Krisen-Impfung - Kishor Sridhar - E-Book

Krisen-Impfung E-Book

Kishor Sridhar

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Beschreibung

Das Fitnessprogramm für Unternehmen. Die Zeiten der Krisen und des ständigen Wandels stellen gänzlich neue Herausforderungen an Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter. Wer auch in Zukunft erfolgreich am Markt agieren möchte, muss ebenso schnell reagieren können wie anpassungs- und widerstandsfähig sein. Die größten Hindernisse dabei sind interne Blockaden durch verkrustete Strukturen, veraltetes Know-how und die der menschlichen Natur innewohnende Abwehrhaltung gegenüber Neuem. In diesem Buch erklärt der renommierte Senior-Berater Kishor Sridhar, wie man bestehende Blockaden aufbrechen und eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit im Unternehmen implementieren kann. Basierend auf aktuellen psychologischen Erkenntnissen, dem Konzept der Resilienz – der Anpassung der Widerstandsfähigkeit und Belastbarkeit – und dem Hinterfragen gängiger Managementdogmen, weist er den Weg, um sämtliche Blockademechanismen zu überwinden. Ziel seiner praxisorientierten Lösungen ist es, Teams und Unternehmen für alle Eventualitäten der Zukunft zu wappnen – und so neue Wachstumspotenziale freizusetzen.

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Kishor Sridhar

Krisen-Impfung

Für

Anait, Kalyan und Alyoscha

Ich wünsche euch auf euren Wegen die Weisheit, euer Glück zu erkennen, die Kraft, es zu ergreifen und die Willensstärke, dafür zu kämpfen und es nie wieder loszulassen.

Kishor Sridhar

Krisen-Impfung

So machen Sie Ihr Unternehmen widerstandsfähiger und zukunftssicher

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2013

© 2013 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Jordan Wegberg, Berlin

Umschlagabbildung: Getty Images

E-Book-Umsetzung: Georg Stadler, München

ISBN Print 978-3-86881-369-2

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-315-1

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-86414-316-8

Inhalt
Ein paar Worte zum Buch
1. »Wild« New World – die neuen Herausforderungen
Das Ende der Planbarkeit
Grenzen der Managementstrategien
Das Dilemma des Managements
2. Das evolutionäre Unternehmen
Das Unternehmen als selbstoptimierendes System
Der unvermeidliche Mensch
Resilienz als Erfolgsfaktor der Zukunft
In drei Schritten zur Krisen-Impfung
3. Die fünf größten Managementmythen
Mythos Nummer 1: Der Homo oeconomicus und die dunkle Materie
Mythos Nummer 2: Die Illusion des gemeinsamen Ziels
Mythos Nummer 3: Mitarbeitermotivation – mit Volldampf gegen die Wand
Mythos Nummer 4: Schwarmintelligenz – der Traum des Philosophen
Mythos Nummer 5: Rette sich, wer kann – jetzt kommt Best Practice
4. Der blockierte Homo irrationalis
Die Angst zu verlieren
Die Scheu vor dem Risiko
Meins bleibt meins – der Fluch des Besitzes
So weit, so gut – die trügerische Sicherheit
Alles unter Kontrolle, aber nichts im Griff
Die überschätzten Fähigkeiten
5. Das erstarrte Unternehmen
Die Angststarre und das Unternehmen der Egoisten
Die Imperien der Inkompetenz
Mittelmäßigkeit – der sichere Weg, immer dümmer zu werden
Patriarchen – die unverstandenen Altruisten
6. Die Kombi-Impfung: Leistungsbarrieren sprengen – Potenziale entfesseln
Die Hausaufgaben aller Führungskräfte
Die Karten werden neu gemischt
Die Wahrnehmung des Immunsystems stärken
Hilfe, wir müssen uns entscheiden! – Entscheidungsblockaden lösen
Umsetzung statt Ankündigungsmanagement
Den Innovationsboom starten
7. Die Impfung auffrischen
Der Wahrheit ein Verfallsdatum geben
Die Resensibilisierung
Dem Innovationstrauma begegnen
Von Bergsteigern lernen
Die Gefahr des Erfolgs – jetzt erst recht!
Danksagung
Literaturverzeichnis
Über den Autor

Ein paar Worte zum Buch

In den letzten zehn Jahren haben sich die Wirtschaft und das Wettbewerbsumfeld radikal verändert. Der Markt ist von einer hohen Volatilität geprägt, nichts ist mehr wirklich prognostizierbar. Die Gewinner von heute können die Verlierer von morgen sein. Viele sehnen sich nach vergangenen Tagen zurück, als alles noch planbarer erschien. Stattdessen überschlagen sich die Prognosen, was Trends, Marktentwicklungen und die Wirtschaft im Allgemeinen angeht. Kaum glaubt man, die eine Krise sei überwunden, beginnt bereits das nächste Chaos. Der Schmetterlingsschlag am Ende der Welt löst inzwischen wirklich einen Sturm aus, der uns, unser Team oder unser Unternehmen von heute auf morgen ins Chaos stürzen kann.

Wenn Sie dieses Buch in die Hand nehmen, werden Sie entweder in einem Unternehmen arbeiten, das bereits in einer Krise steckt oder dem eine Krise droht – oder Sie haben das ungute Gefühl, dass Ihr Unternehmen gegen eine mögliche Krise nicht ausreichend gewappnet ist. Was immer der Grund ist, Krisen treffen früher oder später jedes Unternehmen, und nur die wenigsten sind ausreichend darauf vorbereitet, egal ob die Ursachen im Innern liegen oder scheinbar von außen kommen. Weder Größe noch Profitabilität sind Erfolgsgaranten.

Die neue Unternehmensstärke heißt Anpassungs- und Lernfähigkeit. In der Psychologie spricht man von Resilienz, also der Fähigkeit, sich reflexartig in Krisen anzupassen, zu lernen und zu bestehen. Nicht resiliente Unternehmen werden auf Dauer nicht überleben. In Krisenzeiten bemühen Fachleute gerne das Bild vom Bambus im Sturm, den man imitieren solle – sich flexibel im Wind biegen und anschließend zur alten Form zurückkehren.

Vermeintlich asiatische Weisheiten klingen zwar gut, müssen deswegen aber noch lange nicht richtig sein. Wer in schwierigen Zeiten überleben will, braucht nicht die Fähigkeit, sich in den Urzustand zurückzuversetzen, sondern sich weiterzuentwickeln. Denken Sie zurück an die vielen Krisen, sowohl berufliche wie private, die Sie bisher erlebt und überlebt haben. Nach einem solchen Kampf war nichts mehr wie zuvor, und das ist gut so, denn ohne diese Krisen wären Sie nicht, wer Sie heute sind. Resilienz ist die dauerhafte Widerstandsfähigkeit durch Antizipation und Anpassungsfähigkeit.

Gefragt ist ein starkes Immunsystem des Unternehmens. In der Medizin werden wir bereits als Säuglinge geimpft, damit wir tückische Krankheiten weitgehend problemlos überstehen können. Diese Immunisierung ist ein hochkomplexer Sensibilisierungsprozess, und unser Immunsystem wird durch eine solche Impfung nachhaltig verändert. Die Aufmerksamkeit für Viren und Krankheitserreger wird erhöht, und wenn der Ernstfall eintritt, reagiert unser Immunsystem so schnell, dass die Symptome der Krankheit gar nicht erst auftreten. Was wir bei der Impfung allenfalls als einen kleinen ärgerlichen Pikser wahrnehmen, setzt in Wahrheit einen recht komplexen Prozess der Optimierung von Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit in unserem Körper in Gang.

Unternehmen, die in Zukunft bestehen wollen, müssen ebenso geimpft werden, denn wir befinden uns in einem hochinfektiösen Wirtschaftsumfeld mit einer exorbitanten Virenlast. Genau davon handelt dieses Buch. Es geht darum, Blockaden aufzulösen, die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen und das Immunsystem des Unternehmens in die Lage zu versetzen, auf unbekannte Krankheitserreger in kürzester Zeit effektiv zu reagieren.

Dieses Buch erzählt keine Best-Practice-Geschichten, die Sie nur übernehmen müssen. Ebenso wenig bietet es den einen Masterplan, um Ihr Unternehmen oder Team zum Erfolg zu führen. Wir werden später dezidierter auf die Gründe eingehen. Gleich vorab: Unternehmen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die dort arbeiten, deswegen kann keine Königsstrategie und kein Best-Practice-Ansatz pauschal funktionieren, auch wenn sich ein solches Versprechen besser verkauft. Das echte Leben ist weitaus komplexer, als uns die Management-Gurus glauben machen wollen.

Dieses Buch bietet klare Ansätze für eine mehrstufige Unternehmensimpfung. Schritt für Schritt werden Barrieren beseitigt und die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens verbessert. Ziel ist dabei die Veränderung der Unternehmenskultur und eine konsequente Stärkung des Immunsystems unter Verwendung minimalinvasiver Schritte.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um zu starten? Diese Frage wird oft gestellt. Meine Antwort: Der richtige Zeitpunkt ist jetzt! Es gibt immer Gründe, um Krisen-Impfungen aufzuschieben. Beliebt ist das Argument, dass man sich derzeit mitten in einer Krise befinde und deswegen einfach nicht die Ressourcen habe oder dass die Mitarbeiter nicht beunruhigt werden sollen. Wenn sich ein Patient in der Notaufnahme befindet, sollte man ihn dann lieber nicht behandeln, weil man ihn zu sehr aufregen könnte? Glauben Sie mir, wenn Sie in einer Krise stecken, sind die Mitarbeiter ohnehin bereits beunruhigt.

Sollte Ihr Unternehmen derzeit nicht in einer Krise stecken, ist jetzt ebenfalls der richtige Zeitpunkt, denn schließlich handelt es sich um eine Impfung, und die nimmt man am besten vor, bevor die Krankheit ausbricht. Aber das werden Sie ohnehin wissen, sonst hätten Sie dieses Buch ja nicht gekauft. Starten wir also mit einem Blick auf das hochinfektiöse Umfeld, in dem wir uns derzeit bewegen.

1. »Wild« New World – die neuen Herausforderungen

Das heutige Marktumfeld stellt Unternehmen vor gänzlich neue Herausforderungen. Selten war die Umgebung, in der Unternehmen sich behaupten müssen, so schwierig wie heute. Organisationen, die vor zwei Jahren noch Marktführer waren, kämpfen inzwischen um ihre Existenz. Firmen, die vor wenigen Jahren noch unbekannte Marktpioniere waren, haben in kürzester Zeit die Vorreiterrolle übernommen. Die globalen Märkte schufen neue Absatzchancen, aber auch komplett neue Konkurrenzsituationen. Noch nie standen uns derart viele Informationen in Echtzeit zur Verfügung, und dennoch scheitern 70 bis 80 Prozent der Produkteinführungen binnen der ersten zwölf Monate.1

Zugleich erleben wir eine radikale Verkürzung der Produktlebenszyklen. Ein Handy, heute auf den Markt geworfen, ist schon in wenigen Monaten Schnee von gestern. Während der Produktlebenszyklus eines Automodells in den Siebzigerjahren noch bei sechs bis sieben Jahren lag, gilt es heute bereits nach zwei Jahren als veraltet und benötigt das erste Update. Selbst diese kurzen Produktlebenszyklen sind eigentlich noch zu lang. Märkte und Kundenbedürfnisse verändern sich schneller, als man darauf reagieren kann. Keiner weiß, ob die Wirtschaft vor einer der größten Boomphasen oder vor dem totalen Abgrund steht. Sehnsüchtig hofft man auf das Ende ständiger Veränderungen und Umbrüche, auf das Ende der Krisen und das baldige Eintreten der gewohnten Beständigkeit und Planbarkeit.

Doch wir hoffen vergebens, denn was wir derzeit erleben, ist keine Übergangsphase. Wir sind in eine neue Ära eingetreten, und was wir heute als Krise empfinden, werden wir in zehn Jahren als Normalzustand ansehen. Das Zeitalter der Beständigkeit und der Planbarkeit ist vorbei, und wer auch in Zukunft erfolgreich sein will, muss den Tatsachen ins Auge sehen und sich für das Zeitalter beständiger Veränderung rüsten, in dem das Unvorhersehbare die Regel wird.

Das Ende der Planbarkeit

Wenn die vergangenen Jahrzehnte im Rückblick ruhiger und gemächlicher wirken, so liegt das nicht daran, dass der Blick durch die Nostalgiebrille alles positiver erscheinen lässt, als es war. Wir sind tatsächlich Zeitzeugen eines dramatischen Umbruchs, der die Art, wie wir arbeiten und wie Unternehmen operieren und somit auch die Faktoren, die zum Erfolg führen, nachhaltig verändert hat und weiterhin verändert. Wir haben das industrielle Zeitalter längst hinter uns gelassen und sind in eine neue Ära eingetreten.

Es ist weder das Informations- noch das Kommunikationszeitalter angebrochen, wie gerne behauptet wird. Denn Begriffe wie Information und Kommunikation beschreiben nicht ausreichend, worauf es heute ankommt. Wir befinden uns im Zeitalter der Vernetzung. Die hochgradige Vernetzung unserer Welt ist es, die unseren Alltag und die Märkte prägt. Sie betrifft alle Aspekte von der Produktion über den Vertrieb bis hin zu Liefersystemen und Marketing.

Wenn über die Erfolgsgeschichten des Internets geschrieben wird, werden gerne Facebook, Amazon oder Google als Paradebeispiele gefeiert. Dabei sind die eigentlichen Erfolgsgeschichten weder das Internet noch dessen prominenteste Akteure. Das Internet ist nur ein Aspekt der hochgradigen Vernetzung. Niedrige Logistikkosten, neue Verkehrswege, die uns in die entlegensten Regionen der Welt bringen, radikal gesunkene Markteintrittsbarrieren, Handelsabkommen – all dies trägt zur Vernetzung der Welt bei. Die wirkliche Revolution findet nicht nur im Internet statt, sondern hat längst den Mittelstand und sogar die kleinsten Unternehmen erfasst. Der hohe Vernetzungsgrad bietet jedem kleinen Unternehmen enorme Chancen, in rasanter Geschwindigkeit global in den Markt zu treten. Zugleich breiten sich Krisen, die in einer entfernten Region der Welt auftreten, binnen kürzester Zeit aus und betreffen schnell Unternehmen auf aller Welt. Die hochgradige Vernetzung ist der Grund, warum ehemalige Spitzenunternehmen plötzlich am Abgrund stehen und vormalige Nischenanbieter plötzlich dominieren.

Die Frage der Neunzigerjahre, ob wir eine Dienstleistungs- oder eine Produktionsgesellschaft werden sollten, hat sich insofern erledigt, als wir in erster Linie eine vernetzte Gesellschaft geworden sind und diese Vernetzung vorantreiben müssen. Nicht nur in der Infrastruktur, sondern auch im Denken und Handeln. Der Erfolg des deutschen Mittelstands mit seinen von der Politik oft vernachlässigten Hidden Champions hat eine Renaissance erfahren, die nicht allein auf Tüftlereigenschaften und der guten deutschen Ingenieurtugend fußt. Die konsequente Nutzung von Vernetzungen macht es mittelständischen Unternehmen möglich, Produktionen sinnvoll auszulagern, neue Märkte zu erschließen und global zu agieren. Das ist jedoch keine Einbahnstraße, denn genau jene Möglichkeiten, die ein globales Agieren möglich machen, können zugleich das Einfallstor für ungeahnte Gefahren sein.

Unabhängig davon, ob man international oder national am deutschen Markt agiert: Die konsequente Vernetzung der Welt bietet Chancen und beschleunigt andererseits Veränderungen in nie zuvor gekannter Weise. Die Karten werden ständig neu gemischt, und wer heute zu den Gewinnern gehört, kann schon morgen ein Verlierer sein. Der eingangs erwähnte Flügelschlag eines Schmetterlings, der laut Chaostheorie einen Sturm auslösen kann, ist heute in der Wirtschaft zum Alltag geworden. Das Eintreten des Unvorhersehbaren wird zur Normalität. Da jedes Ereignis durch die hohe Vernetzung seine Auswirkung mit enormer Wucht in kürzester Zeit entfalten kann, wird das Planbare und Vorhersehbare die Ausnahme sein.

Der Statistiker und Finanzmathematiker Nassim Taleb prägte hierfür in seinem gleichnamigen Bestseller den Begriff desschwarzen Schwans. Er greift dabei auf eine prägnante Analogie zurück: Jahrhundertelang ging man in der westlichen Welt davon aus, dass Schwäne weiß seien, eben weil alle Schwäne, die man bis dahin gesehen hatte, weiß waren. Dann entdeckte man jedoch Australien und fand dort schwarze Schwäne vor – ein Ereignis, das völlig unvorhersehbar war.

Genau jene schwarzen Schwäne sind im heutigen Marktumfeld zur Regel geworden, nur dass die Schwäne in allen möglichen Farbnuancen auftauchen, denn sonst wären sie ja wiederum vorhersehbar. Wenn Unternehmen nun unter Druck geraten oder ums Überleben kämpfen, so ist dies weniger Ursache der Krise als Symptom eines viel grundlegenderen Problems. In einem Sturm havarieren meist die Schiffe, die ohnehin kaum noch seetauglich waren. Unternehmen werden nicht wegen plötzlicher, unvorhersehbarer Veränderungen untergehen, sondern weil sie intern auf solche Szenarien nicht vorbereitet sind. Denn allein dass wir vorhersagen können, dass nichts mehr vorhersagbar ist, ist eine Basis zum Handeln. Das Unternehmen der Zukunft muss auf das Unvorhersehbare vorbereitet sein, und genau darin liegt die Herausforderung. Um in Zukunft erfolgreich zu sein und in der permanenten Krise bestehen zu können, benötigen Unternehmen andere Eigenschaften als jene, die bisher gepflegt wurden.

Grenzen der Managementstrategien

Das Zeitalter der Vernetzung zeigt die Grenzen gängiger Managementstrategien auf. Denn die permanenten Veränderungen des Marktumfelds und der Unternehmensanforderungen führen zu einer komplett anderen Gültigkeit von Strategien. Jede Strategie ist in dem Moment, da sie erdacht wird, bereits veraltet, weil sie auf Annahmen beruht, die der Vergangenheit angehören.

Eine Strategie ist nicht mehr als ein gut gemeinter Plan, der auf Annahmen beruht, denen Zustände der Vergangenheit zugrunde liegen.

Wenn man von einer Stadt in eine andere fährt, nimmt man sich ein Navigationsgerät und gibt den Zielort ein. Eine Route wird berechnet. Das ist die Strategie. Aber schon nach wenigen Kilometern beginnt das Computerprogramm zu optimieren. Ein hohes Verkehrsaufkommen wird registriert, Staumeldungen werden verarbeitet und die Route entsprechend angepasst. Es ist eine Frage der Zeit, bis Navigationsprogramme zusätzlich Wetterbedingungen wie Gewitter, Hagel und Nebel standardmäßig in Echtzeit in die Routenoptimierung einbeziehen. Am Anfang stand die Strategie, die ursprünglich geplante Fahrtroute, doch die schnelle intuitive Anpassung der Routenplanung während der Fahrt ist das, was optimal zum Ziel führt. Während wir früher noch mit Straßenkarten fuhren und Verkehrsmeldungen allenfalls im Radio hörten – und dies meist, wenn wir bereits im Stau standen –, wird jetzt jede Fahrt kontinuierlich optimiert.

Heute können Unternehmen es sich gar nicht mehr leisten, sich auf eine Strategie, also eine Straßenkarte zu verlassen, die sie am Anfang der Reise angeschaut haben. So faszinierend neue Technologien auch sind, die schnelle Anpassung an neue Gegebenheiten kann ein Computer nur bedingt bewältigen. Jedes noch so gute Computersystem kann nur das optimieren, was vorgegeben wurde. Ein Navigationssystem kann nur innerhalb des programmierten Straßennetzes optimieren. Wenn nun plötzlich die Bedingungen verrückt spielen und binnen Minuten Straßen nicht mehr existieren oder neue Straßen auftauchen, ist jeder Navigationscomputer am Ende seiner Möglichkeiten. Genau in dieser Situation befinden sich Führungskräfte mit gängigen Managementtheorien und mühsam erarbeiteten Unternehmensstrategien, und hieraus erwächst ein grundlegendes Dilemma.

Das Dilemma des Managements

Seit dem Beginn der Industrialisierung und dem damit einhergehenden Entstehen komplexer Unternehmungen mit einem hohen Maß an Arbeitsteilung sind Führungskräfte mit der Aufgabe konfrontiert, diese komplexen Organisationen und Prozesse zu optimieren. Reibungsverluste und mangelnde Effizienz konnten über Erfolg oder Scheitern entscheiden. Schnell entstanden Managementtheorien und Unternehmensstrategien, die bis heute immer wieder angepasst und adaptiert werden. Ein ganzer Wissenschaftszweig war neu entstanden, der ein primäres Ziel hatte: Arbeitsprozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten.

Das moderne Management wurde erfunden, um das Problem der Ineffizienz zu lösen. Mit anderen Worten, es ging um die Maximierung des Verhältnisses zwischen Leistungsinput und Leistungsoutput. Dies ist das Kernziel der Strategien des 20. Jahrhunderts, die bis heute noch Anwendung finden, und zugleich Ursache des Dilemmas sind, in dem sich Management und Führungskräfte auf allen Ebenen befinden.

Gerade weil Strategien zu dem Zeitpunkt, wo sie ausgesprochen werden, bereits überholt sind, bieten sie nicht die notwendige Schärfe, um darauf basierend ein Unternehmen zu lenken. Im Grunde befindet sich das Management in einer ähnlichen Situation wie die Physik zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Newton 1687 sein bahnbrechendes Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica schrieb, schuf er den Grundstein für die moderne Physik. Die Newton’schen Gesetze ermöglichten erstmals, dass der Mensch ganz konkret die physikalische Welt, wie er sie kannte und erlebte, prognostizieren konnte. Erst in den letzten hundert Jahren konnte gezeigt werden, dass es sich bei der Newton’schen Mechanik nicht um die absolute Wahrheit, sondern um Annäherungen handelt. Zweifellos, Newtons Arbeit war brillant, und sie war gut genug – für eine gewisse Zeit. Dennoch enthielt sie einige kleinere Fehler; Fehler, die nicht auffielen, da sie mit den damaligen Methoden nicht messbar waren. Zudem konnte man auch mit den Newton’schen Annäherungen ganz gut leben, da niemand in Extrembedingungen agierte, wo die Fehler Probleme bereiteten.

Erst die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik konnten die Fehler korrigieren, was letztlich auch notwendig war, als man im Laufe des 20. Jahrhunderts in Extrembereiche vorstieß. Kein Satellit würde heute seine Umlaufbahn halten, wenn man sich auf Newtons Gesetze verließe. Es war die Einstein’sche Physik, welche die Grenzen der mechanischen Physik aufzeigte und sich unter extremen Bedingungen als deutlich verlässlicher zeigte, und es ist die Quantenmechanik, die im Widerspruch zu Newtons Theorien steht, aber erst die atomaren Zusammenhänge erklärt.

Deswegen braucht man die Newton’sche Mechanik nicht über den Haufen zu werfen und aus den Schulbüchern zu tilgen. Für den Alltagsgebrauch sind Newtons Gesetze gut genug und erlauben uns Berechnungen, die praktikabel und belastbar sind. Sobald wir uns aber in Extrembereiche begeben, sollten wir tunlichst die Newton’sche Mechanik verlassen und auf die Relativitätstheorie oder Quantenmechanik zurückgreifen.

Ebenso haben Managementstrategien weiterhin eine gewisse Gültigkeit, solange wir uns nicht in Extrembereichen befinden. Das heutige Marktumfeld jedoch ist ein permanenter Extrembereich, in dem mit hohen Geschwindigkeiten, unter extremem Druck und in kürzester Zeit agiert und reagiert werden muss. Die mechanischen Ansätze der gängigen Unternehmensstrategien reichen nicht aus, um in diesen Grenzbereichen bestehen zu können. Wir müssen uns die Grenzen der Strategie vor Augen führen. Denn nicht nur die Strategie ist sofort überholt, auch für das angestrebte Ziel kann dies gelten.

Dabei steht und fällt der Erfolg jeder Strategie mit der Zieldefinition. Wenn ein Unternehmen 1988 als Ziel definiert hat, in zehn Jahren der führende Anbieter von Nadeldruckern zu sein, mag es dieses Ziel zehn Jahre später erreicht haben. Aber 1998 der führende Anbieter von Nadeldruckern zu sein war nicht von großen Umsätzen gekrönt. Somit gilt für jede Strategie heute die folgende Definition:

Eine Strategie ist ein Plan, der auf dem beruht, was wir glauben zu wissen und glauben, zur Verfügung zu haben – ohne absehen zu können, ob diese Ressourcen dann tatsächlich verfügbar sind –, in der Hoffnung, ein Ziel zu erreichen, ohne sicher zu sein, ob dieses Ziel, wenn wir es erreichen sollten, noch so sinnvoll erscheint wie zu Beginn des Plans.

Zugegeben, es handelt sich um einen Bandwurmsatz, aber er definiert die Möglichkeiten und die Grenzen jeglicher Strategie sehr genau.

Eine Unternehmensstrategie beruht auf Annahmen und Prämissen der Vergangenheit.Die Annahmen und Prämissen sind nicht gesichert und unterliegen ständigen Veränderungen.Das Erreichen des definierten Ziels ist nicht gesichert.Selbst wenn dieses Ziel trotz aller Widrigkeiten erreicht werden sollte, kann sich herausstellen, dass all die Mühe vergebens war, da das Ziel gar nicht mehr lohnenswert ist.

Als Schlussfolgerung auf jegliche Unternehmensstrategien zu verzichten wäre zu kurz gedacht. Keine Firma kann es sich leisten, ohne Strategien auszukommen. Sie sind lebenswichtig für ein Unternehmen, wenn auch mehr aus psychologischen Gründen. Stellen Sie sich vor, ein Vorstand würde sagen: »Liebe Mitarbeiter, wir haben keine Strategie, das ist in den heutigen Zeiten auch nicht weiter wichtig. Wir müssen sehen, dass wir uns so durchschlagen.« Das totale Chaos wäre garantiert.

Allerdings kommt so etwas gerade in krisengeplagten Unternehmen häufiger vor, als man denkt. Bestenfalls wird lieber irgendeine Strategie gebastelt. Hauptsache, man hat etwas, an dem man sich festhalten kann. Das ist auch zwingend notwendig, um die Belegschaft zu beruhigen und selbst ruhiger schlafen zu können.

Strategien haben eine starke psychologische Wirkung, die man nicht unterschätzen darf. Man sollte sich jedoch niemals in Sicherheit wiegen, nur weil man eine Strategie hat, sonst schaut man eines Tages einem heranrollenden Tsunami entgegen, und es beschleicht einen die ungute Ahnung, dass man trotz Regenschirm in der Hand nass werden wird. Führungskräfte befinden sich in dem Dilemma, dass sie einerseits Strategien entwickeln müssen, weil es erwartet wird, andererseits diese Strategien jedoch nichts weiter als Wunschdenken sind und immer weniger mit dem Alltag zu tun haben. An Führungskräfte werden Anforderungen gestellt, die sie mit klassischen Methoden gar nicht erfüllen können.

In einer Welt, in der nichts mehr planbar ist, bedarf es anderer Fähigkeiten, um am Markt bestehen zu können. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hat eine recht treffende Beschreibung für das Problem der heutigen Zeit gefunden:

»Wir können mit Sicherheit vorhersagen, dass wir überrascht sein werden, wenn ein unvorhersehbares Ereignis eintritt. Wir können ebenso mit Sicherheit vorhersagen, dass wir, wenn es dann eintritt, unzureichend vorbereitet sein werden.«

In diesem Sinn wissen wir ja, was auf uns zukommt.

1 Schätzung für den FMCG-Markt 2010–2011

2. Das evolutionäre Unternehmen

Wenn langfristige Planung und weitreichende Strategien ihre Bedeutung verlieren, kommen uns jene Tugenden zugute, denen wir zu verdanken haben, dass wir überhaupt existieren. Der Mensch selbst ist das Ergebnis einer Jahrmillionen währenden evolutionären Auslese. Diese Evolution ist ein Prozess permanenter Anpassung und Weiterentwicklung in Krisen und Gefahren, wie zum Beispiel Eiszeiten, Nahrungsmittelknappheiten, Dürren, Raubtiere und dergleichen.

Im Deutschen reden wir vomÜberleben des Stärkeren, was eine eher unglückliche Formulierung ist. Denn würde der Stärkere dominieren, stapften noch immer Dinosaurier über die Erde. Die englische BezeichnungSurvival of the fittestpasst viel besser. Je größer der Selektionsdruck, umso größer die Überlebenschance jener, die sich optimal und schnell anpassen können, die also flexibler auf eine Herausforderung reagieren. Die zentrale Eigenschaft von Organismen und Lebewesen, sich im Evolutionsprozess zu behaupten, ist genau jene Fähigkeit der Selbstoptimierung angesichts neuer Herausforderungen.

In den Zwanzigerjahren beschäftigte sich der österreichische Biologe Karl Ludwig von Bertalanffy mit zahlreichen Themenkomplexen wie der Biophysik offener Systeme und der Thermodynamik lebender Systeme. Er versuchte dabei, allgemeingültige Prinzipien selbstoptimierender Systeme abzuleiten. Auf seinen Arbeiten begründete er die allgemeine Systemtheorie, die ein interdisziplinäres Verständnis von selbstkorrigierenden und selbstoptimierenden Systemen zum Ziel hatte.

In den folgenden Jahrzehnten wurde seine Arbeit von vielen Wissenschaftlern anderer Disziplinen ergänzt und weiterentwickelt, so zum Beispiel aus der Kybernetik (Norbert Wiener und William Ross Ashby), der Informationstheorie (Claude Elwood Shannon und Warren Weaver), der Selbstorganisation (Stuart Kauffmann) und der soziologischen Systemtheorie (Niklas Luhmann), um nur einige zu nennen.

Da es sich bei Unternehmen im Grunde um nichts anderes handelt als um selbstoptimierende Systeme, lag es nahe, die Erkenntnisse der Systemtheorie auf Managementtheorien zu übertragen. Seit Ende der Achtzigerjahre wurde dieser Ansatz von vielen Managementtheoretikern, wie zum Beispiel Fredmund Malik oder Gary Hamel, konsequent adaptiert. Bahnbrechend war hier das 1993 erschienene Buch von Hans-Jürgen Warnecke Revolution der Unternehmenskultur: Das fraktale Unternehmen, das bis heute zur Standardlektüre einer jeden Führungskraft gehören sollte.

Es lohnt sich, die Erkenntnisse der Systemtheorie ein wenig genauer zu betrachten. Denn sie zeigen einerseits praxistaugliche Möglichkeiten für Unternehmen auf, in einem volatilen Marktumfeld zu bestehen, andererseits ist es wichtig, auch jene Grenzen der Systemtheorie zu erkennen, die ein blindes Vertrauen in diese Ansätze nicht rechtfertigen und von Vertretern dieser Denkrichtung leider oft ausgeblendet werden.

Das Unternehmen als selbstoptimierendes System

In der Systemtheorie wird zwischen linearen und flexiblen Systemen unterschieden. Während lineare Systeme eine einmal definierte Aufgabe konsequent und starr durchexerzieren, sind flexible Systeme dazu in der Lage, ihr Verhalten an veränderte Situationen anzupassen. Die zentrale Grundeigenschaft flexibler Systeme sind Rückkopplungsschleifen.

Ein klassisches Beispiel ist das Fahrradfahren. Das Balancieren und sichere Fahren auf zwei Rädern ist ein kontinuierliches Feinjustieren durch Rückkopplungsschleifen. Wir erkennen, dass wir zu stark zu einer Seite neigen, reagieren entsprechend und balancieren dies aus, um im nächsten Moment erneut gegensteuern zu müssen. Wer das Fahrradfahren lernt, hat hiermit große Mühe, aber nach einigen Tagen sind die Rückkopplungsschleifen so gut trainiert, dass das Ausbalancieren quasi intuitiv geschieht und nicht mehr wahrgenommen wird. Ein selbstoptimierendes System verfügt über entsprechende Rückkopplungsschleifen auf allen Ebenen in allen Funktionsbereichen.

In einem Marktumfeld, wo stets neue, existenzgefährdende Überraschungen drohen, sind genau jene Unternehmen am erfolgreichsten, die diesen zyklischen Prozess aus Erkennen, Rückkoppeln, Reagieren optimiert haben und sich dadurch nicht nur veränderten Gegebenheit schneller anpassen können als die Konkurrenz, sondern sich auch entsprechend weiterentwickeln und evolutionieren können. Das heißt, Unternehmen, die im heutigen Marktumfeld bestehen wollen, müssen

über ein hohes Maß an Selbstreflektion des eigenen Handelns verfügen;eine hohe Aufmerksamkeit hinsichtlich der Außenwelt, also Außenwahrnehmung besitzen;eine optimale Einbettung und Vernetzung der kreativen und operativen Leistungsträger innerhalb des Unternehmens gewährleisten;in der Lage sein, Informationen schnell zu validieren und innerhalb der Organisation zielgerichtet und selbstreplizierend zu verbreiten;zeit- und ressourceneffiziente Maßnahmen ableiten;kontinuierlich das eigene Handeln und dessen Ergebnisse intuitiv mit der Außenwelt abgleichen und Diskrepanzen automatisch in weitere Verbesserungsprozesse überleiten.

Erkennt ein Vertriebsmitarbeiter zum Beispiel, dass die Produkte des Unternehmens fehlerhaft sind, dann müsste dies in einem selbstoptimierenden System einen Automatismus auslösen. Der Vertriebsmitarbeiter informiert die Produktionsleitung, diese wiederum geht auf Fehlersuche, der Fehler wird gefunden, und um in Zukunft gleiche Fehler zu vermeiden, werden die Prozesse entsprechend optimiert. Diese Kausalkette klingt zwar zwingend logisch, aus Erfahrung wissen wir jedoch, dass genau solch eine konsequente Rückkopplung im Unternehmensalltag so gut wie nie vorkommt.

Natürlich spielen hier zahlreiche unternehmensspezifische Gründe eine Rolle, die wir uns später eingehender anschauen werden. Verbleiben wir erst einmal noch auf der abstrakteren, theoretischen Ebene. Danach lässt sich die Fähigkeit eines Systems zur Selbstoptimierung stärken, indem man die folgenden Eigenschaften eines Systems selbst optimiert:

Die Qualität der einzelnen Systemkomponenten selbst hinsichtlich ihrer Leistung und ihrer Lernfähigkeit, also der konsequenten Verarbeitung von Information.Die komplementäre Positionierung von Systemkomponenten zueinander, das heißt, wie sich die einzelnen Komponenten ergänzen.Die Verknüpfung der einzelnen Komponenten, das heißt, wie schnell und effizient Informationen ausgetauscht werden und die Zusammenarbeit erfolgt.

Die Güte dieser drei Aspekte ist entscheidend für die Anpassungsfähigkeit, weswegen sie uns im späteren Verlauf des Buches häufig begegnen wird.

Jede einzelne Systemkomponente, um bei der eher nüchternen Sprache der Systemtheoretiker zu bleiben, setzt sich jedoch wiederum aus unterschiedlichen Einheiten zusammen, die ihre eigenen Strukturen haben – wie Unternehmensabteilungen oder die einzelnen Mitarbeiter, die jeweils über eine eigene Struktur innerhalb des Systems verfügen. Die qualitativen Unterschiede dieser Strukturen bereiten vielen Unternehmen Kopfzerbrechen, dabei sind sie nicht nur Chance, sondern zwingende Voraussetzung für ein komplexes, selbst­optimierendes System. Die unterschiedlichen Stärken der Komponenten eines Systems können, wenn sie richtig verknüpft sind, zu einem enormen Potenzial führen, denn das Maß an Evolutionsfähigkeit und somit die Innovations- und Wandlungsfähigkeit einer Organisation wird bestimmt durch die Eigenschaften ihrer Teile, die in ihrem Zusammenspiel ihr Optimum finden.

Wenn in Unternehmen von Anpassungsfähigkeit gesprochen wird, ertönt schnell die Forderung nach Flexibilität. Das bedeutet jedoch nicht, dass jedes Element eines Systems flexibel sein muss. Ganz im Gegenteil braucht jedes System und jedes Unternehmen ein ausgewogenes Maß an Teilen, die sich in einem starren Zustand, sowie an solchen, die sich in einem flexiblen oder, wie Systemtheoretiker sagen würden, chaotischen Zustand befinden. Chaotisch ist hier nicht wertend gemeint und auch nicht auf den Schreibtisch eines Mitarbeiters bezogen, sondern beschreibt lediglich einen Zustand ohne feste Ordnung. Die Bereiche oder Teile eines Systems oder Unternehmens können sich in einem von drei möglichen Zuständen befinden:

Ein hochgeordneter Zustand, der systemisch als starr bezeichnet wird.Ein hochflexibler Zustand, der systemisch als chaotisch bezeichnet wird.Ein Zwischenzustand, der sich in einem fließenden Prozess zwischen Starre und Flexibilität befindet und systemisch als transmissiv bezeichnet wird.

Hochadaptive Systeme verfügen über ein ihrem Ziel und ihrer Natur entsprechendes optimales Gleichgewicht aus diesen drei Komponenten. Ein zu großer Anteil nicht erstarrter, also flexibler Elemente nimmt einem System seine Stabilität. Andererseits schafft ein zu großer Anteil starrer Elemente zwar ein hohes Maß an Stabilität, aber blockiert notwendige Veränderungen, das heißt, die Rückkopplung kann nicht mehr funktionieren. Dies hat klare Konsequenzen für die Gestaltung eines selbstoptimierenden Systems, denn es bedeutet, dass man Flexibilität in allen Bereichen nicht als Selbstzweck verfolgen darf.

Das für eine Organisation optimale Gleichgewicht zwischen Starre und Flexibilität ist keine fixe, vordefinierte Konstellation, die schematisch über jedes Unternehmen einer gewissen Größe gelegt werden kann, sondern ist definiert durch zahlreiche Einflussfaktoren wie die Unternehmensgröße, das Unternehmensziel, das Wettbewerbsumfeld und weitere sich permanent ändernde Einflussfaktoren. Das optimale systemische Gleichgewicht eines Unternehmens kann nicht a priori geplant werden, sondern ist ein permanenter unternehmensindividueller Findungsprozess. Auch in der Annahme, das optimale Gleichgewicht eines Unternehmens gefunden zu haben, darf man sich darauf nicht ausruhen, denn ein Unternehmen hat wie ein Fahrradfahrer nie das optimale Gleichgewicht erreicht, sondern befindet sich allenfalls in einem angenäherten Optimum.

Unternehmen der Zukunft müssen in der Lage sein, intuitiv und kontinuierlich immer wieder aufs Neue das optimale innere Gleichgewicht zu finden, um aus dieser Stabilität heraus auf unvorhersehbare Entwicklungen reagieren, sich anpassen und weiterentwickeln zu können. Diese Eigenschaften einer höchst adaptiven Organisation lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Eine höchst adaptive Organisation besitzt das für ihre Größe und ihre Zielsetzung ideale Verhältnis zwischen bewusstem und unbewusstem Adaptionspotenzial sowie zwischen starren, flexiblen und in Transmission befindlichen Komponenten, in welche die entscheidenden Leistungsträger optimal eingebettet sind und vernetzt ihr Potenzial bestmöglich entfalten können.

Um diese Leistung zu erbringen, müssen selbstoptimierende Systeme also über einige in hohem Maße ausgeprägte Eigenschaften verfügen. Sie müssen

eine ausreichend sensible Außenwahrnehmung aufweisen, um Veränderungen der Umwelt wahrnehmen zu können;über schnelle und fehlerfreie Kommunikationsbahnen verfügen, um die Wahrnehmungen innerhalb des Unternehmens weiterleiten zu können;systemisch adaptiv sein, das heißt, sie dürfen nicht starr sein, sondern müssen anpassungsfähig beziehungsweise anpassungswillig und veränderbar sein, undandererseits genügend Starrheit besitzen, um die notwendige innere Stabilität zu gewährleisten, die Druck absorbieren und aushalten kann.

Eine gesunde Ausprägung dieser Eigenschaften versetzt ein Unternehmen in die Lage, sich bei veränderten Herausforderungen zu optimieren, anzupassen und sukzessive selbst zu verändern. Dabei kann ein Unternehmen bis zu drei Stufen der Veränderungen durchlaufen. Jede Stufe stellt ein System vor eine Herausforderung, weswegen es wichtig ist, sich die Veränderungsstufen ein wenig genauer anzuschauen.

Spontane Anpassung

Die erste Stufe ist die schnellste und intuitivste Form der Anpassung an eine Situation. Zugleich ist sie nicht permanent, sondern nur von kurzfristiger Dauer. Wenn wir zum Beispiel rennen müssen, passt sich unser Körper spontan an. Atem und Herzschlag beschleunigen sich, Blut wird in die Beine gepumpt. Wir beginnen zu schwitzen, um die Temperatur zu regulieren. Der ganze Körper reagiert auf die Anforderungen, ohne jedoch sich selbst zu verändern. Sobald wir aufhören zu rennen, fällt unser Organismus nach einer kurzen Regenerationsphase in den Normalzustand zurück. Alles ist wieder wie zuvor.

Wenn in einem Unternehmen die Auftragslage nach oben geht, arbeiten die Mitarbeiter Überstunden, alle Kapazitäten werden ausgelastet, der Stresslevel ist entsprechend hoch. Nachdem dieser Peak vorbei ist, geht alles wieder zurück auf normal. Während die spontane Anpassung die meisten Unternehmen vor keine größere Herausforderung stellt, sieht dies bei den nächsten zwei Stufen anders aus.

Dauerhafte, reversible Anpassung

Die zweite Stufe der Anpassung zeichnet sich dadurch aus, dass sie das System verändert. Dauerhaft und reversibel sind hier nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn diese Stufe ist einerseits eine Reaktion auf eine dauerhaft veränderte Anforderung durch eine auf Dauer angelegte Veränderung des Systems. Zugleich ist sie jedoch nicht unumkehrbar. Wenn die Anforderung verschwindet, kann das System nach einiger Zeit wieder zu seinem normalen Zustand zurückkehren.

Am deutlichsten lässt sich der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Stufe am Beispiel des Rennens erkennen. Wenn wir regelmäßig lange Strecken rennen, findet neben der bereits beschriebenen spontanen Anpassung noch eine weitere Veränderung in unserem Körper statt: Muskeln werden aufgebaut, unsere Kondition wird gesteigert, unser Herz vergrößert sich, der Ruhepuls sinkt. Auf ein Unternehmen bezogen kann das heißen: Neue Mitarbeiter werden gewonnen, Produktionskapazitäten ausgebaut, Prozesse neu ausgerichtet, und die Effizienz der Ressourcennutzung steigt. All diese Veränderungen sind dauerhaft angelegt. Sie sind aber andererseits auch reversibel.

Wenn wir nicht mehr regelmäßig rennen, beginnen sich unsere Muskeln zurückzubilden, und unsere Kondition wird schwächer. Lässt die Auftragslage in einem Unternehmen nach, können wir sukzessive alle Ressourcen wieder zurückfahren. Zwar hinterlässt dies Spuren, der Prozess ist aber nicht irreversibel.

Was unser Körper automatisch macht, erfolgt in Unternehmen allerdings nicht von allein – einer der Gründe dafür, dass Organisationen dazu neigen, nach einer Peak-Phase ins Trudeln zu geraten. Wachstum lieben wir. Wenn es aber darum geht, die Fähigkeiten herunterzuschrauben, sehen wir das Unternehmen in einer Krise. Da wir Krisen hassen, wird das Unvermeidliche aufgeschoben. Unser Körper ist zum Glück weniger zimperlich.

Dauerhafte, irreversible Veränderung

Letztlich erfolgt die dauerhafte, unumkehrbare Veränderung eines Systems. Sollten wir ständig rennen müssen, um zu überleben, beginnt der evolutionäre Prozess. Diejenigen, die nicht laufstark genug sind, werden kurzerhand gefressen und sterben aus. Durch diesen natürlichen Selektionsprozess findet ein evolutionärer Prozess statt. Diejenigen mit den besten körperlichen Voraussetzungen, um schnell und ausdauernd laufen zu können, überleben, die anderen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, frühzeitig zu sterben. Selektiv entsteht eine Spezies mit komplett neuen Eigenschaften. Hätte diese evolutionäre Anpassung nicht stattgefunden, wäre die Geschichte der Menschheit schon vor Urzeiten beendet gewesen, und Sie würden dieses Buch nicht lesen.

Glücklicherweise kann eine dauerhafte, irreversible Veränderung von Unternehmen auch ohne den brutalen Selektionsprozess erfolgen, dem viele Firmen zum Opfer gefallen sind. Denn wir können einen solchen evolutionären Prozess konkret anstoßen und umsetzen, bevor das Unternehmen kollabiert – wenn wir uns denn nicht selbst im Wege stehen.

Der unvermeidliche Mensch

Ein Marktumfeld, das ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit erfordert, führt zu einem radikalen Paradigmenwechsel, was die Bedeutung des Menschen in einem System angeht. Denn die Menschen sind die Elemente eines Systems. Einerseits müssen sie wie beschrieben optimal innerhalb eines Systems verknüpft werden, hinsichtlich ihrer Stärken, ihrer Kommunikation und der Umsetzung von Kommunikation in Ableitung und Umsetzung von Handlungen. Andererseits kommt jedem Menschen heute selbst eine viel wichtigere Bedeutung zu.

Unternehmen des vergangenen industriellen Zeitalters benötigten einige wenige lernende, verbessernde und somit innovierende Fachkräfte, eine Aufgabe, die meist abgegrenzten Abteilungen und Führungskräften zukam. Die Masse der Mitarbeiter brauchte lediglich auf Zuruf zu funktionieren und musste klar determinierte Tätigkeiten optimal ausführen. In diesem Kontext waren Computer und Maschinen tatsächlich die besseren Menschen, da sie diese Aufgaben mit weniger Pausen und geringerer Fehlerquote durchführen konnten. Das macht die heute lächerlich anmutenden Sorgen von Arbeitnehmervertretern in den Siebziger- und Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts, dass Maschinen den arbeitenden Menschen überflüssig machen könnten, durchaus nachvollziehbar.

Das postindustrielle Zeitalter der Vernetzung mit der Notwendigkeit permanenter Adaption und Selbstoptimierung stellt zwangsläufig auch neue Anforderungen an alle Mitarbeiter und Führungskräfte. Der Mensch ist ein Erfolg der Evolution, aber weder weil er außerordentlich stark oder besonders schnell war noch weil er eine höhere Reproduktionsrate hatte. All seine Defizite konnte er dadurch kompensieren, dass er besser beobachtete, schneller schlussfolgerte, reagierte und lernte. Es sind genau jene Eigenschaften, die ein erfolgreiches selbstoptimierendes System ausmachen. Heute sind in einem hochvolatilen Umfeld diese ureigenen menschlichen Qualitäten auf allen Ebenen gefragt: die intrinsische und intuitive Lernfähigkeit, also genau jene Eigenschaften, die Maschinen und Computer nicht haben.

Das menschliche Bewusstsein verschafft uns den Vorteil, nicht stupide einen Trial-Error-Prozess durchlaufen und darauf hoffen zu müssen, dass sich schon irgendwie das Beste durchsetzt. Wir Menschen sind dahingehend einzigartig, dass wir unsere eigene Evolution anstoßen und zielgerichtet beeinflussen können. Dabei formen wir nicht nur unsere Fähigkeiten, sondern ganz konsequent auch unsere Umwelt. Wir können deduktiv ein Entwicklungsziel bestimmen und uns beziehungsweise unser Umfeld bewusst darauf hinentwickeln.

Wie wir im Laufe des Buchs sehen werden, birgt jede Stärke zugleich eine Schwäche, so auch hier. Denn der Zuversicht, unsere eigene Entwicklung bestimmen zu können, steht das Problem gegenüber, dass das von uns als sinnvoll erkannte Ziel nicht unbedingt sinnvoll sein muss, wie sich bei der Fehlbarkeit der Managementstrategien bereits gezeigt hatte. Zudem wird unser scheinbar so messerscharfer Verstand durch menschliche Einflüsse getrübt. Sich bewusst entwickeln zu können bedeutet also nicht unbedingt, dass dies immer zu einem sinnvollen Ergebnis führt.