Liebe mich - M. Leighton - E-Book
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Liebe mich E-Book

M. Leighton

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Beschreibung

Sig Locke ist ein harter Cop. Er lebt für seinen Job, glaubt an Recht und Unrecht. Dazwischen gibt es für ihn nichts. Bis er Tommi kennenlernt. Mit ihren langen Beinen und strahlend grünen Augen erregt sie auf den ersten Blick Sigs Aufmerksamkeit. Doch was Sig nicht weiß: Sie hat ein Geheimnis, das nicht einmal ein Cop aufzudecken vermag.

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Seitenzahl: 434

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DAS BUCH

Fasziniert beobachte ich, wie seine Arm- und Rückenmuskulatur unter dem dünnen Shirt arbeitet, als er geschickt den Reifen befestigt. Er ist wirklich ein großer Kerl. Sein Rücken ist extrem breit, verläuft aber in einem ausgeprägten V bis zu seinen schmalen Hüften. Sein Hemd ist ein Stück hinaufgerutscht, sodass ich einen Streifen Haut sehen kann. Nicht jedoch den Bund von Unterwäsche. Vielleicht trägt er ja keine. Gott, wäre das scharf! Hastig reiße ich mich von dem Anblick los. Nachher spürt er noch, dass ich ihn anstarre, und denkt sich seinen Teil! Mit einem anderen Mann zu flirten ist keine gute Idee. Sollte Lance jemals davon erfahren … Ich schaudere, aber nicht aus Wohlbehagen. Sig richtet sich auf und wendet sich mit seinem absolut umwerfenden Grinsen zu mir um. »Das sollte eigentlich reichen.« Er klopft sich die Hände ab. »Alles abgeschlossen?« Ich nicke. Ich will mich nicht von seinem Charme einwickeln lassen, aber – Herrgott! Es ist verdammt schwer.

Die Autorin

Michelle Leighton wurde in Ohio geboren und lebt heute im Süden der USA, wo sie den Sommer über am Meer verbringt und im Winter regelmäßig den Schnee vermisst. Leighton verfügt bereits seit ihrer frühen Kindheit über eine lebendige Fantasie und fand erst im Schreiben einen adäquaten Weg, ihren lebhaften Ideen Ausdruck zu verleihen.

Lieferbare Titel

Addicted to You – Atemlos

Addicted to You – Schwerelos

Addicted to You – Bedingungslos

The Wild Ones – Verführung

The Wild Ones – Verlangen

The Wild Ones – Verheißung

Erkenne mich

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Kerstin Winter

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel All Things Pretty

bei CreateSpace Independent Publishing Platform.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Taschenbucherstausgabe 04/2017

Copyright © 2014 by M. Leighton

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Antje Nissen

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von shutterstock/kostudio

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-17103-2V001

www.heyne.de

Für Euch, die Ihr Eure große Liebe gefunden habt

und dafür alles andere aufgeben würdet.

Ihr besitzt den größten Schatz,

den man sich vorstellen kann!

Wahre Liebe verläuft nie reibungslos.

William Shakespeare

Für Kevin

Meine Inspiration

Mein Mann

Mein Sig

Ich danke Gott für jeden Tag,

den ich neben Dir aufwachen darf.

ERSTER TEIL

1. Kapitel

TOMMI

Das Ende des Kreuzschlüssels rutscht von der Radmutter, und meine Finger schrammen über den heißen Asphalt. Schon wieder. Ich widerstehe dem Drang, mir den pochenden Mittelfinger in den Mund zu stecken, und verkneife mir einen Kraftausdruck. Nicht fluchen! Nicht fluchen! In letzter Zeit komme ich mir vor wie ein gut dressierter Hund. Ich benehme mich anständig, ziehe mich anständig an, rede anständig. Ich wahre den Schein. Das muss ich tun. Lance will es so. Und ich brauche Lance, also spiele ich mit.

Ich wische mir mit dem Handrücken über die feuchte Stirn und versuche es erneut. Nur noch eine Radmutter, nur noch diese eine. Ich stemme meine gesamten achtundfünfzig Kilo auf das Radkreuz und seufze erleichtert, als das sture Gewinde nachgibt. Ich löse es ganz, ziehe das Rad mit dem platten Reifen ab und lehne es an die hintere Stoßstange meines Wagens. Dann klopfe ich mir die Hände ab und begutachte meine Nägel. Zum Glück ist keiner abgebrochen. Derart ungepflegt zum Drink zu erscheinen – ein Unding!

Mühsam hieve ich den Ersatzreifen aus der Vertiefung unter der Abdeckung im Kofferraum und lasse ihn auf den Asphalt plumpsen, um ihn an seinen Platz zu rollen. Normalerweise wäre das alles kein Problem … wenn mein Ersatzreifen nicht auch platt gewesen wäre.

Das darf doch nicht wahr sein!

»Oh, nein!«, stöhne ich frustriert.

Hektisch werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Nie im Leben schaffe ich es jetzt noch nach Hause, um mich umzuziehen und rechtzeitig im Hotel zu sein. Aber wenn ich in dieser Aufmachung dort antanze, werde ich mir einiges anhören müssen. Eigentlich weiß ich ja, dass ich nicht in Hotpants und Tanktop herumlaufen sollte, aber manchmal kann ich der Versuchung einfach nicht widerstehen, ein ganz kleines bisschen ich selbst zu sein. Das Ich, das ich einmal gewesen bin. Das Ich, das ich unter allem anderen eigentlich noch immer bin.

»Tja, Tommi, warum hast du auch die Hilfe nicht angenommen, als sie dir angeboten wurde«, brummele ich und schließe die Augen.

Wenn man mutterseelenallein mitten im Nirgendwo eine Autopanne hat, ist es nicht das Schlechteste, lange blonde Haare zu haben. Blondinen ziehen erstaunlich viele Männer an, die einer holden Maid in Nöten zur Hilfe eilen wollen, und dieses Mal war es nicht anders. Doch habe ich sie alle mit einem höflichen Danke wieder fortgeschickt. Die meisten waren mir irgendwie nicht geheuer, und schließlich stecke ich ja tatsächlich mutterseelenallein mitten im Nirgendwo fest. Tja. Und hier stehe ich nun und komme nicht weiter. Heldenlos, hilflos und frustriert.

»Noch ist nicht alles verloren«, sagt eine tiefe angenehme Stimme hinter mir amüsiert.

Ich stoße einen kleinen Schrei aus und fahre herum. Hinter mir – dicht hinter mir! – steht ein dunkler, gut aussehender, sehr großer Mann. Unwillkürlich weiche ich zurück und stolpere über den platten Reifen. Mein mühsam antrainiertes hochklassiges Auftreten geht den sprichwörtlichen Bach runter, als ich wild mit den Armen rudernd mein Gleichgewicht zu halten versuche.

»Verfickte Scheiße!«, entfährt es mir.

Zwei große starke Hände packen meine Oberarme und bewahren mich vor dem entwürdigenden Sturz. Die Berührung jagt mir einen Stromstoß durch den Körper, und das leise rauchige Lachen des Mannes verursacht mir prompt eine Gänsehaut. »Halb Traumfrau, halb Bierkutscher. Ganz nach meinem Geschmack.«

O Gott, denke ich peinlich berührt. Doch als ich endlich dazu komme, mir meinen Retter genauer anzusehen, gerät der Grund dafür in Vergessenheit.

Vor mir steht der wohl atemberaubendste Mann, der mir je begegnet ist. Sanfte schokobraune Augen, die in der untergehenden Sonne leuchten, von langen schwarzen Wimpern wie von Federn umrahmt, und ein Lächeln, das meine Knie in Pudding verwandelt. Grundgütiger! Und ich muss zu ihm aufschauen, was eine Menge sagt, denn ich bin mit meinen ein Meter fünfundsiebzig nicht gerade klein.

»Entschuldige d-die Ausdrucksweise«, stammele ich. »Du hast mich erschreckt.« Bevor ich weiß, was ich tue, lege ich meine Finger um seine sehnigen Unterarme und spüre, wie seine Muskeln sich spannen, als er nachfasst, um mich festzuhalten. Ein paar Sekunden lang stehen wir einfach nur da. Ich weiß, dass ich zurückweichen, mich losmachen, Empörung vorgeben oder sonst etwas tun sollte, aber ich kann nicht. So unklug es sein mag, ich tue nichts, weil ich nicht will, dass er mich loslässt.

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich stehe auf Frauen, die schmutzige Dinge sagen.«

»Das nennst du schmutzig?«, protestiere ich schwach.

Er zieht fragend eine schwarze Augenbraue hoch, und erst jetzt wird mir klar, wie sich das angehört haben muss. »Du kannst es also noch besser? Schmutziger?«

Obwohl es ohnehin schon drückend heiß ist, schießt mir das Blut in die Wangen. Ich werde rot! Es muss ewig her sein, dass mir das passiert ist. Ich habe in meinem Leben schon so vieles gesehen und getan, dass ich gedacht hätte, nichts könne mich mehr in Verlegenheit bringen, aber das ist wohl ein Irrtum. Ausgerechnet ein Fremder – zugegeben ein rattenscharfer Fremder – bringt mich mit einer albernen Bemerkung zum Glühen.

Bebend hole ich Luft, ringe mir ein Lächeln ab und löse behutsam meine Finger, als mir mit einiger Verzögerung klar wird, was ich hier eigentlich tue. Dieser Kerl könnte mir durchaus Böses wollen, aber mir läuft bei seinem Anblick förmlich das Wasser im Mund zusammen.

Er sieht einfach zu appetitlich aus.

Ich kneife die Augen zusammen. Herrgott. Hör auf. Hör auf. Hör auf!

»Alles in Ordnung?«, fragt der Fremde, und seine Stimme klingt plötzlich besorgt.

Blickkontakt vermeiden!

Ich öffne meine Augen einen Spalt, schaue absichtlich auf mein schmutziges Tanktop herab und streiche es glatt. Mir wird bewusst, dass ich zwischen seiner beeindruckenden Gestalt und dem offenen Kofferraum förmlich eingeklemmt bin, und ich weiche hastig zur Seite aus.

»Ja, alles okay. Ich, ähm … es ist ziemlich warm heute, und ich wollte meinen Reifen wechseln. Mir ist, ähm … bloß heiß. Und ich bin erschöpft …«

Rückwärts bewege ich mich um mein Auto herum. Meine Tasche und mein Handy sind nur ein paar Schritte entfernt, falls ich sie brauchen sollte.

Der Fremde stößt den Ersatzreifen mit der Stiefelspitze an. »Dann hoffe ich nur, dass das hier der ist, den du gerade abmontiert hast.«

Ach, verflixt! Wie konnte ich vergessen, in was für einer misslichen Lage ich mich befinde? Ich habe zwei Platten!

Hilflos sehe ich zu, wie er um den Wagen herumschlendert und den zweiten platten Reifen entdeckt. »Ich bin übrigens Sig«, sagt er, verschränkt die Arme vor der Brust und tritt einen Schritt zurück. »Tja, wie es aussieht, brauchst du jemanden, der dich abschleppt.«

Abschleppen! Na klar! Ich stürze zur Fahrerseite und beuge mich hinein, um mein Handy zu holen, wobei mir nur allzu bewusst ist, dass meine knappe Jeansshorts noch weiter aufwärts rutscht, als ich mich nach meiner Tasche strecke. Hastig richte ich mich wieder auf und wedele mit meinem iPhone. Dass der Fremde inzwischen genüsslich meine Beine betrachtet, entgeht mir nicht. »Einen Abschleppwagen. Genau. Den rufe ich jetzt an.«

Doch statt nach einem Pannendienst zu suchen, starre ich blind auf das Display. Meine Lage ist schlimmer, als dieser Mann ahnt. Wenn mein Wagen abgeschleppt wird, muss ich mir ein Taxi rufen, das mich in die Stadt bringt, und dann verliere ich noch mehr Zeit, während ich warte. Mich zu Hause umzuziehen ist nicht mehr drin, daher werde ich mir irgendwo ein paar passende Klamotten kaufen müssen, um es überhaupt noch zu der Verabredung zu schaffen. Aber wie man es dreht und wendet, ich kann nur verlieren. Ich komme zu spät und bin ohne Auto unterwegs. Lance wird toben.

Lange gebräunte Finger legen sich um meine. Der Fremde beugt sich herab, bis sein Gesicht in meinem Blickfeld auftaucht. »Brauchst du Hilfe? Deswegen habe ich ja schließlich angehalten. Und nur deshalb, okay?«

Sein Blick wirkt aufrichtig, aber seine Augen funkeln schelmisch. Vermutlich sieht man mir mein Misstrauen an. Und plötzlich komme ich mir dumm vor. Ich bin mir sicher, dass er es ernst meint und mir wirklich nur helfen will. Also blicke ich in seine wunderschönen Augen und tue das Undenkbare.

Ich nehme an.

»Ich könnte tatsächlich Hilfe gebrauchen.«

»Sieht ganz danach aus. Was kann ich tun? Dich mitnehmen? Mit dir warten, bis der Abschleppwagen kommt?« Eine kurze Pause. Ein spitzbübisches Grinsen. »Dir eine starke, unfassbar attraktive Schulter zum Ausheulen anbieten?«

Unwillkürlich muss ich lächeln. »Und ich hatte schon gedacht, ritterliche Egomanen seien ausgestorben!«

»Keinesfalls. Sie sind quicklebendig, Schätzchen«, erwidert er mit einem Augenzwinkern. Er spricht das »Schätzchen« auf die typische, sehr männliche Südstaatenart aus, und ich muss prompt ein Schaudern unterdrücken. »Also – wohin willst du?«

Ich werfe einen Blick zu dem schwarzen Truck, der hinter meinem Wagen parkt. Das Problem mit den Reifen scheint mich stärker beschäftigt zu haben, als ich dachte, da ich die Kiste nicht habe kommen hören. »Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht? Ich habe tatsächlich einen dringenden Termin, aber ich muss vorher noch einen superschnellen Stopp einlegen. Meinst du, das ginge?«

»Solange es wirklich ein Quickie ist«, sagt er anzüglich.

»Ein so schneller Quickie, dass dir davon schwindelig wird.«

»Mir ist bereits schwindelig«, kontert er mit einem Grinsen, das Schmetterlinge in meinem Bauch aufscheucht. »Aber ich hab’s nicht eilig, also nimm dir alle Zeit, die du brauchst.« Wieder spüre ich, wie mir das Blut in die Wangen steigt. Was, zum Geier, stellt der Kerl bloß mit mir an?

Ich öffne die Autotür und setze mich hinters Steuer, um alle Fenster hochzufahren, bevor ich meine Tasche nehme, aussteige und abschließe. Als ich mich umwende, hat der rattenscharfe Fremde alias Sig bereits meinen Ersatzreifen in den Kofferraum gehievt und ist nun dabei, den platten wieder an der Achse zu befestigen, vermutlich, damit sich der Wagen besser abschleppen lässt.

Fasziniert beobachte ich, wie seine Arm- und Rückenmuskulatur unter dem dünnen Shirt arbeitet, als er geschickt den Reifen befestigt. Er ist wirklich ein großer Kerl. Sein Rücken ist extrem breit, verläuft aber in einem ausgeprägten V bis zu seinen schmalen Hüften. Sein Hemd ist ein Stück hinaufgerutscht, sodass ich einen Streifen Haut sehen kann. Nicht jedoch den Bund von Unterwäsche. Vielleicht trägt er ja keine.

Gott, wäre das scharf!

Hastig reiße ich mich von dem Anblick los. Nachher spürt er noch, dass ich ihn anstarre, und denkt sich seinen Teil! Mit einem anderen Mann zu flirten ist keine gute Idee. Sollte Lance jemals davon erfahren …

Ich schaudere, aber nicht aus Wohlbehagen.

Sig richtet sich auf und wendet sich mit seinem absolut umwerfenden Grinsen zu mir um. »Das sollte eigentlich reichen.« Er klopft sich die Hände ab. »Alles abgeschlossen?«

Ich nicke. Ich will mich nicht von seinem Charme einwickeln lassen, aber – Herrgott! Es ist verdammt schwer.

»In diesem Fall steht Eure Kutsche bereit, holde Maid«, sagt er und deutet mit einer großen Geste zu seinem Auto. »Oder vielmehr der Truck, denn das ist die einzige Kiste, in die ein Kerl wie ich reinpasst.«

»Wie groß bist du eigentlich?«, frage ich, als er mir die Beifahrertür öffnet.

»Eins achtundneunzig.«

»Wow! Eins achtundneunzig?«, wiederhole ich beeindruckt.

»Jep. Fast zwei Meter geballte Pracht.«

»Und Bescheidenheit.«

»Auch das.« Grinsend wirft er die Tür zu.

Ich sehe meinem Retter nach, als er um die Motorhaube zur Fahrerseite herumgeht, und seufze verträumt. Der Kerl gefällt mir – leider. Sehr gut sogar. Inklusive Schmetterlingen im Bauch und weichen Knien. Ich bin bloß froh, dass ich ihn nach diesem Tag nie wiedersehen muss, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass er mir gefährlich werden könnte. Und das wäre eine Katastrophe.

2. Kapitel

SIG

»Habe ich eben richtig gehört, dass du dich Tommi genannt hast?«, frage ich, als ich zurück auf den Highway fahre.

»Ja.«

Verdammt, wenn das nicht sexy ist. Eine Wahnsinnstraumfrau mit einem Männernamen? Grundgütiger!

»Ist das eine Abkürzung?«

»Nein. Ich heiße einfach Tommi.«

Tommi mit den blonden Locken. Tommi mit den Smaragdaugen. Tommi mit einem Hintern, bei dem es mir in den Finger juckt, ihn zu packen und an mich zu ziehen.

»Also – wohin Einfach-Tommi?«

Sie nennt mir die Adresse einer Boutique in einer schicken Gegend. In Anbetracht der Tatsache, dass sie einen liebesapfelroten Maserati fährt, überrascht mich das Viertel nicht allzu sehr.

Obwohl ich höllisch neugierig bin, frage ich sie nicht, was sie vorhat. Ich will sie nicht drängen, denn dass sie sich im Augenblick nicht wohlfühlt, ist nicht zu übersehen.

Und mir ist klar, dass ich diese Frau nervös mache. Nicht, dass sie fürchtet, ich könne ihr etwas antun oder sie auch nur blöd anmachen. Aber sie hat ganz offensichtlich ein Problem damit, dass sie sich von mir angezogen fühlt, und ich weiß, dass sie es spürt! Denn … Heilige Scheiße! Die Spannung zwischen uns ist so stark, dass ich sie fast schmecken kann.

Wenn ich ehrlich bin, gefällt es mir, dass ich sie nervös mache. Es ist hübsch anzusehen, wie sie sich windet, meinem Blick auszuweichen versucht und immer wieder an der Unterlippe nagt, bevor sie mir antwortet. Sie wirkt auf mich, als wolle sie so schnell wie möglich wieder aussteigen – aber nicht, weil es ihr eigener Wunsch ist, sondern weil sie es für das Beste hält. Eigentlich würde sie vermutlich ganz gerne mit mir flirten. Doch sie hält sich zurück.

Tja. Vielleicht bin ich aber auch nur der selbstgefällige Egomane, als den sie mich eben bezeichnet hat, und all das ist Wunschdenken.

Aber das glaube ich nicht.

Keine Ahnung, warum sie denkt, sich in meiner Gegenwart auf eine bestimmte Art verhalten zu müssen. Es sei denn, sie zieht für jeden eine Show ab, was mich umso neugieriger auf sie macht. Kaum zu glauben: Ich kenne sie erst seit zehn Minuten und bin bereits fasziniert! Ja, das könnte wirklich spannend werden.

»Okay, Tommi, wie bist du so drauf?«

Ihr Kopf fährt herum, und sie starrt mich an. Wenn ich nicht fahren müsste, würde ich ihren Blick festhalten, bis sie zu Wachs in meinen Händen würde.

»Was meinst du damit?«

Ich zucke die Achseln. »Keine Ahnung. Was magst du? Was kannst du nicht ausstehen? Was treibt dich an? Was fürchtest du mehr als alles andere?«

Auf eine meiner Fragen hat sie eine prompte Antwort in ihrem Kopf, ich weiß bloß nicht, auf welche. Man sieht es ihrer Miene an, bevor sie wieder wegsieht. Natürlich erzählt sie es mir nicht, und eigentlich habe ich das auch gar nicht erwartet. Ich wollte einfach nur fragen. Warum? Vielleicht, um ihre Reaktion zu sehen.

»Bist du immer so neugierig?«, fragt sie. Sie starrt durch die Windschutzscheibe, scheint aber kaum etwas wahrzunehmen.

»Immer.«

Ihre Mundwinkel zucken. »Wenigstens bist du ehrlich.«

»Gnadenlos sogar.«

Aber anstatt mit mir zu schäkern, nimmt Tommi ihr Telefon in die Hand und hält es hoch. »Ich rufe jetzt lieber den Pannendienst an.«

Ich schweige, während sie eine Nummer wählt und dem Abschlepp-Unternehmen anschließend die nötigen Angaben durchgibt.

Viel zu schnell kommen wir bei der Schickimicki-Boutique an – dabei bin ich extra unter dem Geschwindigkeitslimit geblieben.

Ich biege auf den Parkplatz ein, stelle den Wagen ab und wende mich Tommi zu. Sie sitzt da, als sei sie fluchtbereit: Ihre Hand liegt bereits auf dem Türgriff, und ihre Augen sind geweitet.

»Ich bin in ein paar Minuten zurück. Und du bist dir sicher, dass es dir nichts ausmacht zu warten?«

»Ganz sicher.«

»Manche Männer tun so, als würde Warten ihnen körperliche Schmerzen bereiten.«

»Auf dich zu warten stört mich nicht.«

In ihren Augen zündet ein winziger Funke. »Nicht einmal, wenn es wehtut?«

Ich muss lachen. »Schon gar nicht, wenn es wehtut.«

»Na, denn. Danke. Ganz im Ernst«, sagt sie und lächelt bezaubernd.

Jetzt würde ich sie gerne küssen. Unter anderem.

»Kein Problem.«

Sie steigt aus und wirft die Tür zu. Ich schaue ihr nach. Es ist schön anzusehen, wie sich ihr rundes Hinterteil bei jedem Schritt in der knappen Shorts bewegt. Ihre Beine sind so endlos lang, dass mein bestes Stück unwillkürlich zuckt, als ich mir vorstelle, wie sie sie um meine Hüften schlingt und sich an mich schmiegt.

Heilige Scheiße!

Ich höre Radio und genieße die seichte Brise, die durch das offene Fenster hereinweht, als sie aus dem Seitenausgang des Geschäfts tritt. Fassungslos bleibt mir der Mund offen stehen.

Ihre Haare sind gewollt unordentlich aufgesteckt, nur ein paar einzelne Locken fallen ihr auf die Schultern. Sie trägt ein hautenges rotes Kleid, das an einer Seite fast bis zur Hüfte geschlitzt ist, sodass es ihre Weltklassebeine perfekt in Szene setzt. Der Fummel enthüllt gerade so viel von ihrer sanft gebräunten Haut, dass man sofort niederknien möchte. Und genau das will ich auch. Niederknien, meine ich.

Beinahe mit heraushängender Zunge beobachte ich, wie sie in winzigen Schritten auf die Beifahrertür zusteuert. Als sie sie öffnet, weht ein appetitlicher Duft ins Auto – sexy und würzig, aber dennoch sanft. Alles, was sie in meiner Gegenwart nicht zu sein versucht, aber längst ist, ob sie es nun will oder nicht.

Zögernd steht sie vor der geöffneten Tür und blickt auf die Schwelle. Schließlich greift sie nach dem Saum ihres Kleids und zieht ihn ein klein wenig hinauf, während sie mit der anderen Hand den Türgriff innen packt. Endlich kapiere ich, dass sie überlegt, wie sie einsteigen soll, ohne das Kleid zu zerreißen oder undamenhaft viel Haut zu zeigen. Herrlich. Die Frau ist ein einziger Widerspruch.

»Warte«, sage ich, steige aus und gehe um den Truck herum. Sie wendet sich mir zu, und als ich auf sie herabsehe, wird mir bewusst, dass ich sie will. Okay, das wusste ich vorher schon, aber nun wird mir klar, wie sehr ich sie will. Verdammt sehr nämlich!

Sie blickt fast schüchtern und höllisch sexy zu mir auf. Ihre Augen … Mein Gott! Sünde und Unschuld zugleich, der Blick wie der eines gefangenen Vögelchens aus tiefgründigen Smaragden, die von dicken schwarzen Wimpern eingerahmt werden. Als wüsste sie, was mir durch den Kopf geht, blickt sie weg und beißt sich wieder auf die Lippe. Diese Lippen … dunkelrot geschminkt und nass glänzend, als wäre sie mit der Zunge darübergefahren …

Wie aufs Stichwort, schießt ihre Zungenspitze hervor, und ich muss ein Stöhnen unterdrücken.

»Brauchst du Hilfe?«, frage ich zum zweiten Mal an diesem Tag.

Und plötzlich lacht sie, ein sattes, kehliges Lachen, und vor meinem inneren Auge sehe ich sie im Regen tanzen – nackt und frei. »Das wird ja langsam zur Gewohnheit.«

»Muss ja nicht schlecht sein.«

»Aber vielleicht gefährlich«, murmelt sie, und das Vibrieren ihrer Stimme jagt mir ein Prickeln durch den Körper.

»Ach, hin und wieder ist ein bisschen Gefahr nicht falsch.«

Ihr Lächeln wird plötzlich traurig, aber sie erwidert nichts. Ich trete einen Schritt näher. Sie weicht nicht zurück, öffnet jedoch ganz leicht die Lippen, und ich frage mich, was sie wohl erwartet – dass ich sie küsse?

Langsam beuge ich mich vor und lege ihr meine Hände um die schmale Taille. »Halt dich an meinen Schultern fest.«

Eine Tüte in der einen Hand (in der sich wahrscheinlich das Top und die Shorts befinden) und ein winziges Täschchen in der anderen, gehorcht sie, und ich hebe sie hoch und setze sie auf die Kante des Beifahrersitzes, bis sie zurückrutschen und die Beine in den Fußraum schwingen kann. Fast erwartungsvoll sehen wir einander an. Ich bin mir nicht sicher, was sie von mir will, aber ich weiß verdammt noch mal genau, was ich tun will. Doch bevor ich auf dumme Ideen kommen kann, werfe ich rasch die Autotür zu und hole tief Luft.

Es ist nicht meine Art, mich zurückzuhalten, und warum ich es bei dieser Frau tue, ist mir ein Rätsel. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Gefühl habe, sie bräuchte nicht nur Pannenhilfe, sondern Rettung ganz anderer Art.

Ich steige ein und drehe den Zündschlüssel. Als ich schalte, sehe ich Tommis helles Blondhaar am Rand meines Gesichtsfelds auftauchen und wende den Kopf. Ihr Bein ist bis zum Oberschenkel entblößt, und sie beugt sich vor, um das Riemchen ihrer silbernen Glitzersandalen zu richten. Als sie sich wieder aufrichtet, bemerkt sie meinen Blick.

»Ihr Jungs solltet froh sein, dass ihr nicht solche Schuhe tragen müsst«, sagt sie.

»Unbedingt. An uns sähen die sowieso nicht so gut aus«, erwidere ich mit einem halben Grinsen.

»Ach, ich weiß nicht. Du hast bestimmt tolle Beine.« Sie mustert meinen Unterkörper, wendet sich dann aber hastig ab, als hätte sie sich mit ihrer Bemerkung irgendwie verraten. Tja, und vielleicht hat sie das sogar. Denn nun weiß ich, dass nicht ich der Grund für ihre Nervosität bin, sondern dieses Prickeln zwischen uns.

»Da könntest du recht haben. Und wenn du sie mal sehen willst, brauchst du nur ein Wort zu sagen.«

Sie lächelt wieder, bleibt aber stumm und nestelt an ihrem Täschchen, um mich nicht mehr ansehen zu müssen.

»Also – wohin fahren wir jetzt?«

»Hotel Magnifique.«

»Nett«, sage ich. Auch ich kenne den Laden. Die Lady ist offensichtlich an die edleren Dinge des Lebens gewöhnt.

Wir legen die kurze Entfernung schweigend zurück. Jedes Mal, wenn sie auf die Uhr schaut, scheint die Spannung anzusteigen. Erst als wir unter dem Vordach des Hotels zum Stehen kommen, sieht Tommi mich wieder an.

»Noch einmal vielen, vielen Dank für deine Hilfe. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn du nicht aufgetaucht wärst.«

»Es war mir ein Vergnügen«, erwidere ich und meine es ernst.

Der Hotelboy öffnet ihr die Tür, und sie will gerade aussteigen, als ich sie am Handgelenk packe. »Warte. Vergiss deine Sachen nicht.« Mit dem Kopf deute ich auf die Tüte im Fußraum.

»Oh, vielen Dank.« Aber sie wirkt ganz und gar nicht dankbar. Tatsächlich macht sie auf mich plötzlich den Eindruck, als hätte ich sie gebeten, eine Handgranate einzustecken. Doch sie bückt sich, nimmt die Tüte, schenkt mir noch ein rasches Lächeln und steigt aus. »Danke, Sig.«

Ich nicke und sehe ihr nach. Anmutig steuert sie auf den Hoteleingang zu. Plötzlich macht sie einen kurzen Schritt zur Seite und stopft die Tüte in einen Mülleimer.

Nanu? Was soll denn das?

Dann ist sie verschwunden. Ich fahre wieder an. Als ich in den Verkehr einfädele, bin ich entschlossen, Tommi wiederzusehen. Schließlich muss ich herausfinden, wie sie mich ansieht, wenn ich sie zum ersten Mal küsse.

3. Kapitel

TOMMI

Ich setze ein Lächeln auf, während ich der Empfangsdame zum Tisch folge, an dem Lance bereits auf mich wartet. Ich habe einen Knoten im Magen. Es fühlt sich an, als könne jeder sehen, dass ich die vergangene Stunde in Gegenwart eines Mannes verbracht habe, von dem ich mich nahezu krankhaft stark angezogen fühle. Ich rufe mich für diesen albernen Gedanken zur Ordnung und hole tief Luft, um mich zu beruhigen.

»Da bist du ja«, sagt Lance, als ich näher komme. Seine stahlblauen Augen blicken hart. Härter als üblich. Er ist nicht glücklich, das ist nicht zu übersehen. »Ich dachte schon, du würdest gar nicht mehr auftauchen.«

Als würde das jemals geschehen. Ich bin ja nicht dumm.

»Ich hatte auf dem Weg hierher eine Autopanne.« Viel mehr darf er nicht wissen.

Er zieht die Stirn in Falten. »Mit dem brandneuen Auto?«

»Der Reifen war platt.«

»Und warum hast du nicht angerufen?«

Ich setze mich, lasse mir von ihm den Stuhl an den Tisch schieben und warte, bis er auch wieder Platz nimmt, bevor ich antworte. So habe ich ein wenig Zeit, mich zu sammeln, denn ich muss ruhig bleiben, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Das habe ich durch pure Notwendigkeit gelernt, genauso wie das Lügen selbst. Zum Glück habe ich es in dieser Disziplin zu wahrer Meisterschaft gebracht: Ich kann ganze Märchen so glaubhaft formulieren, dass man sie mir als Wahrheit abkauft. Lügen sind für mein Leben so essenziell geworden wie Wasser oder Schlaf oder Luft. Und ich bin darauf ungefähr genauso stolz wie auf den Rest meines bisherigen Werdegangs – nämlich gar nicht.

»Ich brauchte keine Hilfe. Ich weiß, wie man einen Reifen wechselt. Das Problem war nur, dass auch der Ersatzreifen platt war. Deswegen bin ich zu spät.«

Erschreckt schnappe ich nach Luft, als seine Hand blitzschnell vorschießt und mein Handgelenk packt. Im ersten Moment befürchte ich, dass er meine Lüge durchschaut hat. Doch dann mache ich mir klar, dass er nichts wissen kann.

Bleib ganz ruhig!

Lächelnd sehe ich ihn an, als sei nichts gewesen, und warte ab. Wenn ich jetzt zu stammeln beginne, mache ich mich nur unglaubwürdig.

»Meine Freundin hat es nicht nötig, sich am Straßenrand die Hände schmutzig zu machen und Reifen zu wechseln. Du hättest mich anrufen sollen.«

»Als ich bemerkte, dass der Ersatzreifen auch platt war, war es schon so spät, dass es für dich sehr umständlich geworden wäre, mich abzuholen. Vor allem, wenn ich ebenso gut einen Abschleppdienst rufen und zu dir kommen konnte. Und genau das habe ich getan.«

Indem ich es so klingen lasse, als seien er und sein Wohlergehen meine oberste Priorität, verschaffe ich mir Bonuspunkte. Alles, was Lance Tonins Ego schmeichelt, ist mir von Nutzen.

Seine Verärgerung lässt spürbar nach. »Ich muss dir unbedingt jemanden Vollzeit zur Seite stellen.«

Mein Magen krampft sich zusammen. Bloß nicht. Bloß keinen Bodyguard, der mich rund um die Uhr überwacht und Lance über jeden meiner Schritte, über jedes Wort und jeden Klamottenwechsel Bericht erstattet.

»Das wird nicht nötig sein. So was wie heute ist ja die Ausnahme. Deswegen musst du niemanden von wichtigen Aufgaben abziehen.«

»Das bist du mir aber wert, Baby. Du bist eine wichtige Aufgabe.« Ich lächle, als er meine Hand an die Lippen hebt und die Finger küsst. »Ist das Kleid neu?«

»Ja. Ich weiß doch, wie sehr du mich in Rot magst.« Lance ist ein Mann, der will, dass ich sein Geld ausgebe, solange das Ergebnis dem entspricht, was er für richtig hält. Er wird regelmäßig wütend, wenn er mich in Sachen erwischt, die er als ordinär bezeichnet … und die ihn an seine Mutter erinnern. In seinen Augen sind abgewetzte Jeans oder Shorts oder auch nur sportlichere Kleidung unterste Schublade, daher erwartet er von mir, dass ich mich wie die Frauen anziehe, die er als Kind im Fernsehen sah, wenn er den Geräuschen seiner Mutter und ihrer Freier im Nebenzimmer entkommen wollte. Lance ist der festen Überzeugung, dass man sich Stil aneignen kann, indem man vorgibt, welchen zu haben.

Aber er irrt sich gewaltig.

Zum Glück tritt in diesem Augenblick eine Kellnerin an unseren Tisch, um unsere Bestellung aufzunehmen, und beendet das unangenehme Gespräch.

4. Kapitel

SIG

Ich traue meinen Augen nicht.

Als ich Tommi entdecke und erkenne, bei wem sie sitzt, bleibe ich wie angewurzelt stehen.

Heilige Scheiße! Das ist Lance Tonin. Drogen-Dealer. Krimineller. Arschloch in jeder Hinsicht.

Das darf doch wohl nicht wahr sein.

Warum, zum Henker, sollte eine Frau wie Tommi ihre Zeit mit einem solchen Kerl vergeuden? Es heißt, er sei ein totaler Kotzbrocken, gemein bis zum Anschlag, echter Abschaum. Die Drecksarbeit erledigen bei ihm oft Kinder: Obdachlose Mädchen, Nutten, unterprivilegierte Jungs, die leicht zu ködern sind. Vor einiger Zeit haben wir zwei seiner Opfer geschnappt. Den einen nahmen wir hops, als er eine geringe Menge Koks verscherbeln wollte, den anderen mit einem Pfund Badesalz. Lance macht hauptsächlich in Koks, versucht sich aber hier und da auch an anderen Substanzen.

Beide Kids waren hundertprozentig loyal und verweigerten die Aussage. Beide hatten gerade erst ihren Highschool-Abschluss gemacht. Sie waren im selben Jahrgang gewesen wie der Sohn von einem Handlanger Tonins, wodurch wir überhaupt erst die Verbindung zu Tonin geknüpft haben. Beide Jungs landeten in Jugendhaft. Beide sind inzwischen tot. Der eine hat sich erhängt, der andere eine Überdosis Pillen eingeworfen. Wir wissen nicht, nach welchen Kriterien Tonin sich die Kinder aussucht oder mit was er sie lockt, aber er tut es. Dennoch ist das Problem ja nicht, dass wir von Tonins Beteiligung wissen – wir müssen sie ihm beweisen.

Aber die beiden waren nur kleine Fische. Um Lance Tonin festnageln zu können, müssen wir herausfinden, wo er seine Ware zwischenlagert. Wir brauchen große Mengen, damit eine Anklage Bestand hat und die Staatsanwaltschaft dafür sorgen kann, dass er für lange, lange Zeit aus dem Verkehr gezogen wird.

Ich spiele mit Tommis Handy, das sie auf dem Beifahrersitz vergessen hat. Wahrscheinlich hat sie es in der Hast, aus meinem Wagen zu steigen, verloren. Jedenfalls verstehe ich jetzt, warum sie es so eilig hatte und so nervös gewesen ist. Und warum sie nicht mit mir gesehen werden wollte.

Als ich vorhin das Handy entdeckte, hatte ich mit der Absicht, es ihr zurückzugeben, den Wagen rasch gewendet, aber nun, da ich weiß, mit wem sie verkehrt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich das tun sollte. Vielleicht bietet sich hier eine Gelegenheit der anderen Art.

Meine Abteilung ist nun schon seit vier Jahren hinter Tonin her, doch niemand ist bisher nah genug an ihn herangekommen, um herauszufinden, wie sein Unternehmen aufgebaut ist. Aber haben wir jemals daran gedacht, uns durch eine Hintertür einzuschleichen? Durch eine Hintertür in Gestalt einer blonden Traumfrau?

Allein der Gedanke, Tommi auf diese Art auszunutzen, verursacht mir ein schlechtes Gewissen. Das wäre natürlich extrem mies. Aber andererseits sitzt sie hier mit einem stadtbekannten Verbrecher. Sie muss wissen, dass sie das automatisch auch ins Fadenkreuz rückt. Wer sich in solchen Kreisen bewegt, muss auch die Konsequenzen tragen.

Genau wie meine Brüder will ich es zum Detective bringen, aber vor allem will ich als verdeckter Ermittler arbeiten. Natürlich braucht so was Zeit, das weiß ich, man muss es sich erarbeiten. Aber falls ich eine Chance hätte, bei einem wie Tonin in den engeren Kreis zu gelangen, dann müssen meine Vorgesetzten mich fast schon undercover gehen lassen. Es wäre zumindest den Versuch wert.

Ich stecke das Handy wieder ein, mache kehrt und verlasse das Hotel. Ich muss darüber schlafen. Und vielleicht erst einmal mit meinem Captain reden. Aber im Augenblick scheint mir das hier wie ein echtes Geschenk.

5. Kapitel

TOMMI

Erst als Lance mich kurz nach zwei Uhr morgens in eine Limousine verfrachtet, fällt mir auf, dass mein Handy verschwunden ist. Das ist an sich schon eine dumme Geschichte, weil Lance es nicht ausstehen kann, wenn ich nicht erreichbar bin. In diesem Fall ist es allerdings noch problematischer, da ich genau weiß, dass ich das Telefon aus dem Maserati mitgenommen habe, und ich bin so gut wie sicher, dass ich es ebenfalls noch hatte, als ich aus der Boutique kam. Was bedeutet, dass es nur an einem Ort sein kann.

Bei Sig. Im Auto.

Allein der Gedanke, dass Lance das herausfinden könnte, jagt meinen Puls in die Höhe. Dass er mir körperlich etwas antun würde, muss ich nicht fürchten. Okay, ich war schon mit Schlägern zusammen und würde ihm durchaus zutrauen, gewalttätig zu werden, aber er steht zu sehr auf mein Äußeres, als dass er das Risiko eingehen würde, es zu ruinieren. Im Übrigen weiß er sehr gut, wie er mich fügsam machen kann, und genau deshalb darf er auch nicht erfahren, was heute passiert ist.

Nervös trommele ich mit den Fingern auf den Sitz neben mir. Als Bruce, der Fahrer, mich vor meinem Haus absetzt, stürme ich hinein, laufe schnurstracks zum Zimmer meines Bruders, öffne die Tür so leise, wie ich kann, und schleiche auf Zehenspitzen zu seinem Bett. Ich nehme das Telefon vom Nachttisch, schleiche rückwärts hinaus, haste in mein Zimmer und schließe die Tür, während ich bete, dass Sig mein Handy bereits gefunden und an sich genommen hat.

Ich wähle meine eigene Nummer und lausche dem Tuten. Meine Besorgnis wächst mit jedem Klingeln, das unbeantwortet bleibt. Als sich die Mailbox meldet, lege ich auf und drücke die Wahlwiederholung. »Bitte, lieber Gott! Bitte lass es ihn eingesteckt haben!«, flüstere ich, der Panik nah. Noch dreimal wiederhole ich die Prozedur, um die Dringlichkeit zu unterstreichen und damit er drangeht, nur um endlich seine Ruhe zu haben. Doch nichts geschieht.

»Bitte, du hast nicht auf lautlos gestellt, bitte nicht«, wispere ich. »Das hast du nicht.«

Als ich beim sechsten Versuch gerade wieder auflegen will, höre ich endlich eine tiefe, verschlafene Stimme. »Hallo?«

Die Erleichterung durchströmt mich mit einer solchen Macht, dass meine Knie nachzugeben drohen. »Sig? Bist du das?«

»Einfach-Tommi«, murmelt er mit einem Lächeln in der Stimme, das ein kleines Feuerwerk in meiner Magengrube zündet.

»Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Aber ich habe gerade gemerkt, dass ich mein Handy nicht finden kann, und bin in Panik geraten.«

»Und ich habe mich schon gefragt, wie ich es dir zurückgeben soll.«

»Ich könnte morgen vorbeikommen und es holen«, sage ich.

»Sobald dein Wagen wieder einsatzbereit ist?«

O Gott – das Auto!

Nur mühsam unterdrücke ich ein frustriertes Stöhnen. Ich brauche das Handy eher. Der Pannenservice macht bestimmt nicht vor acht Uhr auf – wenn überhaupt –, und dann muss ich erst noch zwei Reifen dorthin schaffen. Und aufziehen. Aber ich soll auch um neun bei Lance sein, und bin ich das nicht, ruft er mich an. Und wenn er mich nicht erreicht, kommt er mich holen. Und wenn er mich holen kommt und ich ihm sage, dass ich mein Handy nicht habe, wird er mir anbieten, mich zu meinem Wagen zu bringen, um es zu holen, doch es wird nicht dort sein. Weil ein atemberaubender Fremder es hat.

Argh!

Aus Gewohnheit verbeiße ich mir einen Fluch – immer ganz die Lady für Lance. Sicher müsste ich nicht so streng mit mir sein, wenn er nicht in meiner Nähe ist, aber wer weiß, ob mir dann nicht irgendwann mal ein Ausrutscher passiert, und dann würde Lance ausrasten. Und wenn Lance ausrastet, stößt er Drohungen aus. Und es gibt da etwas, womit er mir wirklich drohen kann.

Und so drehen wir uns endlos im Kreis.

»Ich brauche mein Handy noch früher«, sage ich, »aber ich kann mir ein Taxi nehmen und dich treffen, wo immer du willst. Nur bitte so früh wie möglich.«

Eine lange Pause entsteht, und ich habe schon fast den Verdacht, dass er wieder eingeschlafen ist. Doch dann meldet er sich wieder zu Wort. »Ich habe morgen früh etwas zu erledigen, aber danach können wir uns treffen. Sagen wir um acht im Daily Grind?«

Ich kenne das Café. Es ist kein Etablissement, das Lance je betreten würde, daher habe ich keine Probleme, mich dort blicken zu lassen. »Wunderbar. Und vielen Dank. Es tut mir wirklich leid, dass ich dir solche Umstände mache.«

»Ach was, kein Problem, wirklich nicht. Auf diese Art kann ich dich wiedersehen.«

Unwillkürlich muss ich lächeln. »Schlaf gut, Sig.«

»Schlaf du auch gut, Einfach-Tommi.«

»Moment!«, sage ich hastig, bevor er auflegt. »Sig?«

»Hm?«

»Geh nicht noch mal an mein Handy, okay?«

»Kapiert«, sagt er, dann ist die Leitung tot.

Ich bringe das Telefon zurück ins Zimmer meines Bruders und beginne mein abendliches Ritual. Ich ziehe meinen Schlafanzug an (den ich mir selbst ausgesucht habe), wasche mir das Gesicht und putze mir die Zähne. Ich liebe diesen Moment kurz vor dem Schlafengehen, denn er bedeutet, dass ich einen weiteren Tag in der Hölle überstanden habe und meinem Ziel einen Schritt näher gekommen bin.

Als ich ins Bett krieche, sind meine Gedanken so wirr, dass ich selbst im Schlaf kaum zur Ruhe komme. Ich träume von schokoladenbraunen Augen und einem atemberaubenden Lächeln, doch ich träume auch von den eisernen Fesseln, mit denen ein Teufel mich an sich gekettet hat.

6. Kapitel

SIG

Ich gehe in Uniform zur Arbeit, nehme aber eine Tasche mit, in der sich Zivilkleidung befindet. Wenn der Morgen so verläuft, wie ich es mir erhoffe, werde ich sie brauchen. Noch bevor meine Schicht beginnt, schließe ich meine Sachen im Spind ein und begebe mich unverzüglich zum Büro meines Vorgesetzten. Auf mein Klopfen reagiert er mit einem sonoren »Herein«, ohne auch nur den Kopf zu heben.

Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, einen Chef zu haben, der wie die stämmige Version von Denzel Washington aussieht und eine Stimme wie Barry White hat. Er ist fast so groß wie ich, und hätte ich eine andere Statur, würde er mich vielleicht sogar ein wenig einschüchtern.

Ich trete ein, bleibe steif vor seinem Schreibtisch stehen und warte, bis er endlich zu mir aufsieht. »Was gibt’s, Locke?«

»Sir. Gestern habe ich auf dem Highway angehalten, um einer Frau bei einer Reifenpanne zu helfen. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und sogar ein bisschen geflirtet. Ich habe sie ein Stück mitgenommen, weil ihr Ersatzreifen ebenfalls platt war.«

Skeptisch zieht er die Brauen zusammen. »Sagen Sie, habe ich je den Eindruck erweckt, als hätte ich auch nur ansatzweise Interesse an Ihrem Liebesleben?«

Ich muss lachen. »Nein, Sir.«

»Soll das bedeuten, Sie wollen auf etwas hinaus?«

»Ja, Sir.«

Er macht eine kurbelnde Geste, als wolle er mich antreiben. »Dann kommen Sie endlich zur Sache. Ich habe zu tun.«

»Diese Frau … sie ist Lance Tonins Freundin.«

Jetzt habe ich seine volle Aufmerksamkeit. Er legt den Stift beiseite und betrachtet mich einen Moment lang schweigend. »Und?«

»Hören Sie, Sie wissen, dass ich undercover arbeiten will. Ich sehe ein, dass ich genau wie jeder andere erst meinen Dienst machen muss, aber das hier ist eine Chance, die Sie sich nicht entgehen lassen können.«

»Tatsächlich?« Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor seiner mächtigen Brust.

»Sir, ich weiß doch, wie lange wir schon hinter Tonin her sind. Und ich weiß auch, wie schwer es ist, herauszufinden, wie seine Geschäfte funktionieren, selbst wenn wir mit Insidern arbeiten. Aber vielleicht sind wir es bisher falsch angegangen. Vielleicht besteht die Lösung nicht darin, ihm näher zu kommen.«

»Sondern uns stattdessen an Tonins Freundin heranzumachen?«

»Ja, Sir, das meine ich«, erwidere ich zuversichtlich. »Und selbst wenn sie ihm treu ergeben ist, kann ich vielleicht über sie etwas Nützliches herausfinden. Vielleicht wird sie ihn nicht wissentlich ans Messer liefern, aber …«

»Und wie genau gedenken Sie, in seine Organisation zu kommen?«

»Na ja, ich weiß, dass wir schon jemanden eingeschleust haben …«

»Aha? Und woher wissen Sie das?«

Ich zucke die Achseln. »Ich halte eben meine Ohren offen.« Ich grinse. Der Spruch ärgert ihn, das weiß ich genau, aber natürlich würde ich nicht im Traum daran denken, einen meiner Brüder zu verraten.

Und er lässt es darauf beruhen. Zumindest im Augenblick. »Ich soll also die Stellung unseres Mannes gefährden, indem ich von ihm verlange, dass er Sie einschleust und mit dieser Frau zusammenbringt?«

»Nein, nein, er soll mich keinesfalls für irgendwas vorschlagen, das viel Vertrauen erfordert. Irgendeine lächerliche Aufgabe, irgendein Kleinkram, das würde reichen. Mir geht es nur darum, ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen, verstehen Sie? Ich weiß, dass ich das hinkriege, Sir. Ich spüre es.«

»Sie spüren es, ja? Kann es nicht sein, dass Sie vor allem Ihr Ego spüren?«

»Vielleicht auch ein bisschen, aber diese Frau und ich verstehen uns wirklich gut. Falls es nicht klappt, verschwinde ich wieder, und nichts ist passiert.«

»Niemand, der für Lance Tonin arbeitet, verschwindet aus eigenem Willen einfach so wieder. Man ist auf Gedeih und Verderb in seinem Unternehmen und kommt höchstens mit den Füßen zuerst wieder raus. Wir müssten Sie sehr vorsichtig abziehen.«

»Na schön, falls es schiefgeht. Wird es aber nicht.«

Prüfend betrachtet er mich eine lange Weile, und sein Blick scheint in mich zu dringen, als suche er nach Anzeichen, dass unter dem Namensschild auf meiner linken Brust auch tatsächlich ein Locke steckt, wie er ihn von meinem Vater und meinen Brüdern kennt. Unwillkürlich richte ich mich ein wenig auf. Ich bin ein Locke! Durch und durch. Und ich habe keinerlei Probleme damit, es auch unter Beweis zu stellen.

»Ich denke darüber nach.«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. »Sir, ich will ja nicht drängen, aber ich müsste es ziemlich schnell wissen. Ich treffe mich in einer halben Stunde mit ihr, um ihr ihr Telefon zurückzugeben. Und wenn ich so angezogen aufkreuze …«

Dieses Mal braucht er keine Bedenkzeit. »Gehen Sie in Zivil hin. Und dann kommen Sie direkt zu mir zurück und sagen mir, ob Sie noch immer der Meinung sind, Sie könnten auf diese Weise die Organisation unterwandern.«

»Ja, Sir«, sage ich.

Doch er hat den Kopf bereits wieder gesenkt.

7. Kapitel

TOMMI

Ich gebe mir größte Mühe, nicht unruhig herumzurutschen, aber es fällt mir schwer. Allein meine Anwesenheit hier fühlt sich für mich an, als würde ich mit Dynamit spielen. Natürlich liegt das einerseits an der Sorge um mein Handy und der Angst, dass Lance herausfinden könnte, was wirklich geschehen ist. Aber da ist auch noch Sig selbst. Aus irgendeinem Grund hat er mich aus der Bahn geworfen, und ich kann nicht genau benennen, woran es liegt.

Den ganzen Morgen denke ich schon darüber nach. Inzwischen bin ich fast überzeugt, dass ich mich gestern nur deshalb so stark von ihm angezogen fühlte, weil ich derart aufgewühlt war. Deshalb werde ich gleich mein Handy in Empfang nehmen und anschließend die ganze Sache ad acta legen. Was immer es ist, das mich so durcheinanderbringt (falls heute überhaupt noch etwas davon zu spüren ist) – in zehn Minuten hat es sich ohnehin erledigt. Denn dann ist er aus meinem Leben verschwunden. Und nichts ist passiert.

Als ich den Kopf hebe und mich wie beiläufig im Café umschaue, muss ich allerdings einsehen, dass ich mich gründlich geirrt habe. Sobald ich die große Gestalt erblicke, die sich an den Tischen vorbeischiebt, zieht sich mein Magen zusammen. Und als er mich entdeckt und mir zuzwinkert, flattern die Schmetterlinge auf, als sei er meine erste große Liebe und würde mich jeden Moment fragen, ob ich mit ihm zum Schulball gehe.

Sehr vorsichtig stelle ich meine Tasse ab und verschränke die bebenden Hände im Schoß. Cool bleiben, Tommi, bleib ganz cool … und bring dich ja nicht in Schwierigkeiten.

Er trägt eine ausgeblichene Jeans, die sich an seine starken Beine schmiegt, und sein Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hat, spannt sich über den breiten Schultern. Sein Haar ist noch feucht von der Dusche, und sein Gesicht sogar noch attraktiver, als ich es in Erinnerung hatte. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.

Lächelnd zieht Sig sich einen Stuhl hervor und lässt sich darauf nieder, und ich muss mir eingestehen, dass ich seine Wirkung auf mich total unterschätzt habe. Sein Lächeln prickelt auf meinen bebenden Lippen und abwärts in Regionen, die seit einer Ewigkeit keine solche Sehnsucht mehr empfunden haben.

Das ist ganz und gar nicht gut.

Doch bevor ich wirklich Angst bekommen kann, rufe ich mir in Erinnerung, dass ich ihn ja nicht mehr wiedersehen muss. Und wenn ich ihn nie mehr wiedersehen muss, kann er auch kein Problem darstellen, oder?

Eben. Kann er nicht.

Er stellt eine braune Papiertüte auf den Tisch, und ich schiebe ihm den Kaffee hin, den ich für ihn bestellt habe. »Für mich?«, fragt er mit seiner tiefen Stimme.

»Für dich.«

Tapfer nimmt er einen Schluck von dem brühheißen Getränk, und während ich noch staune, dass seine Zunge sich nicht abschält, packt er einen riesigen Burger aus. »Hmmm, danke. Dabei war ich mir sicher, dass du gar nicht noch attraktiver werden könntest.«

Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. »Ich nehme an, du magst Sahne und Zucker?«

»Ich mag Kaffee. In welcher Form auch immer.«

»Sogar zum Burger?«

»Vor allem zum Burger.« Herzhaft beißt er hinein. Es überrascht mich nicht, dass ein Drittel weg ist, als er die Hände wieder senkt. Na ja, groß, wie er ist, hat er sicher auch großen Hunger. Flüchtig überlege ich, ob sein Appetit in jeder Hinsicht so … so gesund ist.

Ich ziehe scharf die Luft ein, als mir bewusst wird, in welche Richtung meine Gedanken laufen, und beiße mir auf die Unterlippe, um mich mit dem Schmerz abzulenken. Normalerweise funktioniert das immer, doch als Sigs Blick auf meinen Mund fällt und er langsamer kaut, kann ich nur noch daran denken, wie es wohl wäre, wenn er mich küsste. Jetzt und hier. Bevor wir getrennte Wege gehen und uns nie wiedersehen.

»Hast du Hunger?« Seine Stimme ist tief, hypnotisch, sein Blick wandert aufwärts, begegnet meinem, hält ihn fest.

»Ich habe schon gefrühstückt, danke.«

Sein Blick lässt meinen nicht los, als er den nächsten Bissen nimmt und kaut. Schweigend sitzen wir einander gegenüber und sehen uns an, und ich bin mir sicher, dass wir beide Ähnliches denken. Dummerweise ist das gefährlich. Sehr, sehr gefährlich sogar.

Mit großer Anstrengung blicke ich weg. »Isst du morgens immer schon so viel?«

»Tja, ich habe nun mal großen Appetit – was soll man da machen?«

Am liebsten würde ich aufstöhnen, als er im Grunde ausspricht, was ich eben gedacht habe. Dafür scheint er ein echtes Talent zu haben. »Du bist ja auch ein großer Junge.«

Sobald ich die Worte gesagt habe, wünsche ich mir, ich hätte den Mund gehalten. Warum musste ich das auch kommentieren?

»Ja, groß bin ich, aber ein Junge? An mir ist nichts mehr jungenhaft.« Sein Grinsen ist so schelmisch, so stolz, so … männlich, dass ich unwillkürlich lachen muss. Ich verdrehe die Augen.

»Klar. Ich hatte ganz vergessen, wie bescheiden du bist.«

»Ich werde versuchen, dich regelmäßig daran zu erinnern.«

Das reißt mich unsanft in die Realität zurück. Für uns kann es kein »regelmäßig« geben. Für uns kann es gar nichts geben. Wegen Lance. »Ich will nicht unhöflich sein, aber du hast das Telefon doch dabei, oder?«

Sig zieht das Handy aus seiner Tasche. Ich greife mit beiden Händen danach und versuche zu ignorieren, dass seine Körperwärme daran haftet. Stattdessen konzentriere ich mich ganz darauf, welche Schwierigkeiten mir diese Sache hätte bereiten können. Ich muss unbedingt besser aufpassen.

»Vielen, vielen Dank.«

»Hör mal, ich stehe ja auch auf Smartphones und Sicherheit und all den Kram, aber du scheinst mir etwas … erleichterter zu sein, als der Durchschnittsbürger es wäre. Ich meine, es ist ja nur ein Handy. Ist alles okay?«

»Ja, ja. Ich … bin einfach ziemlich abhängig von dem Ding, das ist alles.«

»Die Arbeit?«

»Ach, eigentlich … eher Alltag.«

Sig zerknüllt die Papiertüte in seinen großen Händen. Sein Blick wird ernst. »Dein Freund?«

Ich weiß nicht, warum es mich überrascht, dass er es gemerkt hat. Seine schokobraunen Augen scheinen alles zu sehen.

Ich schlucke. »Ja.«

Zu meinem allergrößten Erstaunen grinst er. »Fein.«

Das hatte ich nicht erwartet. »Fein?«