Lebensweg eines Hausarztes aus Leidenschaft - Dr. Bernd Lagemann - E-Book

Lebensweg eines Hausarztes aus Leidenschaft E-Book

Dr. Bernd Lagemann

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Beschreibung

Als Ur-Dillenburger im Jahre 1947 zur Welt gekommen, sah es trotz gutem Elternhaus lange nicht so aus, als würde aus Bernd Lagemann mal etwas werden: Zu viel Flausen im Kopf, dazu in einer Zeit, als man als Legastheniker noch als dumm und faul galt – die Zukunft schien nicht sehr vielversprechend für den Jungen. Dass aus ihm doch kein „Steineklopper“ geworden ist, wie es der Vater immer prophezeit hatte, ist Eigenschaften zu verdanken, die viel wichtiger sind als ein gutes Abitur: Zähigkeit und Durchsetzungsvermögen – und die richtige Frau an seiner Seite! Die spannende und amüsante Geschichte, wie aus dem umtriebigen Jungen ein erfolgreicher Haus- und Notarzt wurde, ist noch nicht zu Ende: Des Ruhestandes überdrüssig, wird er sogar Fernseh-Doktor: Als „Dr. Urs Heinemann“ betreut er seit 2016 in der TV-Serie Klinik am Südring auf SAT.1 mit großem Erfolg Patienten vor der Kamera – und denkt noch lange nicht ans Aufhören …

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kindheit und Jugendjahre

Kindergartenzeit

Glückliche Kindheit, doch schwierige Schulzeit

Augenprobleme

Internat Schloss Wittgenstein

Jugendstreich im Internat

Zurück in Dillenburg und erste Ehrenrunde

Meine Lehrer, echte Typen

Schwimm- und Segelsport

Autos – meine Leidenschaft

Schulerlebnisse in der Oberstufe

Klassenfahrt zum Staffelsee

Wiederholtes Scheitern

Anne und ich, wir finden uns

Bewegte Studienzeit

Medizinstudium in Südafrika

Studienfortgang in Bochum

Endlich Arzt: Erste Anstellungen

Endlich die eigene Praxis

Erster Einsatz als Notarzt

Tanklastzug-Unfall in Herborn

Immer wieder Ärger mit der Standesvertretung

oder

Ein Blick in die Niederungen ärztlicher Bürokratie

Computerzeitalter

Bürokratie vom Feinsten

Unfall im Rettungseinsatz

Landesärztekammer mauert

Patienten in guter Erinnerung

Refugium an der Mosel

Dr. Bernd Lagemann

Lebensweg eines Hausarztes aus Leidenschaft

Erinnerungen

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2018 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE GMBH

Mainstraße 143

D-63065 Offenbach

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Lektorat: Gerrit Koehler

ISBN 978-3-8372-2165-7

Meiner Frau Annette

Einleitung

Lange Abende und viele Stunden habe ich nach Aufgabe meiner Praxis als niedergelassener Allgemeinmediziner auf mein Leben zurückgeblickt. So manche verschüttete Erinnerung kam nach mühsamem Sinnieren wieder hoch. Einiges wurde klar und deutlich wieder aufgedeckt, anderes nur verschwommen in sehr groben Konturen.

Mein Lebensbericht erhebt keinen Anspruch auf einen Preis in Germanistik. Er erzählt meinen recht ungewöhnlichen Lebensweg, der unterhaltsam rüberkommen soll. Meine Sprache ist einfach und unverfälscht.

Mein Rückblick kam mir oft vor wie eine Entdeckungsreise, manchmal wie ein Flanieren durch die Jahre mit diversen Abstechern links und rechts des Weges. So möchte dieses kleine Buch einladen zu einer Reise durch mein bewegtes Leben. Vielleicht nehmen Sie sich ein Glas Rotwein und lehnen sich gemütlich zur Lektüre in ihren Lieblingssessel und sagen bisweilen „ging mir doch genauso“.

Kindheit und Jugendjahre

Am 31.01.1947 erblickte ich in einer frostigen Nacht (-20 ° C) in Dillenburg in Hessen, damals amerikanisch besetzte Zone, das Licht der Welt. Mein Vater, von Beruf Landarzt, hatte im Krieg als Sanitätsoffizier im vorgeschobenen Lazarett gedient und war bis kurz vor Moskau mit vorgerückt. Wie er sagte, habe er zwar eine Pistole tragen müssen, habe sie aber glücklicherweise nie gebraucht. Drei Tage vor dem Zusammenbruch vor Moskau sei er an Typhus erkrankt und nach Pommern zurückverlegt worden. Nach der Genesung wurde er nach Holland verlegt und kam dort später in amerikanische Gefangenschaft. Er wurde dann recht schnell entlassen und kam schon 1944 nach Dillenburg. Eigentlich stammte er aus Witten an der Ruhr, ebenso wie meine Mutter. Die Familie meiner Mutter besaß in Dillenburg eine große Villa, und deshalb hatten sich die beiden nach dem Krieg in Dillenburg verabredet. Meine Mutter stammte aus einer damals sehr reichen Familie in Witten. Die Familie besaß eine der größten Glasfabriken der Welt und der Uropa hatte das Tafelglas erfunden. Die Familie besaß das Weltpatent dafür. Meine Mutter war ausgebildete Kindergärtnerin und zog 1940 mit ihren Schwiegereltern nach Straßburg, wo der Schwiegervater Leiter des Hauptpostamtes war. Als zu Kriegsende die Franzosen zurückkamen, wurden sie und mein Opa von den Rückeroberern in das Konzentrationslager Struthof verbracht und später in ein KZ in der Nähe von Poitiers an der Atlantikküste verlegt. Ihre Schwiegermutter war drei Tage vor dem Einmarsch zu ihrer Tochter nach Fallersleben gefahren, da diese ihr erstes Kind bekam. In den Konzentrationslagern hatte sie so ziemlich alle Krankheiten, die man dort bekommen konnte, Typhus, Hepatitis und so weiter. Im Frühjahr 1946 wurden sie und der Opa endlich entlassen und nach Deutschland geschickt, wo sie im April ankamen. Da auch die vier anderen Geschwister meiner Mutter mit ihren wachsenden Familien sich in Dillenburg in dem Haus trafen, wurde es dort richtig voll. Zudem wurden noch Flüchtlinge in das Haus eingewiesen. Es war knapp mit dem Platz und meine Eltern hatten nur zwei kleine Zimmerchen unter dem nicht isolierten Dach. Zwischen die Sparren hatten sie Stroh gestopft, um einigermaßen vor der Kälte geschützt zu sein. Eigentlich hatten sich die Amerikaner das Haus reserviert, da es das stattlichste Haus in der Stadt war. Doch mein Onkel, der als erster aus dem Krieg heimkam, hatte dafür gesorgt, dass die Amerikaner schnell aus dem Haus wieder verschwunden waren. Wie aber kam es dazu?

Die Amerikaner beschlagnahmten das Haus und alle mussten es verlassen. In der ersten Nacht hatten sie einen Gefangenen in dem einen Keller eingesperrt. Die Grundmauern des Hauses sind 1,5 Meter dick, die Eingangstür zu dem Kellerraum eine schwere Eichentür mit einem stabilen Riegel außen. Trotzdem war der Gefangene am nächsten Morgen verschwunden. Die Bewacher hatten übersehen, dass die eine Holzwand nur angelehnt war und sich dahinter die Kohleschütte nach draußen verbarg. Außerdem waren in dem Wohnbereich die Wände mit einer Eichentäfelung versehen, bis in 2 Meter Höhe, und der Boden war überall Parkett. Aus diesem Grund knackte es mal hier mal da in der Nacht, und wenn man das nicht kennt, hat man das Gefühl, da läuft einer rum. Am nächsten Tag fragte der Kommandant meinen Onkel, ob jemand in dem Haus gestorben sei. Mein Onkel hat dies bejaht und angefügt, letzte Woche sei sein Onkel in dem Haus gestorben und sie hätten ihn noch nicht beerdigen können. Drei Stunden später waren die amerikanischen Soldaten verschwunden und das Haus war wieder frei.

Ach ja, mein Elternhaus. Ich bin der einzige, der es 50 Jahre darin ausgehalten hat. Es war immer im Familienbesitz und wurde nie verkauft. Erbaut wurde es 1892 von meinem Großonkel, der in Dillenburg eine große Gerberei betrieb und sich mit Militäraufträgen gesundgestoßen hatte. Seine Frau litt an Migräne, wenn sie eine Attacke hatte, ließ mein Großonkel aus der Gerberei Lohe bringen, und ließ sie auf der Oranienstraße verteilen, damit die Pferdefuhrwerke nicht so einen Krach machten. Er verstarb, nachdem er zehn Jahre in dem Haus gewohnt hatte, und seine Frau nochmal zehn Jahre später. Sie waren kinderlos. Anschließend wohnte mal dieser, mal jener in dem Haus. In den 20er und 30er Jahren stand es zehn Jahre lang leer. Danach hatte es die NSDAP beschlagnahmt. Im Erdgeschoss liegen die Empfangs- und Wohnräume, mit Empore, sowie Küche, Nebenraum und Arbeitszimmer. Die Räume sind mit Stuck verziert, waren ehemals vergoldet, aber ein „Experte“ hatte weiße Ölfarbe darüber gestrichen. Die Raumhöhe beträgt 4,20 Meter. Im ersten Stock befanden sich Bad- und Schlafräumlichkeiten. Die Decken sind hier nur 3,80 Meter hoch. Im oberen Geschoss wohnte das Personal, dafür reichte eine Deckenhöhe von 3,20 Meter. Auf dem Dach sitzen zwei Türmchen, in die wir Kinder immer gerne gingen, um die Aussicht zu genießen. Es war das erste Haus in der Stadt, das keine Einzelöfen hatte, sondern eine zentrale Dampfheizung, die mit Kohle befeuert wurde. Das Grundstück, ein Eckgrundstück, umfasst 2500 qm, angelegt mit kleinen Hügeln. Das Haus liegt an der Hauptdurchgangsstraße, der Oranienstraße, heute eine Bundesstraße. Die Querstraße ist relativ kurz und verbindet die Parallelstraße, die Friedrichstraße mit der Oranienstraße. Eigentlich wollte mein Großonkel die ganze Front der Querstraße erwerben, aber das Grundstück an der Friedrichstraße war schon verkauft und der Besitzer wollte es nicht hergeben. Aus diesem Grund baute er die Remise, den Pferdestall mit einer Kutscherwohnung obendrüber, auf die Grenze. Er durfte ja, da es eine Brandmauer war, kein Fenster zum Nachbarn vorsehen. Er baute das Haus deshalb nur halb und die Seite zum Nachbarn als hohe Mauer von über zehn Metern. Sie ist höher als der Giebel des Nachbarn.

Am 16. März 1949 kam mein Bruder Rainer auf die Welt. Da wir inzwischen in dem Haus 13 eigene Kinder und neun Erwachsene in dem Haus waren, hatten die Vertriebenen inzwischen das Haus verlassen, sodass meine Eltern in reguläre Wohnräume umziehen konnten. Da auch die Geschwister meiner Mutter so nach und nach weit außerhalb von Dillenburg Arbeit fanden, wurde das Haus immer leerer und wir zogen in die mittlere Etage. Nur der Bruder meiner Mutter wohnte mit seiner Frau und seinen 3 Kindern in der Remise. Mein Vater hatte inzwischen die Geschwister ausbezahlt, die Praxis seines Vorgängers ganz übernommen, und in der unteren Etage, den Repräsentationsraum, etwa 40 qm, in drei kleinere Räume unterteilt. Dort war jetzt die Praxis, und das Wartezimmer war der ehemalige Flur der Wohnung. Die restlichen Räume der unteren Etage bezogen wir selbst. Hier habe ich als 2 bis 3-jähriger Bub immer die Patienten unterhalten. Diese Räumlichkeiten wurden schnell zu klein und mein Vater baute deshalb den Keller und den Hühnerstall zu Praxisräumen um.

Kindergartenzeit

Wie sich schnell herausstellte, schielte ich mit dem linken Auge sehr stark (30 ° nach innen) und konnte deshalb auf dem Auge schlecht sehen. So bekam ich mit 4 Jahren eine Schielbrille, die das gesunde Auge komplett abdeckte. Ich war, wie auch andere Kinder in dem Alter, recht lebhaft, habe vieles übersehen, was mir so manche Schramme einbrachte. Eines schönen Tages kamen die Patienten alle lachend in die Praxis und sagten meinem Vater, er habe doch geschäftstüchtige Kinder. Ich war inzwischen 5 Jahre alt und mein Bruder 3 Jahre. Um in die Praxis zu gelangen, musste man um das Haus durch den Garten gehen. Mein Bruder und ich hatten uns an die engste Stelle mit einem Seil gestellt und von jedem Patienten, der in die Praxis wollte, 10 Pfennig kassiert. Leider hatte unser Vater das schnell unterbunden, sodass die Ausbeute sehr bescheiden ausfiel.

Zu der Zeit ging ich in den Kindergarten, die Kleinkinderschule, am Zwingel. Der kurze Weg führte durch unseren Garten, über die Brücke über die Dill und dann war ich auch schon im Kindergarten. Die Zeit dort verlief letztlich ohne große Vorkommnisse.

Wir hatten immer ein Dienstmädchen, das meiner Mutter im Haushalt half. Erst war es Traudel aus Nanzenbach. Ich habe allerdings nicht mehr viele Erinnerungen an sie. Danach kam Brigitte aus Nanzenbach. Manchmal nahm sie mich am Wochenende mit zu sich nach Hause. Das war recht interessant, denn sie hatten Hühner, zwei Schweine und drei Kühe. Sie packte mich auf den Gepäckträger des Fahrrades und fuhr mit mir die 7 Kilometer nach Nanzenbach. Es ging einen steilen Berg hoch, etwa 300 Meter mit 13 % Steigung, und dann immer durch den Wald. Aber einmal, da war ich wohl 4 Jahre alt, wollte ich partout nicht mit. Sie packte mich dennoch auf den Gepäckträger und begann das Fahrrad zu schieben. Ich habe einfach meinen rechten Fuß in die Speichen gesteckt, damit das Rad blockierte. Brigitte bekam natürlich einen großen Schreck und brachte mich zu meinem Vater, aber ich hatte nur ein paar Schrammen und Schürfungen.

Wir hatten auch eine Waschfrau, Frau Morbitzer. Sie kam alle zwei Wochen am Montag zur großen Wäsche. In der Waschküche stand ein großer Kupferkessel, der mindesten 200 Liter beinhaltete. Darunter eine Feuerstelle, die montags angeheizt wurde. Daneben befand sich eine gemauerte Wanne in der man die Wäsche – nachdem sie erst gekocht, mit dem Waschbrett malträtiert worden war – anschließend gespült hat. In dem Raum war, trotz offener Tür zum Garten, soviel Hitze und Dampf, dass es mich immer wunderte, wie Frau Morbitzer überhaupt die Wäsche sehen und sauber bekommen konnte. Anschließend wurde die Wäsche im Garten auf eine Leine gehängt. Unserem Haus gegenüber in der Presberstraße war eine Kleiderfabrik. Das fanden wir Kinder immer sehr interessant. Wie mir später eine der Näherinnen, Frau Eisenkrämer, erzählte (sie wurde später eine meiner Patientinnen), sei ich immer in der Frühstückspause in die Näherei gekommen und habe die Pausenbrote inspiziert. Wenn etwas drauf war, was mir zusagte, hätte ich immer um einen Teil gebeten.

Mein Bruder machte das anders. Wir hatte damals an der Ecke Presberstraße/Friedrichstraße einen Lebensmittelladen, einen Kolonialwarenladen, wie man es damals nannte. Der Besitzer, Herr Neuser, wurde von der VIVO beliefert. Wenn meine Mutter nach Geschäftsschluss noch etwas brauchte, gingen wir hinten rum zur Wohnungstür und kauften ein. Meine Mutter ging am Monatsende hin und bezahlte das Abgeholte. Mein cleverer Bruder Rainer ging immer so gegen 10 Uhr hin und sagte Frau Neuser, „Mach mir doch mal ein Brot mit der Himbeermarmelade.“ Frau Neuser fragte mal „Gibt dir deine Mutter kein Frühstück?“, die Antwort war: „Nein, meine Mutter gibt mir nichts zu essen.“

Glückliche Kindheit, doch schwierige Schulzeit

Ostern 1953 kam ich als „i-Männchen“ in die Schule. Eigentlich zweimal, denn wir wurden in die Hofgartenschule, einer Grundschule am südlichen Ende der Stadt, eingeschult, da die zuständige Schule am Roten Berg noch im Bau war. Ein halbes Jahr später wurde sie eingeweiht und wir, die Schüler aus dem nördlichen Teil der Stadt, zogen dort ein. Wir mussten morgens erst in die alte Schule gehen, dann sammelten wir uns alle auf dem Schulhof in der 2. Stunde, und in Zweierreihen ging es quer durch die Stadt in die neue Schule. Fortan hatten wir einen neuen Schulweg. Meine Cousine Hildegard, auch in meiner Klasse, ging oft mit mir zusammen. In der Schule lernte ich Karl-Ludwig kennen, mit dem ich mich anfreundete. Er wohnte oberhalb von der Schule am Berg. Sein Bruder war etwas älter, und von dem konnten wir immer die Jugendzeitschrift Liliput kaufen. Sein Vater war Richter am Gericht. Von der Schule aus hatte man aus dem Fenster von unserem Klassenzimmer einen schönen Blick auf die Eisenbahn und den Bahnübergang, über den ich immer auf dem Schulweg gehen musste. Als das erste Schuljahr endete, stand in meinem Zeugnis: „Bernd schloss das Schuljahr mit einem befriedigendem Ergebnis ab.“

1955 waren die Praxisräume meines Vaters erneut zu klein geworden und er baute im Bereich der Presberstraße einen Flachbau an. Dafür musste die drei Meter hohe Mauer, die entlang der Straße zwischen unserem Wohnhaus und der Remise stand, abgerissen werden. Unser Hund, Strick gerufen und Dobermann, sah auch die Straße als sein Revier an. Deshalb lief er immer leise hinter den Passanten her und kniff ihnen kurz in die Wade. Vor unserem Kellerausgang war ein kleiner Abhang. Eines Tages beschlossen wir Kinder, 13 an der Zahl, er müsse weg. Wir alle, Vettern und Cousinen, beschlossen, ihn abzutragen. Also griffen wir uns das nötige Werkzeug von der Baustelle und „arbeiteten“. Rainer, mein Bruder, hatte einen Spaten und ich eine Spitzhacke. Rainer arbeitete von oben am Berg, ich von unten. Er kam mir immer näher und näher. Plötzlich saß er auf dem Hintern und blutete am Kopf. Ich hatte ihn beim Zuschlagen mit der Spitzhacke am Kopf getroffen. Er hatte nach unten gesehen und der Schlag rutschte mitten auf dem Kopf entlang. Wir sind gleich zu unserem Vater und der musste nähen. Rainer hatte ein paar Tage Kopfschmerzen und eine leichte Gehirnerschütterung, sagte aber auch unseren Eltern, dass er schuld sei. Ich hätte mehrfach gesagt, er solle mir nicht so nahe kommen. Meine Eltern waren aber der Meinung, ich sei doch der Ältere und müsse besser aufpassen.

Meine Eltern hatten in Haiger Bekannte, die Familie Sonntag. Sie betrieben eine Lederwarenfabrik, direkt neben der Firma „Leim Weiss“. Im Sommer stank es immer bestialisch, weil dort die offenen Güterwagen mit den angelieferten Knochen für die Leimproduktion standen und vor sich hin faulten, bis sie endlich verarbeitet wurden. Die Freunde meiner Eltern rochen das schon gar nicht mehr. In jedem Frühjahr waren wir dort. Wir Kinder bekamen eine neue kurze Lederhose, die den gesamten Sommer halten musste. Eines Frühjahrs, mein Freund Karl-Ludwig war dabei, sind wir in den Weinberg gegangen. Dillenburg liegt im Tal der Dill, einem schmalen Tal in Ost-West-Richtung. Die Dill macht im Ort einen 90°-Knick in Nord-Süd-Richtung. Auf dem südlichen Hang liegt die Burganlage mit Kasematten, oder besser das, was von ihr übrig ist, und auf der gegenüberliegenden Seite der ehemalige Weinberg. Zu Zeiten der Fürsten von Oranien wurde hier auch mal Wein angebaut, soll ein sehr saurer Tropfen gewesen sein. Ende des 19. Jahrhunderts gehörte dieser Hang noch zu unserem Familienbesitz. Doch mein Großonkel, dem die Gerberei gehörte, schenkte diesen Hang der Stadt. 1900 hatte er auf der Weltausstellung in Paris zwei eiserne Pavillons gekauft und diese als Aussichtspunkt im Weinberg aufgestellt. Am gesamten Hang waren Wege angelegt, dazwischen standen dichte Dornenbüsche. In diesen Büschen waren schmale Bückgänge, durch die wir Kinder durchhuschen konnten. Für Erwachsene war es viel zu eng und niedrig. Die Stadt beschäftigte einen Aufseher, Herrn Lückhoff, der immer nach dem Rechten sah. Wir Kinder machten uns einen Spaß daraus, ihn zu ärgern. Wir huschten in die Dornenbüsche, kamen dort schadlos durch, und er stand davor und schimpfte hinter uns her. Einmal hatten wir ihn mal wieder geärgert und sind auf der Flucht eine Felsrinne runter, ich natürlich auf dem Hosenboden der neuen Lederhose gerutscht, die war ja stabil, wie Herr Sonntag sagte. Nur diesmal hatten die Steine Spuren, deutlich sichtbare Abschürfungen hinterlassen. Zu Hause bekam ich einige Vorhaltungen. Meine Einlassungen, sie sei doch stabil und ich könne nicht wissen, dass sie nicht alles aushält, halfen nichts. Zur Strafe musste ich die verschrammte Hose den ganzen Sommer über tragen.

Eines Tages vermissten meine Eltern nachmittags meinen Bruder, er war gerade mal 5 Jahre. Er war nicht aufzufinden, weder im Haus, noch im Garten, noch sonst wo. Wir haben alles abgesucht, fanden ihn aber nicht. Gegen 17 Uhr rief Frau Sonntag, die Bekannte aus Haiger meiner Eltern, an und fragte meine Mutter, ob sie ihren Sohn vermisse. Er sei bei ihnen und würde mit Appetit ein Marmeladenbrot verspeisen. Folgendes war passiert: Meine Mutter fuhr mit dem Auto zur Tankstelle. Mein Bruder hatte das gesehen, meinte, sie würde nach Haiger zu den Bekannten fahren und wollte mit. Er lief hinter ihr her, verlor sie aber aus den Augen. Er ist an die Bundesstraße nach Haiger gelaufen, hielt ein Langholz-Fuhrwerk an und fragte: „Seid ihr Kinderlocker?“ Als der Fahrer das verneinte, sagte er: „Dann könnt ihr mich mit nach Haiger in die Lederfabrik nehmen, da ist meine Mutter.“ Sie hatten ihn dorthin gebracht und wohlbehalten dort abgeliefert.

Augenprobleme

Ich war inzwischen wegen meiner Augen in augenärztlicher Behandlung und meine Eltern entschlossen sich, mein linkes Auge, auf dem ich so stark schielte, korrigieren zu lassen. Man meinte, der Junge muss erst lesen können, damit er eine richtige Sehschule besuchen kann. Dies war aber nur vormittags in Gießen möglich. Das war 45 km weit weg, damals alles Landstraße, durch Dörfer und so. Die Fahrt dauerte eine Stunde hin und eine wieder zurück. In der Sehschule war ich jeweils zwei Stunden, sodass ich zweimal in der Woche in der Schule fehlte. Nachdem ich mit der Sehschule fertig war, kaufte mir meine Mutter beim Bäcker immer ein Schweinsöhrchen, ein Gebäck, das ich immer hungrig verdrückte. Es war ja immer schon stets 13 Uhr, wenn wir aus der Klinik kamen. Dies fing im April 1955 an, für zunächst acht Wochen. Anschließend wurde ich in der Klinik aufgenommen, nochmal für zwei Wochen tägliches Üben. Endlich kam der große Tag, an dem ich operiert wurde. Bis dato wurde der Muskel am Auge, der zu kurz war, angeschnitten, in der Hoffnung, dass sich das Auge richtig einstellt. Funktionierte nicht immer so. Professor Küppers hatte aber eine Methode entwickelt, bei der er auf der Seite, wo der Muskel zu lang war, ein Stück rausnahm, und das abgeschnittene Stück auf der anderen Seite wieder annähte. Das Problem war, er hatte es bisher nur an toten Schweinen ausprobiert. Da ich stark schielte, hatte er mich als ersten Menschen ausgesucht, bei dem er es mal versuchen wollte. Nach der Operation kam der Schock für mich. Man hatte mir das zwar erklärt, aber ich hatte als Siebenjähriger die Tragweite nicht erkannt. Als ich aus der Narkose aufwachte, sah ich nichts mehr, ich war einfach blind. Man hatte mir einen Verband über beide Augen angelegt.

Man erklärte mir, wenn ich mit dem gesunden Auge sehe, bewege ich das andere Auge mit, also wurden beide Augen ruhiggestellt. Von der REM-Phase im Schlaf, wo sich die Augen rapide hin und her bewegen, hatte man damals noch keine Ahnung. Das blieb so eine Woche, ganze lange sieben Tage, in denen ich viel geweint hatte. Es half mir nichts, dass ich im Kinderzimmer lag mit sieben anderen Kindern, die alle sehen konnten. Meine Mutter kam täglich den ganzen Tag und las mir vor. Seitdem mag ich eigentlich keinen Pfefferminztee mehr. Was man damals noch nicht wusste, war, dass der Fleck des zentralen Sehens am Auge sich innerhalb der ersten 4 Lebensjahre ausbildet. Wenn das Auge nicht die Schulung durch die korrekte Stellung des Auges erhält, verkümmert dieser Nerv und man kann ihn danach durch noch so intensives Training nicht wieder gutmachen. Deshalb habe ich heute auf dem linken Auge nur eine Sehkraft von 50 Prozent. Die Schulung der Augen ging noch mehrere Wochen weiter, sodass ich das 3. Schuljahr fast zur Hälfte versäumte. Auch fiel mir das Schreiben immer schwerer, nicht dass ich die Buchstaben nicht malen konnte, sondern ich hatte Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung.

Irgendwie „stank es mir“ und ich beschloss, keine Hausaufgaben mehr zu machen. Meine Lehrerin, Frau Berns, sie war auch noch mit meiner Mutter im Kaffeekränzchen, so nannten die Damen ihre Zusammenkünfte, redete sich den Mund „fusselig“. Ich wollte einfach nicht. Meinen Eltern sagte ich immer, „Wir haben keine Aufgaben zu machen.“ Also nahm mich Frau Berns mit zum Rektor Gail. Er meinte es gut mit mir und sagte: „Du willst doch sicher Arzt werden, wie dein Vater.“ Ich sah aus dem Fenster, auf den Bahnübergang, und sagte: „Nein!!! Ich will Schrankenwärter werden und dafür brauche ich keine Hausaufgaben zu machen.“ Die Diskussion erreichte natürlich auch meinen Vater, der nahm mich ordentlich ins Gebet. Er sagte dann einen Satz, der mich immer wieder verfolgte: „Wenn du das nicht schaffst, wirst du eben Steineklopper.“ Dies war für ihn die niedrigste Stufe. Ich habe wieder angefangen, Hausaufgaben zu machen.

Wir waren in unserem Haus ja 13 Kinder zwischen 8 und 14 Jahren. Der Krieg war gerade zehn Jahre vorbei, aber wir Kinder führten immer wieder Krieg gegen die Kinder aus der Nachbarschaft, die Kinder von Dr. Mootz, dem HNO-Arzt, Peter Schneider, Werner Spira, Wolfgang Rompf und weitere Kinder. Wir hatten unsere Waffenkammer, Stöcke und Ähnliches. Ich hatte nur den Ruf, gefährlich zu sein. Ich war klein, schmächtig, aber wenn ich mich nicht mehr anders zu wehren wusste, habe ich zugebissen. Eines Tages kam ein Stein aus der Nachbarschaft über die drei Meter hohe Grenzmauer geflogen. Mein Bruder nahm den Stein, warf ihn zurück. Ein Aufschrei auf der anderen Seite und unser Vater hatte wieder etwas zu tun, denn Rainer hatte eines der anderen Kinder am Kopf getroffen.

Sonntagmorgen wurde bei uns immer spät aufgestanden, wenn mein Vater keinen Sonntagdienst hatte. Meinem Bruder und mir war das aber immer zu langweilig. Deshalb haben wir gespielt. Wir nahmen die Matratzen aus unseren Betten, sie waren ja noch dreiteilig. Wir stellten sie auf die Seite, legten die Decken rein, die Laken wurden als Decke gespannt, und fertig war unser Panzer, in dem wir unser Land befreiten. Auch das Frühstück war verspätet. So schlichen wir uns in die Küche und machten uns „Bakelit“ Wir nahmen einen Becher, füllten Trockenmilch rein, dazu Zucker und Kakao von Bensdorp. Alles rührten wir mit Wasser zu einem Brei. Das war unsere Verpflegung. Nachmittags schickten uns unsere Eltern ins Kino, in die Mittagsvorstellung, Westernfilme, meistens Fuzzy, ein ulkiger Westernheld.

Ich hatte im dritten Schuljahr auch eine Freundin, Brigitte, genannt Mickie. Da sie in der Nachbarschaft wohnte, haben wir uns auch öfter außerhalb der Schule getroffen. Ihre Freundin, die Christel, die bei ihr gegenüber wohnte, war eigentlich immer dabei. Eines Tages kam sie auf die Idee und sagte: „Ihr liebt euch doch, dann müsst ihr euch auch mal küssen.“ Ich war schüchtern und wir haben uns beide geziert. Dann hatte aber Christel die Brigitte überredet und sie raubte mir einen Kuss. Danach gingen die beiden stolz von dannen!!!

Mein Vater suchte nach einer Möglichkeit, am Wochenende von Dillenburg wegzukommen, damit auch er sich ein bisschen, vor allem in der Nacht, erholen konnte. Er wurde als Hausarzt doch öfter auch in der Nacht gerufen. Damals wurden zum Beispiel Herzinfarkte oft zu Hause behandelt. Es ergab sich für ihn die Möglichkeit, bei Rittershausen, oberhalb eines kleinen Stausees, ein Grundstück zu kaufen. Er wollte dort ein kleines Wochenendhaus errichten. Er hatte ein kleines Holzhaus gekauft, ein Fundament machen lassen und wollte es aufbauen. Da das Holzhaus unter 12 qm war, bedurfte es keiner Genehmigung. Aber der Jagdpächter, Herr Wendel aus Dillenburg, Fabrikant, hatte etwas dagegen, wir würden das Wild stören, wenn wir jedes zweite Wochenende dort übernachten würden. Er ließ es wieder abreißen. Daraufhin sind wir an einem Samstagnachmittag nach Düsseldorf gefahren. Dort stand aus einer Konkursmasse ein Wohnwagen zum Verkauf, aus England, von der Firma Sprite. Deutschland war noch nicht bereit für den Campingboom. Der Konkursverwalter war so glücklich, dass endlich jemand das Ding haben wollte, dass wir es ohne zu bezahlen mitnehmen konnten. Mein Vater hatte kurz vorher einen Anhängerhaken an seinen BMW 501, 6 Zylinder mit 2.6 Liter Motor mit ganzen 72 PS anbringen lassen. Fortan fuhren wir mit unserem Wohnwagen am Wochenende auf unser Grundstück und machten Krach. Unseren Hund, genannt Strick, Rasse Dobermann, mussten wir allerdings immer festleinen, da er immer gerne in den Wald lief, um das Wild neu zu sortieren. So waren wir samstags, nachdem die Sprechstunde um 12 Uhr beendet war, immer in Rittershausen am See. Er hatte etwa 70 x 100 Meter, aber wir hatten ihn immer für uns alleine. Wir Kinder spielten im Wasser, im Schlamm, denn wir konnten ja schwimmen. Wir hatten auch ein kleines Gummiboot und paddelten herum. Einmal war der See für Reinigungsarbeiten und Reparatur des Deiches abgelassen worden und es war nur noch ein Schlammloch. Wenn man da reinging, versank man bis über die Kniegelenke im Schlamm. Wir hatten einige Bretter gefunden und legten diese hintereinander hin, um darüber zu laufen. In einem Brett steckte ein rostiger Nagel, der etwa 5 cm herausragte. Wir legten das Brett immer so, dass der Nagel nach unten zeigte. Nur einmal, im Eifer des Gefechtes, lag er falsch herum. Meine Mutter lief darüber, traf ihn aber nicht. Mein Bruder lief darüber, traf ihn auch nicht, ebenso mein Vater und ein Freund, der mit war. Ich aber traf ihn und er bohrte sich in den Mittelfuß. Die Haut an der Oberseite wölbte sich vor, riss aber nicht. Ich trat mit dem anderen Fuß auf das Brett und zog ihn so wieder raus, beachtete die Wunde aber nicht weiter, spielte weiter in der Matsche. Dies war am Samstag, am Montag merkte ich, wie etwas im Fuß spannte, habe aber nichts gesagt. Am Dienstag schmerzte und klopfte es. Der Mittelfuß wurde rot und ich zeigte ihn meinem Vater. Der hat nur den Kopf geschüttelt. Es hatte sich im Fuß ein massiver Abszess gebildet. Er öffnete den Abszess und behandelte ihn mit Rivanolverbänden. Am Mittwoch und Donnerstag fehlte ich in der Schule, am Freitag ging es wieder.

Mein Onkel Theo, der Bruder meiner Mutter, lebte mit seiner fünfköpfigen Familie in der ehemaligen Remise. In den ehemaligen Stallungen betrieb er Anfang der fünfziger Jahre eine Schwefelfabrik. Eigentlich war er Ingenieur und Kfz-Gutachter. Er begutachte Unfälle und so weiter. Ich fand die Fabrik immer unheimlich interessant und war oft dort, um zuzusehen. Eine Maschine hatte eine große Walze, die sich schnell drehte. Darüber war eine Halterung in die Glasstäbe gesteckt worden. Diese wurden erhitzt, sodass dünne, flüssige Glasfäden entstanden, die auf die Walze fielen. Diese verfingen sich auf der Walze und wurden zu Wolle, Glaswolle. Diese wurden gezogen, sodass ein etwa 4 cm breiter Schlauch aus Glaswolle entstand, der sich durch ein Loch in der Wand zog. Auf der anderen Seite der Wand stand eine Wanne, die erhitzt wurde. Darin war Schwefel in flüssiger, kochender Form. Die Wolle wurde da durchgezogen, sodass sie sich mit dem Schwefel vollsog. Am Ende der Wanne wurde sie herausgezogen, gewalzt, kühlte sich ab und wurde in 20 cm lange Streifen geschnitten. Eine Hilfskraft packte sie in einen Karton. Dieser Schwefel wurde an Winzer und die Lebensmittelindustrie zum Schwefeln, Desinfizieren, der Fässer geschickt. Mein Problem war allerdings, wenn ich länger in den Räumen war, bekam ich eine Schwefelakne, die sich in Eiterpickelchen zeigte.

Im Herbst 1957 sind wir mit dem Wohnwagen nach Südfrankreich nach Cavalière an die Côte d’Azur ans Mittelmeer in die Ferien gefahren. Das war etwas anstrengend für meinen Vater, da es in Frankreich noch keine Autobahnen gab und die Rhonetalstraße nur dreispurig war. Die äußeren Spuren waren die Fahrspuren und die mittlere für beide Fahrtrichtungen zum Überholen. In Cavalière fuhren wir auf einen der wenigen Campingplätze, der schon gut besucht war. Es standen schon etwa 20 Zelte und Wohnwagen auf dem Platz. Die Toiletten waren in vier kleinen Häuschen, Stehklos, und nebendran im Freien zwei kalte Duschen für alle. Wir brauchten nur über die Straße zu gehen und waren an einem schönen Sandstrand. Schlecht war nur, dass der Küstenabschnitt immer mal wieder von Räuberbanden aus Algerien heimgesucht wurde, die über das Meer kamen. In der Zeit, in der wir da waren, gab es zum Glück keine Überfälle, aber mein Vater schob abwechselnd mit den anderen in der Nacht Wachen. Hier lernten wir auch eine Schweizer Familie aus Bern kennen, die Leuenbergers. Ihr Sohn Urs war so alt wie ich. Einmal war eine Apfelsinenkiste angeschwemmt worden, und ich stellte mich in den Wellen darauf. Dann kam eine relativ große Welle, die mich umwarf. Ich lag auf der Kiste, meine linke Hand darunter, und irgendetwas da unten hielt mich fest. Immer wenn ich mich bewegte – die Wellen bewegten mich heftig – tat es höllisch weh. Mein Vater stand daneben, sah mir zu und wunderte sich, warum ich nicht aufstand. Ich erklärte es ihm und er hob mich hoch, sodass die Apfelsinenkiste sich umdrehte. Der Grund war der Kopf eines rostigen Nagels, der hochstand. Dieser Kopf hatte sich unter meine Haut des dritten Fingeransatzes gebohrt und hing fest. Mein Vater löste ihn und machte mir einen Verband. Am Nachmittag wollte meine Mutter etwas aus dem Auto holen, nahm es und drückte den Verriegelungsknopf der Tür nach unten und die Tür wieder zu. Nur vergaß sie, den Schlüssel vorher wieder aus dem Auto herauszunehmen. Der lag jetzt auf der Hutablage und wir hatten nur diesen mit. Einer der anderen Urlauber war Kfz-Mechaniker, und ein anderer, zum Glück, ein williger Helfer. Zu dritt versuchten die Männer irgendwie an die Verriegelung zu kommen oder das vordere Dreieckfenster zu öffnen, ohne etwas kaputt zu machen. Aber es war ein BMW und kein VW. Wir Kinder und die anderen standen drum rum und sahen interessiert zu. Als sich nach einer halben Stunde noch immer kein Erfolg abzeichnete, habe ich gefragt, „Warum nehmt ihr denn nicht die Heckscheibe raus?“ Ich hatte gesehen, dass die ja nur mit einem Gummiring fixiert war, nicht eingeklebt wie heute. Die Herren zogen die Gummidichtung an einer Ecke aus der Fassung, zogen weiter, und die Scheibe kam heraus. Eingesetzt war die Scheibe wieder schnell. Auf der Rückfahrt hatten wir in Besançon übernachtet. Am Morgen wurden wir von lauter Klappern mit Zeltstangen geweckt. Um uns herum war der Wochenmarkt aufgebaut worden und wir standen mittendrin.

Da ich ja im dritten Schuljahr lange gefehlt hatte und bis zum Ende des vierten noch nicht alles aufgeholt hatte, wurde beschlossen, dass ich das 5. Schuljahr durchlaufen sollte, bevor ich die Prüfung für das Gymnasium machte. Meine Klasse in der Rotebergschule wurde aufgelöst und mit den Parallelklassen zusammengelegt. So entschieden meine Eltern, dass ich wieder in die Hofgartenschule gehe. Hier war der Klassenlehrer der Ehemann von der Frau Berns. Also ging ich wieder in die alte Volksschule. Dort lernte ich einen neuen Freund, den Heinz Spieker, kennen. Dessen Vater hatte die Drogerie in Dillenburg mit einem großen Labor, in dem er mit Chemikalien Reinigungsmittel und pflanzliche Medikamente herstellte. Da bin ich gerne hingegangen und habe zugesehen.

Am Ende des Schuljahres machte ich die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium, die ich mit der Note Drei bestand. Zur Belohnung durfte ich mit meinen Eltern drei Wochen nach Davos zum Skifahren. Mein kleiner Bruder musste zu Hause bleiben, da ja noch keine Ferien waren. Unsere Hausangestellten passten auf ihn auf. Nur waren die Ferien Mitte April vor Ostern und in Davos wurde der Schnee knapp. Meine Eltern beschlossen, eine Woche früher zurückzufahren. Das an sich war schon enttäuschend für mich, aber es gab noch etwas, was mich einige Tränen kostete. Meine Eltern hatten mich nämlich schon vor den Ferien aus der Schule geholt, ich sollte ja nach den Ferien ins Gymnasium gehen. Somit hatte ich verlängerte Osterferien, hatte mich bei meinen Klassenkameraden schon groß verabschiedet. Jetzt musste ich die letzte Woche doch wieder in die Schule. Bis zum Beginn der regulären Ferien. Ich schämte mich sehr. Jetzt kam ich kleinlaut wieder zurück, bevor es ins Gymnasium ging. Einige konnten ihre Schadensfreude nicht verhehlen.

Nach den Ferien ging ich in das Wilhelm-von-Oranien-Gymnasium in die Sexta. Da der Schulweg etwa 1 km weit war, bekam ich zu Ostern ein blaues Fahrrad, 26-Zoll-Räder mit Dreigang-Nabenschaltung. Ich war darauf sehr stolz und auch recht schnell. Da das neu gebaute Gymnasium schon jetzt zu klein war, wurden wir in die Bergschule ausgegliedert. Hier hatten wir einen Lehrer, Herrn Kuttner, genannt Juppi, der eigentlich schon längst in Rente war. Wegen des großen Lehrermangels war er reaktiviert worden. Der Unterricht war nicht sehr anspruchsvoll und wir langweilten uns oft. Es flogen dann mit Gummis verschossene Papierfitzel durch die Klasse, wenn er sich zur Tafel drehte. Ich war übermütig und zielte in seine Richtung. Ich traf die Tafel neben seinem Kopf, das Geschoss prallte ab und flog ihm direkt hinter die Brille. Ich durfte am Nachmittag nochmal seine Gegenwart eine Stunde länger genießen.

Wir hatten auch ernstzunehmende Lehrer, bei denen wir etwas lernten, unter anderem unsere Klassenlehrerin, Frau Wurmbach. Sie unterrichtete uns in Erdkunde, Deutsch und Englisch. Sie war auch eine Patientin bei meinem Vater. Wenn ich bei einer Arbeit zu viele Fehler gemacht hatte, erfuhr es mein Vater oft eher als ich. Ich machte immer viele Schreibfehler, auch mit dem Lesen hatte ich Schwierigkeiten. Mündlich war ich gut, aber das Schreiben … Erstens konnte ich durch die Schwäche meines linken Auges immer nur mit einem Auge lesen und zweitens war ich Legastheniker. Das gab es aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht, die Kinder galten alle einfach als dumm und begriffsstutzig. Es wurden hauptsächlich Diktate geschrieben und die waren immer zwischen Vier und Fünf. Die schulischen Leistungen wurden immer schlechter. Die erste Versetzung schaffte ich so mit Ach und Krach. Mein Vater hielt mich an, nicht so viel neben der Schule zu machen, sondern mich auf den Hosenboden zu setzten und zu lernen. „Sonst wirst du halt Steineklopper.“

Um meine Augen ein bisschen zu trainieren, hatte meine Mutter meinen Bruder und mich überredet, zum Fechten zu gehen. So trainierten wir einmal in der Woche im Turnverein. Meine Mutter nahm uns auch zum Tennis mit, aber ich haute immer neben den Ball oder zu früh. Ich sah ja nur mit einem Auge, und das mit dem räumlichen Sehen haute nicht so richtig hin.

Internat Schloss Wittgenstein

In der Mitte des dritten Jahres zeichnete sich ab, dass ich wohl sitzen bleiben würde. Da mein drei Jahre älterer Cousin Thomas in der Schule auch schlecht war, auf dem Internat sich aber gefangen hatte, wurde beschlossen, dass auch ich auf dieses Internat gehe. Mein Bruder und ich waren Mitglied in der Stadtbücherei und haben regelmäßig Bücher gelesen. Ich hatte mehrere Bücher von Enid Blyton über die Fünf Freunde gelesen, in denen das Internat verherrlicht wurde. So habe ich ja gesagt. Ostern hatte ich mit dem Konfirmandenunterricht begonnen und kam nach den Sommerferien im Jahre 1959 nach Bad Laasphe ins Internat Schloss Wittgenstein.

Das Schloss lag, wie Schlösser halt so liegen, oben auf einem Berg. Die Stadt Bad Laasphe war etwa 30 Minuten Fußweg entfernt. Wir durften nur alle vier Wochen einmal hinunter, zum Friseur oder so, nicht zum Vergnügen. Wir konnten frühestens nach der Schule um 13 Uhr losgehen und mussten bis 16 Uhr zurück sein. Zwischen den Ferien mussten aber mindestens acht Wochen Abstand sein. Auf dem Berg waren wir 300 Jungen. In meiner Klasse waren alle zwischen 12 und 14 Jahren alt und wir waren immer zusammen. Im Internatshaus waren große Schlafräume. Jeder Schüler hatte einen Spint. Der Saal, in dem ich schlief, bestand aus drei Räumen hintereinander. Im ersten Zimmer waren vier Betten, im zweiten auch, und wir hatten hinten im letzten Zimmer acht Betten. Es lief ein Gang bis nach hinten durch und die einzelnen Räume waren zum Gang offen, ohne Türen. Die Schule, ein Neubau, lag mit dem Sportplatz etwa zehn Minuten Fußmarsch entfernt. Es herrschte ein strenges Regiment. Es gab nur kaltes Wasser in einem Waschraum mit einer Aluminiumwanne mit zwei mal acht Wasserhähnen. Einmal in der Woche ging es abends unter die Gemeinschaftsdusche. Zwölf Duschen, unter jeder einer, nackt. Zentral wurde vom Erzieher das warme Wasser für eine Minute angestellt, einseifen, wieder warme Dusche, abtrocknen, anziehen, fertig. Nachdem wir uns morgens angezogen und unsere Betten gebaut hatten, ging es anschließend in den Speisesaal, geordnet in Reih und Glied. Es herrschte Ruhe. An jedem Tisch saßen acht Pennäler und aus den oberen Klassen ein Tischältester. Dieser achtete darauf, dass außer „Reich mir mal bitte …“ und „Danke“ nichts gesprochen wurde. Wenn einer zu vorlaut war, musste er sich an die Wand stellen, bis die anderen fertig waren. Damit war für ihn das Essen auch beendet. Körperliche Züchtigung war dem Erziehungspersonal ausdrücklich erlaubt. Einmal hatte am Nachbartisch ein Mitschüler eine Diskussion mit seinem Nachbarn und wurde an die Wand gestellt. Da er auch dort keine Ruhe gab, rief der Erzieher, der Dienst hatte, Herr Dapper, ihn zu sich mit den Worten: „Komm her und hol dir eine ab!!“ Er ging zögernd zu ihm hin. Herr Dapper holte aus und schlug kräftig zu. Dabei duckte sich der Junge, die Ohrfeige ging über den Kopf hinweg und Herr Dapper hatte Mühe, sich am Tisch festzuhalten, um nicht hinter seiner Hand herzufliegen. Er bekam ein ganz rotes Gesicht. Als er sich gefangen hatte, brüllte er: „Geh auf deinen Platz!“ Der Junge drehte sich um, grinste, lief die ersten Schritte zu seinem Platz. Auf einmal machte er einen Satz von gut zwei Metern, mit allen Beinen in der Luft. Er hatte von Herrn Dapper einen heftigen Tritt in den Hintern bekommen. Er konnte danach drei Tage lang nicht sitzen.

Um 07.30 Uhr mussten wir alle in der Schule sein. In der großen Pause bekamen wir alle Pausenbrote, oft mit Schweineschmalz. Es war zwar gut gewürzt, aber ich vertrug es nicht, denn ich bekam davon immer Eiterpickel. Um 12.30 Uhr ging es zurück ins Internat zum Mittagsessen, gleiche Ruheordnung. Anschließend war bis 15 Uhr „Silentium“. Dafür saßen wir alle im Klassenverband in einem großen Saal und machten Hausaufgaben, jeder für sich. Sprechen war nicht erlaubt, auch keine Gruppenarbeit. Wenn wir Fragen zu den Aufgaben hatten, konnten wir den beaufsichtigen Lehrer fragen. Danach hatten wir zwei Stunden „Freizeit“. Wir gingen mit dem Erzieher spazieren oder machten draußen ein paar Spiele. Unser Erzieher, Herr Ströhmann, hatte sich aber etwas Besonderes ausgedacht. Wir durften etwas für das Internat, für die Allgemeinheit, schaffen. So legten wir eine Weg zu einem Aussichtspunkt den Hang hinauf an. Mit Hacke und Schaufel lernten wir umzugehen.

Um 18 Uhr gab es Abendessen. Anschließend „Freizeit“, in der wir gemeinsam beschäftigt wurden. Um 21 Uhr hieß es ins Bett gehen und Ruhe. Ein Erzieher hatte immer Aufsicht und sorgte dafür, dass Ruhe war. Er schlich durch die Gänge. Sobald er was hörte, musste die ganze Zimmermannschaft sich im Flur aufstellen und dort 15 bis 30 Minuten still stehen, bis sie wieder ins Bett durfte. Trotzdem haben wir Lausbuben ihn ausgetrickst. Nachdem er bei uns durch war, schlichen wir in die Toiletten und kletterten dort aus dem Fenster. Davor war ein 20 cm breiter Sims, etwa 10 Meter über dem Boden. Dort rauchten wir. Irgendeiner hatte immer Zigaretten dabei. Das war übrigens meine erste Zigarette. Nur meine ging immer wieder aus, ich konnte ziehen, wie ich wollte. Bis der, der sie mir ansteckte, zu mir sagte, es war ja dunkel sonst, „Du steckst ja die falsche Seite an, das ist der Filter.“ Nachdem ich sie rumdrehte, klappte es besser.

Höhepunkt der Woche war der Samstagabend. Zum Abendessen gab es erst Bockwurst und Kartoffelsalat. Anschließend versammelten sich alle Schüler in der Aula zur Filmvorführung, zumeist ein Abenteuer- oder Cowboy-Film. Ich erinnere mich noch an den Film „Lohn der Angst“ mit Yves Montand und Peter van Eyck. Er handelte in Südamerika, wo eine Ölquelle in Brand geraten war und Nitroglycerin auf normalen LKW zur Quelle gebracht werden musste. Es wurden dafür Abenteurer angeheuert, die die drei Lastwagen die 500 km über Holperpisten zur Brandstelle bringen sollten. Das Problem war, dass das Nitroglycerin, wenn es warm wird, schon bei relativ leichten Erschütterungen explodiert. Zum Schluss war nur einer durchgekommen, seinen Beifahrer musste er sterbend in einem Dreckloch zurücklassen.

Jugendstreich im Internat

Irgendwann war uns aufgefallen, dass unsere Klassenkameraden in dem großen Nachbarzimmer, da waren 16 Kinder untergebracht, am Abend immer so lustig waren, dachten uns aber nichts dabei. Eines Abends bekamen wir mit, dass einer aus dem Zimmer im Bademantel von draußen kam. Er hielt ihn vorne fest zu. Plötzlich kam unser Erzieher, Herr Ströhmann, um die Ecke. Der Schüler wollte so schnell wie möglich ins Zimmer. Unglücklicherweise stand die Tür nicht ganz offen und es wollte gerade ein anderer aus dem Zimmer raus. So stieß er mit dem Ellbogen gegen die Tür, eine Flasche fiel herunter und zerbrach. Der gute Inhalt ergoss sich auf dem Fußboden. Es war eine Weinflasche. Dies blieb dem Erzieher nicht verborgen, man roch es ja auch. Es gab eine große Inquisition und alles wurde offengelegt. Die Burschen hatten einen Weg gefunden, wie sie in den fürstlichen Weinkeller kommen konnten. Am Abend haben sie sich regelmäßig Wein aus dem Keller geholt. Nicht die billigen, gab es eigentlich dort auch nicht, sondern französische Weine aus den 30ern und noch bessere. Der Schaden war recht hoch. Die Verwaltung des Internats war der Meinung, die ganze Klasse wusste davon, hatte davon profitiert und mitgetrunken. Ergo mussten alle bestraft werden. Das Urteil, alle Vergünstigungen wurden gestrichen, kein Gang mehr in die Stadt, keine „Freizeit“ mehr. Stattdessen mussten wir alle antreten und die zwei Stunden „Freizeit“ um den Platz marschieren und singen, einen Monat lang.

Am 15.02.1961 gab es eine totale Sonnenfinsternis, sichtbar vormittags gegen 11 Uhr. Wir Schüler durften natürlich alle rausgehen, um die Sonnenfinsternis zu sehen. Zum Schutz vor der grellen Sonne bekamen wir alle eine Glasscherbe und eine Kerze. Damit sollten wir das Glas schwarz rußen. Ich wollte besonders schlau sein und habe die Gläser meiner Brille schwarz gerußt. Ich hatte nur nicht bedacht, dass die Fassung aus Horn war und die fing beim Berußen Feuer. Plötzlich brannte mein Brillengestell und rußte fürchterlich, nur nicht auf die Gläser. Ich habe schnell den Qualm weggepustet und die Flammen mit den Fingern erstickt. Aber sehen konnte ich die Sonnenfinsternis prima, mit meiner berußten Brille. Nur das Gestell war an der Stelle, wo es gebrannt hatte, rau und dünner.

Eines Tages im Sportunterricht auf dem Sportplatz. Wir hatten uns in Zweierreihen aufgestellt. Der Sportlehrer, Herr Heckert, war dabei uns zu erklären, was wir machen sollten. Wir waren mit Turnschuhen, kurzer Sporthose und Unterhemd, deutscher Feinripp, bekleidet. Plötzlich fiel etwas in meinen Nacken und rutschte hinten in mein Unterhemd nach unten. Ich fing an zu zappeln und um mich zu schlagen. Sofort fing Herr Heckert an zu brüllen, was mir einfiele, ich solle gefälligst still stehen. Irgendetwas hatte mich gestochen. Ich riss mein Unterhemd aus der Hose. Herr Heckert kam zu mir und aus dem Unterhemd fiel eine tote Biene auf den Boden. Herr Heckert wollte gerade weiterschimpfen mit mir, hob die Hand für eine Ohrfeige. Da sah er auf meinem Rücken die Einstichstelle, wie sich eine Rötung ausbildete, die schnell immer größer wurde, roter und roter. Die Schwellung breitete sich rasch immer weiter aus, man konnte zusehen. Ich war ein schmächtiges Kerlchen zu der Zeit. Schnell war der ganze Rücken gerötet und geschwollen und juckte. Er schickte mich zusammen mit meinem Freund Klaus ins Haupthaus auf die Krankenstation. Dort empfing uns eine Krankenschwester. Mein ganzer Körper und mein Gesicht waren gerötet und angeschwollen, spannten. Es juckte furchtbar, auch das Atmen fiel mir schwer. Sie sagte: „Setz dich mal hier hin.“ Sie gab mir aufgelöstes Kalzium zum Trinken. Die Atembeschwerden und der Juckreiz ließen nach. Nach einer Stunde schickte sie uns zurück zur Klasse. Als wir in die Klasse kamen, der Sportunterricht war inzwischen gelaufen, erkannten der Klassenlehrer und meine Klassenkameraden mich erst gar nicht, weil mein Gesicht so aufgedunsen war. Die Schwellung klang nur ganz langsam im Verlauf des Tages ab.

Einmal, wir hatten mal wieder abends Freizeit, hatte ich im Gedränge dem Peter auf den Fuß getreten. Er hatte feste harte Halbschuhe an und ich trug immer nur weiche Mokassins. Ich entschuldigte mich bei ihm. Bei passender Gelegenheit jedoch hatte er ausgeholt und mit der Absatzkante auf meinen Fuß gedonnert. Er traf genau die Nagelwurzel des großen Zehs. Dies tat ziemlich weh. Entschuldigt hatte er sich nicht, meinte nur „Siehste“. Der Schmerz nahm immer mehr zu, und als ich den Schuh und den Strumpf auszog, sah man, dass sich unter dem Nagel ein großer Bluterguss bildete. Wir sind anschließend in unseren „Hobbyraum“ gegangen, in dem einige Klassenkameraden Musik machten, Rock ’n’ Roll und so. Die Schwingungen von dem Bass taten mir in dem Zeh so weh, dass ich aus dem Zimmer gehen musste. Die Nacht war schrecklich. Ich bin am nächsten Tag wieder zur Krankenstation gegangen. Die Krankenschwester bohrte mir ein Loch in den Nagel, damit das Blut abfließen konnte. Danach waren die Schmerzen erträglich.

Schulisch ging es bei mir weiter bergab. In Mathe hatten wir in Dillenburg auf dem Gymnasium noch keine Prozentrechnung durchgenommen, im Internat war das schon durch (anderes Bundesland). In Latein hatte ich einige riesige Löcher, da die im Internat schon viel weiter waren. Ich hatte zwar Nachhilfeunterricht (in der Freizeit), aber die Lücken waren einfach zu groß. Ich gewöhnte mich daran, „Sechsen“ zu schreiben. Es war ja keiner da, vor dem ich mich direkt rechtfertigen musste. Trotzdem hat es mich doch irgendwie gewurmt. So bekam ich immer wieder Magenschmerzen. Mein einziger Lichtblick war das Fechten. Als „Eliteschüler“ mussten wir alle Fechten lernen. Ich war der einzige, der es schon konnte, fortgeschritten war. Deshalb war ich immer an der Spitze.

Zurück in Dillenburg und erste Ehrenrunde

Die Versetzung Ostern hatte ich gerade so geschafft, aber die Magenschmerzen blieben und wurden immer schlimmer. Ich hatte ein Magengeschwür und meine Eltern holten mich im Sommer wieder vom Internat. Ich war dort ein Jahr. Nach den Sommerferien ging ich wieder in meine alte Klasse, wieder zu Frau Wurmbach. Wir hatten bei ihr Deutsch und Englisch. Mündlich war ich gar nicht so schlecht, aber meine Probleme hatte ich mit Auswendiglernen und mit dem Schreiben. Ich hatte auch in Dillenburg immer bei einem Lehrer Nachhilfeunterricht. Aber am Ende des Schuljahres, an Ostern, konnte Frau Wurmbach triumphieren und mich sitzenlassen. Als ich mit dem Zeugnis nach Hause kam, hielt mir mein Vater eine Standpauke, die in dem Satz endete „… dann gehst du halt später Steine kloppen“. Ich bekam zwei Wochen kein Taschengeld. Dies belief sich damals auf 1 DM die Woche. Mein Bruder und ich kauften uns von unserem Taschengeld bei Spielzeug Weimer immer Modellautos von Wiking, Größe H0. Zum Abendessen machten wir uns Haferflocken, Kölln Schmelzflocken, einen Suppenteller voll. Darüber streuten wir uns Trockenmilch, Zucker und unser Kakaopulver. Das ganze wurde mit Wasser abgerührt. Die Küche hatte zwei Fenster zur Oranienstraße. Rainer saß an dem einen Fenster, ich am anderen. Die vorbeifahrenden Autos wurden von meinem Bruder und mir kommentiert, „Hammer, hammer net, hammer, hammer, hammer net“ (haben wir, haben wir nicht), und wir suchten uns aus, welches wir als nächstes kaufen wollten.

In dieser Zeit, ich war gerade 13 Jahre alt, war es für mich das größte Vergnügen, wenn ich mit meinem Vater in den Ferien auf Hausbesuchstouren mitfahren konnte. Ich blieb meistens im Auto sitzen und er machte seine Hausbesuche. Manchmal ließ er mich auch fahren. Ich hatte mir immer den Kopf zermartert, was willst du mal werden, ich überlegte, alle möglichen Alternativen, aber für mich stand schon damals fest, ich will helfen, mein Ziel ist Arzt. Später, wenn wir mit dem Auto rangieren mussten, vor allem wenn der Wohnwagen angehängt wurde, ließ mein Vater mich ans Steuer und er wies mich ein.

Im Alter von 13 Jahren fuhr ich einmal mit dem Fahrrad zur Schule. Ich radelte los und kam zur Kreuzung in der Presberstraße, ich fuhr langsamer, da weder von rechts noch von links einer kam, trat ich mit aller Macht in die Pedale und sprintete los. 20 Meter nach der Einmündung war rechts eine Hofeinfahrt, aus der fuhr gerade der 19-jährige Sohn des Friseurmeisters Henseleit mit seinem Ford 12 M heraus und erschreckte sich. Ich fuhr an ihm vorbei. Er folgte mir. An der Einmündung zur Konrad-Adenauer-Straße setze er sich links neben mich, wollte wohl aussteigen, aber die Straße war frei und ich konnte weiterfahren. Die nächste Kreuzung war 200 Meter weiter, bei der war Querverkehr und ich musste warten. Er setze sich wieder links neben mich, ganz dicht, und stieg aus. Die Straße wurde frei und ich zischte mit meinem Rad wieder los. Er stieg wieder ein und setzte sich ganz dicht hinter mich. Aber bevor er mich richtig einholen konnte, konnte ich nach rechts in die Uferstraße abbiegen. Diese Straße ist für Autos verboten. Er fuhr die Bundesstraße, die Hindenburgstraße, schnell runter. Die Straße macht dann nach