Magic Agents - In Prag drehen die Geister durch! - Anja Wagner - E-Book

Magic Agents - In Prag drehen die Geister durch! E-Book

Anja Wagner

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Beschreibung

1. Die Tätigkeit magischer Agenten (kurz: Magenten) ist streng geheim.
2. Die landestypischen Legenden des jeweiligen Einsatzortes sind zu studieren und zu respektieren.


Elia Evander kann es nicht glauben: Als in der Zentrale des magischen Geheimdiensts ein Notruf eingeht, bekommt ausgerechnet sie den mysteriösen Auftrag zugeteilt. Der Fall erfordert ihre sofortige Abreise nach Prag, wo sie eine Geisterprinzessin aus den Fängen ihrer Entführer befreien soll. Gelingt es ihr nicht, sie zu retten, droht der sagenumwobenen Stadt der Untergang ...
Zum Glück stößt Elia schnell auf eine erste Spur, doch die Geister-Schnitzeljagd bringt sie bald an ihre Grenzen – denn sie kann weder durch Wände gehen, noch hat sie alle magischen Wesen auf ihrer Seite. Im Gegenteil: Jemand scheint ihre Mission zu sabotieren, und das könnte ziemlich gefährlich werden!

Fabelwesen, magische Action und ein Hauch tschechischer Flair: Der zweite Einsatz für Magentin Elia Evander!

Alle verfügbaren Bände der Magic Agents -Reihe:
Magic Agents – In Dublin sind die Feen los! (Band 1)
Magic Agents – In Prag drehen die Geister durch (Band 2)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 300

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Autorin

Anja Wagner, geboren 1971 im Münsterland, ist gelernte Sozialpädagogin. Schon von früher Kindheit an las sie für ihr Leben gern und dachte sich selbst Geschichten aus. Im Alter von 10 Jahren nahm sie an ihrem ersten Schreibwettbewerb teil. Seit 2009 veröffentlicht sie Kinder- und Jugendbücher, die mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2023 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Text: © Anja Wagner 2023

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Michael Gaeb

Alle Rechte vorbehalten

Coverillustration & – gestaltung sowie Kapitelvignetten: Nele Schütz Design / Sonja Gebhardt unter Verwendung eines Motivs von Shutterstock.com / Monspix

Gestaltende Elemente im Innenteil: Shutterstock.com / YasnaTen; carmen2011; Tartila; StudioAnomali; Lia_Russy

ah · Herstellung: AJ

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-30754-7V002

www.cbj-verlag.de

Allgemeingültige Richtlinienfür Magent*innen auf Mission

1. Die Tätigkeit magischerAgenten (kurz: Magenten) ist streng geheim.

2. Sollte die Tarnung auffliegen, muss unverzüglich für Vergessen gesorgt werden, vorzugsweise mit Vergiss-es-Tropfen.

3.Vergiss-es-Tropfen sind auch das Mittel der Wahl bei magischen Missgeschicken.

4. Magentenhilfsmittel sind stets verschlossen zu halten und dürfen nur im Verborgenen angewendet werden.

5. Merke: Der magische Begleiter ist deine magische Ladestation, sein Wohlbefinden hat höchste Priorität. (Der Ratgeber Mein magischer Begleiter – wie er wirklich tickt gehört in jedes Magentengepäck.)

6. Der Notknopf führt zum sofortigen Abzug aus der Mission und zur Versetzung in den Innendienst. Er darf nur im Notfall betätigt werden.

7. Die magische SmartWatch muss stets aufgeladen sein, das Passwort ist täglich zu ändern.

8. Magentenfaustregel: Traue niemandem und traue jedem alles zu.

9. Erwachsene können sich nicht vorstellen, dass Kinder einen wichtigeren Auftrag haben als sie. Sie sind in dem Glauben zu belassen.

10. Die landestypischen Legenden und Mythen des jeweiligen Einsatzortes sind zu studieren und zu respektieren.

S.A.M. international

Hamburg – Boston – Rio de Janeiro – Johannesburg – Tokio – Melbourne (neu)

Rundbrief No. 5_November

An alle Magenten im 1. Jahr an der Höheren Makademie!

Die praktische Prüfung in MagischeFesselungstechniken steht an, und hier kommen die letzten Hinweise von Prüfungsleiter Engbert Eder:

Betrugsversuche wie etwa der Einsatz verbotener Fesseln (z. B. manausische Schlingfessel) führen zum sofortigen Ausschluss von der Prüfung. Gleiches gilt für den Einsatz magischer Werkzeuge, die nicht in die Kategorie »magische Fesseln« gehören (z. B. schlaffördernde Tools).

Magische Begleiter dürfen während der Prüfung anwesend sein, um die Magieversorgung sicherzustellen, sie dürfen darüber hinaus nicht ins Geschehen eingreifen.

Die magische SmartWatch muss ausgeschaltet sein.

Die zu fesselnden Kreaturen werden kurz vor der Prüfung ausgelost.

Man kann die Prüfung abbrechen, indem man seine Fesseln zu Boden legt und sich vor der Kreatur verneigt.

Im Auftrag:

Amanda Adams

S.A.M. international, Headquarters

1. KAPITEL

Die Flugrikscha

Manchmal träumte ich davon, eine ganz normale Familie zu haben. Und dann wachte ich auf und alles war genauso verrückt wie immer.

»Komm her, du störrisches Federvieh!«, hörte ich Edvina von unten rufen. »Wehe, du versteckst das Ei wieder irgendwo oder lässt es zu Boden fallen.«

Möbel polterten, vermutlich hechtete meine Mutter gerade hinter Krok her. Krok war Edvinas Eileger, eine Mischung aus schwarzer Eule und gerupfter Krähe, und er krächzte laut. Das tat er immer, wenn er ein Ei legte oder schlechte Laune hatte. Also ständig.

Ich stand auf und ging zum Fenster. Frost hatte sich auf unser Garagendach gelegt und aus dem kleinen Schornstein stieg dunkelroter Rauch in die Morgendämmerung auf. Enno war also schon fleißig. Oder er hatte die Nacht durchgearbeitet. Manchmal, wenn er eine Idee für ein neues magisches Tool hatte, verschanzte er sich tagelang in seiner Werkstatt und öffnete die Tür nur, damit wir ihn mit Essen versorgen konnten.

»Huahhh, es ist 7:13 Uhr am Samstag, den 15. November«, meldete Glenda sich gähnend aus meiner WitchWatch. Das grünliche Gesicht der Uhrenhexe erschien auf dem Display. Sie trug noch ihr kariertes Nachthemd und schob jetzt ihre Schlafmaske hoch, um mich grantig anzusehen. »Mit anderen Worten: Warum bist du schon wach, Elia Evander?«

»Aber ehrlich! Kann man nicht mal am Wochenende ausschlafen?«, knurrte Selmor. Mein Muffel lag eingerollt in seinem Körbchen neben meinem Bett. Sein braun-weiß geringelter Schwanz umschlang ihn wie ein Vanille-Zimt-Kringel. »Wehe, es gibt nicht wenigstens ein paar Chili-Raupen mit Croissants zum Frühstück.«

Seufzend blickte ich zum Bücherstapel auf meinem Schreibtisch. »Ich muss mich auf die Prüfung in Magische Fesselungstechniken vorbereiten. Wir haben keine Zeit zum Faulenzen.«

»Hört, hört«, höhnte Glenda und zog die Schlafmaske wieder über die Augen. »Sie wird geprüft und wiralle haben keine Zeit.«

Selmor öffnete ein Auge, aus dem er mich mit Todesverachtung ansah. »Wenn du mich wieder als Versuchskaninchen für deine magischen Fesseln eingeplant hast, schlag es dir gleich aus dem Kopf. Ich will nicht noch einmal den halben Tag lang an der Dachrinne baumeln, nur weil du die Drachenkralle nicht mehr aufkriegst. Und überhaupt! Hast du die Magentenprüfung nicht schon längst bestanden? Wozu dieser Ehrgeiz?«

Ich hockte mich neben Selmors Körbchen und streichelte meinem magischen Begleiter über das Fell. Warm begann es zuerst in meiner Hand und dann in meinem ganzen Körper zu kribbeln. Selmors Magie übertrug sich auf mich und ich fühlte mich voller Energie. »Auch nach der Grundausbildung muss man weiterlernen und Prüfungen ablegen, um sich für besondere Aufgaben zu qualifizieren. Die Besten von uns werden sogar weltweit bei magischen Notfällen eingesetzt. Stell dir nur die vielen Abenteuer vor: Boston, Rio de Janeiro, Johannesburg, Tokio …«

»Lass dich nicht aufhalten«, murmelte Selmor im Halbschlaf. »Ich ziehe allerdings mein warmes Körbchen hier vor.«

Ein sonderbares, trappelndes Geräusch von draußen ließ mich aufhorchen und zurück zum Fenster eilen. Wie immer hatte ich zuerst Enno in Verdacht. Doch die Garage war unversehrt, ganz im Gegensatz zu der Erfinderwerkstatt in unserer Geheimbehörde. Die hatte mein Vater vor ein paar Jahren in die Luft gejagt und musste seitdem zu Hause arbeiten.

Das Getrappel draußen wurde immer lauter. Ich öffnete das Fenster und beugte mich weit hinaus. Es war noch nicht ganz hell. Unsere ordnungsliebenden Nachbarn schliefen sicher alle. Ich schaute den Erlenweg hinab und traute meinen Augen kaum. Vorne an der Kreuzung bog ein sonderbares Gefährt in unsere Straße ein. Ein großer Straußenvogel zog holpernd eine zweirädrige Kutsche hinter sich her.

Ich warf das Fenster wieder zu und stürzte zu meinem Teleskop. Es war kein gewöhnliches Fernrohr, sondern ein Wechselglas, welches die Magie aus der Umgebung herausfilterte und mir die Welt zeigte, wie sie für Nicht-Magenten aussah.

Das hatte ich mir gedacht! Der Strauß war durch das Wechselglas nicht zu sehen. Vielmehr wirkte es so, als würde die Rikscha von einem alten, knatternden Motorrad gezogen.

Ich stürmte aus meinem Zimmer und die Treppe hinunter. Krok saß auf dem Treppengeländer und schwieg verdächtig. Edvina kniete unten auf dem Teppich vor der Garderobe und durchsuchte unsere Schuhe.

»Nanu, was hat dich denn aus dem Bett geworfen?«, rief sie und schaute mich kurz verblüfft an. »Doch nicht etwa ein neuer Auftrag?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, wir kriegen Besuch.«

Aber Edvina hörte mir gar nicht zu, denn sie zog gerade triumphierend ein schwarzes Ei aus einem meiner Turnschuhe. »Na, was haben wir denn da?« Sie pustete sich eine blonde Locke aus der Stirn und stand auf. »Ich schwöre, irgendwann fliegt dieser hinterhältige Eileger hier raus. Da bin ich doch lieber nicht mehr magisch, als dieses boshafte Gefieder noch länger durchzufüttern«, zischte sie Krok entgegen. Das hektische Getrappel von draußen ließ sie aufhorchen und sie blickte mich irritiert an. »Um Himmels willen, was ist das?«, rief sie, denn das Hämmern wurde immer lauter. »Enno!«, vermutete sie dann und stemmte sich aufgebracht die Hände in die Hüften.

»Ausnahmsweise nicht.« Ich lief zur Haustür, um sie aufzureißen.

Der riesige Straußenvogel bog gerade in unsere Einfahrt ein. So aus der Nähe war er noch beeindruckender: Er hatte blau leuchtendes Gefieder und einen langen gelben Hals. Auf dem Kopf trug er eine lederne Motorradkappe und eine alte Motorradbrille.

»Ho, Archie, hooo!«, rief eine Frauenstimme aus der Rikscha, und der Strauß bremste abrupt ab. Staub wirbelte auf, und als er sich wieder legte, erkannte ich, wer da gerade aus der Kutsche stieg.

»Vivy!« Ich stürmte meiner Tante entgegen.

Vivy, offiziell und für alle anderen Elvira, war die Schwester meines Vaters, und sie sah ihm nicht nur unfassbar ähnlich, sie war auch mindestens genauso verrückt und abenteuerlustig wie er. Aber im Gegensatz zu Enno war sie in Magentenkreisen berühmt. Jeder kannte sie. Im Kartendeck der größten Späher aller Zeiten, also der Talente-Scouts der S.A.M., war ihre Sammelkarte die mit dem goldenen Rand.

Sie drückte mich fest an sich und in meiner Nase kitzelte der üble Geruch von Schwefelwasserstoff. Vivy roch wie Enno nach überschüssiger Magie, ein wenig nach faulen Eiern.

»Aber das ist doch völlig unmöglich!«, rief Edvina hinter mir. »Ich dachte, du bist gerade in Australien auf Talentsuche.«

Vivy zwinkerte mir zu und drehte sich dann zur Kutsche, um einen alten Lederkoffer und einen winzigen, runden Vogelkäfig aus der Rikscha zu heben und mir in die Arme zu drücken. »Gestern Australien, morgen Alaska. Archie macht es möglich.« Sie trat an den Straußenvogel heran. »Den größten Teil der Strecke sind wir mit Überschallgeschwindigkeit geflogen. Nur über Städten müssen wir vorsichtig sein.« Sie löste Archie aus dem Geschirr und gab ihm einen gutmütigen Klaps, woraufhin der Strauß anfing, in unserem Garten zu grasen. Dabei machte er sonderbare, knatternde Geräusche. »Er hat unterwegs viel Luft geschluckt«, entschuldigte Vivy sich. »Die muss irgendwie wieder raus.«

Edvina starrte Vivy noch immer ungläubig an. Dann wanderte ihr sorgenvoller Blick von einem Nachbarhaus zum nächsten. Sicher dachte sie an das Chaos, das Vivy bei ihrem letzten Besuch im Erlenweg hinterlassen hatte.

»Ach, Elia?« Vivy deutete auf den kleinen Vogelkäfig. »Bitte trag Sir Brumpickle ins Haus und lass ihn frei. Der heult schon, seit wir über Indien waren.« Sie beugte sich zu mir. »Sagte ich heulen? Kreischen ist noch zu niedlich ausgedrückt. Du glaubst gar nicht, was für Laute dieses adlige Geschöpf von sich geben kann.«

Ich lugte ins Innere des Käfigs und betrachtete das handtellergroße Wesen, das bei Vivys letzten Worten die Augen verdrehte. Sein pelziger Körper sah dem eines Äffchens ähnlich, es hatte zwei große gezackte Flügel und am Ende seines langen dünnen Schwanzes etwas, das mich an eine Fischflosse erinnerte. Statt einer Nase trug es einen langen Stachel mitten im Gesicht und auf dem Kopf hatte es zwei spitze Ohren. Mit verschränkten Armen blitzte mich die Kreatur grimmig durch die Gitterstäbe an.

Vivy blickte ebenfalls in den Käfig und seufzte. »Sir Brumpickle ist ein Rumbat, ein Fledermaus-Moskito, und japp, er tut genau das, was du jetzt denkst: Er sticht wie eine lästige Mücke und liefert mir so Magie. Problematisch wird es natürlich, wenn er Nicht-Magenten sticht, deshalb ist er unterwegs im Käfig. Pass also gut auf, wenn du ihn rauslässt.«

Im Nachbarhaus wurde die Tür geöffnet und Ilseborg trat im geblümten Bademantel nach draußen. Ihr mausgrauer Pottschnitt wirbelte herum, als sie neugierig zu uns herübersah. »Leopold?«, rief sie krächzend ins Haus, ohne uns aus den Augen zu lassen. Dann ging sie näher an den Ginsterbusch heran und begann mit spitzen Fingern das letzte Laub von den Zweigen zu pflücken. Nicht, dass der Ginster es nicht alleine geschafft hätte, sein Laub abzuschütteln, aber aus dieser Position konnte Ilseborg uns perfekt belauschen. Und wie immer tat sie so, als hätte sie uns gar nicht bemerkt. Sie reagierte nicht mal auf Vivys fröhliches »Guten Morgen!«.

»Du hast gerufen, Liebes?« Leopold, Ilseborgs Mann, kam in Pantoffeln aus dem Haus und schlurfte durch den Vorgarten.

»Die Nachbarn haben Besuch«, raunte Ilseborg ihm zu, ohne sich zu bemühen, leise zu sprechen. »Ist das nicht die durchgedrehte Person, die vorletztes Jahr mitten im Sommer ein Feuerwerk in der Einfahrt gezündet und Theos Kaninchenstall abgefackelt hat?«

Edvina warf mir einen alarmierten Blick zu.

»Schon möglich, Liebling.« Leopold sah nicht einmal richtig hin.

»Du solltest die Polizei rufen«, verlangte Ilseborg. »Wer weiß, was für ein gemeingefährliches Tier sie da in dem Käfig mitgebracht hat. Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, wenn diese Person in der Nähe ist.«

»Ach, guck, die Zeitung ist schon da.« Leopold ging zum Briefkasten an der Gartenpforte. »Warum trinken wir nicht erst mal unseren Kaffee, solange er noch heiß ist?«

»Du würdest auch noch Kaffee trinken, wenn unser Haus brennt«, schimpfte Ilseborg.

»Na komm, Liebes«, sagte Leopold sanft. »Ich habe dir auch schon einen Toast mit Marillenmarmelade gemacht.«

Vermutlich war die Marillenmarmelade das Stichwort, das Ilseborg lockte. Jedenfalls warf sie nur noch einen finsteren Blick über die Hecke und stapfte dann hinter Leopold ins Haus. Und ich fragte mich wieder mal, wie zwei Menschen so unterschiedlich sein konnten, und vor allem, wie der sanftmütige Leopold es mit Ilseborg aushielt.

»Wir gehen auch besser rein.« Edvina nahm mir Vivys Koffer ab. »Du kommst übrigens wie gerufen«, sagte sie zu Vivy. »Enno hockt schon seit gestern Nachmittag in seiner Werkstatt. Vielleicht kannst du ihn ja rauslocken.«

Vivy schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, der muss da wohl noch etwas länger hocken bleiben. Ich habe einen dringenden Termin in der Stadt.« Sie blickte nachdenklich zu ihrem Strauß herüber. »Es ist nur immer schwierig, Archie irgendwo zu parken. Er lässt sich nicht gerne anbinden.«

»Kein Problem«, meinte Edvina. »Ich muss sowieso noch in die Zentrale. Ich kann dich in unserem Auto mitnehmen und Elia passt in der Zeit auf Archie und Sir Brumpickle auf. Aber nun sag doch mal, Vivy: Du hast einen neuen magischen Begleiter? Wie hast du das angestellt?«

Ich wusste genau, worüber meine Mutter nachdachte.

»Ach, das war äußerst tragisch!«, rief Vivy auf dem Weg zur Haustür. »Mein treuer Eileger ist letztes Jahr bei den Magentenfestspielen von einem tibetischen Fransendrachen gefressen worden.«

»Tibetischer Fransendrache also«, murmelte Edvina, als würde sie die Info für später abspeichern.

»Also, Elia, wenn wir aus der Stadt zurück sind, musst du mir unbedingt alles über deine erste Mission erzählen«, verlangte Vivy und wechselte damit das Thema. »Und welchen magischen Begleiter du bekommen hast und ob es wahr ist, was ich über dich in der MURKS! gelesen habe …« Sie kramte aus dem vorderen Fach ihrer Umhängetasche ein Journal heraus, auf dessen Titelseite das misslungene Foto aus meiner Magentenakte abgebildet war, und drückte es mir mit einem Augenbrauenwackeln in die Hand.

Ein neuer Stern am Magentenhimmel

Elia Evander heißt die Magentin, die in der Deutschlandzentrale der S.A.M. international für Aufsehen sorgt und alle Rekorde bricht. Für ihre fulminante Magentenprüfung wurde ihr an ihrem 12. Geburtstag die Ehrennadel in Silber verliehen und damit ist sie die jüngste Ehrenträgerin in der Geschichte der Geheimbehörde. Leider stand der neue Star nicht für ein Interview zur Verfügung, denn sie war (wie zu erwarten) auf Mission. In einer Stellungnahme ihrer Behördenleiterin heißt es: »Elia Evander arbeitet gerade an ihrem ersten Fall, und bis jetzt macht sie das sehr gut – wenn auch mit eigenwilligen Methoden.«

Was dürfen wir also von Elia Evander in Zukunft erwarten? Das Medium Evangelina hat für uns einen Blick in die Karten riskiert. »Ich sehe gefährliche Missionen auf die Magentin zukommen. Wenn Sie es schafft, nicht den Notknopf zu drücken und gleichzeitig zu überleben, dann wird sie Magentengeschichte schreiben!«

Wir bleiben für unsere Leser dran an der Story.

© MURKS! – Magenten und rätselhafte Kreaturen im Spiegel

Novemberausgabe

2. KAPITEL

Der Rumbat

Als Edvina mit Vivy abgefahren war, ging ich in mein Zimmer, um mich anzuziehen. Vorsichtshalber legte ich sogar meinen Magentengürtel mit den wichtigsten Tools an. Immerhin trug ich die Verantwortung für Archie und Sir Brumpickle.

»Und ich dachte, ich könnte am Wochenende in Ruhe den Speicher aufräumen. Zu so was kommt man ja sonst nie«, beschwerte sich Glenda, als ich mir die WitchWatch umband.

Ich ging zurück in die Küche, machte für Selmor und mich Frühstück und ließ Sir Brumpickle frei. Er kletterte aus dem Käfig und reckte und streckte sich. Dann begann er mit den Flügeln zu flattern und stieß sich ab. Wie der Blitz sauste er durchs Haus, zog brausend über meinen Kopf hinweg und landete schließlich auf meinem Unterarm, um mich zu stechen.

»Autsch, geht das auch etwas sanfter?« Ich rieb über die kleine Beule, die an der Einstichstelle entstand. »Das juckt ja scheußlich.« Nachdenklich sah ich Sir Brumpickle an. »Was frisst so ein Rumbat eigentlich?«

Der kleine Fledermausmoskito fing an zu piepsen und Selmor kicherte. »Er meint, er wäre nicht sehr verwöhnt, ein Tässchen Matcha-Tee und dazu ein kleines Trüffelomelette würden für den Anfang reichen.«

Der Rumbat nickte eifrig und sah mich würdevoll an.

»Tut mir leid, aber wir haben weder Matcha-Tee noch Trüffel«, sagte ich bedauernd.

Der Rumbat verschränkte eingeschnappt die Arme vor der Brust und zeterte in einer Sprache, die ich nicht verstand.

Selmor allerdings schon. »Er meint, du sollst es dir gut überlegen. Ohne Matcha-Tee kann er seine Magie kaum kontrollieren und muss sehr oft zustechen. Das ist natürlich nur eine leere Drohung, oder hat mich schon mal jemand nach meinen Vorlieben gefragt?« Mein Muffel saß vor mir auf dem Küchentisch und saugte an einer Scheibe Blutorange.

»Du bist doch nicht etwa eifersüchtig, Selmor?«, fragte ich lachend und reichte ihm etwas Toast mit Honig.

»Eifersüchtig auf den Schnösel? Ich muss lachen.« Selmor warf Sir Brumpickle giftige Blicke zu.

Die kleine Verbindungstür zur Garage ging auf und Enno trat in die Küche. Sein schwarzes Haar war zerzaust und er sah müde aus. Schwefelgeruch umwehte ihn. »Haben wir Besuch?« Er sah sich neugierig um.

Ich nickte und leckte mir den Honig von den Fingern. »Vivy ist da. Das heißt, sie war da. Sie ist schon wieder weg. Also nicht ganz weg, sie ist mit Edvina in die Stadt gefahren, weil sie einen …«

»Ist das etwa eine asiatische Flugrikscha?«, rief Enno fasziniert. Er starrte aus dem Küchenfenster auf Vivys Kutsche. »Hmm, ich sehe gar keinen Auspuff, womit wird die wohl betrieben?«

»Mit Archie«, sagte ich und deutete auf den Straußenvogel in unserem Vorgarten, der sich gerade die Beeren von Kroks sündhaft teurem Vogelfutterstrauch, einer echten schwarzen Mythenmyrte, schmecken ließ.

»Nein, so was, das ist doch ein australischer Flugstrauß!« Enno war völlig aus dem Häuschen. Er stürmte durch die Küche, riss die Haustür auf und eilte nach draußen.

»Tür zu!«, schrie ich noch, doch es war schon zu spät. Sir Brumpickle ließ sich nicht lange bitten und sauste hinter Enno her ins Freie.

»Cool, jetzt kann Magentin Evander mal zeigen, was sie an Fesselungstechniken so draufhat«, krähte Glenda aus meiner WitchWatch.

»Und ich bin ausnahmsweise nicht das Versuchsobjekt«, stimmte Selmor ihr schmatzend zu.

Ich stürzte zur Haustür und sah Sir Brumpickle durch unseren Vorgarten geradewegs zu den Nachbarn flattern. Enno bemerkte den Ernst der Lage gar nicht, er begutachtete seelenruhig die Rikscha von allen Seiten.

Mit bebenden Fingern zog ich eine elastische Wurffessel von meinem Gürtel und holte aus. Leider war der Rumbat aber sehr wendig und wich der Schlinge mühelos aus. Schon flog er über den Ginster auf Ilseborg zu.

»Leopold!«, schimpfte die gerade. »Du hast ja immer noch nicht meine empfindlichen Rosenstöcke in den Keller getragen. Du willst wohl, dass sie erfrieren.«

»Gewiss nicht, Liebes«, sagte Leopold, hörte auf, das Laub zu harken, und griff eifrig nach dem ersten Blumenkübel.

Sir Brumpickle sauste nun in seine Richtung. Ich nahm eine Drachenkralle und zielte erneut. Doch auch dieses Mal verfehlte ich Sir Brumpickle knapp. Mein Herz raste, als ich sah, wie er sich auf Leopolds Rücken niederließ.

»Wage es nicht«, zischte ich Sir Brumpickle zu.

Der Rumbat blickte auf und piepste schrill.

Auch ohne eine Übersetzung von Selmor wusste ich genau, was Sir Brumpickle verlangte. »Ich habe keinen Matcha-Tee und auch keine Trüffel, das sagte ich doch schon!«, rief ich verzweifelt.

Sir Brumpickle guckte mich erzürnt an, zuckte bedauernd mit den Achseln und rammte dann seinen Stachel zwischen Leopolds Schulterblätter.

»Autsch!« Leopold schlug sich auf den Rücken. »Na, so was?« Er sah sich verwundert um.

»Du willst jetzt aber nicht behaupten, dass dein Rücken schmerzt und du mir deshalb nicht tragen helfen kannst?«, keifte Ilseborg.

Leopold ließ den Blumenkübel los und starrte seine Frau an. Etwas stimmte nicht mit ihm. Ich bekam es mit der Angst zu tun, denn sein Gesicht wurde puterrot.

Das war sicher eine allergische Reaktion auf Sir Brumpickles Stich. Vivy hatte ja gesagt, dass es kritisch wurde, wenn ein Rumbat einen Nicht-Magenten stach. In Gedanken ging ich alle Erste-Hilfe-Maßnahmen durch, die ich an der Makademie gelernt hatte.

»Komm sofort zurück, Sir Brumpickle«, zischte ich über die Hecke.

Ilseborg sah mich neugierig an. »Ah, Elia. Ist euer Besuch schon wieder weg?«, fragte sie spitz.

»Lass endlich die Nachbarn in Ruhe, Ilseborg«, fauchte Leopold und griff nach der Harke.

Ilseborg zog die Augenbrauen hoch, wobei sich ihr gesamter Haarschopf um ein paar Zentimeter anhob, und drehte sich in Zeitlupe zu Leopold herum. »Bitte was?«

Leopold ging mit erhobener Harke auf Ilseborg zu. »Du hast mich schon verstanden. Du sollst deine lange Nase nicht immer in die Angelegenheiten anderer Leute stecken, du neugieriges Weib!«

Ilseborg schnappte nach Luft. Sogar Enno horchte auf und trat näher.

»Ja, aber Leopold … Was hat dich denn gestochen?«, krähte Ilseborg. Ich fand es verblüffend, wie nah sie damit der Wahrheit kam.

Leopold war außer sich. »Den ganzen Morgen zeterst du schon herum. Ruf die Polizei, Leopold! Die Nachbarn bringen uns noch um, Leopold! Alles Verrückte im Erlenweg, Leopold! Aber soll ich dir mal was sagen? Die einzig Durchgeknallte hier bist du.« Er drehte sich zu uns herum und sah uns aus zusammengekniffenen Augen an. »Und was gibt es da jetzt zu gucken? Habt ihr nicht genug eigene Katastrophen zu bewältigen?«

Da hatte er wohl recht. Zum Beispiel war da Sir Brumpickle, und der ließ sich gerade vor mir auf dem Ginsterbusch nieder und putzte zufrieden seinen Stachel.

Enno näherte sich ihm fasziniert. »Ist das etwa ein Rumbat? Zu wem gehört der denn? Das ist aber ein besonders edles Exemplar.«

Ilseborg und Leopold beugten sich sofort über den Ginster und suchten das edleExemplar, das Enno so beeindruckte. Nur leider konnten Menschen ohne Magie unsere magischen Begleiter nicht sehen. Lediglich mein Muffel war da eine seltene Ausnahme.

»Ein Rumbat, soso. Und ich bin die Durchgeknallte, ja?«, keifte Ilseborg Leopold von der Seite an.

»Vor allem bist du eine neugierige, tratschende Sumpfkuh«, schimpfte Leopold zurück. Zornig starrte er seine Frau an. »Eine Sumpfkuh in Gummistrümpfen.«

Ilseborg klappte ihren Mund auf und zu, als wäre sie ein Fisch auf dem Trockenen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stapfte ins Haus.

Leopold war nicht wiederzuerkennen. Er schimpfte und fluchte ohne Pause. Ich machte mir wirklich Sorgen. Ob das mit Sir Brumpickles Stich zu tun hatte? Hoffentlich legte sich das wieder.

»Und Sie«, fauchte er jetzt Enno an. »Sie sollten dringend einen Arzt aufsuchen. Ist ja nicht normal, Rumbats und so ein Zeug zu sehen, verstehen Sie?«

Enno schaute mich verblüfft an.

Ich aber nahm geistesgegenwärtig eine elastische Schlinge vom Gürtel und ließ sie um Sir Brumpickles Beinchen zuschnappen. »Hab ich dich, du Ausreißer!« Triumphierend zog ich den zappelnden Rumbat zu mir herüber.

»Da sehen Sie, was sie anrichten. Ihre Tochter ist schon genauso verrückt wie Sie!« Leopold zeigte in unseren Garten. »Und stellen Sie endlich das Motorrad aus. Dieses Geknatter macht einen ja wahnsinnig.«

Enno drehte sich zu Archie herum, der von einem Busch zum anderen hüpfte und laut rülpste. Mein Vater nickte langsam, vermutlich war ihm auch ohne Wechselglas klar, dass unsere Nachbarn in dem Straußenvogel etwas ganz anderes sahen und hörten als wir.

»Epione ruft an«, meldete Glenda sich in diesem Moment aus meiner WitchWatch zu Wort.

Ich hielt noch immer den zappelnden und fluchenden Sir Brumpickle in den Händen, deshalb rief ich: »Annehmen, Glenda!«

Auf dem Bildschirm meiner WitchWatch erschien Epiones jugendliches Gesicht. »Hallo, Elia«, flüsterte sie so leise, dass ich mir die Uhr ganz nah ans Ohr halten musste, um sie zu verstehen.

»Epione? Ist alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt, denn unsere Behördenleiterin kauerte offenbar in einem Versteck. Sie sah gehetzt aus, ich glaubte sogar, einen Steinbrocken an ihr vorbeifliegen zu sehen.

»Ich brauche dich für einen Einsatz, sofort!«, raunte Epione, dann wurde die Verbindung unterbrochen.

»Anruf beendet. Soll ich zurückrufen?«, fragte Glenda.

»Nein«, sagte ich. »Magentenregel 78e: Rufe niemals jemanden zurück, der geflüstert hat. Er wollte nicht gehört werden.«

»Wie du meinst.« Glenda war eingeschnappt. »Was willst du jetzt tun?«

Enno sah mich an. »Du musst los?«

»Ja, leider sofort.« Ich lief zum Haus.

»Natürlich hat das Kind nur elektronischen Schnickschnack im Kopf. Wen wundert’s?«, schimpfte Leopold hinter mir her. »Die Kinder von heute können noch nicht mal gescheit GutenTag oder AufWiedersehen sagen, schon haben sie diese Dinger am Handgelenk.«

»Ach, Leopold«, hörte ich Enno antworten. »Nehmen Sie es nicht so schwer. Ich empfehle Ihnen, ein Bonbon zu lutschen und sich ein wenig auszuruhen. Der Insektenstich hat Sie wohl etwas überhitzt.« Ich wusste, dass Enno gerade versuchte, ihm eins seiner berühmten Vergiss-es-Bonbons anzubieten, die auf faszinierende Weise alles Magische aus dem Gedächtnis löschten.

»Sagen Sie mir nicht, wann ich überhitzt bin«, schrie Leopold so laut, dass ich es bis in die Küche hörte.

»Selmor? Es geht los!«, rief ich, während ich Sir Brumpickle in seinen Käfig sperrte.

»Och nö. Kann man nicht ein Mal in Ruhe frühstücken?«, zeterte mein Muffel und stopfte sich eine ganze Toastscheibe auf einmal in den Mund. »Immer fenn ef femüfich wirf, müffen wir lof.«

In drei Sätzen sprang ich die Treppe nach oben und zog den alten Seesack aus dem Kleiderschrank, den ich von Enno zu meiner ersten Mission geschenkt bekommen hatte, und der fertig gepackt auf den nächsten Einsatz gewartet hatte. Dann schnappte ich mir Glendas Ladekabel und Selmors Schmusedecke und lief die Treppenstufen wieder hinunter.

Enno war inzwischen ins Haus zurückgekehrt, hatte seinen magischen Begleiter Ratz, eine Mischung aus Dachs und weißer Ratte, aus der Garage geholt und schlüpfte gerade in seine Jacke. »Bist du fertig, Elia? Ich fahre dich schnell!«

Ich stutzte. Enno hatte gar keinen Führerschein und er hasste normale Motoren. Außerdem war Edvina doch mit unserem Auto in die Stadt gefahren. Ich machte einen Schritt zurück und sah durch die offen stehende Haustür, dass Enno Archie vor die Rikscha gespannt hatte.

IMP, der

noun (n)

aus dem Altenglischen »impa« – junger, knorriger Baum

Ein Imp ist in der europäischen Mythologie ein Wesen, das häufig als lästig oder gar schelmisch beschrieben wird und nur selten eine ernsthafte Gefahr oder Bedrohung darstellt. Imps leben nie selbstständig, sie sind immer Diener einer mächtigen Person, die ihnen Befehle erteilt.

Für Nicht-Magenten ist ein Imp nicht zu sehen, wohl aber nehmen sie das Chaos wahr, das ein Imp für gewöhnlich hinterlässt.

Magenten erkennen einen Imp leicht an seinem Äußeren: Ein kleiner, knorriger Körper, Hörner auf dem Kopf und ein lautes, gackerndes Lachen sind eindeutige Merkmale.

Achtung! Imps werfen mit allem, was ihnen in die Hände kommt, und sind oftmals hochgradig feuer- oder wasserscheu!

Und wie immer gilt im Zweifelsfall: Ein kurzer Blick durch ein Wechselglas verschafft dem Magenten Gewissheit.

Lexikon der europäischen Mythologie

Prof. Dr. Dr. Emeralda Emerson

S.A.M. international Publications

3. KAPITEL

Alarm in der Zentrale

Du brauchst dich nicht so krampfhaft festzuhalten«, sagte Enno, als er sich neben mich in die Rikscha quetschte und die Zügel in die Hand nahm. Ratz hatte sich wie ein Nackenkissen um seinen Hals geschlungen. »Ich weiß, was ich tue.«

Das beruhigte mich allerdings kein bisschen. Beim letzten Mal, als er das zu mir gesagt hatte, hatte ich mich gerade noch in Sicherheit bringen können, bevor der Prototyp seines magischen Schleudersessels durch unser Garagendach gegangen war.

»Dann mal los, Archie!«, rief Enno, und der Straußenvogel setzte sich in Bewegung. »Schade, dass wir nicht fliegen können«, fügte er bedauernd hinzu.

»Ja, zu schade«, sagte ich ironisch. Die Kutsche wackelte bedenklich, und ich hatte so schon meine liebe Mühe, den Seesack und Selmor, der sich in eine Umhängetasche verwandelt hatte, auf dem Schoß zu halten.

Kaum waren wir in den Erlenweg eingebogen, kam Leopold laut schimpfend aus der Haustür. »Ihr sollt uns nicht länger mit diesem Knatterding belästigen, das hatte ich euch doch gesagt, ihr Störenfriede. Plagegeister seid ihr Evanders, allesamt.«

Ich winkte dem fluchenden Leopold zum Abschied zu und hoffte inständig, dass sich sein Zustand bis zu meiner Rückkehr wieder gebessert hatte.

Enno lenkte die Rikscha auf die Hauptstraße und dann kreuz und quer durch die Stadt. »Herrlich!«, rief er in den Fahrtwind. »MagischesReisen war mein Lieblingsfach im fünften Jahr an der Höheren Makademie. Ich hoffe, du hältst so lange durch, denn dann wird es erst so richtig interessant. Wenn man den magischen Führerschein hat, muss man nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Einsätzen reisen.«

Ja, ich hoffte auch, dass ich so lange durchhielt und nicht vorher auf einer Mission den Notknopf drücken musste. Denn dann würde ich in den Innendienst unserer Geheimbehörde versetzt werden.

»Ich habe meine Führerscheinprüfung damals auf einem südamerikanischen Flug-Alpaka gemacht«, schrie Enno stolz gegen den Straßenlärm an, als wir an einer roten Ampel anhielten. Mir gefiel überhaupt nicht, wie der neben uns wartende Motorradfahrer daraufhin lachend zu uns herübersah.

Schließlich erreichten wir die Zentrale, einen siebenstöckigen Backsteinbau, der an einer belebten Straße lag. Sämtliche Shops im Erdgeschoss des Gebäudes bargen Tarneingänge in unsere Geheimbehörde. Durch die MaximalSchülernachhilfe gelangten Magenten in der Grundausbildung in die Makademie, die aber am Samstag geschlossen war. Dafür war in PietsZoohandlung nebenan umso mehr los. Magenten allen Alters trugen ihre Eileger und Würger, Zwicker und Speier durch die Zoohandlung in die Tierarztpraxis für magische Begleiter.

Auch in RosiesBackstube war heute viel geboten, obwohl nur das Notfallkommando am Wochenende den geheimen Eingang durch ihre Backstube nutzte. Dass sich trotzdem so viele Menschen in die Bäckerei drängelten, lag an den leckeren Zimtcrossaints, die Rosie verkaufte und deren Duft nun zu uns herüberwehte, weil die Ladentür geöffnet wurde.

Vivy trat nach draußen und sah uns überrascht an. »Was tut ihr denn hier? Und wieso seid ihr mit Archie unterwegs?«

»Ein Notfall!«, rief Enno und sprang aus der Rikscha, um seine Schwester zu umarmen. »Und du? Was tust du hier? Ich dachte, du hast einen dringenden Termin in der Stadt. Kaffee und Croissants hättest du auch bei uns haben können.«

Vivy kraulte Ratz das Fell zur Begrüßung und sah uns dann besorgt an. »Ich bin mit Epione in Rosies Backstube verabredet und warte schon eine geschlagene Stunde auf sie. Irgendwas stimmt da nicht, sie hat mich noch nie versetzt, und unser Termin ist wirklich wichtig. Als ich sie angerufen habe, hat sie nur merkwürdiges Zeug geflüstert und sofort wieder aufgelegt. Seitdem ist ihr Telefon ausgeschaltet.«

»Ennos Schwester hat wohl noch nichts von Magentenregel 78e gehört?«, zeterte Glenda aus meiner WitchWatch, woraufhin Vivy irritiert auf mein Handgelenk starrte.

»Das war bei mir ganz ähnlich.« Ich zog den Jackenärmel über die Uhr. »Epiones Anruf vorhin war sehr seltsam. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich irgendwo versteckt.«

Enno und Vivy tauschten beunruhigte Blicke und sahen dann besorgt am Gebäude der S.A.M. hoch. Ganz oben auf dem Dach lag das Büro unserer Behördenleiterin.

»Weißt du was, Enno?«, sagte Vivy resolut. »Du fährst mit Archie wieder nach Hause und lässt Sir Brumpickle frei. Es schlägt ihm immer aufs Gemüt, wenn er zu lange im Käfig hockt. Und ich gehe mit Elia in der Zentrale nachschauen. Als Späherin kann ich dort ja hinein.«

Ich blickte sie interessiert an. Das wusste ich noch gar nicht. Erwachsene durften unsere Geheimbehörde eigentlich nicht betreten. Sie hatten nur zur Verwaltung im zweiten Obergeschoss Zutritt, in der auch Edvina arbeitete. Sie überlegte sich dort neue Identitäten für aufgeflogene Magentenfamilien und forschte nach geeigneten Unterkünften für Magenten auf Mission.

Ich schulterte meinen Seesack und hängte mir Selmor als Umhängetasche über den Arm. Er war der einzige magische Begleiter weltweit, der für Menschen ohne Magie sichtbar war, und da fand ich es äußerst praktisch, dass er sich in alles Mögliche verwandeln konnte. Er hatte allerdings auch eine etwas unangenehme Eigenschaft: Wenn ich ihn nicht oft genug streichelte, roch er nach faulen Eiern.

»Pass gut auf dich auf.« Enno drückte mich kurz an sich. »Edvina wird es nicht gefallen, dass sie dich nicht verabschieden konnte.«

»Ach, Edvina kennt das doch, sie war ja früher selbst aktive Magentin«, sagte ich gelassen. »Richte ihr einfach aus, dass ich mich beeile und bald zurück bin.«

»Wohin es wohl dieses Mal geht?«, überlegte Enno und kletterte zurück in die Rikscha. »Mein zweiter Einsatz war damals der größte meiner ganzen Magentenkarriere. Er hat drei Monate und 24 Tage lang gedauert. Ich bin mit einer Fähre …«

»Du wirst es schon noch erfahren, Enno«, unterbrach Vivy ihn ungeduldig. »Und lass Sir Brumpickle nicht aus den Augen«, raunte sie ihm zu. »Das willst du nicht erleben, wenn der einen Nicht-Magenten sticht. Die allergische Reaktion auf seinen Stich löst mitunter tagelange Wutanfälle aus.«

»Tagelange Wutanfälle.« Enno sah mich betroffen an.

»Koch ihm gleich einen Matcha-Tee, den findest du in meinem Koffer. Das beruhigt ihn, bis ich mit Edvina zurückkomme«, sagte Vivy.

»Hätten wir das mal gewusst«, murmelte Selmor.

Enno nahm die Zügel in die Hand und nickte uns zum Abschied zu. Dann trabte Archie los und fädelte sich in den Stadtverkehr ein. Ich sah der wackelnden Kutsche hinterher und schluckte, denn ich würde Enno und Ratz, Edvina und ein bisschen sogar Krok vermissen.

»Welchen Eingang nehmen wir denn am besten«, fragte Vivy.

Ich deutete den Gehweg hinab zum Jugendtreff Notausgang. Erst kürzlich hatte ich bei meiner ersten Mission herausgefunden, dass der schummrige Laden, in dem offiziell Escape-Room-Spiele angeboten wurden, eigentlich der Eingang für alle aktiven Magenten der S.A.M. war. Als wir am Notausgang ankamen, stellte ich verwundert fest, dass die Tür einen Spalt offen stand.

»Edward?«, rief ich und schob die Tür weiter auf. »Bist du da?« Edward war Epiones Stellvertreter und hatte mich beim letzten Mal hier in Empfang genommen.

»Sei vorsichtig, Elia«, zischte Vivy hinter mir. »Das sieht so aus, als wäre eingebrochen worden.«

Sie hatte recht. Das Türschloss war aus dem Holzrahmen gesplittert, der kleine Laden war durchwühlt worden, und dort, wo normalerweise die Gepäckklappe war, klaffte ein schwarzes Loch in der Wand.

Mit einer Hand an meinem Toolgürtel schlich ich durch den Raum und schob hinten den schweren Vorhang zur Seite. Vorsichtig trat ich in den schwach beleuchteten Flur, in dem die S.A.M. magische Pflanzen aller Art anbaute. Hier gab es Gewächshäuser, in denen das Spezialfutter für die magischen Begleiter wuchs, und natürlich die Anzuchthäuser für unsere Heil- und Hilfskräuter. Evin, der Leiter der botanischen Abteilung, hatte uns letzte Woche durch das Gewächshaus mit den seltenen internationalen Zöglingen geführt. Dort befanden sich Ableger exotischer Zauberpflanzen, und laut Evin war unsere Sammlung die weltweit größte. Besonders faszinierend hatte ich den Orakelbaum gefunden, dessen eingerollte Blätter Weissagungen enthielten. Heimlich hatte ich mir ein Blatt gepflückt, und laut der Prophezeiung würde mir demnächst ein Poltergeist übel mitspielen.

Ich stutzte. Täuschte ich mich, oder war es heute noch dunkler als sonst in dem langen Gang? Schritt für Schritt tastete ich mich vorwärts. Ich hörte Vivy hinter mir stoßweise atmen und plötzlich kreischte sie laut los. Erschrocken fuhr ich herum. Eine peruanische Würgeschlinge hatte nach meiner Tante geschnappt und hielt sie wie in einem Schraubstock gefangen. Erst jetzt sah ich, dass die Türen zu den Gewächshäusern weit offen standen. Die gefährlichen Ranken, die wir sonst nur mit spezieller Schutzkleidung beschneiden und wässern durften, sprossen ungebändigt durch den Flur. Ich versuchte, mich trotz Vivys Geschrei an die richtige Gegenmaßnahme bei einem Schlingpflanzenangriff zu erinnern. Als ich meine magische Schere hervorziehen wollte, fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, dass die peruanische Würgeschlinge niemals geschnitten werden durfte, denn sonst würden an der Schnittstelle sieben neue Schlingen hervorsprießen.

»Nun tu doch was, Elia!«, schrie Vivy, die sich verzweifelt gegen die Pflanze stemmte.

Wenn ich doch nur besser sehen könnte, schoss es mir durch den Kopf – und das war das Stichwort, auf das ich gewartet hatte. Natürlich! Peruanische Würgeschlingen vertrugen kein Licht.