Lehrbuch der Psychoaktiven Massage (PAM) - Gabriele Mariell Kiebgis - E-Book

Lehrbuch der Psychoaktiven Massage (PAM) E-Book

Gabriele Mariell Kiebgis

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Beschreibung

Berührung – das Tor zum Ich Embodiment in praktischer Umsetzung: Psychische Veränderung ist immer körperlich verankert Bebilderte Anleitungen der Psychoaktiven Massage: Körperteil für Körperteil erlernen Zukunftsorientiert: Berührungsmedizin als unverzichtbare Komplementierung der Schuldmedizin Menschen brauchen Berührung, um gesund zu bleiben und gesund zu werden. Therapeutische Berührung fördert wichtige Prozesse in Psyche und Körper. Je nachdem, wie wir diese empfinden, löst sie unterschiedliche Reaktionen wie Hormonausschüttungen aus. Wir benötigen diesen Kontakt, um uns zu spüren und aufgehoben zu fühlen. Doch gerade bei psychischen Krisen ist der Zugang zu Berührungen oft nicht gegeben oder problematisch besetzt. Die Psychoaktive Massage (PAM) nach Gabriele Mariell Kiebgis® ist ein innovatives, wissenschaftlich begründetes Behandlungskonzept, das dem Grundbedürfnis nach Berührung gerecht wird und präventiv die psychophysische Gesundheit fördert. Sie ermöglicht das Erleben einer erfüllten Gegenwart, belebt die Sinne, löst muskuläre und emotionale Verpanzerungen, stärkt das Kohärenzgefühl und damit die Resilienz. Dieses Buch stellt die theoretischen Grundlagen sowie die Praxis dieser berührungstherapeutischen Methode vor. Darüber hinaus beschreiben die Autorinnen die emotionale Anatomie, d.h. die psychologische Bedeutung einzelner Körperbereiche. Das Buch dient als Grundlage für jede Massagetechnik, da es das Fachwissen vermittelt, wie und wodurch Massageberührungen als heilsam erlebt werden. Mit Beiträgen von Dr. med. Michaela Maria Arnold Gayaneh Avanes Avakian Susanne Carla Joos Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert

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Gabriele Mariell Kiebgis

Lehrbuch der Psychoaktiven Massage (PAM)

Berührung als integrativ-komplementäre Therapie

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen

Mit Beiträgen von

Dr. med. Michaela Maria Arnold

Gayaneh Avanes Avakian

Susanne Carla Joos

Univ.-Prof. Dr. Dr. Christian Schubert

Schattauer

Impressum

Gabriele Mariell Kiebgis

www.koerpertherapie-am-bodensee.de

Besonderer Hinweis

Die in diesem Buch beschriebenen Methoden sollen psychotherapeutischen Rat und medizinische Behandlung nicht ersetzen. Die vorgestellten Informationen und Anleitungen sind sorgfältig recherchiert und nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben. Dennoch übernehmen Autor und Verlag keinerlei Haftung für Schäden irgendeiner Art, die direkt oder indirekt aus der Anwendung oder Verwertung der Angaben in diesem Buch entstehen. Die Informationen sind für Interessierte zur Weiterbildung gedacht.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

www.schattauer.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltungskonzept: Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © New Africa/shutterstock

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Illustrationen: Christine Lackner, Ittlingen

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Lektorat: Marion Drachsel

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

ISBN 978-3-608-40156-1

E-Book ISBN 978-3-608-12042-4

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20623-4

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Der unversehrte Mensch

Einleitung

Wegweiser

1 Die Entwicklung der Psychoaktiven Massage

1.1 Von der klassischen Massage bis zur integrativ‑komplementären Therapie

1.1.1 »Etwas ist unter der Haut?«

1.1.2 »Was ist Menschsein?«

1.2 Was ist eine Berührung?

1.3 Berührungspyramide

2 Neurobiologische Grundlagen

2.1 Haut und Gehirn

2.1.1 Die Haut weiß alles!

2.1.2 Die Haut – ein Ganzkörperkondom?

2.2 Psychoneuroimmunologie

2.3 Interozeption

2.4 C-taktile Nervenfasern

2.5 Das Hormon der Nähe: Oxytocin

3 Körpertherapeutische Grundlagen

3.1 Körpergedächtnis – Leibgedächtnis

3.1.1 Was ist der Unterschied zwischen Leib- und Körpergedächtnis?

3.1.2 Zwischenleiblichkeit

3.2 Der Innere Beobachter – eine Bewertungsinstanz

3.3 Gewohnheitsprinzip

3.4 Körperhaltung

3.5 Körperordnung

3.5.1 Nichts durcheinanderbringen!

3.5.2 Was gehört zusammen?

3.6 Bestandteile der Emotionen

3.6.1 Körperliche Reaktionen

3.6.2 Kognitive Prozesse

3.6.3 Unversehrt – Versehrt

3.7 Emotionale Anatomie

3.7.1 Emotionale Anatomie verschiedener Körperbereiche

3.7.2 Der Volksmund und seine Diagnosen

3.8 Psychologische Bedeutung

4 Voraussetzungen für die Anwendung

4.1 Voraussetzungen für die Therapeutin

4.1.1 Therapeutische Haltung

4.1.2 Die Sprache der Berührung

4.1.3 Ausstattung

4.1.4 Zeitfenster für die Anwendung

4.2 Voraussetzungen für die Klientin

4.3 Die achtsame Kontaktaufnahme

4.4 Der »Vertrag« zwischen Klientin und Therapeutin

4.5 Das körperbezogene Gespräch

4.6 Orientierung geben

5 Praxis der Psychoaktiven Massage nach GMK®

5.1 Druck und Geschwindigkeit

5.2 Präzision der Massageausführung

5.3 Massagegriffe

5.4 Handtechnik

5.5 Lagerung auf der Massagebank

5.6 C-taktile Körpereinölung

5.7 C-taktile Ausstreichungssequenzen

6 Massage der Körperrückseite

6.1 Emotionale Anatomie der Körperrückseite

6.2 Psychologische Bedeutung der Körperrückseite

6.2.1 Körperrückseite – nicht in Sicht

6.2.2 Der Rücken – die Ablage

6.3 C-taktile Körpereinölung

6.4 C-taktile Ausstreichungssequenzen

6.5 Beinmassage

6.6 Rückenmassage

7 Massage der Körpervorderseite

7.1 Emotionale Bedeutung der Körpervorderseite

7.2 Psychologische Bedeutung der Körpervorderseite

7.2.1 Selbstbild

7.2.2 Fremdbild

7.2.3 Dem Leben zugewandt

7.2.4 Wahrnehmung durch Berührung

7.3 Positionswechsel für die Klientin

7.4 C-taktile Körpereinölung

7.5 C-taktile Ausstreichungssequenzen

7.6 Beinmassage

7.7 Flankenmassage

7.8 Umarmung nach der Flankenmassage

7.9 Arm- und Handmassage

7.10 Bauchmassage

7.11 Massageerweiterung: Flankenöffnung

7.12 Massageerweiterung: Nackenumarmung

8 Massage in Brustbereich, Nacken und Gesicht

8.1 Emotionale Anatomie – Nacken und Gesicht

8.2 Psychologische Bedeutung von Nacken und Gesicht

8.2.1 Gut im Kopf

8.2.2 Außendarstellung

8.2.3 Die andere Seite der Medaille

8.2.4 Druck im Kopf

8.2.5 Gesicht – nichts mehr sichtbar?

8.2.6 Gesicht und Massage

8.3 Massage Brustbereich

8.4 Massage Nacken

8.5 Massage Gesicht

9 Nachsorge

9.1 Nachgespräch

9.2 Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Psychotherapeutinnen

9.2.1 Psychotherapeutisch begleitend

9.2.2 Psychosomatisch begleitend

10 Verschiedene Indikationen

10.1 Depression – Erfahrung aus der körpertherapeutischen Praxis

10.1.1 Erklärbare Symptome

10.1.2 Tastbare Körpersymptome

10.1.3 Massagetechnik auf der Haut

10.1.4 Technik von außen

10.2 Tumorerkrankungen

10.3 Fatigue

10.4 Long COVID

11 Berührungsmedizin

11.1 Berührung in der professionellen Pflegearbeit

11.2 In der ärztlichen Versorgung I

11.3 In der ärztlichen Versorgung II

12 Forschung

12.1 Wissenschaftliche Studien zur Wirkung Psychoaktiver Massagen insbesondere bei psychiatrischen Indikationen

12.2 Methodische Anforderungen an moderne Massagestudien

12.3 Ausgewählte Studienergebnisse

12.4 Wirkungen einer Psychoaktiven Massage nach GMK® bei »gesunden« Probanden: eine naturalistische Studie

13 Anhang

13.1 Klientenstimmen

13.1.1 Rückmeldung eines männlichen Klienten (erste Massage)

13.1.2 Rückmeldung einer weiblichen Klientin (erste Massage)

13.1.3 Rückmeldung einer weiblichen Klientin (zweite Massage)

13.1.4 Rückmeldung einer weiblichen Klientin

13.1.5 Rückmeldung eines männlichen Klienten

13.1.6 Rückmeldung eines männlichen Klienten

13.1.7 Rückmeldung einer weiblichen Klientin

13.2 Beispiel eines Orientierungsgesprächs für den Ablauf der Psychoaktiven Massage

13.3 Meditationsanleitung »Reise in das Innengesicht«

Literatur

Geleitwort

Berühren, anrühren – der althochdeutsche Wortstamm »ruoren« bedeutet »etwas bewegen« und verbunden mit »sar« »Gemeinschaft, sich vereinigen«. Erst im 18. Jahrhundert erscheint dann die Bedeutung »gerührt – innerlich bewegt sein«, die es genauso auch im Englischen gibt: »a touching experience«.

Die Doppelbedeutung von »Berührung« erhält durch die moderne Forschung einen neuen Sinn: Was der Volksmund schon immer wusste und in Redewendungen wie »Mir stehen die Haare zu Berge«, »Mir ist etwas auf den Magen geschlagen« oder »Ich hatte Schmetterlinge im Bauch« ausdrückte, ist heute Inhalt neurobiologischer und psychologischer Forschung. Mehr als hundert Jahre nach William James lernen wir nun wieder, dass jede Emotion eng verknüpft ist mit einer körperlichen Veränderung, ja, dass vermutlich die körperliche Reaktion das primäre Ereignis ist, dem die seelische Regung unmittelbar nachfolgt. Deshalb irrte Schiller in seinem den modernen Transhumanismus quasi vorwegnehmenden Satz aus dem »Wallenstein«: »Es ist der Geist, der sich den Körper baut.« Eher ist es umgekehrt: Der Körper baut sich den »Geist«, oder, wie Antonio Damasio es ausdrückt: »Der Körper ist nicht der Diener des Gehirns.« Weil das so ist, können wir durch zufällige oder gezielte Berührung, z. B. einen Händedruck oder sanftes Streicheln, Emotionen auslösen bzw. beeinflussen – und dies auch in einem therapeutischen Kontext.

Wie das im Einzelnen geschieht, stellt Frau Kiebgis mit ihren Kolleginnen in diesem lang erwarteten Buch am Beispiel der »Psychoaktiven Massage« dar. Sie bedient sich dazu eigener Bilder und einer eigenen innovativen Sprache der Empathie, wenn sie Zusammenhänge beschreibt und interpretiert, die bislang nicht mit vergleichbarer Sorgfalt und sprachlicher Fantasie dargestellt wurden.

Mich verbindet mit Gabriele Mariell Kiebgis eine lange fruchtbare Zusammenarbeit, die unter anderem ihren literarischen Niederschlag in unserem 2018 erschienen Buch »Berührung« gefunden hat, in dem wir eine allgemeinverständliche Übersicht über die vielen Aspekte dieses faszinierenden Gebiets im Kontrast zu einer total verfügbaren, digitalisierten, technisierten Welt gegeben haben (Müller-Oerlinghausen und Kiebgis 2018). Die Notwendigkeit, »berührungsmedizinische« Erkenntnisse und Erfahrungen endlich in den verschiedensten medizinischen Disziplinen, von der Neonatologie bis zur Palliativmedizin, einzubringen, haben wir kürzlich gemeinsam mit internationalen Experten in einem Grundsatzartikel zur Diskussion gestellt (Müller-Oerlinghausen et al. 2022).

Frau Kiebgis hat die von ihr über Jahrzehnte entwickelte spezielle Psychoaktive Massage in zahlreichen Fortbildungsseminaren gelehrt; an vielen Orten praktizieren inzwischen die von ihr Ausgebildeten diese segensreiche Methode, die insbesondere auch Menschen mit seelischen Problemen und Störungen eine oft unverzichtbare Hilfe bietet. Die Kernelemente dieser Massagetechnik werden nachstehend im Detail beschrieben und interpretiert – eine Lektüre, die auch Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, Körperpsychotherapeutinnen und Körperpsychotherapeuten, Osteopathinnen und Osteopathen und anderen »Berührungsberuflern« Gewinn bringen dürfte.

So wünsche ich diesem innovativen Buch eine freundliche Aufnahme bei den künftigen Leserinnen und Lesern und wage hinzuzufügen, dass wohl manche meiner ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen ebenfalls Nutzen aus der Lektüre ziehen können, denn: »Tätige Liebe heilt alle Wunden, bloße Worte mehren nur den Schmerz« (Adolph Kolping, 1847).

Berlin/Kressbronn a. B. im September 2022

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen

Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Berührungsmedizin e. V.

Vorwort

Der unversehrte Mensch

In dieser speziellen Berührungsarbeit erleben wir den Menschen vor allem in seiner Emotionalität. Die Fähigkeit, Gefühle in den verschiedensten Facetten durch Berührung zu empfinden, ist keine Besonderheit. Das Besondere ist, wenn ein Mensch sie »wieder« empfinden kann.

Haben wir in unserer vorgeburtlichen Entwicklung keine einschneidenden Störungen erlebt, wie z. B. negative Berührungsreize durch eine nicht normal verlaufende Schwangerschaft, dann kommen wir als unversehrter Mensch auf die Welt. Es beginnt die nachgeburtliche Entwicklung, in der wir das, was wir schon mitbringen, weiter entfalten: eine Persönlichkeit, eine individuelle Charakterstruktur.

Manche Eigenschaften scheinen angeboren zu sein. Andere Teile unserer Charakterstruktur werden von der Umwelt geprägt. Unsere emotionale Grundstimmung behalten wir ein Leben lang, dennoch ist unsere Persönlichkeit formbar; sie lässt sich erweitern und verändern, je nachdem, welche sozialen und emotionalen Erfahrungen wir als Kind machen.

Werden wir wertgeschätzt und gefördert, so wie wir sind, können wir uns positiv entwickeln. Wenn das »Ich liebe Dich« ehrlich gemeint ist – von den Eltern, den Großeltern und der Gemeinschaft –, dann wachsen wir zu einer »gereiften« Persönlichkeit heran.

Oftmals wirken sich jedoch familiäre und gesellschaftliche Strukturen, in denen der Mensch aufwächst und lebt, einschränkend bis störend auf seine gesunde Entwicklung aus. Schon in den ersten Lebensjahren müssen wir lernen, uns anzupassen, damit unsere soziale und familiäre Zugehörigkeit gesichert ist. Wir lernen, unsere Gefühle zu kontrollieren, damit wir von unserer Gemeinschaft akzeptiert werden. Im Laufe der Jahre können wir den Zugang mit unseren eigenen Gefühlen und den Umgang mit den Gefühlen anderer Menschen verlernen.

Eigene Gefühle abzuwehren verbraucht viel Energie. Unser Körper unterstützt uns dabei: Beispielsweise spannen wir die Muskulatur an, damit wir nicht das Gefühl haben, grenzenlos und verletzbar zu sein. Wir atmen flacher, damit unsere Erregung nicht hör- oder sichtbar ist. Wir weichen Blicken aus, damit uns keiner das Gefühl ansieht, das uns gerade in einer bestimmten Situation zu »überrollen« droht. Wir klemmen die Oberarme fest an den Körper, damit das empfundene Gefühl nicht in eine Handlung übergeht, wie z. B. die Wut über eine Ungerechtigkeit oder schwere Kränkung, auf die wir mit Abwehr reagieren wollen. Wir halten unser Becken ruhig, auch wenn wir durch Musik oder Tanz Erregung spüren. Wir drücken unsere Knie durch, damit wir erhaben aus einer Situation oder in eine Situation gehen, um Überlegenheit zu demonstrieren, obwohl wir uns klein und unsicher fühlen. Und wir halten unseren Nacken fest, damit wir nicht nach rechts und links schauen können und uns mit dem Blick nach vorne in Sicherheit wiegen. Das sind nur ein paar Beispiele, die veranschaulichen, dass individuelle Erfahrungen auch eine individuelle Körperhaltung formen.

So wächst nach und nach eine Schutzschicht um unser unversehrtes Wesen, die wir »Körperpanzer« nennen. Mit diesem Körperpanzer, der »persönlichen Schale« des Menschen, können wir nicht genau spüren, ob der Beruf, den wir auswählen, die Beziehungen, die wir eingehen, und unsere allgemeine Lebensführung auch mit unserem Wesen verbunden sind, sodass wir uns »richtig« im Leben fühlen.

Gehaltene, unterdrückte oder kontrollierte Gefühle machen sich im Laufe des Lebens als organische oder seelische Störungen bemerkbar. Dazu gehören Rücken- oder Gelenkschmerzen, Unter- oder Übergewicht, Muskelverhärtungen, Schlafstörungen, Beziehungsstörungen, das Gefühl psychischer Überlastung bis hin zu Burn-out, Depression oder anderen psychischen Erkrankungen. Krankheit, in welcher Form auch immer, bedeutet, dass die Balance zwischen Psyche und Körper aus den Fugen geraten ist, mit anderen Worten: dass das, was der Mensch an Potenzial aus seinem Wesen heraus leben könnte, nicht ausreichend gefördert wurde.

Eine behutsame und sanfte Berührungstherapie ermöglicht es, durch den Körperpanzer hindurch Gefühle wieder zu beleben, sodass der Mensch sie neu empfinden und neue Gefühle entdecken kann. Der professionell begleitete Weg durch die inneren Gefühlslandschaften eröffnet ein großes Spektrum persönlicher Empfindungsfähigkeiten. Eine Begegnung mit dem eigenen Wesen kann wieder möglich sein.

Mit jeder erneuten therapeutischen Berührung, beispielsweise in Form der Psychoaktiven Massage, wird das Erkennen des eigenen Wesens unterstützt und die Möglichkeit, ein emotional freies und authentisches Leben zu führen, wird mehr und mehr zur Realität. Der Mensch gewinnt an Selbstwert und Liebesfähigkeit. Das Kohärenzgefühl wird gestärkt, da der Mensch wieder mit seiner ursprünglichen Unversehrtheit, seinem eigentlichen Wesen verbunden ist.

Herbst 2022

Gabriele Mariell Kiebgis

Einleitung

»Unter Deiner Haut findest du den Weg zu Dir.«

(Gabriele Mariell Kiebgis)

Was geschieht in einem Menschen, der durch eine Massage unmittelbar eine individuelle, erlebbare Einsicht in seine inneren Landschaften von seelischer und körperlicher Befindlichkeit erhält, die ausschließlich einen positiven Charakter zeichnet? Was geschieht, wenn sich durch eine therapeutische Berührung, die nicht nur das Ziel hat, ein Wohlgefühl auszulösen, zusätzlich eine psychotherapeutische Wirksamkeit aus dem Körper hervorhebt? Ist es möglich, dass sanfte Berührung diese inneren Räumlichkeiten öffnen kann und dass das damit einhergehende Selbsterleben die Zusammenhänge der eigenen Verhaltensweisen offenbart? Selbst dann, wenn der Mensch an Depression, Schlafstörung, Unsicherheit, Angst und Panik leidet? Selbst dann, wenn sich der Mensch in einer bedrückenden Situation von Abschied, Tod, Trauer, Trennung oder Verlust befindet? Selbst dann, wenn der Mensch nach jahrelanger Psychotherapie keinen Ausweg mehr findet und als austherapiert gilt? Und selbst dann, wenn der Mensch auf eine Biografie blicken muss, die von Missbrauch, Verlassenheit, Vernachlässigung, Strenge und Schlägen gekennzeichnet ist?

In der humanistischen Psychologie finden wir eine therapeutische Herangehensweise, die den Blick auf das Unversehrte eines Menschen legt. Viele Menschen erleben psychische Belastungen in verschiedensten Auswirkungen und viele auch schwerstes Leid – ob durch Kriegserfahrungen, Folter, Krankheit, Tod, Verlust oder andere lebensbedrohliche, körperliche und seelische Verletzungen – und finden dennoch wieder zurück ins Leben. Sie lachen, verbinden sich, bekommen Kinder, verbringen ihr Leben mit anderen und sind nicht selten aufgrund ihrer besonderen Erfahrungen ein tragendes Mitglied ihrer Gemeinschaft, mit Tiefe und Wärme. Ihr Überleben als Integration ins Leben verdanken sie ihrer Unversehrtheit, ihrer Resilienzfähigkeit, die sich heute auch durch die Interozeptionsforschung (→ Kap. 2.3) neurobiologisch erklären lässt.

Die heilsamen Wirkungen von Massagen sind seit Jahrhunderten bekannt und wurden in unterschiedlichster Weise publiziert, unter anderem im Lehrbuch der Massage-Therapie von Bernhard Reichert (2015) oder in »Berührung – warum wir sie brauchen und wie sie uns heilt« (Müller-Oerlinghausen und Kiebgis 2018). In den letzten Jahren hat sich das Wissen darum so stark verändert, dass sich nun auch die Wissenschaft mit dem »Hand auflegen« beschäftigt. Einige Studien konnten die positiven Effekte der verschiedenen Massagetechniken belegen. Insbesondere wurden die Massagen in Augenschein genommen, die über das Massieren von Bindegewebe und Muskulatur hinausgehen (Müller-Oerlinghausen et al. 2007, 2022). Der Fokus liegt zunehmend auf der psychophysischen positiven Wirksamkeit (Moyer 2008, Olausson et al. 2016). Dennoch: Der Stellenwert von Massagen als therapeutische Berührung hat sich dadurch im ärztlichen und klinischen Kontext nicht verändert.

Massagen, die nicht durch eine Physiotherapeutin oder medizinische Masseurin1 ausgeführt werden, gelten heute noch als Wellnessbehandlungen, die rein oberflächlich ein Wohlgefühl auslösen, jedoch ohne nachhaltigen Effekt sind. Vor der tieferen, sehr vielschichtigen, ganzheitlichen Wirksamkeit verschließt sich bis heute noch, in den meisten Fällen, die medizinische und psychotherapeutische Welt.

Die Suche nach Stärkung der Evidenzbasierung therapeutischer Maßnahmen, die das Ziel hat, für Patienten die bestmögliche, individuell abgestimmte Behandlung anzubieten, führt jedoch zu einer stärkeren Konsumierung von verschreibungspflichtigen Kurzzeitbehandlungen, deren nachhaltige Effekte nicht immer erreicht werden.

Gesundheitsförderliche und stabilisierende Behandlungen, die das seelisch-körperliche Wohlgefühl steigern, können meist nicht durchgeführt werden, da die Klienten die Kosten selbst tragen müssen. Auch die kassenärztliche Versorgung hat sich dem Heilungsfaktor zur Förderung von Resilienz und Beibehaltung gesundheitsstabilisierender Kohärenzbalance durch heilsame therapeutische Berührungen bislang nicht geöffnet. Dabei ist psychische Gesundheit ein Zustand des Wohlbefindens, mit dem der Mensch seine Fähigkeiten ausschöpfen, seine normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag zu seiner Gemeinschaft und seinen Beziehungen leisten kann. In der heutigen Zeit, in der wir mit ansteckenden Viren konfrontiert sind, die unsere Gesundheit bedrohen, lernen wir, dass Abstand und Abstinenz gegenüber Körperberührungen unser alltägliches Leben bestimmen. Der Neurowissenschaftler Francis McGlone, Liverpool John Moores University, bemerkt in einem Interview, dass »es das erste Mal in der Evolution ist, dass Primaten gesagt wird, sie sollen sich nicht berühren. Es ist ein Präzedenzfall, die Kosten und die Folgen kennen wir nicht genau. Aber wir sehen, dass seelische Probleme zunehmen«2. Die Gefahr besteht, dass wir reflexionslos in eine vereinsamte und vernachlässigte Körperlichkeit hinabgleiten, deren Umfang wir im Rahmen dieses Lehrbuches nur am Rande erwähnen können.

Der heutige Mensch sucht nach seelischer Erleichterung, er sucht nach innerem Frieden. Die Forderungen des modernen Lebens sind immens und reduzieren sich in vielen Bereichen auf das reine Überleben. Entspannung erhoffen sich viele Menschen auch durch die digitale Welt, ob Computerspiele, Social Media oder TV. Die rasenden Bilderwelten in Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. bedienen im Gehirn gesonderte Bereiche (Korte 2020), die in keiner Verbindung zur seelisch-körperlich-geistigen Regeneration stehen.

Zukunftsblickend ist es die Berührungsmedizin, die versucht, einen Bogen zwischen den Erkenntnissen der modernen Berührungsforschung und der klinischen Medizin zu spannen (→ Kap. 11). Hiervon werden sich Patientinnen angezogen fühlen, die aufgrund der Folgen ihrer Lebensmodelle physisch und psychisch erkranken oder die eine neue, heilsame und würdevollere ärztliche Behandlung suchen. Der Begriff »Berührungsmedizin« entstand nach vielfachen Diskussionen in einer süddeutschen Arbeitsgruppe in engem Kontakt mit internationalen Experten. Die Teilnehmer dieser Arbeitsgemeinschaft beschäftigen sich mit verschiedenen Formaten der Berührungsmedizin im Hinblick auf Forschung und klinische Anwendung. 2022 wurde die Deutsche Gesellschaft für Berührungsmedizin e. V. gegründet. Frau Dr. med. Michaela Maria Arnold praktiziert bereits »berührungsmedizinisch«; ihren Beitrag zur praktischen Umsetzung können Sie im Kapitel 11.2 lesen.

Die Massagetechnik, die in diesem Lehrbuch detailliert vorgestellt wird, blickt auf eine Entwicklungs- und Praxiszeit von mehr als dreißig Jahren zurück und gilt als wissenschaftlich begründete Methode: die Psychoaktive Massage nach Gabriele Mariell Kiebgis®, kurz PAM GMK®. Sie geht weit über die Grundelemente von Technik und Ausführung in verschiedenen »Spielarten« hinaus. Praktikerinnen beschreiben aus ihrer Sicht Erfahrungen und Behandlungserfolge, die zusätzlich durch eigene und andere wissenschaftliche Studien über die Anwendung der Psychoaktiven Massage sowie Beiträge aus der neurobiologischen und psychoneuroimmunologischen Forschung untermauert werden.

Wir hoffen, dass das Lehrbuch zum Umdenken anregen wird und nicht nur diejenigen anspricht, die selbst eine Ausbildung darin anstreben. Es ist ein umfassendes Sachbuch über die Grundlagen therapeutisch-heilsamer Berührung und gibt einen tiefgehenden Einblick in die psychische Körperlichkeit. Etwas, das noch nicht beschrieben ist und aus der Praxiserfahrung stammt. Dieses Lehrbuch ersetzt jedoch keineswegs eine entsprechende Ausbildung.

Die hier dargestellte Psychoaktive Massage ermöglicht neben der tiefen körperlichen, seelischen und geistigen Regeneration eine Wiederbegegnung des Menschen mit seinem Wesen, um es langsam und bedacht hervorzubringen und für ein in Balance ausgerichtetes Leben zu integrieren.

Wegweiser

»In jedem ruht ein Bild dess’, was er werden soll, solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.«

(Angelus Silesius, 1624–1677)

In Kapitel 1 erfahren Sie etwas über die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Psychoaktiven Massage nach Gabriele Mariell Kiebgis®. Darin können Sie den Prozess nachvollziehen, wie sich aus dem reinen Anfassen über das Fühlen, Spüren, Empfinden und Wahrnehmen diese integrativ-komplementäre Massagetherapie entwickelt hat.

In Kapitel 2 werden die neurobiologischen Grundlagen, die Intelligenz der Haut und die darunterliegenden C-taktilen Nervenfasern beschrieben. Wir erläutern die Funktion der Interozeption und das »Hormon der Nähe«. Prof. Dr. Dr. Christian Schubert, Arzt und Psychologe, forscht seit vielen Jahren über die Wechselwirkungen zwischen Psyche, Gehirn und Immunsystem. Ohne sein Mitwirken hätten wir die Psychoneuroimmunologie nicht kompetent erklären können (→ Kap. 2.2). Wir danken Christian Schubert sehr für seinen Beitrag in diesem Lehrbuch.

Kapitel 3 vermittelt Basiswissen zu den körpertherapeutischen Grundlagen, über das Körper- und Leibgedächtnis, die Körperhaltung, die Körperordnung und das Gewohnheitsprinzip. Es gibt Einblicke in die Bestandteile der Emotionen, die emotionale Anatomie sowie zur psychologischen Bedeutung einzelner Körperbereiche. Mit diesen Grundlagen gestalten wir aus einer Massage eine Psychoaktive Massage.

Hinzu kommen im Kapitel 4 Informationen zu den Voraussetzungen für die Anwendung der Psychoaktiven Massage. Zum einen erläutern wir die therapeutische Haltung und die Kompetenzqualität der Massagepraktikerin. Weiterhin erklären wir die Voraussetzungen für die Klientin und für wen eine Psychoaktive Massageanwendung geeignet ist. Detailliert beschreiben wir die Achtsamkeit hinsichtlich sensibler Bereiche sowie sinnvolle Zeitfenster, Material und Ausstattung für den Massageraum. Zum anderen geht es um den »achtsamen Kontakt«, den »Vertrag« zwischen Klientin und Therapeutin, die Gestaltung des »körperorientierten Gesprächs« sowie die Wahrung von Intimität.

In den folgenden Praxiskapiteln (Kap. 5 bis 9) wird die Psychoaktive Massage vom Beginn bis zum Abschluss mit folgenden Grundlagen detailliert vorgestellt:

Massagetechnik

Massagerhythmus

medizinische Anatomie

Einhaltung der Körperordnung

psychologische Bedeutung

emotionale Anatomie

Ziel

Ausführung

In diesen umfassenden Kapiteln werden die emotionale Anatomie sowie die psychologische Bedeutung von Körperbereichen und einzelnen Körperteilen vorgestellt. Diese Sicht auf den menschlichen Körper vermittelt ein neues Verständnis über den Zusammenhang von Körperbewegung, Körperhaltung und Emotionen.

Die psychologische Bedeutung beschreibt einzelne Körperbereiche in ihrer seelischen Funktion und Wahrnehmung. So ist die Hand ein Körperbereich, mit dem wir beispielsweise Geben und Nehmen, Halten und Tragen, Fallenlassen oder Heranziehen. Dieses Wissen ist in der Psychoaktiven Massagetechnik für die Art und Weise der Massageberührung wichtig.

Die emotionale Anatomie und die psychologische Bedeutung können wir auch aus Sicht der gesellschaftlichen Normen sehen. Dabei geht es um die Weitervererbung von körperlichen Werten und Bewertungen. Der Volksmund trägt Glaubenssätze in jede Gesellschaftsschicht hinein, z. B. »das breite Kreuz« oder »die kalte Schulter zeigen«, die unter anderem die Grundlage für das emotionale Empfinden über den eigenen Körper bilden.

Den Abschluss bilden jeweils unsere Hinweise zur »Ausführung«. In diesen Abschnitten werden das genaue Vorgehen sowie die einzelnen Massageschritte ausführlich beschrieben und durch farbige Abbildungen veranschaulicht.

Aus den gewonnenen Kenntnissen über Berührung und ihre Wirksamkeit schauen wir uns im Kapitel 10 die therapeutische Berührung bei Menschen mit einer Depression, mit Tumorerkrankungen, einer Fatigue-Belastung und mit Long COVID an. In diesem Kontext blicken wir in die Pflege und in die medizinischen Praxen.

In Kapitel 11 werden Berührungsmethoden vorgestellt, die ohne zusätzlichen Aufwand in der Pflege oder im klinisch-psychotherapeutischen Kontext auf die Stärkung des Immunsystems wirken. Wir stellen Ihnen die therapeutische Haltung vor, mit der Sie diese heilsame Berührung als natürliche »Kommunikationsebene« in Ihrem Pflege- und Therapiealltag anwenden können. Dafür benötigen Sie kein zusätzliches Zeitfenster, vielmehr erfahren Sie, wie sie damit für sich selbst eine entspannte und regenerierende Erfahrung in Ihren beruflichen Alltag einflechten. In dieser Aufbereitung können wir die enorme Macht der sanften Berührung für eine psychophysische Gesundheit erkennen.

Kapitel 12 informiert über die aktuelle Studienlage und die wichtigsten Studien in der Forschung. Dieses Kapitel konnten wir nur mit den hilfreichen Hinweisen sowie der konstruktiven und kritischen Durchsicht von Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen erstellen, dem wir hierfür sehr dankbar sind.

Bedanken möchte ich mich bei jenen Klientinnen, die ihre Zustimmung zur Veröffentlichung ihrer Rückmeldungen nach einer Behandlung mit der PAM GMK® gegeben haben. Diese ausführlichen Berichte finden Sie im Anhang dieses Lehrbuchs.

Weitere Informationen über die zertifizierten, berufsbegleitenden Ausbildungen und zu den beschriebenen Inhalten erhalten Sie über die Autorin Gabriele Mariell Kiebgis, Institut für Psychoaktive Massage & Berührungsmedizin, Kressbronn am Bodensee, unter www.ipamb.de und www.koerpertherapie-am-bodensee.de; Email-Anschrift: [email protected]

1 Die Entwicklung der Psychoaktiven Massage

»Heilung beginnt mit einem ruhigen Herz in einem entspannten Körper.«

(Gabriele Mariell Kiebgis)

Massage ist eine alte Heilkunst, deren Entstehung, Entwicklung und Anwendung in verschiedenen Büchern umfangreich publiziert sind. In diesem Lehrbuch beschreiben wir detailliert die Methode der »Psychoaktiven Massage nach Gabriele Mariell Kiebgis®« (PAM GMK®), welche in den Jahren 1994 bis 2012 entwickelt wurde. Diese Methode löst positive psychophysische Kurz- und Langzeiteffekte aus, was durch eine wissenschaftliche Studie belegt wurde (Kiebgis et al. 2018). Zudem ist sie vom Deutschen Patentamt markenrechtlich geschützt. Für Interessierte besteht seit 2018 die Möglichkeit für eine zertifizierte, berufsbegleitende Ausbildung in der PAM GMK®.

1.1 Von der klassischen Massage bis zur integrativ‑komplementären Therapie

Alles begann in Hamburg während des Mauerfalls in Berlin. Ich war Teilnehmerin eines Workshops für »Begegnung«. Der Trainer stellte einen Stuhl auf die Bühne, setzte sich darauf und sprach kein Wort. Alle Teilnehmer saßen wie im Theater in Stuhlreihen vor der Bühne und warteten auf seine Darstellung. Die Erwartungshaltung war enorm, doch es passierte nichts. Auch nach zehn Minuten passierte nichts. Nach zwanzig Minuten erschien den Teilnehmern die Gegenwart wie ein schlimmer Film, große Zweifel über die Wirklichkeit der Szenerie durchbohrten die Atmosphäre. Der Trainer saß ungerührt und wortlos auf seinem Stuhl und blickte in die Menge. Irgendwann bewegte sich ein Teilnehmer, indem er sich etwas gemütlicher auf seinem Stuhl platzierte. Die atemlose Stille war für einen Moment gebrochen, in welchem der Trainer ein kaum sichtbares Nicken an den Teilnehmer richtete. Danach verdichtete sich der Raum sofort wieder in eine peinliche Stille. Es vergingen schreckliche Minuten, bis erneut ein Teilnehmer sich gemütlich auf seinem Stuhl platzierte. Auch dieses Mal sandte der Trainer ein kaum wahrnehmbares Nicken. Viele hatten diese nonverbale Kommunikation nicht mitbekommen. Es vergingen mehr als sechzig Minuten Qual, bis auch ich dann irgendwann kapierte, dass sich die Situation erst durch eine Erkenntnis auflösen ließ. Diese Erkenntnis, die sehr langsam durch fast alle Teilnehmer floss, hieß: Es gibt Situationen im Leben, die sich nicht willentlich ändern lassen. Bis sich etwas verändert, sollte man es sich gemütlich machen. Das heißt, sich geistig, körperlich und damit auch seelisch gut einrichten. Alle Teilnehmer begriffen, dass immer wieder Situationen das Leben verändern, die nicht günstig sind. Und dennoch haben wir in all diesen Phasen die Wahl, uns so gut wie möglich darin einzurichten.

In der späteren körpertherapeutischen Ausbildung erlebte ich diese Momente vielfach. Sie eröffneten eine Reihe von Möglichkeiten, mein Wohlbefinden selbst zu gestalten. Das war eine Erfahrung, die in meiner heutigen Arbeit als Körpertherapeutin eine wichtige Grundlage spielt.

1.1.1 »Etwas ist unter der Haut?«