Licht fürs Leben - B. K. S. Iyengar - E-Book
SONDERANGEBOT

Licht fürs Leben E-Book

B. K. S. Iyengar

0,0
19,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In diesem Standardwerk zur Philosophie des Yoga geht B. K. S. Iyengar weit über die Vermittlung bloßer Techniken und Übungen hinaus. Der weltberühmte Yoga-Meister eröffnet mit großer Klarheit alle Facetten und Tiefen des Yoga. Jede Ebene der Erfahrung – von der körperlichen über die emotionale und mentale bis hin zur überpersönlichen Dimension – wird miteinbezogen. Ein Wegweiser zum höchsten Ziel des Yoga, der vollkommenen Freiheit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 524

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



B. K. S. Iyengar

Licht fürs Leben

Die Yoga-Vision eines großen Meisters

Aus dem Englischen vonSusanne Kahn-Ackermann

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungÜber den Autor und die KoautorenZur Transkription und Aussprache der Sanskrit-BegriffeVorwortEinleitung: Die Freiheit wartetMeine yogische ReiseIhre yogische ReiseKapitel 1Koshas – Die Hüllen des SeinsLeben zwischen Himmel und ErdeSeele (purusha) und Natur (prakriti)Die acht Blütenblätter des YogaIn der natürlichen Welt leben lernenKapitel 2Die wahre Natur der GesundheitGewahrsein: Jede Pore der Haut muss zu einem Auge werdenDynamische Ausdehnung: Aus der Mitte Ihres SeinsEntspannung:Jede Stellung sollte eine Ruhestellung seinLeichtigkeit: Lichtheit und Leichtigkeit im Denken und FühlenBalance: Gleichmaß und Ausgewogenheit bedeuten HarmonieSchmerz: Finden Sie auch im Unbehagen zum BehagenPerfektionieren: Seien Sie immer über jede kleinste Verbesserung glücklichGöttliches Yoga: Führen Sie das Āsana mit Ihrer Seele ausKapitel 3Atem und PrānāyāmaStressDie sechs emotionalen StörungenLüsternheit und BegierdeStolz und BesessenheitÄrger, Wut und ZornHassGierDie heilsamen VrittisPratyāhāraKapitel 4Die inneren Mechanismen des BewusstseinsIndividueller Geist: Der menschliche ComputerIch-Gestalt: Gestalt und Form des kleinen SelbstIntelligenz: Die Quelle der Vernunft und des Unterscheidungs- und UrteilsvermögensSamskāra: Sich von der Gewohnheit befreienGedächtnis: Befreiung oder KnechtschaftKapitel 5Untersuchung der IntelligenzDie Linse des BewusstseinsDen Geist transformierenPrajñā – Einsicht und IntuitionDie fünf Qualitäten des Geistes (bhūmis)Das Kultivieren der IntelligenzKraft und Weisheit – ShaktiUnreinheiten der IntelligenzGewissenDhāranā – KonzentrationMeditation (dhyāna)Kapitel 6Kleshas – die fünf Leid verursachenden HemmnisseDas Ziel kann erreicht werdenDer endgültige AufstiegDie Evolution der NaturYoga als InvolutionSamādhiKapitel 7MachtShavāsana und ZeitDie vier Ziele des Lebens (Purushārtha)Die vier Entwicklungsstufen des Lebens (Āshrama)Ethik auf der universellen und persönlichen EbeneYama: Mit den wahren ethischen Prinzipien lebenNiyama: Das Reinigen und Läutern unserer selbstReinheit und ReinlichkeitLeben heißt LernenĀsanas zur Entwicklung von emotionaler Stabilität
[home]

Für meinen Vater Bellur Krishnamachar, meine Mutter Seshamma, und meinen Geburtsort Bellur

[home]

Über den Autor und die Koautoren

B. K. S. IYENGAR war einer der weltweit führenden Yoga-Lehrer und Autor des größten Yoga-Bestsellers aller Zeiten, Licht auf Yoga. Er hat Stars aus der Welt der Kunst und Kultur, weltweit anerkannte Führungspersönlichkeiten und auch Tausende von Yoga-Lehrern und -Lehrerinnen unterrichtet, die seine Modernisierung und Verfeinerung der Kunst des Yoga in alle Welt hinausgetragen haben. Zu seinen Klassikern und Bestsellern gehören auch Licht auf Pranayama und Der Urquell des Yoga. Die Yogasūtras des Patañjali – erschlossen für den Menschen von heute. Er war einer der ersten Lehrer, die den Yoga im Westen einführten, und nunmehr gibt es Hunderte von Zentren überall auf der Welt, in denen Yoga nach Iyengar unterrichtet wird. B. K. S. Iyengar gehörte zu den 2004 in der Zeitschrift Time aufgelisteten 100 einflussreichsten Menschen auf der Welt.

 

JOHN J. EVANS ist Schriftsteller und hat viele Vorträge über die Yoga-Philosophie gehalten. Nach seinem Abschluss an der Cambridge University im Jahr 1971 lebte er viele Jahre lang hauptsächlich in Frankreich und Indien. 1978 begann er bei B. K. S. Iyengar zu studieren und hat an einigen seiner Bücher mitgearbeitet, insbesondere an Der Urquell des Yoga.

 

DOUGLAS ABRAMS war viele Jahre lang der für den Bereich Religion zuständige Herausgeber der University of California Press und leitender Herausgeber von Harper San Francisco. Er ist der Koautor einer ganzen Reihe von Bestsellern spiritueller Persönlichkeiten von Weltrang, darunter Erzbischof Desmond Tutu und Tao-Meister Mantak Chia. Er ist Mitbegründer von Idea Architects, einer Agentur zur Entwicklung von Buch- und Medienprojekten.

[home]

Zur Transkription und Aussprache der Sanskrit-Begriffe

Im Text der deutschen Ausgabe werden alle Sanskrit-Termini in vereinfachter Transkription wiedergegeben.

Die Aussprache entspricht dabei im Wesentlichen der im Deutschen üblichen. Folgende Abweichungen sind jedoch zu beachten:

 

›ch‹ wird wie ›tsch‹ gesprochen

›j‹ wird wie ›dsch‹ gesprochen

›y‹ wird wie ›j‹ gesprochen

›v‹ wird wie ›w‹ gesprochen

›sh‹ wird wie ›sch‹ gesprochen

 

Ein Querstrich über einem Vokal bedeutet, dass dieser lang gesprochen wird. Grundsätzlich lang gesprochen werden die Vokale ›e‹ und ›o‹.

 

Sanskrit-Begriffe, die ursprünglich zusammengeschrieben werden, wurden weitgehend so belassen, auch um einen inflationären Gebrauch des Bindestriches zu vermeiden.

 

Weiterer Hinweis:

Das im Text häufig verwendete Wort »Yogi« steht für den Yoga praktizierenden Menschen bzw. sogar für den Erleuchteten oder Befreiten. Aus diesem Grund und aus Gründen der besseren Lesbarkeit ist darauf verzichtet worden, das weibliche Pendant »Yogini« mit aufzuführen. Wir bitten, »Yogi« im obigen Sinne allgemein auf den Menschen bezogen und geschlechtsneutral zu verstehen.

(Anmerkung der Redaktion)

[home]

Vorwort

Wenn dieses Buch irgendeinen Anspruch auf Authentizität erheben will, muss es vor allem einen Punkt ganz klar herausstellen: Jeder Mensch kann sich auf die Yoga-Reise begeben und durch beständiges und anhaltendes Praktizieren das Ziel der Erleuchtung und Freiheit erlangen. Krishna, Buddha und Jesus wohnen in aller Herzen. Sie sind keine Filmstars oder bloße Götzen der Anhimmelung. Sie sind große inspirierende Gestalten, deren Beispiel wir folgen können. Sie fungieren heute als unsere Rollenvorbilder. So wie sie die Selbst-Verwirklichung zu erlangen vermochten, können wir das auch.

Viele von Ihnen mögen befürchten, den kommenden Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Lassen Sie mich Ihnen versichern, Sie werden ihnen gewachsen sein. Ich bin ein Mensch, der bei null angefangen hat und in vielerlei Hinsicht schwer benachteiligt war. Nachdem ich viel Zeit und Mühe aufgewandt hatte, landete ich allmählich irgendwo an. Nur durch ein einziges Mittel trat ich buchstäblich aus der Dunkelheit ans Licht, gelangte ich vom Sterbenskranksein zur Gesundheit, von gröbster Unwissenheit zum Eintauchen in den Ozean des Wissens, nämlich durch eifriges Beharren auf der Kunst und Wissenschaft der Yoga-Praxis (sādhana). Und was für mich gut war und mir taugte, wird auch für Sie gut sein und Ihnen taugen.

Sie genießen heutzutage auch den Vorteil, dass es viele begabte Yoga-Lehrer und -Lehrerinnen gibt. Als ich anfing, war da leider kein kluger, gütiger Lehrer, der mich anleitete. Tatsache ist, dass mein Guru sich weigerte, mir irgendeine meiner unschuldigen Fragen zum Yoga zu beantworten. Er unterwies mich nicht so, wie ich es mit meinen Schülern und Schülerinnen halte, indem ich ihnen Schritt für Schritt Anweisungen für ein Āsana gebe. Er verlangte einfach eine bestimmte Stellung und überließ es mir oder seinen anderen Schülern, herauszufinden, wie man sie zustande bringt. Möglicherweise stachelte das in mir irgendeinen Wesensaspekt des Eigensinns an, der sich dann mit einem unerschütterlichen Glauben an den Yoga verbündete und ein Feuer entfachte, das mich immer weitermachen ließ. Ich habe ein leidenschaftliches, feuriges Naturell und musste der Welt vielleicht beweisen, dass ich etwas tauge. Aber noch viel mehr war mir daran gelegen, herauszufinden, wer ich bin. Ich wollte diesen rätselhaften und wunderbaren Yoga verstehen, der uns unsere eigenen innersten Geheimnisse und die des uns umgebenden Universums enthüllen und Aufschluss geben kann über den Platz, den wir als fröhliche, leidende, verdutzte und verwirrte menschliche Wesen darin innehaben.

Ich lernte durch Üben, erwarb mir ein bisschen durch Erfahrung erschlossenes Wissen und investierte dieses Wissen und Verständnis wieder, um mehr zu lernen. Indem ich der richtigen Richtung folgte und eine angeborene sensitive Wahrnehmung zu Hilfe nahm, konnte ich mein Wissen erweitern und weiterentwickeln. Dadurch sammelte sich in mir ein wachsendes Maß kultivierter und verfeinerter Erfahrung an, die schließlich die Essenz des Yoga-Wissens freigab.

Ich brauchte Jahrzehnte, um die ganze Tiefe und den wahren Wert von Yoga wirklich zu ermessen. Heilige Schriften unterstützten meine Entdeckungen, waren mir aber keine Wegweiser. Was ich durch Yoga lernte, fand ich durch Yoga heraus. Ein »Selfmademan« bin ich aber nicht. Ich bin nur das, was zweiundsiebzig Jahre hingebungsvoller Yogasādhana aus mir gemacht haben. Jeglicher Beitrag zur Welt, den ich geleistet habe, ist die Frucht meines Sādhana.

Er verlieh mir die zielbewusste Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit, um auch in schwierigen Zeiten weiterzumachen. Meine Abneigung gegen eine laschere Lebensweise hat mich auf dem geraden Weg gehalten. Ich habe jedoch nie irgendjemanden gemieden, denn ich bin zu der Erkenntnis gekommen, in allen das Licht der Seele zu sehen. Yoga hat mich vom Ufer der Unwissenheit über den großen Strom ans Ufer des Wissens und der Weisheit übergesetzt. Es ist keine extravagante Behauptung, wenn ich sage, dass sich mir durch die Yoga-Praxis Weisheit erschlossen hat, und dass die Gnade Gottes die Lampe meines innersten Wesenskerns entzündet hat. Das ermöglicht mir, dasselbe Licht der Seele in allen anderen Wesen leuchten zu sehen.

Sie, meine Leser und Leserinnen, müssen wissen, dass Sie schon einen Ort haben, von dem Sie ausgehen können. Ihnen sind bereits die Anfänge gezeigt worden, und keiner weiß, in welchem Heilsein und in welcher Glückseligkeit Sie vielleicht enden werden. Wenn Sie irgendeinen noblen Pfad beschreiten und an ihm festhalten, können Sie das Allerhöchste erreichen. Seien Sie motiviert und inspiriert, aber nicht stolz. Peilen Sie Ihr Ziel nicht zu niedrig an, Sie werden es sonst verfehlen. Zielen Sie hoch; Sie werden sich an der Schwelle zur Glückseligkeit befinden.

Patañjali, über den Sie in diesem Buch noch viel hören werden, gilt als der Vater des Yoga. Tatsächlich war er, soweit wir wissen, ein Yogi und Universalgelehrter, der im Indien des fünften Jahrhunderts v.u. Z. lebte und das vorhandene Wissen über das Leben und die Praktiken des Yogis zusammentrug und weiter ausarbeitete. Er schrieb die Yogasūtras, einen aus Aphorismen bestehenden Leitfaden über den Yoga, das Bewusstsein und die menschliche Bedingtheit. Er erklärte auch die Beziehung zwischen der Welt der Natur und der innersten und transzendenten Seele. (Für diejenigen, die ihre Text-Studien noch weiter betreiben möchten, habe ich Hinweise auf sein großes Werk eingefügt. Siehe mein Buch Der Urquell des Yoga. Die Yogasūtras des Patañjali – erschlossen für den Menschen von heute).

Was Patañjali sagt, gilt für mich und wird auch für Sie Geltung haben. Er schreibt: »Ein neues Leben beginnt mit diesem wahrheitstragenden Licht. Frühere Eindrücke werden zurückgelassen und das Entstehen neuer unterbunden. Wenn die Kraft des Intellekts tiefer Einsicht entspringt, tilgt diese Einsicht alle Reste früherer Handlungen, Bewegungen und Eindrücke« (Der Urquell des Yoga, Kapitel I, Vers 50).

Ich hege die Hoffnung, dass meine eigenen bescheidenen und ganz gewöhnlichen Anfänge Ihnen als Quelle der Ermutigung dienen werden, wenn Sie nach dieser Wahrheit streben und ein neues Leben beginnen. Yoga hat mein Leben von einer parasitären Existenz in ein von Sinn und Zweck erfülltes Dasein verwandelt. Später inspirierte er mich dazu, an der Freude und Pracht des Lebens teilzunehmen und sie vielen Tausenden von Menschen nahezubringen, ohne Ansehen ihrer Religion oder Kaste, ihrer Geschlechtszugehörigkeit oder Nationalität. Ich bin so dankbar für das, was Yoga aus mir gemacht hat, dass ich immer bestrebt war, ihn mit anderen zu teilen.

In diesem Geiste biete ich mit diesem Buch meine Erfahrungen an und hoffe, dass Sie in getreuem Glauben, in Liebe und Beharrlichkeit den süßen Geschmack des Yoga genießen werden. Tragen Sie die Flamme weiter, damit sie auch künftigen Generationen das mit Glückseligkeit erfüllende Licht des Wissens von der wahren Wirklichkeit bringen kann.

Die Konzeption und Ausarbeitung dieses Buches ist einer Reihe von Personen geschuldet, die es durch ihre Mitarbeit in seinen Endzustand brachten, sodass ich es Ihnen nun anbieten kann. Im Besonderen möchte ich Doug Abrams von Idea Architects, John J. Evans, Gitta S. Iyengar, Uma Dhavale, Stephanie Quirk, Daniel Rivers-Moore, Jackie Wardle, Stephanie Tade und Chris Potash meinen Dank aussprechen. Ebenso danke ich allen Mitarbeitern des Rodale-Verlags dafür, dass sie dieses Werk der breiten Öffentlichkeit zugänglich machten; ich teile jegliche Anerkennung und jegliches Verdienst mit ihnen.

Yoga war mein Schicksal und in den letzten siebzig Jahren mein Leben; ein Leben, das von der Praxis, der Philosophie und dem Lehren der Kunst des Yoga durchdrungen und erfüllt war. Wie bei allen Schicksalen, wie bei allen großen Abenteuern, kam ich an Orte, die ich mir, bevor ich mich aufmachte, nie vorgestellt hätte. Für mich war es eine Entdeckungsreise. Historisch gesehen handelte es sich um eine Reise der Wiederentdeckung, die allerdings unter einer einzigartigen Perspektive unternommen wurde: Innovation innerhalb traditioneller Grenzen. Die letzten siebzig Jahre haben mich auf eine »Reise nach Innen« geführt, hin zu einer Schau der Seele. In diesem Buch finden sich meine Triumphe, Anstrengungen, Kämpfe, Leiden und Freuden.

Vor fünfzig Jahren kam ich in den Westen, um Licht auf den Yoga zu werfen. Nun biete ich mit diesem Buch ein halbes Jahrhundert an Erfahrung an, um Licht auf das Leben zu werfen. Die Popularität des Yoga und mein Anteil an der Verbreitung seiner Lehren sind mir eine große Quelle der Befriedigung. Aber ich möchte nicht, dass diese breite Popularität die Tiefe dessen verdeckt, was Yoga den Praktizierenden zu geben hat. Fünfzig Jahre nach meiner ersten Reise in den Westen und nach so viel hingebungsvoller Yoga-Praxis von so vielen möchte ich nun die Yoga-Reise in ihrer Gesamtheit mit Ihnen teilen.

Ich hoffe zutiefst, dass mein Ende Ihr Anfang sein kann.

[home]

Einleitung: Die Freiheit wartet

Als ich vor über einem halben Jahrhundert Indien verließ und nach Europa und in die USA reiste, bestaunte das Publikum die Vorführungen von Yogāsana-Stellungen mit offenem Mund und betrachtete sie als exotisch akrobatische Verrenkungen eines Schlangenmenschen. Genau diese Āsanas haben sich seither Millionen Menschen überall auf der Welt zu eigen gemacht, und ihr physischer und therapeutischer Nutzen findet weithin Anerkennung. Dass Yoga in so vielen Herzen ein Feuer entfachte, bedeutet für sich genommen schon einen erstaunlichen Wandel.

Als ich mich vor siebzig Jahren dem Yoga zuwandte, waren sogar in Indien, seinem Herkunftsland, Spott, Ablehnung und unverhüllte Verurteilung das Los des Suchenden auf dem Yoga-Weg. Wäre ich ein Sādhu geworden, ein heiliger Mann, der mit der Bettelschale in der Hand auf den großen Hauptstraßen Britisch-Indiens dahinwanderte, hätte ich weniger Hohn und Spott geerntet, wäre mir mehr Respekt entgegengebracht worden. Einmal wurde ich aufgefordert, Sannyāsin zu werden und der Welt zu entsagen, aber ich lehnte ab. Ich wollte als normaler Haushälter und Familienvater mit allen Schwierigkeiten des Daseins leben und meine Yoga-Praxis den Normalsterblichen nahebringen, die wie ich ein gewöhnliches, von Arbeit, Ehe und Kindern bestimmtes Leben lebten. Mir wurden alle drei Segnungen zuteil, einschließlich der einer langen und freudvollen Ehe mit meiner geliebten, nun schon verstorbenen Frau Ramamani und des Segens von Kindern und Enkelkindern.

Das Leben eines Menschen mit Hausstand und Familie ist und war schon immer schwierig. Die meisten von uns begegnen Härten und Leiden, und viele werden von physischen und emotionalen Schmerzen, von Stress, Traurigkeit, Einsamkeit und Ängsten gepeinigt. Wir meinen oft, dass alle diese Probleme durch die Anforderungen des modernen Lebens verursacht werden, aber das menschliche Dasein brachte schon immer die gleichen Härten, Entbehrungen und Herausforderungen mit sich – den Lebensunterhalt zu verdienen, eine Familie zu gründen und zu erhalten, und Sinn und Zweck in seinem Leben zu finden.

Dies waren schon immer die Probleme und Herausforderungen, vor die wir Menschen uns gestellt sahen, und so wird es auch bleiben. Als eine der Tiergattung zugehörige Spezies wandeln wir auf Erden. Als Träger einer göttlichen Essenz gehören wir zu den Sternen. Als menschliche Wesen sitzen wir in der Mitte fest und versuchen das Paradoxon zu lösen, wie wir auf der Erde unseren Weg gehen und zugleich nach etwas Dauerhafterem und Tiefgründigerem streben können. So viele suchen diese größere Wahrheit in den himmlischen Sphären, doch sie ist nicht in den Wolken, sondern in weitaus größerer Nähe zu finden. Sie existiert in unserem Innern und kann auf der Reise nach Innen von jedermann gefunden werden.

Die meisten Menschen wollen alle das Gleiche. Die meisten Menschen wünschen sich ganz einfach körperliche und geistig-seelische Gesundheit, Verständnis und Weisheit, Frieden und Freiheit. Und oft platzen die Mittel und Methoden, mit denen wir nach diesen grundlegenden menschlichen Bedürfnissen streben, aus den Nähten, da wir von verschiedenen und häufig miteinander konkurrierenden Forderungen des menschlichen Daseins hin- und hergerissen werden. Yoga, so wie er von seinen Weisen verstanden wurde, ist so angelegt, dass er alle diese menschlichen Bedürfnisse im Rahmen eines umfassenden nahtlosen Ganzen befriedigt. Sein Ziel ist nichts weniger als das Erlangen der Integrität, des Einsseins – das Einssein mit uns selbst und als Folge daraus das Einssein mit allem jenseits von uns, mit allem, das über uns selbst hinausgeht. Wir werden zum harmonischen Mikrokosmos im universalen Makrokosmos. Einssein, von mir oft Integration genannt, ist die Grundlage für Ganzheitlichkeit, inneren Frieden und absolute Freiheit.

Durch Yoga können wir wieder zur Entdeckung eines Gefühls von Ganzheit in unserem Leben gelangen, das uns nicht länger den Eindruck des ständigen Versuchs vermittelt, die zerbrochenen Teile wieder zusammenzufügen. Durch Yoga können wir zu einem inneren Frieden finden, der nicht von endlosem Stress und unentwegten Daseinskämpfen zerpflückt und zerrupft wird. Durch Yoga können wir zu einer neuen Art von Freiheit gelangen, von der wir vielleicht nicht einmal wussten, dass es sie gibt. Für den Yogi beinhaltet Freiheit, dass er nicht durch die Dualitäten, die Aufs und Abs, die Lüste und Leiden des Lebens beschädigt wird. Sie impliziert Gleichmut und das letztendliche Vorhandensein eines inneren heiter gelassenen Wesenskerns, der nie den Kontakt mit der unveränderlichen ewigen Unendlichkeit verliert.

Wie ich schon sagte, kann sich jedermann auf die Reise nach Innen begeben. Das Leben selbst strebt nach Erfüllung, so wie die Pflanzen dem Sonnenlicht entgegenstreben. Das Universum hat das Leben nicht in der Hoffnung erschaffen, dass ein Scheitern der Mehrheit den Erfolg der wenigen hervorhebt. Zumindest spirituell gesehen leben wir in einer Demokratie, in einer Gesellschaft der Chancengleichheit.

Es ist nicht der Sinn des Yoga, irgendeiner Gesellschaftskultur als Religion oder Dogma zu dienen. Zwar entspringt er in seinen Wurzeln der Erde Indiens, doch ist er als universeller Pfad gedacht, als Weg, der allen ihrer Geburt und Herkunft ungeachtet offensteht. Patañjali benutzte vor etwa 2500 Jahren den Ausdruck sarvabhauma – universell. Wir sind alle menschliche Wesen, wurden aber gelehrt, uns für »Westler« oder »Ostler« zu halten. Uns selbst überlassen, würden wir einfach nur menschliche Individuen sein – weder Afrikaner noch Inder noch Europäer noch Amerikaner. Da ich aus Indien komme, habe ich aus der Kultur, in der ich aufwuchs, unvermeidlich bestimmte indische Charakteristika übernommen. Das tun wir alle. In der Seele, das, was ich den »Seher« nenne, gibt es keinen Unterschied. Unterschiede bestehen nur in den »Gewandungen« des Sehers – in den Vorstellungen von uns selbst, in die wir uns kleiden. Durchbrechen Sie sie. Nähren Sie sie nicht mit entzweienden Gedanken und Ansichten. Das ist es, was Yoga lehrt. Wenn Sie und ich einander begegnen, vergessen wir unsere Kulturen und unsere Klassenzugehörigkeit. Es gibt keine Kluft, wir sprechen von Geist zu Geist, Seele zu Seele. In unseren tiefsten Bedürfnissen unterscheiden wir uns nicht. Wir sind alle Menschen.

Yoga erkennt die Tatsache an, dass sich im Laufe der Jahrtausende an den Funktionsweisen unseres Körpers und Geistes nur sehr wenig geändert hat. Wie wir im Innern unserer Haut ticken, ist für zeit- oder ortsbedingte Unterschiede nicht anfällig. Was die Funktionsweise unseres Geistes und die Art und Weise, wie wir uns aufeinander beziehen und miteinander kommunizieren angeht, so gibt es da inhärente Stresspunkte, geologischen Verwerfungslinien vergleichbar. Wenn man sich nicht um sie kümmert, wird das immer dazu führen, dass die Dinge auf individueller oder kollektiver Ebene schiefgehen. Deshalb richtete sich die yogische philosophische und wissenschaftliche Forschung mit ganzer Kraft auf die Untersuchung der Natur des Seins. Und ganz besonders wollte man in Erfahrung bringen, wie man auf die Belastungen des Lebens mit weniger Aufgeregtheit, Erschütterung, Sorge und Mühe reagieren kann.

Gier, Gewalttätigkeit, Faulheit, Exzess, Stolz, Begierde und Angst werden im Yoga nicht als unauslöschliche Formen einer Erbsünde betrachtet, die da sind, um unser Glück zu zerstören oder um unserem Glück als Fundament zu dienen. Sie gelten als natürliche, wenngleich unwillkommene Manifestationen der Veranlagung des Menschen und der Zwickmühle, in der er sich befindet. Sie werden als etwas betrachtet, das gelöst und nicht unterdrückt oder verleugnet werden soll. Unsere mit Mängeln behafteten Wahrnehmungs- und Denkmechanismen sind kein Grund, in Kummer zu verfallen (obwohl sie uns Kummer bereiten), denn sie bieten uns Gelegenheit zur Weiterentwicklung. Die Gelegenheit zu einer innerlichen Bewusstseinsevolution, die es uns auch ermöglicht, unsere Bestrebungen in Bezug auf das, was wir persönlichen Erfolg und globalen Fortschritt nennen, in nachhaltiger Form zu verwirklichen.

Yoga ist ein Buch der Regeln für das Spiel des Lebens, wobei niemand bei diesem Spiel zu verlieren braucht. Es ist hart, und Sie müssen hart trainieren. Yoga erfordert die Bereitschaft, eigenständig zu denken, zu beobachten, Korrekturen vorzunehmen und sich von gelegentlichen Rückschlägen nicht unterkriegen zu lassen. Er verlangt Ehrlichkeit, Eifer und vor allem Liebe im Herzen. Wenn es Sie interessiert, zu verstehen, was es heißt, ein Mensch zu sein, zwischen Himmel und Erde gestellt, wenn es Sie interessiert, zu erfahren, woher Sie kommen und wohin Sie zu gehen vermögen, wenn Sie sich das Glücklichsein wünschen und nach Freiheit sehnen, dann haben Sie bereits die ersten Schritte hin zur Reise nach Innen getan.

Die Gesetze und Regeln der Natur lassen sich nicht beugen. Sie sind unpersönlich und unerbittlich. Aber wir spielen mit ihnen. Wenn wir die Herausforderungen der Natur annehmen und uns dem Spiel anschließen, dann finden wir uns auf einer stürmischen und aufregenden Reise wieder, die entsprechend der auf sie verwandten Zeit und Mühe ihre Vorteile und ihren Nutzen bringt. Ihr geringster Gewinn ist der, dass wir uns auch noch mit achtzig selber die Schuhe zubinden können; und ihr höchster ist die Gelegenheit, von der Essenz des Lebens selbst zu kosten.

Meine yogische Reise

Die meisten Menschen, die mit dem Praktizieren von Yogāsana beginnen, also mit dem Einüben der Haltungen, tun dies häufig aus praktischen und körperlichen Gründen. Vielleicht wegen eines gesundheitlichen Problems wie etwa Rückenschmerzen oder einer Sportverletzung oder hohem Blutdruck oder Arthritis. Vielleicht aber auch infolge eines umfassenderen Anliegens wie dem, dass man zu einer besseren Lebensweise gelangen oder mit Stress zurechtkommen oder mit Gewichts- oder Suchtproblemen fertig werden möchte. Nur sehr wenige Menschen wenden sich dem Yoga zu, weil sie glauben, dass sie auf diesem Weg spirituelle Erleuchtung erlangen können. In der Tat wird es wohl so sein, dass viele dem Gedanken der spirituellen Selbstverwirklichung ziemlich skeptisch gegenüberstehen. Das ist aber an sich gar nicht schlecht, weil es bedeutet, dass die meisten Menschen, die zum Yoga kommen, praktisch veranlagte Leute sind, die praktische Probleme und Ziele haben; Menschen, die im Dasein geerdet sind; Menschen, die vernünftig sind.

Als ich mit Yoga begann, wusste ich nichts von seinen umfassenderen und glanzvolleren Dimensionen. Auch ich strebte den körperlichen Nutzen an, und das rettete mir das Leben. Es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, dass Yoga mir das Leben rettete. Durch ihn wurde ich aus der Krankheit in die Gesundheit und aus der Gebrechlichkeit in die Robustheit neu geboren.

Zum Zeitpunkt meiner Geburt im Dezember 1918 wütete in Indien, wie in so vielen Ländern, eine verheerende weltweite Grippeepidemie. Auch meine Mutter Sheshemma wurde, während sie mit mir schwanger war, davon erfasst, und als Folge davon kam ich sehr kränklich zur Welt. Meine Arme waren dünn, meine Beine spindeldürr, und mein Bauch wölbte sich plump hervor. Tatsächlich war ich so schwach, dass man nicht glaubte, ich würde überleben. Mein Kopf sackte stets nach unten, und ihn zu heben kostete mich große Anstrengung. Überdies war er im Verhältnis zu meinem Körper viel zu groß, und meine Geschwister machten sich oft lustig über mich. Ich war das elfte von insgesamt dreizehn Kindern, von denen nur zehn am Leben blieben.

Diese Schwächlichkeit und Kränklichkeit blieben mir in meinen frühen Jahren erhalten. Als kleiner Junge hatte ich unter zahlreichen Krankheiten zu leiden, darunter unter häufigen Malariaanfällen, Typhus und Tuberkulose. Und wie es so oft, wenn man krank ist, der Fall ist, entsprach mein Gemütszustand meinem armseligen Gesundheitszustand. Ich wurde häufig von tiefer Melancholie ergriffen und fragte mich zuweilen, ob das Leben es wohl wert war, gelebt zu werden.

Ich wuchs in Bellur auf, einem Dorf im Distrikt Kolar im südindischen Staat Karnataka. Es handelte sich um eine kleine bäuerliche Gemeinde von etwa 500 Personen, die sich ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau von Reis, Hirse und ein paar Gemüsesorten verdienten. Doch meine Familie war besser dran als viele andere, da mein Vater ein kleines Stück Land geerbt hatte und außerdem als Schulmeister eines nahe gelegenen etwas größeren Dorfes ein Gehalt vom Staat bezog. Bellur verfügte zu jener Zeit über keine eigene Schule.

Ich war fünf Jahre alt, als meine Familie von Bellur nach Bangalore umzog. Mein Vater litt schon seit seiner Kindheit unter Appendizitis, welche niemals behandelt worden war. Kurz vor meinem neunten Geburtstag wurde sie wieder akut, und dieses Mal nahm sie einen tödlichen Verlauf. Mein Vater rief mich an sein Krankenbett und sagte mir, dass er kurz vor meinem neunten Geburtstag sterben würde, so wie sein Vater auch kurz vor seinem neunten Geburtstag gestorben war. Weiter sagte er mir, dass er in seiner Jugend sehr hart zu kämpfen gehabt hatte und dass auch ich in der meinen hart kämpfen müsse, dass ich aber schließlich ein glückliches Leben führen würde. Ich kann sagen, dass sich meines Vaters Prophezeiung in beiden Punkten, dem des Kämpfens und dem des Glücks, erfüllte. Der Tod meines Vaters hinterließ eine große Leere in meiner Familie, und keine starke Hand geleitete mich durch meine Krankheiten und meine Schuljahre. Sehr oft hielt mich das Kranksein vom Unterricht fern, und ich hinkte mit dem Lernstoff nach.

Obwohl mein Vater Lehrer gewesen war, gehörte meine Familie der Brahmanenkaste an, das heißt einer indischen Priesterkaste, deren Angehörige in ein Leben religiöser Pflichterfüllung hineingeboren werden. Normalerweise erwerben Brahmanen ihren Lebensunterhalt durch Opfergaben, die ihnen die Leute bringen, durch das Entgelt für die Durchführung religiöser Zeremonien oder vielleicht auch durch die Unterstützung einer reichen oder aristokratischen Familie oder Einzelperson. Und im Allgemeinen heiraten sie durch arrangierte Ehen in eine andere Brahmanen-Familie ein. So kam es, dass meine Schwester mit elf Jahren mit Shriman T. Krishnamacharya, einem entfernten Verwandten von uns, verheiratet wurde. Es war eine ausgezeichnete Verbindung, da dieser ein verehrungswürdiger und verehrter Philosophie- und Sanskrit-Gelehrter war. Nachdem er seine akademischen Studien abgeschlossen hatte, verbrachte Krishnamacharya viele Jahre in der Gebirgsregion des Himalaya nahe der Grenze zwischen Nepal und Tibet, um sich unter der Anleitung von Shri Ramamohana Brahmachari seinem Yoga-Studium zu widmen.

Zu jener Zeit lebten die Mahārājas, die indischen Könige, in riesigen Festungen und begaben sich auf ihren Elefanten zur Tigerjagd in ihre Lehensgebiete, die zum Teil größer waren als viele Länder Europas. Der Mahārāja von Mysore hörte von der Gelehrsamkeit und dem meisterlichen yogischen Können meines Schwagers und war sehr an ihm interessiert. Er lud ihn ein, an seinem Sanskrit-College zu unterrichten und später in seinem herrlichen Palast Jaganmohan eine Yoga-Schule zu errichten. Auch bat er Krishnamacharya ab und zu, in andere Städte zu reisen, um dort die Botschaft des Yoga einem breiteren Publikum zu vermitteln. Im Jahr 1934, ich war an die vierzehn Jahre alt, forderte mich mein Schwager im Verlauf einer solchen Reise auf, nach Mysore zu kommen und einige Zeit bei seiner Frau (meiner Schwester) und seiner Familie zu verbringen, während er unterwegs war. Als mein Schwager dann zurückkam und ich bat, nach Bangalore zu meiner Mutter und meinen Geschwistern zurückkehren zu dürfen, schlug er stattdessen vor, dass ich in Mysore blieb, um am Yoga zu arbeiten und meinen Gesundheitszustand zu verbessern.

Er empfahl angesichts meiner erbärmlichen Verfassung ein beinhartes Yoga-Praxisprogramm, um mich in Form zu bringen und zu stärken, damit ich mich, der ich mich allmählich dem Erwachsenenalter näherte, den Prüfungen und Herausforderungen des Lebens stellen konnte. Sollte mein Schwager damals auch noch meine tiefere spirituelle oder persönliche Entwicklung im Auge gehabt haben, so sprach er es nicht aus. Die Umstände schienen passend und der Zeitpunkt günstig zu sein, und so machte ich mich an mein Training in der Yoga-Schule meines Schwagers.

Es sollte sich als ein wesentlicher Wendepunkt in meinem Leben erweisen – als Augenblick, in dem das Schicksal auf mich zukam, um mir zu begegnen, und ich die Gelegenheit erhielt, es anzunehmen oder mich davon abzuwenden. Solche entscheidenden Momente gehen bei vielen Menschen, so auch bei mir, ohne laute Fanfarenklänge vorüber und werden stattdessen zum Ausgangspunkt von Jahren stetiger Arbeit und Weiterentwicklung. So kam es, dass mein Schwager, Shriman T. Krishnamacharya, mein verehrter Lehrer und Guru wurde und als mein effektiver Vormund die Stelle meiner Mutter und meines verstorbenen Vaters einnahm.

In jener Lebensphase gehörten häufige Yoga-Demonstrationen für den Hofstaat des Mahārāja und für Würdenträger und Gäste, die zu Besuch kamen, zu meinen Pflichten. Meinem Guru oblag es, für die Erbauung und Unterhaltung der Entourage des Mahārāja zu sorgen, indem er seine Schüler – unter denen ich einer der jüngsten war – auf Herz und Nieren prüfte und ihre Fähigkeit vorführte, sich in den eindrucksvollsten und erstaunlichsten Stellungen zu dehnen, zu strecken, zu beugen und zu biegen. Ich trieb mich in meiner Übungspraxis bis an meine Grenzen, um gegenüber meinem Lehrer und Vormund meine Pflicht zu erfüllen und ihn in seinen anspruchsvollen Erwartungen zufriedenzustellen.

Als ich achtzehn war, wurde ich nach Puna geschickt, um dort die Yoga-Lehre zu verbreiten. Weder sprach ich den in dieser Region vorherrschenden Dialekt, noch hatte ich dort eine Gemeinschaft, Familienangehörige oder Freunde, ja noch nicht einmal eine sichere Anstellung. Ich hatte nichts weiter als meine Āsana-Praxis, die Yoga-Stellungen. Ich kannte auch keine Prānāyāma-Atemübungen, keine Yoga-Texte und hatte von der Yoga-Philosophie keine Ahnung.

Ich warf mich auf die Āsana-Praxis, so wie sich ein Mann daranmachen mag, in einem Boot in die Welt hinauszusegeln, das er kaum handhaben kann. Ich klammerte mich um des lieben Lebens willen daran und fand nur Trost in den Sternen. Obwohl ich wusste, dass andere vor mir in die Welt hinausgesegelt waren, hatte ich doch nicht ihre See- und Landkarten. Es war eine Entdeckungsreise. Mit der Zeit stieß ich auf ein paar Karten, die gewöhnlich vor Hunderten oder Tausenden von Jahren erstellt worden waren, und fand, dass meine Entdeckungen mit den ihren korrespondierten und durch sie bestätigt wurden. Ermuntert und ermutigt machte ich weiter, um zu sehen, ob ich es auch bis zu ihren fernen Landeorten schaffen konnte, und um mein Schiff besser handhaben zu lernen. Ich wollte jeden Küstenstrich genau kartographieren, die Tiefe eines jeden Meeres ausloten, auf schöne, unbekannte Inseln stoßen und jedes gefährliche, verborgene Riff oder jede Gezeitenströmung vermerken, die unser Navigieren auf dem Ozean des Lebens gefährden konnte.

So wurde der Körper mein erstes Instrument, um in Erfahrung zu bringen, was Yoga ist. Dann begann der langsame Prozess der Verfeinerung, der sich bis auf den heutigen Tag in meiner Praxis fortsetzt. Yogāsana brachte mir im Verlauf dieser Entwicklung enormen physischen Nutzen und half mir, von einem kränklichen Kind zu einem einigermaßen fitten und agilen jungen Mann heranzuwachsen. Mein Körper war mein Laboratorium, in dem ich Erkenntnisse über die Vorteile gewann, die Yoga für die Gesundheit mit sich bringt. Aber ich konnte auch schon begreifen, dass er ebenso viel Positives für meinen Kopf und mein Herz wie für meinen Körper beinhalten würde. Meine Dankbarkeit für diesen großartigen Gegenstand, dieses große Thema, das mich rettete und aufbaute, lässt sich unmöglich überschätzen.

Ihre yogische Reise

Dieses Buch handelt vom Leben. Es macht den Versuch, Ihnen und anderen spirituell Suchenden den Weg zu erhellen. Es zielt darauf ab, einen Pfad aufzuzeigen, dem alle folgen können. Es bietet Rat, Methoden und einen philosophischen Bezugsrahmen auf einer Ebene an, die auch Neulinge der Yoga-Praxis begreifen können. Es serviert den Leichtgläubigen keine Abkürzungen oder leeren Versprechungen. Ich habe mehr als siebzig Jahre ständiger Übung und Anwendung gebraucht, um dahin zu gelangen, wo ich heute bin. Das bedeutet nicht, dass Sie siebzig Jahre brauchen werden, um die Früchte der Yoga-Praxis ernten zu können. Yoga bringt schon vom ersten Tag an Gaben und Geschenke. Nutzen und Vorteile, die auch schon blutige Anfänger erfahren können, die fühlen, dass auf einer tiefen Ebene ihres Körpers, dass in ihrem Geist und auch in ihrer Seele irgendetwas zu passieren beginnt. Manche beschreiben diese ersten Geschenke als ein neues Gefühl von Leichtigkeit oder Ruhe oder Freude.

Das Wunder ist, dass sich nach siebzig Jahren diese Gaben für mich immer noch mehren. Nutzen und Vorteile der Praxis lassen sich nicht immer vorhersehen. Wenn sie eintreten, dann oft in unerwarteter Fülle und Form. Doch wenn Sie meinen, dass, wenn Sie Ihre Zehen zu berühren oder sogar einen Kopfstand zu machen lernen, dies schon alles sei, was am Yoga dran ist, dann ist Ihnen fast alles von seiner Fülle, seinen Segnungen und seiner Schönheit entgangen.

Yoga setzt das schöpferische Potenzial des Lebens frei. Er tut dies, indem er eine Struktur für die Selbst-Verwirklichung errichtet, indem er uns zeigt, wie wir auf dieser Reise weiterkommen können, und indem er eine geheiligte Vision vom Höchsten und Absoluten, von unserem göttlichen Ursprung und unserer letztendlichen Bestimmung eröffnet. Das Licht, das Yoga auf das Leben wirft, ist etwas Besonderes. Es hat verwandelnden Charakter. Es verändert nicht nur einfach die Art und Weise, in der wir die Dinge sehen; es verwandelt die Person, die sieht. Es bringt Wissen mit sich und erhöht es zur Weisheit.

Das Licht fürs Leben, das hier gemeint ist, ist unverfälschte Einsicht, reine Wahrheit (satya), die in Verbindung mit der Gewaltlosigkeit das Leitprinzip Mahatma Gandhis war, der die Welt für alle ihre Bewohner veränderte.

Sokrates ermahnte uns zur Selbsterkenntnis. Sich selbst erkennen heißt, den eigenen Körper, den eigenen Geist und die eigene Seele zu kennen. Yoga ist wie Musik, wie ich oft sage. Der Rhythmus des Körpers, die Melodie des Geistes und die Harmonie der Seele erschaffen die Symphonie des Lebens. Die Reise nach Innen wird Ihnen die Möglichkeit geben, einen jeden dieser Aspekte Ihres Wesens zu erforschen und zu integrieren. Sie werden von Ihrem physischen Körper aus die Reise nach Innen antreten, um Ihre »feinstofflichen Körper« zu entdecken: Ihren Energie-Körper, wo der Atem und die Emotionen ihren Sitz haben; Ihren Mental-Körper, wo Gedanken und Obsessionen gemeistert werden können; Ihren Körper der Weisheit, in dem Intelligenz und Einsicht zu finden sind, und Ihren Körper der Glückseligkeit, in dem Einblick in die Seele genommen werden kann. Im nächsten Kapitel werden wir zu einem Verständnis dieser uralten yogischen Kartographierung der Schichten unseres Seinswesens gelangen. Doch bevor wir uns diese Schichten in einem jeweils eigenen Kapitel anschauen, müssen wir zunächst noch unser Verständnis von dieser Reise nach Innen vertiefen und erkennen, auf welche Weise sie die traditionellen acht Glieder oder Blütenblätter des Yoga in sich einbegreift. Wir müssen auch die Beziehung zwischen Natur und Seele verstehen. Yoga lehnt nicht das eine um des anderen willen ab, sondern sieht beides als untrennbar miteinander verbunden, so wie sich Erde und Himmel am Horizont vereinen.

Sie brauchen die Freiheit nicht in einem fernen Land zu suchen, denn sie existiert in Ihrem Körper, Ihrem Geist, Ihrer Seele. Erleuchtete Befreiung, Freiheit, reine, ungetrübte Glückseligkeit warten auf Sie, aber um sie entdecken zu können, müssen Sie sich für den Antritt der Reise nach Innen entscheiden.

[home]

Kapitel 1

Die Reise nach Innen

Parivritta-Pashchimottānāsana

 

 

 

Uns allen wohnt das Ziel der spirituellen Verwirklichung inne, die Suche und das Streben nach unserem göttlichen Wesenskern. Dieser Kern, in niemandem je abwesend, ruht latent in uns. Es geht also um eine Reise nach Innen, damit sich der innere Kern offenbaren kann.

Um herauszufinden, wie sich unser innerstes Wesen enthüllen lässt, erforschten die Weisen die verschiedenen Hüllen oder Schichten unserer Existenz. Sie begannen beim Körper und drangen durch die Hüllen des Geistes und der Intelligenz bis schließlich zur Seele vor. Die yogische Reise führt uns von der Peripherie, dem Körper, bis zur Mitte unseres Seins, der Seele. Das Ziel besteht in einer Integration der verschiedenen Schichten, damit das Göttliche aus dem Innern wie durch klares Glas nach außen scheint.

Koshas – Die Hüllen des Seins

Yoga kennt fünf verschiedene Schichten oder Hüllen des Seins, die Koshas, die vollkommen integriert und in Einklang miteinander sein müssen, damit wir zur Ganzheitlichkeit gelangen können. Befinden sich diese feinstofflichen Hüllen in einem Zustand der Disharmonie, werden sie schmuddelig wie ein getrübter Spiegel, der die befleckten Bilder der sensorischen und sinnlichen Welt zurückwirft. Der Spiegel reflektiert die Dinge unserer Umwelt, statt das klare Licht der Seele im Innern nach außen strahlen zu lassen. Und dann erfahren wir Krankheit und Verzweiflung. Echte Gesundheit erfordert nicht nur, dass das körperliche Äußere unseres Wesens effektiv funktioniert, sondern bedarf auch der Vitalität, Stärke und Sensibilität der inneren feinstofflichen Ebenen.

Die meisten von uns halten den eigenen »Körper« ganz einfach für die eigene physische Gestalt: Haut, Knochen, Muskeln und innere Organe. Im Yoga bildet dies jedoch nur die alleräußerste Schicht unseres Körpers oder den Annamaya Kosha. Dieser physische oder anatomische Körper beinhaltet die anderen vier feinstofflichen Körper oder Koshas.

Die Koshas sind den Schichten einer Zwiebel oder den ineinandergesteckten russischen Puppen vergleichbar. Dazu gehören unser Energie-Körper oder die physiologische oder organische Hülle (prānamaya kosha), unser Mental-Körper oder die mentale oder emotionale Hülle (manomaya kosha), unser Körper der Weisheit oder die Hülle des Intellekts oder Unterscheidungsvermögens (vijñānamaya kosha) und schließlich unser Körper der Glückseligkeit oder der Seele (ānandamaya kosha). Wenn diese Körper oder Hüllen falsch oder schlecht aufeinander ausgerichtet sind oder miteinander in Konflikt stehen, begegnen wir unvermeidlich der Entfremdung und Fragmentierung, die unserer Welt so große Probleme bereiten. Wenn wir andererseits aber imstande sind, die verschiedenen Hüllen unseres Körpers aufeinander auszurichten und in Einklang zu bringen, verschwindet die Fragmentierung, ist die Integration erreicht und die Einheit hergestellt. Der physische Körper (annamaya kosha) muss mit dem Energie-Körper (prānamaya kosha) in Verbindung stehen und sich ihm dadurch aufprägen können; dieser wiederum muss sich mit dem Mental-Körper (manomaya kosha), der Mental-Körper mit dem Körper der Weisheit (vijñānamaya kosha) und der Körper der Weisheit mit dem Körper der Glückseligkeit (ānanadamaya kosha) in Übereinstimmung befinden. Und wenn zwischen dem Körper der Glückseligkeit und dem physischen Körper keine Kommunikation stattfindet, kann der Körper der Glückseligkeit die mit ihm einhergehende Erhellung nicht in die Bewegungen und ins Handeln des physischen Körpers einbringen. Dann haben wir Dunkelheit im Leben statt Licht fürs Leben.

Die Trennungslinien zwischen den verschiedenen Hüllen sind im Wesentlichen hypothetischer Natur. Wir sind einzigartig und bilden ein Ganzes. Jede Hülle überlappt und vermischt sich mit der nächsten; doch muss, damit die von uns gewünschte Integrität und Ganzheitlichkeit erreicht werden kann, die Kommunikation vom Inneren zum Äußeren und vom Äußeren zum Inneren fließen. Nur dann sind wir zu einem ganzheitlich funktionierenden menschlichen Wesen verbunden. Ist das nicht der Fall, erleben wir die Auflösung und Fragmentierung, die das Leben so ungemütlich und verwirrend machen.

Wer den Weg des Yoga geht, muss verstehen, wie notwendig es ist, dass die Koshas integriert sind und sich in Balance befinden. Zum Beispiel müssen der Mental-Körper und der Körper der Weisheit (manonamaya kosha und vijñānamaya kosha) effektiv funktionieren, wenn wir das Geschehen im physischen und im Energie-Körper (annamaya kosha und prānamaya kosha) beobachten, analysieren, überdenken und korrigieren wollen.

Mit anderen Worten, der physische Körper existiert nicht getrennt von Geist und Seele. Im Gegensatz zu den Ansichten einiger Asketen sollen wir unseren Körper weder vernachlässigen noch negieren. Wir sollen uns aber auch nicht auf unseren Körper – unser sterbliches Ich – fixieren. Ziel des Yoga ist die Entdeckung unseres unsterblichen Selbst. Die Yoga-Praxis lehrt uns, körperlich und spirituell voll und ganz zu leben, indem wir jede dieser verschiedenen Hüllen kultivieren.

Ich hoffe, dass Sie beim Weiterlesen dahin kommen zu begreifen, dass, wenn auch Sie Yoga auf die richtige Weise und mit der richtigen Einstellung leben und üben, sich weitaus größere Vorteile und radikalere Veränderungen ergeben werden als bloße körperliche Gelenkigkeit. Ohne Transformation gibt es keinen Fortschritt auf dem Weg zur absoluten Freiheit, und das ist der springende Punkt im Leben aller Menschen, gleich ob sie Yoga praktizieren oder nicht. Wenn wir verstehen, wie unser Geist und unser Herz funktionieren, haben wir die Chance, eine Antwort auf die Frage zu finden: »Warum mache ich immer die gleichen alten Fehler?«

Die Landkarte, die die Alten uns hinterließen, gibt uns die Struktur der Kapitel dieses Buches vor. Ihr Wissen und ihre Technik bilden deren Inhalt. Der Mensch ist ein Kontinuum. Es gibt keine fassbaren Grenzen zwischen den Koshas, so wie es auch keine Grenzlinien zwischen Körper, Geist und Seele gibt. Aber der Einfachheit halber und um uns auf unserer Reise Hilfestellung zu geben, beschreibt Yoga den Menschen in den Begriffen dieser einzelnen Schichten. Wir sollten uns vorstellen, dass sie ineinander übergehen wie die Regenbogenfarben. Dieser traditionellen Beschreibung von fünf verschiedenen Körpern oder Koshas folgend, haben wir diese Erörterung in fünf zentrale Kapitel unterteilt: »Stabilität – Der physische Körper« (annamaya kosha); »Vitalität – Der Energie-Körper« (prānamaya kosha); »Klarheit – Der Mental-Körper« (manomaya kosha); »Einsicht – Der Körper der Weisheit« (vijñānamaya kosha) und »Freude – Der Körper der Glückseligkeit« (ānandamaya kosha).

Wir werden in diesen Kapiteln über die verschiedenen Stadien der Reise nach Innen sprechen. Wir werden die wandelbare Natur (prakriti) entdecken, zu der der physische Körper gehört, und in die Tiefe unseres ursprünglichen Wesens, der ewigen Seele (purusha) blicken. Beim Erkunden der Seele müssen wir unbedingt daran denken, dass diese Erforschung im Bereich der Natur (dem Körper) stattfindet, denn Natur ist das Wo und Was wir sind. Unser spezifisches Erkundungsfeld sind wir selbst, angefangen bei der Haut bis hin zur unbekannten Mitte.

Yoga befasst sich mit dieser Fusion von Natur und Seele, denn dies ist die Essenz des menschlichen Lebens mit all seinen Herausforderungen, Widersprüchen und Freuden.

Leben zwischen Himmel und Erde

Wie ich schon sagte, leben wir Menschen zwischen den beiden Realitäten von Himmel und Erde. Die Erde steht für alles, was praktisch, materiell, greifbar und verkörperlicht ist. Es ist die erkennbare Welt, objektiv erfassbar durch Entdeckungsreisen und Beobachtungen. Wir alle haben über den immensen Speicher angesammelter kollektiver Erfahrung an dieser Welt und ihrem Wissen Anteil. Für dies alles gibt es ein Wort: Natur (prakriti im Sanskrit). Diese setzt sich aus fünf Elementen zusammen, die wir als Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum (vormals Äther genannt) bezeichnen. Demzufolge und in Übereinstimmung damit setzt sich der Körper aus den gleichen fünf Elementen zusammen, weshalb wir den Begriff Prakriti auch für den Körper verwenden. Wenn Astronauten Gestein vom Mond mitbringen und Wissenschaftler es untersuchen, untersuchen sie die Natur. Wenn wir die Temperatur auf der Sonnenoberfläche berechnen, beobachten wir die Natur. Ob wir nun die Natur eines Planeten oder die Natur des Kosmos untersuchen, es handelt sich um Natur. Solche Studien sind unendlich faszinierend, weil die Natur so voller Vielfalt ist. Nicht nur ist sie unendlich mannigfaltig, sie verändert sich auch fortwährend, und so gibt es immer etwas Neues zu sehen. Auch wir sind Bestandteil der Natur, was bedeutet, dass auch wir uns fortwährend verändern und die Natur so immer aus einer anderen Warte betrachten. Wir sind ein winziges Teilchen ständigen Wandels, das auf ein unendliches Maß an fortwährendem Wandel blickt. Da nimmt es kaum wunder, dass es so spannend ist. Das Wichtigste, was wir über die Natur lernen können, sind die ihr inhärenten Gesetze, nach denen sie funktioniert.

Indische Yogis suchten auch schon Jahrhunderte bevor Patañjali die Yogasūtras schrieb in den scheinbar chaotischen Schwankungen und Veränderungen der Natur irgendwelche Muster zu erkennen. Die grenzenlose Vielfalt der Naturphänomene vermittelt den Anschein von Chaos, aber wäre es denn möglich, so fragten sie sich, dass die diese endlosen Turbulenzen der Natur regierenden Gesetze eine Ordnung aufweisen und verstanden werden können? Und wenn wir begreifen könnten, wie sie funktionieren, wäre es uns dann vielleicht möglich, vom Chaos zur Ordnung zu gelangen? Spiele sind bedeutungslos, wenn man ihre Regeln nicht kennt. Wenn man sie aber kennt, können sie großen Spaß machen. Zwar erleidet man immer noch ein paar Schicksalsschläge und verliert ein paar Spiele, aber wenigstens nimmt man daran teil; man spielt das Spiel. Yoga besagt, dass du das Spiel mit dem Körper und dem Ich spielst. Durch das Spielen kannst du die Regeln erlernen, und wenn du sie einhältst, stehen die Chancen weitaus besser, dass du im Leben Erfolg hast und auch Erleuchtung und Freiheit erlangst.

So steht also der Mensch mit beiden Beinen direkt auf die Erde gestellt, wie beim Tādāsana (Berg-Stellung), und hat den Kopf im Himmel. Doch was ist hier mit Himmel gemeint? Ganz klar rede ich nicht von der Biosphäre unseres Planeten oder von irgendeinem physisch existenten Ort, egal wie weit weg er auch sein möge. Ich hätte auch sagen können: »Mit den Füßen auf der Erde, mit dem Kopf in den himmlischen Sphären«, was darauf hindeutet, dass hier kein physisch existenter Bereich gemeint ist. Das lässt Raum für Möglichkeiten: a) dass es etwas Vollkommenes ist, weil etwas Physisches nicht vollkommen sein kann, da alle Phänomene unstabil sind; b) dass es etwas Universelles ist, das heißt das Eine, wohingegen die Natur das Viele ist, wie wir aus ihrer Vielfalt ersehen können; c) dass es überall ist, Allgegenwart, da es als etwas Nicht-Physisches durch Örtlichkeit weder begrenzt noch definiert ist; d) dass es höchste Wirklichkeit oder etwas Ewiges ist. Im Yoga denkt man sich den Körper als etwas, das reale Substanz besitzt, wohingegen die Veränderung von uns selbst und die Enthüllung des unermesslichen Himmels in unserem Innern Chit-Ākāsha oder wortwörtlich die Schau des Raumes selbst genannt wird.

Alles Physische verändert sich fortwährend, weshalb seine Realität nicht konstant, nichts Ewiges ist. So gesehen ist die Natur wie eine Schauspielerin, die nur verschiedene Rollen innehat. Nie legt sie ihr Kostüm ab, schminkt sich ab und geht nach Hause, sie wechselt lediglich für ewig und alle Zeiten von einer Rolle zur anderen über. So wissen wir bei der Natur nie genau, woran wir sind, vor allem da wir ja auch Teil von ihr sind.

Die nichtphysische Wirklichkeit, so schwer sie auch zu erfassen sein mag, muss den Vorteil haben, dass sie ewig und immer dasselbe ist. Das hat Konsequenzen. Was wirklich und unveränderlich ist, muss uns einen Fixpunkt bieten, eine Orientierung, so wie die perfekte Nordausrichtung beim Kompass. Und wie funktioniert ein Kompass? Durch die Anziehung, die zwischen dem magnetischen Nordpol und einem Magneten in unserem Kompass besteht. Der Kompass, das sind wir selbst. Daraus können wir ableiten, dass in uns eine Universelle Wirklichkeit existiert, die uns auf eine überall existente Universelle Wirklichkeit ausrichtet. Dieses Ausrichten und Eichen, dieses In-Übereinstimmung-Bringen, ist ein wichtiger Begriff. Durch dieses Ausrichten meines Körpers entdeckte ich das Ausgerichtetsein meines Geistes, meines Ichs und meiner Intelligenz. Über das Ausgerichtetsein vom äußersten Körper oder von der äußersten Hülle (kosha) bis hin zur innersten Hülle bringen wir unsere persönliche Realität mit der Universellen Wirklichkeit in Kontakt. In der Vastasūtra Upanishad heißt es: »Das Ausrichten der Glieder in richtiger Anordnung wird wie das Wissen von Brahman (Gott) gepriesen.« Und in noch früherer Zeit finden wir im Rigveda: »Jede Form ist ein Bild der Urform.« Wir sahen, dass diese Wirklichkeit weder im Kontext der Zeit veränderbar noch durch den Raum begrenzt ist. Sie ist von beidem frei. Daraus folgt, dass unsere Reise zwar in Zeit und Raum stattfindet, dass aber, wenn wir an ihr Ende gelangen und der höchsten nichtphysischen Wirklichkeit begegnen, dies nicht in Zeit und Raum sein wird, so wie wir sie kennen.

Seele (purusha) und Natur (prakriti)

Ich habe bisher absichtlich die Nennung des üblichen Übersetzungsbegriffes für die nichtphysische Wirklichkeit vermieden, weil die Menschen bei seiner Erwähnung zumeist aufhören, selber nachzudenken. Das Sanskrit-Wort dafür ist Purusha. Im Deutschen sprechen wir von der Seele oder auch von der Kosmischen Seele. Mit diesem Begriff verbindet sich gemeinhin eine starke religiöse Mitbedeutung, die die Leute ohne weitere Überlegung entweder akzeptieren oder von sich weisen. Sie vergessen, dass es ganz einfach unser Wort für eine immerwährende Wirklichkeit ist. Diese ergibt sich zwar aus der Logik, bleibt aber in unserem Bewusstsein nur eine Vorstellung oder ein Gedanke, bis wir ihre Wirklichkeit in uns selbst erkennen und erfahren.

Wir assoziieren diese immerwährende Wirklichkeit zu Recht mit selbstloser Liebe, die sich in der Wahrnehmung auf Einheit gründet, nicht auf irgendwelche trennenden Unterschiede. Die Liebe einer Mutter bezieht ihre Kraft und Stärke aus der Einheit mit ihrem Kind. In der Einheit gibt es kein Besitztum und kein Besitzdenken, denn Besitztum ist ein dualistischer Zustand, der ein »Ich« und ein »Es« beinhaltet. Die Seele ist unveränderlich, ewig und konstant. Im göttlichen Ursprung und Einssein verwurzelt, bleibt sie immer als Zeuge da. Alle Yoga-Praxis ist mit dem Erforschen der Beziehung von Prakriti und Purusha, von Natur und Seele befasst. Es geht hier, um bei unserem Ausgangsbild zu bleiben, darum, zu lernen, wie man zwischen Erde und Himmel lebt. Das ist die Zwickmühle, in der sich der Mensch befindet, das ist unsere Freude und unser Leid, unsere Rettung und unser Sturz. Natur und Seele sind miteinander vermischt. Manche würden sagen, sie sind verheiratet. Durch das korrekte Praktizieren von Āsana, Prānāyāma und der anderen Blütenblätter des Yoga machen Praktizierende (sādhaka) die Erfahrung der Kommunikation und Verbindung zwischen den beiden. Für Normalsterbliche mag es den Anschein haben, dass diese Ehe von Natur und Seele von Zwist, Streitigkeiten und gegenseitigem Unverständnis geprägt ist. Aber wenn wir mit beiden Zwiesprache halten, kommen sie einander näher, um schließlich eine gesegnete Vereinigung einzugehen. Eine Vereinigung, die den Schleier der Unwissenheit, der unsere Intelligenz verdeckt, beseitigt. Um sie zu erreichen, müssen Sādhakas sowohl nach innen wie auch nach außen auf das »Gerüst« der Seele blicken, auf den Körper. Sie müssen ein zugrunde liegendes Gesetz begreifen, sonst werden sie im fesselnden Bann der Natur verharren, und die Seele wird für sie ein bloßes Konzept bleiben. Alles, was im Makrokosmos existiert, kann auch im Mikrokosmos oder Individuum gefunden werden.

Die acht Blütenblätter des Yoga

Es gibt acht Blütenblätter des Yoga, die sich dem Praktizierenden zunehmend enthüllen. Diese sind die äußerlichen ethischen Disziplinen (yama), die inneren ethischen Regeln (niyama), die Stellungen (āsana), die Beherrschung der Atmung (prānāyāma), die Kontrolle und das Abziehen oder Abwenden der Sinne (pratyāhāra), Konzentration (dhāranā), Meditation (dhyāna) und glückseliger Zustand der Versenkung (samādhi). Wir nennen das die Blütenblätter des Yoga, weil sie sich wie die Blütenblätter einer Lotosblume zu einem wunderschönen Ganzen verbinden.

Auf unserer Reise durch die inneren Hüllen (kosha) des Körpers, von der äußeren Haut bis zum allerinnersten Selbst, werden wir jedem dieser in den Yogasūtras beschriebenen acht Blütenblätter oder Stufen des Yoga begegnen und sie erforschen. Für die Wahrheitsuchenden von heute sind diese Stufen immer noch ebenso wichtig wie damals zu Zeiten Patañjalis. Ohne die in diesen acht Blütenblättern vermittelten Regeln, Prinzipien und Praktiken können wir nicht hoffen, die Hüllen zu verstehen und in harmonischen Einklang zu bringen. Ich werde hier kurz auf sie eingehen, um sie dann in den folgenden Kapiteln eingehender zu besprechen.

Die Yoga-Reise beginnt mit den fünf allgemeinen moralischen Geboten (yama). Auf diese Weise lernen wir, Kontrolle über unsere Handlungen in der Außenwelt zu entwickeln. Die Reise setzt sich mit den fünf Schritten der Selbstreinigung (niyama) fort. Diese beziehen sich auf unsere Innenwelt und Sinneswahrnehmungen und helfen uns bei der Entwicklung von Selbstdisziplin. Wir werden im Verlauf des Buches immer wieder auf sie zu sprechen kommen, aber anfänglich dienen sie einer Zügelung unseres Verhaltens anderen und uns selbst gegenüber. Diese ethischen Regeln und Prinzipien begleiten uns stets, vom Anfang bis zum Ende der Yoga-Reise, denn die Demonstration unserer spirituellen Verwirklichung liegt in nichts anderem begründet als in der Art und Weise, wie wir uns unter unseren Mitmenschen bewegen und mit ihnen interagieren.

Ziel des Yoga mag ja letztendlich die absolute Freiheit sein. Bevor diese aber erreicht ist, machen wir in winzigen Schritten die Erfahrung einer zunehmend größeren Freiheit, indem wir zur Entdeckung von immer mehr Selbstbeherrschung, Sensibilität und Gewahrsein gelangen. Diese Qualitäten erlauben uns, das von uns angestrebte Dasein zu leben: ein anständiges Leben; saubere, ehrliche menschliche Beziehungen; guten Willen und Kameradschaft; Vertrauen; Eigenständigkeit; Freude am Glück anderer; und Gleichmut im Angesicht von eigenem Pech und Unglück. Ist unser Denken und Handeln von Menschlichkeit, Güte und Wohlwollen geprägt, können wir zu größerer Freiheit voranschreiten. Befinden wir uns im Zustand des Zweifels, der Verwirrung und Lasterhaftigkeit, können wir es nicht. Der Fortschritt im Yoga ist nicht aufgrund moralischer Beurteilungen, sondern aus einem ganz praktischen Grund ethischer Natur. Man kann fast unmöglich mit einem Satz von der Position »Schlecht« zur Position »Allerbest« springen, ohne »Gut« zu durchlaufen. Auch ist, wenn sich Unwissenheit und Dummheit auf dem Rückzug befinden, »Gut« ein ungemein behaglicherer Aufenthaltsort als »Schlecht«. Was hier mit »Schlecht« bezeichnet wird, ist die Unwissenheit in Aktion, und diese gedeiht als Lebensstrategie nur in der Dunkelheit.

Das dritte Blütenblatt ist die Übungspraxis der Stellungen (yogāsana), der das nächste Kapitel in diesem Buch gewidmet ist. Āsana bewahrt die Kraft und Gesundheit des Körpers, ohne die nur sehr wenige Fortschritte erzielt werden können. Es bewahrt auch die Harmonie des Körpers mit der Natur. Wir wissen alle, dass der Geist den Körper beeinflusst. Es geht uns etwas an die Nieren, oder es schlägt uns etwas auf den Magen. Warum es nicht auch andersherum probieren, so der Vorschlag des Yoga, und den Geist über den Körper angehen? »Kopf hoch« und »Schultern zurück, steh gerade« sind Beispiele für diesen Ansatz. Die Entwicklung und Kultivierung des Selbst durch Āsana ist das breite Tor, das zu den inneren Bereichen führt, die es zu erforschen gilt. Mit anderen Worten, wir werden versuchen, mit Hilfe von Āsana den Geist zu formen. Wir müssen herausfinden, wonach jede Hülle des Seins verlangt, und sie entsprechend ihrer subtilen Gelüste nähren. Schließlich unterstützt die jeweils weiter nach innen führende oder feinere Hülle die ihr angelagerte nach außen führende Schicht. Daher würden wir im Yoga sagen, dass das Subtile und Feine dem Groben, dass der Geist der Materie vorausgeht. Doch Yoga sagt, dass wir uns erst dem Äußeren oder dem am meisten Manifestierten zuwenden müssen, das heißt den Beinen, Armen, dem Rückgrat, den Augen, der Zunge, der Berührung, um die Sensibilität zu entwickeln, die uns ein Vordringen ins Innere erlaubt. Deshalb eröffnet Āsana das ganze Spektrum der Möglichkeiten des Yoga. Ohne die Unterstützung des Inkarnationsvehikels der Seele, des mit Nahrung und Wasser gespeisten Körpers von den Knochen bis hin zum Gehirn, kann es keine Verwirklichung der existenziellen, göttlichen Glückseligkeit geben. Wenn wir uns dieser Einschränkungen und Zwänge bewusst werden, können wir sie transzendieren. Wir verfügen alle über ein gewisses Bewusstsein von ethischem Verhalten, aber um uns Yama und Niyama auf tieferen Ebenen widmen zu können, müssen wir den Geist kultivieren. Wir brauchen Zufriedenheit, innere Ruhe, Leidenschaftslosigkeit und Selbstlosigkeit, Eigenschaften, die man sich erwerben muss. Āsana lehrt uns die Physiologie dieser Tugenden und Kräfte.

Das Zurückziehen der Sinne in den Geist (pratyāhāra) ist das fünfte Blütenblatt des Yoga, und man nennt es auch den Dreh- und Angelpunkt zwischen äußerer und innerer Suche. Leider missbrauchen wir unsere Sinne, unsere Erinnerungen und unsere Intelligenz. Wir lassen deren potenzielle Energien nach außen fließen und sich zerstreuen. Wir sagen vielleicht, dass wir das Reich der Seele erreichen möchten, aber da bleibt ein großes Tauziehen. Wir gehen weder nach innen noch nach außen, und das zieht uns unsere Energien ab. Das können wir besser machen.

Indem wir unsere Wahrnehmungssinne nach innen wenden, können wir zur Erfahrung der Beherrschung, der Stille und Ruhe des Geistes gelangen. Diese Fähigkeit, den Geist sanft zu beruhigen und still werden zu lassen, ist nicht nur für die Meditation und die Reise nach Innen ganz entscheidend, sondern auch die Voraussetzung dafür, dass die intuitive Intelligenz auf nützliche und lohnende Art in der Außenwelt funktionieren kann.

Die letzten drei Blütenblätter oder Stufen sind Konzentration (dhāranā), Meditation (dhyāna) und vollkommene Versenkung (samādhi). Diese drei bedeuten den Anstieg zu einem Höhepunkt, zum Yoga der letztendlichen Integration (samyamayoga).

Wir fangen mit der Konzentration an. Da Dhāranā sich so leicht mit dem Begriff Konzentration übersetzen lässt, übersehen wir oft diese Stufe oder tun sie ab. In der Schule lernen wir Aufmerksamkeit. Das ist zwar nützlich, aber nicht das, was mit dem yogischen Begriff Konzentration gemeint ist. Wenn wir im Wald ein Reh sehen, sagen wir nicht: »Schau mal, es konzentriert sich.« Das Reh befindet sich im Zustand eines absolut dynamischen Gewahrseins in jeder seiner Körperzellen. Wir machen uns oft weis, dass wir uns konzentrieren, weil wir unsere Aufmerksamkeit fest auf etwas, das sich mit Schwankungen und Bewegungen verbindet, gerichtet halten – ein Fußballspiel, einen Film, einen Roman, die Meereswogen oder eine Kerzenflamme –, aber flackert nicht auch die Flamme? Echte Konzentration meint einen Gewahrseinsstrang. Im Yoga geht es darum, wie uns der Wille, im Verein mit Intelligenz und sich selbst reflektierendem Bewusstsein, von der Unvermeidlichkeit eines schwankenden Geistes und nach außen gerichteter Sinne befreien kann. Hier leistet uns Āsana große Dienste.

Schauen wir uns an, welche Herausforderung der Körper in einem Āsana an den Geist stellt. Das äußere Bein überstreckt sich, aber das innere Bein hängt durch. Wir haben die Wahl, ob wir es bei dieser Situation belassen oder dieses Ungleichgewicht angehen wollen, indem wir unser Erkenntnis- und Vergleichsvermögen einsetzen und es mit Willenskraft unterstützen. Wir können das Gleichgewicht aufrechterhalten, sodass es kein Zurückgleiten gibt, und dann unsere Beobachtung auf die Knie, Füße, Haut, Fußknöchel, Fußsohlen, Zehen und so weiter ausdehnen; die Liste ist endlos. Unsere Aufmerksamkeit hüllt nicht nur ein, sie durchdringt auch. Können wir wie ein Jongleur diese vielen Bälle in der Luft halten, ohne einen fallen zu lassen, ohne in unserer Aufmerksamkeit nachzulassen? Nimmt es da wunder, dass man zur Vervollkommnung von Āsana viele Jahre braucht?

Wenn jeder neue Punkt studiert, wenn die nötigen Anpassungen vorgenommen worden sind und dies dann so aufrechterhalten wird, wird unser Gewahrsein und unsere Konzentration notwendigerweise auf unzählige Punkte zugleich gerichtet sein, sodass das Bewusstsein selbst praktisch im ganzen Körper gleichmäßig verteilt ist. Hier ist das Bewusstsein durchdringend und umhüllend, erhellt durch einen gelenkten Fluss der Intelligenz, und dient Körper und Geist als transformativer Zeuge. Das ist der anhaltende Fluss der Konzentration (dhāranā), der zu einer erhöhten Bewusstheit führt. Der stets wache Wille nimmt Anpassungen und Verfeinerungen vor und erschafft einen sich völlig selbst korrigierenden Mechanismus. Auf diese Weise weckt und schärft die unter Einbeziehung aller Elemente unseres Wesens durchgeführte Āsana-Praxis die Intelligenz, bis sie mit unseren Sinnen, unserem Geist, unserem Erinnerungsvermögen, unserem Bewusstsein und unserer Seele eins geworden ist. Knochen, Fleisch, Gelenke, Fasern, Sehnen, Geist und Intelligenz sind ins Geschirr genommen, arbeiten zusammen. Das Ich ist sowohl Wahrnehmender wie Tätiger. Wenn ich hier vom Ich spreche, meine ich die Gesamtheit unseres Gewahrseins von wer und was wir in einem natürlichen Bewusstseinszustand sind. So nimmt das Ich seine natürliche Gestalt an, ist weder aufgebläht noch in sich zusammengesunken. In einem perfekten Āsana, das meditativ und mit durchgängig aufrechterhaltener Konzentration ausgeführt wird, nimmt das Ich die perfekte Form an und ist von tadelloser Integrität.

Wenn Sie sich diese Beziehung zwischen Āsana und Konzentration (dhāranā) auf einfache Weise einprägen wollen, dann vielleicht mit dem Merksatz: Wenn du eine Menge kleiner Dinge lernst, weißt du vielleicht eines Tages über ein großes Ding Bescheid.

Als Nächstes kommen wir zur Meditation (dhyāna). Bei unserem Tempo des modernen Lebens haben wir es unvermeidlich mit einem ständigen Unterton von Stress zu tun. Dieser auf den Geist ausgeübte Druck baut mentale Störungen wie Ärger, Wut und Begehren auf, die dann wiederum zum Aufbau von emotionalem Stress führen. Ganz im Gegensatz zu dem, was viele Lehrer Ihnen zu erzählen versuchen, beseitigt Meditation keinen Stress. Meditation ist nur möglich, wenn man bereits einen gewissen »stresslosen« Zustand erreicht hat. Und um stressfrei sein zu können, muss sich das Gehirn schon in einem beruhigten und gelassenen Zustand befinden. Indem man das Gehirn zu entspannen lernt, kann man den Stress allmählich beseitigen.