Hand und machte sich auf die Suche nach ihrem Besitzer. Der alte Mann setzte sich gerade auf und versuchte, eine Risswunde in seiner Kopfhaut zu stillen.

»Besten Dank, Bürger.« Napoleon half dem Mann auf und gab ihm seine Krücke zurück.

Der Mann dankte mit einem Kopfnicken. »Ich wünschte nur, ich hätte helfen können.«

»Sie haben Ihren Beitrag geleistet«, sagte Napoleon lächelnd und schlug leicht gegen die Krücke. »Was man von den meisten Leuten, die heute Abend hier waren, nicht behaupten kann.«

Junot tauchte aus dem Dunkel auf, an seiner Seite ein Mann mit schmalem Gesicht; Napoleon erkannte ihn als den Redner, der vor dem Überfall zu der Versammlung gesprochen hatte. Er näherte sich den drei Offizieren, musterte sie und wandte sich dann an Marmont.

»Ich muss Ihnen und Ihren Freunden danken, Monsieur.«

Marmont sah verlegen drein und wies mit einem Kopfnicken auf Napoleon. »Danken Sie nicht mir. Unser Brigadegeneral hat uns in den Kampf geführt. Ich bin ihm nur gefolgt.«

Der Redner betrachtete Napoleon genauer, und dieser spürte, dass er nicht beeindruckt war von dem, was er sah. »Brigadegeneral?« Er erholte sich von seiner Überraschung und streckte die Hand aus. »Joseph Fouché, zu Ihren Diensten.«

Napoleon nahm die Hand und spürte die kalte Haut des Mannes. »Brigadegeneral Napoleon Bonaparte, gleichfalls.«

»Nun, es scheint, ich muss mich bei Ihnen bedanken, weil Sie meine Haut gerettet haben. Und das nicht, ohne selbst Schaden zu nehmen.«

»Nur ein Kratzer«, erwiderte Napoleon. »Wir freuen uns, dass wir Ihnen helfen konnten. Solange ich lebe, werde ich nicht zulassen, dass Royalisten unsere Leute aus den Straßen vertreiben.«

»Ich verstehe.« Fouché verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. »Mir gefällt Ihre Einstellung. Die Republik braucht mehr Männer wie Sie. Besonders jetzt. Paris scheint von Sympathisanten des Königs durchsetzt zu sein. Es ist an der Zeit, dass gute Männer die Gefahr erkennen und ihr entgegentreten. Bevor es zu spät ist.«

Napoleon lachte. »Jetzt hören Sie aber auf. Das war nicht mehr als eine Bande von Schlägern. Gesindel.«

»Meinen Sie? Dann schauen Sie mal hier.« Fouché kauerte sich neben einen der Männer, welche die Versammlung überfallen hatten, und der nun bewusstlos auf dem Pflaster lag. Er zog ihm das Halstuch vom Gesicht, dann schlug er den dunklen Mantel zurück. Darunter kamen eine elegant geschneiderte Jacke und eine Weste zum Vorschein. Fouché stand auf.

»Ein gewöhnlicher Schläger? Ich glaube nicht. Er ist ein Aristokrat.« Fouché trat dem Mann mit dem Fuß an den Kopf. »Ein Aristokrat und Verräter. Und es gibt noch viele von seiner Sorte, sie intrigieren und schmieden Pläne, um wieder einen Bourbonen auf den Thron zu bringen. Merken Sie sich meine Worte, Brigadegeneral Bonaparte: Wir müssen auf der Hut sein. Die Revolution ist nicht so sicher, wie unsere Regierung uns glauben machen will.« Er lächelte. »Jetzt muss ich gehen. Ich habe noch eine weitere Rede zu halten, an der Place Vendôme.« Fouché sah plötzlich müde und ängstlich aus. »Man muss die Leute davon überzeugen, dass sie für die neue Verfassung stimmen. Wenn sie nicht die Unterstützung des Volkes findet, ist alles verloren … Jedenfalls hoffe ich, wir sehen uns einmal wieder.«

Napoleon nickte matt, er fand die Aussicht nicht sehr anziehend.

Während sich Fouché und seine Leibwache entfernten, sah sich Napoleon unter den Leuten im Palais Royal um. Nun, da die Aufregung vorbei war, widmeten sich die meisten wieder ihren vorherigen Zerstreuungen. Nur ein kleiner Teil von ihnen war Fouché zu Hilfe gekommen. Wo die Loyalitäten der Übrigen lagen, konnte Napoleon nicht sagen. Vielleicht hatte Fouché recht. Vielleicht war die Lage in Paris gefährlicher, als er gedacht hatte.

3

Der Kriegsminister deutete auf den Sessel auf der anderen Seite seines Schreibtischs. »Bitte nehmen Sie Platz, Brigadegeneral Bonaparte.«

Napoleon setzte sich, und Carnot beugte sich vor. »Sie haben sich am Kopf verletzt.«

Napoleon erwog kurz, die Ereignisse des Vorabends zu schildern, aber dann dachte er, es könnte für unschicklich angesehen werden, wenn sich ein ranghoher Offizier an einer Straßenschlägerei beteiligte. Er räusperte sich. »Ich hatte einen Schwindelanfall, Bürger. Ich bin gestürzt und ein paar Stufen hinuntergefallen.«

»Aber Sie sind klar im Kopf, will ich doch hoffen?«

»Ja, Monsieur. Natürlich.«

»Das ist gut, da mich der Wohlfahrtsausschuss gebeten hat, Ihren Rat einzuholen.« Carnot lächelte. »Sie gelten anscheinend als eine Art Experte in militärischen Fragen, die Italien betreffen.«

Napoleon überlegte fieberhaft. Es stimmte, dass man ihn gebeten hatte, Pläne für die Feldzüge der Italienarmee zu entwerfen, und er hatte einige Beurteilungen zur Kriegsfähigkeit Genuas verfasst, aber qualifizierte ihn das bereits als Experten? Wenn er die Rolle zu bereitwillig annahm, riskierte er, für anmaßend gehalten zu werden. Andererseits konnte es eine gute Gelegenheit sein, seine Aussichten zu verbessern. Er setzte sich gerade und nickte bescheiden.

»Es trifft zu, dass ich gründliche Kenntnisse über den italienischen Kriegsschauplatz besitze, Bürger. Allerdings war ich seit Monaten nicht mehr mit den Operationen dort befasst.«

»Dann kennen Sie die neuesten Berichte von der Front nicht?«

Napoleon zuckte mit den Achseln. »Ich lese die Zeitungen, Bürger.«

»Die Zeitungen sind wohl kaum Geheimdienstberichte.« Carnot schniefte. »Abgesehen davon, kennen nicht einmal sie die neueste Lage. Aber das wird sich bald ändern. Der eine oder andere Narr im Ausschuss wird alles brühwarm einem Freund erzählen, und dann macht es schneller die Runde in Paris als ein Tripper.« Carnot beugte sich vor und sah Napoleon in die Augen. »General Kellermann und seine Leute haben eine weitere Niederlage erlitten. Die Alpenarmee befindet sich auf der ganzen Linie auf dem Rückzug, und es würde mich nicht überraschen, wenn Kellermann inzwischen auf halbem Weg zurück nach Paris wäre.«

Napoleon ärgerte sich, dass über den Helden von Valmy so geringschätzig gesprochen wurde, und ergriff instinktiv für seinen Offizierskollegen Partei. »Der General wird seine Gründe haben, sich zurückzuziehen, Bürger.«

»Oh, ich bin überzeugt, dass er die hat.« Carnot fuchtelte mit der Hand. »Aber lassen Sie uns die Dinge beim Namen nennen, Bonaparte. Das ist kein Sich-Zurückziehen. Es ist schlicht und einfach ein Rückzug. Der Mann ist geschlagen. Was der Ausschuss wissen möchte, ist, ob sich der Versuch lohnt, den Österreichern mit erneuerten Anstrengungen Italien wieder abzunehmen, oder wir uns damit zufriedengeben sollten, einfach die Grenze zu verteidigen. Also, Sie kennen das Terrain, Sie kennen die Stärken und Schwächen des Feinds, und Sie wissen, was unsere Männer zu leisten imstande sind. Welches Vorgehen würden Sie demgemäß vorschlagen?«

Napoleon mobilisierte rasch sein Wissen über die italienische Front und legte sich im Geist eine Antwort zurecht, bevor er nach einer kurzen Pause sprach und die einzelnen Punkte an den Fingern abzählte.

»Wir brauchen Italien. Frankreichs Staatskasse ist fast leer. Mit der Eroberung von Österreichs italienischen Provinzen sind jede Menge Reichtümer zu gewinnen. Sie könnten sogar genügend abwerfen, um den Krieg zu finanzieren. Davon abgesehen, ist es nicht so, als wären die Italiener versessen darauf, unter dem österreichischen Joch zu bleiben. Wenn Frankreich ihnen Freiheit und politische Reformen verspricht, dann bringen wir sie bis auf ihre unbeugsamsten Aristokraten sicher alle auf unsere Seite. Wir könnten uns außerdem die Feindschaft zunutze machen, die zwischen Genua, der Lombardei, Venedig, Rom und Neapel besteht. Wenn wir sie gegeneinander ausspielen, können wir sie der Reihe nach einnehmen.«

»Aber erst müssen wir die Österreicher schlagen.«

»Ja, Bürger. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist. Ihre Soldaten sind zäh, aber sie dienen schon sehr lange in Italien. Viele von ihnen sind weit älter als unsere Leute. Alles, was unsere Männer brauchen, ist den richtigen Führer. Jemanden, der ihren Patriotismus befeuern kann …« Napoleon hielt einen Moment inne, damit Carnot zu der unvermeidlichen Schlussfolgerung seiner Aussage gelangen konnte. Dann holte er tief Luft und fuhr fort. »Ein Mann mit General Kellermanns Ruf ist mehr als geeignet für eine solche Aufgabe.«

»Was für ein mattes Lob.« Carnot lächelte. »Einen Moment lang dachte ich, Sie wollten sich für die Aufgabe anbieten.«

»Nein«, protestierte Napoleon und bemühte sich, aufrichtig zu klingen. »Ich bin noch nicht so weit, eine Armee zu befehligen. Der Gedanke ist absurd.«

»Ich weiß. Deshalb bin ich froh, dass Sie es nicht vorgeschlagen haben. Bitte fahren Sie fort.«

»Ja. Wenn wir die Frage der Moral also beiseitelassen, mangelt es den Österreichern an Beweglichkeit. Sie rücken nie ohne lange Nachschubkolonnen vor. Wenn unsere Männer von dem leben können, was das Land hergibt, werden sie um ein Vielfaches schneller marschieren. Wir könnten die österreichischen Nachschublinien nach Belieben unterbinden, einen Bewegungskrieg führen.« Die Ideen sprudelten nur so aus ihm heraus, und Napoleon zwang sich, langsamer zu machen. Wenn seine Worte bei den Ausschussmitgliedern Wirkung zeigen sollten, durfte er nicht als sorgloser Abenteurer erscheinen. Er musste seine Sache ausgewogen vortragen. Er fuhr fort.

»Das wären die Argumente dafür, in die Offensive zu gehen, Bürger. Natürlich muss man die Chancen und Risiken der alternativen Strategie bedenken, nämlich nur unsere Grenze zu verteidigen. Dafür wäre eine große Truppe nötig, die in einer Linie statischer Verteidigungsanlagen gebunden wäre. Sie müssten regelmäßig versorgt werden – ein teures Unterfangen. Und der Dienst in den Garnisonen würde sie abstumpfen und ihrem kriegerischen Potenzial die Schärfe nehmen. Dann wäre da noch das Problem, dass man den Österreichern die Initiative überlässt. Falls sie eine Invasion an unserer Südküste versuchen wollten, könnten sie Zeit und Ort des Angriffs wählen, und Frankreich wäre gezwungen, in gleicher Stärke zurückzuschlagen, nur um den ursprünglichen Grenzverlauf wiederherzustellen.«

Carnot hob die Hand, um Napoleon Einhalt zu gebieten. »Ich sehe, worauf Ihre Analyse hinausläuft, Bonaparte. Sie raten dazu, in die Offensive zu gehen?«

»Offengestanden sehe ich keine gewinnbringende Alternative, Bürger. Entweder Kellermann geht jetzt in die Offensive, oder Frankreich wird gezwungen sein, später eine weitaus kostspieligere Gegenoffensive mit wesentlich beschränkteren Zielen zu starten.« Er lehnte sich zurück. »Ich denke, wir sollten jede Anstrengung unternehmen, um die Österreicher aus dem Feld zu schlagen, zumindest auf dem italienischen Schauplatz.«

Carnot sah ihn an und dachte mit leicht gerunzelter Stirn über Napoleons Worte nach. »Ihre Ansichten sind höchst interessant, und ich werde sie den anderen Ausschussmitgliedern unbedingt vortragen. Es gibt nur noch eine Sache, die ein wenig Überlegung erfordert, nämlich, wer am besten geeignet wäre, die Armee zu befehligen, ob sie sich defensiv verhält oder angreift. General Kellermann ist kein junger Mann mehr …«

Napoleon übersah geflissentlich die Einladung zu einer Bemerkung, und Carnot war schließlich gezwungen fortzufahren. »Sagen wir, seine Erfahrung käme in einer administrativen Funktion vielleicht besser zur Geltung. Meinen Sie nicht?«

»Es gehört sich nicht für einen untergebenen Offizier, solche Beurteilungen abzugeben, Bürger. Ich bin ein einfacher Soldat, und ich trage nur Fakten vor.«

Der andere lächelte. »Es stimmt, dass Sie Soldat sind, so wie es erkennbar nicht stimmt, dass Sie einfach sind. Ich denke, wenn Sie Ihre Talente auf dem Gebiet der Politik so geschickt zum Einsatz bringen würden, wie Sie es in militärischen Angelegenheiten tun, wäre ich gut beraten, Sie genau im Auge zu behalten. Besonders in einer Zeit, da anscheinend sehr viele Soldaten ihren politischen Ehrgeiz mit sich im Rucksack führen.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Bürger.«

»Wenn mich meine Menschenkenntnis nicht völlig trügt, dann wissen Sie sehr genau, was ich meine«, sagte Carnot und seufzte müde. »Nun denn, ich bin dankbar für Ihre Überlegungen, und es kann sein, dass ich Sie in dieser Angelegenheit noch einmal um Rat ersuchen muss. Und das heißt, ich muss einen Weg finden, Sie nicht in die Fänge der Westarmee geraten zu lassen.«

Napoleon fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte, und er saß still und wartete darauf, dass der Kriegsminister fortfuhr.

»Im topografischen Amt des Ministeriums ist eine Stelle verfügbar. Sie brauchen einen hochrangigen Offizier, um die Bewegungen unserer Armeen zu koordinieren. Es ist ein Verwaltungsposten, und man muss Sinn für Details besitzen und schnell rechnen können. Ich bin überzeugt, Sie sind der Aufgabe gewachsen. Ich möchte, dass Sie die Stelle antreten. Natürlich hat sie den zusätzlichen Vorteil, dass Sie schnell verfügbar wären, sollte ein Gefechtskommando frei werden. Ich verspreche nichts, Sie verstehen.«

»Ich verstehe, Monsieur.«

»Gut. In der Zwischenzeit kümmere ich mich darum, dass man jemanden findet, der Sie in der Stammrolle der Westarmee ersetzt.«

»Danke, Bürger«, erwiderte Napoleon »Ich stehe in Ihrer Schuld.«

»Ja, das tun Sie. Und ich werde kein Mitleid zeigen, falls ich Ihr Potenzial falsch eingeschätzt habe, Bonaparte. Vergessen Sie das nie. Sie können jetzt gehen.«

»Ja, Bürger.« Napoleon stand auf und ging zur Tür.

»Eine Sache noch«, rief ihm Carnot nach.

»Ja?«

»Seien Sie auf der Hut. Angeblich hecken unsere royalistischen Freunde etwas aus. Es ist vielleicht nur ein Gerücht, aber ich bin mir da nicht so sicher. Halten Sie die Ohren offen. Verlassen Sie die Stadt nicht, und seien Sie bereit zu handeln, falls etwas passiert.«

»Etwas?«

Carnot senkte unheilvoll die Stimme. »Seien Sie einfach bereit.«

4

Eines Tages Ende September unternahm Napoleon seinen üblichen Morgenspaziergang in den Gärten der Tuilerien. Die Luft war frisch, und eine leichte Kühle deutete den bevorstehenden Wechsel der Jahreszeit an. Die Gärten waren voller Menschen, die den klaren Himmel genossen, und Napoleon spürte, wie er neuen Mut fasste. Die Versetzung in das topografische Amt hatte ihm den bitteren Kampf gegen die Aufständischen in der Vendée erspart, und endlich erhielt er auch wieder sein volles Gehalt. Seine Schulden waren bereinigt, und nachdem man Marmont zur Rheinarmee versetzt hatte, beschränkten sich seine Ausgaben auf den Unterhalt für sich und Junot.

Auf der anderen Seite der Gärten hatte sich eine Menschenmenge vor der Nationalversammlung gebildet. Als sich Napoleon auf dem Kiesweg am Rand des Parks dem Gebäude näherte, sah er, dass die Menge beträchtlich angeschwollen war. Wütende Rufe erfüllten die Luft. Er ging noch näher und fing den Blick eines Mannes in einem teuren, maßgeschneiderten Rock auf.

»Bürger, was geht hier vor?«

Der Mann drehte sich um und stieß den Zeigefinger in Richtung Nationalversammlung. »Sie haben gerade die Einzelheiten der neuen Verfassung veröffentlicht.«

»Ach so? Und?«

»Es ist eine Schande. Diese Schweinehunde vom Konvent erhalten Sitze in der gesetzgebenden Versammlung. Das Pack klammert sich einfach weiter an seine Posten.«

Napoleon konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Was haben Sie erwartet? Es sind Politiker.«

Der Mann sah Napoleon finster an. »Das mag ja sein, aber das Volk wird es nicht hinnehmen.« Er zeigte auf die Menschen ringsum, und Napoleon sah viele wütende Gesichter und hörte Rufe wie »Betrug!« und »Nieder mit der Regierung!«. Selbst Rufe nach der Wiederherstellung der Monarchie wurden laut.

Der Mann drehte sich wieder zur Nationalversammlung um und fiel in den Chor der wütenden Stimmen ein. Napoleon warf einen letzten Blick auf die Menge, dann ging er zu seiner Unterkunft zurück, und das Herz war ihm schwer. Die neue Verfassung sollte die politische Ordnung wiederherstellen, aber der Eigennutz der Politiker hatte dazu geführt, dass niemand seine Macht oder seine Arbeit verlor. Verloren gegangen war indes die Gelegenheit, das Land zu einen, und Napoleons Herz füllte sich mit Verachtung für die politische Klasse, die nur auf ihre Privilegien und ihre Geldsäckel achtete und sich einen Dreck um den Rest der Nation scherte.

Im Lauf der nächsten Tage wuchs die Empörung über die vorgeschlagene Verfassung immer weiter an. Große Menschenmengen versammelten sich zum Protest in den Straßen, und nachts wurden Schüsse auf das Gebäude der Nationalversammlung und die Parteizentralen der Jakobiner und Girondisten abgefeuert. Die um ihr Leben fürchtenden Abgeordneten gewährten Paul Barras, dem führenden Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, vorübergehende Vollmachten zur Verteidigung der Regierung. Und so wurden die Eingänge zum Tuilerien-Palast verbarrikadiert und mit regierungstreuen Truppen besetzt.

Am Morgen des 3. Oktobers rüttelte Junot Napoleon wach.

»Ziehen Sie sich an. Wir müssen hier raus.«

»Was?« Napoleon schüttelte den Kopf. »Was ist los, Junot?«

»Die Royalisten. Sie marschieren. Ihre Stoßtrupps verhaften überall in der Stadt Abgeordnete und Armeeoffiziere. Sie durchsuchen bereits die Hotels in der nächsten Straße.«

Napoleon schlug seine Bettdecke zurück und kleidete sich rasch an. Er zog einen schlichten grauen Mantel über den Uniformrock und überlegte einen Moment, ob er seinen Säbel anlegen sollte, aber dann entschied er sich dagegen. Wenn sie einem Suchtrupp begegneten, war es wohl das Beste, Reißaus zu nehmen. Der Säbel wäre dabei nur hinderlich. Stattdessen holte er einen zweiten zivilen Mantel hervor und warf ihn seinem Freund zu. »Tragen Sie das über Ihrer Uniform.«

Kurz darauf verließen die beiden Männer das Hotel und blickten vorsichtig die schmale Straße entlang, die noch im Halbdunkel der Morgendämmerung lag.

»Wohin gehen wir?«, fragte Junot.

»Zu den Tuilerien.«

»Wieso das? Dort werden die Royalisten zuerst angreifen. Wir könnten eingeschlossen werden.«

»Barras wird jeden Mann brauchen, um die Regierung zu verteidigen.«

Junot erinnerte sich an die letzten Tage der Monarchie und den vergeblichen Versuch, den Palast gegen den Pariser Pöbel zu verteidigen. »Man wird uns abschlachten.«

»Gut möglich«, erwiderte Napoleon ungerührt. »Dies ist die Stunde der größten Gefahr für die Republik. Wenn wir verlieren, wird die Revolution scheitern. Aber wenn wir gewinnen, mein lieber Junot, werden wir die Helden der Stunde sein und gemachte Leute dazu.«

Während sie geschwind durch die Kopfsteinpflasterstraßen gingen, hörten sie in der Ferne plötzlich Musketenfeuer krachen. Junot wandte sich seinem Freund zu. »Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die andere Seite genau den gleichen Gedanken hat.«

Sie mieden die großen Boulevards auf ihrem Weg zu den Tuilerien; Musketen krachten nun pausenlos, begleitet von Schreien in der Ferne. Endlich erreichten sie den Rand des Place du Carrousel vor dem großen Tor zum Palast. Mehrere Wagen waren auf den Platz gezogen und umgestürzt worden, und bewaffnete Männer suchten dahinter Deckung und beobachteten die Regierungssoldaten, die den Palast verteidigten.

»Verdammt«, murmelte Napoleon. »Wir werden einen anderen Zugang näher beim Tor versuchen müssen.«

Neben ihm blickte Junot auf den Platz hinaus. »Wir müssen immer noch offenes Gelände überqueren.«

»Natürlich, aber die Entfernung ist groß. Sie werden uns niemals treffen, selbst wenn sie tatsächlich schießen.«

»Wirklich? Das ist tröstlich.«

»Kommen Sie, Junot!« Napoleon boxte ihn gegen die Schulter. »Wo ist der Kampfgeist, den Sie in Toulon gezeigt haben? Uns geschieht schon nichts, vorausgesetzt, wir finden einen Weg hinein.«

Sie zogen sich in die Straße zurück und suchten sich eine schmale Gasse, die näher beim Palast verlief. Es war immer noch sehr früh, und nur die Rebellen waren auf der Straße. Die meisten Pariser blieben zu Hause und beteten, dass ihnen die Unruhen nicht zu nahekamen. Schließlich fanden die beiden Offiziere einen engen Durchgang zwischen zwei Mietshäusern. An seinem Ende war der Place du Carrousel gut sichtbar, und das Tor zum Palast lag etwa hundert Schritte entfernt. Napoleon schlich zum Rand des Platzes, dicht gefolgt von Junot. Dort kauerten sie nieder, und Napoleon holte tief Luft. »Bereit?«

Junot nickte.

Sie brachen aus ihrer Deckung und spurteten über das Kopfsteinpflaster zum Palasttor. Einige Sekunden lang schien es, als habe sie niemand bemerkt. Dann erschallte ein Ruf von einem der Männer, die hinter den umgekippten Wagen kauerten.

»He, ihr da! Stehen bleiben!«

Als sie weiter auf das Tor zu rannten, sah Napoleon, wie einige der Soldaten dort den Kopf hoben und in ihre Richtung blickten. Einer von ihnen griff nach seiner Muskete, legte an und feuerte. Es gab einen Blitz und eine Rauchwolke, gefolgt von einem lauten Knall und dem hohen Pfeifen der Kugel, die über sie hinwegflog.

»Nicht schießen!«, rief Napoleon. »Wir sind Armeeoffiziere!«

Aber seine Rufe gingen im Wirrwarr der Stimmen unter, da die Royalisten sich hinter ihrer Deckung erhoben und ihnen Schmähungen hinterherriefen. Ein weiterer Schuss wurde abgegeben, tiefer diesmal, und die Kugel prallte zwischen Napoleon und Junot vom Pflaster ab. Napoleon riss im Laufen die Knöpfe seines Mantels auf und streifte ihn ab, sodass seine Uniform zum Vorschein kam. »Nicht schießen!«

Zu seiner Erleichterung ließen die Soldaten ihre Waffen sinken. Doch dann knallten weitere Schüsse, und als er sich umwandte, sah er, dass einige der Royalisten versuchten, die Offiziere zu erschießen, bevor sie sich hinter dem Palasttor in Sicherheit bringen konnten.

Die Soldaten begannen nun, ihnen Feuerschutz zu geben, und von allen Seiten schwirrten Kugeln wie aufgebrachte Hornissen durch die Luft. Schließlich hatten Napoleon und Junot das Tor erreicht und kletterten hastig über die Fässer und Lebensmittelsäcke, die dort als Barrikaden aufgetürmt waren. Auf der anderen Seite sanken sie atemlos zu Boden. Ein Sergeant eilte an der Barrikade entlang auf sie zu. »Wer zum Teufel seid ihr?«

»Brigadegeneral Bonaparte und Leutnant Junot. Wir sind hier, um zu helfen.«

»Helfen?« Der Sergeant runzelte die Stirn. »Dann hätten Sie ein paar Männer mitbringen können, Monsieur. Ein bis zwei Bataillone Infanterie könnten nicht schaden.«

»Tut mir leid.« Napoleon lächelte grimmig. »Wir sind alles, was wir anzubieten haben.«

»Ein Jammer.«

»Wo ist Paul Barras?«

»Barras?« Der Sergeant drehte sich um und zeigte zu den ehemaligen Königsgemächern in der Mitte der Tuilerien. »Dort drin, mit den anderen Offizieren.«

»Gut. Kommen Sie, Junot.«

Sie eilten in geduckter Haltung über den Vorplatz und die Treppe zum Haupteingang hinauf. Hinter ihnen ging der Schusswechsel noch eine Weile weiter, ehe zuletzt nur noch vereinzelt Musketen krachten. Im Palast führte sie eine junge Ordonanz die prachtvolle Treppe hinauf zu der Suite im ersten Stock, die Barras zu seinem Hauptquartier erkoren hatte. Die Tür stand offen, und die beiden Offiziere gingen hinein. Es war ein großer Raum, mit Blattgold und schönen Tapeten verziert. Vom ursprünglichen Mobiliar hatte nur wenig den Sturm auf den Königspalast einige Jahre zuvor überlebt, und Barras saß an einem schlichten Schreibtisch. Um ihn herum standen oder saßen mehrere Offiziere, von denen Napoleon nur einen erkannte – und sofort sank ihm der Mut.

»Das ist Carteaux«, flüsterte Junot.

Napoleon nickte. Als sie sich das letzte Mal begegnet waren, hatte Carteaux die Armee befehligt, die Toulon belagerte – bis ihn der Wohlfahrtsausschuss wegen absoluter Unfähigkeit seines Postens enthob. Napoleon richtete seinen Blick auf Barras, der aufgestanden war, um die Neuankömmlinge zu begrüßen.

»Und wer seid ihr beide wohl?«

Nachdem Napoleon sich und Junot vorgestellt hatte, nickte Barras. »Irgendwelche Gefechtserfahrung?«

»Ja, Monsieur. Wir haben in der Armee gedient, die Toulon eingenommen hat. Ich war der Kommandeur der Artillerie.«

Barras zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ah, ich erinnere mich! Sie sind also dieser Artillerieoffizier. Robespierre war voll des Lobes über Sie. Wie sich die Dinge entwickelt haben, weiß ich natürlich nicht, welchen Wert ich seinem Urteil beimessen soll.«

Die übrigen Offiziere lachten. Ihrem Lachen haftete etwas Nervöses an, und Napoleon befürchtete das Schlimmste. Wenn das ein Zeichen dafür war, wie weit die Moral schon gesunken war, dann wurde es zunehmend unwahrscheinlicher, dass sie die Royalisten besiegen konnten. Barras setzte sich wieder.

»Nun, Brigadegeneral, ich nehme an, ich sollte Ihnen ein wenig von unserer kleinen Notlage erzählen?«

Napoleon nickte.

»Nach den neuesten Berichten sieht es so aus, dass General Danican zu den Royalisten übergelaufen ist. Meine Agenten sagen, morgen bei Tagesanbruch werden zwanzigtausend Milizionäre und Sympathisanten der Royalisten zum Tuilerien-Palast marschieren, und sie beabsichtigen, alle Soldaten und Regierungsmitglieder zu massakrieren, die sie hier vorfinden.«

5

Wie viele Männer haben Sie unter Ihrem Kommando?«, fragte Napoleon.

»Fünftausend«, antwortete Barras. »Allerdings sind tausend davon Freiwillige und haben keine Waffen, und noch einmal fünfhundert sind Reservisten. Auch sie haben keine Waffen.«

»Also dreieinhalbtausend Musketen gegen zwanzigtausend.« Napoleon schüttelte den Kopf. »Kein gutes Kräfteverhältnis. Es sei denn, wir können auf andere Weise ein Gleichgewicht herstellen. Wie sieht es mit Kanonen aus? Wie viele haben Sie?«

»Keine.« Barras zuckte mit den Achseln. »Dies ist der Sitz der Regierung, kein Waffenarsenal.«

»Dann müssen wir ein paar Kanonen auftreiben und herschaffen.« Napoleon wandte sich an Junot. »Im Geschützpark von Neuilly gibt es Kanonen. Suchen Sie sich ein paar Männer – zwei Kompanien sollten genügen –, und holen Sie zehn leichte Stücke. Wir brauchen sie nur, um Kartätschen abzufeuern.«

»Dafür ist es zu spät«, warf Barras ein. »Eine Kolonne der Royalisten ist bereits auf dem Weg dorthin.«

»Dann müssen wir ihnen zuvorkommen!« Napoleons Augen blitzten zornig. »Es sei denn, Sie wollen den Palast jetzt gleich kampflos aufgeben.«

»Natürlich nicht!« Barras richtete sich auf und legte eine Hand auf die Brust. »Ich habe mein Leben der Verteidigung der Republik geweiht.«

Napoleon holte tief Luft, ehe er fortfuhr. »Wir sind hier nicht bei einer Debatte im Plenarsaal, Bürger. Wir brauchen Taten, keine Worte. Und vor allem brauchen wir diese Kanonen.«

Carteaux stieß den Zeigefinger in seine Richtung. »Und wie sollen wir Ihrer Ansicht nach an sie rankommen? Wir sind hier nicht in Toulon, mein Junge. Sie können diese Kanonen nicht einfach herbeizaubern. Wir haben bereits getan, was wir konnten.«

»Dann bleiben wir also einfach auf unserem Hintern sitzen und warten, bis sie uns niedermachen?«, höhnte Napoleon.

Carteaux sprang auf, schritt auf Napoleon zu und baute sich vor ihm auf. »Ihre jakobinischen Herren sind nicht hier, um Sie zu beschützen«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Ich habe mir Ihre Unverschämtheiten schon viel zu lange gefallen lassen. Es wird Zeit, dass wir die Sache klären.«

»Meine Herren!«, rief Barras. »Das reicht! Wir haben genügend Feinde da draußen, wir brauchen uns hier drin keine zu machen. Setzen Sie sich, Carteaux.«

Der alte General funkelte Napoleon zornig an, ehe er an seinen Platz zurückkehrte. Während die Gemüter sich ein wenig abkühlten, herrschte angespanntes Schweigen, und Napoleon wurde bewusst, dass seit seiner Anwesenheit kein einziger der übrigen Offiziere ein Wort gesprochen hatte. Offenbar war ihnen jeglicher Kampfgeist bereits abhandengekommen. Jemand musste die Verteidigung des Palastes in die Hand nehmen. Sie brauchten einen Plan, wenn sie eine Chance haben wollten, gegen General Danican und seine Rebellen siegreich zu bleiben.

Seine Gedanken wurden vom Klappern schwerer Stiefel unterbrochen, und als er sich umdrehte, kam ein Kavallerieoffizier in das Büro stolziert. Er war ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, langem Lockenhaar und einem Backenbart. Er schritt auf den Tisch zu und sah sich um.

»Wer führt hier das Kommando?«

»Ich«, antwortete Barras.

»Nein, ich meine, wer führt in Wirklichkeit das Kommando?«

Napoleon trat einen Schritt vor und räusperte sich. »Bürger Barras wurde von der Nationalversammlung mit der Verteidigung des Palastes beauftragt. Aber ich habe die Befehlsgewalt übernommen.« Er wandte sich zu den übrigen Offizieren um. »Es sei denn, es gibt Einwände.«

Niemand antwortete, nicht einmal Carteaux, der nur auf seine hohen Stiefel starrte. Napoleon nickte. »Also gut. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

»Major Joachim Murat von den Husaren. Ich bin gekommen, sobald ich erfahren habe, dass das royalistische Pack nichts Gutes im Schilde führt. Ich habe zwei Schwadronen meiner Männer mitgebracht.«

Napoleons Augen leuchteten auf. »Kavallerie! Ihre Männer sind bereit, zu reiten?«

»Nun … ja.« Major Murat war bestürzt. »Aber wir sind gerade erst angekommen.«

»Wir haben keine Zeit für Diskussionen, Major. Sie müssen genau das tun, was ich sage. Kennen Sie den Geschützpark in Neuilly?«

»Ja, Monsieur.«

»Gut. Nehmen Sie Ihre Männer und reiten Sie sofort dorthin. Sie dürfen aus keinem Grund anhalten. Mähen Sie alles nieder, was sich Ihnen in den Weg stellt. Bürger Barras wird eine entsprechende schriftliche Order verfassen, während Sie unterwegs sind. In Neuilly suchen Sie dann einige Kanonen – Vierpfünder – und möglichst viel Pulver und Munition, vor allem Kartätschen. Dann bringen Sie alles umgehend hierher. Haben Sie das verstanden?«

»Ja, Monsieur.«

»Dann brechen Sie sofort auf, Murat. Das Schicksal Frankreichs ruht auf Ihren Schultern. Denken Sie daran.«

»Ja, Monsieur.« Murat schlug die Hacken zusammen und salutierte Napoleon. Dann machte er kehrt und verließ den Raum.

Napoleon wandte sich wieder an Barras. »Wenn Sie erlauben, Bürger, würde ich gern unsere Verteidigungsvorrichtungen inspizieren und schauen, wie wir unsere Männer am besten einsetzen.«

»Natürlich.« Barras nickte. »Tun Sie, was Sie für richtig halten.«

»Und wenn das erledigt ist, werden diese Offiziere hier den einzelnen Schlüsselpunkten unserer Verteidigung zugeordnet. Sie werden sie um jeden Preis halten müssen.« Er wandte sich nun an alle Anwesenden. »Es ist so, wie ich zu Major Murat gesagt habe. Das Schicksal Frankreichs liegt in unseren Händen. In unseren Händen, meine Herren. Wir dürfen nicht versagen. Und wir dürfen unsere Männer nicht glauben lassen, dass wir auch nur die geringsten Zweifel an unserem Sieg über die Royalisten hegen. Haben Sie mich verstanden? Unsere Männer werden sich in den folgenden Stunden an uns orientieren. Enttäuschen Sie sie nicht. Zeigen Sie keine Furcht, und dulden Sie keinen Widerspruch. Ist das klar?«

Die anderen Offiziere nickten, und Napoleon klatschte in die Hände. »Gut. Dann ist das geklärt. Kommen Sie, Junot. Wir haben zu tun.«

Als sie hinausgingen, beugte sich Junot zu seinem Freund und murmelte: »Haben Sie ihre Gesichter gesehen? Sie sahen aus wie verängstigte Kaninchen. Die fressen Ihnen jetzt aus der Hand.«

Napoleon zuckte mit den Achseln. »Sie haben nur jemanden gebraucht, der ihnen einen Befehl erteilt. Jetzt hoffe ich nur, dass sie ihre Pflicht erfüllen.«

Die beiden inspizierten gründlich die Verteidigungsvorrichtungen der Tuilerien, und Napoleon gab Befehl, sämtliche tiefer liegenden Fenster und Türen mit Brettern zu verschlagen und Barrikaden vor allen Eingängen mit Ausnahme einiger kleinerer zu errichten. Fast alle Männer wirkten nervös, und er verstand ihre Angst angesichts der überwältigenden Übermacht, der sie sich gegenübersahen. Aber er tat, was er konnte, um sie zu beflügeln und betonte ein ums andere Mal, wie wichtig die nächsten Tage seien. Sie würden ihren Enkeln noch davon erzählen, sagte er, und die Enkel würden stolz sein, einen so ehrenvollen Namen zu tragen. Er sorgte außerdem dafür, dass die Vorräte an Pulver und Musketenkugeln im Magazin zusammen mit Essen und Wasser für mehrere Tage an die strategisch wichtigen Punkte verteilt wurden. Sooft er in die Straßen rund um den Palast blickte, sammelten sich mehr Royalisten als zuvor um die Tuilerien, um sich auf den Angriff vorzubereiten. Davon abgesehen, waren die Straßen jedoch leer.

Zur Mittagszeit kehrte Napoleon in Barras’ Büro zurück und teilte rasch die Offiziere für ihre jeweilige Aufgabe ein. Selbst diejenigen, die im Rang über ihm standen, nickten bereitwillig und eilten auf ihren Posten. Als der letzte gegangen war, wandte sich Napoleon Barras zu und sah, dass der Mann hinter seinen großspurigen Politikersprüchen nervös, ja sogar ängstlich war und sich in die Niederlage zu fügen schien.

»Keine Sorge, Bürger. Wir sind in einer starken Position, und die Männer sind zum Kampf bereit. Wenn Danican am Morgen angreift, wird er viel mehr bekommen, als er haben wollte. Wenn wir seine Männer schnell genug niedermachen, werden sie einbrechen und die Flucht ergreifen.«

»Und wenn nicht?«

»Dann werden wir den Palast Raum für Raum verteidigen müssen.«