Liebe macht lustig - Kate Saunders - E-Book
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Kate Saunders

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Beschreibung

Leichthändig und tiefgehend: Die romantische Komödie um verhinderte Ehebrecher, Katastrophen im Urlaubsparadies und die Liebe, die man nicht buchen kann. Beth ist sauer: Ihr Mann Charlie hat eine Woche Urlaub in Frankreich geplant – allerdings mit seiner attraktiven Kollegin Clare. Beth sorgt dafür, dass Charlie umbucht. Und Clare fällt aus allen Wolken, als Charlie im sonnigen Südfrankreich mit Frau und zwei schlechtgelaunten Teenager-Töchtern auftaucht. Das Hotel ist ein halbverfallenes Chateau mit undichtem Dach, betrunkener Köchin und wackligen Betten. Und die anderen Gäste stammen direkt aus einer schrägen Casting-Show: ein vielleicht schwules Pärchen, dösig-aristokratische Brüder aus Schottland und ein mysteriös attraktiver Internatsdirektor. Zwischen Traumurlaub und Albtraumlocation verstricken sich Charlie, Beth und Clare in einen köstlichen Sommernachtsverwechslungstraum, in dem schließlich doch die Liebe erwacht.

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Kate Saunders

Liebe macht lustig

Roman

Aus dem Englischen von Catrin Lucht

Fischer e-books

Kapitel 1

Charlie hatte einen Stapel Bücher für seine Ferien gekauft. Er holte sie aus der Tasche, um sie Beth zu zeigen. Eine Biographie von Le Corbusier, etwas über ein Massaker an den Protestanten im Paris des 16. Jahrhunderts und die gesammelten Briefe von George Bernard Shaw.

»Ein bisschen Urlaubslektüre«, sagte Beth. »Mein lieber Schwan.«

»Es muss doch etwas sein, womit ich mich zu Hause nicht beschäftige«, sagte Charlie. »Das Zeug, das ich gelesen habe, bevor mein Hirn anfing aufzuweichen.«

»Liebling, dein Hirn ist nicht aufgeweicht. Es ist eine gespannte Feder, ein schleichender Panther …«

»Halt die Klappe.« Er schlug liebevoll mit der Serviette nach ihr. »Du weißt doch, was ich meine … bevor wir die Kinder hatten, war unsere Urlaubslektüre der schwerste Teil des Gepäcks, oder? Erinnerst du dich an Devon? Ich habe Hemingway gelesen, und du warst in irgendeinen viktorianischen Schund vertieft …«

»Gütiger Himmel, das ist eine Diskussion, die wir schon lange nicht mehr hatten.«

»Keine Sorge, ich hab nicht vor, sie wiederzubeleben – ich wollte damit nur unseren Abstieg in den Analphabetismus verdeutlichen. Als wir das letzte Mal in Griechenland waren, habe ich ein einziges Buch mitgenommen, und das war von John Grisham – nichts gegen Grisham, aber er ist wirklich kein Hemingway –, und ich habe es noch nicht einmal zu Ende gelesen. Was ist nur los mit mir? Wo ist all meine Neugier auf die Welt geblieben? Bin ich nicht mehr in der Lage, Dinge in meinem Hirn zu speichern?«

»Vielleicht ist es voll?«, schlug Beth vor.

Er ignorierte das. »Wie auch immer, ich werde etwas Anspruchsvolles lesen, während ich weg bin. Und wenn ich feststelle, dass ich anständige Bücher nicht mehr bewältige, kann ich sie immer noch an Scarly weitergeben.«

Beth lachte leise. »Ja, sie ist in dem goldenen Alter, in dem man alles aufnimmt, ganz egal, wie geschwollen es ist.«

»Geschwollen? Willst du damit sagen, dass meine Bücher geschwollen sind?«

»Ich bitte dich – Le Corbusier? George Bernard Shaw? Ich gebe dir genau zwei Tage, bis du dich nach Grisham sehnst.«

Sie saßen draußen an einem der Tische von Kasbah, einem bekannten Café, das praktischerweise zwischen dem Buchladen und dem Feinkostgeschäft lag. Beth hatte dort ein Glas sonnengetrockneter Tomaten und schwarze, mit Tintenfischtinte gefärbte Pasta gekauft. Sie hatte Charlie gebeten, in der Eisenwarenhandlung vorbeizugehen, um Glühbirnen zu besorgen, aber natürlich hatte er es vergessen, sein Gehirn konnte sich – so überlegen es auch war – nicht gleichzeitig mit Le Corbusier und Glühbirnen beschäftigen.

Ein Mädchen brachte ihnen Kaffee. Beth und Charlie nahmen sich jeder einen Teil der Samstagsausgabe des Guardian. Beth bekam das Magazin, das voller seriöser Schwarz-Weiß-Fotos von armen Menschen in fernen Ländern war. Charlie bekam den Nachrichtenteil. Beth hätte sich gerne weiter unterhalten, aber es gab nichts mehr zu sagen. Sie waren jetzt dreiundzwanzig Jahre zusammen, und ihre Unterhaltungen hatten sich inzwischen zu reinen Updates ihrer gemeinsamen Geschichte gewandelt. Sie plauderten nicht, sie erzählten sich nicht einfach Dinge, wie Leute, die sich gerade erst kennengelernt hatten.

Beth war klar, dass sie nur plaudern wollte, weil das Magazin Minderwertigkeitsgefühle in ihr wachrief. Ihr erster Impuls war, es wegzulegen und etwas zu sagen wie: »Na ja, es ist trotzdem ein wunderschöner Tag«, aber Charlie hatte ihr schon vor Jahren erklärt, dass die einzige Antwort auf diese Art von Bemerkung »Hmmm« war.

Charlie war zweiundfünfzig und immer noch ein attraktiver Mann, auch wenn sich das mittlerweile eher in der Verneinungsform ausdrücken ließ – nicht fett, nicht glatzköpfig und nicht besonders faltig. Seine dicken schwarzen Haare wurden von dramatischen eisengrauen Strähnen durchzogen, die ihm sehr gut standen. Beth war achtundvierzig und fand, dass sie sich nicht so gut gehalten hatte. Sie sah eher durchschnittlich aus, hatte dünne blasse Haut und dünne helle Haare, und ihr zarter Teint war verblasst, so als wäre sie zu oft in der Wäsche gewesen.

Beths Gedanken schweiften wie so oft in die Menopause ab. Sie spürte sie manchmal wie einen aufbrausenden Sturm. Sie spürte schon einige der Symptome – nächtliche Schweißausbrüche und rätselhafte Heulanfälle über Babysachen, die sie hinter dem Boiler fand. Ihre Taille war ein wenig fülliger geworden, und wenn sie zu schnell in den Spiegel schaute, sah sie ihre Mutter. Die ungestüme grasgrüne Jugend ihrer Töchter forderte den permanenten Vergleich heraus.

Nicht, dass sie sie beneidete. Sie hatte Frauen in ihrem Alter, die vorgaben jung zu sein, nie verstanden. Hatten sie vergessen, was für harte Arbeit das war? Scarlett war neunzehn, studierte Englisch in Oxford und war gerade von ihrem ersten festen Freund verlassen worden (ein Phantom, das ihre Eltern nie zu Gesicht bekommen hatten). Bean war fünfzehn, und man hatte sie im letzten Schuljahr wegen des Besitzes von Cannabis festgenommen. Beth überkam ein Anflug von Nostalgie, als sie an die Tage dachte, in denen es relativ einfach gewesen war, die Kinder zu erziehen. Warum waren ihr die Tage des Anziehens, Waschens und Fütterns nur so anstrengend vorgekommen? Damals hatte sie sie wenigstens unter Kontrolle gehabt. Es war viel schlimmer zu akzeptieren, dass ihre Töchter sich jetzt mit Dingen herumschlugen, die man nicht mit Paracetamol heilen konnte.

Arme Scarly, die erste Zurückweisung war unglaublich schmerzhaft. Beth erinnerte sich gut daran, wie sie tagelang wegen Ian Dingsda geheult hatte, während ihre Mutter an ihre Tür geklopft hatte, um sie zu bitten, nicht ständig »Tainted Love« zu spielen.

»Oh, Scheiße«, murmelte Charlie. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«

Beth sagte lachend: »Halt die Klappe.« Dann stand sie auf, um ihre Freundin Lizzie Parr (korpulent, rechthaberisch und erbarmungslos gut gelaunt) zu küssen, die Charlie nicht leiden konnte. »Lizzie, schön, dich zu sehen. Willst du dich nicht zu uns setzen?«

»Danke, aber ich kann nicht«, sagte Lizzie. »Ich muss die Kinder vom Orchester abholen. Ach du meine Güte, was für ein eindrucksvoller Stapel Bücher.«

»Sie sind für Charlies Urlaub«, erklärte Beth. »Er fliegt morgen nach Frankreich.«

»Nur Charlie? Fliegst du nicht mit?«

»Oh, nein – das ist eine unserer Regeln. Einmal im Jahr bekommt jeder eine Woche für sich ganz alleine, um den Akku aufzuladen.« Das war Teil einer Abmachung, die sie beide vor ungefähr zehn Jahren nach einer Krise vereinbart hatten und von der sie immer noch glaubten, dass sie ›neu‹ sei. »Ich fahre immer in den Lake District«, fügte Beth hinzu, »mit einem ordentlichen Stapel Thomas Hardy.«

»Hardy? Ihr seid beide entsetzliche Intelligenzbolzen«, sagte Lizzie. »Wenn Keith mir erlauben würde, eine Woche mit mir allein zu sein, würde ich nichts als Klatsch und Tratsch lesen. In welchen Teil von Frankreich fährst du denn?«

Beth spürte, dass sie die Regeln des Mittelklasse-Frankreich-Spiels nie so ganz verstanden hatte. Aus irgendeinem Grund hatte es etwas von einem Wettbewerb. Einmal Dordogne war zweimal Languedoc wert, und mit der Normandie konnte man überhaupt nicht punkten, es sei denn, man hatte dort einen wirklich anständigen privaten Pool.

»Es liegt im Lot-Tal«, sagte Charlie. »Zwischen Cahors und Figeac.«

»Oh, das ist der schönste Ort der Welt – Beth, kommst du da nicht in Versuchung, eure Regel zu brechen und mitzufahren?«

»Jemand muss ein Auge auf diese bösen Mädchen haben«, sagte Charlie.

»Er wird in einem alten Schloss wohnen, das seit der Zeit König Edwards ein Hotel ist«, erzählte Beth Lizzie, womit sie natürlich Frankreich-Punkte erzielen wollte. »Auch E.M.Forster logierte dort.«

»Entschuldige – hilf mir auf die Sprünge …«

»Er hat ›Zimmer mit Aussicht‹ geschrieben.«

»O ja, stimmt. Na, das hört sich großartig an. Ich finde diesen Film wunderbar.«

»Es hat einen seltsamen Namen. Es heißt Château Cornu, und wir haben uns fast darüber gestritten, wie man es wohl übersetzen sollte – Charlie sagt ›schief‹ oder ›gewölbt‹, aber ich würde es lieber poetischer sehen und ›gewunden‹ sagen – Gewundenes Schloss.«

»Cornu sagtest du?«, fragte Lizzie, »in der Nähe von Cahors? Wie witzig, ich glaube ich kenne jemanden, der morgen auch dorthin fährt.«

»Ich hoffe, es ist nicht einer deiner gescheiterten Tory-Kandidaten«, sagte Beth und lachte. »Charlie wird ihn umbringen.«

Lizzie sagte: »Hör bloß auf damit, ich kann nichts für die fürchterlichen Freunde meines Mannes. Sie sitzt in Keiths Ausschuss für das Krankenhaus. Ihr Name ist Clare irgendwas. Chester.«

»Clare Chessil«, sagte Beth.

»Chessil. Ja, so heißt sie. Groß und dunkel. Kennst du sie?«

»Sie arbeitet mit Charlie zusammen.« Beth sah ihn an. »Clare Chessil«, wiederholte sie.

Charlie war auf einmal tief in seine Zeitung versunken. Er sah ungeduldig auf. »Ja?«

»Lizzie sagt, dass sie morgen nach Frankreich fährt, in dasselbe Hotel wie du.«

»Oh.« Für den Bruchteil einer Sekunde war Charlie aufgebracht. »Wie merkwürdig. Ich denke, das muss ein Missverständnis sein. Das hätte sie mir doch erzählt, oder nicht? Und ich höre das gerade zum ersten Mal.«

»Vielleicht ist es ja jemand anderes«, sagte Lizzie. »Wie auch immer, bye, und schönen Urlaub.«

»Puh«, sagte Charlie, als Lizzie erst einmal außer Hörweite war. »Ich hatte schon befürchtet, dass sie bei uns hängenbleibt. Sollen wir aufbrechen?«

»Nein«, sagte Beth. Ein Stein lag auf ihrer Brust. »Ich möchte mehr über diesen erstaunlichen Zufall erfahren.«

»Was?«

»Oh, mein Gott! Du und Clare Chessil fahrt morgen ganz zufällig in dasselbe unbekannte Hotel!«

»Hör mal, ich hatte keine Ahnung!«

»Du Mistkerl. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

»Beth, bitte – können wir darüber vielleicht zu Hause reden?«

»Nein. Ich möchte nicht, dass die Kinder das mitbekommen. Sie haben immer noch Albträume wegen dem letzten Mal.«

»Das letzte Mal!« Charlie war empört. »Oh, daher weht der Wind. Das letzte Mal. Das liegt immer noch nicht lang genug zurück, oder? Soweit also zum Thema Vertrauen.«

»Ich weiß, dass du auf sie stehst«, sagte Beth. Ihr ging ein Licht auf. »Du erwähnst ihren Namen in jeder Unterhaltung. Und genauso hat es beim letzten Mal auch angefangen.«

»Wir arbeiten zusammen. Natürlich spreche ich über sie. Ich spreche über alle meine Kollegen. Das heißt nicht, dass ich sie alle in irgendwelchen Hotels treffe. Sei nicht so paranoid.«

»Und ich dachte, du würdest einen ruhigen, einsamen Urlaub verbringen. Du Mistkerl.«

»Sch!«

Beth erhob die Stimme. »Du großes, stinkendes Stück Scheiße.«

»Ich treffe Clare nicht in Frankreich, okay? Hast du das verstanden? Gib mir eine Bibel, und ich schwöre darauf.«

Beth hatte auf einmal das Bild von Charlie vor Augen, wie er wegen seiner unglaublichen Frechheit, die Bibel zu benutzen, um seine Lügen zu bekräftigen, auf einem ewigen Grill schmorte. Er hatte das gesagt, um zu sticheln – sie war katholisch erzogen worden, und er wusste, dass sie das nicht so einfach abschütteln konnte.

»Ich glaube dir nicht.«

Charlie seufzte. »Okay, wenn du weiter darauf herumreitest, fahre ich nicht und vergesse den ganzen Urlaub. Wärst du dann zufrieden?«

»Ja.«

»Das heißt, dass ich, was unsere Abmachung angeht, noch einen Urlaub gut habe. Werden wir jetzt jedes Mal diese Diskussionen haben, bevor ich verreise?«

»Die Abmachung gilt nicht mehr«, sagte Beth. »Ich kann überhaupt nicht fassen, dass ich jemals zugestimmt habe. Du hast sie benutzt, um die Ehe zu brechen. Einmal im Jahr fährst du ficken, und ich fahre in den beschissenen Lake District.«

»Beth, reiß dich zusammen. Ich werde morgen nicht fahren. Es ist alles geplatzt.«

»Da wird sie wohl alleine fahren müssen«, sagte Beth. »Ich hoffe, dass sie ein paar gute Bücher dabeihat.«

Charlie seufzte. Er war wütend, überspielte das aber und sagte betrübt: »Zum letzten Mal, ich habe nicht die geringste Ahnung, was Clare für Urlaubspläne hat.«

»Du lügst«, sagte Beth. »Du glaubst, ich könnte das nicht erkennen, nach all den Jahren? Deine Augenlider kräuseln sich, und du machst einen auf verletzt – genau wie Bean.«

»Was ist bloß in dich gefahren?«, schnauzte er sie an. »Himmel, du bist total durchgedreht.«

Beth spürte, wie die Wut auf ihn in ihr hochstieg, ein unsichtbares wildes Tier jenseits aller Kontrolle. Sie sprach in einem schrecklich ruhigen Ton. »Durchgedreht? Willst du damit etwa sagen, dass es durchgedreht von mir ist, wenn ich verlange, dass du aufhörst, mich zu betrügen?«

»Zum allerletzten Mal, ich habe dich nicht …«

»Halt den Mund, oder ich frage das ganze Café – Hand hoch, wer glaubt, dass ich durchgedreht bin.«

»Beth – um Himmels willen.«

»Und das ist der Mann, der einen solchen Terz veranstaltet hat, um seiner Familie ein Opfer zu bringen.«

Charlie war sehr still. Sie sprach von der Krise. Das war das erste Mal, dass einer von ihnen sie direkt angesprochen hat, seit dem turbulenten Wochenende vor zehn Jahren.

Vor zehn Jahren hatte Charlie sich in eine Frau mit dem Namen Diane Fellows verliebt. Und so, wie Beth es noch immer sah, hatte er sich damals entschieden, die Herzen seiner Frau und seiner Töchter zu brechen, indem er in Dianes Wohnung in Ladbroke Grove eingezogen war. Die Mädchen waren erst neun und fünf, und die Sache brachte sie schwer durcheinander – Beths Magen zog sich vor Sorge und Ärger immer noch zusammen, wenn sie sich an die verwirrten und tränenüberströmten Gesichter erinnerte. Einmal hatte sie sich sogar gewünscht, dass Charlie einen qualvollen Tod sterben und eine Million Jahre im Fegefeuer verbringen müsste. Aber Charlie betete seine Töchter an und konnte nicht ohne sie leben. Er schaffte es irgendwie, sich wieder in Beth zu verlieben – unter bestimmten Bedingungen.

Charlie murmelte: »Du hast mir nie verziehen, oder?«

»Ich habe dir vorläufig verziehen«, sagte Beth. »So lange, wie du es nicht noch einmal machst. Jetzt nehme ich es zurück, du Mistkerl.«

Charlie gab einen langen tiefen Seufzer von sich. Tiefe Falten legten sich auf seine Stirn. »Okay. Du kannst mir an den Kopf werfen, was du willst, aber können wir jetzt bitte nach Hause gehen?«

»Nein! Ich möchte nicht, dass die Mädchen etwas davon erfahren.«

»Beth, hör mir zu. Ich liebe Scarly und Bean mehr als alles andere auf der Welt. Glaubst du, ich würde irgendetwas tun, das sie unglücklich macht? Und ich liebe dich, und ich liebe unser Zuhause. Ich setze das alles doch nicht einfach aufs Spiel. Ich gebe zu, dass ich wusste, dass Clare morgen nach Frankreich fliegt, aber es war ein absoluter Zufall. Wir haben keine Affäre.«

»Noch nicht«, sagte Beth. »Das habe ich ja gerade verhindert.«

»Himmelherrgott!«, sagte Charlie. »Was muss ich denn noch machen, um dich zu überzeugen?«

»Nimm mich mit.«

»Sei nicht albern. Du hasst es, ohne die Mädchen wegzufahren.«

»Nimm uns alle mit.«

»Du weißt ganz genau, dass das nicht möglich ist.«

»Warum nicht? Du musst nur das Hotel und die Fluggesellschaft anrufen.«

»Es ist Hauptsaison. Das kostet ein Vermögen.«

Beth schwieg ein langes bedrückendes Schweigen, das ihm deutlich machte, was ihn eine Weigerung sonst noch alles kosten könnte.

Clare hatte diesen Anruf nicht erwartet. Sie wusste sofort, dass es Alarmstufe eins bedeutete. Charlie flüsterte hastig, während im Hintergrund ziemlich laut Wagner lief.

»Mein Liebling – etwas Furchtbares – das muss jetzt schnell gehen, ich bin zu Hause im Arbeitszimmer. Es hat sich eine kleine Katastrophe ereignet.«

»Katastrophe?« Clare nahm die Fernbedienung vom Fernseher, um das biblische Monumentaldrama stumm zu schalten, das sie sich angesehen hatte, während ihre Fußnägel trockneten. »Was ist passiert?«

»Beth hat alles herausgefunden.«

»Oh.« Clares Magen drehte sich um. Ihr wurde übel.

»Es ist nicht deine Schuld, aber du hast es jemandem bei deiner Krankenhaus-Komitee-Sache erzählt.«

»Ich habe es jemandem erzählt?« Das war so lächerlich, dass es eigentlich keine ernste Antwort verdiente. »Glaubst du, dass wir uns damit unsere Zeit vertreiben? Uns über unsere Liebesleben zu unterhalten?

Charlie murmelte: »Du hast einer neugierigen alten Tratschtante mit dem Namen Lizzie Parr erzählt, dass du ins Château Cornu fährst.«

»Oh, ist das etwa die Frau vom Chefarzt? Vielleicht habe ich es am Ende eines Meetings erwähnt.«

»Nun ja, sie ist eine Freundin von Beth. Sie hat herausposaunt, dass du in dasselbe Hotel fährst wie ich. Ich habe nichts zugegeben, aber Beth hat offensichtlich zwei und zwei zusammengezählt.«

»Oh.«

Er stöhnte leicht. Im Hintergrund schrien die Rheintöchter. »Sie ist wirklich aufgebracht und richtig wütend – sie hat mir vorgeworfen, die Mädchen zu betrügen und alles zu untergraben, was wir uns aufgebaut haben.«

Clare wurde ungeduldig. Die Details seiner Vorort-Familien-Dramen waren für sie absolut uninteressant, es sei denn, sie führten dazu, dass er seine Frau verließe – was sie natürlich nie taten. Charlie hatte ihr schon mehrere Male gesagt, dass er Beth nicht verlassen könne, bevor die Mädchen nicht das College absolviert hätten.

»Also«, sagte sie, »werde ich wohl alleine fahren. Ich sollte besser ein paar gute Bücher mitnehmen.«

Sie war enttäuscht, fand sich aber damit ab. Verheiratete Männer zu lieben hieß, plötzliche Absagen mit einer gewissen Haltung hinzunehmen.

»Na ja«, sagte Charlie. »Nicht ganz.«

»Bitte?«

»Du wirst mich hassen, aber ich muss es tun, ich habe keine andere Wahl. Beth hat entschieden, dass sie mitkommt.«

»Was?«

»Und sie bringt die Kinder mit. Es tut mir so leid, wenn du nur wüsstest, wie leid es mir tut, während ich dich anbete, während ich deinen Körper und deinen Geist will – aber selbstverständlich zahle ich dir die Hälfte des Zimmerpreises zurück.«

»Was redest du denn da?« Clare bebte vor Wut. »Warum solltest du denn das Zimmer behalten?«

»Nun, weil ich es mit Beth teilen werde.«

»Willst du damit sagen, du lässt es zu, dass deine Frau mir meinen Urlaub wegnimmt?«

»Clare, Süße …«

»Meinen Urlaub, den ich schon seit Wochen plane? Verpiss dich! Es ist nicht dein Hotel, im Übrigen habe ich es entdeckt, und du kannst mich davon nicht fernhalten.«

»Komm schon, Clare! Ich werde mit meiner verdammten Familie dort sein.«

»Oh, mach dir keine Sorgen. Ich werde mir ein anderes Zimmer buchen. Ich werde unsichtbar sein. Du wirst nicht einmal mitbekommen, dass ich da bin.«

Sie legte einfach auf, und das hatte sie noch nie getan. Der Ärger fiel von ihr ab, und sie begann zu schluchzen. Es passierte wieder. Sie wusste nur zu gut, was jetzt kommen würde. Diese Art von Liebesbeziehung zerfällt zu Staub, wenn sie erst einmal der Lufteinwirkung ausgesetzt ist. Charlie wäre vor die Wahl gestellt, und dann entschied er sich bestimmt für seine spießige verheiratete Jungfrau. Clare müsste aus seinem Leben verschwinden und nichts als Reue und Schuldgefühle zurücklassen – keinen Gold-, sondern einen Trauerring.

Sie war nicht böse auf ihn. Sie war noch nicht einmal böse auf Beth. Sie war böse auf sich selbst, weil sie ihr eigenes Leben so wenig im Griff hatte. In solchen Phasen musste Clare wohl oder übel zugeben, dass sie wusste, warum sie mit dreiunddreißig Jahren alleine war. Sie war süchtig nach der heimlichen Ekstase, dem schmerzlichen Verlangen und der unglaublichen sexuellen Erregung, die Affären mit verheirateten Männern mit sich brachten.

Und weil sie wusste, dass sie kein Mitleid verdient hatte, tat es nur noch mehr weh. Ihre Mutter, die Sprichwörter sehr gemocht hatte, hätte gesagt, wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um. Wenn ihr Herz bräche, wäre das ganz allein ihre Schuld.

Clare ahnte seit dem Tag, an dem sie in dem großen Architekturbüro in Clerkenwell angefangen hatte, dass sie wahrscheinlich auf alle Gesellschafter abfahren würde. Sie wusste nur zu gut, dass sie die fatale Neigung hatte, männliche Autoritätspersonen anzuhimmeln. Das hatte sie in den bitteren Nachwehen der Affäre mit Patrick, ihrer ersten großen Liebe, herausgefunden.

Sie hatte Charlie gesehen, wie er sich über den Schreibtisch lehnte und telefonierte. Er hatte kurz aufgeblickt, ihre Hand geschüttelt, und ihr Herz begann wie wild zu klopfen – diese dunklen Augen mit dem verschleierten Blick, die grauen Strähnen in seinem dicken schwarzen Haar. Er hatte etwas von Harrison Ford, eine Spur von Connery, einen Anflug von Gary Cooper in ›Zwölf Uhr mittags‹. Es hatte sie augenblicklich erwischt.

Charlie war zweiundfünfzig. Über der Spüle in der Büroküche hing ein altes Foto von der Überraschungsparty zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Er stand in der Mitte einer Gruppe, und sein grinsendes Gesicht drückte blankes Entsetzen aus. Fünfzig zu werden, das wusste Clare aus gutem Grund, war oft ein traumatisches Erlebnis für den grauhaarigen Alphamann.

Der Sex mit Charlie war phantastisch, unglaublich. Aber natürlich war da noch mehr. Er war einfühlsam, galant und romantisch. Nach ihrer ersten Umarmung hatte Charlie sie zum Abendessen ausgeführt und ihr eine weiße Rose mitgebracht. Clare hatte sich nichts daraus gemacht, dass das düstere italienische Restaurant im Büro »Affärino’s« genannt wurde. Dieses erste Zusammentreffen hatte nichts Schmutziges oder Heimliches. Sie hatten sich angeregt unterhalten. Sie hatte sich dabei ertappt, ihm alle möglichen Dinge von ihren lustigen alten Eltern zu erzählen, die beide Landärzte gewesen waren, und von ihrer einsamen Lincolnshire-Kindheit. Diese Dinge waren alle unglaublich persönlich. Normalerweise war Clare eher zurückhaltend, was ihre Herkunft betraf, und zögerte eher, sie vor Leuten auszubreiten, die sie möglicherweise nicht verstanden, aber Charlie hatte einfach genau die richtigen Fragen gestellt. Und er hörte ihr mit großem Interesse zu. Sie hatte in diesen besonderen Ferien geplant, ihm von Patrick zu erzählen.

Sie weinte eine halbe Stunde. Im Fernsehen bewegte Deborah Kerr stumm ihre Lippen in einer Toga aus violettem Chiffon.

Clare konnte Charlie nicht zurückrufen, um ihm zu sagen, dass es ihr leidtat. Sie durfte ihn nicht anrufen. Es tat ihr sowieso nicht leid. Wie konnte er es wagen? Sie hatte diesen Urlaub – ihre ehebrecherischen Flitterwochen – mit solch liebevoller Sorgfalt geplant.

Sie hatte das Château Cornu in einem Design-Magazin, das ans Büro geliefert wurde, entdeckt. Beim Durchblättern fiel ihr Blick auf ein atemberaubendes Foto. Es zeigte ein kleines Schloss mitten in einem Garten zwischen Lavendel, Rosen und Reihen von Geranien unter dem südlichen Himmel. Der älteste Teil des Schlosses war ein massiger Bau aus grauem Stein mit schmalen, tiefliegenden Fenstern hinter Eisengittern. Daran schloss sich ein traditionelles, weinumranktes französisches Manoir mit Verandafenstern an. Hinter dem neueren Flügel des Hauses war ein Teil des Swimmingpools zu sehen. Unter dem Foto stand ein kurzer Artikel. Clare überflog ihn schnell. Château Cornu war im 11. Jahrhundert zum Schutz vor den räuberischen Engländern gebaut worden. Der Rest war im 17. Jahrhundert hinzugefügt worden. In den frühen Zwanzigerjahren hat eine entschlossene amerikanische Lady mit einem großen Interesse an Kunst und Geschichte es erworben. Mrs Rushing hatte das Schloss restauriert und es in die Pension Cornu umgewandelt. Auf der zweiten Seite war ein Schwarz-Weiß-Foto von E.M.Forster, ein paar Mitgliedern der Bloomsbury Group und Angehörigen der Cunard-Familie abgebildet, die in weißen Klamotten auf einer großen, mit Kies bedeckten Terrasse saßen und ihre berühmten, alten Augen vor der Sonne schützten.

Mrs. Rushings Hotel war vor dem Zweiten Weltkrieg geschlossen worden. Im Laufe der Jahre war es extrem baufällig, ja beinahe gefährlich geworden. Ein britisches Paar hatte diesen Ort letztes Jahr gekauft, mit dem Ziel, ihn in ein feines Hotel zu verwandeln. Das war alles, was Clare wissen musste. Sie hatte einen Zettel hineingelegt und das Magazin auf Charlies Schreibtisch gelegt. Er hatte ihnen auftragsgemäß ein luxuriöses Zimmer gebucht und seiner Frau erzählt, dass er alleine fahren würde, um den Akku aufzuladen. (Clare war erstaunt über Beths Leichtgläubigkeit – seit wann lädt ein Mann seinen Akku in einem Hotel auf, das so wahnsinnig schön ist, dass es fast schon unanständig ist?)

Clare ging in ihre kleine Küche. Sie putzte sich die Nase mit einem Geschirrtuch und brühte einen Tee auf. Mach es jetzt, sagte sie zu sich selbst, bevor du dich noch umentschließt. Sie wählte die Nummer des Château Cornu. Sie ließ es lange klingeln. Endlich hob ein Mann mit einem vornehmen britischen Akzent ab. Er klang atemlos, und im Hintergrund hörte man so eine Art klappernde Unruhe. Clare musste mehrmals erklären, was sie wollte.

»Oje«, sagte er schwach. »Ich fürchte, ich habe nur noch ein einziges Zimmer übrig. Es ist sehr klein, und es hat nur eine Dusche und keine Badewanne. Und um ehrlich zu sein, ist es nicht richtig fertig.«

»Wie bitte?«

»Es ist noch nicht komplett eingerichtet, verstehen Sie?«

»Das macht nichts«, antwortete Clare.

»Um die Wahrheit zu sagen«, fügte er hinzu, »wir haben gerade erst eröffnet.«

»Bitte?«

»Das Hotel. Wir haben bis jetzt noch keine Gäste gehabt.«

Clare hörte ein Krachen, gefolgt von jemandem, der »Scheiße!« rief.

»Aber«, sagte der Mann bestimmt, »einige Kinderkrankheiten ergeben sich ja zwangsläufig. Haben Sie schon einen Flug gebucht?«

»Ja. Ich werde morgen Nachmittag in Toulouse am Flughafen ankommen. Um vier, glaube ich.«

»Oh, gut. Dann können Sie mit in den Bus. Ich werde bei der Ankunft ein Schild hochhalten. Mein Name ist Jamie MacDuff.«

»Sehr erfreut«, sagte Clare.

»Scheiße!«, schrie die Phantomstimme im Hintergrund.

»Dann bis morgen«, sagte Jamie MacDuff.

Clare legte den Hörer auf und ließ sich von der Einsamkeit ihrer Wohnung überwältigen. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass es ein wahnsinniger Akt war, mit ihrem Liebhaber und seiner Familie in den Urlaub zu fahren. Das war ihr egal. Sie war es leid, die Regeln des Ehebruchs einzuhalten – die kurzen Telefongespräche über Handy von seltsamen Orten, die diskreten Restaurants, die heimlichen Nächte und die plötzlich überflüssigen Theaterkarten.

Dieses Mal war es anders. Wenn Charlie der Mann war, den sie liebte, dann musste sie auch bereit sein, um ihn zu kämpfen.

Kapitel 2

Ich verstehe immer noch nicht, warum ich in euren beschissenen Urlaub mitkommen soll«, sagte Bean. »Ich verstehe einfach nicht, warum ich mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt und gezwungen werde, in irgendein grässliches Hotel mitzufahren.«

»Es ist doch nur für ein paar Tage«, sagte Scarly sanft. »Vielleicht wird es ja ganz gut.«

»Warum kann ich nicht einfach zu Hause bleiben?«

Beth schloss ihre entzündeten und geschwollenen Augen. »Zum letzten Mal, weil ich keine Lust habe, dass du mein Haus in eine Opiumhöhle verwandelst.«

»Oh, vielen Dank. Da ziehe ich mir einmal einen halben Joint rein, und schon bin ich eine Drogensüchtige.«

Bean hatte seit gestern schlechte Laune. Sie hatte Beth angeschrien, Türen geknallt und versucht, in Shorts und Bikinioberteil zu reisen. Charlie hatte sie angeschrien, und jetzt trug sie die Shorts mit einer knappen gelben Weste, die den Stift ihres Bauchnabelpiercings zeigte.

»Und warum führt sich Dad so arschlochmäßig auf? Mensch. Kann er nicht einen Herzinfarkt bekommen oder so etwas.«

»Bean«, murmelte Beth, »bitte.«

Sie standen in der Schlange vor dem Coffeeshop am Flughafen. Sie hatten Charlie – der sich tatsächlich arschlochmäßig aufführte – mit dem Gepäck zurückgelassen. Die Schlange kam nur langsam voran. Der betuliche, wohlriechende Mann mittleren Alters, der vor ihnen stand, schnaubte ungeduldig.

Bean blaffte: »Bitte was? Was mache ich falsch?«

»Hör doch auf«, sagte Beth. »Ich werde nicht fünf Tage mitten in der Pampa mit dir verbringen, wenn du in einer solchen Stimmung bist. Warum kannst du nicht aufhören, dich zu beschweren, und das Beste draus machen. Denken wir einfach daran, dass wir Urlaub haben.«

Ach du meine Güte, wie oft hatte sie diese Worte schon gesagt, und über wie viele Jahre hinweg? In wie vielen Flughäfen und an wie vielen Stränden? Bean, hör auf zu quengeln/schmollen/mit Dad zu streiten/deine Schwester zu ärgern, und lasst uns alle daran denken, dass wir im Urlaub sind!

Leere Worte, unter diesen Umständen geradezu schmerzhaft lächerlich. Beth hatte die ganze Nacht leise geweint, während Charlie neben ihr schlief. Er hatte den Schlaf der Gerechten geschlafen, während sie mit ihrem reinen Gewissen gezwungen war, sich sein leises, zartes Schnarchen anzuhören. Wie konnte er es wagen, hier zu liegen und zu schnarchen? Das war einfach niederträchtig.

»Das Château klingt ziemlich romantisch«, sagte Scarly wehmütig. Sie war immer noch in ihre angestaubten schwarzen Trauerklamotten gehüllt, die Trauerkleidung eines Mädchens, das verlassen wurde.

An der gegenüberliegenden Seite hing ein Spiegel. Beth schaute sich ihre Spiegelbilder an. So wirkten sie also auf Fremde: eine zerknitterte, abgespannte mittelalte Mutter mit ihren beiden erwachsenen Töchtern. Sie brauchte einen Moment, um die Gruppe im Spiegel mit dem Bild, das sie in ihrem Kopf mit sich herumtrug, miteinander zu verbinden. Die Mädchen sahen plötzlich wie junge Erwachsene aus, unnahbar und unabhängig. Beth drehte sich wieder zu den realen Mädchen um und versuchte, sie mit ihren Babys in Verbindung zu bringen. Sie wünschte, sie hätte eine Entschuldigung dafür, ihnen über die Haare zu streicheln und ihre Nacken zu tätscheln, so wie sie es immer getan hatte, als sie klein waren. Jetzt gehörten ihre Körper ihnen ganz allein.

Scarly war hübsch, dachte Beth, abgesehen von ihren traurigen schwarzen Klamotten. Das arme Kind wollte blass und dünn sein, aber selbst der größte Kummer konnte ihre unverwüstliche Blüte nicht trüben. Ihre langen Haare glänzten wie dunkler Sirup, ihr Gesicht war rund und frisch und rosig. Im Ruhezustand war ihr Mund eine rosarote Knospe, die sie schon im Säuglingsalter hatte.

Die lange, dünne Bean war einen halben Kopf größer. Zum Verdruss ihrer Eltern hatte sie sich die Haare kurz schneiden, bleichen und eine grüne Strähne hineinfärben lassen. Ihr Gesicht war übersät mit kleinen Löchern, aus denen verbotene Stifte entfernt worden waren.

Und sie beschwerte sich immer noch. Bean war schon in Streitlaune zur Welt gekommen.

»Ich wette, dass alle anderen Leute alt und langweilig sind. Und es ist wirklich gemein, Sausage zu Hause zu lassen, sie hasst es, alleine zu sein.«

Sausage war die Katze der Familie. Bean hatte das unnachahmliche Talent, sich in ein ›kleines Mädchen‹ zurückzuverwandeln, wenn sie etwas erreichen wollte.

»Unsinn«, sagte Beth schnell, während sie sich nach einem Kaffee sehnte. »Sie wird ein bisschen Frieden und Ruhe genießen.«

Ein junger Mann in ausgebeulten Jeans und weißem Leinenshirt stellte sich vor sie in die Schlange.

»Hey!«, sagte Bean verärgert.

Der ältere Mann drehte sich um. Sein Gesicht war gleichmäßig gebräunt und glatt. »Wir gehören zusammen, und wir müssen unseren Flieger bekommen.«

»Wir auch«, sagte Bean. »Was sollte man hier sonst auch machen?«

Beth konnte eine von Beans Szenen so früh am Morgen nicht ertragen. Sie stieß sie leicht an.

Der jüngere Mann drehte sich um und lächelte. »Entschuldigung, ich weiß, es sieht so aus, als würde ich mich vordrängeln, aber ich verspreche, dass es schnell geht.«

Plötzlich änderte Bean ihre Meinung und grinste ihn an. »Wo fliegen Sie denn hin?«

»Toulouse.«

»Hey, wir auch.«

»Wie schön«, murmelte der ältere Mann.

Beth fand, dass der Jüngere gut aussah. Er hatte lange braune Haare, die ihm in seine braunen und freundlichen Augen fielen.

Bean hatte sich offenbar entschieden, ihn zu mögen. »Wir werden in einem richtigen Schloss wohnen.«

»Tatsächlich? Wir auch«, sagte der junge Mann. »Es ist das neue Hotel, das gerade erst eröffnet hat und vorher ein echtes Schloss war. Es heißt Château Cornu.«

Bean stieß einen ihrer schrillen Schreie aus. Ihr offener Mund wölbte sich nach oben, ihre kleinen blauen Augen leuchteten auf, und sie sah aus wie eine leicht verrückte Stoffpuppe.

»Schiefes Schloss! Genau da fahren wir auch hin! Ist ja irre! Mum, hast du das gehört?«

Der ältere Mann zuckte sichtlich zusammen und setzte seine Sonnenbrille auf.

Sein Begleiter schien echt begeistert zu sein. »Das ist ja klasse. Ich hatte schon befürchtet, alle würden über sechzig sein. Ich bin Miles und das ist Trevor.«

»Ich bin Bean und das ist meine Schwester Scarlett.«

»Bean?«

»Eine Abkürzung von Beatrice.«

»Ah.« Er lächelte Scarly wohlerzogen an. »Und du bist Scarlett wie in O’Hara?«

»Ja. Sehr erfreut.«

»Und das ist Beth, unsere arme Mutter.«

Trevor zog an Miles’ Ärmel. »Wir sind fast dran, schnell, was willst du?«

»Dann bis später«, sagte Miles. »Schön, euch kennengelernt zu haben.«

»Kann ich ein Mandel-Croissant haben?«, fragte Bean. »Und eins mit Schokolade? Ich habe heute nicht gefrühstückt.«

»Wessen Schuld ist das? Ah, schon gut.« Beth dachte an das ganze Geld, das dieser offensichtlich zum Scheitern verurteilte Ausflug kosten würde, war aber viel zu müde, um zu streiten. Die Mädchen nutzten das schamlos aus und luden sich bergeweise Croissants auf ihre Tabletts.

Sie hatten Charlie in einer Reihe von Plastiksitzen zurückgelassen, umgeben von einem Haufen schäbigen, nicht zusammenpassenden Gepäcks. Beth ging wieder zu ihm zurück und hätte beinahe das Tablett fallen gelassen, als sie sah, dass sich Clare Chessil zu ihm gesellt hatte. Die schamlose Frau wagte es, sich auf diese Reise zu begeben, auch wenn Charlie schwor, sie gewarnt zu haben. Jede anständige Frau hätte sich würdevoll verabschiedet. Bildete sich Ms Chessil etwa ein, sie könnte ihre Affäre (und Beth war sicher, dass sie eine Affäre hatten, ganz egal, was Charlie behauptete) direkt unter den Augen von Charlies Frau weiterlaufen lassen? Vielleicht, dachte Beth spöttisch, sollte ich ein Handtuch über ihn hängen, wie die Deutschen bei den Liegen am Pool.

Charlie blickte finster drein. Beth musste zugeben, dass er gut aussah. Clare sah so aus, als gehörte sie an seine Seite. Sie ließ Charlie um Jahre jünger aussehen. Sie war groß und dünn und auf eine knochige Art gutaussehend. Sie hatte große braune Augen. Ihr langes Haar fiel dunkel, glatt und füllig auf ihre Schultern.

Beth lächelte. »Hallo, Clare. Charlie hat uns erzählt, dass Sie möglicherweise auch kommen. Ist das nicht ein Zufall? Kinder, erinnert ihr euch an Clare? Sie war so freundlich, uns nach der Weihnachtsfeier nach Hause zu fahren.«

»Hi«, sagte Scarly.

»Wir haben ein paar andere Leute getroffen, die auch in dieses Schloss fahren«, sagte Bean mit vollem Mund. »Ein schwules Pärchen. Der junge ist wirklich nett. Ob das wohl ihre Flitterwochen sind?«

Clare stand auf (hatte sie etwa Tränen in den Augen? Frechheit). »Ich werde mal sehen, ob sie den Check-in-Schalter schon geöffnet haben. Es … es ist sehr nett, Sie getroffen zu haben.«

»Bis später«, sagte Beth.

Sie beobachtete, wie Clare hocherhobenen Kopfes durch die sommerlichen Menschenmassen schritt. Traurig wünschte sie sich, wie Clare auszusehen und auch diese Aura eleganter Melancholie auszustrahlen.

»Ich frage mich, wie es sein kann«, sagte Charlie bitter, »dass wir immer wie Flüchtlinge aussehen, wenn wir verreisen, egal wie sehr wir uns auch bemühen, einen anständigen Eindruck zu machen.«

Beths Augen fingen wieder an zu brennen, diesmal stiegen Tränen der Wut in ihr hoch. Es war grausam von ihm, seinen Groll der Familie gegenüber so offen zu zeigen.

»Iss auf, Bean«, sagte sie fröhlich. »Für uns wird es auch Zeit.«

Clare machte sich Gedanken darüber, ob Beth ihre Tränen gesehen hatte. Wie sagte Q zu James Bond, lass sie dich niemals bluten sehen. Die andere Frau brauchte jeden Fetzen von verfügbarer Würde. In dem Moment, in dem du deine Gefühle zeigst, stehst du als Verlierer da. Es war viel besser, den Ruf einer herzlosen Schlampe zu haben.

Sie hatte Charlie alleine sitzen sehen, während seine Frau und seine Töchter in der Schlange standen, um Kaffee zu holen. Das Erste, was er gesagt hatte, war: »Ich hatte gehofft, dass du nicht kommst. Ich hatte gehofft und gebetet, dass du Vernunft annehmen würdest.«

Das war der Moment, in dem Clare die Tränen in die Augen stiegen. Der Mann, den sie liebte, wollte sie nicht. Er war wütend. Er machte sie für seine absurde Situation verantwortlich, obwohl Beth diejenige war, die sich in letzter Minute eingemischt hatte.

Und dann war Beth zurückgekommen, umgeben von ihren Töchtern, und sie hätte es auch ruhig laut sagen können: »Du spielst überhaupt keine Rolle, solange ich hier bin … Ich kicke dich raus.«

Sie hat ein und denselben Mann dreiundzwanzig Jahre lang gefickt, dachte Clare, und jetzt glaubt sie, ihre Fürze stinken nicht mehr. O Gott, was für eine Zicke ich doch bin, ich hasse es, wie Demütigung mich wütend macht, auch wenn man meinen könnte, ich hätte mich mittlerweile daran gewohnt.

Sie ging zu WH Smith’s. Diese nächsten paar Tage würden einsam werden. Für die Zeit zwischen Anfällen von romantischem Verlangen und zerstörerischer Wut brauchte sie mehr zu lesen. Alle romantischen Romane gingen natürlich gar nicht – Clare bezeichnete sie als Handbücher für verheiratete Jungfrauen. Sie kaufte George Eliots »Die Mühle am Floss«, das sie seit der Schulzeit nicht mehr gelesen hatte, und dann noch eine interessant aussehende historische Saga über Mary, Königin der Schotten – »Während sie inhaftiert in Fotheringhay Castle auf ihre Hinrichtung wartet, blickt die dem Untergang geweihte Königin auf ein Leben voller waghalsiger Leidenschaften zurück.«

»Clare, Liebling …« Charlie umarmte sie. Clare ließ sich in seine Arme fallen, bevor sie überhaupt wusste, was sie tat.

Er übersäte ihr Gesicht mit heißen Küssen. Er war ganz außer Atem. »Ich musste dich sehen. Es tut mir leid. Ich habe mich gerade wie ein Arschloch benommen – und das gerade dir gegenüber – Liebling, vergib mir.«

»Du warst wütend«, sagte Clare.

»Nicht auf dich.«

»Auf sie.«

Charlie schob Clare sanft weg. »Ich kann nichts machen. Es macht ihr viel zu viel Spaß, unsere Ferien zu ruinieren. Sie versucht, das Ganze als eine Midlife-Crisis abzutun. Sie sagt ständig, dass es genauso ist wie beim letzten Mal.«

»Beim letzten Mal?«

»Das habe ich dir doch erzählt … Diane.«

»Ah.«

»Sie sagt, ich hätte mich damals in Diane verliebt, weil ich vierzig geworden bin, und jetzt habe ich mich in dich verliebt, weil ich fünfzig geworden bin. Sie sagt, dass ich mich wie ein Teenager benehme, und das würde mich irgendwie davon befreien, mich mit meinem Alter auseinanderzusetzen.«

»Aber es ist doch mehr als das, oder?«

»Oh, Liebling, Liebling, wie kannst du das fragen? Ich verzehre mich vor Sehnsucht nach dir. Diese Ferien werden die reinste Qual. Ich will dich jede Sekunde, jeden Tag, und muss doch so tun, als wäre ich nicht in dich verliebt.«

Unbesonnen sagte Clare: »Dann tu doch nicht so. Sag es ihr. Sag es deinen Töchtern. Sag es der ganzen Welt.«

Er schaute sie erst erstaunt an, so als hätte sie ihm eine geknallt, und dann verärgert: »Komm schon … mach es nicht noch schlimmer.«

»Oh, ich weiß«, sagte Clare. »Es ist fast unmöglich, was wird sonst aus den Mädchen, dem Haus, der Katze? Ich weiß, ich kann nicht von dir erwarten, dass du das alles aufgibst.«

Charlie zuckte zusammen. Er sprach leise. »Ich weiß, dass du sauer bist. Das ist dein gutes Recht. Aber du kannst es dir immer noch anders überlegen.«

»Wage es nicht, mich nach Hause zu schicken.«

»Liebling, ich werde mit meiner Familie zusammen sein.«

»Wie schön«, sagte Clare. »Und ich werde in einem knappen Bikini am Pool liegen und meine festen jungen Schenkel einölen. Wir sehen uns im Flugzeug.«

Kapitel 3

Clare schaute durchs Fenster nach draußen in das gleißende Licht, und ihre Stimmung hellte sich ein wenig auf. Sie war wütend und gekränkt, aber in ein paar Minuten würde sie sich außerhalb des klimatisierten Flughafens befinden, umhüllt sein von der schweren Hitze und den Duft von Lavendel und Thymian einatmen. Sie liebte die träge Wärme des Südens, die Wonne, unter einem tiefblauen Himmel zu schwimmen und die in der Sonne glitzernden Punkte auf der Wasseroberfläche zu zerstreuen. Diese Ferien könnten erträglich werden, wenn sie nur imstande wäre, sich nicht dauernd nach Charlie zu sehnen.

Sein Zorn war schrecklich, aber noch schlimmer war, dass er sie ignorierte. Er schaute jetzt nicht mehr finster drein, sondern lachte über etwas, das Bean gesagt hatte. Beth lachte auch. Sie waren wieder eine Einheit, vertraut und ungeheuer rätselhaft. Für Fremde sahen sie aus wie eine perfekte, glückliche Familie. Clare, die hinter ihnen herging, kam sich ziemlich blöd vor.

Sie blieb stehen. Ihr Lederkoffer war prächtig, aber schwer. Er hatte ein kleines Vermögen gekostet. Als Charlie ihr angeboten hatte, ihr die Hälfte des Zimmerpreises zurückzuzahlen, wäre er nicht im Traum darauf gekommen, welche zusätzlichen Kosten ihr entstanden waren, nur um diesem Hirngespinst an Urlaub nachzulaufen.

»Kann ich den für Sie nehmen?«

Ein Mann blieb neben ihr stehen. Clare hatte ihn im Flugzeug gesehen. Er trug einen Anzug aus blauem Leinen, der heldenhaft verknittert war. Er war groß und dünn, mit lockigen braunen Haaren, die in der Mitte schon ein wenig dünn wurden, und einem unsicheren, schüchternen, erwartungsvollen Lächeln. Er sah freundlich aus, soweit Clare das mit dem Rest an Aufmerksamkeit, die nicht Charlie galt, beurteilen konnte.

»Danke«, sagte sie. »Es sind die Bücher, fürchte ich – das ist wirklich sehr nett von Ihnen.«

»Durchaus nicht, das ist das Mindeste, was ich tun kann. Ich habe im Flugzeug gesehen, dass Sie in meinem Roman gelesen haben.«

»Ihrem Roman?«

»Ich habe ihn geschrieben. Ich bin Alexandra MacDuff.«

Clare musste lachen. »Entschuldigen Sie. Es ist nur, dass ich nicht erwartet habe … Ich finde ihn super.«

»Vielen Dank. Mein richtiger Name ist Alick MacDuff – kurz für Alexander. Die Verleger dachten, dass es sich besser verkaufen würde, wenn es von einer Frau geschrieben wäre.«

»Wirklich? Ich bezweifle, dass das stimmt. Ich bin übrigens Clare.«

»Sehr erfreut. Es verkauft sich sehr gut, also werden sie wohl wissen, was sie tun.«

»Die Hintergrunddetails sind faszinierend. Sie beschreiben das alles mit einer solchen Sicherheit, als wären Sie selbst dort gewesen.«

Er nahm ihren Koffer. »Danke.«

»Für die Recherche müssen Sie Jahre gebraucht haben.«

»Ja und nein. Ich habe schottische Geschichte unterrichtet, verstehen Sie.«

»Und es ist so romantisch!« Für einen Moment sehnte sie sich nach Charlies Armen.

Sie holten Charlie und seine Familie ein. Beans Stimme drang zu ihnen herüber. »… und mal angenommen, alle anderen laufen oben ohne herum? Dann sehe ich ganz schön bescheuert aus.«

Daraufhin sagte Charlie: »Noch eine einzige Widerrede, Miss Bean, und du wirst dich in einer Burka sonnen.«

Beth und Scarlett fanden das lustig.

Bean schnaubte verärgert. »Boh! Du bist so gemein!«

Es war befremdlich und schmerzhaft, Charlie in seiner Vaterrolle zu sehen.

»Jemand mit dem Namen MacDuff soll mich hier abholen«, sagte Clare. »Jamie MacDuff.«

»Das ist mein Bruder. Wir fahren zu demselben Schloss.« Alick lächelte sie noch einmal flüchtig und schief an. »Jetzt werden Sie meinen Roman wohl zu Ende lesen müssen, ob Sie wollen oder nicht.« Er zeigte auf die Absperrung vor ihnen. »Und wenn man vom Teufel spricht … Da ist der Mann höchstpersönlich.«

Jamie MacDuff war älter als Alick. Sein rötliches Haar lichtete sich vorne an der Stirn schon und lag hinten in unordentlichen Locken. Er war korpulent und hatte ein rotes, glänzendes Gesicht. Er hielt ein schlecht geschriebenes Schild hoch, auf dem CHÂTEAUCORNU stand. Er hielt es falsch herum.

Alick umarmte ihn und drehte gleichzeitig unauffällig das Schild richtig herum.

Jamie griff aufgeregt nach seinen Schultern: »Gott, es ist ein Albtraum – aber ich denke, wir haben alles ganz gut im Griff.«

»Das ist Clare«, sagte Alick.

»Was?«

»Einer deiner Gäste, Jamie.«

Clare beobachtete, wie Jamie versuchte, einen Ausdruck des Willkommens auf sein Gesicht zu legen. »Ja, natürlich, Sie haben gestern gebucht. Schön, dass Sie da sind.« Er schüttelte ihr die Hand. Seine Handfläche war verschwitzt. Clare musste sich schwer zusammenreißen, ihre Finger nicht direkt abzuwischen. »Entschuldigen Sie, ich war ziemlich verwirrt wegen des zusätzlichen Zimmers«, fuhr er fort. »Aus irgendeinem Grund hatte ich eingetragen, dass Sie das Zimmer mit Mr. Charles Jennings teilen.«

»Nein«, sagte Clare viel zu laut. »Nein, das hat sich alles geändert. Ich meine, das war ein Fehler …«

»Ja, und ich kann mir überhaupt nicht erklären, wie das passiert ist, denn nun kommt er offenbar mit seiner Frau und seinen Töchtern.« Und zu Alick gewandt fügte er hinzu: »Ich fürchte, dass Angela die Buchungen durcheinandergebracht hat.«

Clare entfernte sich ein paar Schritte von den beiden, wobei sie so tat, als suche sie etwas in ihrer Tasche, während sich ihre Gesichtszüge entspannten. Das war ein gefährlicher Augenblick gewesen. Ihr wurde etwas Schreckliches bewusst. Wenn alle im Hotel die Wahrheit über sie und Charlie herausfänden, sähe sie ziemlich alt aus. Beth wäre die Bedauernswerte, Charlie der Schwache, und sie stünde wie ein Flittchen da.

Sie hörte Alick in einem leisen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Ton fragen: »Wie geht es Angela?«

»Es geht ein bisschen auf und ab, weißt du«, sagte Jamie. »Gestern war es ziemlich … aber heute geht es ihr gut, wirklich gut.«

Zwei weitere Personen gesellten sich zu den Brüdern – das Pärchen, das im Flugzeug hinter Clare gesessen hatte. Die Frau besaß eine grauenhafte Piepsstimme, mit der sie sich permanent über alles beschwert hatte, von der Temperatur in der Kabine bis zum Akzent des Piloten. Widerwillig und nicht gerade begeistert darüber, dass sie einen Swimmingpool teilen würden, sah Clare sie sich näher an. Sie musste so Ende vierzig sein, hatte goldbraunes Haar und war sehr gut angezogen: weiße Jeans und ein blassblaues Twinset. An ihrer mageren linken Hand stellte sie ihre Dienststreifen zur Schau – einen Ehering, einen Verlobungsring mit einem ordentlichen Klunker und einen Diamant-Eternity-Ring, den sie sich vermutlich durchs Kinderkriegen verdient hatte. Der Inbegriff einer verheirateten Jungfrau.

Clare checkte den Ehemann mit Expertenblick ab. Er war ungefähr so alt wie Charlie, hatte sich aber nicht annähernd so gut gehalten. Er hatte einen kleinen Bauch, ausgeprägte Falten um die Augen, und es schien so, als wüsste er nicht, was er mit seinen dicken, widerspenstigen und eisgrauen lockigen Haaren machen sollte. Seine erste Geliebte würde sie in Ordnung bringen, dachte Clare säuerlich – mit einer Frau wie Mrs Weinerlich war das nur eine Frage der Zeit.

Jamie küsste die Frau und umarmte den Mann unbeholfen. Plötzlich erkannte Clare, dass es sich um einen weiteren MacDuff-Bruder handelte. Als er neben Alick und Jamie stand, war die Ähnlichkeit nicht zu übersehen.

Die Frau fragte: »Und wie geht es Angela?«

»Gut!«, erklärte Jamie. »Sie ist gerade dabei, das Abendessen vorzubereiten.«

»Also kocht sie wieder, oder?«

»O ja, viel sogar – sie hat große Pläne für heute Abend.«

Auf ihrer Insel der Einsamkeit fragte Clare sich, was wohl mit dieser Angela los war. Sie beobachtete, wie Charlie sich und seine Frauen Jamie vorstellte, wobei es sie am meisten interessierte zu sehen, wie selbst in der Krise eine Familie der Umwelt gegenüber als eine stabile Front auftrat.

»… meine Töchter Scarlett und Beatrice und Beth, meine Frau. Entschuldigen Sie die Änderungen in letzter Minute.«

»Aber nicht doch – je mehr, desto besser. Schön, dass Sie alle da sind.«

Die zwei schwulen Männer, die ebenfalls im Flugzeug gesessen hatten, stießen zu der Gruppe. Clare vermutete zumindest, dass sie schwul waren. Sie hatte absolut keine Vorurteile, aber der Ältere mit dem viel zu schwarzen Haar und dem vulgär gebräunten Teint sah so schwul aus wie eine Gartenparty. Er nahm Jamie in den Arm.

»Trevor!« Jamie umarmte ihn innig. »Gott, wie lieb von dir.«

»Sei nicht albern«, sagte Trevor, »ich habe dir doch gesagt, dass ich dein erster Gast sein werde, oder nicht? Das ist so ein spannendes Projekt. Ich kann es kaum erwarten, das Schloss in natura zu sehen. Und ich brenne darauf, in diesen Pool zu springen.«

»Ach ja, der Pool«, sagte Jamie. »Da hat es ein paar Schwierigkeiten gegeben. Ich fürchte, der Pool wird nicht vor morgen früh fertig sein.«

Clares Laune sank auf den Nullpunkt. Sie lechzte danach, schwimmen zu gehen.

»Kein Pool!«, schrie die weinerliche Frau. »Kein Pool, bei vierzig Grad im Schatten und ohne Klimaanlage!«

Jamie verzagte sichtlich. »Nur für diesen Abend.«

»Wir werden es überleben«, sagte Alick schnell. Er war ein ganzes Stück jünger als seine beiden Brüder und hatte eine Eigenschaft, die Clare nicht erklären konnte – ihn umgab eine Aura des guten Kerls, wie Orlando Bloom in »Fluch der Karibik«, wenn auch nicht ganz so gutaussehend. Er lächelte die weinerliche Frau ermutigend an.

»Das ist Miles«, sagte Trevor und zog seinen jungen Begleiter nach vorne.

Jamie schüttelte seine Hand. »Ah, der neue Partner.«

»Jamie, ziehe keine voreiligen Schlüsse.« Er senkte seine Stimme. »Das ist nicht der neue Partner, hast du meine E-Mail nicht gelesen? Wir sind nicht liiert. Miles arbeitet als Aushilfe bei dem Magazin, und ich habe ihn beauftragt, ein paar Aquarelle zu machen, eins von ihnen wird mein Einweihungsgeschenk für dich und Angela sein.«

»Ich meine, das ist riesig – oh, also seid ihr nicht – äh – sozusagen zusammen?«

»Nein«, sagte Trevor sehr bestimmt, mit einem verlegenen Stirnrunzeln. »Wir arbeiten zusammen, das ist alles.«

»Deshalb wolltet ihr also getrennte Zimmer«, sagte Jamie.

»Ja, natürlich.«

»Oh.«

»Wie geht es Angela?«

»Phantastisch, danke. Sie ist wieder an Bord, sie macht gerade das Abendessen.«

Trevor wandte sich an Miles. »Sie ist die beste Köchin. Unmengen von Wein und Sahne und Gartenkräuter – mach dich auf eine Woche gastronomischer Glückseligkeit gefasst.«

Miles war ein ruhiger junger Mann. »Das ist Ihre Frau, nicht wahr?«

»Äh, ja.«

Der Ehemann der weinerlichen Frau, ganz klar der älteste der Brüder, legte die Hand auf Jamies Schulter. »Lassen Sie mich Ihnen helfen, die verschiedenen MacDuffs zuzuordnen. Ich bin Angus, und das ist meine Frau Julia. Das ist Jamie, unser Gastgeber im Schloss, verheiratet mit Angela. Und das ist Alick, das Nesthäkchen der Familie.« Er lächelte den Rest der Gruppe an. »Sehen Sie, wir sind im Begriff, eine Woche in demselben Haus zu verbringen – ich schlage vor, dass wir uns alle anständig bekannt machen.«

Angus erledigte die Angelegenheit schnell, wobei er niemanden übersah und mit aufrichtiger Wärme Hände schüttelte. Clare fand es schade, dass nicht er die Leitung des Hotels innehatte. Höflich nahm sie die Hand der weinerlichen Julia.

Julia sagte: »Sehr erfreut – Ihr Kleid ist toll – es ist von Agnes B., oder?«

Clare warf einen Blick hinüber zu Beth und stellte erschüttert fest, dass sie einen Hauch von Mitleid für sie empfand. Beths blasse Augen waren rot unterlaufen und geschwollen. Sie sah völlig fertig aus. Zum ersten Mal fragte sich Clare, was für eine Nacht sie wohl hinter sich hatte.

»Sind wir vollzählig?«, fragte Angus. »Jamie, fehlt noch jemand?«

»Äh, nein, ich glaube nicht …«

»Okay, dann lasst uns das überprüfen. Wir wollen doch niemanden vergessen. Du hast eine Liste, nehme ich an.«

Jamie starrte ihn voller Panik an. »Eine Liste? Oh, ja …«

Ein Stück Papier war an der Rückseite seines Schildes befestigt. Angus nahm es ihm vorsichtig, aber bestimmt ab. »Halt, eine Person fehlt noch – was in aller Welt soll das denn heißen? Starkey? Stiffkey?«

»Weiß der liebe Himmel«, sagte Jamie niedergeschlagen. »Ich muss in Eile gewesen sein.«

Alick sagte: »Vielleicht ist es der.«

Er zeigte auf einen Mann mit einem einzigen großen Koffer, der gemütlich auf sie zuschlenderte. Er erhöhte sein Tempo nicht, als er die verärgert dreinschauende Gruppe bemerkte.

»Ich bin auf der Suche nach jemandem mit dem Namen MacDuff«, sagte er. »Das Château Cornu.«

Er war groß und aufrecht, mit einer selbstbewussten Haltung, die Clare an die wohlhabenden Nachbarn ihrer Jugend in Lincolnshire erinnerte. Er hatte würdevoll zurückgehende rotblonde Haare und eine angriffslustige Art und Weise, die Unterlippe hervorzustrecken. Wenn sie nicht so völlig von Charlie absorbiert gewesen wäre, hätte sie ihn sehr attraktiv gefunden. Sie empfand, beinahe ohne Interesse, den Stromschlag der Anziehungskraft, die ihre Pawlow’sche Reaktion auf diese Art Männer war.

Jamie sagte: »Das ist die Reisegruppe zum Château Cornu.«

»Großartig«, sagte der Mann. Er lächelte Jamie unerwartet freundlich an. »Sharkey.«

»Bitte?«

»Robin Sharkey, aber niemand nennt mich Robin. Alberner Name.«

»Oh.« Jamies feuchtes Gesicht wurde puterrot. »Ja, natürlich. Richtig. Jetzt sind alle da. Ich würde vorschlagen, dass wir jetzt zum Bus gehen.«

Julia sagte: »Ich hoffe, dein Bus hat eine Klimaanlage.«

»Na ja …« Jamie warf seinem Bruder einen Hilfe suchenden Blick zu. »Nicht direkt – siehst du, es gab ein klitzekleines Problem …«

»Halb so wild«, sagte Angus. »Voran, MacDuff.«

Clare wandte sich schnell ab, um einen Anflug von Tränen zu verbergen. In ihren Gedanken brüllte sie eine Flut von unanständigen Wörtern. Wegen dieser Ferien hatte sie ihr Konto um fast tausend Pfund überzogen. Sie war auf dem besten Wege, eine Woche mitten in der Walachei mit einer heruntergekommenen schottischen Oberschicht-Familie, einer Frau, die einen Doktortitel in Nörgeln hatte, und mit der Ehefrau und den Töchtern des Mannes, den sie liebte, zu verbringen.

Ich muss gesündigt haben, dachte sie, und das ist meine gerechte Strafe.

Der Bus hatte angehalten. Beth quälte sich durch Schichten von heißem, schwerem Schlaf. Sie hatte das Bewusstsein zwei Stunden zuvor, irgendwo in den staubigen Vororten von Toulouse, verloren. Sie öffnete die Augen und ertappte sich dabei, wie sie aus dem Fenster auf zwei Zementmischer vor einem Hintergrund aus grüner Plastikplane blickte.

»O Gott«, sagte Bean hinter ihr, »sind wir da?«

Beth blinzelte und streckte sich und wurde wach genug, um der Realität ins Auge zu blicken. Sie waren offensichtlich an einer verlassenen Baustelle angekommen. Eine Hälfte des Gebäudes war umhüllt von einem Baugerüst und von Plastikplanen. Zementmischer und Schubkarren standen in der Hitze unnatürlich still, wie schwere Waffen, die auf dem Rückzug nach Dünkirchen zurückgelassen worden waren. Es war fürchterlich.

»Hier sind wir also«, sagte Jamie. »Willkommen im Château Cornu. Ich dachte, Angela wäre hier, um Sie alle zu begrüßen, na ja, was soll’s.«

»Es ist nicht fertig«, sagte Julia fassungslos. »Du hast versprochen, dass es fertig sein würde.«

»Gut, nicht ganz – ich meine, die Arbeiten sind noch nicht ganz beendet. Aber was ich tatsächlich gesagt habe, ist, dass es bereit sein würde.« Jamie sprang aus dem Bus, bevor noch jemand widersprechen konnte. Beth hatte Mitleid mit ihm. Er hatte ganz offensichtlich Angst vor Konfrontationen.

Charlie saß auf dem Platz hinter ihr, mit Bean, und Beth konnte seine Verärgerung im Nacken spüren. »Das ist ja grauenhaft«, sagte er laut. »Ich verbringe mein ganzes Leben auf verdammten Baustellen. Ich hatte nicht erwartet, dass ich dafür zahlen muss, eine weitere zu besuchen.«

Sharkey sagte: »Schade, dass wir unsere Schutzhelme zu Hause gelassen haben.«

Trevor sagte: »Miles, es tut mir leid, hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen – ich erwarte ganz sicher kein Aquarell von diesem Chaos.«

»Aber von innen ist es wahrscheinlich total schön«, sagte Angus loyal.

»Und auf der Rückseite auch«, fügte Alick hinzu.

Clare Chessil, die ihre langen Beine im vorderen Bereich des Busses ausstreckte, lachte plötzlich und sagte: »Das ist genau wie in ›Der total verrückte Sommerurlaub‹.«

»Gott, da haben Sie recht«, sagte Trevor. »Mögen Sie den Film?«

»Ich liebe Filme, Punkt.«

»Oh, ich auch! Allerdings würde ich nicht gerne in einem drinstecken.«

Das ist es also, dachte Beth plötzlich, deshalb hat Charlie seine Mitgliedschaft im National Film Theatre nach vierzehn Jahren wieder erneuert – weil Clare Filme mag. Viele Dinge, zu viele Dinge wurden auf einmal klar.

Möglich, dass Charlie diesen Augenblick der Erkenntnis gespürt hatte und sich unwohl fühlte. Er sprang auf, holte die Taschen der Kinder aus den Gepäckablagen über ihnen und scheuchte die schmollende Bean aus ihrem Sitz. Einer nach dem anderen stiegen die Gäste aus dem Bus in den tiefen Dinosaurier-Fußabdruck von irgendeiner schweren Maschine. Die trockene graue Erde war von Furchen durchzogen und zertreten.

Beth fiel auf, dass Miles Scarly gegenüber besonders aufmerksam war. Er half ihr aus dem Bus und nahm eine ihrer Taschen. Das war ein wenig verwirrend – sie hatte angenommen, er wäre schwul, aber in den letzten paar Jahren war Scarly ein sehr verlässlicher Indikator für die Sexualität eines Mannes geworden. Fast alle heterosexuellen Männer trugen Sachen für sie, öffneten Türen, hielten Schirme, und natürlich nahm Scarly das alles als völlig selbstverständlich hin. Beth hatte vage Erinnerungen daran, auch einmal ein strahlender Teenager gewesen zu sein. Du dachtest, Männer wären einfach von Natur aus freundlich.

Jamie öffnete den Kofferraum. »Angela!«, rief er. »Liebling!«

Trevor fragte: »Können wir irgendwelche Hilfe bei unserem Gepäck erwarten?«