Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten in Schule und Kita -  - E-Book

Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten in Schule und Kita E-Book

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Aus vielerlei Gründen sind Pädagogen zunehmend konfrontiert mit psychischen Auffälligkeiten und Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Wissen über deren Ursachen, Häufigkeit und Entwicklung sowie zu den Möglichkeiten wirksamer Behandlungen ist pädagogisch von großer Bedeutung. Einerseits, um im Gespräch mit Eltern und Therapeuten als kompetente Gesprächspartner agieren zu können, andererseits als professionelles Handwerkszeug im Umgang mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen. Dieses Buch vermittelt kompakt und verständlich grundlegende Informationen zu diesen Themen. Die besonderen Anforderungen für die pädagogische Arbeit mit Kindern und deren Familien in Schule, Kita und Familie werden diskutiert. Möglichkeiten professionellen pädagogischen Handelns werden anhand von Fallbeispielen und nach Themen geordnet praxisnah dargestellt.

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Seitenzahl: 283

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Aus vielerlei Gründen sind Pädagogen zunehmend konfrontiert mit psychischen Auffälligkeiten und Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Wissen über deren Ursachen, Häufigkeit und Entwicklung sowie zu den Möglichkeiten wirksamer Behandlungen ist pädagogisch von großer Bedeutung. Einerseits, um im Gespräch mit Eltern und Therapeuten als kompetente Gesprächspartner agieren zu können, andererseits als professionelles Handwerkszeug im Umgang mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen. Dieses Buch vermittelt kompakt und verständlich grundlegende Informationen zu diesen Themen. Die besonderen Anforderungen für die pädagogische Arbeit mit Kindern und deren Familien in Schule, Kita und Familie werden diskutiert. Möglichkeiten professionellen pädagogischen Handelns werden anhand von Fallbeispielen und nach Themen geordnet praxisnah dargestellt.

Dr. Armin Castello ist Psychologischer Psychotherapeut und lehrt als Professor am Institut für Sonderpädagogik der Universität Flensburg.

Armin Castello (Hrsg.)

Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten in Schule und Kita

Klinische Psychologie für die pädagogische Praxis

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

ISBN 978-3-17-022475-9

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-026438-0

epub:

978-3-17-027606-2

mobi:

978-3-17-027607-9

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Grundlagen der Klinischen Kinderpsychologie: Definitionen, Konzepte und Modelle (Simone Gebhard)

2 Klassifikation und Epidemiologie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter (Simone Gebhard)

3 Behandlung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter (Simone Gebhard)

4 Trennungsängste (Armin Castello)

5 Soziale Ängste (Armin Castello)

6 Spezifische Phobien (Armin Castello)

7 Depressionen (Armin Castello)

8 Anorexia und Bulimia nervosa (Simone Gebhard)

9 Adipositas (Simone Gebhard)

10 Ausscheidungsstörungen (Birte Hoffmann)

11 Selbstverletzendes Verhalten (Birte Hoffmann)

12 Aggressiv-dissoziale Störungen (Steffen Siegemund)

13 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Simone Gebhard)

14 Schlafstörungen (Birte Hoffmann)

15 Pädagogische Gesprächsangebote (Armin Castello)

Erläuterung verwendeter Fachbegriffe

Die Autorinnen und Autoren

Vorwort

Psychische Auffälligkeiten und Störungen bei Kindern und Jugendlichen nehmen insgesamt zu. Mit der Umsetzung des durch die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommens der Vereinten Nationen zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen werden darüber hinaus künftig mehr Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen, Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten Regelkindergärten und -schulen besuchen; sie zeigen zudem ein vergleichsweise erhöhtes Risiko zur Entwicklung psychischer Auffälligkeiten.

Die zunehmende Heterogenität hinsichtlich der psychischen Gesundheit von Kindern in Kita- und Klassenverbänden stellt Pädagogen vor die Aufgabe, zu Fragestellungen adäquate Lösungen zu finden, die nur selten Inhalte ihrer Ausbildung oder ihres Studiums gewesen sind. Neue pädagogische Anforderungen liegen hier im frühzeitigen Erkennen von Auffälligkeiten und einem angemessenen, professionellen pädagogischen Umgang.

Pädagogen an Kitas, Grundschulen und weiterführenden Schulen begleiten Kinder oft jahrelang täglich mehrere Stunden. Auch deswegen sind pädagogische Institutionen Lebensbereiche, in denen psychische Veränderungen, Auffälligkeiten oder Störungen nur selten verborgen bleiben. Die dadurch entstehenden Möglichkeiten zur Prävention, zur Unterstützung kinderpsychotherapeutischer Interventionen und zur Vermittlung von Wissen an Eltern sollten angesichts der vielfach mangelhaften Versorgungslage von Kindern mit psychischen Auffälligkeiten insgesamt wesentlich intensiver genutzt werden.

Der vorliegende Band greift diese Veränderung der pädagogischen Anforderungen auf, indem Wissen zu häufigen klinischen Auffälligkeiten und Störungen komprimiert und alltagsnah vermittelt wird. Dies wird verknüpft mit Überlegungen zu pädagogischem Handeln gegenüber Eltern und gegenüber betroffenen Kindern und Jugendlichen im Alltag. Zu zahlreichen Themen werden ergänzend Möglichkeiten und Quellen zur eigenen, weiterführenden Information benannt.

Die ersten drei Kapitel vermitteln grundlegendes Wissen zur Klinischen Kinderpsychologie, zur Klassifikation, Häufigkeit und Behandlung psychischer Störungen. Die nachfolgenden Kapitel befassen sich jeweils mit den Merkmalen, dem Verlauf, den Entstehungsbedingungen und wirksamen psychotherapeutischen Methoden jeweils bezogen auf ein häufiges psychisches Störungsbild. Gleichzeitig findet in diesen störungsspezifischen Kapiteln ein Transfer zu pädagogischen Fragen statt, indem Möglichkeiten zur pädagogischen Prävention dargestellt, Hinweise zur Arbeit mit betroffenen Familien beschrieben und Implikationen für die pädagogische Praxis in Schule und Kita diskutiert werden. Ein abschließendes Kapitel stellt Hinweise zur Gestaltung pädagogischer Gesprächsangebote und zur Durchführung von Elterngesprächen zusammen. Die in den Kapiteln verwendeten (und halbfett hervorgehobenen) Fachbegriffe werden schließlich in einem alphabetisch geordneten Glossar erläutert.

Obwohl sich dieser Band an die Gruppe der mehrheitlich weiblichen Pädagogen an Kitas, Regelschulen und Förderzentren richtet, haben wir uns aus Gründen der Lesbarkeit entschieden, jeweils lediglich die männliche Form zu verwenden. Es sind aber jeweils sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint, wenn von Pädagogen, Erziehern, Lehrern usf. die Rede ist.

Flensburg, im Frühjahr 2013

Armin Castello

1

Grundlagen der Klinischen Kinderpsychologie: Definitionen, Konzepte und Modelle

Simone Gebhard

1.1 Was ist Klinische Psychologie bzw. Klinische Kinderpsychologie?

Die Klinische Psychologie befasst sich mit psychischen Störungen und den psychischen Aspekten und Krankheiten in Forschung, Diagnostik und Therapie. Sie ist eine Teildisziplin der Psychologie und umfasst die Themen

Ätiologie

und Bedingungsanalyse

Klassifikation und Diagnostik

Prävention, Psychotherapie und Rehabilitation

Epidemiologie

, Gesundheitsversorgung und Evaluation

Die Klinische Psychologie umfasst die Forschung, Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen und den psychischen Aspekten somatischer Störungen bei Menschen aller Altersgruppen (Baumann und Perrez, 2011).

Die Klinische Kinderpsychologie setzt einen Schwerpunkt bei der Erforschung von früh wirksamen Risiko- und Schutzfaktoren (vgl. Exkurs Risiko- und Schutzfaktoren) und orientiert sich insbesondere an den Bedürfnissen von Kindern und deren Familien. Die benachbarten Disziplinen Heil- und Sonderpädagogik, Kinderheilkunde und Kinder- und Jugendpsychiatrie sind eng mit der Klinischen Kinderpsychologie verzahnt und leisten einen Beitrag zu Prävention, Diagnostik und Intervention auf diesem Gebiet (Petermann, 2008).

Für die Forschung im Jugendalter hingegen hat sich der Begriff Klinische Jugendpsychologie bislang nicht durchgesetzt. Petermann führt das u. a. darauf zurück, dass die Leitlinien zur Diagnostik und Therapie psychischer Störungen zwischen Kindes- und Jugendalter nicht hinreichend differenzieren, dass gruppentherapeutische Verfahren, die sich für diesen Altersbereich eignen, kaum erprobt sind, nur wenig Präventionsprogramme existieren und dass die Motivation der Jugendlichen meist so gering ist, dass sie kaum aktiv an einer Behandlung mitwirken.

1.2 Was sind psychische Störungen und wie lassen sie sich definieren?

In den oben genannten Definitionen ist der Begriff »psychische Störung« von zentraler Bedeutung und deshalb soll nun geklärt werden, was darunter zu verstehen ist.

Vor der Definition gilt es herauszustellen, dass »psychische Störung« ein Konstrukt ist, auf das sich Praktiker und Forscher auf der Grundlage von Forschungsergebnissen geeinigt haben, die zu diesem Zeitpunkt den neusten Stand der Forschung widerspiegeln. Es ist somit die bestmögliche Lösung für eine begrenzte Zeit und kann auf der Grundlage neuerer Forschungsergebnisse eine Änderung erfahren. Genutzt wird dieser Begriff seit der Einführung der DSM-Klassifikation im Jahre 1980 und löst »psychiatrische Störung« bzw. »psychiatrische Erkrankung« ab (Wittchen und Hoyer, 2011). Das Konstrukt will vermeiden, dass der Eindruck entsteht, dass Dysfunktionen auf ein eindeutiges Prinzip (Ursachen, Wirkung...) zurückführbar sind und darauf reduziert werden. Diese Zusammenhänge sind nicht so einfach herzustellen, da die Ursachen und Verläufe psychischer Störungen wesentlich komplexer sind, als es bei somatischen Krankheiten häufig der Fall sein kann.

Renneberg, Heidenreich und Noyon definieren eine psychische Störung wie folgt:

»Unter einer Störung werden Symptome oder Symptommuster (Syndrome) im Denken, Erleben und/oder Handeln einer Person verstanden, die von der Norm abweichen, zu einer Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit und/oder sozialen Aktivitäten führen, durch ausgeprägtes Leiden gekennzeichnet sind und bei den Betroffenen ein Änderungsbedürfnis hervorrufen.« (2009, S. 21)

Was mit einer Abweichung von der Norm gemeint ist, unterliegt gesellschaftlichen Werten und Normen.

Der vorliegende Band beschäftigt sich mit psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. In diesem Altersabschnitt gilt es, vielfältige Entwicklungsaufgaben mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen. Besonders im Jugendalter müssen durch den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter vielfältige Anforderungen (bspw. körperliche und hormonelle Veränderungen, die Zunahme von Verantwortung und Selbständigkeit) im Spannungsfeld von Identitätsentwicklung und der Zugehörigkeit zu einer Gruppe bewältigt werden. Gelingt diese Anforderungsleistung nicht und kommen evtl. besonders belastende Ereignisse wie bspw. chronische Erkrankung oder Behinderung, der Verlust eine nahen Angehörigen oder Freundes, Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Unfälle oder seelische und körperliche Erkrankungen eines Elternteils hinzu, kann das möglicherweise zur Ausbildung einer psychischen Störung beitragen.

1.3 Entwicklungspsychopathologie

Die Modellvorstellung der Entwicklungspsychopathologie hat in den letzten Jahren den Grundstein dafür gelegt, dass psychische Störungen nicht nur beschrieben und klassifiziert werden können, sondern darüber hinaus dazu beigetragen, das Auftreten von Entwicklungsabweichungen und psychischen Störungen von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter nachzuzeichnen (Blanz, Remschmidt, Schmidt und Warnke, 2006). Die Entwicklungspsychopathologie vergleicht die normale Entwicklung mit der Entstehung und dem Verlauf von Entwicklungsauffälligkeiten und versucht Aussagen zu machen, wie eine Störung entsteht bzw. wie die Störung verlaufen wird, um auf diesem Weg klinisches Handeln zu untermauern. Sie untersucht außerdem, welche negativen und positiven Faktoren auf die Entwicklung einwirken und warum es dazu kommt, dass Kinder, die unter widrigen Bedingungen aufwachsen, sich trotzdem normal entwickeln und keine psychische Störung ausbilden.

Petermann (2008) weist besonders auf den Prozesscharakter hin: Eine Fehlanpassung ist das Ergebnis einer Entwicklung. In diesem Zusammenhang sucht man auch nach Indikatoren, die bestimmte Entwicklungsverläufe vorhersagen können, so dass bei ungünstigen Prognosen frühzeitig mit Gegenmaßnahmen begonnen werden kann, die schlimmere Folgen vielleicht vermeiden können (vgl. dazu Resilienz).

1.4 Biopsychosoziales Krankheitsmodell

Die Entstehung und der Verlauf von Krankheiten können aus unterschiedlichen Perspektiven beschrieben werden. Neuere interaktionistische Theorien berücksichtigen bei ihrem Versuch, das Entstehen psychischer Störungen zu modellieren, das Wechselspiel von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren. In diesem biopsychosozialen Krankheitsmodell spielen zudem Risiko- und Schutzfaktoren eine Rolle für das Auftreten und die Schwere einer Störung. Die Auswirkungen der einzelnen Faktoren sind stark kontextabhängig und so kann dem gleichen Faktor in einem anderen Kontext auch eine veränderte Rolle zukommen. Schüssler und Brunnauer (2011, S. 296) stellen das folgendermaßen dar:

»Biologisch-genetische und psychosoziale Faktoren können in einem Fall die Erkrankung ursächlich bedingen, in einem anderen Fall den Verlauf der Erkrankung bestimmen oder – als dritte Möglichkeit – als Folge der individuellen psychischen Erkrankung erscheinen.«

Wittchen und Hoyer (2011) stellen auf dieser Grundlage ein Vulnerabilitäts-Stress-Modell vor, das das Zusammenspiel aller Faktoren und die Möglichkeit der unterschiedlichen Bedeutung deutlich machen soll. Das Modell geht von unterschiedlichen Bereichen aus, die zueinander in Wechselwirkung stehen. Jede Person durchläuft ihre individuelle Sozialisation, und so sind alle Bereiche durch diese unterschiedliche Sozialisation geprägt, die sich auf der Grundlage der biologisch-genetisch vorgegebenen Entwicklungsgrundlage vollzieht:

Abb. 1: Vulnerabilitäts-Stress-Modell (Wittchen und Hoyer, 2011, S. 21, eigene Bearbeitung)

Die zentralen Komponenten dieses Modells werden im folgenden Abschnitt erläutert:

Unter Vulnerabilität wird eine Anfälligkeit verstanden, die sich darauf bezieht, wie Individuen auf der psychologischen, biologischen und sozialen Ebene reagieren, wenn sie einer entsprechenden Belastung ausgesetzt sind. Vulnerabilität alleine führt nicht zur Störung, es ist die Kombination mit einem entsprechenden Auslöser, die zum Ausbruch einer Störung beiträgt (ebd.). Vulnerabilität kann genetisch beeinflusst, erworben oder erlernt sein, auch eine Kombination dieser drei ursächlichen Bedingungen muss in Betracht gezogen werden. Diese Sichtweise wird von Petermann (2008) als interaktionistische Sichtweise bezeichnet, da man davon ausgeht, dass die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen wie auch die Entstehung von psychischen Störungen auf eine Wechselwirkung von angeborenen und umweltbezogenen Faktoren zurück geht. Vielfältige Beispiele dafür finden sich in den nachfolgenden störungsbezogenen Kapiteln.

Der Begriff Stress meint in diesem Zusammenhang alle Anforderungssituationen auf biologischer, psychologischer und sozialer Ebene an eine Person, die eine Anpassungsreaktion hervorrufen. Sie können die Bandbreite von einfachen Alltagssituationen bis zu traumatischen Ereignissen umfassen. Im abgebildeten Modell sind einige »Stressereignisse« bespielhaft genannt. Deren Bedeutung und Auswirkung wiederum sind u. a. von Vulnerabilitäten, dem Entwicklungsstadium einer Person sowie von Bewältigungsstrategien und der individuellen Resilienz abhängig (Wittchen und Hoyer, 2011).

Unter Resilienz wird die Fähigkeit einer Person verstanden, sich trotz des Vorhandenseins von extremen Belastungsfaktoren und ungünstigen Lebenseinflüssen positiv zu entwickeln. Das bedeutet, dass Kinder trotz erhöhter Vulnerabilität und dem Vorhandensein von Risikofaktoren nicht notwendigerweise eine psychische Auffälligkeit oder psychische Störung entwickeln.

In Zusammenhang mit diesem Begriff werden so genannte Risiko- und Schutzfaktoren diskutiert. Unter Risikofaktor wird eine bestimmte Bedingung verstanden, die die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung erhöht (Blanz et al., 2006). Im Gegensatz dazu stehen die Schutzfaktoren, die trotz vorhandener Risikofaktoren eine normale Entwicklung begünstigen (ebd.).

1.5 Risiko- und Schutzfaktoren

Die psychische Entwicklung von Kindern und in diesem Zusammenhang auch die Entstehung und der Verlauf von psychischen Störungen werden von vielen Risiko- und Schutzfaktoren beeinflusst. Blanz et al. (2006) unterscheiden zwischen biologischen und ökologischen, psychologischen und psychosozialen Risiken.

Biologische Risiken können genetisch bedingt oder vorgeburtlich bzw. in der frühen Kindheit erworben sein, wie bspw. Komplikationen während der Geburt, Frühgeburtlichkeit oder Nikotinmissbrauch während der Schwangerschaft.

Zu den psychologischen Risiken zählen bspw. manche Temperamentmerkmale, Persönlichkeitseigenschaften und Intelligenzstatus.

Die psychosozialen Risiken können u. a. familiärer Art (z. B. Scheidung, soziale Schichtzugehörigkeit, familiäre Beziehungs- und Interaktionsmuster) und peergruppenabhängig (ungünstige Beeinflussung durch Gleichaltrige z. B. durch gesteigerten Alkoholkonsum) sein.

Blanz et al. (2006) weisen in diesem Zusammenhang auf die Risiko-Akkumulation hin: Verschiedene Studien besagen, dass das Risiko mit der Summe der vorliegenden Risikofaktoren steigt und bspw. das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, sich mit dem Vorliegen von zwei Risikofaktoren verdoppelt. Beim Vorliegen von drei oder mehr Faktoren konnte sogar eine Verdreifachung des Risikos festgestellt werden.

Nicht alle Kinder, die Risiken ausgesetzt sind, entwickeln im Laufe ihres Lebens eine psychische Krankheit, und deshalb wurde das Konzept der Risikofaktoren um das der Schutzfaktoren ergänzt (ebd.).

Petermann und Resch (2008, S. 54) definieren Schutzfaktoren wie folgt: »Schutzfaktoren bestehen schon vor dem Auftreten der Störung und werden durch das Auftreten von Risikofaktoren aktiv, indem sie deren Wirkung abmildern oder aufheben.« Zu den Schutzfaktoren zählen personale Ressourcen wie bspw. ein positives Selbstbild und Temperament, Intelligenz und soziale Ressourcen wie bspw. vertrauensvolle Beziehungen innerhalb der Familie oder zu anderen Bezugspersonen und unterstützende Systeme (z. B. Schule oder Kirche).

»Coping oder Handlungskompetenz beschreibt das Ausmaß, in dem Personen mit Schwierigkeiten und stressreichen Lebensereignissen fertig werden und sie bewältigen« (Wittchen und Hoyer, 2011). Auch Copingstrategien sind abhängig von der Situation und der individuellen Vulnerabilität.

Bei der Betrachtung solcher Modelle soll nicht der Eindruck entstehen, dass sich die Entstehung oder der Verlauf von psychischen Störungen vollständig erklären lassen. Ein Modell erhebt nicht den Anspruch, »alle relevanten Befunde widerspruchsfrei einzuordnen und entsprechende wissenschaftlich begründete Interventionen abzuleiten« (ebd., S. 23). Für die Identifikation einzelner biologischer, psychologischer und sozialer Einflussfaktoren, die die Entstehung von Entwicklungsabweichungen begünstigen, bedarf es aber vor allem umfassender Längsschnittstudien (Petermann, Petermann und Damm, 2008).

Literatur

Baumann, U. & Perrez, M. (2011). Grundbegriffe – Einleitung. In M. Perrez & U. Baumann (Hrsg.), Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie (4. Aufl.). Bern: Huber.

Blanz, B., Remschmidt, H., Schmidt, M. H. & Warnke, A. (2006). Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Ein entwicklungspsychopathologisches Lehrbuch. Stuttgart: Schattauer.

Petermann, F. (2008). Grundbegriffe und Konzepte der Klinischen Kinderpsychologie. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (6. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Petermann, U., Petermann, F. & Damm, U. (2008). Entwicklungspsychopathologie der ersten Lebensjahre. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 56, 243–253.

Petermann, F. & Resch, F. (2008). Entwicklungspsychopathologie. In F. Petermann (Hrsg.), Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (6. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Renneberg, B., Heidenreich, T. & Noyon, A. (2009). Einführung Klinische Psychologie. München: Reinhardt.

Schüssler, G. & Brunnauer, A. (2011). Psychologische Grundlagen psychischer Erkrankungen. In H.-J. Möller, G. Laux & H.-P. Kapfhammer (Hrsg.), Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie Band 1: Allgemeine Psychiatrie. Band 2: Spezielle Psychiatrie. (4. Aufl.). Heidelberg: Springer.

Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2011). Was ist Klinische Psychologie? Definition, Konzepte und Modelle. In H.-U. Wittchen, J. Hoyer (Hrsg.), Klinische Psychologie und Psychotherapie (2. Aufl.). Berlin: Springer.

2

Klassifikation und Epidemiologie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter

Simone Gebhard

2.1 Klassifikation und aktuelle Klassifikationssysteme

Um die Kommunikation zu erleichtern und dem Bedürfnis nach Einteilung und Identifikation psychischer Störungen Rechnung zu tragen, haben sich Experten auf Klassifikationssysteme verständigt, die die Grundlage für die Indikationsstellung und Behandlung bieten. Für eine wissenschaftliche Erforschung von psychischen Störungen ist die Existenz solcher Systeme eine unabdingbare Voraussetzung.

Aktuell existieren für die Klassifikation psychischer Störungen zwei unterschiedliche Systeme, die kompatibel sind und sich in ihren Kriterien nicht sehr stark unterscheiden. Beide Klassifikationssysteme nehmen eine kategoriale Klassifikation vor und versuchen theoriefrei zu sein, d. h. dass keine nosologische Einteilung erfolgen soll, sondern psychische Störungen als klar voneinander abgrenzbare und unterscheidbare Krankheits- und Störungseinheiten beschrieben werden. Generell beziehen sich die Kriterien für eine Diagnose gemäß Döpfner (2008a, S. 30)

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