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Bestsellerautor Linwood Barclay ("Ohne eine Wort") schreibt seine "Lügen-Trilogie" weiter! Auf "Lügennest" folgt nun der zweite Band der Thriller-Reihe, "Lügennacht". Alles beginnt mit einem Unfall. Das Autokino von Promise Falls wird schließen und lädt zur letzten Vorstellung ein. Doch dazu kommt es nicht: Kurz bevor der Film beginnt, kracht die Leinwand herunter und begräbt vier Leute unter sich. Unter den Opfern sind Adam und Miriam Chalmer. Als am nächsten Tag in ihr Haus eingebrochen wird, zieht ihre Tochter den Privatermittler Cal zu Rate. Dieser entdeckt nicht nur ein geheimes Zimmer, das den vielsagend Namen "pleasure room" trägt, sondern auch, dass eine Menge DVDs mit pikantem Inhalt gestohlen wurden. Plötzlich gibt es eine ganze Reihe von Verdächtigen - und Cal beginnt sich zu fragen, ob der Unfall wirklich einer war... "Spannend, spannender, Linwood Barclay - mit einem Roman des kanadischen Bestsellerautors erlebt man Thrill-Time de luxe." Literaturmarkt.info
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Seitenzahl: 621
Linwood Barclay
LÜGENNACHT
Promise Falls II Thriller
Aus dem Englischen von Silvia Visintini
Knaur e-books
Für Neetha
Die werden sich noch wundern.
Sie beschlossen, dass Derek in den Kofferraum sollte.
Vor der Abfahrt fanden noch alle vier es cool, einen von ihnen hineinzuschmuggeln. Auch Derek Cutter. Nicht, weil sie sich keine vierte Karte leisten konnten, darum ging es nicht. Sie waren einfach der Meinung, dass die Situation es erforderte. Wurde es nicht sogar von ihnen erwartet?
Es war schließlich die letzte Gelegenheit. Wie so viele andere Firmen in und um Promise Falls machte jetzt auch das Constellation dicht, das Autokino der Stadt. Bei all den Multiplex-Kinos, 3-D-Leinwänden, DVDs und Filmen, die man sich zu Hause runterladen und Sekunden später ansehen konnte, wer fuhr da heute noch ins Autokino? Außer zum Rummachen. Und selbst das war mittlerweile kein Grund mehr, sich einen Film unterm Sternenzelt anzugucken. Denn im Vergleich zu den Straßenkreuzern aus den Anfangszeiten des Autokinos waren die modernen Autos klein und unbequem.
Trotzdem hatte sich das Autokino sogar für Leute aus Dereks Generation einen Hauch von Nostalgie bewahren können. Er erinnerte sich noch, wie seine Eltern ihn zum ersten Mal mitgenommen hatten. Acht oder neun war er damals gewesen und schrecklich aufgeregt. Drei Filme hintereinander, jeder für ein anderes Publikum gedacht. Zuerst für die Jüngsten, zum Schluss für die Erwachsenen. Am Anfang wurde ein Teil von Toy Story gezeigt – Derek hatte extra zwei seiner Spielfiguren mitgebracht, Buzz Lightyear und Woody. Dann irgendeine romantische Komödie mit Matthew McConaughey aus der Zeit, in der er nur so schwachsinniges Zeug gedreht hatte, und zum Schluss ein Film aus der Jason-Bourne-Reihe. Derek wäre schon bei Toy Story beinahe eingeschlafen. Seine Eltern hatten ihm auf dem Rücksitz ein Bett gemacht, wo er ratzen konnte, während sie sich den zweiten und dritten Film ansahen.
Derek sehnte sich nach dieser Zeit. Als seine Eltern noch zusammen waren.
An diesem Abend lief im Constellation einer dieser haarsträubenden Transformers-Filme, in denen außerirdische Roboter die Erde bevölkern und dort – ein Hoch auf die Schleichwerbung! – als Chevrolets oder Lkws getarnt ihr Unwesen treiben. Um ein Auto in einen Roboter zu verwandeln, bedurfte es einer Unzahl von Spezialeffekten. Ständig flog irgendetwas in die Luft oder Häuser krachten zusammen. Es war einer dieser Filme, für die sich keines der Mädchen, die sie kannten, interessierte. Und sosehr die Jungs auch auf sie einredeten, dass es nicht um den Film ging, sondern um das historische Ereignis, das dieser Abend im Autokino darstellte, keines ließ sich breitschlagen.
Die Jungs wussten selbst, dass der Film das Letzte war. Alle waren sich einig, dass man sich so einen Schrott nur betrunken ansehen konnte, egal ob in einem Auto- oder einem normalen Kino. Oder zu Hause. Daraus entwickelte sich eine Diskussion darüber, dass sie nicht nur eine zusätzliche Person ins Autokino schmuggeln wollten, sondern mehrere Sixpacks Bier.
Doch die letzte Vorstellung im Constellation war nicht das Einzige, was diesen Abend zu einem historischen Ereignis machte. Auch das akademische Jahr am Thackeray College ging zu Ende, und damit Dereks Studentenzeit. Vier Jahre Studium hatten ihn allerdings nicht auf das Leben danach vorbereitet. Er hatte keinerlei Aussichten auf einen Job, außer vielleicht wieder bei seinem Vater: Rasen mähen, Sträucher pflanzen, Hecken schneiden. Acht Semester, um einen Laubbläser zu schwingen? Das wollte nicht einmal sein Vater für ihn. Aber es gab Schlimmeres, als Seite an Seite mit seinem Vater zu arbeiten.
Heute Abend würde er jedoch nicht an seine Berufsaussichten denken und auch nicht an die anderen Dinge, die ihm schon eine Weile schwer auf der Seele lasteten.
Da war zunächst der Tod eines Freundes, das Sinnloseste vom Sinnlosen. Der Junge kommt aufs College, besucht Vorlesungen, schreibt Aufsätze, macht in der Theatergruppe mit, kümmert sich um seinen eigenen Kram, genau wie alle anderen, und dann, eines Abends, jagt ihm ein Wachmann vom Campus eine Kugel in den Kopf, weil er meint, einen Vergewaltiger auf frischer Tat ertappt zu haben.
Derek verstand noch immer nicht, wie es dazu hatte kommen können.
Aber da war noch etwas. Etwas noch Größeres.
Derek war Vater.
Er hatte ein Kind. Ein Kind!
Einen Sohn namens Matthew.
Die Neuigkeit hatte nicht nur ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Auch die Mutter war verblüfft. Schon das klang irgendwie absurd, aber die ganze Geschichte war absurd, ganz und gar abwegig, und Derek kannte noch immer nicht alle Einzelheiten. Dass die Frau schwanger war, hatte er gewusst. Doch er hatte geglaubt, das Baby wäre bei der Geburt gestorben. Dem war aber nicht so, wie sich herausstellte. Seit er das wusste, hatte er ein paarmal mit ihr – Marla hieß sie – gesprochen und sie besucht, mit seinem Vater im Schlepptau. Er tastete sich noch immer voran, versuchte zu verstehen, welche Verantwortung er eigentlich trug.
»Hallo?«
»Häh?«, sagte Derek.
Es war Canton Schultz. Flankiert von George Lydecker und Tyler Gross, Dereks anderen Freunden vom College, stand er in der geöffneten Fahrertür seines viertürigen Nissan.
»Wir haben gerade abgestimmt«, sagte Tyler.
»Was?«
»Während du vor dich hin geträumt hast, haben wir abgestimmt«, sagte George. »Du bist’s.«
»Ich bin was?«
»Du bist der, der in den Kofferraum muss.«
»Nie im Leben. Ich will nicht in den Kofferraum.«
»Tja, Pech gehabt«, sagte Canton. »Wir haben die ganze Zeit hier gestanden und darüber geredet, und du hast keinen Ton gesagt, also haben wir eine Entscheidung getroffen. Außerdem ist das ein total wichtiger Job. Der im Kofferraum ist der Hüter des Biers.«
»Scheiße«, sagte Derek. »Aber jetzt quetsch ich mich da noch nicht rein. Die Fahrt dauert zehn Minuten. Kurz bevor wir da sind, halten wir an, dann leg ich mich die zwei Minuten rein, bis wir drin sind.«
Derek hatte so gar kein Verlangen, in einen Kofferraum gesperrt zu werden. Keine zwei und erst recht keine zehn Minuten. Als Siebzehnjähriger hatte er, versteckt im Keller des Hauses eines Freundes, mit anhören müssen, wie drei Menschen ermordet wurden.
Mit angehaltenem Atem, damit der Mörder nicht auf ihn aufmerksam wurde.
Die Sache erregte damals in Promise Falls großes Aufsehen. Ein bekannter Anwalt, seine Frau und sein Sohn, alle drei hingerichtet. Eine Zeitlang hatte die Polizei sogar Derek im Verdacht, aber schließlich wurde der Mörder gefasst, und alles kam wieder ins Lot. Abgesehen davon, dass Derek mehr oder weniger fürs Leben gezeichnet war.
Gut, vielleicht nicht fürs Leben. Er hatte die Kurve gekriegt, wieder ein normales Leben geführt, die Schule besucht, neue Freunde gewonnen. Die Trennung seiner Eltern hatte ihn viel schwerer getroffen. In einen Kofferraum legte er sich trotzdem nicht so gern.
Enge Räume waren nicht Dereks Ding.
Als Weichei zu gelten, war aber auch nicht sein Ding. Deshalb hatte er vorgeschlagen, sich erst kurz vor ihrer Ankunft im Autokino in den Kofferraum zu legen. Ein vernünftiger Vorschlag, wie alle fanden. Also verstauten sie erst das Bier im Kofferraum und stiegen dann selbst in den Wagen. Canton setzte sich ans Steuer, George neben ihn, Derek und Tyler saßen hinten.
Es war schon dunkel, und sie würden bestimmt erst nach elf im Constellation ankommen. Der erste Film war wahrscheinlich schon fast vorbei, doch der interessierte sie ohnehin nicht, das war meistens was für Kinder. Nicht, dass ein Transformers-Film nichts für Kinder gewesen wäre, aber zum Auftakt wurde bestimmt ein Zeichentrickfilm gezeigt, bei dem sich niemand fürchten musste. Selbst wenn sie den Anfang der Transformers versäumten, hatten sie nicht wirklich etwas verpasst. Und später wären sie sowieso zu betrunken, um sich noch um die Handlung zu scheren.
Für den Kofferraum hatte Derek sich nicht freiwillig gemeldet, doch als Sprudeldepp für die Heimfahrt hatte er sich angeboten, und alle waren damit einverstanden gewesen. Ein, zwei Flaschen Bier für ihn, mehr nicht. Er würde alle sicher nach Hause bringen.
Und danach? Derek hatte keine Ahnung, wann er sie wiedersehen würde. Canton und Tyler würden nach Pittsburgh beziehungsweise nach Bangor zurückkehren. George Lydecker war wie Derek ein Einheimischer, aber sich regelmäßig mit ihm zu treffen konnte Derek sich nicht vorstellen. Ihm fiel eine Redewendung seines Großvaters ein, mit dem dieser Leute wie George beschrieb: »Der hat nicht alle Fünfe beisammen.«
Für Derek war er eher eine »tickende Zeitbombe«. Nach dem Motto: Erst handeln, dann denken, hatte er zum Beispiel den Smart eines Professors umgeworfen und auf dem Dach liegen lassen. Oder einen jungen Alligator aus der Zoohandlung im Teich des Thackeray College ausgesetzt. (Niemand hatte ihn bisher gefunden.) George hatte sich sogar damit gebrüstet, nachts in fremde Garagen eingebrochen zu sein, nur so, wegen des Nervenkitzels, obwohl er dort untergebrachtes Werkzeug oder ein Fahrrad durchaus nicht verschmäht hatte.
Als hätte George Dereks Gedanken gelesen, setzte er in diesem Augenblick zu einer monumentalen Dummheit an.
Während sie auf der Landstraße dahinbrausten, die am Südrand der Stadt entlangführte, ließ er das Fenster auf seiner Seite herunter. Kühle Nachtluft strömte herein. Ehe Derek sich versah, hatte George den Arm aus dem Fenster gestreckt.
Es gab einen lauten Knall. Und gleich darauf ein PING!
»Scheiße!«, sagte Derek. »Was war das denn?«
George zog den Arm zurück, drehte sich um und grinste. Stolz zeigte er die Waffe in seiner Hand.
»Ich schieß nur auf Verkehrsschilder«, sagte er. »Diese Geschwindigkeitsbegrenzung hab ich voll erwischt.«
»Spinnst du komplett?«, schrie Canton ihn an. »Was soll das?«
»Steck die weg!«, brüllte Derek. »Arschloch, blödes.«
George verzog das Gesicht. »Kommt schon, macht euch locker. Ich weiß, was ich tu.«
»Wo hast du die her?«, fragte Tyler. »Hast du die auch aus einer Garage geklaut?«
»Das ist meine, wenn’s dich beruhigt«, antwortete George. »Ist doch nichts dabei. Wollte nur ein bisschen auf die Leinwand ballern. Ich mein, wenn die das Ding doch eh demnächst abbauen, is doch scheißegal, wenn da ein paar Löcher drin sind.«
»Bist du echt so dämlich?«, fragte Canton. »Da sind Hunderte von Leuten, viele mit kleinen Kindern. Glaubst du wirklich, du kannst da rumballern, ohne dass fünf Minuten später ein Sondereinsatzkommando auf der Matte steht und dich abführt, du Blödarsch?«
»In Promise Falls gibt’s ein SEK?«
»Darum geht’s doch nicht. Es geht –«
»Kriegt doch eh keiner mit, wenn die Transformers gerade einen Haufen Wolkenkratzer demolieren. Laut isses auf jeden Fall.«
»Du bist unfassbar«, sagte Tyler.
George legte die Waffe in den Schoß. »Is ja gut«, sagte er. »Ich hätt’s ja nicht wirklich getan. Wollte nur auf ein paar Schilder schießen, einen Briefkasten vielleicht.«
Die drei anderen schüttelten den Kopf.
»Idiot«, murmelte Derek.
»Ich hab doch gesagt, is gut«, sagte George. »Mein Gott, ihr seid vielleicht Muschis. Bin ich froh, wenn ich hier endlich wegkomm.« Er hatte schon verkündet, dass er am übernächsten Tag nach Vancouver aufbräche.
Sie fuhren schweigend weiter. Nach einigen Minuten sagte Canton: »Wie wär’s hier?«
»Häh?«, machte Tyler.
»Hier wär’s gut. Kein Mensch in der Nähe. Derek, hier kannst du umsteigen.«
»Muss das wirklich sein?«, fragte Derek. »Ist doch doof.«
»Ist Tradition. Das gehört sich einfach. Wenn du ins Autokino fährst, schmuggelst du jemanden rein. Das wird erwartet. Wenn du’s nicht tust, sind die Betreiber gekränkt.«
Derek fügte sich in sein Schicksal. »Wenn’s denn sein muss.«
Der Kies am Straßenrand knirschte, als der Wagen anhielt. Derek stieg aus, warf George einen vernichtenden Blick zu und ging nach hinten. Mit dem kleinen Hebel neben dem Fahrersitz hatte Canton den Kofferraum bereits geöffnet, stieg aber aus, um den Deckel zu schließen, sobald Derek drinnen lag.
Derek stand da und starrte in den gähnenden Hohlraum. »Richtig groß ist das hier nicht«, bemerkte er.
»Steigst du jetzt ein oder was?«, fragte Canton.
Derek nickte, drehte sich um und schob sein Hinterteil als Erstes hinein.
»Hör auf rumzumosern«, sagte Canton. »Klar, ein Oldsmobile ist das nicht. Aber sobald wir drin sind, kannst du ja raus. Fünf Minuten, Maximum.«
»Ich hasse das«, sagte Derek.
»Was ist da groß –« Canton brach mitten im Satz ab. »Ach, du Scheiße! Es ist wegen dieser Sache damals, stimmt’s? Als du dich in diesem Haus versteckt hast.«
»Geht schon.«
»Nein, ich tu’s. Ich leg mich rein, und du steigst wieder vorn ein.«
»Ich hab doch gesagt, ich tu’s.«
Zu seiner Erleichterung bemerkte Derek den Nothebel im Kofferraum, mit dem man diesen auch von innen öffnen konnte. Er zog den Kopf ein und die Beine hoch. Schließlich lag er auf der Seite, die Beine angezogen, die Sixpacks darunter.
»Gut. Dass du mir aber ja nicht zu kreischen anfängst oder so«, sagte Canton und schlug den Deckel zu.
Es war beinahe stockdunkel. Bis auf einen roten Schein von der Rückseite der Heckleuchten. Derek spürte, wie der Wagen auf den Asphalt zurückfuhr und beschleunigte.
Trotz der Rückbank, die ihn von seinen Freunden trennte, konnte er sie reden hören.
»Cool bleiben«, sagte Canton.
»Schon klar«, sagte Tyler. »Oder meinst du, ich sage ›Wir haben nix im Kofferraum!‹? Bin doch kein Idiot. So wie George.«
»Leck mich«, sagte George.
»So, da wären wir«, sagte Canton. »Mensch, da ist ja noch immer eine Schlange.«
»Höchstens zehn Autos. Das geht schnell.«
Derek suchte eine bequemere Lage. Er hoffte, es würde nicht zu lange dauern, bis sie Eintrittskarten gekauft und einen Parkplatz gefunden hatten. Er wusste, dass er sich das nur einbildete, doch er hatte das Gefühl, als ginge ihm die Luft aus, als fiele ihm das Atmen immer schwerer. Sein Herzschlag schaltete in den zweiten Gang.
Er spürte, wie der Nissan ein wenig zur Seite schwenkte. Wahrscheinlich näherte sich Canton dem Tor, wo er sich für eine der beiden Kassenbuden entscheiden musste. Gleich dahinter, genauer gesagt, direkt über ihnen, ragte die Rückseite der 20 Meter hohen Leinwand in den Himmel. Sobald sie die Eintrittskarten gekauft hatten und durch das Tor gefahren waren, würde der Wagen durch eine Öffnung in dem etwa drei Meter hohen Begrenzungszaun fahren, der nichtzahlende Besucher abhalten sollte.
Canton würde bis zum Imbissstand am anderen Ende des Geländes fahren und dort wenden. Sobald sie einen Platz gefunden hätten, von dem aus sie einen guten Blick auf die Leinwand hatten, würden sie Derek aus dem Kofferraum lassen.
Aber als Erstes mussten sie durchs Tor.
Der Wagen blieb stehen, schlich ein paar Zentimeter weiter. Blieb stehen, schlich weiter.
Mach schon, mach schon, mach schon.
Endlich hörte Derek Canton rufen: »Drei Karten.«
Dann, nicht ganz so deutlich, die Stimme eines Mannes. »Nur ihr drei?«
»Jap, nur wir drei.«
»Zehn Dollar für jeden.«
»Hier, bitte.«
Eine kurze Pause, dann wieder die Stimme des Mannes. »Seid ihr sicher, dass ihr nur zu dritt seid?«
Canton. »Jap.«
Tyler: »Nur wir drei.«
George: »Kannst du nicht zählen?«
Scheiße, dachte Derek. Was war heute los mit George?
Der Kartenverkäufer sagte: »Und ihr wisst, dass Alkohol verboten ist. Ihr dürft nichts Derartiges mit rein bringen.«
»Natürlich nicht«, sagte Canton.
Noch eine Pause.
Dann: »Ich muss euch bitten, den Kofferraum zu öffnen.«
»Wie bitte?«, sagte Canton.
»Kofferraum. Aufmachen.«
Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße.
Na, wenn schon, was konnte groß passieren? Dereks Meinung nach eins von drei Dingen. Wenn der Mann ihn und das Bier im Kofferraum entdeckte, konnte er ihnen verbieten, weiterzufahren. Oder zehn Dollar von Derek verlangen, das Bier konfiszieren und es ihnen bei der Ausfahrt zurückgeben. Oder der Mistkerl rief die Polizei.
Letzteres hielt Derek für ziemlich unwahrscheinlich. Die Bullen rufen, nur weil jemand sich ins Autokino schmuggeln ließ? Der Typ überlegte es sich bestimmt zweimal, bevor er die Polizei von Promise Falls tatsächlich mit so einer Bagatelle behelligte.
Im Moment war Derek so ziemlich alles recht, sogar eine Untersuchung all seiner Körperöffnungen. Hauptsache, er kam hier so schnell wie möglich raus.
»Äh, ich glaube nicht, dass Sie das Recht dazu haben«, sagte Canton.
»Ach ja?«, sagte der Mann.
»Ja. Ich glaube nicht, dass Sie dazu befugt sind. Sie verkaufen doch hier nur Eintrittskarten.«
»Tatsächlich. Nun, ich heiße Lionel Grayson, und ich bin der Besitzer und Betreiber dieses Kinos, und wenn ihr den Kofferraum nicht aufmacht, ruf ich die Polizei.«
Vielleicht war es doch wahrscheinlicher, als Derek gedacht hatte. Mir auch recht.
»Na gut«, sagte Canton.
Derek hörte, wie die Fahrertür aufging. Aber dann wurde noch eine geöffnet. Auf der anderen Seite des Wagens. Tyler hatte hinter Canton gesessen. Das hieß, dass George gerade ausstieg.
»Mensch, George, was hast du –«
Den Rest hörte Derek nicht, denn in diesem Moment wurden beide Türen zugeschlagen.
»Das ist doch heute der letzte Abend bei euch«, sagte Canton. »Wir wollten doch nur ein bisschen Spaß und –«
Die Stimme des Mannes, dieses Mr. Grayson, klang jetzt näher. »Aufmachen. Wird’s bald?«
»Schon gut. Schon gut.«
Dann George. »Wir sind hier in Amerika, Mann. Ist dir das klar? Glaubst du, nur weil du so ein mickriger Kartenverkäufer bist, kannst du gegen unsere Grundrechte verstoßen?«
»Lass gut sein, George.«
Alle drei Stimmen jetzt hinten am Wagen. Derek war sich noch immer ziemlich sicher, dass Lionel Grayson nicht die Polizei rufen würde. Er würde sie einfach in die Wüste schicken. Derek hatte schon einen Plan. Sie würden zu ihm nach Hause fahren und sich einen Transformers-Film herunterladen. Den würden sie sich auf seinem Flachbildschirm ansehen und sich dabei besaufen.
Dann musste er auch nicht mehr den Sprudeldepp –
Peng.
Nein, es war viel mehr. Viel, viel mehr als nur ein Peng. Im Kofferraum hörte es sich wie ein Überschallknall an. Der ganze Wagen schien zu beben.
Von der Leinwand konnte er nicht gekommen sein. Um zu hören, wie beispielsweise ein Transformers-Roboter explodierte, hätte er im Auto sitzen und das Radio auf die richtige Frequenz eingestellt haben müssen.
Und selbst für einen normalen Kinosaal wäre der Knall zu laut gewesen.
Er hatte sehr nahe geklungen.
George.
War er wirklich so dämlich gewesen? War er mit der Waffe ausgestiegen? Hatte er dem Betreiber damit vor der Nase herumgefuchtelt? Hatte er abgedrückt?
So ein blöder, blöder, blöder Hund. Bei so was Lächerlichem erwischt zu werden, war doch selbst für George hoffentlich kein Grund, jemanden abzuknallen.
Schreie ertönten. Viele Schreie. Aber sie kamen von weiter weg.
»Grundgütiger!«, rief jemand. Derek war ziemlich sicher, dass es Canton war.
Dann: »O Gott!« Das klang sehr nach George.
Derek klopfte wie wild die Rückwand des Kofferraums ab. Sein Herz raste. Ihm war sofort der Schweiß ausgebrochen. Endlich fand er den Nothebel, riss daran.
Der Kofferraumdeckel schwang auf.
Canton war da und George war da. Und noch ein dritter Mann. Ein Schwarzer, Lionel Grayson wahrscheinlich. Keiner von ihnen würdigte den Kofferraum eines Blickes. Im Gegenteil, alle standen mit dem Rücken zu Derek. Etwas ganz anderes nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.
Derek setzte sich so abrupt auf, dass er mit dem Kopf an die Kofferraumkante schlug. Instinktiv legte er die Hand auf die wunde Stelle, doch er fühlte keinen Schmerz, blickte nur gebannt auf die Szene, die sich vor ihm abspielte.
Er traute seinen Augen kaum.
Die Leinwand des Constellation Autokinos, hoch wie ein vierstöckiges Haus, kippte um.
Als würde sie von einem heftigen Sturm umgeweht, senkte sie sich langsam nach vorne, zum Parkplatz hin, während vom unteren Rand her, die ganze Leinwandbreite entlang, dunkler Rauch hervorquoll.
Doch es wehte nicht das leiseste Lüftchen.
Die riesige Wand schlug krachend auf dem Boden auf und brachte die Erde um sie herum zum Beben. Wolken aus Rauch und Staub breiteten sich über den Zaun hinweg zum Himmel aus.
Einen Augenblick herrschte lähmende Stille. Weniger als eine Sekunde. Dann ertönte eine erstickte Symphonie von Autoalarmanlagen, Brüllen und Kreischen, eine Kakophonie der Panik.
Und noch mehr Schreie. Noch viel, viel mehr Schreie.
»Hallo? Georgina?«
»Nein, hier ist nicht Georgina. Ich bin’s. Hast du gehört, was passiert ist?«
»Ich warte schon die längste Zeit, dass Georgina nach Hause kommt, oder anruft, Bescheid gibt, wo sie ist. Was ist los?«
»Das verdammte Autokino ist zusammengekracht.«
»Was?«
»Die scheiß Leinwand ist umgekippt. Wie eine riesige Mauer.«
»Wahnsinn. Aber es ist doch ohnehin geschlossen, oder? Dann wurde ja niemand verletzt oder –«
»Nein, hör zu. Heute Abend war die letzte Vorstellung. Es ist knallvoll. Es ist gerade erst passiert. Die Rettung ist noch unterwegs.«
»Mein Gott.«
»Hör mal, wir haben ein Problem.«
»Was meinst du damit?«
»Ich hab Adam gesehen.«
»Was? Wo? Wo hast du ihn gesehen?«
»Adam und Miriam. Als ich am Autokino vorbeifuhr. Autos sind reingefahren, da hab ich Adams Jaguar gesehen, ganz kurz. Du weißt schon, dieses alte Cabrio. Das waren bestimmt Adam und Miriam. So einen Wagen gibt’s in Promise Falls kein zweites Mal. Ich bin einen Kaffee trinken gegangen, und da hab ich die Explosion gehört –«
»Es war eine Explosion?«
»Egal, was es war. Als ich’s gehört hab, bin ich zurückgefahren. Wollte sehen, was los ist. Der Jaguar ist hinüber. Ich hab nur das Heck gesehen, der Rest war verschüttet.«
»O Gott, das ist ja furchtbar. Ich kann’s nicht glauben. Adam und Miriam, vielleicht sind sie ja noch rechtzeitig –«
»Nein, ausgeschlossen. Ist dir klar, was das heißt?«
»Sie sind tot, ja, das ist grauenhaft. Mein Gott.«
»Das ist noch das Wenigste. Wenn sie tot sind, muss jemand ihr Haus räumen, ihre Sachen durchsehen. Die nächsten Verwandten. Adams Tochter, wie heißt die noch mal?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Bist du noch da?«
»Ja.«
»Weißt du jetzt, was das heißt?«
»Ja.«
Cal
»Das war köstlich, Celeste«, sagte ich. »Danke noch mal.«
»Du weißt, du bist hier immer willkommen«, sagte meine Schwester, die mir am Küchentisch gegenübersaß. »Willst du dir was von den Tortellini mitnehmen? Ich hab jede Menge davon. Ich kann dir welche in eine Dose tun.«
»Mach dir keine Umstände.«
»Ich weiß, du kannst es schon nicht mehr hören, aber du weißt, dass du auch gern hier wohnen kannst. Wir haben zwei Gästezimmer.« Sie sah Dwayne an, der rechts von ihr saß. »Stimmt doch, oder?«
Dwayne Rogers wandte sich mir zu. »Natürlich. Wir würden uns freuen«, sagte er ausdruckslos.
Abwehrend hob ich die Hand. Ich wollte genauso wenig hier wohnen wie Dwayne mich hier haben wollte.
»Nein, lass mich ausreden, Cal«, sagte Celeste. »Ich sag ja nicht, dass du den Rest deines Lebens bei uns bleiben sollst. Nur bis du was Ordentliches findest.«
»Ich hab doch was Ordentliches«, erinnerte ich sie. Celeste war zwei Jahre älter als ich, und für sie war und blieb ich ihr kleiner Bruder, obwohl wir beide inzwischen die Vierzig überschritten hatten.
»Ich bitte dich«, sagte sie. »Ein Zimmer über einem Laden für gebrauchte Bücher. Das ist doch kein Zuhause.«
»Mehr brauch ich nicht.«
»Er sagt, mehr braucht er nicht«, wiederholte Dwayne für seine Frau.
Sie nahm keine Notiz von ihm. »Ein Zimmer ist es, mehr nicht. Du brauchst ein richtiges Haus. Du hast mal in einem richtigen Haus gelebt.«
Ich lächelte trüb. »Ich brauch kein großes, leeres Haus. Den Platz, den ich brauch, den hab ich.«
»Weißt du, was ich glaube?«, fuhr Celeste fort. »Du kannst nicht loslassen, weil du in diesem elenden Loch haust.«
»Mensch, jetzt hör schon auf«, sagte Dwayne. Er stieß seinen Stuhl zurück und holte sich das fünfte Bier aus dem Kühlschrank. Geschätzt. »Wenn er zufrieden ist, da, wo er lebt, dann lass ihn doch.«
»Dich geht das gar nichts an«, sagte Celeste zu ihrem Mann.
»Cal geht’s doch gut«, sagte Dwayne. »Dir geht’s doch gut, oder?«
»Mir geht’s gut«, sagte ich. »Dwayne hat absolut recht.«
Er schraubte den Verschluss ab, nahm einen kräftigen Schluck. »Ich geh mal Luft schnappen«, sagte er.
»Tu das«, sagte Celeste und, mit einem erleichterten Blick, als ihr Mann gegangen war: »Manchmal ist er ein richtiges Arschloch.« Sie lächelte. »Ich darf das sagen, er ist mein Mann.«
Ich rang mir ein Grinsen ab. »Er ist schon in Ordnung.«
»Er kapiert’s nicht. Er meint, man muss sich mit allem abfinden, egal was es ist. Solang’s den anderen passiert, natürlich.«
»Vielleicht hat er ja recht. Man muss loslassen.«
»Ach, komm«, sagte sie. »Wenn es jemand anderem passiert wär, wenn du jemand kennen würdest, dessen Frau und Sohn, die beide, du weißt schon …«
»Ermordet wurden«, sagte ich.
»Genau. Würdest du dem das auch sagen? Finde dich damit ab?«
»Nein«, sagte ich, »aber ich würde ihn auch nicht ständig piesacken.«
Miserable Wortwahl. Das war mir klar, kaum dass ich es ausgesprochen hatte.
»Tu ich das?«, fragte Celeste. »Dich piesacken?«
»Nein«, sagte ich rasch. Ich streckte meine Hand aus und ergriff ihre. Die Absurdität der Szene war mir wohl bewusst. Hier saß ich und tröstete sie darüber hinweg, dass sie mich nicht trösten durfte. »So hab ich das nicht gemeint.«
»Tut mir leid, wenn ich das tu«, sagte sie. »Ich glaube nur, dass man krank wird, wenn man sich diesen Dingen nicht stellt, wenn man seinen Gefühlen kein Ventil gibt.«
Und wann würde Celeste es endlich über sich bringen, das bei Dwayne zu tun? Sich ihm zu stellen, ihren Gefühlen ein Ventil zu geben.
»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen. Wirklich. Aber mir geht’s gut. Ich mache Fortschritte.« Ich schwieg einen Augenblick. »Was anderes bleibt mir auch nicht übrig. Ich habe Arbeit hier. Ich bekomme Empfehlungen.«
Zum Beweis hatte ich meiner Schwester eine meiner neuen Visitenkarten gegeben. Cal Weaver: Private Ermittlungen in schwarzem, erhabenem Druck. Eine Mobilnummer. Sogar eine Webseite und eine E-Mail-Adresse. Vielleicht würde ich demnächst auch noch auf Twitter gehen.
»Ich mache mir Sorgen um dich, da in dieser Wohnung«, sagte sie.
»Mir gefällt’s da. Der Inhaber der Buchhandlung, er ist auch der Hausbesitzer, ist ein anständiger Vermieter, und eine gute Auswahl an Lesestoff hat er auch. Ich fühl mich wohl.«
Wenn ich es oft genug sagte, glaubte ich vielleicht selbst bald daran.
»Das war klug von dir, von Griffon wieder hierherzuziehen. Nach … du weißt schon.«
Celeste wollte, dass ich mich den Dingen stellte, die geschehen waren, brachte es selbst aber nie über sich, diese Dinge beim Namen zu nennen. Mein Sohn Scott war von einem Gebäude gestoßen, und meine Frau Donna erschossen worden. Von den Verantwortlichen für den Tod der beiden war der eine selbst tot und der andere saß im Gefängnis.
»Ich hab’s dort nicht ausgehalten«, sagte ich. »Augie hat vernünftigerweise auch das Weite gesucht. Sie sind unten in Florida.« Donnas Bruder Augustus, Polizeichef von Griffon, war in Frührente gegangen und mit seiner Frau in wärmere Gefilde entschwunden.
»Habt ihr Kontakt?«
»Nein«, sagte ich. Einige Sekunden später fragte ich sie mit einer Kopfbewegung Richtung Haustür: »Wie geht’s ihm?«
Celeste rang sich ein Lächeln ab. »Er ist einfach schlecht drauf.«
»Alles in Ordnung mit euch beiden?«
»Er kriegt nicht mehr so viele Aufträge von der Stadt.« Dwayne hatte einen Asphaltbaubetrieb.
»Sie haben den Sparstift angesetzt. Erst wenn ein Schlagloch groß genug ist, dass ein ganzes Auto drin verschwindet, ist es Zeit, es zu füllen. Neunzig Prozent seines Umsatzes macht Dwayne mit Aufträgen von der Stadt. Straßenreparaturen hat Promise Falls schon immer an externe Firmen vergeben. Die lassen einfach alles vor die Hunde gehen, so kommt’s mir jedenfalls vor. Ich hab gehört, dass dieser Finley bei der Bürgermeisterwahl wieder kandidieren will. Vielleicht kriegt er ja die Dinge hier wieder auf die Reihe.«
Ich wusste nicht viel über ihn, außer dass seine erste Amtszeit böse geendet hatte. Wir hatten damals in Griffon gelebt.
»Das wird schon wieder«, sagte ich, weil ich es für angebracht hielt. Vielleicht war das ja der Grund, warum Celeste wollte, dass ich bei ihnen einzog. Sie wusste, ich würde darauf bestehen, für Kost und Logis zu bezahlen. Aber ich konnte hier nicht wohnen, nicht unter diesem Dach. Nicht mit einem Kontrollfreak wie meiner Schwester und ihrem Ehemann, diesem griesgrämigen Biervernichter. Was aber nicht hieß, dass ich nicht helfen konnte.
»Bist du knapp bei Kasse?«, fragte ich. »Wenn du Geld brauchst, nur um über die Runden –«
»Nein«, sagte Celeste. »Das könnte ich nicht annehmen.« Doch damit hatte sich ihr Protest. Wartete sie darauf, dass ich mein Angebot wiederholte?
Das nächste Mal.
Ich stand auf, küsste Celeste auf die Wange und legte ihr einen Arm um die Schulter. Auf dem Weg zur Haustür hörte ich Sirenen.
Als ich aus dem Haus trat, fuhr der letzte von etwa einem halben Dutzend Rettungswagen mit großem Geheule die Straße entlang. Dwayne stand mit seinem Bier in der Hand am Verandageländer und sah den davonrasenden Fahrzeugen verächtlich grinsend nach.
»Für diese Pfeifen gibt’s immer Arbeit«, sagte er. »Dass die Stadt denen den Hahn abdreht, werden wir wohl nie erleben, was?«
Derek rannte los. Nicht davon, nicht zurück zur Straße, sondern durchs Tor hindurch auf das Gelände des Autokinos. Dorthin, woher die Schreie kamen.
Ein Zaun, der die Einfahrt vom Kinobereich trennte, hinderte Derek daran, direkt zur umgestürzten Leinwand zu gelangen. Er war zu hoch, um darüberzuklettern. Derek musste etwa fünfzig Meter laufen, bis er zur Unglücksstelle abbiegen konnte.
Mindestens hundert Autos befanden sich auf dem Parkplatz. Von seinen seltenen früheren Besuchen wusste Derek, dass kaum jemand in der ersten Reihe direkt vor der Leinwand parkte. Sowenig wie Leute in konventionellen Kinos gerne in der ersten Reihe saßen und sich zwei Stunden lang den Nacken verrenkten, legten Besucher von Autokinos Wert darauf, das Geschehen auf der Leinwand vorgebeugt und mit dem Kopf auf dem Armaturenbrett zu verfolgen.
Bei Cabrio-Besitzern verhielt es sich ein wenig anders.
Der Abend war zwar kühl, aber mit ein paar Decken auch wiederum nicht zu kühl, um das Verdeck aufzuklappen. Dach auf, Rückenlehnen nach hinten, und schon konnte man bequem zugucken.
Derek hätte wetten können, dass die Hecks der beiden Wagen, die von der umfallenden Leinwand zermalmt worden waren, zu zwei Cabrios gehörten.
Alle waren aus den Autos gesprungen. Manche standen daneben, zu geschockt, um etwas anderes zu tun, als die umgestürzte Leinwand anzusehen. Wagen, die nicht unter dem Schutt begraben waren, hatten trotzdem einiges abbekommen. Viele Windschutzscheiben waren geborsten. Einige der Kinobesucher, die ziellos herumliefen, merkten gar nicht, dass ihnen aus kleineren Verletzungen das Blut übers Gesicht lief. Andere hatten bereits ihre Handys gezückt. Die einen, um zu telefonieren, die anderen, um das Chaos zu filmen. Wahrscheinlich, um es auf Twitter und Facebook hochzuladen und später damit angeben zu können, dass sie die Ersten waren.
Alle schrien durcheinander.
»Ruft die Rettung!«
»Oh, mein Gott!«
»Terroristen! Das ist ein Terroranschlag.«
»Raus hier! Lauf! Lauf!«
Doch die Einzigen, die liefen, waren ein paar Männer, die wie Derek zur Leinwand rannten.
Als er sie erreichte, war er Teil einer Menge, die sich um die Hecks zertrümmerter Wagen scharte. Manche schwenkten die Arme, um sich den aufgewirbelten Staub aus dem Gesicht zu fächeln.
Überall wurde gehustet.
»Wir brauchen einen Kran!«, rief eine Stimme.
»Hat schon jemand die Rettung gerufen?«
»Wo zum Teufel bleibt die Feuerwehr?«
Die Szene erinnerte Derek an Bilder, die er in den Nachrichten gesehen hatte. Über die Auswirkungen von Erdbeben. Einstürzende Gebäude. Aber Derek glaubte nicht, dass das hier ein Erdbeben war. Nirgendwo klaffte ein Loch in der Erde. Nur die Leinwand war umgestürzt.
Und der Knall, den er gehört hatte, als er noch im Kofferraum lag, hatte für ihn wie eine Explosion geklungen. Verliefen unter dieser Leinwand vielleicht Gasleitungen? Gab es da Propangastanks für den Imbissstand, wo die Hot-dogs gegrillt wurden?
Oder lag der Typ, der was von Terroristen gebrüllt hatte, vielleicht gar nicht so falsch? Konnte das eine Bombe gewesen sein?
Aber was für einen Sinn ergab das? War das Teil des großen Plans von Al-Qaida, dem IS, oder wer sonst den Weltfrieden aktuell am meisten gefährdete? Wollten die Amerika damit in die Knie zwingen? Durch einen Bombenanschlag auf ein Autokino in einem Provinznest im Staat New York?
»Pack an!«, sagte ein Mann neben Derek.
Zusammen mit drei anderen Männern versuchte Derek ein Stück Leinwand von der Größe zweier übermannshoher, zentimeterdicker Sperrholzplatten von einem kleinen roten Wagen zu hieven. Die Abzeichen auf dem Kofferraum verrieten Derek, der sich mit Autos ein wenig auskannte, dass es sich um die Überreste eines alten Sportwagens, genauer gesagt eines Jaguars aus den sechziger Jahren, handelte.
»Eins … zwei … drei!«
Die Männer legten sich voll ins Zeug. Zu viert schafften sie es, das Teil so weit nach links zu verschieben, dass sie die Beifahrerseite des Zweisitzers freilegen konnten.
»Herrgott«, sagte jemand und übergab sich.
Ein Mensch. Oder das, was davon übrig war. Viel mehr war auf dem Beifahrersitz nicht zu erkennen. Der Kopf, kaum mehr als eine breiige Masse mit Knochenstücken, war in den Rumpf gestampft worden.
Für Derek sah es aus wie eine Frau.
Ein Mann mit einem etwas kräftigeren Magen trat vorsichtig heran und beugte sich über die Leiche. Zuerst dachte Derek, er wolle die tote Frau besser in Augenschein nehmen, doch der Mann versuchte, unter die Trümmer zu spähen, die den Blick auf den Sitz des Fahrers versperrten. Er hatte sein Handy aus der Tasche geholt, die Taschenlampen-App aktiviert und leuchtete jetzt die Fahrerseite aus.
»Der ist auch hinüber«, sagte er. »Schauen wir im anderen Wagen nach.«
In der Ferne waren Sirenen zu hören. Das tiefe, nebelhornähnliche Stöhnen von Feuerwehrwagen.
Der zweite Wagen – an den Heckleuchten erkannte Derek, dass es ein Mustang war – war unter noch mehr Trümmern begraben als der erste. Die Männer betrachteten ihn kopfschüttelnd.
»Die Feuerwehr hat vielleicht was, um das Zeug hochzuheben«, sagte Derek. »Ich glaube nicht, dass wir da was ausrichten können.«
»Hallo?«, brüllte jemand in den Holz- und Gipshaufen. »Hört mich jemand?«
Nichts.
Derek dachte kurz daran, was aus seinen sogenannten Freunden geworden war. Auf jeden Fall war keiner da, um zu helfen. Hatten wahrscheinlich die Gelegenheit genutzt und waren getürmt. Arschlöcher, alle miteinander.
»Diese Drecksäcke!«, rief ein Mann. »Diese verdammten Drecksäcke! Idioten!«
Derek wirbelte herum und erkannte den Mann, der in den Kofferraum hatte sehen wollen. Der Kinobesitzer. Lionel Grayson. Zuerst dachte Derek, der Mann spräche von seinen Freunden. Doch gleich darauf wurde ihm klar, dass seine Schimpfworte jemand anderem galten.
»Gottverdammte Idioten!«, schrie Grayson aus vollem Hals. Er hielt sich den Kopf mit den Händen und brach in Wehklagen aus. »O Gott, gütiger Gott!«
Derek machte einen Schritt auf ihn zu. »Wovon reden Sie?«, fragte er ihn. »Was für Idioten?«
Grayson hörte ihn nicht. Er blickte starr auf die Horrorszene vor ihm. »Nicht wahr«, flüsterte er. »Das ist nicht wahr.«
»Was für Idioten?«, fragte Derek noch einmal.
»Die Typen von der Abrissfirma«, antwortete Grayson, ohne ihn anzusehen. »Nächste Woche soll die runter … die sollten doch noch gar nicht … die sollten den Sprengstoff doch erst … ich versteh nicht … ich versteh nicht, wie das …«
Grayson fiel auf die Knie, sein Oberkörper schwankte. Derek und eine Frau, die in der Nähe stand, stürzten zu ihm, knieten sich hin und bewahrten ihn vor dem Umfallen.
Drei Rettungswagen rasten mit heulenden Sirenen und rotierenden Lichtern auf den Parkplatz. Man gab ihnen Zeichen, nach vorn zu kommen. Sanitäter sprangen aus den Wagen und rannten zu ihnen.
Derek dachte darüber nach, was der Kinobesitzer gesagt hatte. Dass die Leinwand bald abgerissen werden sollte. Dass es bereits einen Termin gab, aber erst später. Jemand hatte einen kapitalen Bock geschossen und dafür gesorgt, dass das Dynamit – oder was es sonst war – zu früh explodierte.
Und Menschen tötete.
Niemand würde sich mehr einen Dreck darum scheren, dass Derek sich ins Kino hatte schmuggeln wollen. Dessen war er sich ziemlich sicher.
Das Summen auf dem Nachttisch holte David Harwood aus dem Schlaf.
Er hatte sein Handy auf lautlos gestellt, ehe er das Licht ausgemacht hatte, weil er seine Eltern, die im Zimmer nebenan schliefen, nicht wecken wollte. Was seinen neunjährigen Sohn Ethan betraf, machte er sich keine Sorgen. Nichts, was wie ein Wecker klingelte, konnte ihm etwas anhaben – kraft einer besonderen Fähigkeit, die nur der Kindheit eigen ist. Don und Arlene Harwood hatten jedoch einen leichten Schlaf, und Davids Mutter konnte das nächtliche Klingeln eines Telefons in große Unruhe versetzen.
Es kündigte fast immer etwas Schlimmes an.
Und davon hatte es in letzter Zeit mehr als genug gegeben. Erst vor kurzem war Agnes – Davids Tante – gestorben. Sie hatte sich durch einen Sprung von der Brücke über den Wasserfall, dem Promise Falls seinen Namen verdankte, das Leben genommen. Arlene hatte das sehr getroffen. Nicht nur der Tod ihrer Schwester, sondern alles, was damit einherging.
Die jüngsten Ereignisse hatten von allen ihren Tribut gefordert. Von der Familie Harwood ebenso wie von Agnes’ Mann Gill. Ganz besonders aber von Marla, ihrer gemeinsamen Tochter.
Und zu allem Überfluss hatte es auch noch einen Brand gegeben. Dazu reicht es oft schon, dass jemand etwas auf den Herd stellt und es dann vergisst.
Die Küche im Haus von Davids Eltern wurde gerade renoviert. Die Löscharbeiten hatten auch noch einen großen Wasserschaden verursacht, insbesondere im Keller. Das einzig Positive dabei war, dass das Gebäude nicht bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. In ungefähr einem Monat würden Don und Arlene in ihr Haus zurückkehren können.
Doch im Augenblick wohnten sie bei David und Ethan, eine völlige Umkehrung der Verhältnisse. David hatte inzwischen Arbeit gefunden und konnte sich ein eigenes Haus leisten. Nach dem Brand hatte er nicht weit vom Haus seiner Eltern entfernt eines gefunden und gemietet.
David war erst vor einer Stunde, um halb elf, ins Bett gefallen. Es war ein langer Tag gewesen. Für Randall Finley zu arbeiten, dem Idioten zu einem politischen Comeback zu verhelfen, entsprach nicht gerade Davids Vorstellung von einem Traumjob. Aber was er dabei verdiente, ermöglichte es ihm, wenigstens im Moment, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und die Selbstachtung langsam zurückzugewinnen, die ihm abhandengekommen war, seit die letzte Zeitung, bei der er gearbeitet hatte, der Promise Falls Standard, pleitegegangen war.
Er hatte zwischen Baum und Borke gesessen – so sehr ihm als ehemaligem Journalisten abgedroschene Redewendungen zuwider waren, dies war die wohl treffendste Beschreibung seiner damaligen Situation. Er konnte seine Prinzipien über Bord werfen und sich vor den Karren eines Mannes wie Finley spannen lassen, oder ihnen treu bleiben und als Ernährer seines Sohnes versagen.
David hatte sein Mobiltelefon zwar stumm geschaltet, den Vibrationsalarm jedoch angelassen. Das Handy lag keinen Meter von seinem Kopf entfernt auf dem Nachttisch, dessen Holz das Vibrieren verstärkte und David weckte.
Er schlug die Augen auf, drehte sich auf die Seite und ergriff das Handy. Seine Augen mussten sich erst an die Helligkeit des Displays gewöhnen, trotzdem konnte er die Anzeige gleich entziffern.
»Herrgott«, murmelte er. Er stützte sich auf den Ellbogen und hielt sich das Telefon ans Ohr. »Ja.«
»Schon im Bett?«
David sah auf den Radiowecker. Es war 23:35 Uhr.
»Natürlich bin ich im Bett, Randy. Es ist fast Mitternacht.«
»Aufstehen. Anziehen. Es gibt was zu tun.«
»Ich ruf Sie morgen früh an.«
»David! Ich mein es ernst. Auf geht’s! Haben Sie’s nicht gehört?«
»Was gehört? Randy, ich bin schon seit einer Stunde im Bett. Was ist denn los?«
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie mal in der Zeitungsbranche gearbeitet haben? Uns fliegt hier die Scheiße um die Ohren, und Sie haben keinen blassen Schimmer?«
»Na, reden Sie schon.«
»Das Constellation. Sie kennen doch das Autokino.«
David setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Er schaltete die Nachttischlampe ein und blinzelte noch ein paarmal. »Natürlich kenn ich das.«
»Das ist gerade in die Luft geflogen.«
»Was?«
»Ich muss da hin. Helfen, Trost spenden.« Der Ex-Bürgermeister von Promise Falls hielt inne. »Mich sehen lassen. Mich fotografieren lassen.«
»Sagen Sie mir, was genau passiert ist.«
»Die Scheißleinwand ist umgefallen. Auf ein paar Autos. Es gibt Tote, David. Haben Sie schon Ihre Hose an?«
David hatte noch genügend Druckerschwärze in den Adern, um den Adrenalinschub zu spüren. Er wollte dahinaus, sehen, was los war, Leute interviewen. Das Ereignis protokollieren.
Doch es gab keine Zeitung mehr, für die er schreiben konnte. Gott, wie er das hasste.
Noch mehr hasste er jedoch die Vorstellung, dazu beizutragen, eine menschliche Tragödie als PR-Gag für Randall Finley auszuschlachten.
»Das ist falsch.«
»Was?«
»Es ist falsch, dahin zu fahren und sich fotografieren zu lassen.«
»Herrgott, David. Sie sollen mir doch nicht hinterherlaufen wie ein Team von sixty Minutes. Sie werden diskret sein. Muss ich Ihnen Ihre Arbeit erklären? Sie halten sich im Hintergrund. Ich bin da, um zu helfen, ich weiß nicht mal, dass Sie auch da sind. Sie machen, wie nennt man das?, ungestellte Aufnahmen. Die können wir später brauchen. Wir verschwenden hier unsere Zeit mit Diskussionen. Und ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass ich wirklich helfen will, und alles andere mir scheißegal ist?«
Nein, dieser Gedanke war David noch nicht gekommen.
Finley wartete die Antwort nicht ab. »In drei Minuten vor Ihrem Haus.« Er legte auf.
David zog sich ein Paar Jeans an und ein Shirt über, um keine Zeit mit dem Hemdzuknöpfen zu vergeuden. Ohne Socken schlüpfte er in Turnschuhe. Er konnte mit seinem Handy fotografieren und filmen. Wahrscheinlich würde er aber etwas Besseres brauchen. Er holte seine Kamera aus dem Raum gegenüber dem Schlafzimmer, den er sich gerade als Büro einrichtete.
Er hatte sich größte Mühe gegeben, leise zu sein. Dennoch ging die Tür zum Zimmer seiner Eltern auf, und seine Mutter stand im Schlafanzug vor ihm.
»Was ist denn los?«
»Ich muss raus. Keine Ahnung, wie lange ich weg bin. Sollte ich nicht da sein, wenn du aufstehst, sorg dafür, dass Ethan zur Schule kommt.«
»Was ist das für ’n Radau?« rief sein Vater aus dem Schlafzimmer.
»Arbeit«, sagte David.
»Finley verlangt, dass du um diese Zeit aus dem Haus gehst?«, fragte seine Mutter.
»Weiß er, dass es fast Mitternacht ist?« Don machte sich nicht die Mühe zu flüstern.
»Weck Ethan nicht auf«, sagte David.
Arlene Harwood ließ nicht locker. »Warum schmeißt dich dieser Mann mitten in der Nacht aus dem Bett? Das ist ungeheuerlich. Weiß der denn nicht, dass du einen kleinen Sohn hast, um den du dich kümmern musst, und –«
»Mom!«, blaffte David sie an. »Herrgott! Wenn ich komme, bin ich da.«
Als er noch mit Ethan bei seinen Eltern wohnte, hatte er es nicht erwarten können, von dort wegzukommen. Jetzt hatte er sein eigenes Haus, und nichts hatte sich geändert. Sie gaben ihm das Gefühl, er sei wieder dreizehn.
David rannte die Treppe hinunter, sah kurz in den Spiegel in der Diele. Seine Haare standen in alle Richtungen ab.
Finleys Lincoln hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus. David kam heraus, schloss ab und rannte zum Wagen.
Finley hatte das Fenster heruntergelassen. »Hopp, hopp«, sagte er.
David stieg auf der Beifahrerseite ein. Die Lederpolsterung fühlte sich kühl an, und die Nachtluft strich kalt um seine nackten Knöchel.
Finley warf einen Blick auf Davids Haar. »Fürs Kämmen hat’s nicht mehr gereicht?«
»Fahren Sie los.«
»Hoffentlich taugt die Kamera was, die Sie da haben?«, bemerkte der Ex-Bürgermeister. »So mickrige Handy-Fotos kann ich nämlich nicht brauchen. So eine Gelegenheit darf man nicht verkacken.«
David brachte es nicht über sich, Finley anzusehen. Er starrte geradeaus durch die Windschutzscheibe.
»Fahren Sie.«
»Da kann ich ja froh sein, dass ich nicht auf Sie angewiesen bin, wenn’s Neuigkeiten gibt«, sagte Finley. »Zum Glück war ich wach und hab die Sirenen gehört.«
»Sie wohnen doch ewig weit weg vom Autokino«, sagte David und sah den Mann neben ihm zum ersten Mal an.
»Ich verlass mich nicht nur auf meine eigenen Ohren«, sagte Finley. »Ich hab mir Kühlschrankmagnete machen lassen. Hab eine Schachtel voll im Kofferraum. Wählt Finley!, steht drauf. Aber ich weiß nicht, macht sich vielleicht nicht so gut, die an einer Unfallstelle zu verteilen.«
»Meinen Sie?«, fragte David. Und nicht zum ersten Mal in den vergangenen Monaten fragte er sich, wie es so weit hatte kommen können.
Es war der schlimmste Anblick, der sich Detective Barry Duckworth in seinen zwanzig Jahren bei der Polizei von Promise Falls bot.
Er war um 23:49 Uhr im Autokino eingetroffen. Um 00.31 Uhr hatte er einige wenige wesentliche Fakten festgestellt.
Die Leinwand war etwa zwanzig Minuten nach elf zusammengekracht. Sie war auf den Parkplatz gestürzt und hatte zwei Fahrzeuge unter sich begraben. Mehrere andere waren von Trümmern getroffen worden. Im Augenblick war es dafür noch zu früh, doch nach und nach sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass alles noch viel schlimmer hätte kommen können.
Anhand der sichtbaren hinteren Nummernschilder konnte Duckworth rasch ermitteln, wem die beiden zerstörten Autos gehörten. Das eine, ein Jaguar älteren Baujahrs, war eingetragen auf einen Adam Chalmers, wohnhaft Skelton Drive. Die Feuerwehr hatte den Wagen inzwischen so weit freigelegt, dass man die Zahl der Insassen erkennen konnte. Es waren zwei Tote, ein Mann und ein Frau.
Chalmers und seine Frau, vermutete Duckworth.
Die gemeinsamen Halter des andere Wagens, eines Mustang Cabrios, Baujahr 2006, waren Floyd und Rhonda Gravelle, wohnhaft Canterbury Street. Einer der Feuerwehrmänner hatte Duckworth berichtet, dass es sich bei den Toten in diesem Fahrzeug ebenfalls um einen Mann und eine Frau handelte. Junge Leute, vermutlich keine zwanzig.
Beide tot. Die Köpfe zerschmettert.
Es gab auch Verletzte. Bud Hillier, zweiundvierzig, Vater von drei Kindern im Alter von acht, elf und dreizehn Jahren, die mit ihm im Wagen saßen. Seine Hände lagen auf dem Lenkrad seines Ford Taurus Kombi, als ein herabstürzendes Stück Leinwand die Windschutzscheibe durchschlug und ihm zwei Finger abtrennte. In einem anderen Wagen bescherte ein Brocken Leinwand, der ebenfalls die Windschutzscheibe zertrümmert hatte, Dolores Whitney vier gebrochene Rippen. Die Siebenunddreißigjährige hatte ihre achtjährige Tochter Chloe zum ersten, und wahrscheinlich auch letzten Mal ins Autokino mitgenommen.
Verglichen mit den Menschen in den beiden Cabrios waren diese zwei noch glimpflich davongekommen.
Einige Minuten nach Duckworth traf auch Angus Carlson ein, der erst vor kurzem wegen Personalknappheit vom Streifenpolizisten zum Ermittler befördert worden war. Duckworth hatte sich noch keine abschließende Meinung über Carlson gebildet. Der junge Kollege schien ihm noch recht unerfahren und manchmal auch ziemlich infantil.
Als Carlson Duckworth erblickte, steuerte er direkt auf ihn zu. Nach einem raschen Blick über die Unfallstelle fragte er: »Was haben die heute denn gezeigt? Crash?Flatliners?Die Glücksbringer?«
Duckworth nannte ihm die Adressen, die er durch die Überprüfung der Kennzeichen der beiden zerstörten Wagen erhalten hatte. »Fahren Sie da hin und finden Sie raus, wer die Leute in diesen Autos gewesen sein könnten. Vielleicht schaffen Sie das, ohne Witze zu reißen.«
Carlsons Miene verfinsterte sich. »Soll doch nur ein bisschen zur allgemeinen Entspannung beitragen.«
»Abflug.«
Lionel Grayson, der sich als Inhaber und Betreiber des Autokinos zu erkennen gegeben hatte, wurde gerade von einem der Sanitäter versorgt. Er zeigte sämtliche Symptome eines leichten Schocks und war kurz vor Duckworths Ankunft beinahe in Ohnmacht gefallen.
»Mr. Grayson«, sagte Duckworth, »ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Der Mann sah Duckworth mit leerem Blick an. »Es war unser letzter Abend.«
»Ja, das habe ich gehört.«
»Es sollte eine … Feier sein. Ein trauriger Anlass, ja, aber zur Erinnerung an die tolle Unterhaltung, die den Leuten hier immer geboten wurde …« Er wandte den Kopf ab.
Duckworth sah die eingetrockneten Tränen, die Spuren auf Graysons Wangen hinterlassen hatten.
»Wie viele?«, fragte Grayson.
»Wie viele was?«
»Wie viele Tote?«
»Anscheinend vier, Sir, aber wie viele es genau sind, wissen wir erst, wenn die Trümmer beseitigt sind. Zwei Autos wurden zerdrückt, aber es wäre gut möglich, dass noch jemand zu Fuß unterwegs war. Haben Sie eine Erklärung, wie das passieren konnte?«
»Marsden«, sagte Grayson. »Er müsste jeden Moment da sein. Ich hab ihn angerufen.«
»Wer ist Marsden?«
»Clifford Marsden. Er hat eine Abbruchfirma.«
»Wollen Sie damit sagen, er war das? Er hat die Leinwand in die Luft gejagt?«
»Muss er wohl«, sagte Grayson. »Aber er muss sich mit dem Termin vertan haben, oder er hat den Zeitschalter falsch eingestellt oder … was weiß ich.«
»Sie haben ihn mit dem Abbruch der Leinwand beauftragt?«
Grayson nickte.
»Wann sollte der sein?«
»Nächste Woche. Heute in einer Woche. Ich hatte keine Ahnung, dass er den Sprengstoff schon angebracht hat. Das ist doch Wahnsinn. Wie kommt einer auf die Idee, den Sprengstoff eine Woche vorher zu plazieren? Und das Risiko einzugehen, dass genau so was passiert?«
»Das werden wir ihn fragen.«
»Er ist schon unterwegs. Ich hab versucht, ihn anzurufen, aber meine Hände haben so gezittert, dass ich mein Handy gar nicht bedienen konnte. Jemand hat’s für mich getan. Aber er kommt. Wenn ich den in die Finger krieg … ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen kann.«
»Warum sollte die Leinwand überhaupt so schnell abgerissen werden?«
»Das war Teil der Abmachung.«
»Was für eine Abmachung?«
»Der Verkauf«, sagte Grayson. »An Mancini. Die Wohnbaufirma.«
»Das ganze Grundstück wurde verkauft?«
Grayson nickte. »Der Verkauf steht in einem Monat an. Bis dahin muss ich alles hier abreißen. Die Leinwand, sämtliche Außengebäude, den Zaun, das muss alles weg. Das war eine der Bedingungen.«
»Was wird dann aus dem Grundstück?«
Grayson zuckte die Schultern. »Häuser, nehm ich an. Hat mich eigentlich nie interessiert. Ich hab knapp drei Millionen dafür gekriegt. Wollte nach Florida. Mit meiner Frau. Mich zur Ruhe setzen. Aber jetzt … wie soll ich … das ist so furchtbar.«
Duckworth legte Grayson eine Hand auf die Schulter. »Wir kriegen schon raus, was da passiert ist. Nicht den Kopf hängen lassen.«
Er bemerkte einen großen Wagen, der sich zwischen Feuerwehr- und Rettungswagen hindurchschlängelte und schließlich in der Nähe des Zauns stehenblieb. War das vielleicht Clifford Marsden? Doch als der Fahrer die Tür öffnete und das Innenlicht anging, sah Duckworth, dass es jemand anderes war.
Randall Finley.
Auf der Beifahrerseite, mit einer Kamera in der Hand, stieg noch jemand aus, den der Polizist kannte. David Harwood. Ehemaliger Reporter, jetziger Assistent des ehemaligen Bürgermeisters.
Finley hatte bereits etwas entdeckt, was ihn interessierte. Ein staubbedeckter schwarzer Geländewagen mit kleinen Brocken der Leinwand auf Dach und Motorhaube. Die Hecktür stand weit offen, und eine Frau kümmerte sich um zwei kleine Mädchen, die mit über der Stoßstange baumelnden Beinen im Kofferraum saßen. Die beiden waren höchstens zehn. Eines der Mädchen weinte, und die Frau bemühte sich, sie zu trösten.
»Entschuldigen Sie mich, Mr. Grayson«, sagte Duckworth. »Ich bin gleich wieder da.«
Finley ging schnurstracks auf den SUV zu, verlangsamte seinen Schritt jedoch, bevor er ihn erreichte.
»Wie geht’s Ihnen?«, fragte er.
Die Frau blickte sich um.
»Ich wollte nur sehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist«, sagte er freundlich. »Sind das Ihre Töchter?«
Die Frau deutete auf das weinende Mädchen. »Das ist Kaylie. Meine Nichte. Und das hier ist ihre Freundin Alicia. Sind Sie von der Polizei?«
»Nein, ich heiße Randall Finley. Und Sie?«
Die Frau blinzelte. »Patricia. Patricia Henderson.«
»Hallo, Patricia. Hi, Kaylie und Alicia. Ist jemand von euch verletzt? Braucht ihr einen Arzt?«
»Wir sind … nur ziemlich durcheinander«, sagte Patricia. »Passiert ist uns nichts. Etwas … von dem Zeug … ist auf den Wagen geknallt. Die Mädchen – nicht nur die Mädchen, ich auch – wir haben uns furchtbar erschrocken, als es passiert ist.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Sind Sie von der Polizei«, fragte Patricia noch einmal.
Finley schüttelte den Kopf. »Nein, wie gesagt, ich heiße Randall Finley, und ich bin nur ein besorgter Bürger. Wollte sehen, ob ich irgendwie helfen kann.«
»Waren Sie nicht mal Bürgermeister?«, fragte Patricia.
»Das ist schon einige Zeit her«, sagte Finley achselzuckend.
»Warum fotografiert dieser Mann?«
Finley warf einen Blick über die Schulter. »Keine Ahnung. Könnte von der Presse sein, oder jemand, der die Unglücksstelle dokumentieren muss. Jemand, der seine Arbeit macht. Wegen dem würd ich mir keine Gedanken machen. Kann ich Ihnen irgendwas bringen? Möchten Sie vielleicht was trinken? Ich hab Wasser im Kofferraum. In Flaschen. Von meiner eigenen Abfüllanlage. Oder soll ich jemanden für Sie anrufen?«
»Ich bin nicht verheiratet«, sagte die Frau. »Ich warte hier nur, falls die Polizei mit mir reden will, oder jemand von der Versicherung. Aber am liebsten würde ich die Mädchen nach Hause bringen. Das ist alles so furchtbar.«
Finley nickte teilnahmsvoll und kam näher. Er beugte sich lächelnd zu den Mädchen und stellte sich bildwirksam für David in Pose.
»Vielleicht könnten die Eltern von Kaylie oder Alicia die beiden abholen, dann müssten nur Sie dableiben. Soll ich sie für Sie an– ?«
»Randy!«
Finley wirbelte herum. »Ja, hallo, Barry. Ist ja schrecklich, was hier passiert ist. Wisst ihr schon was?«
Duckworth kam näher. »Was machen Sie denn hier?«
»Meine Hilfe anbieten«, sagte Finley. »Mit anpacken, wo ich kann.«
»Und was ist mit ihm?«, fragte Duckworth und zeigte auf David Harwood. »Welche Hilfe hat er anzubieten?«
»Er?«
»Warum fotografiert er?«
»Vielleicht arbeitet er wieder für die Presse. Von Albany aus.«
»Er arbeitet für dich.«
»Tja, das stimmt wohl, aber ich werde Mr. Harwood bestimmt nicht daran hindern, Fotos an die Medien zu verkaufen, wenn er das möchte.«
»Was ist los?«, fragte Patricia.
Finley wandte sich um und schenkte ihr sein aufrichtigstes Lächeln. »Ich versuche nur gerade mit dem Ermittler hier zu klären, wie man Ihnen und allen anderen hier in dieser tragischen Situation am besten helfen kann. Ich bin gleich wieder für Sie da.«
»Ich brauche Ihre Hilfe eigentlich gar nicht«, sagte Patricia Henderson.
»Dann verschwenden Sie hier nicht meine kostbare Zeit«, sagte Finley und wandte sich so schnell wieder Duckworth zu, dass ihm entging, wie der Frau die Kinnlade herunterklappte.
»Reden wir da drüben weiter«, sagte Finley und versuchte, Duckworth wegzubugsieren. Doch der rührte sich nicht vom Fleck.
»Sie sind im Weg«, sagte Duckworth. »Hier gibt es Tote. Und Verletzte. Ich kann Sie hier nicht brauchen.«
»Kommen Sie, Barry«, sagte Finley. »Ich mach doch nur meine Arbeit, genau wie Sie.«
»Wenn ich’s Ihnen noch mal sagen muss, bringt man Sie in Handschellen hier weg.«
Finley sah ihm in die Augen. »Ich bin jemand, den Sie lieber zum Freund als zum Feind haben sollten.«
»Am liebsten hätt ich Sie als Vermisstenanzeige auf einem Milchkarton«, sagte Duckworth, ohne den Blick abzuwenden.
Finley war es schließlich, der wegsah. »David!«, rief er so laut, dass alle Umstehenden es hören konnten. »Wir wollen hier ganz bestimmt niemand im Weg sein. Detective Duckworth, danke für Ihre unermüdliche Unterstützung. Gott schütze Sie und all die wunderbaren Einsatzkräfte, die wir hier in Promise Falls haben. Ich weiß nicht, was wir ohne Sie tun würden!«
Damit kehrte er zu seinem Lincoln zurück, David im Schlepptau. Duckworth ließ sie nicht aus den Augen, bis sie im Wagen saßen und das Gelände verließen.
»Du verfluchter Dreckskerl!«
Duckworth drehte sich um. Lionel Grayson war auf einen Mann losgegangen, hatte ihn zu Boden gerungen und bearbeitete jetzt sein Gesicht mit den Fäusten.
Offensichtlich war der Mann von der Abbruchfirma eingetroffen, während Duckworth noch mit Finley beschäftigt war. Duckworth rannte los, packte Grayson bei den Schultern und riss ihn von dem auf dem Boden Liegenden weg.
»Mr. Grayson!«, rief er. »Bitte, Mr. Grayson!«
Aber Grayson versuchte, ihn abzuschütteln, und zeigte auf den Mann. »Du Dreckskerl! Du dumme Sau! Du Scheiß–«
Der Mann versuchte, sich hochzurappeln. »Ich hab nichts getan!«, schrie er zurück. »Hören Sie mir zu! Ich sag Ihnen doch –«
»Da rüber!«, blaffte Duckworth Grayson an. Der Betreiber des Autokinos gehorchte und stellte sich neben einen Rettungswagen. Duckworth ging zwischen die beiden Männer.
»Sind Sie Marsden?«, fragte er den Mann, der Graysons Prügel hatte einstecken müssen.
Der Mann war wieder auf den Beinen und bürstete sich ab. »Der bin ich.«
»Sie wurden von Mr. Grayson hier beauftragt, diese Leinwand abzureißen?«
Marsden nickte. »Die Leinwand und alles andere«, sagte er nach Atem ringend.
»Kann es sein, dass Sie ein bisschen voreilig waren?«
»Das will ich ihm doch schon die ganze Zeit sagen«, keuchte Marsden und zeigte auf Grayson.
»Was?«, fragte Duckworth.
»Wir haben hier noch nichts angerührt. Wir haben nur eins getan: den Vertrag unterschrieben. Meine Leute wären erst in ein paar Tagen gekommen. Wir haben hier nichts rausgebracht. Nicht mal ’nen Knallfrosch.«
Cal
Als Erstes sah ich es am nächsten Morgen auf CNN. Schaltete um auf Today, die brachten es auch. Sämtliche Morgennachrichten berichteten über Promise Falls. Wir waren berühmt.
Ich hatte die Einsatzfahrzeuge gehört, als ich am vergangenen Abend mit meinem Schwager auf der Veranda stand, hatte aber an eine Massenkarambolage gedacht.
War aber was viel Größeres.
Ich hatte mich von Celeste und Dwayne verabschiedet und war nach Hause gefahren. Rettungswagen hinterherzufahren interessierte mich nicht.
Ich war schon gegen sechs aufgewacht, aber noch fast zwei Stunden im Bett geblieben. Es gab nichts, wofür das Aufstehen sich lohnte, keinen Anlass, den Tag freudig zu begrüßen. Ein flaues Gefühl im Kopf trieb mich schließlich doch aus dem Bett. Barfuß tappte ich in die Kochnische – die Wohnung war nicht groß genug für eine richtige Küche, aber in einer Ecke des Wohnzimmers gab es einen Kühlschrank, einen Herd und eine Spüle. Ich setzte Kaffee auf, schaltete den kleinen Fernseher vor der Couch ein – ich brauche einen gewissen Geräuschpegel im Hintergrund – und wollte unter die Dusche, solange die Kaffeemaschine vor sich hin röchelte, doch die beiden ersten Worte, die ich hörte, waren »Promise Falls«.
Da blieb ich stehen. Stellte mich neben die Couch und verfolgte das Geschehen auf dem Bildschirm. Als die Kaffeemaschine piepste, schenkte ich mir einen Becher ein und schaute weiter fern.
Lieber Gott.
Vier Tote. Ein Paar um die sechzig, vermutlich Adam und Miriam Chalmers, deren Oldtimer von der herabstürzenden Leinwand zu einem Sandwich zusammengedrückt worden war. Und ein Siebzehnjähriger, der sich das Cabrio seiner Eltern ausgeliehen hatte, um mit seiner Freundin ins Autokino zu fahren. Die Namen der beiden Teenager waren noch nicht offiziell bekanntgegeben worden.
Soeben sprach mein alter Freund Barry Duckworth mit Fernsehteams, die aus Albany und von noch weiter weg herbeigeeilt waren.
»Handelt es sich um einen terroristischen Akt?«, rief ihm jemand zu.
Barry sah den Reporter mit steinerner Miene an. »Wir haben unsere Ermittlungen gerade erst aufgenommen. Im Augenblick gibt es nichts, was auch nur im Entferntesten auf einen terroristischen Hintergrund hinweist.«
»Aber es war doch eine Bombe, oder? Die Leinwand ist nicht einfach nur umgefallen. Es heißt, es habe eine enorme Explosion gegeben.«
»Wie gesagt, wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen.«
Zahlreiche Besucher, die gekommen waren, um die allerletzte Vorstellung im Constellation-Autokino zu sehen, hatten mit ihren Handys gefilmt und die Videos an verschiedene Medien gesendet. Mindestens einer hatte das Geschehen auf der Leinwand gefilmt – irgendwas über Lkws, die sich in Roboter verwandelten –, als die Hölle ausbrach.
Jetzt wusste ich also, wohin all die Rettungswagen gestern Abend unterwegs gewesen waren. Ich war davon ausgegangen, dass es auf der Umgehungsstraße einen größeren Unfall gegeben hatte. Nie im Leben wäre ich auf so etwas gekommen.
Ich sah mir das Ganze ungefähr eine halbe Stunde lang an, dann ging ich duschen. Den Fernseher ließ ich laufen. Als ich zurückkam, berichteten sie noch immer über den Vorfall. Matt Lauer sprach mit einer Mutter, die mit ihrer Tochter und deren Freundin da gewesen war. Als dieses Interview beendet war, holte er jemand anderen vor die Kamera.
»Das ist Randall Finley, der frühere Bürgermeister von Promise Falls. Sie waren als einer der Ersten am Unglücksort, Mr. Finley. Können Sie uns schildern, was Sie gesehen haben?«
»Chaos, Matt. Das totale Chaos. Es war wie auf einem Schlachtfeld.«
Endlich sagte es jemand. Jedes Unglück war immer gleich »wie ein Schlachtfeld«. So wurden solche Ereignisse immer beschrieben, von Leuten, die ein Schlachtfeld noch nie mit eigenen Augen gesehen hatten.