Mädchengrab - Inspector Rebus 18 - Ian Rankin - E-Book

Mädchengrab - Inspector Rebus 18 E-Book

Ian Rankin

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Beschreibung

John Rebus ist zurück! Und steht vor seiner bislang größten Herausforderung

Sein neuer Arbeitsplatz: die „Cold Case“-Abteilung in Edinburgh. Doch so leicht lässt sich John Rebus, Detective Inspector a.D., nicht ausmustern. Als ein Mädchen aus Edinburgh vermisst wird und sich eine Verbindung zwischen dem aktuellen und mehreren Uralt-Vermisstenfällen andeutet, verlässt sich Rebus für seine Ermittlungen auf die Hilfe seiner ehemaligen Kollegin Siobhan Clarke. Und gefährdet durch seine unorthodoxen Methoden prompt ihre Karriere. Doch dann bestätigt ein schockierender Fund seine schlimmsten Befürchtungen ...

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IAN RANKIN

Mädchengrab

Roman

Aus dem Englischen

von Conny Lösch

MANHATTAN

Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel »Standing in Another Man’s Grave«bei Orion Books, London.

Manhattan Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung März 2013

Copyright © der Originalausgabe

by John Rebus Limited

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München

Umschlaggestaltung und Konzeption: RME Roland Eschlbeck/Rosemarie Kreuzer

Umschlagmotiv: plainpicture/Hanka Steidle

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-09564-2

www.manhattan-verlag.de

R.I.P. Jackie Leven

Prolog

I

Er hatte sich lieber nicht zu dicht ans offene Grab gestellt.

Vor ihm die geschlossenen Reihen der Trauernden. Die Sargträger waren mit Nummern versehen – sechs an der Zahl, angefangen mit dem Sohn des Verstorbenen. Noch fiel kein Regen, aber er hatte sich bereits angekündigt. Der Friedhof, am südöstlichen Stadtrand gelegen, war relativ neu. Rebus hatte den Gottesdienst ausgelassen, auch auf die Getränke und Sandwiches im Anschluss würde er verzichten. Er musterte die Hinterköpfe: hochgezogene Schultern, Schniefen, Niesen und Geräusper. Sicher kannte er ein paar Leute hier, aber wahrscheinlich nicht viele. Als sich zwischen zwei Trauernden eine Lücke auftat, gelang es ihm, einen kurzen Blick auf das Grab zu werfen. Die Ränder waren mit grünem Stoff abgedeckt, als sollten die Tatsachen verschleiert werden. Leise gemurmelte Worte, aber er konnte nicht alles verstehen. Von Krebs war jedenfalls keine Rede. Jimmy Wallace sei »grausam dem Leben entrissen worden«, er hinterließ eine Witwe und drei Kinder, außerdem fünf Enkel. Die Enkel standen bestimmt irgendwo vorn, fast schon alt genug, um zu begreifen, was hier vor sich ging. Ihre Großmutter hatte einen einzigen durchdringenden Klagelaut von sich gegeben und wurde nun getröstet.

Herrgott noch mal, er brauchte eine Zigarette.

Wie gut hatte er Jimmy Wallace gekannt? Seit vier oder fünf Jahren hatte er ihn nicht mehr gesehen, davor aber hatten sie zehn Jahre oder sogar länger im selben Revier gearbeitet. Auch wenn Wallace ein Uniformierter gewesen war und nicht vom CID, hatte er sich doch gern mit ihm unterhalten. Flachsereien, Tratsch und gelegentlich auch mal eine hilfreiche Information. Vor sechs Jahren war Wallace in Rente gegangen, und ungefähr zur selben Zeit bekam er die Diagnose, dann folgten Chemo und Haarausfall.

Erduldet mit dem für ihn so typischen Humor …

Na schön, dann aber lieber schlecht gelaunt und noch am Leben. Er konnte das Zigarettenpäckchen in seiner Tasche fühlen, wusste, dass er nur ein paar Meter zurückzugehen brauchte, um sich hinter einem Baum eine anzustecken. Das erinnerte ihn an seine Schulzeit, als überdachte Fahrradständer dem Direktor die Sicht aus seinem Zimmer versperrten. Gelegentlich waren auch Lehrer aufgetaucht und hatten um Feuer oder um eine Zigarette gebeten oder aber gleich die Herausgabe des ganzen verfluchten Päckchens verlangt.

Jeder in der Gemeinde kannte ihn …

Auch die Kriminellen, die er hinter Schloss und Riegel gebracht hatte. Vielleicht waren sogar ein paar von ihnen gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Der Sarg wurde ins Grab gesenkt, die Witwe schluchzte erneut, oder war das eine der Töchter? Wenige Minuten später war alles vorbei. Er wusste, dass die mechanische Buddelmaschine schon bereitstand. Damit hatte man das Loch gegraben, und genauso wurde es auch wieder zugeschüttet. Der Erdhügel war ebenfalls mit grünem Stoff überzogen. Alles sehr geschmackvoll. Die Mehrzahl der Trauernden war bereits gegangen. Ein Mann mit zerfurchtem Gesicht und hängenden Mundwinkeln stopfte sich die Hände in die Taschen seines schwarzen Mantels und kam zur Begrüßung kaum merklich nickend auf ihn zu.

»John«, sagte er.

»Tommy«, erwiderte Rebus seinerseits mit einem Nicken.

»Wir müssen wohl auch bald dran glauben, was?«

»Noch nicht.«

Die beiden Männer gingen auf die Friedhofstore zu.

»Soll ich dich mitnehmen?«

Rebus schüttelte den Kopf. »Hab den Wagen draußen stehen.«

»Der Verkehr ist die Hölle – wie immer.«

Rebus bot Tommy Beamish eine Zigarette an, doch dieser behauptete, er habe vor zwei Jahren aufgehört. »Mein Arzt hat mir erklärt, dass die Dinger das Wachstum hemmen.«

Rebus zündete sich eine an und inhalierte. »Wie lange bist du jetzt nicht mehr dabei?«, fragte er.

»Zwölf Jahre, und es werden immer mehr. Hab Glück gehabt. Vielen geht’s wie Jimmy – bekommen die goldene Uhr überreicht, und schon sind sie unter der Erde.«

»Rosige Aussichten.«

»Arbeitest du deshalb immer noch? Hab gehört, du bist bei den ungelösten Fällen gelandet.«

Rebus nickte. Sie hatten fast das Tor erreicht. Der erste Wagen fuhr an ihnen vorbei, hinten saßen Familienangehörige, die Blicke unbeirrt geradeaus gerichtet. Ihm fiel nichts mehr ein, was er Beamish sagen könnte. Unterschiedliche Dienstgrade, unterschiedliche Reviere. Er versuchte sich an die Namen von Kollegen zu erinnern, die sie vielleicht beide kannten.

»Ach, na ja …« Vielleicht rang Beamish mit demselben Problem. Er streckte ihm die Hand entgegen. Rebus schlug ein. »Bis zum nächsten Mal, hm?«

»Solange keiner von uns beiden in den Holzpyjama steigt.«

Beamish ging mit einem Schnauben, klappte den Mantelkragen gegen den Regen hoch. Rebus trat die Zigarette mit dem Absatz aus, wartete einige Augenblicke, dann ging er zu seinem Wagen.

Der Verkehr in Edinburgh war wie prophezeit die Hölle. Behelfsampeln, gesperrte Straßen, Umleitungen. Überall Stau. Größtenteils wegen des Baus einer Straßenbahnverbindung zwischen Flughafen und Innenstadt. Als er stand, überprüfte Rebus die Mailbox seines Handys und stellte wenig erstaunt fest, dass er keine einzige Nachricht hatte. Kein dringender Fall verlangte seine Aufmerksamkeit. Sein Gebiet waren die, die lange tot waren, Mordopfer, die die Welt längst vergessen hatte. Bei der SCRU, der Serious Crime Review Unit, einer Einheit für die nochmalige Untersuchung von Kapitalverbrechen, lagen aktuell elf Fälle. Sie reichten zurück bis ins Jahr 1966, der jüngste war von 2002. Sofern es Gräber gab, die man besuchen konnte, war Rebus dort gewesen. Manchmal legten Freunde und Verwandte dort noch Blumen ab, und wenn es Karten gab, hatte er sich die Namen notiert und zu den Akten gelegt – obwohl er nicht ganz sicher war, wozu das gut sein sollte. Als er den CD-Player im Auto anstellte, drang Jackie Levens Stimme tief und durchdringend aus den Lautsprechern. Er sang davon, im Grab eines anderen Mannes zu stehen. Rebus’ Blick verengte sich. Einen Augenblick lang war er wieder auf dem Friedhof und starrte die Köpfe und Rücken an. Er griff auf den Beifahrersitz und fummelte das Textblatt aus der CD-Hülle. Das Stück hieß »Another Man’s Rain«. Davon sang Jackie: im Regen eines anderen zu stehen.

»Wird Zeit, dass du dir mal die Ohren untersuchen lässt«, brummte Rebus vor sich hin. Jackie Leven war auch schon tot. Dabei war er bestimmt ein Jahr jünger gewesen als er selbst. Sie stammten beide aus Fife. Er fragte sich, ob ihre Schulfußballmannschaften jemals gegeneinander angetreten waren – das war so gut wie die einzige Gelegenheit, bei der sich Kinder aus verschiedenen Schulen begegneten. Aber egal: Er war sowieso nie in die erste Mannschaft gewählt worden, sondern hatte immer nur die Aufgabe bekommen, sein Team vom schweinekalten Spielfeldrand aus anzufeuern, während die anderen angriffen, Tore schossen und sich gegenseitig beschimpften.

»And standing in every bastard’s rain«, sagte er laut. Der Wagen hinter ihm hupte. Der Fahrer hatte es eilig. Termine und wichtige Leute warteten auf ihn. Die Welt würde untergehen, wenn der Verkehr nicht bald ins Rollen kam. Rebus fragte sich, wie viele Stunden seines Lebens er auf diese Art schon verschwendet hatte. Oder mit Observieren. Oder dem Ausfüllen von Formularen, Anträgen und Stundenzetteln. Auf seinem Handy war eine Nachricht eingegangen. Der Chef.

Dachte, Sie hätten 3 gesagt!

Rebus schaute auf die Uhr. Es war fünf nach. In schätzungsweise zwanzig Minuten würde er im Büro sein. Früher hatte er noch Blaulicht und Sirene im Wagen gehabt. Vielleicht wäre er damit jetzt auf die Gegenfahrbahn ausgeschert und hätte dem Schicksal vertraut, dass er schon nicht in der Notaufnahme landen würde. Heute hatte er nicht mal mehr einen ordentlichen Dienstausweis, weil er kein Beamter mehr war. Er war jetzt Polizist im Ruhestand, der als zivile Hilfskraft weiter für die Lothian and Borders Police tätig war. Sein Chef war der einzige offiziell noch im Dienst befindliche Beamte seiner Abteilung. Und er war alles andere als glücklich über seine Versetzung in die »Gerontologie«. Genauso wenig wie über die Besprechung um 15 Uhr und Rebus’ Verspätung.

Warum so eilig?, simste Rebus zurück, nur um ihn zu ärgern. Dann drehte er die Musik lauter und spielte dasselbe Stück noch einmal. Jackie Leven schien immer noch im Grab eines anderen Mannes zu stehen.

Als wäre der Regen nicht schon schlimm genug …

II

Er streifte sich den Mantel von den Schultern und tropfte damit quer durchs Büro bis zum Haken an der Wand ganz hinten.

»Danke, dass Sie sich herbequemt haben«, sagte Cowan.

»Entschuldigung, Danny.«

»Daniel«, korrigierte ihn Cowan.

»Tut mir leid, Dan.«

Cowan saß an einem der Schreibtische. Da seine Beine nicht ganz bis auf den Boden reichten, blitzten über den schwarzen Lederschuhen seine roten Socken mit dem Paisleymuster auf. In der untersten Schreibtischschublade bewahrte er Schuhcreme und -bürsten auf. Rebus wusste das, weil er eines Tages, als Cowan nicht im Raum war, die Schublade aufgezogen hatte, natürlich nicht ohne vorher auch einen Blick in die anderen beiden darüber geworfen zu haben.

»Was suchst du?«, hatte Elaine Robison gefragt.

»Hinweise«, hatte Rebus erwidert.

Robison stand jetzt vor ihm und reichte ihm einen Becher Kaffee.

»Wie war’s?«, fragte sie.

»War halt eine Beerdigung«, antwortete Rebus und führte den Becher an die Lippen.

»Wenn wir jetzt anfangen könnten«, platzte Cowan dazwischen. Der graue Anzug wirkte irgendwie verkehrt an ihm. Die Schultern schienen zu stark gepolstert und die Aufschläge zu breit. Unbeirrbar fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar.

Rebus und Robison nahmen neben Peter Bliss Platz, der schwerfällig schnaufte, selbst wenn er sich gar nicht bewegte. Aber so ging das schon seit zwanzig Jahren, und wahrscheinlich war es in den zwanzig Jahren davor auch nicht anders gewesen. Er war nur wenig älter als Rebus und länger in der Abteilung als alle anderen. Jetzt hatte er die Hände vor dem mächtigen Bauch verschränkt, als wolle er das Universum herausfordern, ihn mit etwas zu überraschen, das er nicht schon gesehen hatte. Ganz gewiss hatte er viele wie Detective Sergeant Daniel Cowan gesehen und hatte dies Rebus an dessen erstem Tag in der Abteilung auch mitgeteilt: »Der sitzt auf dem hohen Ross und glaubt, wir sind seiner nicht würdig. Hält sich für zu gut, aber die Chefs wissen das und haben ihn hier aufs Abstellgleis geschoben, damit er ein kleines bisschen runterkommt.«

Vor seiner Pensionierung hatte Bliss den Dienstgrad eines Detective Inspectors – genau wie Rebus. Elaine Robison war Detective Constable gewesen und schrieb die Tatsache, dass sie es nie weiter gebracht hatte, dem Umstand zu, dass sie ihrer Familie stets Priorität vor der Karriere eingeräumt hatte.

»Und zwar völlig zu Recht«, hatte Rebus gesagt und hinzugefügt (nachdem er sie über einige Wochen besser kennengelernt hatte), dass seine eigene Ehe den Kampf gegen den Job schon sehr früh verloren hatte.

Robison war gerade erst fünfzig geworden. Sohn und Tochter waren aus dem Haus und nach dem Collegeabschluss aus beruflichen Gründen in den Süden gezogen. Auf ihrem Schreibtisch standen gerahmte Porträts der beiden neben anderen Fotos, die Robison selbst auf der Sydney Harbour Bridge und im Cockpit eines kleinen Flugzeugs zeigten. Sie hatte kürzlich angefangen, sich die Haare zu färben, woran Rebus gar nichts auszusetzen hatte, allerdings hätte sie auch grau meliert noch zehn Jahre jünger ausgesehen. Möglicherweise konnte sie noch für fünfunddreißig durchgehen – ebenso wie Cowan.

Cowan hatte, wie Rebus vermutete, die Stühle angeordnet. Sie standen in einer geraden Reihe vor seinem Schreibtisch, damit ihn alle ansehen mussten.

»Haben Sie eine Wette verloren, oder warum tragen Sie solche Socken, Danny?«, fragte Rebus hinter seinem Becher.

Cowan überging die Frage mit einem dünnen Lächeln. »Hab ich richtig gehört, John? Sie haben einen Antrag gestellt und wollen wieder in den Dienst zurück?« Er wartete darauf, dass Rebus das Gerücht bestätigte. Das Rentenalter war heraufgesetzt worden, und das bedeutete, dass sich Leute aus Rebus’ Jahrgang erneut bewerben konnten.

»Die Sache ist die«, fuhr Cowan fort und beugte sich vor, »die werden mich um ein Referenzschreiben bitten. Wenn Sie so weitermachen, wird das sicher kein Fanbrief.«

»Sie bekommen trotzdem ein Autogramm von mir«, versicherte ihm Rebus.

Schwer zu sagen, ob Peter Bliss’ Schnaufen nur die Klangfarbe gewechselt hatte oder ob er ein Lachen unterdrückte. Robison hielt den Blick gesenkt und grinste. Cowan schüttelte bedächtig den Kopf.

»Darf ich Sie alle daran erinnern«, sagte er ruhig, »dass diese Abteilung gefährdet ist? Wenn sie aufgelöst wird, wird nur einer von uns wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen.« Er zeigte mit dem Finger auf seine eigene Brust. »Ein Ergebnis wäre also schön. Von Fortschritten mal ganz zu schweigen.«

Sie wussten alle, wovon er sprach. Das Crown Office war gerade dabei, eine Abteilung für ungelöste Fälle in ganz Schottland aufzubauen, die Cold Case Unit. Wenn diese ihr Arbeitsaufkommen übernahm, würden ihre Stellen gestrichen. Die CCU würde dann über einen Datenbestand von dreiundneunzig Fällen verfügen, die zum Teil bis in die vierziger Jahre zurückreichten, darunter auch die der Lothian and Borders Police. Wenn die CCU erst einmal ihre Arbeit aufnahm, stand zwangsläufig die Frage im Raum, ob das kleinere Team in Edinburgh überhaupt noch gebraucht wurde. Geld war knapp. Es wurden bereits kritische Stimmen laut, die Beschäftigung mit alten ungelösten Fällen diene einzig und allein dazu, Mittel von aktuellen (und dringenderen) Ermittlungen in der Stadt und deren Umkreis abzuziehen.

»Ein Resultat wäre schön«, wiederholte Cowan. Dann sprang er von seinem Schreibtisch auf, ging drum herum, pflückte einen Zeitungsausschnitt von der Wand und wedelte eindrucksvoll damit herum.

»Cold Case Unit, England«, las er vor. »Verdächtiger wegen Mordes an einem Teenager vor beinahe fünfzig Jahren angeklagt.« Er hielt ihnen den Ausschnitt vor die Nasen. »DNA … Tatortanalyse … von ihrem Gewissen geplagte Zeugen. Wir wissen doch, wie so was funktioniert, also warum setzen wir es dann nicht um?«

Er schien eine Antwort zu erwarten, doch es kam keine. Das Schweigen zog sich in die Länge, bis Robison entgegnete: »Wir haben nicht immer die Ressourcen. Von Beweisen will ich gar nicht erst anfangen. DNA-Tests lassen sich schlecht durchführen, wenn die Kleidung des Opfers nicht mehr auffindbar ist.«

»Wir haben aber doch genug Fälle, in denen die Kleidung noch vorhanden ist, oder nicht?«

»Dürfen wir dann auch alle Männer der Stadt um eine DNA-Probe bitten, um sie mit den Spuren abzugleichen?«, legte Bliss nach. »Und wie machen wir das mit denjenigen, die gestorben oder weggezogen sind?«

»Gerade wegen Ihrer positiven Einstellung habe ich Sie so ins Herz geschlossen, Peter.« Cowan legte den Ausschnitt auf seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme. »In Ihrem eigenen Interesse«, sagte er. »Nicht in meinem – ich bin fein raus –, in Ihrem Interesse.« Er machte eine Kunstpause. »In Ihrem Interessesollten wir Resultate erzielen.«

Wieder herrschte Stille im Raum, unterbrochen nur von Bliss’ Schnaufen und Robisons Seufzen. Cowans Blick ruhte auf Rebus, aber dieser war damit beschäftigt, den letzten Tropfen Kaffee aus seinem Becher zu schlürfen.

III

Auch Bert Jansch war schon tot. Rebus hatte im Lauf der Jahre einige Solokonzerte von ihm in Edinburgh gesehen. Jansch war in Glasgow geboren worden, hatte sich seinen Namen aber in London gemacht. An jenem Abend legte Rebus nach der Arbeit allein in seiner Wohnung ein paar Pentangle-Alben auf. Er war kein Experte, aber er konnte Janschs Gitarre von der des anderen Gitarristen in der Band, John Renbourn, unterscheiden. Soweit er wusste, lebte Renbourn noch – möglicherweise in Borders. Oder war das Robin Williamson? Er hatte seine Kollegin Siobhan Clarke einmal zu einem Konzert von Renbourn und Williamson mitgenommen, war mit ihr zum Biggar Folk Club gefahren, ohne ihr zu sagen, warum. Als die beiden Musiker die Bühne betraten – dabei aussahen, als hätten sie sich gerade eben erst aus zwei Sesseln vor einem lodernden Kaminfeuer erhoben –, hatte er sich zu ihr gebeugt.

»Einer von den beiden ist in Woodstock aufgetreten«, hatte er geflüstert.

Irgendwo hatte er noch die Einrittskarte vom Biggar-Konzert. So was hob er oft auf, obwohl er wusste, dass der ganze Kram weggeworfen werden musste, wenn er mal nicht mehr war. Neben seinem Plattenspieler lag ein Plektrum aus Plastik. Er hatte es vor Jahren gekauft, war in ein Musikaliengeschäft spaziert und hatte dem jungen Mann an der Kasse erklärt, wegen der Gitarre würde er vielleicht später noch mal wiederkommen. Der Verkäufer hatte erwähnt, dass das Plektrum von einem Hersteller namens Jim Dunlop stamme, einem Schotten, der auch Effektgeräte baue. In den Jahren danach hatte Rebus die komplette Schrift von dem Plektrum abgerieben, es aber nie an einer Gitarre ausprobiert.

»Ich kann ja auch kein Flugzeug lenken«, sagte er sich.

Er betrachtete die Zigarette, die er zwischen zwei Fingern hielt. Vor ein paar Monaten erst war er beim Gesundheitscheck gewesen und hatte die üblichen Ermahnungen zu hören bekommen. Auch sein Zahnarzt hielt ständig Ausschau nach den ersten Anzeichen für etwas Schlimmes. So weit, so gut.

»Jede Glückssträhne ist irgendwann einmal vorbei, John«, hatte ihm sein Zahnarzt eingebläut. »Vertrau mir.«

»Nimmst du darauf auch Wetten entgegen?«, hatte Rebus erwidert.

Er machte die Zigarette im Aschenbecher aus und zählte nach, wie viele noch im Päckchen waren. Acht, was bedeutete, dass er an diesem Tag bislang zwölf geraucht hatte. Das war gar nicht so schlecht. Früher hätte er um diese Zeit das erste Päckchen längst aufgeraucht und schon ein neues angebrochen. Er trank auch nicht mehr so viel: zwei Bier am Abend und vielleicht noch einen Whisky oder drei vor dem Zubettgehen. Auch jetzt hatte er ein Bier neben sich stehen – sein erstes heute. Weder Bliss noch Robison hatten Lust gehabt, nach Dienstschluss noch was trinken zu gehen, und Cowan hatte er nicht gefragt. Cowan blieb oft bis spät im Büro. Ihre Abteilung war im Polizeipräsidium in der Fettes Avenue untergebracht, was Cowan Gelegenheit gab, zufällig ein paar Vorgesetzten zu begegnen, Menschen, die ihm möglicherweise nützlich sein würden, sofern ihnen auffiel, dass er sie ausnahmslos korrekt ansprach und stets sauber polierte Schuhe trug.

»So was nennt man Stalking«, hatte Rebus Cowan einmal aufgeklärt, als er ihn dabei erwischte, wie er ein bisschen zu herzlich über einen abgelutschten Witz lachte, den der Assistant Chief Constable auf dem Gang erzählte. »Und mir ist aufgefallen, dass Sie ihn nie korrigieren, wenn er Sie Dan nennt …«

Irgendwie tat Cowan ihm aber auch leid. Gewiss gab es weniger kompetente Beamte, die es sehr viel weiter gebracht hatten. Und das machte Cowan zu schaffen, es nagte so sehr an ihm, dass er schon fast ganz hohl war. Mit der Folge, dass das Team darunter litt, und das war sehr schade. Einige Seiten seines Jobs gefielen Rebus durchaus. Stets verspürte er so etwas wie angespannte Vorfreude, wenn er eine alte Akte aufschlug. Manchmal gab es Kisten um Kisten, jede davon nahm ihn mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Vergilbte Zeitungen enthielten nicht nur Berichte über das fragliche Verbrechen, sondern auch andere Artikel über nationale oder internationale Angelegenheiten, außerdem Sport und Werbung. Er ließ Elaine Robison raten, was 1974 ein Haus gekostet hatte, und las Peter Bliss, der sich noch an die Namen von Spielern und Managern erinnerte, alte Fußballergebnisse vor. Aber irgendwann kam immer der Punkt, an dem Rebus zu dem Fall zurückkehrte, sich wieder in Details, Vernehmungen, Beweise und Aussagen von Angehörigen vertiefte: Jemand glaubt, er sei damit davongekommen … Jemand weiß, er ist damit davongekommen. Er hoffte, alle diese Mörder waren noch irgendwo da draußen, und je mehr sie über Fortschritte in der Spurensicherung und Kriminaltechnologie lasen, desto mulmiger wurde ihnen. Vielleicht mussten sie den Raum verlassen und sich in die Küche setzen, wenn ihre Enkelkinder CSI oder Waking the Dead im Fernsehen sahen. Vielleicht konnten sie den Anblick von Zeitungspapier nicht ertragen, nicht in Ruhe Radio hören oder die Fernsehnachrichten sehen aus Angst, der Fall würde wieder aufgenommen.

Rebus hatte Cowan einen entsprechenden Vorschlag gemacht: Bringen Sie die Medien dazu, regelmäßig über Fortschritte zu berichten, echte oder erfundene, damit die Täter Angst bekommen.

»Möglicherweise lässt sich auf die Art ja was lostreten.«

Aber Cowan schien nicht gerade darauf erpicht: Erfanden die Medien nicht schon genug Geschichten?

»In dem Fall würden sie sich ja keine ausdenken«, hatte Rebus beharrt, »sondern wir.« Aber Cowan hatte einfach nur weiter den Kopf geschüttelt.

Die Platte war zu Ende, und Rebus hob die Nadel vom Vinyl. Es war noch nicht mal neun, viel zu früh, um ins Bett zu gehen. Gegessen hatte er bereits; auch schon entschieden, dass im Fernsehen nichts Sehenswertes lief. Die Flasche Bier war leer. Er ging ans Fenster und sah auf das Wohnhaus gegenüber. Zwei Kinder in Schlafanzügen starrten ihn aus der Wohnung im ersten Stock an. Als er winkte, sprangen sie davon. Jetzt rannten sie mitten im Zimmer im Kreis, hüpften auf Zehenspitzen, alles andere als schläfrig, und er kam in ihrem Universum nicht mehr vor.

Er wusste aber, was sie ihm hatten sagen wollen – da draußen lag die große weite Welt. Und das konnte nur eins bedeuten.

»Pub«, sagte Rebus laut, griff nach seinem Handy und seinen Schlüsseln. Dann schaltete er den Plattenspieler und den Verstärker aus, warf noch einen Blick auf das Plektrum und steckte es ein.

Teil eins

A man disappears down barstepsWith a piece of wounded sky …

1

Er war allein im Büro, als das Telefon klingelte. Cowan und Bliss waren in der Kantine, Robison hatte einen Termin beim Arzt. Rebus nahm den Hörer ab. Es war der Empfang.

»Hier ist eine Dame, die DI Magrath sprechen möchte.«

»Da sind Sie im falschen Büro gelandet.«

»Sie ist sich aber ganz sicher.«

Rebus sah Bliss mit einem Softdrink in der einen und einem Sandwich in der anderen Hand ins Büro zurückkommen, den oberen Rand einer Chipstüte zwischen den Zähnen. »Bleiben Sie mal dran«, sagte er in den Hörer. Dann zu Bliss: »Schon mal von einem DI namens Magrath gehört?«

Bliss legte das Sandwich auf seinen Schreibtisch und nahm die Tüte aus dem Mund.

»Der hat den Laden hier aufgebaut«, erklärte er Rebus.

»Wie meinst du das?«

»Er war der erste Chef der SCRU – wir sind sozusagen alle seine Kinder.«

»Wie lange ist das her?«

»Ungefähr fünfzehn Jahre.«

»Unten ist jemand, der ihn sucht.«

»Na, dann viel Glück.« Bliss sah Rebus’ Miene. »Er ist nicht tot, er hat sich vor sechs Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Ein Haus oben im Norden an der Küste gekauft.«

»DI Magrath arbeitet schon seit sechs Jahren nicht mehr hier«, erklärte Rebus in das Mundstück des Hörers.

»Kann dann bitte jemand anders mit ihr sprechen?«

»Wir haben hier ganz schön zu tun – worum geht’s denn?«

»Eine Vermisstenanzeige.«

»Fällt eigentlich nicht in unser Ressort.«

»Anscheinend kennt sie DI Magrath persönlich. Er hat ihr seine Karte gegeben.«

»Hat sie auch einen Namen?«, fragte Rebus.

»Nina Hazlitt.«

»Nina Hazlitt?«, wiederholte Rebus für Peter Bliss. Bliss dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Und was genau will sie von uns?«, fragte Rebus den Mann unten am Empfang.

»Wär’s nicht einfacher, wenn ihr sie das selbst fragt?«

Rebus überlegte. Bliss saß an seinem Schreibtisch und packte sein Krabbensandwich aus – er holte sich immer dasselbe aus der Kantine. Cowan müsste ebenfalls bald auftauchen, seine Finger würden nach Chips mit Speckgeschmack riechen. Vielleicht war ein Ausflug nach unten gar keine so schlechte Idee.

»Fünf Minuten«, sagte er in den Hörer und beendete das Gespräch. Dann fragte er Bliss, ob man sich in der Abteilung je mit Vermissten beschäftigt hatte.

»Meinst du, wir haben nicht schon genug zu tun?« Bliss stieß mit der Schuhspitze an ein halbes Dutzend muffig riechender Kisten, die sich neben ihm stapelten.

»Vielleicht hatte sich Magrath vor seiner Versetzung hierher ja auf Vermisstenanzeigen spezialisiert.«

»Soweit ich weiß, war er ganz normal beim CID angestellt.«

»Kanntest du ihn?«

»Wir haben immer noch Kontakt. Magrath ruft mich hin und wieder zu Hause an, um zu sehen, ob es die SCRU noch gibt. Er hat mich damals eingestellt – und das war mehr oder weniger das Letzte, was er gemacht hat, bevor er die goldene Uhr überreicht bekam. Nach ihm kam Eddie Tranter, und danach war Cowan an der Reihe.«

»Was höre ich da?« Cowan kam zur Tür herein. Er rührte mit einem weißen Plastiklöffel in einem Cappuccino. Rebus wusste, dass er den Löffel ablecken würde, bis auch der kleinste Rest Schaum verschwunden war, um ihn dann im Papierkorb zu entsorgen. Anschließend würde er den Kaffee schlürfen und dabei seine E-Mails am Computer lesen. Und im Raum würde es nach geräuchertem Speck und essigsauren Krabben riechen.

»Zigarettenpause«, sagte Rebus und warf sich sein Jackett über.

»Aber nicht zu lange«, ermahnte ihn Cowan.

»Werde ich schon vermisst?«, fragte Rebus und warf ihm im Weggehen eine Kusshand zu.

Der Empfangsbereich war nicht groß, und sie war kaum zu übersehen, weil sie die Einzige war, die in der Stuhlreihe Platz genommen hatte. Als Rebus näher trat, sprang sie auf. Die Tasche auf ihrem Schoß fiel zu Boden, und sie bückte sich, um den herausgefallenen Inhalt aufzusammeln. Zettel, mehrere Stifte, ein Feuerzeug, Sonnenbrille und ein Handy. Rebus beschloss, ihr lieber nicht zu helfen, wartete, bis sie wieder stand, Kleidung und Haare geordnet und sich gefasst hatte.

»Ich bin Nina Hazlitt«, erklärte sie und streckte ihm die Hand entgegen.

»John Rebus«, erwiderte er. Ihr Händedruck war fest, mehrere goldene Armreifen tanzten an ihrem Handgelenk. Sie trug ihr rotblondes Haar zu einem Bob frisiert, so nannte man das wohl, und war schätzungsweise Ende vierzig. Sie hatte Lachfältchen auf beiden Seiten ihrer blassblauen Augen.

»Ist DI Magrath in Rente?« Rebus nickte, statt eine Antwort zu geben, und sie reichte ihm eine Visitenkarte, die alt und fleckig war, die Kanten wellten sich bereits. »Ich habe versucht ihn anzurufen …«

»Diese Nummer ist schon lange nicht mehr aktuell. Was führt Sie her, Ms Hazlitt?« Er gab ihr die Karte zurück und steckte die Hände in die Taschen.

»Ich habe 2004 mit DI Magrath gesprochen. Er hat sich viel Zeit für mich genommen.« Die Worte purzelten aus ihr heraus. »Zum Schluss konnte er mir doch nicht helfen, aber er hat getan, was er konnte. Nicht alle waren so – und daran hat sich nichts geändert. Also dachte ich, dass ich ihn vielleicht erneut aufsuchen sollte.« Sie hielt inne. »Ist er wirklich schon in Rente?«

Rebus nickte erneut. »Seit sechs Jahren.«

»Sechs Jahre …« Sie starrte mit leerem Blick an ihm vorbei, als würde sie sich fragen, was nur mit all der Zeit geschehen war.

»Man hat mir gesagt, es gehe um eine Vermisstenanzeige«, half er ihr auf die Sprünge.

Sie blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt. »Meine Tochter Sally.«

»Wann ist sie verschwunden?«

»Silvester 1999«, erwiderte Hazlitt.

»Und seither keine Spur von ihr?«

Die Frau senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

»Das tut mir leid«, sagte Rebus.

»Ich gebe aber nicht auf.« Hazlitt atmete tief durch und sah ihm in die Augen. »Das kann ich nicht, bevor ich nicht die ganze Wahrheit kenne.«

»Das verstehe ich.«

Ihr Blick wurde weicher. »Das habe ich schon so oft gehört …«

»Natürlich.« Er drehte den Kopf Richtung Fenster. »Hören Sie, ich wollte gerade rausgehen und eine rauchen – vielleicht können Sie auch eine vertragen?«

»Woher wissen Sie, dass ich rauche?«

»Ich habe den Inhalt Ihrer Handtasche gesehen, Ms Hazlitt«, sagte er und geleitete sie zur Tür.

Sie spazierten über die Auffahrt zur Hauptstraße. Die von ihm angebotene Silk Cut lehnte sie ab, bevorzugte ihre eigenen Mentholzigaretten. Als sein billiges Feuerzeug streikte, kramte sie in ihrer Tasche nach einem Zippo.

»Man sieht nicht gerade viele Frauen mit den Dingern«, bemerkte er.

»Es hat meinem Mann gehört.«

»Hat?«

»Nach Sallys Verschwinden hat er nur noch ein Jahr gelebt. Die Ärzte sprachen von Embolie. Ein ›gebrochenes Herz‹ gibt man üblicherweise nicht als Todesursache an.«

»Ist Sally Ihr einziges Kind?«

Hazlitt nickte. »Sie war gerade achtzehn geworden. Noch sechs Monate, und sie wäre mit der Schule fertig gewesen. Sie wollte auf die Uni, Englisch studieren. Tom war Englischlehrer …«

»Tom war Ihr Ehemann?«

Sie nickte. »Das ganze Haus stand voller Bücher; kaum verwunderlich, dass er sie damit angesteckt hat. Als sie klein war, hat er ihr immer Gutenachtgeschichten vorgelesen. Eines Abends bin ich ins Zimmer gekommen, und statt eines Bilderbuchs lasen sie gerade Große Erwartungen.« Die Erinnerung brachte sie zum Lächeln, und ihre Gesichtsfältchen traten hervor. Obwohl sie die Zigarette erst zur Hälfte geraucht hatte, schnippte sie sie auf die Fahrbahn. »Sally hatte mit ein paar Freunden ein Ferienhaus nicht weit von Aviemore gemietet. Das Geld für ihren Anteil am Mietpreis hat sie von uns zu Weihnachten bekommen.«

»Zur Jahrtausendwende«, bemerkte Rebus. »Ich nehme an, das war nicht billig.«

»In der Tat. Es war ein Haus für vier Personen, und sie sind da zu sechst rein. Dadurch war es etwas günstiger.«

»Ist sie Ski gefahren?«

Hazlitt schüttelte den Kopf. »Ich weiß, dass der Ort vor allem dafür bekannt ist, und zwei der Mädchen konnten tatsächlich Ski fahren, aber Sally wollte nur so mit. Sie waren in Aviemore selbst – und gleich auf zwei Partys eingeladen. Alle haben gedacht, sie sei auf der jeweils anderen. Es gab keinen Streit oder so.«

»Hatte sie getrunken?«

»Das nehme ich an.« Hazlitt knöpfte ihre dünne Jacke zu, um sich vor der Kälte zu schützen. »Um Mitternacht rechnete ich mit einem Anruf, obwohl ich wusste, dass sie mit ihrem Handy vermutlich keinen guten Empfang hatte. Am nächsten Morgen dachten ihre Freundinnen, sie hätte jemanden kennengelernt und würde irgendwo ihren Rausch ausschlafen.« Sie hielt abrupt inne und sah ihm in die Augen. »Aber das hätte nicht zu ihr gepasst.«

»Hatte sie einen Freund?«

»Sie hatten sich im Herbst getrennt. Er wurde damals auch vernommen.«

Rebus hatte keinerlei Erinnerung an den Fall, aber Aviemore lag auch im Norden, weit weg von Edinburgh.

»Tom und ich mussten nach Schottland fahren …«

»Von?«, unterbrach Rebus sie. Er war davon ausgegangen, dass sie trotz ihres englischen Akzents in der Stadt lebte.

»London«, erklärte sie. »Crouch End – kennen Sie das?« Rebus schüttelte den Kopf. »Wir hatten Glück – Toms Eltern halfen uns nach unserer Hochzeit, das Haus zu kaufen. Sie waren zu etwas Geld gekommen.« Sie hielt inne. »Tut mir leid, das hat alles gar nichts damit zu tun.«

»Hat man Ihnen das so gesagt?«, vermutete er.

»Sehr viele Polizeibeamte«, gestand sie mit einem weiteren verzagten Lächeln.

»Wie kam es, dass Sie mit DI Magrath gesprochen haben?«, fragte Rebus nun wirklich neugierig.

»Ich habe mit allen gesprochen – allen, die bereit waren, mir zuzuhören. DI Magraths Name war in einem Zeitungsartikel erwähnt worden. Sein Spezialgebiet waren ungelöste Kriminalfälle. Und nach dem zweiten …« Sie merkte, dass er ihr aufmerksam zuhörte, und holte tief Luft, als würde sie sich auf einen Vortrag vorbereiten. »Mai 2002, an der A834 bei Strathpeffer. Ihr Name war Brigid Young. Sie war vierunddreißig und arbeitete als Buchprüferin. Ihr Wagen stand mit einem Platten an der Straße. Sie selbst wurde nie wiedergesehen. Jedes Jahr verschwinden so viele Menschen …«

»Aber etwas an diesem Fall ist besonders?«

»Na ja, der Ort liegt an derselben Straße …«

»Ach so?«, sagte Rebus.

»Strathpeffer liegt gleich an der A9 – sehen Sie auf der Karte nach, wenn Sie mir nicht glauben.«

»Klar«, sagte Rebus.

Sie sah ihn verärgert an. »Den Ton kenne ich. Sie fragen sich wohl, ob ich noch ganz bei Trost bin.«

»Wie kommen Sie darauf?«

Sie ignorierte ihn und erzählte weiter. »Der dritte Fall ereignete sich 2008 – ein Gartencenter auf der Straße zwischen Stirling und Auch…« Sie runzelte die Stirn. »Der Ort, wo das Gleneagles Hotel steht.«

»Auchterarder?«

Sie nickte. »Eine Zweiundzwanzigjährige namens Zoe Beddows. Ihr Wagen stand noch den ganzen folgenden Tag und auch den darauf auf dem Parkplatz. Deshalb wurde man misstrauisch.«

Rebus hatte seine Zigarette bis auf den Filter geraucht. »Ms Hazlitt …«, fing er an. Aber sie hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten.

»Ich habe das schon zu oft gehört, um nicht zu wissen, was Sie sagen wollen. Es gibt keine Beweise, keine Leichen, also hat kein Verbrechen stattgefunden. Ich bin bloß eine Mutter, die nicht nur ihr einziges Kind, sondern auch den Verstand verloren hat. Kommt das ungefähr hin, Inspector?«

»Ich bin kein Inspector«, erwiderte er leise. »Ich war mal einer, aber ich bin im Ruhestand und in ziviler Funktion für die Polizei tätig. Außerhalb der Abteilung für ungelöste Fälle habe ich keinerlei Befugnisse, und das bedeutet, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«

»Aber worum handelt es sich denn sonst, wenn nicht um ungelöste Fälle?« Ihre Stimme war jetzt lauter und leicht zittrig.

»Möglicherweise fällt mir jemand ein, mit dem Sie sprechen könnten.«

»Sie meinen beim CID?« Sie wartete darauf, dass er nickte, schlang die Arme um den Körper und wandte sich ab. »Von dort komme ich gerade. Der zuständige Inspector war kaum bereit, mir guten Tag zu sagen.«

»Vielleicht ja doch, wenn ich zuerst mit ihm spreche.« Rebus griff in sein Jackett nach dem Telefon.

»Es war eine sie. Hat sich mit Clarke vorgestellt.« Sie wandte sich ihm erneut zu. »Verstehen Sie, es ist wieder passiert. Und es wird immer wieder passieren.« Sie hielt inne und schloss ganz fest die Augen. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über ihre linke Wange. »Sally war nur die Erste …«

2

»Hey, warte«, sagte Rebus und stieg aus dem Wagen.

»Was ist los?« Detective Inspector Siobhan Clarke neigte den Kopf in Richtung des Gebäudes, aus dem sie gerade gekommen war. »Halten dich schlechte Erinnerungen davon ab reinzukommen?«

Rebus betrachtete einen Moment lang die triste Fassade der zweistöckigen Polizeiwache am Gayfield Square. »Bin gerade erst gekommen«, behauptete er, obwohl er tatsächlich bereits gut vier oder fünf Minuten in seinem Saab gesessen und am Lenkrad herumgespielt hatte.

»Sieht aus, als hättest du Pause.«

»Gut kombiniert.« Sie lächelte und machte ein paar Schritte auf ihn zu, gab ihm ein Küsschen auf die Wange. »Wie ist es dir ergangen?«

»Mir? Ich lebe in Saus und Braus.«

»Du meinst, du ergibst dich dem Nikotin und dem Alkohol?«

Rebus zuckte mit den Schultern, erwiderte ihr Lächeln, schwieg aber.

»Um deine Frage zu beantworten«, sagte sie, »ich bin auf ein spätes Mittagessen aus. Im Leith Walk gibt es einen Imbiss, wo ich meistens hingehe.«

»Falls du mich bittest, dich zu begleiten, dann nur unter gewissen Bedingungen.«

»Und welche wären das?«

»Keine Chips mit Speckgeschmack und keine Krabben.«

Sie dachte einen Augenblick nach. »Könnte ein Dealbreaker sein.« Dann gestikulierte sie Richtung Saab. »Wenn du den hier stehen lässt, kriegst du einen Strafzettel, auf der anderen Straßenseite gibt’s gebührenpflichtige Parkplätze.«

»Für eins achtzig die Stunde? Ich bin Rentner, schon vergessen?«

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