Leipzig 3 - Claudine Hirschmann - E-Book

Leipzig 3 E-Book

Claudine Hirschmann

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Beschreibung

Aus dem Inhalt: Leipzig, die kleine Stadt mit dem großen Rufe, hat von jeher viel von sich reden gemacht. Es gehört sogar zu ihren Eigentümlichkeiten, wenn auch nicht gerade Vorzügen, (wie ihre Lerchen, ihr Allerlei und ihre (Buchhändler-) Krebse), dass die Bücher über Leipzig fast so zahlreich sind wie die über Paris und London und eine Sammlung derselben die Wände eines Zimmers von mittlerer Größe vollständig bedecken würde. Gelesen werden freilich diese Schriften voll tieflangweiliger Gelehrsamkeit, voll maßlosen Lobes oder Tadels nur von äußerst wenigen, während doch viele Tausende ein lebhaftes Interesse an der merkwürdigen Stadt nehmen, teils weil sie die Universität derselben oder ihre anderweitigen Bildungsanstalten besuchten, teils weil sie auf den Messen Geschäfte machten oder machen wollen, teils weil sie mit Leipzig, als dem Haupt- und Knotenpunkt des deutschen literarischen und buchhändlerischen Verkehrs in Beziehungen stehen. Allen diesen will die vorliegende Schrift in unterhaltender Weise erzählen, wie Leipzig ist und wie es wurde, was es ist. Man erwarte demnach weder historische Untersuchungen, noch statistische Tabellen, sondern leicht skizzierte Bilder und Schilderungen von den Zuständen Leipzigs in der Vergangenheit und Gegenwart, sodass Fremde, die unsere Stadt besuchen, sie lesen und als Andenken aufbewahren mögen.

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Regionalliteratur

Auf historischen Spurenmit Claudine HirschmannLeipzigSkizzen aus der Vergangenheit und Gegenwartnach August Diezmann  

No 3

___________

transkribiert, überarbeitet, ergänztund bebildert

Neuausgabe für heutige Leser

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über folgende Adresse abrufbar: http://dnb.dnb.de

IMPRESSUM© 2024 gerik CHIRLEKWebsite: www.historisches-bucharchiv.deBeratung: Dr. Tankred HirschmannCovergrafik: Carl Benjamin Schwarz

ISBN: 978-3-384-21255-9 (Taschenbuch)ISBN: 978-3-384-21256-6 (Hardcover)ISBN: 978-3-384-21257-3 (E-Book)ISBN: 978-3-384-21258-0 (Großdruck)

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: gerik CHIRLEK, Stuttgarter Allee 41, 04209 Leipzig, Germany.

In liebevollem Gedenken

Abb. 0.1: 

Brigitte Hirschmann (14.03.1939 – 03.04.2019)

Abb. 0.2: 

Niederländisches Familienwappen Groote (Groth)

Brigitte Hirschmann, geborene Groth (Groote) wurde in den Kriegsjahren geboren und wuchs in Lützen auf. Früh zeigten sich verschiedene Begabungen, spielte sie unter anderen mehrere Instrumente, doch galt ihr hauptsächliches Interesse der Literatur sowie Leipziger Stadtgeschichte. Als geschätzte Lehrerin und herzensgute Mutter vermittelte sie stets, den ideellen Wert in den Dingen zu sehen und zu schätzen.

So setzte sie sich leidenschaftlich für die Bewahrung historischer Zeitzeugnisse ein und war maßgeblich am Entstehen der Buchreihe »Auf historischen Spuren« beteiligt.

In Wertschätzung, Dankbarkeit und Liebe setzen ihre Kinder die Reihe fort, um die ihnen geschenkte Liebe zu Büchern und zur Stadt Leipzig weiterzutragen und ihr Wirken über heutige Generationen hinaus lebendig zu halten.

Brigitte Hirschmann lebte viele Jahre in ihrer geliebten Stadt Leipzig, die sie für ihre Kinder mit ihnen verließ und bis zum letzten Tag auf eine gemeinsame Rückkehr hoffte. Leider war ihr das zu Lebzeiten nicht gegönnt. Ihre letzte Ruhestätte fand sie im Familiengrab auf dem Friedhof in Leipzig-Gohlis.

Abb. 0.3: 

Familiengrab Hirschmann, Leipzig-Gohlis

Inhaltsverzeichnis

VorwortVorwort der Originalausgabe1  Die Leipziger sonst und jetzt2  Ein Gang durch die Stadt3  Bilder aus der Geschichte Leipzigs 3.1  Stiftung der Universität (1409) 3.2  Gegen die Türken (1456) 3.3  Die Leipziger Disputation (1519) 3.4  Folgen der Disputation 3.5  Belagerung der Stadt (1547) 3.6  Neue Glaubenstyrannei (1574) 3.7  Ein Knabenraub (1596) 3.8  Tilly und der Leipziger Totengräber (1631) 3.9  Gotzkowsky (1759) 3.10  Napoleon, das erste Mal in Leipzig (1807) 3.11  Nach der Schlacht (1813)4  Leipzig als Messe- und Handelsstadt5  Wissenschaft und Kunst in Leipzig 5.1  Die Universität 5.2  Das Theater 5.3  Das große Konzert 5.4  Das städtische Museum6  Die Leipziger OperBildverzeichnisBekanntschaft mit Claudine Hirschmann

Vorwort

Mit der Reihe »Auf historischen Spuren« hat sich die Autorin zur Aufgabe gemacht, Literatur vergangener Jahrhunderte für heutige Leser aufzubereiten und wieder verfügbar zu machen. Dabei werden Änderungen, die sich beispielsweise aus der Überprüfung historischer Fakten ergeben, schonend eingearbeitet und der Schreibstil des Verfassers möglichst unverändert übernommen, um den Sprachgebrauch der damaligen Zeit zu erhalten.

Mitunter gar um Missverständnisse zu vermeiden, gehören auch Änderungen hinsichtlich Orthografie zur Überarbeitung. Denn lange Zeit schrieb man nach Gefühl oder eben herrschenden Meinungen und das gleiche Wort in einem Text auch unterschiedlich. Erst im Jahre 1880 veröffentlichte Konrad Duden das erste deutsche Wörterbuch, welches sich nachfolgend als allgemein gültiges Regelwerk etablierte.

Das vorliegende Buch enthält gegenüber vorangegangenen Ausgaben unter anderen Berichtigungen kleinerer Irrtümer, die aus einer weiteren Recherche offensichtlich wurden, Ergänzungen aus der Sichtung zusätzlichem Datenmaterial, außerdem eine Vielzahl an Bildern, die zur Veranschaulichung der in den Berichten erwähnten Einzelheiten beitragen.

Als Vorlage für das Buch diente:

• Johann August Diezmann:Leipzig. Skizzen aus der Vergangenheit und Gegenwart. 1856.
 Johann August Diezmann (1805 bis 1869), studierte Medizin sowie Naturwissenschaften, lebte als Privatgelehrter und verdiente sich insbesondere mit seinem literarischen Schaffen Anerkennung.

Leipzig, im Mai 2024Claudine Hirschmann

Abb. 0.4: 

Plan von Leipzig (Kunstverlag in Schweinfurt)

Vorwort der Originalausgabe

Leipzig, die kleine Stadt mit dem großen Ruf, hat von jeher viel von sich reden gemacht. Es gehört sogar zu ihren Eigentümlichkeiten, wenn auch nicht gerade Vorzügen, wie ihre Lerchen, ihr Allerlei und ihre (Buchhändler-)Krebse, dass die Bücher über Leipzig fast so zahlreich sind, wie die über Paris und London und eine Sammlung derselben die Wände eines Zimmers von mittlerer Größe vollständig bedecken würde. Gelesen werden freilich diese Schriften voll tieflangweiliger Gelehrsamkeit, voll maßlosen Lobes oder Tadels, nur von äußerst wenigen, während doch viele Tausende ein lebhaftes Interesse an der merkwürdigen Stadt nehmen, teils weil sie die Universität derselben oder ihre anderweitigen Bildungsanstalten besuchten, teils weil sie auf den Messen Geschäfte machten oder machen wollen, teils weil sie mit Leipzig, als dem Haupt- und Knotenpunkt des deutschen literarischen und buchhändlerischen Verkehrs, in Beziehungen stehen. Allen diesen will die vorliegende Schrift in unterhaltender Weise erzählen, wie Leipzig ist und wie es wurde, was es ist. Man erwarte demnach weder historische Untersuchungen noch statistische Tabellen, sondern leicht skizzierte Bilder und Schilderungen von den Zuständen Leipzigs in der Vergangenheit und Gegenwart, sodass Fremde, die unsere Stadt besuchen, im Eisenbahnwagen oder, in einer geschäftslosen Stunde, im Gasthaus sie lesen und als Andenken aufbewahren mögen, Leipziger selbst aber ihre Heimat, wenn auch nicht besser kennen, doch höher schätzen und treuer lieben lernen.

Abb. 0.5: 

Paulinerkirche Leipzig um 1839 (Ernst Wilhelm Straßberger)

Leipzig, Ostermesse 1856August Diezmann

1  Die Leipziger sonst und jetzt

»Leipzig, die fürnehm Handelsstadt,Ein Windisch Volk erbauet hat,Welch’s man Soraben hat genannt,Das weit und breit worden bekannt.Es war Lipzk ihr erster Nam,Den sie vom Lindenbusch bekam,So in der Gegend g’standen ist,Wie man hievon geschrieben list«,

singt Andreas Goldmayer in seinem 1645 in Nürnberg gedruckten Buch, in welchem er aus astrologischen Gründen nachzuweisen sucht, dass der Grundstein unserer Lindenstadt 41 Minuten nach 1 Uhr am Sonntagvormittag, den 16. April des Jahres 551, gelegt worden ist.

Wir können diese und andere Angaben über die Gründung Leipzigs auf sich beruhen lassen, es bleibt doch so viel gewiss, dass die »fürnehme Handelsstadt« zu den alten Städten Deutschlands gehört, obgleich erstens ein Zeuge ihrer Gründung heute noch lebt, die vielbesuchte »große Eiche« nämlich in der Nähe des Dorfes Ehrenberg, die einen Umfang von fünfzehn Ellen hat und der man ein Alter von mindestens tausend Jahren zuschreibt, und zweitens Goethe vor fast hundert Jahren schon sagt: »Leipzig ruft dem Beschauer keine altertümliche Zeit zurück. Es ist eine neue, kurz vergangene, von Handelstätigkeit, Wohlhabenheit und Reichtum zeugende Epoche, die sich uns in diesen Gebäuden ankündigt.« Wegen dieser Handelstätigkeit und Wohlhabenheit wurde die Stadt aber auch zu allen Zeiten, unbescheidener in den früheren als in den neueren, in Worten und Schriften gepriesen.

So schreibt 1721 Iccander in »das in ganz Europa berühmte galante und sehenswürdige königliche Leipzig«: »Die Hauptkauf- und Handelsstadt, das Auge des Kurfürstentums, die Mutter der Musen unseres Sachsenlandes, der Ausbund aller civilité und die Lehrmeisterin aller Sitten, die Perle der sächsischen Kaufmannschaft, wo nicht nur ganz Europa, sondern auch Asia, Afrika und Amerika aus der Ferne Kaufwaren in Menge zusammenschütten, die mit den schönsten und uralten Freiheiten vor andern beglückte Festung, das kleine Meißner Rom, zählt man mit höchstem Rechte unter die besten Städte Deutschlands und wird leicht kein Passagier durch die Welt reisen, der nicht diesen Ort besuchen, besehen und bewundern, auch sich eine Zeit lang allda mit höchstem Vergnügen aufhalten sollte, sintemalen jeder darin findet, was nur das Herz wünschen kann.« Ein anderer alter Schriftsteller vergleicht Leipzig mit einem goldenen Ring, der mit »zwo unschätzbaren Juwelen« geschmückt sei, womit er »die Kaufmannschaft und die Universität« meint. Auch der Ausspruch in Goethes »Faust« ist nicht zu vergessen:

»Mein Leipzig lob’ ich mir!Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.«,

den die Leipziger oft im Mund führen, ohne zu bedenken, dass ihn der Student Frosch in Auerbachs Keller in der Trunkenheit tut.

Man hat Leipzig sogar nicht selten das Hirn oder den Kopf Deutschlands genannt. Und der berühmte Leipziger Prof. Carpzov schrieb in viele Stammbücher:

Extra Lipsiam non est vita,Si est vita, non est ita.Außer Leipzig gibt es gar kein Leben,Gibt es solches, ist’s ihm doch nicht eben.

Die Stadt, die sich jedenfalls immer einen großen Namen zu wahren gewusst hat, ist eigentlich klein, denn man umgeht sie bequem in einer halben Stunde in den freundlichen Anlagen, welche an der Stelle der ehemaligen Festungswerke angelegt worden sind und die eigentliche Stadt umgrenzen. Erst seit neunzehn Jahren dehnen sich die früher unbedeutenden Vorstädte nach allen Seiten ansehnlich aus, ja sie bilden nach Osten und Westen hin neue Städte, Töchter zum Teil stattlicher und schöner als die Mutter, die zwar alt ist, aber das Regiment sich nicht entreißen lässt, denn den eigentlichen Verkehr, die Verwaltung und die Universität umschließt noch immer der verhältnismäßig beschränkte Raum der Altstadt, der City, wie die Londoner sagen würden.

In der neuesten Schilderung Leipzigs (Allgemeine Augsburger Zeitung, Nr. 323 vom Jahre 1854), aus der Feder eines scharf beobachtenden Schriftstellers, der nachstehende Mitteilung gestattet, heißt es in etwa:

»Eine wunderlich zusammengewürfelte Bewohner- schaft siedelt in dieser Handelsstadt an Elster, Pleiße und Parthe. Die Firmen zeigen schweizerische, französische, italienische, spezifisch süd-, spezifisch norddeutsche Namen. Unter den niederländischen sind die Nachkommen der vom Herzog Alba vertriebenen Antwerpener Kaufleute, unter den französischen manche, welche die Aufhebung des Edikts von Nantes zur Auswanderung zwang. Hieran mag es größtenteils liegen, dass die Stadt in der Sitte des Hauses so wenig wie im öffentlichen Leben einen ausgeprägten Charakter zeigt. Jene wahrhaft patriotische Anhänglichkeit des Bremer Kaufmanns an seine Vaterstadt, jener tiefbegründete Ehrgeiz, dem Gemeinwesen zu dienen und zu Hamburgs Ruhm beizutragen, der den Hamburger Kaufmann neben dem Geschäftseifer beseelt, fehlt in Leipzig, wo die städtische Repräsentation die letzte Entscheidung in den wichtigsten Angelegenheiten den königlichen Behörden zu überlassen hat. Jene Rivalität des Börsen- und Kaufherrn mit dem Adel, welche dem Luxus, dem Vergnügen, dem geselligen Ton von Frankfurt a. M. die einfache und ungesuchte Eleganz gibt, fehlt in Leipzig, wo sich unter siebzigtausend Einwohnern, die Offiziere und Offizierswitwen mitgerechnet, kaum siebzig Adelige finden und diese so wenig wie der Beamtenstand und die Universität begütert genug sind, um dem Kaufmann zu zeigen, wie der Reichtum mit Anstand bemerkbar zu machen ist. Vielfach fehlt die Redseligkeit an diesem Platz, der Kern der Artigkeit, der nachhaltige Wert, und der Liberalismus Leipzigs ist bekanntlich stark ausgewachsen wie nasses Getreide.

Es ist bezeichnend, dass der ›höhere‹ Leipziger Kaufmann dem Fremden gegenüber leicht eilig Leipzigerisch spricht und das Gesagte dann bedachtsamer in dem Deutsch des gebildeten Mannes wiederholt.

Es fällt auf, dass man trotz der großen Kapitalien, welche hier fundiert sind, in den Straßen fast gar keine Equipagen, Reitpferde und Livree-Bediente bemerkt. Wäre das kernbürgerlich, und beruhte es auf grundsätzlicher Einfachheit, so müsste es gelobt werden, allein man ist zu bequem, um sich am Pferde zu freuen, man zieht diamantene Knöpfe und Diamantschmuck auf den Bällen vor, um Staunen zu erregen, und man ist nachsichtig genug, die Aufwartung durch emeritierte Markthelfer und hübsche Stubenmädchen besorgen zu lassen. Dass außerdem die Musik vom vollendeten Gewandhauskonzert bis zum Klimperkasten in jedem Haus eine so bedeutende Rolle spielt, ist ebenfalls ein Merkmal der in Leipzig vorherrschenden Lebensauffassung geworden.

Der Ehrgeiz vieler, ein stattliches Haus mit Garten zu besitzen, lässt in der Dresdner Vorstadt und an der Weststraße manchen schönen Bau emporsteigen. Oft fühlt man sich gedrungen, stehen zu bleiben und an Villen sowie Reihenhäusern Portal, Sims, ja den ganzen Aufriss zu bewundern und die tüchtige Durchführung einer architektonischen Idee anzuerkennen.

In die Häuser wollen wir nicht näher eindringen. Es befinden sich manche hübschen Sammlungen von Gemälden und Handzeichnungen darin. Es gibt kostbare Gewächshäuser, ganze Kolonien von Singvögeln und Sammlungen von Meerschaumpfeifenköpfen, aber Bibliotheken gibt es in den Kaufmannspalästen, trotz der Nähe des Buchhandels und der Universität, nur wenige. Männer, welche Leipzig länger beobachteten als wir, behaupten, dass Sinn für wahre Poesie oder gar für ernste Wissenschaft in kaufmännischen Regionen nur sparsam verteilt sei. Anzuerkennen bleibt dagegen unter allen Umständen die große Wohltätigkeit dieser Kreise. Die reichen Familien sind wohltätig aus Christentum, aus Humanität, aus schöner Gewohnheit und gutem Ton. Sie sind es mit voller Hand, wie die wohldotierten Versorgungshäuser für Armut und Alter, und die großen Hospitäler beweisen, dass deren wissenschaftlichen Direktoren die Liberalität der aus der Kramer-Innung hervorgehenden Verwalter nicht genug zu loben wissen. Nicht leicht wird von diesen die Bewilligung für kostspielige Instrumente oder für zweckmäßige Erweiterung der Anstalt abgeschlagen, und wenn die Stiftungsgelder nicht ausreichen, so werden gern und geräuschlos aus Privatkassen die Zuschüsse herbeigeschafft. Auch die weniger hervorragenden Kreise sind mildtätig, aber dann echt kaufmännisch in festen Terminen und gegen Quittung des Almosenempfängers.

Höhere Geselligkeit findet nur in wenigen Häusern freundliche Pflege. Meist wird der eingeführte Fremde zu einem splendiden Diner oder Souper eingeladen und auf einen Gewandhausball ›mitgenommen‹. Damit enden die Beziehungen, da in Ermangelung des Teetisches einer liebenswürdigen Dame das Wiederkommen äußerst erschwert ist. Einheimische statten in den Kreisen, welche ein Haus machen, nach der Rückkunft der Dame aus dem Bad oder dem ländlichen Sommeraufenthalt ihre Visite ab, werden zu den üblichen glanzvollen Quartalgesellschaften geladen, übrigens aber ruht die Bekanntschaft. Fast nur in jenen Kreisen, wo die Sonntagspredigt, Kirchen- und Missionsangelegenheiten die Unterhaltung bilden, herrscht Herzlichkeit, weiterhin – Politur. Haben sich die Herren den Tag über geschäftsmäßig bemüht, Geld zu machen, so gewährt das Geld auch die Abendunterhaltung am Spieltisch. Der L’Hombresatz zieht die Demarkationslinie zwischen den verschiedenen geschlossenen Gesellschaften, unter denen die ›Harmonie‹, welche seit 1775 besteht, die Erste ist. Dort halten die Notabilitäten der Börse und was sich ihnen anschließt regelmäßige Sitzung, um zum Teil nachher noch bestimmte Keller und Weinstuben zu besuchen. Besonders beliebt sind in der Hinsicht die sogenannten italienischen Warenhandlungen, Auerbachs Keller oder Ferraris trauliche Räume, wo die Düfte von Lachs, Orange und Mandarinenarak die Seele betäuben. Die Austernschalen klappern, Codeghini di Cremona, Zampetti di Bologna, Straßburger Gänseleber, russischer Salat, Schafhäuser Ziegenkäse und Chesterkäse befördern den Durst und Porter sowie Ale, Pontet Canet, Chateau Margot, Duc de Montebello und Queen Victoria sind von bester Qualität. Hier sieht man die lustigen Söhne jener ernsten Väter, welche den wahren Fortunat in feuerfesten Kisten mit Alphabetschlössern bewahren. Da stellen sich aber auch die klugen Alten ein, welche 1836 auf einen tüchtigen Pack Dresden-Leipziger Eisenbahnaktien oder Leipzig-Magdeburger 1841 ihr Siegel drückten und dem tiefsinnig dabeistehenden Freund feierlich zuraunten: ›Die müssen gut werden.‹ Man spricht natürlich vom Geld und denkt im Stillen an all die Dinge, welche für Geld zu haben sind. Man spricht von sechzig Talern Umsatz am Spieltisch und dem wunderbaren Fall der Karten, den Kaufmann dagegen zu fragen, wie stark die Bestellungen aus Frankfurt oder Hamburg waren, verrät den Fremdling auf diesem Gebiet, und jener wird eine ausweichende Antwort geben, selbst wenn der Ananaspunsch sehr stark war. ›Wenn die Neugroschen des Detailhandels nicht wären‹, heißt es, ›so wäre ich ein geschlagener Mann‹, allein der Kellner, welcher sich aufs Augenzwinkern versteht, hat unvermerkt eine zweite Flasche Veuve Clicquot gebracht. Auf meine schüchterne Frage: ›Was versteht man in Leipzig unter einem guten Geschäft?‹, erhielt ich die Antwort: ›Dreißigtausend Taler Nettogewinn bei einem Umsatz von einigen Hunderttausenden.‹

Kontoristen und Kommis sind auf Theater, Konzert, Wein- und Bierhaus angewiesen. Sie sind in sozialer Hinsicht ohne Anhalt in der Familie des Prinzipals und sich selbst überlassen, weil ihrer zu viel geworden, als dass die patriarchalische Sitte, sie abends wie mittags am Tisch zu sehen, fortbestehen könnte. Ausnahme wird nur der Einzelne bilden, der ›aus gutem Haus‹ stammend, bald nach dem Überschlag des gegenseitigen Vermögens die Zuneigung einer Tochter gewinnt. Ganz ohne Studien gehen die geschäftsfreien Stunden für den jungen Kaufmann wohl nicht vorüber, da namentlich die Übung in fremden Sprachen täglich unerlässlicher wird. Neben mannigfacher Lektüre werden mehr Verse angefertigt als nötig und wünschenswert, und statt der Frachtbriefe stilisiert der künftige Handelsherr jene anderen Briefe, die auf Rosa geschrieben zu werden pflegen. Der Kommis bedarf in seiner Isolation des weiblichen Umgangs als Herzenszuflucht, wie er versichert, und die Putzmacherin findet in ihm eine Stütze, wenn auch nur eine vorübergehende. Er versorgt das Mädchen mit Handschuhen, Hut und Mantille, da der Wochenlohn des hübschen Kindes nicht so weit reicht, und sie begleitet ihn nach Machern und Schkeuditz, wohin der Prinzipal so leicht nicht vordringt, und an den Winterabenden in die verschiedenen musikalischen Unterhaltungen. Besitzt er oder sie ›Hausschlüssel und separaten Eingang‹, wie es bei den gesuchten und angebotenen kleineren Wohnungen beständig heißt, so wird das Verhältnis unstreitig vertrauter, und Berangers Vers’on peut manger sans nappe’ erhält der Grisette heiterste Zustimmung, wenn der Freund ihr das Konfekt in der Tasche mitbringt. Dass der Kommis der Erste ist, welcher sich eine neue Mode aneignet, um den Beweis zu liefern, dass er die Idee des Pariser Kleiderkünstlers vollständig durchdrang, und dass der neue Schnitt, sei er noch so abgeschmackt, weder einen an sich untadelhaften Wuchs beeinträchtigt noch die elegante Bewegung stört, ist sein Vorrecht. Dass sich jeder Wirt der Ankunft dieser jungen Herren freut, die hinsichtlich des Aufwands den Studenten meist überlegen sind, deuten diese als Glück und nicht als Verdienst.

In der Niederlage zwischen Ballen und Kiste ist der Markthelfer, wie der Totengräber auf dem Gottesacker, die uneigennützigste Seele von der Welt. Er verwaltet die ihm anvertrauten Reichtümer für geringen Lohn mit Treue und Umsicht und wird dafür höchstens Familieninventar, dem bei der Last der Jahre die Schultern erleichtert werden, um den Briefbesteller und Aufwärter im Haus des Brotherrn abzugeben und die Enkel desselben in die Schule zu bringen. Packträger und Auflader sind zahlreich genug, um eine eigene freie Zunft zu bilden. Sie lagern, mit tüchtigem Schurzfell angetan, den Riemen des treuen Eisenhaken um die Hand gewickelt, auf den zweiräderigen Karren an den Straßenecken und in bestimmten Schenken, um auf den ersten Wink die größten Lasten wie Dämonen zu umarmen und als süße Beute zu entführen. Unter diesen Lastträgern stecken noch die alten primitiven Spediteure, welche weder lesen noch schreiben können. Sie kennen nur die Fuhrleute von Grimma, Eilenburg und Lützen, aber es kommt alles richtig an. Dieses raue Geschlecht ist das originellste in ganz Leipzig und unter ihm sieht man noch echte Sorbengesichter. Welche Farbe die Jacke dieser Männer ursprünglich trug, wird kein Sterblicher enträtseln. Desto unzweifelhafter ist die Farbe ihrer Nasen, und Pfeife und Zigarre bester Qualität müssen während der Mußestunden vor der Eisenbahn sowie dem Lagerhaus und auf dem Markt beständig glimmen. Geht’s an das Zechen, so wird erst Schnaps getrunken, um das Weißbier vertragen zu können und dann wieder Schnaps, weil das Weißbier kältete. Wo morgens Speckkuchen und abends Schlachtfest angekündigt wurde, da sammeln sich diese zollvereinländischen Teerjacken wie die Wespen und Fliegen um eine angeschnittene Birne, und während Magistrat, Geistlichkeit und gutmütige Tageblatt-Korrespondenten darüber nachsinnen, das geistige und materielle Wohl dieses Standes zu heben, vertrauen löbliche Mitglieder desselben Gottes und ihren Trümpfen und spielen Skat mit einer Leidenschaft, dass sie darüber manchen Taglohn versäumen.«

Es liegt in dieser Schilderung viel Wahrheit, denn die ganze Geschichte Leipzigs bestätigt sie. Von jeher zeichnete sich die Stadt durch ein gewisses Weltbürgertum aus, wenn es auch nur eine Folge davon war, dass in den Messen, jährlich mindestens zweimal, Fremde aus den verschiedensten Ländern in großer Anzahl hier erschienen und die ganze Stadt gleichsam zu einem Wirtshaus machten. Es ließen sich aber auch häufig fremde Handelsleute hier nieder, und die Universität zog seit Jahrhunderten junge Männer herbei, von denen gar manche die ihnen liebgewordene Stadt nicht wieder verließen.

Abb. 1.6: 

Der Marktplatz in Leipzig zur Messe 1844 (unbenannt)

Immer unterschieden sich ferner die Leipziger nicht bloß von den übrigen Sachsen, sondern auch von den meisten anderen Deutschen durch ihre große Vorliebe für Vergnügungen und Genüsse aller Art, durch ihre Leidenschaft für alles Neue und darum auch durch ihre Putzsucht und ihr Haschen nach neuen Moden. Dieses Jagen und Fragen nach Neuem bestätigt eine Schrift aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in welcher es heißt, sobald ein Leipziger irgendjemand begegne, sei seine erste Frage: »Was gibt es Neues?« Die Folge davon war – und ist heute noch – ein ziemlich hoher Grad von Neugierde, der den Leipzigern eigen ist. Auf der anderen Seite gab dieses Streben nach Neuem nicht selten den Anstoß zu Reformen, Veränderungen und Verbesserungen, von denen nicht wenige von Leipzig oder doch von Leipzigern ausgegangen sind.

• In Leipzig begann die Reform des deutschen Theaters durch die Verbannung des Hanswurstesdurch Gottsched und die Neuberin.
• Von Leipzig aus erfolgte die Reform der deutschen Sprache und Literatur durch Lessing, Weiße und deren Freunde.
• In Leipzig wurde die Homöopathie erfunden.
• Leipzig baute die erste große Eisenbahn inDeutschland.
• Der Leipziger Tetzel ward durch seinen Ablasskram die Veranlassung zur lutherischen Reformation, welcher Leipzig bald zufiel.
• Thomasius, der den Hexenprozessen den Todesstoß gab und gegen die Folter und allen Aberglauben eiferte, war Leipziger.
• Leibniz, der Schöpfer der neuen Philosophie, war ebenso Leipziger.
• In Leipzig hatte man die ersten Pietisten.

Im Jahre 1686 fingen einige Theologen an, Vorlesungen für Beförderung der Bibelkunde zu halten, welche man »collegia pietatis« nannte. Diejenigen nun, welche diese Collegia besuchten, namentlich bei Franke, dem nachmaligen Gründer des großen Waisenhauses in Halle, zeichneten sich durch Kopfhängerei aus und wurden spottweise »Pietisten« genannt. Später hielten auch Bürger, namentlich Schneider, solche Bibel- und Betstunden und die Pietisterei griff so sehr um sich, dass ein Reskript der Regierung vom 10. März 1690 alle pietistischen Versammlungen bei Gefängnisstrafe verbot und die Universitäten Leipzig und Wittenberg 1692 bei dem Landtag Vorstellungen gegen den Pietismus einreichten, der sich infolge davon nach Halle zog.

Die Genuss- und Putzsucht der Leipziger hat der Behörde der Stadt von jeher große Not gemacht, wie die zahlreichen Verordnungen und Verbote beweisen, die dagegen erlassen werden mussten oder doch erlassen wurden. Diese alten Verordnungen sind jetzt wertvolle Beiträge zur Sittengeschichte.

Von den Sorben, die Leipzig bauten, weiß man wenig, doch so viel, dass schon die damaligen lipzkischen Mädchen das Haar zierlich in Zöpfe flochten und buntfarbig bedeckten.

Eine gedruckte Kleider- und Wirtschaftsordnung für die Stadt Leipzig hat man schon aus dem Jahre 1506, in welcher es heißt in etwa: »Kein Ratsherr oder der, so ihm gleich geachtet wird, und deren Weiber sollen ein Kleid tragen, dass über vierzig Gulden wert ist. Zobel und Hermelin wird ihnen zu tragen verboten. Zur Kleidung mögen sie brauchen Camelot, Satin und Kartosyk, aber keine Seide außer zu Joppen und Wams. Sie sollen keine goldenen Ketten, Halsbänder und Perlen, kein vergoldetes Silber und Kupfer tragen. Goldene und silberne Stücke sind ihnen gänzlich untersagt, nur zu den Hauben wird ihnen eine Unze Gold gestattet. Den Jungfrauen werden vier Lot Perlen, das Lot aber nur zu vier Gülden erlaubt.

Bürger und Handwerker sollen kein Kleid haben, das höher als zwanzig Gülden zu stehen kommt. Den Bürgerfrauen werden Kleider, die mehr als achtzehn Gülden kosten, alle Edelsteine, Seide, Reiher- und Straußenfedern verboten, nur Perlen, sechs Gülden an Wert, bleiben ihnen gestattet. Die Leinwand, die sie tragen, soll nicht kostbarer sein, als dass man vier Ellen für einen Gülden kaufen mag.

Die gemeinen Weiber oder die öffentlichen H. . . sollen kurze Mäntel tragen, gelb mit blauen Schnüren. Das Hochzeitsgeschenk soll sich nicht über zehn Halbgroschen oder einen Gülden belaufen, bei Strafe von drei Gülden. Ebenso hoch und nicht höher soll auch das Patengeld kommen.«

Das Verbot scheint sehr wenig befolgt worden zu sein, da schon im Jahre 1544 in einer Taxe für die Handwerker, nämlich Schneider und dergleichen eine große Menge Kleidungsstücke als modisch angeführt werden, z. B. für Weiber und Jungfräulein Röcke von Samt, Damast, Seidenatlas, Tobin, Zindeldort, Karteck, Vorstatenröcke, Schaubenröcke, Harrissen- und Satinunterröcke, Umnehmeröcke, samtene Roller, hoch und weit zu Hals, kurze Mäntelchen, weit und durchaus gefüttert.Auch von den Esssitten erfahren wir aus dieser Ordnung. Um fünf Uhr nahm man die Frühsuppe ein, das heißt das Frühstück, welches gewöhnlich aus einer Suppe, in wohlhabenderen Häusern aber auch aus Fleisch, z. B. kaltem Braten, bestand. Schon um sechs Uhr begannen damals die öffentlichen Geschäfte, selbst in den Expeditionen der Behörden. Um zehn Uhr wurde dann das Mittagsessen eingenommen, das man auch Morgenessen nannte. Nachmittags folgte ein Vespertrunk, um fünf Uhr die Abendmahlzeit und vor dem Schlafengehen endlich der Schlaftrunk. Im Winter um acht, im Sommer um neun Uhr des Abends wurde die Caveteglocke geläutet, so genannt, weil sie den Einwohnern ein: »Nehmt Euch in Acht« zurufen sollte, denn wer nach diesem Läuten auf der Straße erschien, musste eine Laterne bei sich haben. Ein jeder, den man ohne Laterne antraf, wurde verhaftet.

Bereits im Jahre 1580 sah sich der Rat von Neuem genötigt, gegen die Kleiderpracht und die Gastereien einzuschreiten. Er verbot selbst den Weibern der vornehmsten Bürger und »tapferen« Kaufleute Samt, goldene oder silberne Stücke zu tragen. Es wurde ihnen nur gestattet, die Kleider mit Samt zu verbrämen, indes genau bestimmt, wie viel sie dazu verwenden durften. Den Jungfrauen war Damast, Tobin und Zindeldort bis zu ihrem Hochzeitstag zu tragen verboten, doch gestattete man ihnen, »Roller« von Samt. An Hauben und Lätzen durften die Frauen und Jungfrauen zwar Gold tragen, aber an einer Haube nicht über zwei, an einem Latz nicht über eine Unze. Edelsteine waren gänzlich verboten, goldene und silberne Ketten nur bis zu einem gewissen Wert erlaubt, nämlich bis fünfundzwanzig Taler, doch sollten sie auf einmal nicht mehr als eine umhängen. Mehr als vier Lot Perlen (das Lot höchstens zu sieben Gülden) durften sie an Hauben und Lätzen nicht verwenden, nur am Hochzeitstag war ein wertvollerer Perlenschmuck gestattet. Zobel und Hermelin blieb ganz verboten. Die Frauen und Töchter der gemeinen Bürger und Handwerker wurden natürlich noch mehr beschränkt, sie durften kein Kleid tragen, das mehr als zwanzig Gülden kostete, zur Verbrämung war nur eine Elle Samt gestattet, der Haubenschmuck durfte nicht mehr als fünfzehn Gülden kosten und der Perlenschmuck höchstens acht. In Bezug auf Hochzeits- und Kindtaufsschmäuse wurden den Vornehmen zehn Tische und zwei für Fremde gestattet.