Mädchenkiller - D. P. Lyle - E-Book
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Mädchenkiller E-Book

D.P. Lyle

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Beschreibung

Ein weißer Raum, ein Tisch aus Metall, ein Messer auf weicher, warmer Haut … Der Thriller »Mädchenkiller« von D. P. Lyle jetzt als eBook bei dotbooks. Entsetzt steht der Forensik-Experte Dub Walker vor der Leiche eines Mädchens: Es ist regelrecht ausgeweidet worden – doch so kunstvoll, als wäre hier kein bestialischer Killer am Werk gewesen, sondern ein Genie, das sich meisterhaft auf den Umgang mit dem Skalpell versteht. Während Walker gemeinsam mit dem Polizisten Tommy Tortelli und der Reporterin Claire McBride unter Hochdruck nach dem Täter fahndet, schlägt dieser wieder und wieder zu. Bald beginnen die Ermittler zu ahnen, dass sein Motiv noch schockierender sein könnte als seine blutigen Taten – doch wer ist zu so einem Wahnsinn fähig? Ein Thriller für alle Fans von Chris Carter: »D. P. Lyle schreibt über das, was er als Fachmann für Forensik weiß – und er weiß verdammt viel.« Bestsellerautor Lee Child Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Thriller »Mädchenkiller« von D. P. Lyle ist der zweite Fall rund um Dub Walker, den Experten für Beweissicherung, Tatortanalyse und Kriminalpsychologie und kann unabhängig von seinem Vorgänger »Januskiller« gelesen werden. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 457

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Über dieses Buch:

Entsetzt steht der Forensik-Experte Dub Walker vor der Leiche eines Mädchens: Es ist regelrecht ausgeweidet worden – doch so kunstvoll, als wäre hier kein bestialischer Killer am Werk gewesen, sondern ein Genie, das sich meisterhaft auf den Umgang mit dem Skalpell versteht. Während Walker gemeinsam mit dem Polizisten Tommy Tortelli und der Reporterin Claire McBride unter Hochdruck nach dem Täter fahndet, schlägt dieser wieder und wieder zu. Bald beginnen die Ermittler zu ahnen, dass sein Motiv noch schockierender sein könnte als seine blutigen Taten – doch wer ist zu so einem Wahnsinn fähig?

Ein Thriller für alle Fans von Chris Carter: »D.P. Lyle schreibt über das, was er als Fachmann für Forensik weiß – und er weiß verdammt viel.« Bestsellerautor Lee Child

Über den Autor:

D.P. Lyle, geboren und aufgewachsen im amerikanischen Bundesstaat Alabama, studierte in Texas Medizin und arbeitet heute als Kardiologe in Kalifornien. Darüber hinaus hat er zahlreiche Roman- und Drehbuchautoren mit seinem Fachwissen beraten, das so in TV-Serien wie »Law & Order«, »CSI: Miami«, »Monk«, »Dr. House« und »Cold Case« eingeflossen ist. Für seine eigenen Thriller und Sachbücher wurde D.P. Lyle mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Mehr Informationen über den Autor im Internet: www.dplylemd.com

Bei dotbooks erschien bereits D.P. Lyles erster Thriller mit Dub Walker: »Januskiller«

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eBook-Neuausgabe Januar 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2011 unter dem Originaltitel »Hot Lights, Cold Steel« bei Medallion Press, Inc..

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2011 by D. P. Lyle

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln.

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de), in Zusammenarbeit mit Gloria Goodman.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden Design, München, unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-342-1

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D.P. Lyle

Mädchenkiller

Dub Walker ermittelt – Thriller

Aus dem Englischen von Ulrike Moreno

dotbooks.

KAPITEL 1

Mittwoch, 19.32 Uhr

Ein nahezu perfekter Tag lag hinter mir.

Ich hatte viel erledigt. Ich hatte meinem neuesten Buch den letzten Schliff gegeben. Ein Buch darüber, wie sich Beweise in Verbrechensfällen verknüpfen und eine Kette bilden, manchmal auch eine Schlinge für die Bösen. Ich habe dem Buch den Titel Wie Beweise einen Fall entstehen lassen gegeben. Mit einem Tastendruck hatte ich das fertige Manuskript nach der Überarbeitung an meinen Verlag zurückgemailt. Nur wenige Dinge fühlen sich besser an als letzte Überarbeitungen.

Jetzt war Entspannung angesagt.

Ich heiße Dub Walker und besitze ein Cottage am Westhang des Monte Sano Mountain, einem der letzten Ausläufer der Appalachen. An diesem späten Nachmittag fläzte ich mich auf meinem Rotholz-Adirondack-Stuhl auf der Terrasse, die einen 180-Grad-Blick über Huntsville bietet. Die Sonne war hinter dem Horizont versunken, die ersten Lichter der Stadt erstrahlten, und eine warme Brise wehte aus dem Tal herauf.

Ich bearbeitete das Griffbrett meiner Martin-Gitarre und spielte Akkorde von »Red House« – in der ursprünglichen Version von John Lee Hooker, nicht die Version von Jimi Hendrix auf der E-Gitarre. Mit der nackten Ferse auf dem hölzernen Terrassenboden steuerte ich den Takt dazu bei.

Ein paar Stunden früher, gegen Mittag, hatte es mächtig gerappelt. Ein schweres Unwetter mit Blitz und Donner war durchgezogen, ein Gewitter von der Sorte, das die Fenster klirren lässt und den Himmel mit grellen Lichtstrahlen zerreißt. Eins von den Unwettern, die widerwillig weichen und dabei Tornados hinter sich herziehen. Doch diese Unwetterfront hatte sich schnell nach Osten verzogen und saubere Luft, einen kristallklaren Himmel und einen mittlerweile lauen Frühlingsabend hinterlassen. Es war einer dieser wundervollen Südstaatenabende, von denen man sich wünscht, sie gingen nie vorbei.

Was aber auch diesmal leider der Fall war.

Ich lehnte die Gitarre gegen den Stuhl, ging ins Haus, schenkte mir einen großen Bourbon ein und knipste die Stereoanlage an. Buddy Guy sang »Feels Like Rain«. Wieder auf der Terrasse, machte ich es mir auf meinem Stuhl bequem und schloss die Augen. Buddy fand seinen Rhythmus, und ich überließ mich der Musik.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich eingedöst war oder mich in Buddys Musik verloren hatte, aber mit einem Mal hörte ich Schritte neben dem Haus. Ich setzte mich auf und sah, wie eine Frau um die Ecke und auf die Terrasse kam und sich mir langsam näherte.

Eine Frau, die ich seit zehn Jahren nicht gesehen hatte. Sie war noch immer schön, noch immer unvergesslich.

Ich stand auf. »Miranda?«

»Du hast dich kein bisschen verändert, Dub.«

»Du auch nicht. Du bist umwerfend wie immer. Was führt dich her?«

»Tut mir leid, dass ich einfach so reinplatze. Ich wollte klingeln, aber dann habe ich die Musik gehört und dachte mir, du bist hinten im Garten.«

Ich umarmte sie. Als ich mich von ihr löste, bemerkte ich, dass ihre Augen gerötet waren. Ihr Gesicht sah abgespannt und müde aus. »Was ist los, Miranda?«

»Ich wollte dich anrufen«, sagte sie und seufzte tief. »Aber ich wusste ja nicht, ob ich überhaupt herkomme. Ich habe es immer wieder aufgeschoben. Habe eine halbe Stunde draußen gesessen und versucht, mich zu einer Entscheidung durchzuringen.«

»Was ist denn passiert?«

»Alles.« Sie blickte sich um, als wäre sie nicht sicher, was sie tun sollte.

»Setz dich erst mal«, sagte ich. Wir gingen zu dem Rotholz-Esstisch, und ich zog ihr einen Stuhl heran. »Ein Glas Wein?«

»Was trinkst du?«

»Bourbon.«

»Wäre vielleicht besser.«

Ich holte ein Glas und die Flasche Whiskey aus der Küche und schenkte ihr zwei Fingerbreit ein.

Miranda nahm das Glas mit beiden Händen und hielt es so fest, als hätte sie Angst, sie könnte es fallen lassen. Ich sah, wie ihre Finger zitterten, als sie einen großen Schluck trank.

Ich setzte mich ihr gegenüber. »Also, was ist? Ist etwas mit Richard?«

Sie schüttelte den Kopf, und ihre Augen wurden feucht. »Er ist vor drei Jahren gestorben.«

»Das tut mir leid.«

»Es geht um Noel«, sagte sie mit plötzlich tränenerstickter Stimme. »Sie ist verschwunden.«

KAPITEL 2

Mittwoch, 19.42 Uhr

»Warum musst du so ein Schlappschwanz sein?« Alejandro Diaz pellte sein feuchtes T-Shirt von der Brust und fächelte sich damit Luft zu. Was keine große Erleichterung brachte. Das Gewitter, von dem Huntsville vor ein paar Stunden heimgesucht worden war, hatte schwüle Luft und schweres Erdreich hinterlassen, was das Graben mühsam machte. Seit einer Dreiviertelstunde rackerten sie sich jetzt schon damit ab.

»Was?« Eddie nahm einen Schluck aus einer Halbliterflasche Jack Daniel's. »Nur weil ich lieber ein kaltes Bier trinken und die Ladys tanzen sehen würde?«

Alejandro schleuderte eine weitere Schaufel Erde hoch und stieg aus der Grube. »Du bist dran.«

Eddie stopfte sich die Flasche in die Gesäßtasche, zog das T-Shirt aus und sprang in die Kuhle. Widerwillig ergriff er die Schaufel und machte sich ans Graben. »Scheißspiel. Ich bin's leid, der Müllmann zu sein.«

»Willst du deine Knete? Dann grab das verdammte Loch.«

Alejandro zündete sich mit seinem Zippo, dessen flackerndes Licht von den umstehenden Bäumen zurückgeworfen wurde, eine Zigarette an. Er nahm einen langen Zug und pustete den Rauch hinauf zum Halbmond, der durch die Baumkronen über ihnen schien.

»Scheiß drauf«, sagte Eddie. »Lassen wir's gut sein, Mann.«

Alejandro blickte auf den jüngeren Mann hinunter. Das Mondlicht übergoss sein strubbeliges blondes Haar und seine schweißglänzenden Schultern mit silbernem Schimmer. »Grab das Loch, oder du kriegst keinen Cent. Kapiert?«

Eddie stieß die Schaufel in die Erde. Diesmal traf sie scheppernd auf Gestein. »Siehste? Das war's.«

»Mist«, sagte Alejandro. »Komm raus da.«

Das ließ Eddie sich nicht zweimal sagen. Jetzt sprang Alejandro in das Loch und stieß die Schaufel mehrmals in die Erde, traf aber jedes Mal auf große Kalksteinbrocken. Die ganze Gegend war voll davon. Sollten sie woanders noch einmal von vorn anfangen? Und fast eine Stunde Schufterei vergeuden?

»Ich brauch 'n Bier und 'ne Muschi«, sagte Eddie.

»Die von der kleinen puta im High Rollers?«

Das High Rollers war ein Striplokal am University Drive. Es gehörte Rocco Scarcella, Alejandros Boss. Dem Mann, der für die Grube zahlte.

»Carmelita ist keine Nutte. Sie ist mein kleiner Engel.«

Was für ein blöder Penner, dachte Alejandro. Wenn er ein paar Mäuse macht, gehen sie für Drinks und Carmelitas Lapdance drauf »Sie ist weder dein Engel noch dein sonst was. Die Kleine gehört jedem, der ein bisschen Kohle in der Tasche hat.«

Eddie ließ die Schultern rollen, als hätte er einen steifen Nacken. »Sie hat Eddie-Fieber.« Mit breitem Grinsen rieb er sich den Schritt. »Und ich hab das Mittel dagegen.«

Alejandro lachte. »Warst du überhaupt schon mit ihr im Bett, Edito?«

»Nenn mich nicht so.«

»Pobrecito. Du solltest dein Geld lieber behalten und dich in deine Hand verlieben.«

Eddie funkelte ihn böse an und zögerte, als wollte er noch etwas sagen, zog dann aber die Flasche aus der Gesäßtasche, nahm einen großen Schluck und verzog das Gesicht, als er den scharfen Bourbon schluckte. »Wirst schon sehen.«

Alejandro ließ die Zigarette fallen und trat sie mit dem Stiefel aus. »Hol die Taschenlampe«, befahl er, während er den Stummel aufhob und in die Tasche steckte.

Eddie verschwand zwischen den Bäumen, als er zu Alejandros Pick-up ging. Kurz darauf kam er zurück, schüttelte die Lampe, knipste sie an und aus. Nichts. Verärgert schlug er sie gegen die flache Hand. Noch immer nichts. »Mist!«, fluchte er und schleuderte die Lampe in den Wald, wo sie im Unterholz verschwand. »Das Scheißding ist kaputt.«

Alejandro gab sich Mühe, seine Wut zu zügeln. Er hatte Eddie nur Ellie zuliebe mitgenommen, Eddies älterer Schwester, eine von Alejandros früheren Geliebten. Und er ertrug Eddies Schwachsinn nur aus einem unbestimmten Schuldgefühl heraus, weil er Ellie verlassen und verletzt hatte, auch wenn seitdem mindestens ein Jahr vergangen war. Ihr ständiges Bemuttern und die erstickende Liebe, mit der sie Alejandro überschüttet hatte, konzentrierten sich jetzt ganz auf Eddie. Sie hatte ihren Bruder von den gefährlichen Straßen Atlantas weggeholt, fort von den Gangs, den Drogen und Waffen und einem Haftbefehl wegen bewaffneten Raubüberfalls. Eddie, der »harte Bursche«, hatte dem verängstigten Besitzer eines Spirituosenladens für eine Handvoll Cash und ein Sixpack Bier eine Waffe vors Gesicht gehalten, ohne Maske, sonstige Verkleidung oder auch nur eine Mütze, was von den Überwachungskameras alles sehr schön deutlich aufgezeichnet worden war.

»Geh und such sie«, sagte Alejandro mit erzwungener Ruhe.

»Ist doch bloß 'ne Taschenlampe, Mann!«

Alejandro stieg aus der Grube und ging auf Eddie zu. Aus seiner überlegenen Höhe von einem Meter dreiundachtzig starrte er auf Eddies eins einundsiebzig hinunter. »Du willst dich mit mir anlegen? Mit mir und Rocco?«

»Ich will für diesen schmierigen Bohnenfresser keine Drecksarbeit mehr machen. Soll er doch selbst hier rauskommen und seine beschissenen Löcher graben.«

Alejandro biss die Zähne zusammen. »Wo kriegst du sonst fünfhundert Kröten für ein paar Stunden Arbeit?«

»Als Meth-Dealer in Atlanta hab ich mehr verdient.«

»Hast du deswegen für fünfundsechzig Mäuse einen Schnapsladen überfallen? Oder warst du auf das Budweiser scharf?«

Eddie gab keine Antwort, drehte sich um und ging in die Richtung, in die er die Taschenlampe geworfen hatte.

Alejandro kniete sich an den Rand der Grube. Das frisch umgegrabene Erdreich verströmte einen kräftigen, würzigen Geruch. Er machte sein Feuerzeug an und hielt es über die Grube. Nicht tief genug, dachte er. Es fehlte noch ein halber Meter, vielleicht mehr. Aber wollte er mit Eddie darüber streiten? Oder es selber tun? Er sah sich um. Sie waren meilenweit von Huntsville entfernt, mitten in der Walachei, auf einem bewaldeten Stück Land, das zwischen einer zweispurigen Landstraße und einem vergessenen kleinen Friedhof lag. Wer würde hier schon herumschnüffeln?

Als Alejandro ein leises, rhythmisches Rascheln hörte, drehte er sich in der Hocke um. Die gespenstisch weiße Gestalt einer Schleiereule schwebte zwischen den Bäumen über ihm. Er schaute der Eule hinterher, bis sie aus seinem Blickfeld verschwand.

Eddie kam mit leeren Händen aus dem Dunkel. »Da draußen ist sie nicht.«

Alejandro schwor sich, diesen Rotzbengel noch heute Nacht fallen zu lassen. Er kannte Typen, die rissen sich darum, mit so wenig Arbeit so viel Kohle zu scheffeln. Typen, die keine Zicken machten. Musste Ellie ihrem Schlappschwanz von Bruder eben eine andere Arbeit suchen. Vielleicht konnte Eddie ja zur Müllabfuhr gehen und ein echter Müllmann werden.

»Na los, bringen wir den Job zu Ende.« Alejandro ging voran, als sie das kleine Waldstück verließen und über einen schmalen Streifen Wildgras auf den Friedhof gelangten. Sein Pick-up stand unter einer knorrigen Eiche auf der Schotterstraße, die zwischen den Grabsteinen hindurchführte.

Er ließ die Heckklappe herunter und schlug die Plane zurück, unter der die beiden in Plastik eingehüllten Leichen lagen. Gut, dass er im Dunkeln wenigstens nicht mehr die leblosen Gesichter sehen konnte, die ihn vorher durch die durchsichtige Folie angestarrt hatten.

Nachdem er Handschuhe übergestreift hatte, legte er sich eine der Leichen über die Schulter. Er konnte die beginnende Totenstarre spüren.

Wieder überquerte Alejandro das freie Geländestück, ging zielstrebig zwischen den Bäumen hindurch auf die Grube zu, warf die Leiche hinein und trat beiseite. Eddie verfuhr mit der anderen Leiche genauso, allerdings mit bloßen Händen.

»Wo sind deine Handschuhe?«, fragte Alejandro.

»Hab ich verloren«, sagte Eddie.

Der verdammte Idiot! Alejandro fragte sich, ob er Eddie die Leiche aus der Grube rausholen lassen sollte, um sie gründlich abzuwischen. Ach, Scheiß drauf Bring es zu Ende, und nichts wie weg. »Du schaufelst die Grube zu.«

»Warum ich?«

»Weil ich fast das ganze Graben allein erledigt habe. Und weil ich es sage. Willst du deine putita sehen oder nicht? Also, mach dich an die Arbeit.«

Nach einem weiteren großen Schluck Jack Daniel's stellte Eddie die Flasche auf den Boden und packte die Schaufel. Mürrisch vor sich hin brummelnd machte er sich an die Arbeit.

Alejandro zündete sich eine weitere Zigarette an.

Plötzlich ließ Eddie die Schaufel fallen, sprang in die Grube und blieb mit gespreizten Beinen über den Leichen stehen.

»Was ist?«

Eddie zerriss das Plastik und entblößte eine kleine zarte Hand. »He, hast du den übersehen?«, fragte er, während er einen Ring von einem schlanken Finger zog und prüfend musterte.

Alejandro sah, dass es ein silberner Ring mit einem großen, dunklen Stein war.

»Wann hast du das Ding gesehen?«, fragte er.

»Jetzt gerade, als du die Zigarette angesteckt hast. Der müsste was wert sein.« Eddie steckte den Ring in die Hosentasche, stieg aus der Grube und schippte weiter.

Eine Viertelstunde später war das Grab zugeschaufelt, die Erde festgetreten und mit Tannennadeln bestreut. Eddie leerte die Halbliterflasche mit einem letzten großen Schluck und schleuderte sie in die Dunkelheit.

Alejandro starrte ihn düster an. »Willst du die Pulle hier liegen lassen? Damit die Cops sie finden?«

»He, Mann, wie oft haben wir diesen Job schon gemacht. Ein Dutzend Mal oder öfter. Und haben die Bullen jemals was gefunden?« Eddie schüttelte den Kopf. »Du machst dir zu viele Sorgen.«

Alejandro schloss die Augen, atmete tief durch und wartete darauf, dass seine Kiefermuskeln sich entspannten. Aber das taten sie nicht. Er warf die Schaufel auf die Ladefläche des Wagens und schloss die Heckklappe.

»Nichts wie weg hier«, sagte Eddie, als er auf den Beifahrersitz stieg. »Carmelita wartet.«

Alejandro ließ den Motor des Pick-ups an und fuhr über die Schotterstraße vom Friedhof. Zwei Abbiegungen nach links, eine nach rechts brachten ihn auf die Jeff Road, die Landstraße, die zurück zur Stadt führte.

Eddie öffnete das Handschuhfach und betrachtete im Licht der kleinen Lampe den Ring. »Wetten, dass ich dafür 'ne Muschi kriege?«

KAPITEL 3

Mittwoch, 19.53 Uhr

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Miranda. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Es ist meine Schuld. Ich wusste nicht, wohin ich gehen oder wen ich anrufen sollte.« Sie blickte zu mir auf. »Es tut mir leid, Dub ...«

Ich kann es nicht ausstehen, wenn mir einer dieser kalten Schauer über den Rücken läuft. Diese eisigen Finger der Angst, die dir sagen, dass ein Zug auf dich zurast, während du noch auf den Schienen stehst. Dass es nichts Gutes ist, was da auf dich zudonnert. Dass die Geschichte, die ich gleich hören sollte, eine hässliche Geschichte war.

Ich griff nach einer weiteren Serviette und tupfte sanft Mirandas Wangen ab. »Beruhig dich. Erzähl, was passiert ist.«

Miranda Richardson war immer das hübscheste Mädchen bei allen Tanzveranstaltungen gewesen. Mein Schwarm im ersten Collegejahr. Es hielt ein paar Monate an, wie das so ist. Am Ende des Jahres wechselte sie zum Randolph-Macon in Virginia, und ein Jahr später heiratete sie Richard.

»Du kannst dich wahrscheinlich nicht daran erinnern, aber seit meiner Heirat heiße ich Edwards.« Da hatte sie recht, das wusste ich wirklich nicht mehr. »Richard hatte Leukämie. Er starb eine Woche nach Noels sechzehntem Geburtstag. Sie hat seinen Tod sehr schwergenommen. Genau wie ich.« Miranda holte tief Luft und ließ sie langsam wieder aus. Ihr Gesicht war von der Anspannung gezeichnet; feine Fältchen säumten ihren Mund und ihre Augen.

»Das tut mir leid«, sagte ich. Lahm, aber das Beste, was mir auf die Schnelle einfiel.

»Noel spielte verrückt. Ihre Noten fielen in den Keller. Sie fing mit Drogen an, vor allem Marihuana, aber ich vermute, dass sie auch anderes Zeug genommen hat. Ein paar Mal ist sie weggelaufen. Dann hat sie eine Volljährigkeitserklärung beantragt mit der Begründung, ich sei eine schlechte Mutter. Ließ durch einen von Richards früheren Partnern die Papiere beim Vormundschaftsgericht einreichen.« Miranda blickte durch das Fenster hinaus auf die Stadt. »Und der Mistkerl hat es getan, weil ich nicht mit ihm schlafen wollte. Er hatte mich schon bei Richards Beerdigung angebaggert. Kannst du dir das vorstellen?«

Ich erwiderte nichts, da ich annahm, dass die Frage rein rhetorisch war. Und die Antwort offensichtlich. Der Kerl war Anwalt und darin geschult, Leute zur Schnecke zu machen.

»Zum Glück war der Richter auf meiner Seite, sodass ich Noel gleich wieder mit nach Hause nehmen konnte. Ein paar Wochen lang hat sie geschimpft und getobt, dann ist sie wieder weggelaufen, diesmal nach New Orleans. Ich brauchte drei Monate, um sie aufzuspüren. Sie lebte mit einem dreißigjährigen Drogensüchtigen zusammen. Der Junkie hat gedroht, mich umbringen zu lassen.« Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, so fest zerknüllte sie die Serviette. »Bis ich ihn daran erinnert habe, dass Noel erst sechzehn ist, sodass ich ihn wegen Verführung Minderjähriger drankriegen könnte.«

»Und dann hast du sie wieder mitgenommen?«, fragte ich.

Sie nickte.

»Wann war das?«

»Vor anderthalb Jahren. Sie ist total durchgedreht. Sagte, ich zerstöre ihr Leben. Beschimpfte mich als Nazi, Hure und was ihr sonst noch alles einfiel.« Miranda schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Ihre Schultern zuckten.

»So ist gut«, sagte ich. »Lass es raus.«

Sie weinte vielleicht eine Minute, dann straffte sie sich, kämpfte die Tränen nieder und tupfte sich mit der zusammengeknüllten Serviette die Augen ab. »Tut mir leid, Dub. Ich weiß, wie verrückt sich das alles anhört. Ich sollte dich nicht damit belasten.«

»Nichts davon hört sich verrückt an. Nimm dir Zeit, Miranda. Ich hab nichts vor. Ich kann dir die ganze Nacht zuhören.«

Sie verzog das Gesicht, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. »Ich liebe dich, Dub. Deshalb bin ich hergekommen. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Irgendwie dachte ich ...«

Ich legte die Hand auf ihren Arm. »Du bist genau da, wo du jetzt sein solltest.«

Sie blickte mich mit tränennassen Augen an.

»Ich nehme an, Noel ist wieder nicht lange zu Hause geblieben«, sagte ich.

»Stimmt.« Miranda seufzte. »Diesmal ist sie nach Atlanta gegangen, wo sie für irgendeinen Kerl angeschafft hat. Vor ungefähr einem Jahr erfuhr ich, dass sie hierhergezogen war und an der UAH studierte.«

»Tatsache?« Das hatte ich so nicht erwartet.

Die University of Alabama Huntsville, kurz UAH, ist eine renommierte Hochschule mit Schwerpunkt auf Hightech – wie nicht anders zu erwarten bei einer Uni, die vom Redstone Arsenal der US Army, dem Marshall-Raumfahrtzentrum der NASA und dem Cummings-Forschungszentrum umgeben ist. Um an der UAH angenommen zu werden, musste Noel die Zulassungsprüfungen mit links bestanden haben. Offenbar hatte sie die Intelligenz ihrer Mutter geerbt.

»Ich wünschte, es wäre so gut, wie es sich anhört«, sagte Miranda traurig. »Natürlich bin ich froh, dass sie jetzt an der Uni ist, aber sie hat anscheinend in irgendeinem Stripclub getanzt und sich prostituiert, um das Studium zu finanzieren. Ich hatte ihr angeboten, alles zu bezahlen, aber sie lehnte ab. Ich wolle sie nur kontrollieren, hat sie gesagt.«

»Wie kommst du darauf, ihr könnte etwas zugestoßen sein?«

»Das Einzige, worauf man sich bei Noel verlassen konnte, waren ihre Anrufe. Sie rief mindestens einmal die Woche an, manchmal sogar zwei- oder dreimal. Meist stritten wir uns, trotzdem hat sie sich immer gemeldet. Aber in den letzten beiden Wochen habe ich nichts von ihr gehört. Gar nichts. Ich habe eine ihrer Zimmerpartnerinnen angerufen, aber aus dieser Gehirnamputierten war nichts herauszubekommen. Ich habe sogar mit zwei von Noels Dozenten gesprochen. Sie sagten mir, Noel wäre seit zwei Wochen auch nicht mehr zu den Vorlesungen erschienen.«

»Und die Polizei?«, fragte ich.

»Deswegen bin ich ja von Birmingham raufgekommen. Ich hatte gestern bei der Polizei angerufen. Weil das aber zu nichts geführt hat, habe ich mir gesagt, ich gehe lieber persönlich hin. Aber auch das half nichts. Noel ist jetzt neunzehn. Die Polizei sagt, sie hätte das Recht zu verschwinden, wann und wohin sie will.«

»Und glaubst du das?«, fragte ich. »Dass sie wieder abgehauen ist, meine ich.«

»Ich weiß es nicht. Aus ihrer Zimmerpartnerin – sie heißt Sin-Dee Parker – habe ich nur erfahren, dass ihr Name sich Sin-Bindestrich-Dee schreibt, weil ihr das furchtbar wichtig ist. Mit S und D in Großbuchstaben. Ich würde ja darüber lachen, wenn ich nicht so verängstigt wäre. Na ja, wenigstens habe ich von Sin-Bindestrich-Dee erfahren, dass Noels Sachen noch alle da sind. Sie sagte, sie hätte Noel das letzte Mal vor ungefähr zehn Tagen gesehen. An dem Abend wären Noel und Crystal Robinson, ihre andere Mitbewohnerin, zu einer Verabredung gegangen. Mehr wollte Sin-Dee mir nicht sagen.« Wieder war Miranda anzusehen, wie sehr sie mit sich kämpfte, um die Fassung zu wahren. »Da stimmt was nicht, Dub.«

Widersprich niemals der Intuition einer Mutter. Und ich wusste ohnehin schon, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Wenn ein junges Mädchen sich auf Drogen einließ, strippte, sich prostituierte und dann verschwand, waren das niemals gute Neuigkeiten. Aber das sagte ich Miranda nicht; stattdessen bot ich ihr einen Hoffnungsschimmer an: »Nun lass uns mal nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.«

»Meinst du, ich überreagiere?«

»Du tust genau das, was jede andere Mutter auch tun würde.«

»Vielleicht stelle ich mich ja nur wie eine dumme Gans an. Noel ist schon ein Dutzend Mal weggelaufen. Aber diesmal ... es fühlt sich irgendwie anders an.«

»Lass dich nicht von deiner Einbildungskraft ins Bockshorn jagen. Gib mir lieber ein paar Tage, um ein bisschen herumzuschnüffeln.«

Miranda lächelte mich an. Nur war es leider nicht das ansteckende Lächeln, wie ich es von früher kannte, sondern eher eine Grimasse. Sie sah müde und mutlos aus, und ihre sonst vor Leben sprühenden Augen waren trüb und glanzlos.

»Ist Noel eigentlich je verhaftet worden?«, fragte ich.

»Zweimal. In Birmingham. Wegen Drogenbesitz.«

»Hast du neue Fotos von ihr?«

»Ich habe dir die hier mitgebracht.« Sie griff in ihre Handtasche und reichte mir ein halbes Dutzend Farbfotos. »Sie sind vom letzten Sommer. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass das rote Haar ihre Naturfarbe ist. Nur weiß ich leider nicht, was für eine Haarfarbe es zurzeit ist.«

Zwei Bilder waren Porträtfotos, auf denen deutlich zu sehen war, dass Noel das gute Aussehen ihrer Mutter hatte. Tiefblaue Augen und ein wundervolles Lächeln. Zwei der anderen Fotos zeigten sie in einem winzigen Bikini an einem Swimmingpool. Auf dem einen stand sie mit dem Gesicht zur Kamera, auf dem anderen blickte sie über die Schulter. Ihr Lächeln wirkte traurig. Am Ansatz ihres Rückens hatte sie ein Tattoo, das eine gelbe, von Dornen umrankte Rose darstellte. »Was ist das?«

»Das Tattoo? Das ist auch eine von den Sachen, über die wir uns gestritten haben.« Miranda senkte den Blick, schaute auf ihre Hände und schabte mit einem Fingernagel an der Nagelhaut eines anderen. »Wie belanglos mir das jetzt vorkommt.«

»Hast du die Adresse von dieser Sin-Dee?«

»Nur die Telefonnummer.« Miranda nahm ein Stück Papier aus ihrer Tasche, schrieb die Adresse auf und reichte mir den Zettel.

»Und der Club, in dem Noel aufgetreten ist? Hast du eine Ahnung, wie er heißt und wo er ist?«

»Ich glaube, der Schuppen nennt sich High Rollers, aber sicher bin ich mir nicht.«

Das High Rollers war ein Club westlich der Stadt mit sogenannten Erotik- und Exotik-Tänzerinnen, der von irgendeinem zweitrangigen Mafioso geleitet wurde.

»Meinst du, Noel geht es gut?«, fragte Miranda und wischte sich wieder über die Augen.

»Davon würde ich ausgehen.« Ich lächelte, aber es fühlte sich gezwungen an, und ich war mir sicher, dass Miranda das auch spürte. »Vielleicht hat sie einen reichen Typen kennengelernt und ist mit ihm nach Aspen, New York, Paris oder irgendeinen exotischeren Ort geflogen.«

Miranda starrte mich an, als würde sie mir kein Wort abkaufen. Wer konnte ihr das verübeln? Ich glaubte es ja selbst nicht.

»Wo wohnst du?«, fragte ich.

»Im Mariott, in der Nähe der Uni.«

»Okay. Dann will ich mal sehen, was ich herausfinden kann.«

Miranda schien sich zu entspannen. Ein bisschen jedenfalls.

»Und ich werde Claire McBride anrufen und sie einweihen«, kündigte ich an.

»Die Fernsehreporterin? Deine Ex?«

Ich nickte. Claire war Top-Berichterstatterin der Channel 8 News. Wir waren vor zehn Jahren kurze Zeit verheiratet gewesen, aber es hatte leider nicht geklappt. Es war vor allem Claires Schuld, ich schwör's. Heute sind wir Freunde. Manchmal sehr intime Freunde. Aber das ist eine lange Geschichte. »Ich werde Claire über alles informieren«, sagte ich. »Mal sehen, ob sie in ihrer Sendung darüber berichten will. Wenn wir Noels Namen und ihr Foto an die Öffentlichkeit bringen, rühren wir dadurch vielleicht irgendwas auf.«

Mirandas Augen schimmerten schon wieder feucht. »Was würde ich ohne dich tun, Dub?«

Ich begleitete sie zu ihrem Wagen und umarmte sie. Sie solle sich keine Sorgen machen, sagte ich, alles würde wieder gut, ich würde Noel finden. Und so weiter, bla, bla, bla. Phrasen, von denen ich selbst nicht sicher war, ob ich sie glaubte. Aber Miranda brauchte Zuspruch und ein bisschen Hoffnung, um eine Nacht darüber schlafen zu können.

Was mir übrigens auch nicht schaden würde.

KAPITEL 4

Mittwoch, 21.12 Uhr

Das Luder hatte einen tollen Körper, das musste Alejandro ihr lassen. Schlank, geschmeidig, superflacher Bauch und Titten, die einem buchstäblich entgegensprangen. Alles, was ein liebeskranker Bengel wie Eddie sich nur wünschen konnte. Alejandro saß an einem Vierertisch und nuckelte an einer Flasche Corona, während auf der anderen Seite des Tisches Carmelita damit beschäftigt war, Eddie zu bearbeiten. Hinter einem Vorhang aus lockigen dunklen Haaren strahlte sie den Jungen mit ihren schwarzen Augen an. Ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet zu einem sehr geübten Lächeln, das darauf abzielte, Eddie glauben zu machen, er sei ihr Ein und Alles.

Carmelita verstand es verdammt gut, alles einzusetzen, was sie hatte. Gleiches ließ sich von jeder anderen Tänzerin im High Rollers sagen. Sie waren mit allen Wassern gewaschene Profis, selbst die, die mit gefälschten Ausweisen arbeiteten, in denen ihnen Volljährigkeit bescheinigt wurde, obwohl die noch mindestens ein, zwei Jahre vor ihnen lag.

Alejandro beobachtete, wie Carmelita auf Eddies Schoß herumrutschte und ihre Hüften kreisen ließ, als vögelte sie ihn. Und Eddie konnte gar nicht schnell genug einen Geldschein nach dem anderen in ihren G-String stopfen. Idiot!

Alejandro ging zur Herrentoilette, um die Bierchen wegzubringen, die er sich hinter die Binde gekippt hatte. Den Film, der sich am Tisch abspielte, kannte er schon. Er sah ihn jedes Mal, wenn Eddie ein Bündel Scheine in der Tasche hatte.

Als Alejandro das WC verließ, griff eine barbusige Blondine nach seinem Arm. Die Kleine war vielleicht einundzwanzig, vermutlich jünger. »Wie wär's mit einem Lapdance?«

Alejandro schüttelte den Kopf und wollte weitergehen, aber sie hielt ihn fest. Trat noch näher heran, bis eine warme Brust seinen Arm berührte. Was sich gut anfühlte. Vor allem weiter unten.

»Komm schon«, sagte sie. »Es wird dir gefallen.«

Na ja, warum nicht. Alejandro führte sie zu seinem Tisch, drehte seinen Stuhl um und setzte sich. Das Mädchen sagte, sie hieße Madison, als sie sich auf Alejandros Schoß setzte und sich zur Musik – »I need You Tonight« von ZZ Top – bewegte, während bunte Lichtschwerter Schneisen durch die verräucherte Luft schnitten.

Auf der anderen Seite des Tisches schien Carmelita beschlossen zu haben, eine kleine Pause einzulegen. Sie und Eddie saßen Schulter an Schulter und steckten die Köpfe zusammen. Alejandro fing nur Gesprächsfetzen auf, aber die genügten, um sich ein Bild zu machen: Eddie prahlte vor Carmelita, er sei Auftragskiller. Sie fragte ihn, ob er schon mal jemanden getötet habe. Na klar, schon oft, lautete Eddies Antwort.

Jesus! Eddie, dieser Idiot, ließ sich ständig über Dinge aus, über die er besser geschwiegen hätte. Cierra la boca, idiota!

Das Lied verklang. Alejandro hielt Madison einen Zwanziger hin. Sie zog am Gummizug ihres G-Strings, und er schob den Schein darunter. Madison kicherte und hüpfte auf und ab, als die ersten Takte von Bob Segers »Night Moves« erklangen.

»Ich liebe diesen Song!«

»Und ich erst«, sagte Alejandro und starrte auf ihren wippenden Busen.

»Möchtest du noch einen Lapdance?«, fragte Madison mit schief gelegtem Kopf.

Alejandro nickte, und Madison begann wieder mit ihrem Programm, das eine gute Tarnung für Alejandro bot, Eddie unauffällig zu beobachten.

Der kleine Spinner kam immer mehr auf Touren und ließ eine Hand über Carmelitas Schenkel gleiten, was ihr nichts auszumachen schien. Sie hatte ihn am Haken und brauchte ihn nur noch an Land zu ziehen. Eddie griff in die Tasche und zog den Ring heraus, in dessen blauem Stein sich die zuckenden Discolichter brachen. Carmelita nahm den Ring und streifte ihn über einen Finger. Eddie ließ ihr ein paar Sekunden, um den Ring zu betrachten; dann streckte er die Hand aus. Carmelita zog einen einstudierten Schmollmund, streifte den Ring ab und gab ihn Eddie. Er drängte sich noch dichter an sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Alejandro konnte nicht hören, was Eddie sagte, aber Carmelita schüttelte den Kopf und verpasste ihm einen spielerischen Stoß gegen die Schulter.

Madison setzte sich derweil mit gespreizten Beinen auf Alejandros rechten Oberschenkel. Während ihr Körper in den Rhythmus der Musik verfiel, beugte sie sich langsam zu ihm vor, bis er ihren warmen Atem am Hals spürte.

In diesem Moment wurde der Song ruhiger, leiser, sodass Alejandro wieder Eddie und das Mädchen hören konnte.

»Ich glaube dir nicht«, sagte Carmelita lachend. »Du spielst doch nur mit mir.«

Eddie grinste. »Das würde ich gern machen.«

»So eine bin ich nicht.« Sie legte die Hände auf ihren nackten Busen und warf ihm einen gespielt verwunderten Blick zu.

»Nicht mal für den Ring?«, fragte Eddie.

»Nicht mal dafür.«

Madisons Hand glitt derweil über Alejandros Brust, und ihre Lippen streiften seine Wange. »Hmmm«, stöhnte sie, als sie sich an seinem Schenkel rieb.

Doch Alejandro wandte den Kopf und seine Aufmerksamkeit noch immer der Unterhaltung auf der anderen Seite des Tisches zu.

Eddie ließ seine Hand an Carmelitas Schenkel hinaufwandern und legte sie um das winzige Dreieck ihres G-Strings. »Für einen kleinen Vorgeschmack«, sagte er und drückte zu.

»Warum sollte ich mit dir gehen? Du belügst mich. Tust so, als wärst du ein großer böser Killer. Und der Ring ist wahrscheinlich bloß eine billige Imitation.«

»Komm mit«, beharrte Eddie. »Ich zeig dir was.«

»Was? Deine Pistole?«, fragte Carmelita mit hochgezogener Augenbraue.

»Zwei Tote.«

Carmelita grinste. »Zwei deiner Opfer?«

»Genau. Was glaubst du, woher der Ring ist?«

Ihr Lächeln erstarb. »Du meinst das ernst?«

»Stell mich auf die Probe. Dann wirst du sehen, wer ich bin.«

Alejandros Sinne wurden hellwach. Madison war jetzt nur noch eine Ablenkung, deren Geschäker und aufreizende Bewegungen er völlig ignorierte.

Carmelita rückte ihren Stuhl näher an Eddies heran. »Ich hab noch nie eine Leiche gesehen. Sind sie eklig?«

»Nicht für mich«, sagte Eddie mit stolzgeschwellter Brust.

»Und du gibst mir den Ring?«

»Und leg noch zweihundert drauf, wenn du über Nacht bleibst.«

Der Idiot! Alejandro stieß Madisons Hände weg und stand auf. Ihr schockierter Gesichtsausdruck schwand, als er ihr zwei Zwanziger in die Hand drückte. Dann bahnte er sich einen Weg an den Tischen vorbei zu einer Treppe im hinteren Teil der Bar, eilte die Stufen hinauf und ging auf den stiernackigen Mann zu, der neben einer Tür mit einem Schild »Kein Zutritt für Tänzerinnen« stand.

»Ich muss Rocco sprechen«, sagte Alejandro.

An den Namen des Gorillas konnte er sich nicht erinnern; der Bursche hieß Tony oder so ähnlich. Und Tony starrte Alejandro an, als hätte er nichts gehört. Vielleicht verstand er ihn ja nicht. Aber wahrscheinlicher war, dass Tony seine Türsteher-Muskeln nur deshalb spielen ließ, um Alejandro nervös zu machen. Schließlich grunzte er, stieß die Tür zum Büro auf und steckte den Kopf hinein. »Alejandro möchte Sie sprechen.«

»In Ordnung«, sagte Rocco.

Alejandro ging durch die Tür, die sich hinter ihm sogleich wieder schloss.

Ohne die Zigarre aus dem Mundwinkel zu nehmen, lehnte Rocco Scarcella sich im Sessel zurück. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen zwei dicke Bündel Geldscheine. »Was gibt's?«

»Wir haben ein Problem«, sagte Alejandro. Eddie war schon in den letzten beiden Monaten eine Nervensäge gewesen. Immer spielte er die große Nummer, stets übertrieb er es maßlos mit seinen Fähigkeiten. Doch jetzt hatte er sich von harmlosen Kopfschmerzen zu einer echten Plage entwickelt. Und zu einer Gefahr für Alejandros Rang und Ansehen.

»Lass hören.« Rocco spannte ein Gummiband um jedes Bündel Scheine.

»Eddie. Er quasselt wie ein Wasserfall.«

»Verstehe.«

»Über den Job heute Abend.« Alejandro erzählte Rocco, was er mitgehört hatte.

Der Boss kaute auf der Zigarre. »Was schlägst du vor?«

»Mich darum zu kümmern.«

»Wann und wo?«

»Heute Nacht, wenn ich ihn nach Hause bringe.«

»Und das Mädchen?«

»Sieht so aus, als käme sie mit. Das macht es zu 'ner sauberen Sache.«

»Brauchst du Unterstützung?«

Alejandro wusste, dass Rocco Unannehmlichkeiten hasste. Seine Leute sollten ihre eigenen Angelegenheiten gefälligst selbst erledigen. »Das krieg ich schon hin.«

Rocco nickte und schwenkte die Hand in Richtung Tür. »Gut. Aber verbock es nicht.«

***

Nachdem Alejandro gegangen war, griff Rocco nach dem Telefon und wählte Lefty Brunos Nummer.

»Yo«, meldete Lefty sich.

»Ich hab ein Problem und brauche dich und Austin.«

»Schon unterwegs. In zehn Minuten sind wir da.«

KAPITEL 5

Mittwoch, 23.21 Uhr

Wow, das würde eine coole Sache! Leichen!

Carmelita hatte noch nie einen Toten gesehen, von zweien ganz zu schweigen. Würden sie eklig sein? Und stinken? Sie hatte irgendwo gehört, dass sie wie faule Eier rochen. Und wenn sie sich übergeben musste? Das wäre peinlich. Trotzdem würde sie eine tolle Geschichte zu erzählen haben. Und einen Ring, um bei den anderen Mädchen damit anzugeben.

Eigentlich müsste sie bis ein Uhr morgens arbeiten, aber dieses Abenteuer war es allemal wert, zwei Stunden zu verplempern. Außerdem war heute sowieso nicht viel los, und die Trinkgelder waren lausig. An manchen Abenden war es nun mal so. Wäre heute Freitag und Zahltag gewesen, wäre Carmelita geblieben, aber an einem toten Mittwoch? Auf keinen Fall.

Bevor sie und Eddie den Club verließen, zog Carmelita Jeans und ein rotes T-Shirt mit einem gelben Ferrari-Logo an und sagte ihrer Freundin Madison, wohin sie wollte. Versuchte sogar, sie zum Mitkommen zu überreden. Zu einem Vierer, damit sie beide ein paar zusätzliche Kröten verdienten. Aber Madison wollte nicht. Wie immer. Sie machte nie bei Carmelitas Eskapaden mit. Madison nannte sie »Sexkapaden«. Aber tags darauf wollte sie von Carmelita jedes Mal sämtliche schmutzigen Einzelheiten hören.

Jetzt saß Carmelita in der Fahrerkabine eines Pick-ups zwischen Eddie und seinem Freund Alejandro, der den Wagen fuhr. Sie hatte Alejandro schon öfters im Club gesehen. Meistens war er mit Eddie zusammen. Eddie war jung und weich, während Alejandro nach einem ruppigen Typen aussah. Er lächelte nicht und sagte auch nichts, als Eddie sie miteinander bekannt machte. Stattdessen starrte er Carmelita mit kalter Verachtung an.

Carmelita wünschte sich, Madison wäre hier. Vielleicht hätte sie diesen Eisberg auftauen können.

Als Erstes machten sie vor einem Spirituosenladen Halt, wo Carmelita und Eddie zwei Sixpacks Bier und eine Halbliterflasche Jack Daniel's kauften. In dem hell erleuchteten Laden sah sie Eddie zum ersten Mal klar und deutlich. Er war sogar noch attraktiver, als er ihr im dunklen Club vorgekommen war. Dunkelblondes Haar, blaue Augen, nettes Lächeln. Carmelita hatte schon unansehnlichere Freier gehabt. Viel unansehnlicher. Und für sehr viel weniger Geld. Am allerbesten aber war Eddies Naivität. Wenn sie es clever anstellte, konnte sie die versprochenen zweihundert Dollar vielleicht verdoppeln.

Zurück im Wagen, nahm Carmelita einen großen Schluck Bier und kicherte, als Eddie ihren Schenkel streichelte und fest zudrückte. »Wie weit ist es?«, fragte sie.

»Nur ein paar Meilen bis zu mir nach Hause.« Eddie ließ eine leere Flasche in die Tüte fallen, zog eine volle heraus und schraubte den Verschluss ab.

»Zu dir? Und was ist mit den Leichen?« Carmelita stieß seine Hand weg. »Du hast es versprochen!«

Eddie lächelte. »Wir fahren hin. Wenn Alejandro uns absetzt, nehmen wir meinen Wagen.«

Carmelita musterte Alejandro schüchtern. Seine dunklen Augen und die grimmige Miene bereiteten ihr Unbehagen. Auch, wie fest seine Hände sich um das Lenkrad schlossen. »Du kommst nicht mit?«, fragte Carmelita.

»Nein.« Er nahm einen Schluck aus der Whiskeyflasche.

Eddie lachte. »Alejandro hat schon genug Leichen gesehen, was?«

Alejandro antwortete nicht, zog stattdessen eine Marlboro aus der Schachtel in seiner Hemdtasche und zündete sie mit einem Zippo an. Er ließ das Feuerzeug zuschnappen und warf es aufs Armaturenbrett, ehe er vom University Drive auf die Jeff Road abbog und nach Norden fuhr. Schnell ließen sie die Zivilisation hinter sich. Kurze Zeit später fuhren sie über eine einsame Landstraße, die hin und wieder an einer Farm vorbeiführte.

Carmelita blickte Alejandro an. »Bist du auch ein Killer?«

Alejandros Augen verengten sich, doch er nahm den Blick nicht von der Straße. »Du stellst zu viele Fragen.«

Carmelita rückte noch näher an Eddie heran, bis ihr Bein nicht mehr Alejandros Knie streifte. »Entschuldigung. Ich wollte nur freundlich sein.«

»Mach dir keine Gedanken über ihn«, beruhigte Eddie sie. »Alejandro spricht nie viel.«

Alejandro kommentierte die Bemerkung mit einem Brummen und trank einen weiteren Schluck Whiskey. Die offene Flasche klemmte er zwischen seine Schenkel und schnippte Zigarettenasche aus dem Fenster. Die Funken wirbelten wie Glühwürmchen umher, bevor sie in der Dunkelheit verschwanden.

Carmelita schaute aus dem Fenster und warf dann einen Blick über die Schulter. Nichts. Kein einziger Lichtschein. Kein Haus, kein Auto, keine Spur von irgendjemandem.

Schließlich bogen sie auf eine Schotterstraße ab. Die Lichter der Frontscheinwerfer hüpften, als der Pick-up über die unebene Straße holperte. Sie kamen an einem verblassten Schild vorbei, das mit »Sunnyvale Trailer Park« beschriftet war, und schlängelten sich durch eine Ansammlung von dreißig oder vierzig von Wind und Wetter mitgenommenen Wohnwagen, die rechts und links der staubigen Schotterstraße standen. Carmelita sah, dass die meisten Caravans fest im Erdreich eingebettet waren, während andere auf platten Reifen standen.

In der Nähe des Eingangs zum Trailer Park war in zwei Wohnwagen das Geflimmer von Fernsehern zu sehen, aber zum Ende des Platzes hin war alles still und dunkel, als wäre hier keine Menschenseele weit und breit.

Carmelita war so sehr damit beschäftigt gewesen, Bier zu trinken und mit Eddie zu reden, dass sie nicht bemerkt hatte, wie weit sie aufs Land hinausgefahren waren. Oder über welche Straßen sie gekommen waren. Plötzlich fühlte sie sich allein und hilflos; ihr Herz begann heftig zu pochen, ihre Hände wurden feucht.

»Sieht nicht so aus, als wohnte hier jemand«, bemerkte sie.

»Doch«, sagte Eddie. »Ich. Gleich da vorn.«

Worauf habe ich mich bloß eingelassen? Diese Männer waren Killer. Eddie hatte es ihr selbst gesagt. Was könnte die beiden davon abhalten, sie zu vergewaltigen, zu töten und dann irgendwo abzuladen, wo niemand sie je finden würde? Carmelitas Kehle war wie ausgedörrt. Sie versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war zu trocken. Sie trank einen Schluck Bier. Es schien viel bitterer zu schmecken als vorhin. »Ich sollte umkehren.«

»Was redest du da?«, fragte Eddie.

»Ich bin müde. Ich fühle mich nicht gut.«

Carmelita bemerkte, dass Alejandro sie mit schief gelegtem Kopf ansah, während Eddie selig lächelte. Er wirkte völlig harmlos. Aber war er das?

»Entspann dich, Süße. Wir amüsieren uns ein bisschen, dann zeig ich dir die Leichen, und dann fahr ich dich nach Hause.« Eddie drückte beruhigend ihr Bein. »Wirst schon sehen.«

KAPITEL 6

Mittwoch, 23.48 Uhr

Heute war eine große Nacht für Tommy Austin. Er und sein Mentor, Sal »Lefty« Bruno, waren »Mechaniker«, die Pannen behoben und Dinge regelten, die Rocco Scarcella geregelt haben wollte. Der zehn Jahre ältere und hundert Jahre erfahrenere Lefty hatte Austin nun schon seit einem Jahr diese Kunst gelehrt. Damals hatte Rocco Lefty aus Jersey mitgebracht. Heute Nacht würde Austin, ein einheimischer Junge aus Decatur, das auf der anderen Seite des Flusses lag, zum ersten Mal das Sagen haben.

Vor einer halben Stunde hatte Rocco sie beide ins High Rollers kommen lassen, weil er einen Job für sie hatte. Austin wusste, dass es etwas Wichtiges sein musste, wenn der Big Boss sie so kurzfristig sehen wollte. Wie immer benutzten sie die Hintertür und gingen gleich zu Roccos Büro hinauf, wo sie die Informationen zu ihrem Auftrag erhielten. Nur zehn Minuten später saßen sie schon wieder in ihrem SUV.

Jetzt saßen sie immer noch im Wagen, der auf einer kleinen, von zwei Hickorybäumen geschützten Anhöhe stand, die eine gute Sicht auf die heruntergekommene Wohnwagensiedlung bot, in der Eddie lebte. Die beiden Männer machten es sich bequem und warteten. Sehr lange würde es nicht dauern.

Austin, mit Jeans und einem schwarzen T-Shirt bekleidet, das eng an seinem muskulösen Oberkörper anlag, richtete das Nachtfernglas auf die verstreut dastehenden Wohnwagen. Sie sahen im Dunkeln wie schwarze Rechtecke aus; nur zwei Caravans hoben sich durch das gelbliche Leuchten einer Lampe im Innern ab. Austin richtete das Fernglas auf den letzten, von den anderen am weitesten entfernten Wohnwagen, der sich vielleicht sechzig Meter von ihrem Aussichtspunkt befand. Und völlig unbeleuchtet war.

Lefty stieß ihn an. »Da kommen sie.«

***

Der Pick-up fuhr auf Eddies Wohnwagen zu – ein kurzes, bulliges Ding mit abgerundetem Dach – und hielt vor der Eingangstür. Eddie stieg als Erster aus.

Carmelita zögerte. In dem von den Autoscheinwerfern erzeugten Lichtkreis konnte sie sehen, wie alt der Wohnwagen war, dass seine einst vermutlich weiße Lackierung sich in ein unappetitliches Gelb verfärbt hatte und dass er sich zur Seite neigte. Auch eine Fliegengittertür hing so schief, als würde sie jeden Moment den Halt verlieren.

Was tust du hier eigentlich?, fragte Carmelita sich besorgt.

»Na komm schon.« Eddie griff nach ihr.

Was konnte sie anderes tun? Bei Alejandro bleiben? Auf keinen Fall. Ihr blieb nur die Möglichkeit, mit Eddie zu gehen. Er war das kleinere Übel. Zumindest hoffte Carmelita, dass er so harmlos war, wie er zu sein schien. Zögernd stieg sie aus dem Wagen. Die eben noch warme Nachtluft kam ihr plötzlich sehr viel kühler vor.

Eddie sagte zu Alejandro, sie würden sich morgen wieder sehen, doch der ältere Mann erwiderte nichts, saß nur da und starrte vor sich hin.

Erst jetzt bemerkte Carmelita einen verrosteten Chevy-Pick-up, der neben dem Wohnwagen parkte. Der Chevy schien dunkelblau zu sein; jedenfalls sah er im Dunkeln so aus. »Deiner?«

»Yep.« Eddie öffnete die Wohnwagentür und winkte Carmelita hinein.

Sie blickte sich um. Alejandro hatte sich nicht gerührt.

Reiß dich zusammen, ermahnte Carmelita sich. Es wird schon gutgehen.

***

Austin beobachtete, wie Eddie das Mädchen in die lausige Baracke führte, die er sein Zuhause nannte, und Alejandro den Motor und die Scheinwerfer des Pick-ups ausschaltete. Jetzt war alles so still und dunkel, dass Austin das Nachtsichtfernglas wieder an die Augen hob.

Alejandro saß regungslos am Steuer, nur seine Zigarette flammte hellgrün auf, als er einen tiefen Zug nahm. Für eine Sekunde konnte Austin sich nicht erklären, warum Alejandro nicht mit den beiden anderen hineingegangen war, aber dann sagte er zu Lefty: »Sieht so aus, als ließe er den beiden Zeit, es sich gemütlich zu machen, bevor er sie erledigt.«

»Würde ich auch tun.«

»Um Alejandro kümmern wir uns hier draußen. Dann kommen wir einfacher in den Wohnwagen.«

Lefty nickte. »Ich hasse es, nicht zu wissen, wer eine Knarre hat und wer nicht.«

»Jede Wette, dass nur Alejandro bewaffnet ist«, sagte Austin. »Sobald er hinüber ist, müsste der Rest ein Kinderspiel sein.«

Lefty schraubte eine frische CO2-Patrone in die Luftpistole und schob den Pfeil in die Kammer. Dann reichte er Austin die Waffe.

***

Alejandro sah, wie das Licht im Wohnwagen aufflammte. Dann erblickte er die Schatten von Eddie und Carmelita, die sich hinter den Vorhängen abzeichneten. Er hörte Eddies gedämpfte Stimme und Carmelitas gelegentliches Kichern. Die beiden Silhouetten kamen zusammen, trennten sich, kamen wieder zusammen und begannen mit den typischen Bewegungen, die verrieten, dass beide dabei waren, sich auszuziehen. Noch mehr Gekicher. Dann hörte Alejandro das Rauschen der Dusche. Perfekt. Ein guter Augenblick für sein Erscheinen. Aber er würde den beiden noch ein paar Minuten lassen, bis sie richtig beschäftigt waren.

In aller Ruhe zündete er sich eine weitere Zigarette an.

***

Die dunklen Wohnwagen als Deckung nutzend, schlichen Austin und Lefty hinter Alejandros Wagen und hockten sich in die Deckung der Heckklappe.

Alejandro nahm einen weiteren Zug an seiner Zigarette, wie an deren Aufglühen durch das hintere Fenster der Fahrerkabine zu erkennen war.

Nun mach schon, Blödmann. Komm raus aus dem dämlichen Wagen.

Doch Alejandro rührte sich nicht, ließ sich alle Zeit der Welt und rauchte in Ruhe, als hätte er die ganze Nacht.

Austin blickte Lefty fragend an.

Lefty gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, er solle ruhig bleiben und sich gedulden.

Endlich stieg Alejandro aus dem Wagen. Nach einem letzten tiefen Zug an seiner Zigarette warf er die Kippe auf den Boden und zertrat sie mit dem Stiefel.

Austin trat hinter dem Pick-up hervor. Überrascht drehte Alejandro sich um. In diesem Augenblick hob Austin die Luftpistole und drückte ab. Der mit Fentanyl getränkte Pfeil traf Alejandro in die Brust. Er erstarrte, senkte für einen Moment den Blick, hob ihn dann wieder. Schwankend griff er nach dem Wagen, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Dann kippte er zu Boden.

***

Um nicht zu fallen, hielt Carmelita sich am Duschkopf fest. Einen Fuß gegen die Ecke der beklemmend engen Kabine gestemmt, schlang sie ihr anderes Bein um Eddies Körper. Ihr Rücken schlug rhythmisch gegen die Wand, und das fleckige Plastik ächzte, als Eddie sich immer schneller bewegte. Seine harten, fast schon fieberhaften Stöße bereiteten Carmelita mehr als nur leichtes körperliches Unbehagen. Gleich ist es vorbei, dachte sie. Er ist fast so weit. Immerhin hatte sie ihn überredet, einen Hunderter draufzulegen, wenn sie es unter der Dusche mit ihm trieb.

»Ooooh, du machst das gut! Du machst mich total verrückt!«, keuchte sie ihm ins Ohr.

Eddie stöhnte nur und stieß weiter zu.

»Ja, gut, gut! Ja, Eddie, ja! Du machst mich ganz ...«

Der Duschvorhang flog auf.

Carmelita fuhr zusammen, aber Eddie schien in seiner hemmungslosen Gier nichts zu bemerken und machte weiter.

Eine Hand und ein langer Pistolenlauf streckten sich ihnen entgegen. Ein leises, surrendes Geräusch, ein kleiner, dunstiger Rauchstoß aus der Mündung, und plötzlich steckte ein Pfeil in Eddies Nacken. Er fuhr herum, geriet ins Taumeln und ließ Carmelita los, bevor er bewusstlos zusammenbrach.

Der Mann, der den Pfeil abgeschossen hatte, war ein muskulöser Typ in schwarzem T-Shirt. Er lächelte, als er einen weiteren Pfeil in die Waffe steckte und einschnappen ließ.

Carmelita presste sich mit dem Rücken an die hintere Wand der Dusche. Wieder dieses surrende Geräusch. Einen Wimpernschlag später durchzuckte ein scharfer Schmerz ihre Schulter. Ihr Körper erschlaffte, und ihre plötzlich bleischweren Beine gaben nach. Für einen Moment hatte sie das Gefühl zu schweben, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Die Hand in einem Latex-Handschuh, drehte Lefty das Wasser ab. Austin zog Carmelita aus der Dusche. Lefty reichte ihm seine Neunmillimeter, die mit einem Schalldämpfer versehen war. Austin jagte Eddie ein paar Kugeln in den Kopf und gab Lefty die Waffe zurück. Der schnappte sich die Kleidung und die Handtasche des Mädchens, warf mehrere Tütchen Crystal Meth auf den Küchentisch und fischte den Ring aus Eddies Jeanstasche.

Anschließend verfrachteten sie Carmelita und Alejandro in ihren Geländewagen. Zum Schluss stieg Austin in Alejandros Pick-up und folgte Lefty aus der Wohnwagensiedlung.

KAPITEL 7

Donnerstag, 8.24 Uhr

Ich parkte in der von Eichen beschatteten, halbkreisförmigen Auffahrt von Patrice Nombergs Villa, die noch aus der Zeit vor dem Sezessionskrieg stammte und eigentlich in den Architectural Digest gehörte. Das zweistöckige weiße Gebäude mit den schwarzen Fensterläden und Verzierungen verfügte über sechs große korinthische Säulen, die sich über die gesamte Vorderfront erstreckten und einen mit Giebel versehenen Portikus trugen.

Ich kannte Patrice, seit wir in der sechsten Klasse nebeneinander gesessen hatten. In den darauffolgenden Jahren hatte sie viele Tätigkeiten ausgeübt: Highschool-Wildfang, Schul-Bordellwirtin, echte Bordellwirtin, Angeklagte, auf Bewährung Freigelassene, Geschäftsfrau, Quasi-Sozialarbeiterin – nur um einige zu nennen. Ein paar Mal wurde sie von der Huntsviller Polizei geschnappt. Als sie einen längeren Gefängnisaufenthalt vor Augen hatte – nicht nur ein, zwei Tage –, wurde Patrice zu einer gesetzestreuen Bürgerin.

Heute besaß sie zwei sehr erfolgreiche Boutiquen, eine in der City, die andere im Parkway-Place-Einkaufszentrum. Irgendwann hatte sie dieses von hohen Eichen umschlossene, nach altem Geldadel aussehende Herrenhaus auf dem Echols Hill erworben.

Patrice benutzte ihr Zuhause als eine Art Durchgangsheim für junge Streunerinnen: Mädchen, die Patrices' ursprünglichen Weg beschritten hatten und Hilfe brauchten. Wer nicht drogenfrei war und nicht arbeiten oder die Schule besuchen wollte, wurde nicht aufgenommen. Außerdem nahm Patrice nur Mädchen über achtzehn und unter fünfundzwanzig bei sich auf. Danach, so Patrice, waren sie zu festgefahren in ihren Gewohnheiten, um ihnen wirklich noch helfen zu können. Patrice finanzierte die Ausbildung der Mädchen, besorgte ihnen Jobs – einige arbeiten in ihren Boutiquen –, gab ihnen Kost und Logis und richtete Sparkonten für sie ein. Alles, was sie brauchten, um aus ihrem früheren Leben herauszukommen.

Ein Jammer, dass Noel nicht den Weg hierhergefunden hatte.

Warum ich hier war? Wenn jemand sich in der Welt der Stripperinnen und Prostituierten auskannte, dann war es Patrice. Auch wenn sie selbst nicht mehr in dieser Branche tätig war und sich nur noch um deren Opfer kümmerte, kannte sie doch die Akteure.

Eine junge Frau mit vom Schlaf verstrubbeltem blonden Haar öffnete die Tür und bat mich herein. Sie trug Jeans, ein zu großes Sweatshirt und nichts an den Füßen, wie ich bemerkte, als sie mich in die Küche führte.

Patrice begrüßte mich mit einer Umarmung und stellte mich Nicolette und Lola vor, einer weiteren jungen Blondine mit durchdringend grünen Augen, die gerade den Tisch deckte. Lola trug ein lindgrünes T-Shirt über abgetragenen Jeans, und auch ihre Füße waren nackt.

»Das Frühstück ist gleich fertig«, sagte sie. »Möchten Sie uns Gesellschaft leisten?«

»Die Mädchen wechseln sich mit dem Kochen ab«, warf Patrice ein. »Heute hast du Glück, denn Lola ist die beste unserer Köchinnen.«

Lola machte einen Knicks. »Es gibt Speck, Eier und Brötchen. Selbst gebacken, nach dem Rezept meiner Mom.«

Ich lehnte dankend ab, nahm aber eine Tasse Kaffee und setzte mich damit an die Küchenbar.

Patrice nahm mir gegenüber Platz. »Ich habe gerade dein neuestes Buch gelesen. Das über Serienkiller. Gruseliger Stoff.«

»Das gehört dazu.«

»Ja. Ich habe auch den Fall Brian Kurtz verfolgt. Da habt ihr gute Arbeit geleistet, du und T-Tommy.«

»Hauptsächlich er.«

»Wenn du es sagst.«

»Also, was hast du für mich?« Ich hatte Patrice gestern Abend angerufen, nachdem Miranda gegangen war, und sie gefragt, was sie über Sin-Dee Parker und Noel Edwards wisse.

Nun nahm sie ihre Kaffeetasse in beide Hände und sagte über den Rand hinweg: »Sin-Dee geht für Rosalee Kennedy anschaffen, eine alte Konkurrentin. Ich habe gestern Abend mit ihr gesprochen. Sin-Dee arbeitet schon länger bei Rosalee. Sie hat auch Noel angeschleppt.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Vor ungefähr einer Woche«, fuhr sie dann fort, »hat Rosalee zwei Mädchen, Noel und eine gewisse Crystal Robinson, zu einem Kunden geschickt, der beide Mädchen auf einmal wollte. Von dort sind sie nicht mehr zurückgekommen. Rosalee meint, das sei nichts Ungewöhnliches bei Crystal und dass sie bald wieder auftaucht. So wär's immer bei diesem Mädchen.«

»Hat Rosalee die Polizei verständigt?«

Patrice runzelte die Stirn. »Sie leitet keine Pfadfinderinnentruppe.«

Ja, eine dumme Frage. »Wer ist der Typ? Der Kunde, zu dem die Mädchen wollten, meine ich.«

Patrice trank noch einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse ab. »Ein Anwalt namens Ben Weiss. Er wohnt nicht weit von hier auf der Adams. Weiss hat eine Kanzlei unten an dem Platz, wo das Schiffman Building steht.«

Das Schiffman Building, ein Wahrzeichen Huntvilles, war das Geburtshaus der legendären Schauspielerin Tallulah Bankhead, die dort 1902 das Licht der Welt erblickt hatte.

»Ich habe Weiss angerufen«, fuhr Patrice fort. »Er behauptet, er habe noch nie etwas von Noel gehört und auch noch nie eine Prostituierte zu sich nach Hause bestellt.«

»Glaubst du ihm?«

Patrice lächelte. »Ich vertraue Männern grundsätzlich nicht. Anwälten schon gar nicht. Meinst du, dem Mädchen ist etwas zugestoßen?«

»Möglich. Ihre Mutter ist eine alte Freundin von mir. Sie sagte, Noel habe zwar Probleme, hätte normalerweise aber längst zu Hause angerufen. Meine Freundin hat seit fast zwei Wochen nichts von dem Mädchen gehört.«

»Ist das ungewöhnlich?«

»Neuerdings ja, sagt sie.«

»Ist das Mädchen vorher schon mal ausgerissen?«

Ich nickte.

»Dann kommt sie wahrscheinlich wieder.«

»Hoffen wir's.«