London,J.,Gesammelte Werke - Jack London - E-Book

London,J.,Gesammelte Werke E-Book

Jack London

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Beschreibung

Jack Londons Romane und Erzählungen entführen in die Grenzbereiche menschlicher Existenz und an die Ränder der Zivilisation. In ungeschönter Sprache erzählt er von mitreißenden Abenteuern und von dramatischen Kämpfen ums Überleben. Die Anaconda-Reihe 'Gesammelte Werke' umfasst mittlerweile über 20 Bände. Jeder Band beinhaltet eine große Auswahl des jeweiligen Autors und bietet einen Überblick über das Werk. Der Hardcover-Einband ist ausgestattet in Iris-Leinen.

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Seitenzahl: 1504

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JACK LONDON

GesammelteWerke

Aus dem Amerikanischen vonIsabelle Fuchs, Ulrich Horstmann, Bernd Samlandund Herbert Schnierle-Lutz

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2017 Anaconda Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.Umschlagmotiv: © istock.com/traveler1116 Umschlaggestaltung: Druckfrei. Dagmar Herrmann, Bad HonnefISBN 978-3-7306-9170-0V002www.anacondaverlag.de

Inhalt

Nordland-Storys übersetzt von Herbert Schnierle-Lutz

In einem fernen Land

Die Liebe zum Leben

Die Goldschlucht

Der Held von Mazy May

Die Weisheit des Trails

Weiter, immer weiter

Eine Hütte für die Nacht

Ein Feuer machen

Das Weiße Schweigen

Die Willenskraft der Frauen

Eine Odyssee des Nordens

Der Bund der alten Männer

Nam-Bok, der Lügner

Das Gesetz des Lebens

Ruf der Wildnis übersetzt von Bernd Samland

Der Seewolf übersetzt von Ulrich Horstmann

Wolfsblut übersetzt von Isabelle Fuchs

Anhang

Nachwort zu den »Nordland-Storys« von Herbert Schnierle-Lutz

Nachwort zum »Seewolf« von Ulrich Horstmann

Wort- und Sacherklärungen zu den »Nordland-Storys«

Glossar zum »Seewolf«

Zeittafel

Quellenverzeichnis

Nordland-Storys

Zusammengestellt undaus dem Amerikanischen neu übersetztvon Herbert Schnierle-Lutz

In einem fernen Land

Wenn ein Mensch in ein fernes Land reist, muss er bereit sein, viele Dinge zu vergessen, die er gelernt hat, und die Sitten anzunehmen, die in dem neuen Land zum Leben gehören. Er muss den alten Idealen und den alten Göttern abschwören, und oftmals muss er sogar die Grundsätze, die bisher sein Verhalten geprägt haben, gänzlich umstoßen. Für diejenigen, die die Fähigkeit zur Anpassung besitzen, mag das Neue einer solchen Veränderung geradezu ein Quell der Freude sein; doch für jene, welche die eingefahrenen Gleise nicht verlassen können, in denen sie aufwuchsen, ist die Zumutung einer fremdartigen Umgebung nahezu unerträglich, und sie scheuern sich unter den neuen Bedingungen, die sie nicht verstehen, an Leib und Seele wund. Dieses Wundscheuern erzeugt natürlich Reaktionen und Gegenreaktionen, die vielerlei Übel hervorbringen und zu allerlei Missgeschicken führen. Für den Menschen, der sich nicht an die neuen Verhältnisse anzupassen vermag, wäre es besser, wenn er in seine Heimat zurückkehren würde, denn ein zu langes Zögern wird sein sicherer Tod sein.

Wer den Annehmlichkeiten einer alten Zivilisation den Rücken kehrt, um der jugendlichen Wildheit und urtümlichen Natur des Nordens die Stirn zu bieten, darf Erfolg erwarten, der in einem umgekehrten Verhältnis zum Ausmaß und zur Art seiner hoffnungslos verfestigten Gewohnheiten steht. Wenn er ein brauchbarer Kandidat ist, wird er bald herausfinden, dass die materiellen Belange die weniger wichtigen sind. Der Tausch solcher Dinge, wie einem Feinschmeckermenü gegen grobe Kost, festen Lederschuhen gegen die weichen, formlosen Mokassins, Federbetten gegen eine Lagerstatt im Schnee, ist letzten Endes etwas Leichtes. Der kritische Augenblick wird erst kommen, wenn es gilt, die rechte Einstellung zu allen Dingen und insbesondere zu seinen Mitmenschen zu finden. Denn die Höflichkeiten des gewöhnlichen Lebens muss er nun durch Uneigennützigkeit, Nachsicht und Duldsamkeit ersetzen. So, und nur so, kann er jene Perle von unschätzbarem Wert erlangen – die echte Kameradschaft. Er muss nicht »Dankeschön« sagen, er muss es meinen, ohne den Mund aufzutun, und es beweisen, indem er sich revanchiert. Kurzum, er muss das Wort durch die Tat ersetzen und den Buchstaben durch die Gesinnung.

Als die Welt von den Erzählungen über arktisches Gold widerhallte und der Lockruf des Nordens die Sehnsüchte der Menschen ergriff, warf Carter Weatherbee seine sichere Stellung als Buchhalter hin, überschrieb die Hälfte seiner Ersparnisse seiner Frau und kaufte sich vom Rest eine Ausrüstung. Es gab nichts Schwärmerisches in seinem Wesen – die Knechtschaft der Geschäftswelt hatte das alles bereits ausgelöscht; er hatte lediglich diesen unaufhörlichen Trott satt und war entschlossen, einen großen Einsatz für die Aussicht auf entsprechende Gewinne zu riskieren. Wie zahlreiche andere Dummköpfe, die die bewährten Routen verschmähten, welche die Nordlandpioniere seit vielen Jahren benutzten, eilte er im Frühjahr direkt nach Edmonton und schloss sich dort zum Unglück für sein Seelenheil einer Gruppe von Männern an.

Es war nichts Ungewöhnliches an dieser Gruppe, bis auf ihre Pläne. Ihr Ziel war, wie das aller anderen Gruppen auch, das Klondike-Gebiet. Aber die Route, die sie festgelegt hatten, um das Ziel zu erreichen, raubte selbst den unerschrockensten Einheimischen, die von klein auf mit den Herausforderungen des Nordens aufgewachsen waren, den Atem. Selbst Jacques Baptiste – der Sohn einer Chippewa-Frau und eines vom rechten Glauben abgefallenen Voyageurs –, der seinen ersten, durch seliges Saugen an rohem Talg gestillten Schrei in einer Hirschlederbehausung nördlich des 65. Breitengrades getan hatte, war überrascht. So trat er zwar in ihren Dienst und erklärte sich bereit, mit ihnen in die Region des ewigen Eises zu ziehen, aber er schüttelte, wann immer sein Rat gefragt war, bedenklich sein Haupt.

Auch Percy Cuthferts Unstern musste damals im Aufstieg begriffen gewesen sein, denn er schloss sich ebenfalls dieser Kompanie von Abenteurern an, die nach dem Goldenen Vlies auszogen. Er war ein gewöhnlicher Mensch, dessen kulturelle Bildung so weit wie sein Bankkonto reichte, und das will was heißen. Er hatte keinen Grund, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen – keinen Grund auf der Welt, außer dem, dass er an einem abnormalen Hang zur Gefühlsduselei litt. Er missverstand das alles als den wahren Geist von Romantik und Abenteuer. Vielen anderen Menschen ist es ebenso ergangen und sie haben denselben verhängnisvollen Fehler begangen.

Bei den ersten Anzeichen des Frühlings sah man die Gruppe dem Eisabtrieb des Elk River folgen. Es war eine beeindruckende Flotte mit einer umfangreichen Ausrüstung, und sie wurden von einem zwielichtigen Tross von Halbblut-Voyageuren sowie deren Frauen und Kinder begleitet. Tagein, tagaus schufteten sie in den Booten und Kanus, bekämpften die Moskitos und andere solcher Plagegeister oder schwitzten und fluchten an den Stellen, wo sie die Boote über Land transportieren mussten. Beständige Plackerei wie diese entblößt einen Menschen bis auf die Wurzeln seiner Seele, und noch bevor der Lake Athabasca sich im Süden verlor, hatte jedes Mitglied der Gruppe seinen wahren Charakter ans Tageslicht gebracht.

Die größten Drückeberger und ewigen Nörgler waren Carter Weatherbee und Percy Cuthfert. Die ganze Gruppe zusammen klagte weniger über ihre eigenen Beschwerden und Schmerzen als jeder der beiden. Nicht ein einziges Mal meldeten sie sich für die unzähligen kleinen Aufgaben im Lager freiwillig. Ob es galt, einen Eimer Wasser zu holen, einen extra Armvoll Holz zu hacken, das Geschirr abzuwaschen und abzutrocknen oder einen plötzlich benötigten Gegenstand in der Ausrüstung zu suchen – stets entdeckten diese beiden nutzlosen Abkömmlinge der Zivilisation Wehwehchen oder Blasen, die ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Am Abend waren sie die ersten, die verschwanden, trotz einer Menge unerledigter Aufgaben; am Morgen standen sie als letzte auf, kurz bevor man zu frühstücken begann, wenn bereits alles zum Aufbruch hätte fertig sein sollen. Sie waren die ersten, die bei den Mahlzeiten zugriffen, und die letzten, die beim Kochen eine Hand rührten; die ersten, die sich auf einen seltenen Leckerbissen stürzten, die letzten, denen bewusst geworden wäre, dass sie zu ihrem eigenen Anteil noch den eines anderen verschlungen hatten. Wenn sie zum Rudern eingeteilt waren, schnitten sie bei jedem Ruderschlag flach in das Wasser und ließen das Ruderblatt durch die Fahrt des Bootes wieder nach oben treiben. Sie dachten, das bemerke keiner, aber ihre Gefährten verwünschten sie insgeheim und begannen sie zu hassen, während Jacques Baptiste sie offen verachtete und vom Morgen bis zum Abend verfluchte. Aber Jacques Baptiste war eben kein Gentleman.

Am Great Slave Lake kauften sie Hudson Bay-Hunde, und die Flotte wurde durch die zusätzliche Last von getrocknetem Fisch und Pemmikan bis zu den Dollborden ins Wasser gedrückt. Dann passten sich die Boote und Kanus der raschen Strömung des Mackenzie River an und glitten in die Great Barren Grounds hinein, die nordamerikanische Tundra. Jede Ader, die vielversprechend aussah, wurde untersucht, aber der gesuchte Goldstaub blieb eine immer weiter nach Norden tanzende Fata Morgana. Am Great Bear Lake begannen die Voyageure, übermannt von der allgemeinen Furcht vor den unbekannten Gegenden, sie im Stich zu lassen; bei Fort Good Hope sah man den letzten und tapfersten aus der Schleppkette ausscheren, als sie gegen die starke Strömung ankämpften, die sie zuvor so verführerisch rasch hinuntergeglitten waren. Allein Jacques Baptiste blieb noch bei ihnen. Hatte er doch geschworen, sogar bis ins ewige Eis mitzufahren.

Ab jetzt wurden die trügerischen Landkarten, die hauptsächlich auf der Basis des Hörensagens zusammengestellt waren, ständig um Rat befragt. Und sie fühlten, dass sie sich beeilen mussten, denn die Sonne hatte ihren nördlichen Wendepunkt schon hinter sich gelassen und geleitete bereits wieder den Winter südwärts. Entlang der Ufer der Bucht, wo der Mackenzie sich in das Polarmeer ergießt, erreichten sie die Mündung des Little Peel River. Nun begann der mühselige Kampf stromaufwärts, und den beiden Versagern erging es schlimmer denn je. Schleppseil und Stake, Paddel und Tragegurt, Stromschnellen und Portagen – diese Marterwerkzeuge waren dazu geeignet, dem einen einen tiefen Widerwillen gegen solche großen Wagnisse einzuflößen und schrieben für den anderen den mitreißenden Text über die wahre Romantik des Abenteuers. Eines Tages meuterten Weatherbee und Cuthfert heftig, und als sie von Jacques Baptiste unflätig beschimpft wurden, bäumten sie sich auf, wie Würmer es manchmal tun. Aber das Halbblut verprügelte beide und schickte sie blau geschlagen und blutend wieder an ihre Arbeit. Es war für beide das erste Mal überhaupt, dass sie geschlagen wurden.

Im Quellgebiet des Little Peel ließ die Gruppe ihre Wasserfahrzeuge zurück und verbrachte den Rest des Sommers damit, den Übergang über die Wasserscheide des Mackenzie zum West Rat River zu erlangen. Dieser kleine Fluss speist den Porcupine, der seinerseits in den Yukon mündet, wo diese mächtige Verkehrsader des Nordens den nördlichen Polarkreis berührt. Aber sie hatten den Wettlauf mit dem Winter bereits verloren, und eines Tages vertäuten sie ihre Flöße an den dicken Eisrändern des Flusses und schafften hastig ihre Habseligkeiten an Land. In dieser Nacht stauten und brachen die Eismassen auf dem Fluss mehrmals; am folgenden Morgen war er endgültig in seinen Winterschlaf gefallen.

»Wir können nicht weiter als vierhundert Meilen vom Yukon entfernt sein«, schloss Sloper, als er seine Daumennägel im Maßstab der Landkarte umgerechnet hatte. Die Beratung, in der die beiden Versager sich im Jammern überboten hatten, ging soeben zu Ende.

»Dort war mal ein Hudson Bay Posten. Jetzt nicht mehr benutzt.« Jacques Baptistes Vater hatte vor langer Zeit den Weg für die Pelzhandelskompanie gemacht und übrigens mit ein paar erfrorenen Zehen bezahlt.

»Verflucht noch mal«, schrie ein anderer der Gruppe, »keine Weißen dort?« »Kein Weißer nirgendwo«, bestätigte Sloper lapidar, »aber es sind von dort nur noch fünfhundert Meilen den Yukon hinauf nach Dawson City. Schätze, wohl runde tausend von hier aus.«

Weatherbee und Cuthfert jammerten im Chor.

»Wie lang werden wir dafür brauchen, Baptiste?«

Das Halbblut rechnete einen Moment. »Wenn arbeiten wie der Teufel, alle spielen mit, zehn-zwanzig-vierzig-fünfzig Tage. Wenn Babys mitkommen« – er deutete auf die beiden Versager – »niemand kann sagen. Kann sein, wenn Hölle zufriert, kann sein auch nicht.«

Die Männer legten die Schneeschuhe und Mokassins, an denen sie arbeiteten, zur Seite. Jemand rief den Namen eines Abwesenden, der aus einer alten Blockhütte am Rand des Lagerplatzes kam und sich zu ihnen setzte. Diese Blockhütte war eines der vielen Geheimnisse, die in den ungeheuren Weiten des Nordens verborgen lagen. Kein Mensch konnte sagen, wann und von wem sie gebaut worden war. Zwei Gräber im Freien unter hoch aufgeschichteten Steinen bargen vielleicht das Geheimnis dieser frühen Pioniere. Aber wessen Hand hatte die Steine aufgeschichtet?

Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Jacques Baptiste unterbrach seine Arbeit an einem Hundegeschirr und drückte den sich wehrenden Hund in den Schnee. Der Koch protestierte stumm gegen den Zeitpunkt, indem er eine Handvoll Speck in einen brutzelnden Topf mit Bohnen warf und ihnen erst dann seine Aufmerksamkeit zuwandte. Sloper richtete sich auf. Sein Körper stand in einem komischen Kontrast zur gesunden Verfassung der beiden Versager. Gelb und schwach, einem südamerikanischen Fieberloch entflohen, war er ohne Rast durch die Klimazonen gereist und war trotzdem immer noch fähig, bei allen Strapazen seinen Mann zu stehen. Er wog vielleicht noch neunzig Pfund einschließlich des schweren Jagdmessers, und seine grauen Haare erzählten, dass er den Frühling des Lebens schon lange hinter sich hatte. Die jungen unverbrauchten Muskeln sowohl von Weatherbee als auch Cuthfert waren zehnmal kräftiger als die seinen; und dennoch konnte er beide bei einem Tagesmarsch in Grund und Boden laufen. Und heute hatte er den ganzen Tag über seine kräftigeren Gefährten angespornt, einen Marsch von tausend Meilen unter den härtesten Bedingungen zu wagen, die sich ein Mensch vorstellen kann. Er war die Verkörperung der Rastlosigkeit seiner Rasse; und die alte teutonische Unbeugsamkeit, vermischt mit der raschen Auffassungsgabe und Tatkraft des Yankee, hielten seinen Körper unter der Herrschaft seines Willens. »Wer dafür ist, mit den Hunden weiterzuziehen, sobald das Eis fest ist, soll ›Ja‹ sagen.«

»Ja«, ertönten acht Stimmen – Stimmen, denen vorbestimmt war, endlose Flüche entlang eines mehrere hundert Meilen langen Leidensweges aneinanderzureihen.

»Gegenstimmen?«

»Hier!« Erstmals waren die beiden Versager in etwas anderem einig, als in der Verfolgung ihrer persönlichen Vorteile.

»Und was habt ihr nun vor zu tun?«, fügte Weatherbee kampfeslustig hinzu.

»Mehrheitsentscheidung! Mehrheitsentscheidung!«, brüllte der Rest der Gruppe.

»Ich weiß, dass die Expedition scheitern kann, wenn ihr nicht mitkommt«, antwortete Sloper freundlich, »aber ich schätze, wenn wir uns am Riemen reißen, können wir es auch ohne euch schaffen. Was meint ihr dazu, Jungs?«

Die Zustimmung kam wie aus der Pistole geschossen.

»Aber was bitte, was soll dann aus mir werden?«, wandte Cuthfert besorgt ein.

»Kommst du nicht mit uns?«

»N-nein.«

»Dann mach, was du willst. Wir werden dazu nichts mehr sagen.«

»Irgendwie wirst du’s dir schon einrichten mit deinem allerliebsten Partner«, meinte ein schwerfälliger Westler aus Dakota, der dabei auf Weatherbee deutete. »Er wird dir sicherlich sagen, was du zu machen hast, wenn gekocht oder Holz gesammelt werden muss.«

»Dann betrachten wir die Sache als geregelt«, schloss Sloper. »Wir werden morgen aufbrechen und wenn wir nur fünf Meilen weiter lagern – so können wir alles marschbereit machen und rechtzeitig entdecken, ob wir etwas vergessen haben.«

Die Schlitten setzten sich auf ihren stählernen Kufen ächzend in Bewegung, und die Hunde stemmten sich lang gestreckt in ihre Zuggeschirre, in die sie hineingeboren waren, um darin auch zu sterben. Jacques Baptiste verharrte neben Sloper, um einen letzten Blick auf die Blockhütte zu werfen. Aus dem Kamin des Yukon-Ofens stieg eine schmale Rauchfahne. Die beiden Drückeberger beobachteten sie vom Eingang aus.

Sloper legte seine Hand auf die Schulter des anderen.

»Jacques Baptiste, hast du schon einmal von den Kilkenny-Katzen gehört?«

Das Halbblut schüttelte den Kopf.

»Dann pass mal auf, mein Freund und guter Kumpel. Die Kilkenny-Katzen kämpften miteinander, bis weder Haut noch Fell noch ein Jaulen übrig war. Verstehst du? – Bis nichts mehr übrig war. So weit, so gut. Nun, diese beiden Männer mögen die Arbeit nicht. Sie werden nicht arbeiten. Wir wissen das. Sie werden den ganzen Winter in ihrem Blockhaus alleine sein – einen verdammt langen, dunklen Winter. Kilkenny-Katzen! – Kapierst du?«

Der Franzose in Baptiste zuckte mit den Schultern, aber der Indianer in ihm schwieg. Gleichwohl war es ein beredtes Schulterzucken, das voll von Vorahnung war.

Die Dinge entwickelten sich zunächst gut in der kleinen Blockhütte. Der raue Spott ihrer Gefährten hatte Weatherbee und Cuthfert die gegenseitige Abhängigkeit bewusst gemacht, der sie nun ausgesetzt waren; außerdem gab es alles in allem nicht viel Arbeit für zwei gesunde Männer. Und das Verschwinden des grausamen Antreibers – oder mit anderen Worten: des reizbaren Halbbluts – hatte ein erleichtertes Aufatmen mit sich gebracht. Anfangs wetteiferten sie, den anderen zu übertreffen, und sie erledigten unbedeutende Aufgaben mit einer Hingabe, die ihre Gefährten, die nun Kopf und Kragen auf dem langen Marsch riskierten, hätte verwundert die Augen aufreißen lassen.

Alle Sorgen waren vertrieben. Der Wald, der sie von drei Seiten umschloss, war ein unerschöpflicher Holzvorrat. Ein paar Schritte von ihrer Tür entfernt schlief der Porcupine River, und ein Loch in seinem Winterkleid bildete eine sprudelnde Wasserquelle, kristallklar und eiskalt. Aber bald fanden sie auch daran etwas auszusetzen. Das Loch fror beständig zu und bescherte ihnen häufig eine mühevolle Stunde mit Eishacken. Die unbekannten Erbauer der Hütte hatten die seitlichen Balken so verlängert, dass dadurch hinten ein Vorratslager entstand. In diesem war der Reservevorrat der Gruppe untergebracht. Essen war in großen Mengen vorhanden, dreimal mehr als die beiden zum Leben gebraucht hätten. Aber das meiste davon war kein Gaumenschmaus, sondern diente zum Aufbau von Kraft und Stärke. Sicher, es gab Zucker im Überfluss für zwei normale Menschen; aber diese beiden waren fast wie Kinder. Sie entdeckten bald die Vorzüge von heißem Wasser, das sie mit Zucker eindickten, und sie tränkten ihre Pfannkuchen verschwenderisch mit diesem süßen, weißen Sirup, in den sie auch ihre Brotrinden eintunkten. Kaffee und Tee und besonders die getrockneten Früchte hinterließen weitere verhängnisvolle Lücken im Zuckervorrat. Die erste Auseinandersetzung, die sie hatten, war deshalb auch wegen des Zuckers. Und es ist eine sehr ernste Sache, wenn zwei Menschen, die völlig aufeinander angewiesen sind, zu streiten beginnen.

Weatherbee liebte es, leidenschaftlich über Politik zu diskutieren, während Cuthfert, der dazu geneigt hatte, seine Aktiencoupons zu schneiden und die Politik machen zu lassen, was sie wollte, das Thema entweder ignorierte oder aber erstaunliche Ansichten darüber äußerte. Der Buchhalter Weatherbee war jedoch zu beschränkt, um diese kühn hingeworfenen Gedanken würdigen zu können, und es verdross Cuthfert bald, seine Gedankenmunition so zu vergeuden. Er war es gewöhnt, seine Mitmenschen durch brilliante Formulierungen zu blenden, und der jetzige Verlust seines Publikums machte ihm zu schaffen. Er fühlte sich persönlich gekränkt, und unbewusst machte er seinen begriffsstutzigen Kumpanen dafür verantwortlich.

Außer dem Überlebenswillen hatten sie nichts gemeinsam – sie kamen sich an keinem einzigen Punkt näher. Weatherbee war ein Buchhalter, der sein Leben lang nichts anderes als das Büro gekannt hatte; Cuthfert hatte Kunst studiert, mehr schlecht als recht selbst gemalt und einiges geschrieben. Der eine war ein Mann aus dem Volke, der sich für einen Gentleman hielt, und der andere war ein Gentleman, der sich dessen auch bewusst war. Daran mag man ersehen, dass jemand ein Gentleman sein kann, ohne auch nur das leiseste Gefühl für Kameradschaft zu besitzen. Der Buchhalter war so sinnenfreudig wie der andere schöngeistig, und seine Liebesabenteuer, die er langatmig erzählte und die hauptsächlich seiner Fantasie entsprangen, belästigten den überempfindlichen Akademiker ebenso wie die vielen übel riechenden Fürze. Er hielt den Buchhalter für einen unflätigen, unkultivierten Barbaren, der in den Schweinestall gehörte, und sagte ihm das auch; und er bekam als Retourkutsche zu hören, dass er ein milchgesichtiger Bubi und ein Flegel sei. Weatherbee wäre nicht in der Lage gewesen, »Flegel« näher zu definieren; aber es erfüllte seinen Zweck, was letztlich die Hauptsache im Leben zu sein schien.

Weatherbee sang stundenlang solche sentimentalen Lieder wie »The Boston Burglar« und »The Handsome Cabin Boy«, wobei er bei jeder dritten Note danebenlag, während Cuthfert vor Wut heulte, bis er es nicht mehr länger aushielt und hinaus in die Kälte floh. Aber es gab kein Entkommen. Der heftige Frost ließ sich nicht lange aushalten, und die kleine Hütte zwängte sie wieder auf einem Raum von vier auf fünf Schritt zusammen, einschließlich Betten, Ofen, Tisch und sonstigem Krempel. Die bloße Anwesenheit des einen wurde zum persönlichen Ärger des jeweils anderen, und sie verfielen in feindseliges Schweigen, das im Laufe der Zeit an Länge und Strenge zunahm. Gelegentlich ließen sie sich zu einem Blick aus den Augenwinkeln oder einer abschätzigen Mundbewegung hinreißen, obwohl sie miteinander wetteiferten, sich in diesen wortlosen Perioden vollkommen zu ignorieren. Und keiner vermochte zu begreifen, wie Gott jemals so etwas wie den anderen hatte erschaffen können.

Da sie so wenig zu tun hatten, wurde die Zeit für sie zur unerträglichen Bürde. Dies ließ sie noch träger werden. Sie sanken in eine körperliche Lethargie, aus der es kein Entrinnen gab und die sie gegen die Verrichtung der kleinsten Alltagsarbeit rebellieren ließ. Eines Morgens, als Weatherbee an der Reihe war, das gemeinsame Frühstück zu bereiten, wickelte er sich aus seinen Decken und zündete zuerst die Talglampe und dann das Feuer an, während sein Mitbewohner noch schnarchte. Das Wasser in den Kesseln war gefroren, und es gab kein Wasser in der Hütte, um sich zu waschen. Aber das war ihm gleichgültig. Während er darauf wartete, dass das Wasser in dem Kessel auftaute, schnitt er den Speck in Streifen und wandte sich dann der verhassten Pflicht zu, Brot zu backen. Cuthfert hatte ihn dabei durch seine halbgeöffneten Lider beobachtet. Es kam unvermeidlich zu einer Auseinandersetzung, während der sie sich inbrünstig verfluchten und dann beschlossen, dass künftig jeder für sich allein kochen solle. Eine Woche später verzichtete auch Cuthfert auf das morgendliche Waschen, ohne deshalb mit geringerem Appetit das Essen zu verzehren, das er sich gekocht hatte. Weatherbee registrierte es mit Grinsen. Ab nun verschwand die lästige Gewohnheit, sich zu waschen, ganz aus ihrem Leben.

Als der Zuckervorrat und andere kleine Luxusartikel schwanden, fürchteten beide, dass sie davon nicht den gerechten Anteil abbekommen könnten, und um zu verhindern, dass sie betrogen werden könnten, begannen sie, sich damit vollzustopfen. Die Leckereien litten unter diesem Wettstreit ebenso wie die Männer. Durch den Mangel an frischem Gemüse und Bewegung wurden sie blutarm, und ein ekelhafter purpurroter Ausschlag bedeckte ihre Körper. Doch sie weigerten sich, diese Warnung zu beachten. So begannen bald ihre Muskeln und Gelenke anzuschwellen, das Fleisch wurde schwärzlich, während Mund, Zahnfleisch und Lippen gelblich wurden. Anstatt dass sie aber nun durch ihr Elend zusammengerückt wären, beobachteten sie schadenfreudig die zunehmenden Krankheitszeichen beim anderen, als der Skorbut seinen Lauf nahm.

Sie verloren jeden Bezug zu ihrer persönlichen Erscheinung und, wenn wir schon dabei sind, auch zu den Regeln des Anstandes. Die Hütte wurde ein einziger Schweinestall, die Betten wurden nicht mehr gemacht oder frische Kiefernzweige unter sie gelegt. Trotzdem konnten sie nie so lange unter ihren Decken liegen bleiben, wie sie es gerne getan hätten, denn der Frost war unerbittlich und der Ofen verbrauchte viel Brennmaterial. Ihr Kopfhaar und ihre Bärte wurden lang und struppig, während ihre Kleider selbst einen Lumpensammler abgestoßen hätten. Aber sie kümmerten sich nicht darum. Sie waren krank, und es war niemand da, der sie sah; außerdem schmerzte sie jede Bewegung.

Zu all dem kam eine neue Bedrängnis hinzu: die Furcht des Nordens. Diese Furcht ist das gemeinsame Kind der Großen Kälte und der Großen Stille und wird in der Dunkelheit des Dezembers geboren, wenn die Sonne vollends hinter dem südlichen Horizont untertaucht. Sie berührte die beiden Männer entsprechend ihrem jeweiligen Naturell. Weatherbee verfiel gänzlich Wahnvorstellungen und versuchte alles, um die Geister wiederzuerwecken, die in den rätselhaften Gräbern vor der Hütte ruhten. Die Sache ließ ihn nicht mehr los, und in seinen Träumen kamen sie von draußen aus der Kälte zu ihm und kuschelten sich in seine Decken und erzählten ihm von ihren Mühsalen und Missgeschicken vor ihrem Tod. Er schreckte vor der eisigen Berührung zurück, wenn sie näherkamen und ihre gefrorenen Gliedmaßen um ihn schlangen; und wenn sie ihm Dinge, die noch geschehen würden, ins Ohr flüsterten, gellte die Hütte von seinen Angstschreien wider. Cuthfert verstand nichts, denn sie redeten nicht mehr miteinander, und deshalb griff er stets nach seinem Revolver, wenn er dadurch aufgeweckt wurde. Dann saß er aufrecht in seinem Bett, nervös zitternd und die Waffe auf den nichtsahnenden Träumer gerichtet. Cuthfert glaubte, dass der Mann verrückt werde, und begann deshalb um sein Leben zu fürchten.

Seine eigene Krankheit äußerte sich in einer weniger sichtbaren Weise. Der geheimnisvolle Baumeister, der die Hütte Balken für Balken aufgebaut hatte, hatte eine Windfahne am Firstbalken angebracht. Cuthfert bemerkte, dass sie stets nach Süden zeigte, und dieses unerschütterliche Beharren irritierte ihn so sehr, dass er sie eines Tages nach Osten drehte. Er beobachtete sie ungeduldig, aber es kam kein Lüftchen, das sie bewegt hätte. Daraufhin drehte er die Fahne nach Norden und beschloss, sie nicht mehr anzurühren, bevor tatsächlich Wind kommen würde. Aber die Luft in ihrer unwirklichen Unbewegtheit ängstigte ihn, und er stand oft mitten in der Nacht auf, um nachzuschauen, ob die Fahne sich bewegt habe, wobei ihn eine Drehung von zehn Grad schon zufriedengestellt hätte. Aber nein, sie stand über ihm so unverändert wie das Schicksal. Seine Fantasie begann verrückt zu spielen, bis die Fahne für ihn zum Fetisch wurde. Manchmal folgte er der Richtung, in die sie über der trostlosen Weite zeigte, und ließ es zu, dass sich seine Seele mit Furcht füllte. Er verbohrte sich in das Unsichtbare und Unbekannte, bis die Gedanken an die Ewigkeit ihn zu erdrücken begannen. Alles hier im Hohen Norden hatte diese erdrückende Wirkung – die Abwesenheit von Leben und Bewegung, die Dunkelheit, die auf dem leblosen Land lastende Friedhofsruhe, die geisterhafte Stille, die bereits das Echo des Herzschlags als Entweihung erscheinen ließ, und der dunkle Wald, der etwas Furchtbares, Unaussprechliches zu bewachen schien, das weder mit Worten noch mit Gedanken fassbar war.

Die Welt mit ihren geschäftigen Menschen und großen Unternehmungen, die er erst vor Kurzem verlassen hatte, erschien sehr weit entfernt. Gelegentlich drängten Erinnerungen durch – Erinnerungen an Märkte, Galerien und belebte Verkehrsstraßen, an gute Männer und liebenswürdige Frauen, die er gekannt hatte –, aber es waren blasse Erinnerungen an ein Leben, das er viele Jahrhunderte früher auf einem anderen Planeten gelebt hatte. Seine Wahnvorstellung war die Wirklichkeit. Wenn er unter der Windfahne stand, den Blick zum Polarhimmel gerichtet, konnte er sich nicht vorstellen, dass es das Südland tatsächlich gab, dass es in diesem Augenblick voll mit prallem Leben und lautem Treiben existierte. Es gab kein Südland, keine Menschen, die von Frauen geboren wurden, kein Geben und Nehmen in der Ehe. Hinter dem düsteren Horizont erstreckten sich gewaltige Einöden und hinter diesen noch gewaltigere Einöden. Keine Länder mit Sonnenschein und dem betäubenden Duft von Blumen. Solche Dinge existierten lediglich in den alten Vorstellungen vom Paradies. Die Sonnenländer des Westens und die Gewürzländer des Ostens, das liebliche Arkadien und die Insel der Seligen – ha! ha! ha! Sein Gelächter zeriss die Stille, und das ungewohnte Geräusch erschreckte ihn. Es gab keine Sonne. Das hier war das Universum, tot und kalt und dunkel, und er war der einzige Bewohner. Und Weatherbee? Weatherbee zählte in solchen Augenblicken nicht. Er war ein monströses Phantom, mit dem er für eine unermesslich lange Zeit zusammengekettet worden war, als Strafe für irgendwelche vergessenen Verbrechen.

Er lebte mit dem Tod unter den Toten, entmannt durch das Gefühl seiner eigenen Unbedeutendheit, erdrückt von der Übermacht der verrinnenden Zeit. Die Größe aller Dinge entsetzte ihn. Alles hatte an dieser Größe teil, nur er nicht – der vollständige Stillstand von Wind und Bewegung, die Unermesslichkeit der schneebedeckten Wildnis, die Höhe des Himmels und die Tiefe der Stille. Diese Windfahne – wenn sie sich nur bewegen würde. Wenn es einen Donnerschlag gäbe oder der Wald in Flammen aufginge. Wenn der Himmel aufrisse oder der Jüngste Tag anbräche – irgendetwas, irgendetwas! Aber nein, nichts regte sich; das Schweigen umzingelte ihn, und die Furcht des Nordens legte ihre eisigen Finger um sein Herz.

Einmal stieß er, wie damals Robinson Crusoe, am Flussufer auf eine Spur – die kaum wahrnehmbare Fährte eines Schneeschuhhasen auf der zerbrechlichen Schneekruste. Das war eine Offenbarung für ihn. Es gab also doch Leben im Nordland. Er wollte ihm folgen, es betrachten und sich an ihm erfreuen. Er vergaß seine schmerzenden Glieder und hastete voll überschäumender Erwartung durch den tiefen Schnee. Der Wald verschluckte ihn, und das kurze Zwielicht des Mittags verschwand, dennoch setzte er seine Suche fort, bis sein ausgezehrter Körper streikte und ihn hilflos in den Schnee sinken ließ. Da verfluchte er stöhnend seine Torheit und erkannte die Spur als Ausgeburt seiner Fantasie. Spät in der Nacht schleppte er sich auf allen Vieren zur Hütte, mit erfrorenen Wangen und einer merkwürdigen Taubheit in seinen Füßen. Weatherbee grinste boshaft und machte keine Anstalten, ihm zu helfen. Cuthfert stach Nadeln in seine Zehen und taute sie am Ofen auf. Eine Woche später begannen sie abzusterben.

Aber Weatherbee hatte seine ganz eigenen Probleme. Die toten Männer kamen nun häufiger aus ihren Gräbern und ließen ihn kaum noch in Ruhe, ob er nun wachte oder schlief. Er begann ihr Kommen zu erwarten und zu fürchten und ging nie ohne Schaudern an den Steinhügeln der beiden Gräber vorbei. Eines Nachts kamen sie im Schlaf zu ihm und zwangen ihn zu einer bestimmten Arbeit. Geängstigt bis hin zu einem unbeschreiblichen Entsetzen, erwachte er zwischen den Steinhügeln und flüchtete panisch in die Hütte zurück. Aber er musste dort bereits eine Weile gelegen haben, denn nun waren seine Wangen und Füße ebenfalls erfroren.

Manchmal geriet er wegen der beständigen Anwesenheit der toten Männer außer sich und tanzte in der Hütte herum, wobei er mit einer Axt Löcher in die Luft hieb und alles zerschlug, was im Weg war. Während dieser gespenstischen Gefechte verkroch sich Cuthfert in seine Decken mit geladenem Revolver und beobachtete den Verrückten, jederzeit bereit, ihn zu erschießen, wenn er ihm zu nahe kommen sollte. Aber einmal, als Weatherbee nach einem dieser Anfälle wieder zu sich kam, bemerkte er die auf ihn gerichtete Waffe. Sein Argwohn erwachte daraufhin, und ab diesem Zeitpunkt lebte auch er in der Furcht um sein Leben. Sie beobachteten sich danach gegenseitig sehr genau und fuhren erschreckt herum, sobald der eine hinter dem Rücken des anderen vorbeiging. Dieses Misstrauen wurde zu einer Besessenheit, die sie sogar im Schlaf beherrschte. Aus der gegenseitigen Furcht heraus ließen sie stillschweigend das Talglicht die ganze Nacht brennen und sorgten für einen reichlichen Vorrat an Talg, bevor sie sich schlafen legten. Bereits die kleinste Bewegung des einen ließ den anderen aufschrecken, und oft begegneten sich ihre Blicke dann gegenseitig, während sie zitternd und mit dem Finger am Abzug ihres Revolvers unter ihren Decken lagen.

Durch die Furcht des Nordens, die seelischen Belastungen und die zerstörerischen Auswirkungen der Krankheit verloren sie jegliche Ähnlichkeit mit Menschen und nahmen das Aussehen von wilden, gehetzten und verzweifelten Bestien an. Ihre Wangen und Nasen waren als Folge der Erfrierungen schwarz geworden. Ihre erfrorenen Zehen hatten begonnen, ab dem ersten oder zweiten Glied abzufallen. Jede Bewegung verursachte Schmerzen, aber der Heizofen war unersättlich und forderte ihren elenden Körpern große Torturen ab. Tagein, tagaus verlangte er sein Futter – ein wirkliches Pfund Fleisch – und so schleppten sie sich auf Knien in den Wald, um Holz zu hacken. Einmal, als sie so auf der Suche nach trockenen Ästen herumkrochen, gelangten sie, ohne voneinander zu wissen, von entgegengesetzten Seiten in ein Dickicht. Plötzlich, ohne Vorwarnung, starrten sich zwei Totenköpfe gegenseitig an. Ihre Leiden hatten sie so entstellt, dass sie sich gegenseitig nicht erkannten. Sie sprangen auf ihre Füße, brüllten auf vor Entsetzen und stürzten auf ihren verstümmelten Fußstümpfen davon, und als sie an der Hüttentür niederstürzten, krallten und kratzten sie wie Besessene, ehe sie ihren Irrtum erkannten.

Gelegentlich wurde ihr Zustand wieder normal, und während einer solchen gesunden Periode hatten sie den Hauptzankapfel, den Zucker, in zwei gleich große Portionen untereinander aufgeteilt. Mit besorgten Blicken hüteten sie ihren jeweiligen Beutel, den sie im Vorratslager verstaut hatten, denn es waren nur noch ein paar Tassen voll übrig, und sie hatten völlig das Vertrauen in den anderen verloren. Eines Tages beging Cuthfert dann einen Fehler. Kaum dazu fähig, sich zu bewegen, krank vor Schmerzen, mit schwindligem Kopf und blinden Augen, kroch er zum Vorratslager, nahm den Zuckerbeutel und verwechselte dabei Weatherbees Beutel mit seinem eigenen.

Der Januar war gerade ein paar Tage alt, als Folgendes geschah: Die Sonne hatte vor Kurzem ihren südlichen Tiefpunkt durchlaufen und warf nun um die Mittagszeit prächtige Streifen gelben Lichts über den Nordlandhimmel. Am Tag nach seinem Versehen mit dem Zuckersack fühlte sich Cuthfert an Leib und Seele besser. Als die Mittagszeit nahte und der Tag aufhellte, schleppte er sich hinaus, um das flüchtige Aufglühen zu genießen, das für ihn ein Vorgeschmack auf den wiederkehrenden Sonnenschein war. Weatherbee fühlte sich ebenfalls etwas besser und kroch neben ihn. Sie setzten sich unter die regungslose Windfahne in den Schnee und warteten.

Totenstille umgab sie. Wenn die Natur in anderen Breiten solche Stimmungen hervorbringt, ist die milde Luft von Erwartungen erfüllt, dem Lauschen auf einen kleinen Laut, der die unterbrochene Melodie des Lebens wieder aufnimmt. Nicht so im Norden. Die beiden Männer hatten scheinbar seit Ewigkeiten in dieser geisterhaften Stille gelebt. Sie konnten sich nicht mehr an die Klänge des Lebens aus der Vergangenheit erinnern und konnten sich auch keine zukünftige Melodie vorstellen. Diese unirdische Stille war schon immer da – die regungslose Stille der Ewigkeit.

Ihre Augen waren auf den Norden gerichtet. In ihrem Rücken, hinter den sich im Süden auftürmenden Bergen, stieg die Sonne für sie unsichtbar in den Zenit eines anderen Himmels als des ihrigen. Als einsame Betrachter dieser riesigen Leinwand beobachteten sie, wie die scheinbare Morgendämmerung langsam zunahm. Ein blasses Licht begann aufzuglimmen und zu leuchten. Es nahm an Intensität zu und wandelte sich von rötlichem Gelb über Purpurrot zu Safrangelb. Es wurde so leuchtend, dass Cuthfert dachte, die Sonne müsse direkt dahinter sein – ein Wunder, die Sonne ging im Norden auf! Plötzlich jedoch war die Leinwand leer gefegt, ohne Vorwarnung und Übergang. Es war keine Farbe mehr am Himmel. Das Licht des Tages war erloschen. Seufzend atmeten sie aus. Aber da! Die Luft glitzerte von kristallenen Frostpartikeln, und dort, Richtung Norden, zeichnete sich die Windfahne in undeutlichen Umrissen ab. Ein Schatten! Ein Schatten! Es war genau Mittag. Eilig wandten sie ihre Köpfe gen Süden. Ein goldener Streifen blinzelte über die schneebedeckte Schulter des Berges, lächelte ihnen einen Augenblick zu und verschwand wieder aus ihrem Blickfeld.

Als sie sich gegenseitig anschauten, hatten die Männer Tränen in den Augen. Eine eigentümliche Rührung überkam sie. Sie fühlten sich unwiderstehlich zueinander hingezogen. Die Sonne kam zurück. Sie würde morgen wieder zu ihnen kommen, und übermorgen und die darauffolgenden Tage. Und sie würde jedes Mal länger bleiben, und eine Zeit würde kommen, in der sie Tag und Nacht am Himmel bleiben und überhaupt nicht mehr hinter dem Horizont verschwinden würde. Dann würde es keine Nacht mehr geben. Das frostige Wintergefängnis würde zerbrechen; der Wind würde wieder wehen und die Wälder rauschen, das Land in göttlichem Sonnenschein baden und das Leben erwachen. Hand in Hand würden sie diesen Albtraum hinter sich lassen und in das Südland zurückkehren. Sie torkelten halbblind vorwärts, und ihre Hände fanden sich – ihre armen, verkrüppelten Hände, die geschwollen und entstellt in den Handschuhen steckten.

Aber die Hoffnung sollte unerfüllt bleiben. Das Nordland ist das Nordland, und die menschlichen Gefühle folgen hier ganz eigenen Gesetzen, die diejenigen Menschen, die niemals in ferne Länder gereist sind, nicht verstehen können.

Eine Stunde später schob Cuthfert ein Blech mit Brot in den Ofen und hing Gedanken nach, was die Chirurgen wohl für seine Füße tun könnten, wenn er heimkommen würde. Die Heimat schien nun nicht mehr so fern zu sein. Weatherbee stöberte im Vorratslager herum. Plötzlich stieß er einen Schwall von Verwünschungen aus, der ebenso abrupt abbrach. Cuthfert hatte aus seinem Zuckersack geklaut. Immer noch hätte alles ganz anders ausgehen können, wenn nicht in diesem Moment die beiden toten Männer aus ihren Gräbern gestiegen wären und die hitzigen Worte in seiner Kehle zum Verstummen gebracht hätten. Sie führten ihn ganz sacht aus dem Vorratslager, das er zu verschließen vergaß. Die Stunde der Wahrheit war gekommen; nun würde geschehen, was sie ihm in seinen Träumen eingeflüstert hatten. Sie geleiteten ihn sanft, ganz sanft, zum Holzplatz, wo sie ihm die Axt in seine Hand legten. Dann halfen sie ihm, die Hüttentür aufzustoßen, und er war überzeugt, dass sie diese hinter ihm schlossen – jedenfalls hörte er sie zuschlagen und den Riegel einrasten. Und er wusste, dass sie da draußen warteten; darauf warteten, dass er seine Pflicht tat.

»Carter! Was hast du, Carter?«

Percy Cuthfert war aufgeschreckt durch den Ausdruck auf dem Gesicht des Buchhalters, und er brachte hastig den Tisch zwischen ihn und sich.

Carter Weatherbee folgte ihm ohne Eile und ohne Verbissenheit. Sein Gesicht verriet weder Erbarmen noch Erregung, jedoch besaß er den geduldigen, stupiden Ausdruck eines Menschen, der eine bestimmte Arbeit zu tun hat und sie systematisch in Angriff nimmt.

»Ich habe gefragt, was los ist!«

Der Buchhalter machte einen Sprung zur Seite, um ihm den Fluchtweg zur Tür abzuschneiden, ohne dabei einen Ton zu sagen.

»Hör zu, Carter, hör zu; lass uns reden. Sei ein guter Junge.«

Der Akademiker überlegte fieberhaft und beschloss dann einen raschen Sprung zum Bett, wo seine Smith & Wesson lag. Die Augen auf den Verrückten gerichtet, rollte er sich rückwärts auf die Schlafstelle und griff gleichzeitig nach der Pistole.

»Carter!«

Das Pulver explodierte Weatherbee mitten ins Gesicht, aber er schwang seine Waffe und hechtete vorwärts. Die Axt drang tief in das Rückgrat und Percy Cuthfert spürte, wie jegliches Gefühl aus seinen unteren Gliedmaßen wich. Dann stürzte der Buchhalter schwer auf ihn und packte ihn mit kraftlosen Fingern an der Kehle. Durch den schrecklichen Axthieb hatte Cuthfert die Pistole fallen lassen, und er fingerte suchend nach ihr in den Decken, während seine Lungen nach Luft schnappten. Dann fiel ihm etwas ein. Er schob eine Hand den Gürtel des Buchhalters entlang zu dessen Fahrtenmesser, und die beiden kamen sich bei dieser letzten Umarmung noch einmal sehr nah.

Percy Cuthfert fühlte seine Kräfte schwinden. Der untere Teil seines Körpers war gelähmt. Die leblose Masse von Weatherbee erdrückte ihn – zerquetschte ihn und hielt ihn fest wie einen Bären in einer Falle. In der Hütte verbreitete sich ein vertrauter Geruch, und er wusste, dass das Brot anbrannte. Aber was machte das jetzt noch aus? Er würde es nicht mehr brauchen. Und im Vorratslager waren noch volle sechs Tassen Zucker. Hätte er alles vorausgesehen, wäre er damit in den letzten Tagen nicht so sparsam umgegangen. Würde sich die Windfahne jemals drehen? Vielleicht drehte sie sich eben in diesem Augenblick. Warum nicht? Hatte er heute nicht auch die Sonne gesehen? Er würde gehen und nachschauen. Nein, es war ihm unmöglich, sich zu bewegen. Er hatte nicht gedacht, dass der Buchhalter so schwer wäre.

Wie schnell die Hütte auskühlte. Das Feuer musste erloschen sein. Die Kälte drang herein. Es musste schon unter null Grad sein, und das Eis kroch bereits an der Innenseite der Türe hoch. Er konnte es nicht sehen, aber seine Erfahrungen aus der letzten Zeit ließen ihn von der Hüttentemperatur auf das Fortschreiten der Vereisung schließen. Die untere Türangel musste bereits ganz weiß sein. Würde diese Geschichte jemals die Welt draußen erreichen? Wie würden seine Freunde sie aufnehmen? Sie würden sie wahrscheinlich beim Kaffeetrinken lesen und in den Klubs darüber diskutieren. Er konnte es ganz deutlich vor sich sehen.

»Armer alter Cuthfert«, würden sie murmeln, »war eigentlich gar kein schlechter Kerl.« Er lächelte bei ihren Lobreden und ging weiter, um ein türkisches Bad aufzusuchen. Es waren immer noch dieselben Leute wie früher in den Straßen. Seltsam, dass sie keine Notiz von seinen Elchledermokassins und seinen zerrissenen Wollsocken nahmen! Er würde eine Droschke nehmen. Und eine Rasur nach dem Bad würde nicht schaden. Nein, er würde zuerst speisen. Steak, Kartoffeln und Gemüse – wie frisch das alles war! Und was war das? Honig im Überfluss, tropfender flüssiger Bernstein! Aber warum brachten sie ihm so viel davon? Ha! Ha! Er konnte das niemals aufessen. Schuhputzen? Warum nicht. Er stellte seinen Fuß auf den Schuhputzkasten. Der Schuhputzer schaute ihn verwirrt an, und er erinnerte sich, dass er Elchledermokassins trug, und ging rasch weiter. Horch! Wahrscheinlich hatte sich die Windfahne gedreht. Nein, es war nur ein Geräusch in seinem Ohr. Nur ein Summen – mehr nicht. Das Eis musste nun bereits über das Türschloss hinaufgekrochen sein. Vielleicht war sogar schon die obere Türangel bedeckt. Zwischen dem mit Moos ausgestopften Dachgebälk begannen sich weiße Frostflecken zu bilden. Wie langsam sie wuchsen! Nein, doch nicht so langsam. Da tauchte ein neuer Fleck auf, und dort ein weiterer. Zwei, drei, vier; sie entstanden zu rasch, als dass er sie hätte zählen können. Dort wuchsen zwei zusammen. Und da gesellte sich ein dritter hinzu. Schließlich waren keine Flecken mehr da. Sie waren zusammengewachsen und bildeten eine weiße Fläche. Nun, er würde Gesellschaft haben. Wenn der Erzengel Gabriel je das Schweigen des Nordens durchbrechen würde, würden sie Hand in Hand vor den großen weißen Thron treten. Und Gott würde sie richten, Gott würde sie richten!

Percy Cuthfert schloss seine Augen und dämmerte in den Schlaf hinüber.

Die Liebe zum Leben

Sie schleppten sich unter Schmerzen die Uferböschung hinab, und einmal kam der Vorausgehende der beiden Männer im herumliegenden Geröll ins Straucheln. Sie waren müde und erschöpft, und ihre Gesichter trugen die ausgezehrten Züge lang ertragener Strapazen. Sie waren schwer bepackt mit Deckenbündeln, die auf ihre Schultern geschnallt waren. Über die Stirn laufende Kopfgurte halfen ihnen, diese Bündel zu schleppen. Jeder der beiden trug ein Gewehr. Sie gingen in einer gebeugten Haltung, die Schultern weit nach vorne geschoben, den Kopf noch weiter vorne und die Augen auf den Boden gerichtet.

»Ich wünschte, wir hätten wenigstens zwei von den Patronen, die in unserem Vorratsversteck herumliegen«, sagte der zweite Mann.

Seine Stimme klang matt und ausdruckslos. Er sprach ohne jeden Nachdruck, und der Vorausgehende, der in den milchig über die Felsen schäumenden Fluss humpelte, würdigte ihn keiner Antwort.

Der andere folgte ihm auf den Fersen. Sie legten ihr Schuhwerk nicht ab, obwohl das Wasser eiskalt war – so kalt, dass ihre Knöchel schmerzten und ihre Füße taub wurden. An manchen Stellen schäumte das Wasser gegen ihre Knie, und die beiden Männer rangen um einen sicheren Stand.

Der Nachfolgende glitt auf einem glattgeschliffenen Stein aus, fiel beinahe, fing sich aber mit einer heftigen Anstrengung wieder, wobei er gleichzeitig einen durchdringenden Schmerzensschrei ausstieß. Er wirkte schwach und benommen und streckte seine Hand aus, während er taumelte, als suche er in der Luft einen Halt. Als er sich wieder gefangen hatte, ging er vorwärts, taumelte jedoch abermals und fiel beinahe. Daraufhin blieb er stehen und blickte zu dem anderen Mann, der nicht einmal seinen Kopf herumgedreht hatte.

Der Mann stand eine ganze Minute, als berate er mit sich selbst. Dann rief er: »Hör mal, Bill, ich habe meinen Knöchel verstaucht.«

Bill watete weiter durch das milchigtrübe Wasser. Er sah sich nicht um. Der Mann beobachtete, wie Bill wegging, und obwohl sein Gesicht so ausdruckslos wie zuvor blieb, blickten seine Augen wie die eines weidwunden Hirsches.

Der andere Mann hinkte die gegenüberliegende Uferböschung hinauf und ging geradewegs weiter, ohne zurückzublicken. Der Mann im Fluss ließ ihn nicht aus den Augen. Seine Lippen bebten ein wenig, wodurch auch die struppigen braunen Bartstoppeln, die über sie hingen, sichtbar zitterten. Sogar seine Zunge züngelte heraus, um die Lippen zu befeuchten.

»Bill!«, schrie er.

Es war der flehende Schrei eines starken Mannes in Not, aber Bills Kopf wandte sich nicht um. Der Mann blickte ihm nach, wie er fortging und grotesk hinkend und mit taumelndem Gang den sanften Hang zur Anhöhe eines flachen Hügels hinauftorkelte. Er sah ihn gehen, bis er den Kamm überquerte und verschwand. Dann wandte er seinen Blick und musterte langsam den Umkreis von Welt, der ihm nun geblieben war, nachdem Bill ihn verlassen hatte.

Knapp über dem Horizont glomm kraftlos die Sonne, halb verdeckt von gestaltlosen Nebel- und Dunstschleiern, was einen Eindruck von Masse und Dichte ohne Form und Greifbarkeit hervorbrachte. Der Mann zog seine Uhr heraus, während er sein Gewicht auf einem Bein ruhen ließ. Es war vier Uhr, und da es etwa Ende Juli, Anfang August war – das genaue Datum auf ein oder zwei Wochen hin oder her kannte er nicht –, wusste er aufgrund der Jahreszeit, dass die Sonne ungefähr den Nordwesten markierte. Er schaute nach Süden und wusste, dass irgendwo hinter diesen trostlosen Hügeln der Great Bear Lake liegen musste, und er wusste ebenfalls, dass in dieser Richtung der Nordpolarkreis seine menschenfeindliche Linie durch die kanadische Tundra zog. Dieser Fluss, in dem er stand, war ein Zufluss zum Coppermine River, der nach Norden floß und in den Coronation-Golf und das Nordpolarmeer mündete. Er war dort noch nie gewesen, aber er hatte es einmal auf einer Landkarte der Hudson Bay Company gesehen.

Noch einmal schweifte sein Blick durch die Landschaft um ihn herum. Es war kein ermutigender Anblick. Überall dehnte sich ein verschwommener Horizont. Die Hügel waren durchweg niedrig. Es gab keine Bäume, keine Sträucher, keine Gräser – nichts als eine endlose und schreckliche Öde, die ihm mit einem jähen Schrecken seine Augen verdunkelte.

»Bill!«, flüsterte er, einmal und ein zweites Mal: »Bill!«

Er kauerte sich mitten in das milchigtrübe Wasser, als ob ihn die unendliche Weite mit übermächtiger Kraft niederdrücken und mit ihrer schrecklichen Gleichgültigkeit brutal zermalmen würde. Er begann zu zittern, als ob er Schüttelfrost hätte, bis das Gewehr aus seiner Hand fiel und ins Wasser platschte. Das ließ ihn aufschrecken. Er bekämpfte seine Angst und riss sich zusammen, während er im Wasser herumtastete und seine Waffe zurückholte. Er zerrte sein Gepäck weiter auf seine linke Schulter hinüber, um dadurch einen Teil des Gewichts von seinem verletzten Fußgelenk zu nehmen. Dann bewegte er sich langsam und vorsichtig zum Ufer, wobei er sich unter Schmerzen krümmte.

Er machte keinen Halt. Mit dem Wahnsinn der Verzweiflung und ohne auf die Schmerzen zu achten, hastete er den Hang zum Hügelkamm hinauf, über den sein Gefährte verschwunden war; dabei sah er noch viel grotesker und komischer aus als zuvor sein humpelnder und torkelnder Kumpan. Doch vom Kamm aus sah er nur ein flaches Tal ohne eine Spur von Leben. Wieder kämpfte er gegen seine Angst, überwand sie schließlich, zerrte sein Gepäck noch weiter auf seine linke Schulter und wankte den Hang hinunter.

Der Boden des Tals war mit Wasser vollgesogen, welches das dichte Moos wie ein Schwamm an der Oberfläche festhielt. Bei jedem Schritt quoll das Wasser unter seinen Füßen hervor, und jedes Mal, wenn er einen Fuß hob, entstand dabei ein schmatzendes Geräusch, da das Moos seinen saugenden Griff nur widerwillig löste. Er suchte seinen Weg von Moospolster zu Moospolster und folgte den Fußspuren des anderen Mannes die Felsriegel entlang, die wie kleine Inseln aus dem Meer von Moos ragten, und über sie hinweg.

Obwohl ganz allein, war er doch nicht verloren. Er wusste, dass er weiter vorne zu einer Stelle gelangen würde, wo abgestorbene Tannen und Fichten ganz niedrig und verkrüppelt das Ufer eines kleinen Sees säumten, die titchin-nichilie genannt wurde, was in der Sprache der Indianer »Land der kleinen Stöcke« bedeutete. Und in diesen See floss ein schmaler Bach, dessen Wasser nicht milchigtrüb war. Es gab Röhricht an diesem Bach – daran erinnerte er sich gut –, aber kein Gehölz, und er würde dem Bach folgen, bis sein Rinnsal an einer Wasserscheide endet. Er würde diese Wasserscheide zum Ursprung eines anderen Baches überqueren, der nach Westen fließt, und diesem folgen, bis er in den Dease River mündet, und dort würde er ein Vorratslager finden unter einem umgekippten und mit vielen Steinen beschwerten Kanu. Und in diesem Vorratsversteck würden Munition für sein leer geschossenes Gewehr sein, Angelhaken und -schnüre, ein kleines Netz – all die notwendige Ausrüstung für das Fangen und Töten von Nahrung. Auch ein wenig Mehl würde er vorfinden, ein Stück Speck und ein paar Bohnen.

Bill würde dort auf ihn warten, und sie würden den Dease River südwärts zum Great Bear Lake hinunterpaddeln. Und weiter nach Süden über den See würden sie fahren, immer südwärts, bis zum Mackenzie River. Und nach Süden, immer weiter nach Süden würden sie gehen, während der Winter vergeblich hinter ihnen herrennt, Eis sich in den Strudeln bildet und die Tage frostig und klar werden; nach Süden zu irgendeinem warmen Handelsposten der Hudson Bay Company, wo der Wald hoch und üppig wächst und es Nahrung ohne Ende gibt.

Diese Gedanken gingen dem Mann durch den Kopf, während er sich vorwärtskämpfte. Aber so hart wie er mit seinem Körper rang, so hart rang er auch mit seinen Gedanken, indem er sich einzureden versuchte, dass Bill ihn nicht verlassen habe und dass Bill sicherlich beim Vorratslager auf ihn warten werde. Er zwang sich, sich dies einzureden, denn ansonsten hätte es keinen Sinn gehabt, so zu kämpfen, und er hätte sich ebenso gut gleich hinlegen können und sterben. Und als der dunkle Ball der Sonne langsam im Nordwesten versank, durchdachte er viele Male jeden Meter von seiner und Bills Flucht in den Süden vor dem heranrückenden Winter. Und wieder und wieder stellte er sich die Vorräte im Versteck und die Verpflegung im Posten der Hudson Bay Company vor. Er hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen, und seit viel längerer Zeit hatte er schon nicht mehr so viel gehabt, wie er gerne gegessen hätte. Oft bückte er sich und pflückte farblose Moosbeeren, steckte sie in den Mund, kaute und spuckte sie aus. Eine Moosbeere besteht aus ein wenig Samen, umschlossen von ein wenig Wasser. Im Mund verschwindet das Wasser und der zerkaute Samen schmeckt scharf und bitter. Der Mann wusste, dass die Beeren keinen Nährwert besaßen, aber er kaute sie weiterhin geduldig mit einer Art Hoffnung, die mächtiger war als das Wissen, und aller Erfahrung zum Trotz.

Um neun Uhr stieß er sich seinen Zeh an einem Felsriegel, und aus schierer Erschöpfung und Schwäche stolperte er und fiel um. Er blieb eine Weile regungslos auf der Seite liegen. Dann schlüpfte er aus den Gepäckgurten und wuchtete sich schwerfällig in eine sitzende Stellung. Es war noch nicht dunkel, und er fingerte in dem langsam anbrechenden Zwielicht zwischen den Felsen nach trockenen Moosbüscheln. Als er einen Haufen gesammelt hatte, machte er ein Feuer – ein schwelendes, qualmendes Feuer – und stellte einen Blechnapf mit Wasser zum Kochen darauf.

Er schnürte sein Bündel auf, und als Erstes zählte er seine Streichhölzer. Es waren siebenundsechzig. Er zählte sie dreimal, um ganz sicher zu gehen. Er teilte sie in mehrere Häufchen, verpackte sie in Ölpapier, verstaute ein Päckchen in seinem leeren Tabakbeutel, ein anderes im Schweißband seines verbeulten Hutes und ein drittes unter seinem Hemd im Brustbeutel. Kaum fertig damit, übermannte ihn eine panische Angst, und er packte alle wieder aus und zählte sie erneut. Es waren noch immer siebenundsechzig.

Er trocknete seine Fußbekleidung am Feuer. Die Mokassins bestanden nur noch aus aufgeweichten Fetzen. Die Wollsocken waren an einigen Stellen durchgescheuert und seine Füße wund und blutig. In seinem Knöchel pulsierte es, und er untersuchte ihn etwas genauer. Er war geschwollen und so dick wie sein Knie. Er riss einen langen Streifen von einer seiner beiden Decken ab und wickelte ihn straff um seinen Knöchel. Er riss noch weitere Streifen ab und wickelte sie um die Füße als Ersatz für die Mokassins und Socken. Dann trank er den Napf mit dampfend heißem Wasser, zog seine Uhr auf und kroch zwischen seine Decken.

Er schlief wie ein Toter. Die kurze Dunkelheit um Mitternacht kam und ging. Die Sonne ging im Nordosten auf – zumindest dämmerte der Tag in dieser Richtung herauf, denn die Sonne war hinter grauen Wolken verborgen.

Um sechs Uhr erwachte er, regungslos auf dem Rücken liegend. Er blickte starr in den grauen Himmel und spürte seinen Hunger. Als er sich auf seinen Ellbogen wälzte, wurde er durch ein lautes Schnauben erschreckt und sah einen Karibubullen, der ihn mit wachsamer Neugier beäugte. Das Tier war nicht weiter als zwanzig Schritte von ihm entfernt, und augenblicklich schoss dem Mann die Vorstellung und der Geruch von einem Karibusteak, das über dem Feuer brutzelte und briet, durchs Gehirn. Mechanisch griff er nach dem leer geschossenen Gewehr, zielte sorgfältig und betätigte den Abzug. Der Bulle schnaubte und galoppierte davon, wobei seine Hufe klapperten und lärmten, als er über die Steinriegel flüchtete.

Der Mann fluchte und schleuderte das nutzlose Gewehr von sich. Er stöhnte laut auf, als er sich auf die Füße zu wuchten begann. Es war eine langwierige und mühevolle Angelegenheit. Seine Gelenke waren wie rostige Scharniere. Sie bewegten sich knirschend in ihren Pfannen, mit großer Reibung, und jedes Beugen oder Strecken ließ sich nur mit seiner gesamten Willenskraft bewerkstelligen. Als er schließlich auf den Füßen stand, brauchte er noch einmal etwa eine Minute, um sich zu strecken, damit er so aufrecht stehen konnte, wie ein Mensch das normalerweise tut. Er schleppte sich eine kleine Anhöhe hinauf und hielt Ausschau. Keine Bäume, keine Büsche, nichts als ein graues Meer aus Moos, nur ab und zu unterbrochen von grauen Felsen, grauen Tümpeln und grauen Wasserläufen. Auch der Himmel war grau. Weder die Sonne noch ein Hinweis auf sie war vorhanden. Er hatte keine Ahnung, wo Norden war, und er hatte die Richtung vergessen, aus der er am vergangenen Abend zu diesem Ort gekommen war. Aber er hatte sich nicht verirrt. Das wusste er. Bald würde er in das Land der kleinen Stöcke kommen. Er ahnte, dass es irgendwo linkerhand vor ihm lag, gar nicht weit, möglicherweise schon hinter dem nächsten flachen Hügel.

Er ging zurück, um sein Bündel für den Weitermarsch zu schnüren. Er vergewisserte sich, dass seine drei separat verpackten Streichholzpäckchen noch vorhanden waren, hielt sich aber nicht damit auf, sie zu zählen. Dagegen zögerte und überlegte er eine Weile bei einem prallen Beutel aus Elchleder. Er war nicht groß. Er konnte ihn unter seinen beiden Händen verbergen. Er wusste, dass er fünfzehn Pfund wog – so viel wie das gesamte übrige Gepäck –, und das bereitete ihm Kopfzerbrechen. Schließlich legte er ihn beiseite und fuhr fort, das Bündel zusammenzurollen. Er zögerte erneut, um den prallen Elchlederbeutel zu betrachten. Dann nahm er ihn hastig an sich, mit einem kämpferischen Blick, als ob die Einöde versucht hätte, ihm den Beutel zu rauben; und als er sich auf die Füße stellte, um in den Tag hineinzuhumpeln, befand sich der Beutel wieder in dem Bündel auf seinem Rücken.

Er schlug sich nach links und hielt dann und wann an, um Moosbeeren zu essen. Sein Fußgelenk war noch unbeweglicher geworden und sein Hinken hatte sich verschlimmert, aber der Schmerz dabei war nichts, verglichen mit der Pein in seinem Magen. Das Hungergefühl war quälend. Es nagte und nagte, bis er seine Gedanken nicht mehr auf den Weg zu konzentrieren vermochte, den er einschlagen musste, um das Land der kleinen Stöcke zu erreichen. Die Moosbeeren linderten diese Qual nicht, vielmehr machten sie seine Zunge und seinen Gaumen durch ihre beißende Säure wund.

Er kam in ein Tal, wo Schneehühner mit schwirrenden Flügeln von den Felsriegeln und Moosbeerbüschen aufflogen. »Kerr-kerr-kerr«, schrien sie dabei. Er warf Steine nach ihnen, aber er konnte sie nicht treffen. Er legte sein Gepäck auf den Boden und beschlich sie, wie eine Katze einen Sperling beschleicht. Die scharfen Felsen schnitten durch seine Hosenbeine, sodass seine Knie eine Blutspur hinterließen; doch der Schmerz ging in dem quälenden Hungergefühl unter. Er robbte über das nasse Moos, durchnässte seine Kleider und kühlte seinen Körper aus; aber er beachtete es gar nicht, so groß war seine Gier nach Nahrung. Und immer wieder flogen die Schneehühner schwirrend vor ihm auf, bis ihr »kerr-kerr-kerr« ihm wie ein Spottruf vorkam, und er sie verfluchte und sie laut mit ihrem eigenen Ruf nachäffte.

Einmal kroch er über eins, das geschlafen haben musste. Er sah es nicht, bis es ihm aus seinem Schlupfwinkel heraus ins Gesicht flatterte. Er schnappte zu, ebenso erschreckt wie das aufgescheuchte Schneehuhn, und drei Schwanzfedern blieben in seiner Hand zurück. Als er es davonfliegen sah, hasste er es, als ob es ihm ein schreckliches Unrecht zugefügt habe. Dann kehrte er um und schulterte sein Bündel.

Im weiteren Verlauf des Tages kam er in Täler oder Niederungen, wo das Wild zahlreicher war. Eine Herde von Karibus zog vorbei, zwanzig oder mehr Tiere, quälend nah in Schussweite. Er spürte ein wildes Verlangen, hinter ihnen herzurennen, und war sich sicher, dass er sie niederrennen könnte. Ein schwarzer Fuchs kam ihm entgegen, er schleppte ein Schneehuhn im Maul. Der Mann schrie. Es war ein furchterregender Schrei, aber der erschrocken davonrennende Fuchs ließ das Schneehuhn nicht fallen.

Spät am Nachmittag folgte er einem durch Kalk milchig gefärbten Bach, der durch vereinzelte Büschel von Binsen floss. Diese Halme packte er nah bei ihrer Wurzel und zog etwas heraus, was einem jungen Zwiebelschößling glich und nicht länger als ein kleiner Nagel war. Es war weich, und seine Zähne drangen mit einem Knacken in das Zwiebelchen hinein, das ein köstliches Essen versprach. Aber die Fasern waren zäh. Es bestand aus ungenießbaren Fäden, die mit Wasser gesättigt und wie die Moosbeeren ohne jeden Nährwert waren. Dennoch warf er sein Bündel weg und kroch auf Händen und Knien in die Binsen und kaute und mampfte wie ein Rindvieh.

Er war sehr erschöpft und hatte oft den Wunsch, zu rasten, sich hinzulegen und zu schlafen; aber er wurde beständig vorwärtsgetrieben – nicht so sehr durch seinen Wunsch, das Land der kleinen Stöcke zu erreichen, als vielmehr durch seinen Hunger. Er suchte kleine Tümpel nach Fröschen ab und durchpflügte die Erde mit seinen Fingernägeln nach Würmern, wenngleich er wusste, dass so hoch im Norden weder Frösche noch Würmer lebten.

Er schaute vergebens in jedes Wasserloch, bis er, als die Dämmerung allmählich einbrach, einen einzelnen Fisch von der Größe einer Elritze in einem solchen Loch entdeckte. Er stieß seinen Arm bis zur Schulter hinein, doch der Fisch wich ihm aus. Er grapschte nach ihm mit beiden Händen und wühlte den kalkigen Schlamm am Grund auf. In seiner Aufregung fiel er ins Wasser und durchnässte sich bis zur Hüfte. Danach war das Wasser zu trüb, um den Fisch sehen zu können, und er musste warten, bis der Schlamm sich wieder gesetzt hatte.

Dann begann die Jagd von Neuem, bis das Wasser wiederum eingetrübt war. Aber er konnte nicht länger warten. Er schnallte seinen Blechnapf los und begann, das Wasserloch leerzuschöpfen. Anfangs schöpfte er wie wild, bespritzte sich selbst und schleuderte das Wasser nicht weit genug weg, sodass es wieder in das Loch zurückfloss. Dann arbeitete er mit mehr Achtsamkeit und bemühte sich, Ruhe zu bewahren, obwohl sein Herz gegen seine Brust hämmerte und seine Hände zitterten. Nach einer halben Stunde schließlich war das Loch beinahe trockengelegt. Kaum ein Becher voll Wasser war noch übrig. Aber da war kein Fisch. Er fand einen versteckten Spalt zwischen den Steinen, durch welchen er in den angrenzenden größeren Tümpel entkommen war – einen Tümpel, den er selbst in einer Nacht und einem Tag nicht hätte ausschöpfen können. Hätte er von dem Spalt gewusst, hätte er ihn mit einem Stein verschließen können, und der Fisch wäre der seine gewesen.

Das dachte er zumindest und brach zusammen und sank auf die nasse Erde nieder. Anfänglich weinte er still vor sich hin, dann schrie er laut die unbarmherzige Einöde an, die ihn umgab, und noch eine lange Zeit danach wurde er von heftigen tränenlosen Schluchzern geschüttelt.

Er machte ein Feuer und wärmte sich, indem er literweise heißes Wasser trank, und bereitete sein Lager auf einem steinigen Streifen in derselben Art, wie er es schon in der Nacht zuvor getan hatte. Das Letzte, was er tat, war, nachzuschauen, ob seine Streichhölzer trocken geblieben waren, und seine Uhr aufzuziehen. Die Decken waren feucht und klamm. Sein Knöchel pulsierte vor Schmerz. Aber er spürte nur seinen Hunger, und in seinem unruhigen Schlaf träumte er von Festen und Gelagen und von Speisen, die in allen nur erdenklichen Weisen zubereitet und serviert wurden. Er erwachte fröstelnd und unwohl. Es war keine Sonne zu sehen. Das Grau der Erde und des Himmels war noch düsterer geworden, noch unergründlicher. Ein rauer Wind blies, und die ersten Schneeschauer färbten die Bergspitzen weiß. Die Luft um ihn wurde undurchsichtig grau, während er Feuer machte und wieder Wasser erhitzte. Nasser Schnee fiel, beinahe Regen, und die Flocken waren groß und pappig. Anfangs schmolzen sie, sobald sie in Kontakt mit der Erde kamen; aber immer mehr fielen, bedeckten schließlich den Boden, löschten das Feuer und verdarben seinen aus Moos bestehenden Vorrat an Brennmaterial.