Longpath – auf lange Sicht - Ari Wallach - E-Book

Longpath – auf lange Sicht E-Book

Ari Wallach

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Beschreibung

Für ein besseres Morgen Ob Klimawandel, Energiekrise oder Covid-19 – viele Probleme der Gegenwart sind das Ergebnis kurzfristigen Denkens. Es ist die alltäglichen Nachrichtenflut, die uns scheinbar dazu zwingt, immer und sofort zu handeln und das oft mit verheerenden Folgen für das Heute und Morgen. Der Druck, immer just in time zu reagieren, überfordert zudem unser zentrales Nervensystem und lenkt uns von dem ab, was wirklich wichtig ist. Warum es sich für uns alle gerade in hektischen Zeiten lohnt, sehr langfristig zu denken und wie es gelingt, Entscheidungen in Ruhe und überdacht zu treffen, weiß Ari Wallach. Er zeigt, wie man sich von kurzfristigem Aktionismus verabschiedet und lernt, in langfristiger Perspektive zu planen. Ganz gleich, ob es Arbeit, Alltag und Kindererziehung betrifft oder darum geht, ein besserer Mensch zu werden – Entscheidungen in einem größeren Rahmen zu treffen, führt zu einem erfüllteren und nachhaltigeren Leben in der Gegenwart und für zukünftige Generationen.

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Seitenzahl: 202

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Ari Wallach

LONGPATH

Ari Wallach

LONGPATH

AUF LANGE SICHT

Ein Gegenentwurf zum kur zfristigen Denken

So werden wir zu den Vorfahren, die unsere Zukunft braucht

Übersetzung aus dem Englischen von Silvia Kinkel

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

1. Auflage 2023

© 2023 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe by Ari Wallach

Die englische Originalausgabe erschien 2022 bei HarperOne, einem Imprint von HarperCollins Publishers LLC unter dem Titel Longpath.

Diese Ausgabe wurde in Absprache mit Rodale Books veröffentlicht, einem Imprint von Random House, einer Abteilung von Penguin Random House LLC.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Silvia Kinkel

Redaktion: Monika Spinner-Schuch

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: fran_kie/ Shutterstock

Satz: Daniel Förster

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-86881-940-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-525-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-526-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Ich strebe danach, ein großartiger Vorfahre für die vielen nach uns kommenden Generationen zu sein, aber darüber hinaus hoffe ich, ein großartiger Vater für meine Kinder zu sein – Eliana, Ruby und Gideon.

Dieses Buch ist euch gewidmet und allem, was ihr seid und was ihr noch werdet.

Eines Tages befand sich ein Mann namens Choni auf dem Wege und sah einen anderen Mann einen Johannisbrotbaum pflanzen.

Choni fragte ihn: »Nach wie vielen Jahren trägt er?«

Der andere Mann antwortete: »Nach 70 Jahren.«

Choni fragte weiter: »Glaubst du wirklich, dass du noch 70 Jahre leben wirst?«

Der andere Mann antwortete: »Ich habe Johannisbrotbäume auf der Welt vorgefunden, die meine Vorfahren für mich pflanzten. Ebenso will ich für meine Nachkommen Bäume pflanzen.«

Aus dem Talmud (Blatt 23a)

INHALT

Prolog

Kapitel 1 | Lebensweise Longpath – Was das ist und warum wir es brauchen

Ein Rabbi geht nach West Point

Emotion: die Königin des 3-D-Schachs

Gezeiten: Warum wir Longpath mehr denn je brauchen

Die Entscheidung, vor der wir jetzt stehen

Kapitel 2 | Verändern Warum das, was früher funktionierte, heute nicht mehr funktioniert

Unsere kurzfristige Denkweise

Wie wir unser kurzfristiges Denken ändern können

Die Longpath-Säulen

Kapitel 3 | Umsetzen Voraus-, zurück- und nach innen blicken

Empathie für unsere Vorfahren

Empathie für Sie selbst

Empathie für Nachkommen

Kapitel 4 | Gestalten Zukunft und wie wir sie herstellen

Unsere Fähigkeit zur Zukunftsgestaltung spielen lassen

Wie wir die Zukunft mitgestalten können: die zweite Säule von Longpath

Die überprüfte, gewünschte Zukunft

Unser Ithaka

Nenn mich Trimmruder

Kapitel 5 | Gedeihen Gemeinsam für eine bessere Welt arbeiten

Und wie stellen wir das nun an? Wie finden wir die anderen und entwickeln uns weiter?

Ihren Einflussbereich nutzen

Epilog

Tagebuchseiten

Stimmen zum Buch

Über den Autor

Danksagung

Anmerkungen

PROLOG

Im Herzen von Rom steht das Kolosseum. Bis zum heutigen Tag können Sie dieses ikonische Bauwerk besichtigen, die Millionen Kubikmeter Travertin bewundern, die Stein auf Stein und ohne Mörtel aufgeschichtet wurden und die hoch aufragende Außenmauer bilden. Sie können an derselben Stelle stehen wie einst die Gladiatoren und sich das Gebrüll der mehr als 50 000 jubelnden Zuschauer vorstellen. Wenn Sie nach oben schauen, sehen Sie die Ränge, auf denen die Zuschauer untergebracht waren. Die Einweihung fand im Jahr 80 n. Chr. statt. Sehr wahrscheinlich rutschten die Zuschauer dort oben unruhig auf ihren Plätzen herum, während die heiße Sonne auf sie herabbrannte. Sie knabberten Kichererbsen und tranken Wein, während sie auf das nächste Spektakel warteten. In den unterirdischen Tunneln liefen exotische Tiere auf und ab, und Gladiatoren - viele von ihnen Sklaven oder Verbrecher - warteten auf ihr Schicksal. Der Geruch von Blut, Schweiß und Verwesung durchdrang sehr wahrscheinlich die Gedärme des Kolosseums, wo sich die Grenze zwischen Leben und Tod ihrer schmalsten Stelle näherte.

Wir können an diesen Ort gehen, wo sich vor langer Zeit Kaiser und Bürger, Frauen und Männer mit einem sehr menschlichen Leben auf hielten. Angst und Freude, Hunger und Befriedigung, Stress und Träume sind mit den gelebten Erfahrungen dieser alten Römer verwoben. Vielleicht erkennen Sie etwas von sich in ihnen wieder, oder etwas von deren Erbe in Ihnen.

Und nun stellen Sie sich das Jahr 4020 n. Chr. vor. Schwer zu begreifen, aber als ich im Jahr 2022 dieses Buch schrieb, lag das genauso weit in der Zukunft wie das Zeitalter der Gladiatoren hinter uns lag. Was werden die Einwohner und Besucher von Rom dann sehen? Wie werden sie sich unser heutiges Leben vorstellen? Werden sie ein Fußballstadion besuchen und sich das Gebrüll der Fans vorstellen? Werden sie Eintritt bezahlen, um die Überreste einer benzinbetriebenen Vespa zu besichtigen? Werden sie sich staunend Simulationen von Verkehrsstörungen ansehen, durch die der Autofahrer im Schnitt jedes Jahr 254 Stunden verloren hat, gefangen in einer Blechkiste auf vier Rädern? Werden sie Eiscreme nach »alten Rezepten« zubereiten? Wird es noch Pizza geben? Was werden sie über die Probleme denken, mit denen wir heute konfrontiert sind? Werden sie Grafiken betrachten, die einen enormen Temperaturanstieg oder Dürre abbilden und uns die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, verübeln oder stolz auf uns sein? Können sie sich das Chaos einer weltweiten Pandemie vorstellen und werden sie angesichts unserer Reaktion verwirrt sein oder Mitgefühl empfinden? In einer Zeit, die schneller kommt, als wir denken, werden wir die Vergangenheit dieser Menschen sein, ihre Historie. Was werden sie über uns schreiben?

Ich liebe es, Zeit auf diese Weise zu betrachten. Mit dem römischen Kolosseum ist der zeitliche Bogen sehr weit gespannt. Sie können aber auch Rechenbeispiele nehmen, die Ihnen näher sind. Wer zur Generation X gehört oder - so wie ich - älter ist, kann sich zurückerinnern an das Jahr 1990. Worüber haben Sie sich damals Gedanken gemacht? Wie haben Sie sich gekleidet? Was für Musik haben Sie gehört? Was waren Ihre drängendsten Probleme? So lang scheint das noch gar nicht her zu sein, stimmt’s? Und wenn ich nun ein bisschen rechne, sage ich Ihnen, dass Sie heute näher am Jahr 2050 sind als an 1990. Im Jahr 2050 werden sich die Menschen das, was heutzutage die Hits auf Spotify sind, im »Oldies-Kanal« anhören. Falls Sie es nicht schon wissen - die unvorstellbare Zukunft von gestern ist unsere Gegenwart.

Dieses Buch wird Ihren Zeithorizont vergrößern, Ihr Denken erweitern und Ihr Herz öffnen, damit Sie zu einem der großartigen Vorfahren werden, die die Zukunft braucht. Gemeinsam werden wir erforschen, wie uns das Betrachten der Zeit mit einem erweiterten Blickwinkel, gepaart mit unseren emotionalen Stärken, zu großartigen Vorfahren macht und in unserem eigenen Leben hilft. Wir werden das Jahr 4020 n. Chr. betrachten und uns vorstellen, welche Art von Menschen wir uns dann als Bewohner dieses Planeten wünschen, was ihnen wichtig sein wird, und wie wir ihnen helfen können, ihr Leben zu gestalten, indem wir schon heute ein paar Grundlagen dafür schaffen. Darüber hinaus werden wir erfahren, dass die heutige Zeit - dieser Augenblick - eine der besten Gelegenheiten ist, die wir haben, um großen Einfluss auf das Leben der nachfolgenden Generationen zu nehmen. Lassen Sie uns beginnen.

KAPITEL 1 | LEBENSWEISE Longpath - Was das ist und warum wir es brauchen

Achte auf das Wohlergehen des ganzen Volkes, und richte stets dein Augenmerk nicht nur auf die gegenwärtigen, sondern auch auf die kommenden Generationen, selbst auf diejenigen, deren Gesichter sich noch unter der Erdoberfläche befinden, die Ungeborenen der zukünftigen Nation.

Aus dem Great Law of Peace der Haudenosaunee, dem Gründungsdokument der Irokesen-Konföderation

Sie erwarten vielleicht, dass ich in einem Buch mit dem Titel Longpath als Einstieg darüber spreche, dass selbst eine Reise von 1000 Meilen mit dem ersten Schritt beginnt. Möglicherweise erwarten Sie etwas über die 20 Jahre währende Reise, die notwendig war, um die transkontinentale Eisenbahn von der Ost- bis an die Westküste Amerikas zu bauen, oder den 200 Jahre dauernden Bau der Chinesischen Mauer oder vielleicht sogar etwas über »Flüge zum Mond«. Vielleicht rechnen Sie mit einer Predigt, dass wir endlich anfangen müssen, etwas gegen den Klimawandel zu tun, denn bald wird es auf diesem Planeten eine Milliarde Klimaflüchtlinge auf der Suche nach Schutz und Wasser geben. Auf all das werde ich beizeiten eingehen, aber ehrlich gesagt beginnt die Geschichte von der Zukunft der menschlichen Zivilisation oft mit etwas ziemlich Harmlosem. Zum Beispiel dem Vibrieren eines Telefons.

Ich war gerade in der Küche und bereitete mein weltberühmtes Dracheneier-Abendessen (Rührei mit in Scheiben geschnittenen Hotdogs und Käse) zu, als ich in meiner Tasche ein Vibrieren spürte. Es handelte sich um eine App-Benachrichtigung unserer örtlichen Schule. Meine zwölfjährige Tochter Ruby hatte es versäumt, ihre Spanischhausaufgabe abzugeben, die genau zwölf Sekunden zuvor fällig gewesen war. Meine spontane Reaktion auf dieses Vibrieren hatte sich jedoch über Hunderttausende von Jahren entwickelt. In meinem Gehirn wurden alle möglichen Botenstoffe freigesetzt. Natürlich war ich verärgert, weil sie den Abgabetermin verpasst hatte, aber ich spürte auch Scham (was für ein Vater bin ich nur?), Angst (wenn sie so weitermacht, schafft sie es niemals an ihre Wunschuni) und ein tief verwurzeltes Gefühl, dass ich etwas falsch gemacht und Mitglieder des Stammes verärgert hatte und sie mich aus der Höhle werfen würden, sodass ich heute Nacht gezwungen war, mich gegen große Tiere mit riesigen Zähnen zu verteidigen. Während mir das alles durch den Kopf und den Körper schoss, musste ich eine Entscheidung treffen: ausflippen, die Fassung verlieren, Ruby anschreien oder innehalten ... und den Prinzipien von Longpath folgen.

Longpath - eine einfache, aber tiefgreifende Denkweise, die das Denken von kurzfristig zu langfristig verändert - ermöglichte es mir, diesen kurzen Moment innezuhalten und den Strudel von Neurotransmittern und Hormonen zu erkennen, die in mir hochkochten. Und in dieser Pause stecken die Hunderttausende von Jahren, die vor diesem Moment lagen, die Hunderttausende von Jahren, die danach kommen würden, und das Bewusstsein, dass ich nur ein Glied in einer größeren Kette des Seins bin. Ich war dann, um mich der Worte von Carl Sagan zu bedienen, Teil des »Pale Blue Dot« [blassblauen Punktes] im sich ständig erweiternden Universum von Raum und Zeit. Und plötzlich wurde mir klar, dass es weder über ihre Zukunft noch über die Zukunft unserer gesamten Menschheit entscheiden würde, ob Ruby wusste, was biblioteca bedeutete. Am wichtigsten war, dass ich mich nicht über die verpatzte Hausarbeit aufregte - das würden wir nach dem Abendessen klären und ich könnte mit ihr darüber reden. Was zählte, war, das Gleichgewicht zwischen mentalen und emotionalen Gefühlslagen aufrechtzuerhalten, während wir als Familie zusammensaßen - ein Ritual, bei dem die Art und Weise, wie ich mit meinen Lieben umging, weitaus größere Auswirkungen auf Rubys Zukunft haben würde als eine einzelne, nicht abgegebene Hausaufgabe. Und dann, noch später, würde ich das Wichtigste tun: die lästigen Benachrichtigungen ihrer Schule abschalten.

Wir alle erleben solche Momente - wahrscheinlich häufiger, als uns bewusst ist. Wir leben in einer Welt ständiger Updates, Benachrichtigungen und »Eilmeldungen«, und alle treiben unseren Cortisol- und Adrenalinspiegel in die Höhe, lösen Kampf- oder Fluchtreaktionen in unserem Zentralnervensystem aus, und lassen uns - wenn es außer Kontrolle gerät - abstürzen zu einem Haufen schwelender emotionaler Trümmer. Das ist die Folge von kurzfristigem, reaktionärem Denken, das zuweilen wertvoll ist, aber schnell überkocht, wenn es nicht in Schach gehalten wird. Wir verlieren den Gesamtzusammenhang aus den Augen - das, was uns im großen Ganzen wirklich wichtig ist. Das Problem besteht darin, dass eine kurzfristige Denkweise (eine Denkweise, bei der es sich um eine Reihe von Überzeugungen handelt, die Ihr Denken, Fühlen und Verhalten beeinflussen) ständig ausgelöst wird, sei es durch eine beunruhigende E-Mail von der Arbeit, die Sie spät am Abend erhalten, oder durch hausgemachte Schuldgefühle eines Vaters, der meint, sich nicht genug um den Spanischunterricht seiner Tochter zu kümmern.

Diese Erfahrungen sind für so viele von uns die neue Normalität, doch wir stehen vor Herausforderungen, die von uns verlangen, diese Art des Denkens und Handelns zu überwinden. Es gibt Momente, in denen wir über das »Jetzt« hinaus an die Zukunft in ein paar Stunden, in ein paar Tagen, in ein paar Jahren, in ein paar Generationen denken müssen. Die Longpath-Denkweise trägt dazu bei, unsere Reaktionen auf stressige Momente abzuschwächen, indem sie eine Sichtweise auf die Welt bietet, die zukunftsbewusstes Denken und Verhalten fördert. Longpath hilft uns, über unsere individuelle Lebensspanne hinauszudenken und zu fühlen und die Auswirkungen zu berücksichtigen, die wir auf zukünftige Generationen haben werden. Und ja, die frühere Generationen auf uns hatten.

Aber Longpath ist mehr als ein Mantra, eine praktische »Achtsamkeits-Auszeit!«-Erinnerung oder ein Fünf-Schritte-Rezept für eine bessere Zukunft. Es ist eine Möglichkeit, sich mit der richtigen Einstellung durch die Welt zu bewegen. Es hilft uns, die Dinge zu priorisieren, die wirklich wichtig sind, und zu erkennen, was nicht wichtig ist. Longpath ist eine Denkweise, eine Seinsweise und eine Herangehensweise an das Leben und das Universum, die nach Verbundenheit und Vereinigung mit allen anderen Lebewesen und unbelebten Dingen über Zeit und Raum hinweg strebt. Longpath lässt uns einen Blick aus 30 000 Fuß Höhe und 30 000 Jahre in die Vergangenheit und die Zukunft werfen. Longpath erinnert uns daran, dass wir Teil von etwas sind, das größer ist als wir selbst, und dass unsere eigene Zeit zwar begrenzt ist, wir aber die großartigen Vorfahren werden müssen, die unsere Nachkommen brauchen.

Das klingt jetzt vielleicht kompliziert und sehr theoretisch, aber Longpath kann in etwas so Einfachem wie einem Laufbahnbelag zum Ausdruck kommen. Meine Freundin Michelle gehörte zu einem Team, das in ihrer Stadt eine neue Leichtathletiklauf bahn an der Highschool und ein neues Fußballstadion bauen sollte. Sie stand unter großem Druck, das Projekt pünktlich und im Rahmen des Budgets abzuschließen. Als ein Lieferant zu ihr kam und von einem neuen Lauf bahnbelag auf Maisbasis berichtete, den sie verwenden könnten, war Michelle kurz davor, sofort abzulehnen. Das Material würde zwar fünfmal so lange halten und hätte im Herstellungsprozess einen geringeren CO2-Fußabdruck, aber die Kosten waren um einiges höher und das Verlegen würde viel länger dauern. Sie dachte daran, dass sie den Kopf dafür hinhalten müsste, wenn sie zustimmte, und an die Fertigstellungstermine und Budgets, die ihr Team einhalten musste, um sich den Bonus zu sichern.

Moment mal, dachte sie dann. Was ist das ultimative Ziel? Den Bonus zu bekommen oder ein Stadion zu bauen, das länger hält, damit die nächsten Generationen nicht wieder von vorn anfangen müssen? Eine Verzögerung und die Mehrausgaben ergaben viel mehr Sinn, als etwas durchzusetzen, nur damit es fertig wurde und sie gut dastand. Sie beschloss, zumindest zu versuchen, die besseren Materialien zu verwenden.

Als Michelle im ersten Moment den Impuls verspürte, das neue Material abzulehnen, und als ich den Impuls verspürte, Ruby wegen ihrer Spanischhausaufgabe die Leviten zu lesen, taten wir das, was Menschen nun einmal tun: eine scheinbar unmittelbare Bedrohung abwehren, versuchen, uns in den Stamm einzufügen; versuchen, unsere kurzfristigen Interessen zu wahren. Aber als wir innehielten und über das größere - und ja, langfristige - Bild und unseren Platz darin nachdachten, praktizierten wir Longpath. Mit der Zeit und mit entsprechender Übung wird dieses Innehalten für Michelle, für mich, idealerweise für uns alle, immer kürzer, bis Longpath zu dem wird, wie wir automatisch denken, reagieren und schließlich die Zukunft gestalten.

Ein Rabbi geht nach West Point

Mein Vater kam in Polen zur Welt und wurde im Zweiten Weltkrieg zum Waisenkind, als die Deutschen seine Eltern töteten. Als Teenager schloss er sich den im Wald lebenden Widerstandskämpfern an und sagte oft in seinem stark akzentuierten Englisch: »Wenn du die Vergangenheit vergisst, dann hast du keine Zukunft. Was morgen passiert, begann gestern.« Ich bin mit dieser Vorstellung von Zeit aufgewachsen und meine Kinder wissen, dass sie heute am Leben sind, weil mein Vater während des Zweiten Weltkriegs die Entscheidung getroffen hat, Widerstand zu leisten und zu kämpfen. Er sagte, dass er, um sich an Hitler zu rächen, nicht nur Nazis töten wollte - er wollte Kinder und wiederum Enkelkinder haben.

Die Geschichte meines Vaters spielt in meinem Leben eine große Rolle, aber sie ist nur ein Teil meiner Vorgeschichte. Meine Mutter war eine außergewöhnliche Künstlerin, die bei dem Visionär, Systemdenker und renommierten Designer Buckminster Fuller studierte. An einem typischen Wochenendtag meiner Jugend war ich mit meiner Mutter in einem Kunstmuseum in San Francisco, wo wir über das Zusammenspiel von Farben, Texturen und Nuancen sprachen, während wir eine Skulptur von Alexander Calder betrachteten, und dann gingen wir nach Hause in die Welt meines Vaters, wo wir uns alte Filme aus dem Zweiten Weltkrieg ansahen und eher über die Machtprinzipien in Sun Tzus Die Kunst des Krieges diskutierten als über die Lilatöne eines Sonnenuntergangs. Ich lebte in einem Haus, das in verschiedenen Zeiten existierte: mit einem Vater, der zwar äußerst sozial und intelligent war, aber dem Trauma der 1930er- und 1940er-Jahre nie ganz entkommen konnte und immer über das »was war« redete; und einer Mutter, die der Welt der Moderne verhaftet war und sich in dem bewegte, »was sein könnte«. Ein typisches Gespräch beim Abendessen wechselte daher zwischen den 1920er- und 2120er-Jahren hin und her. Und ich saß dazwischen, umgeben von allem.

Aufgrund dieser Yin- und Yang-Erziehung war mein Leben eine Reihe scheinbarer Widersprüche. Von meinem Wunsch, die Akademie der US-Armee in West Point zu besuchen, wechselte ich zu einem Studium der Friedens- und Konfliktstudien an der UC Berkeley. Ein Semester lebte ich in Washington, D.C., teilte meine Wochentage zwischen der Arbeit für die Clinton-Gore-Wiederwahlkampagne und dem United States Institute of Peace auf und verbrachte meine Nächte und Wochenenden damit, die Dialoge des indischen Philosophen Krishnamurti zu verinnerlichen. Nach meinem Abschluss bestanden meine Arbeitstage daraus, Strategien für Dotcoms im gerade boomenden Silicon Valley zu entwickeln, und an den Wochenenden hielt ich mich im Green Gulch auf, einem Zen-Zentrum im Marin Country, um zu lernen und zu meditieren.

Bei meinen Erfahrungen begann sich ein Muster abzuzeichnen: Ob ich als Leiter der Konfliktlösung für die Wohnungsbaugenossenschaft der UC Berkeley bei Meinungsverschiedenheiten schlichtete oder versuchte, einer Dotcom-Firma zu helfen, die Frauen in Führungspositionen unterstützte, schien es, als ob die Art und Weise, wie wir Probleme lösen wollten, nur die Oberfläche der eigentlichen Ursache streifte. Bei einem Streit darüber, dass die Küchenchefs der Genossenschaftsküchen Geld für seltene Schalentiere ausgaben, ging es beispielsweise weniger um Dollar oder ein Entscheidungsverfahren als vielmehr um die Werte und den Ballast, die und den jeder zum Thema Reichtum und Privilegien mitbrachte. Bei einem Start-up-Unternehmen, das Frauen in Führungspositionen unterstützen wollte, drehte sich alles um strahlende »Toolkits« und »HR-Tipps«, aber das eigentliche Problem und damit der eigentliche Unterstützungsbedarf lag in einem tief verwurzelten patriarchalischen System, das weder Elternzeit noch hochwertige Kinderbetreuungsmöglichkeiten oder gleiche Vergütung anbot. Kurz gesagt, die Problemlösungsrahmen, an die wir uns gewöhnt hatten, berücksichtigten weder die Vergangenheit noch die Zukunft oder die unzähligen politischen, emotionalen und psychologischen Faktoren, die eine Rolle spielten. Ich war nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist, aber wir alle - ich selbst eingeschlossen - fühlten uns machtlos, wenn es um die großen Dinge ging. Wir alle wollten oder hatten zumindest das Gefühl, dass wir schnelle, kurzfristige Lösungen brauchten, nur damit wir »weitermachen« konnten. Und so spielten wir Dame, während wir 3-D-Schach hätten spielen müssen.

Ich habe während meiner gesamten Karriere immer wieder gesehen, dass Leute das falsche Spiel spielten. Bis 2015 leitete ich eine Unternehmensberatung (allerdings in wahrem Yin-Yang-Stil, und erst, nachdem ich ernsthaft über eine Rabbinerschule nachgedacht hatte) und half Führungskräften in Unternehmens-, Wohltätigkeits- und Regierungsbereichen, strategisch zu denken und zu handeln. Immer mehr meiner Kunden wollten nur im Hier und Jetzt etwas bewirken, oft unbewusst auf Kosten künftiger Generationen. Dies spitzte sich zu, als ich in Genf mit einigen der führenden Denker und Macher im Bereich der globalen Flüchtlingshilfe sprach. Als ich sie hartnäckig fragte, was wir gegen die kommenden Wellen von Klimaflüchtlingen tun sollten, antworteten sie, sie könnten darüber nicht nachdenken, weil das Haus jetzt brenne. Sie seien auch ihren Vorgesetzten verpflichtet, erklärten sie, für die die Zukunft (die weder stimmberechtigt war noch Spenden einbrachte!) keine Priorität hätte, und einem 24-Stunden-Nachrichtenzyklus, durch den sie gezwungen waren, ständig zu erläutern, was sie gerade taten. Ihnen blieben nur noch wenige Jahre im Beruf und auf dieser Erde, und sie taten, was sie konnten.

Ich betonte immer wieder, dass wir die Bedürfnisse der Gegenwart zwar nicht opfern dürften, aber einen Weg finden müssten, die Gegenwart und die Zukunft als Kontinuum zu betrachten, sonst wären wir dazu verdammt, wie Sisyphos den Felsbrocken bergauf zu schieben, um ihn wieder herunterrollen zu lassen, wenn wir fast oben angelangt waren. Sie sahen mich verständnislos an. In dem Moment wusste ich, dass das kurzfristige Denken und die Trennung von Wirtschaft und Moral, die durch dieses Gespräch so deutlich wurden, aufgehoben werden musste, bevor wir eine positive, dauerhafte Veränderung bewirken könnten.

Ein ähnliches Gespräch fand kurz darauf statt, als ich eingeladen wurde, in der Downing Street 10 in London zu sprechen. Eigentlich sollte ich mit Entscheidungsträgern über Innovationen sprechen und darüber, wie Regierungen die Bedürfnisse ihrer Bürger im 21. Jahrhundert am besten erfüllen könnten. Doch nach diesen aufrüttelnden Treffen in Genf und an anderen Orten beschloss ich kurz vorher, meine Ausführungen abzuändern und darüber zu sprechen, »wie man den Bedürfnissen der britischen Bürger im 22. Jahrhundert gerecht werden kann«. Diesmal gab es keine ausdruckslosen Blicke. Das Publikum verstand meine Botschaft, argumentierte jedoch, dass es bei seinen Wählern keine Zustimmung finden würde. Den Wählern wäre die ferne Zukunft egal, weil sie ihr Leben lang darauf trainiert wurden, von ihren Regierungen sofortige Ergebnisse zu erwarten - ein Nebenprodukt des Geschäftszyklus der Wahl: Am Tag nach dem Gewinnen der letzten Wahl beginnt die Kandidatur für die nächste Wahl.

Meine Kritiker in Großbritannien hatten nicht unrecht. Ein neues Handbuch war nötig, mit Anleitungen, wie wir alle - nicht nur die Führungskräfte - anders über die Welt und unsere Aufgabe darin denken können, und warum das wichtig ist. Der Erfolg eines gelungenen TED-Vortrags, eine sehr verständnisvolle Ehefrau und einige enge Freunde, die an mich glaubten, brachten mich dazu, Longpath Labs zu gründen. Longpath Labs ist eine Initiative, die sich darauf konzentriert, Menschen, Organisationen und Gesellschaften die Denk- und Verhaltensweisen von Longpath näherzubringen. Ich brachte Longpath in die Führungsetage von PBS, Facebook, Twitter und vielen anderen, die sich dafür interessierten, wie man im Laufe der Zeit die Empathie und die Kommunikation in ihrer Community steigern kann. Longpath Labs wurde offiziell im Jahr 2016 gegründet, als ich begann, Notizen für das Buch zu machen, das Sie jetzt in Händen halten.

Dies ist das Buch, für das ich geboren wurde: Es ist der Höhepunkt der scheinbar unzusammenhängenden Fäden meines Lebens, die in ein und demselben Menschen scheinbar keine Grundlage haben. Ich gelte als Zukunftsforscher, aber statt technologiegestützte Prognosen der Welt von morgen abzugeben, spreche ich zunächst über die Vergangenheit. Meistens über die sehr tiefgründige Vergangenheit. Ich bringe mehrere Disziplinen zusammen, denn das ist genau der Ansatz, den wir brauchen, um die heutigen Probleme anzugehen. Ich schöpfe aus den Bereichen Neurowissenschaften, Evolutionsbiologie, Kunst, Gesellschaftssysteme, Geschichte, Religion und Psychologie. Am wichtigsten ist vielleicht, dass ich einen Ansatz verfolge, der alle unsere Fähigkeiten und Sinne als Menschen zum Tragen bringt. Wir brauchen nicht nur unser Gehirn und unsere Muskeln, wir brauchen auch die Fähigkeit zur Selbsteinsicht, Vertrauen, Zusammenarbeit und eine Mischung aus weitreichender Vision und kleinen Maßnahmen. Und lassen Sie mich dafür zum Megafon greifen: Wir können nicht über die Zukunft sprechen, ohne Emotionen, Intuition und Ehrfurcht in unser Leben und unsere Entscheidungen zurückzubringen. Wir müssen vollwertige Menschen sein, die vorwärts, rückwärts und nach innen schauen können. Aus diesem Grund befindet sich im Zentrum des Longpath-Abzeichens das Motiv einer Libelle. Libellen haben nicht zwei Augen, sondern Tausende von Miniaugen, mit denen sie in alle Richtungen gleich gut sehen können. Die Vision einer Libelle ist ein Kernelement des Longpath-Lebens.

Emotion: die Königin des 3-D-Schachs

Kehren wir noch einmal zu meiner Freundin Michelle zurück. Sie stand kurz davor, das bessere, robustere Material für das Sportstadion abzulehnen, rein auf Grundlage der Zahlen, die ihr analytisches Gehirn verarbeiten konnte. Allerdings wurde ihre Entscheidung auch durch emotionale Aspekte beeinflusst: Was war mit der Tatsache, dass sie ihr Team nicht enttäuschen wollte? Oder das Unbehagen in ihrem Bauch, dass sie den sofortigen Gewinn einiger weniger über den längerfristigen Gewinn für viele stellte? Schon möglich, dass sie trotz Berücksichtigung dieser Gefühle den Zahlen mehr Gewicht gegeben hätte. Schließlich leben wir in einer Welt, in der manchmal Kompromisse nötig sind. Aber sie verspürte