Mahler - Karl-Josef Müller - E-Book

Mahler E-Book

Karl-Josef Müller

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Beschreibung

Gustav Mahler wird heute mehr denn je als »Wegbereiter der Neuen Musik« gefeiert. Wie kaum ein anderer Komponist des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist er kometengleich ins Zentrum der musikalischen Öffentlichkeit gerückt. Mahlers Musik ist ein Abenteuer, so schön und furchterregend, so beschaulich und unberechenbar wie die Welt, von der sie redet. Zu Lebzeiten war Gustav Mahler eher als mächtiger Hofoperndirektor und weniger als Komponist bekannt, denn eigene Werke konnte er nur während der Sommermonate komponieren. Als solcher musste sich Mahler jedoch mit seinen Zeitgenossen Anton Bruckner und Richard Strauss messen. Diese Diskrepanz zwischen Mahlers hohem ethischen Anspruch als Komponist und seiner Qualifizierung durch die Umwelt versucht Karl-Josef Müller in seinem neu aufgelegten Buch zu beleuchten.

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Karl-Josef Müller

Mahler

Karl-Josef Müller

Mahler

Leben — Werke — Dokumente

SCHOTT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 121

ISBN 978-3-7957-8545-1

© 2015 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer SEM 8418

©1988, 2010Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

www.schott-music.com

www.schott-buch.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.

Inhalt

Vorwort

Zeittafel

Biographie

Jugend und Lehrjahre (1860–1881)

Kleinbürgerliches Elternhaus

Garnisonsstadt Iglau

Weltstadt Wien: Lehrjahre

Verehrung für Bruckner – Enthusiasmus für Wagner

Jugendfreunde

Keine Auszeichnung für Das klagende Lied

Wanderjahre (1881–1888)

»Theaterhöllenleben« in Laibach und Olmütz

Preußische Disziplin in Kassel

Johanna Richter – Lieder eines fahrenden Gesellen

Kapellmeister bei Angelo Neumann in Prag

Rivalität mit Nikisch in Leipzig

Auf Webers Spuren: Die drei Pintos

Die 1. Sinfonie

Budapest (1888–1891)

Ein 28jähriger als Operndirektor

Wagner auf Ungarisch!

Kapellmeistermusik? – Mißerfolg der »Ersten«

Pressekritik an Mahlers Arbeit

Hamburg (1891–1897)

Pollinis Erfolgsrezept

Hans von Bülow

Gastspiel in London

Konflikte mit Pollini

Bülows Abscheu gegenüber Mahlers Musik – Arbeit an der 2. Sinfonie

Verstärkte Kontakte zu Richard Strauss

Felix Weingartner

Erfolg der 2. Sinfonie – Anna von Mildenburg

Arbeit an der 3. Sinfonie

Cosima Wagner

Wien in Sicht!

Wien (1897–1907)

Der Geist Potemkins

Kapellmeister Mahler debütiert mit Lohengrin

Stellvertretender Direktor

»Gott der südlichen Zonen«

Mit eisernem Besen

Mahler und Hans Richter

Anna von Mildenburg in Wien

Mahler übernimmt die Philharmonischen Konzerte – Antisemitische Hetze

Publikumserfolg der »Zweiten« in Wien

Sommer 1899 in Aussee

Optimale Ensemble–Arbeit durch Neu–Engagements

Sakrileg an Beethovens »Neunter«!

Richters Abschied

Wiederbelebung der Freundschaft mit Richard Strauss

Mit den Philharmonikern in Paris

Sommer 1900 in Maiernigg – Vollendung der 4. Sinfonie

Triumph der »Zweiten« in München – »Fort mit den Programmen!«

Desaster der »Ersten« in Wien – Bruch mit den Philharmonikern

Sommer 1901 in Maiernigg – Rückert-Lieder und Arbeit an der »Fünften«

Bruno Walter in Wien

Uraufführung der »Vierten« in München

Alma Maria Schindler wird Mahlers Frau – Wiens junge Kunstszene

Uraufführung der »Dritten« in Krefeld – Durchbruch zu internationalem Ansehen

Sommer 1902 in Maiernigg – Vollendung der 5. Sinfonie

Alfred Roller – Einfluß der Sezession

Zunehmende Gastdirigate

Erste Erfolge in Amsterdam

Probleme mit der Generalintendanz

Vollendung der »Sechsten« und der Kindertotenlieder

Uraufführung der »Fünften« und der Kindertotenlieder

Mahlers Werk auf dem Weg ins Repertoire

Pfitzners Rose vom Liebesgarten

Strauss’ Salome wird von der Wiener Zensur abgelehnt!

Die »Siebte« »in einem Furor«

Mozart-Zyklus in der Hofoper

Gastdirigate und neue Presse-Attacken

Uraufführung der »Sechsten«

Maiernigg 1906: Die 8. Sinfonie – Figaro in Salzburg

Die letzte Wiener Saison

Der schicksalsschwere Sommer 1907

Verhandlungen in New York

Amerika (1908–1911)

Kraftakt ohne Tatkraft

Mahler und Toscanini?

Plan eines Mahler-Orchesters

Erste Rückkehr nach Europa – »Dunkel ist das Leben, ist der Tod«

Uraufführung der »Siebten«

Zum zweiten Mal in den USA

Mahler wird Chef der New Yorker Philharmoniker

Sommer 1909 in Toblach – Die »Neunte«

Dritter Aufenthalt in New York

Vorbereitung der Uraufführung der »Achten« aus der Ferne

Sommer 1910: Ehekrise – Arbeit an der »Zehnten«

Uraufführung der »Achten«

Gerüchte um Mahlers New Yorker Zukunft

Zum letzten Mal in New York

Probleme mit Orchester und Damenkomitee

Krankheit

Rettungsversuch in Paris

Tod in Wien

Dokumente

Alma Mahler

Bruno Walter

Natalie Bauer-Lechner

Berta Zuckerkandl

Alfred Roller

Anna Bahr-Mildenburg

Erinnerungen an Gustav Mahler

Verzeichnis der Abkürzungen

Chronologisches Werkverzeichnis

Literaturverzeichnis (Auswahl)

Register

Vorwort

Die Musik Gustav Mahlers ist seit den sechziger Jahren in ständig steigendem Maße zum selbstverständlichen Repertoire von Konzert- und Rundfunkprogrammen in aller Welt geworden, und auch die Schallplattenindustrie hat sich ihrer in einer Intensität angenommen, wie es in diesem Maße keinem Komponisten der vergangenen hundert Jahre widerfahren ist; weder Richard Strauss noch Max Reger oder Arnold Schönberg haben eine solche Aktualisierung erfahren wie Gustav Mahler.

Nach dem Mahler-Fest von 1920 in Amsterdam, dessen Initiator der Dirigent Willem Mengelberg war, und dem ersten deutschen Mahler-Fest im April 1921 in Wiesbaden unter der Leitung von Carl Schuricht wurde es still um Gustav Mahler, den Sohn jüdischer Eltern. Nur die Emigranten, allen voran Bruno Walter und Otto Klemperer, Weggefährten des Komponisten aus frühen Jahren, setzten sich im Ausland für ihn ein, bis Leonard Bernstein 1960 zusammen mit Dimitri Mitropoulos das erste große Mahler-Fest nach dem Krieg in New York, Mahlers letzter Wirkungsstätte, arrangierte, von dem in der Tat Signalwirkung an viele Dirigenten vor allem der jüngeren Generation ausging.

Über die Gründe für ein seither auch bei Konzertpublikum und Schallplatten-Sammlern steigendes Interesse an der Musik Mahlers ist viel spekuliert worden. Mag sein, daß die in den sechziger Jahren einsetzende Stereophonie eine auf Raumwirkung angelegte Musik wie die Mahlers begünstigt; mag sein, daß Adornos Mahler-Buch von 1960 ein fachlich interessiertes Publikum aufhorchen ließ, und mag schließlich auch sein, daß der Film Tod in Venedig von Luchino Visconti, der das Adagietto aus der 5. Sinfonie als Untermalung benutzt, sowie der Mahler-Film von Ken Russel, beide aus den frühen siebziger Jahren, ihren Teil dazu beigetragen haben, die Musik Mahlers einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt zum ersten Mal ins Bewußtsein zu rücken: ohne Probleme ist das Verhältnis des Konzertpublikums zu Mahler bis auf den heutigen Tag nicht.

Denn: sich auf Gustav Mahler und seine Musik einzulassen, heißt immer, vertrautes Terrain einer gesicherten Kunst-Ästhetik preiszugeben und sich der »Gefahr« von Ungereimtheiten und Widersprüchen auszusetzen. Gustav Mahlers Musik ist ein Abenteuer, so schön und furchterregend, so beschaulich und unberechenbar wie die Welt, von der sie redet, eine Musik, die als skeptische Reflexion eben dieser Welt, als Widerpart der Realität all jene Brüche, Verletztheiten und hämischen Platitüden in sich aufnimmt, die Kunst zuvor sorgsam von sich fernzuhalten wußte. Darin findet sie ihren »Ton«, und darin ist Mahler sicher auch der natürliche Antipode seines Zeitgenossen Richard Strauss, ohne zugleich auch schon als Ziehvater der zweiten Wiener Schule gelten zu können, deren Sache die Diskontinuität kompositorischen Denkens Mahlerscher Provenienz nicht war.

Was immer aus heutiger Distanz die historische Position Mahlers sein mag – die internationale Musikwissenschaft nimmt sich des Themas »Mahler« seit Jahren mit bemerkenswerter Vehemenz an –: seinen Zeitgenossen war Mahler von alledem nichts, für sie war er zuallererst der mächtigste Hofoperndirektor der damaligen musikalischen Welt, der die Sommermonate nutzte, auch zu komponieren, und sich darin an Bruckner und Strauss messen lassen mußte.

Diesen Sachverhalt versucht das vorliegende Buch durch Präsentation authentischer Belege zu beleuchten und damit jenen tragischen Aspekt dieses Lebens, die Diskrepanz zwischen Mahlers hohem ethischen Anspruch als Komponist und der Qualifikation durch die Umwelt, in den Vordergrund zu stellen.

Mein Dank gilt vor allem Frau Eleonore Vondenhoff, Frankfurt/M., die mir immer wieder Einblick in ihre unvergleichliche private Dokumentation gewährte, sowie Frau Emmy Hauswirth, der Haupt-Sekretärin der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft in Wien, die mir bei der Arbeit im Archiv jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stand.

Zeittafel

1860

Gustav Mahler wird am 7. Juli als zweites von vierzehn Kindern des Kaufmanns Bernard Mahler und seiner Frau Maria, geb. Hermann, in Kalischt (Böhmen) geboren.Im Dezember Übersiedlung der Familie nach Iglau (Jihlava), Pirnitzergasse 4. Der Vater betreibt im Hinterhaus eine Spirituosen-Destillation.

R. Wagner darf nach Deutschland zurückkehren. Hugo Wolf geboren, Schopenhauer gestorben. G. Th. Fechner veröffentlicht die Elemente der Psychophysik.

1866

Erster Klavierunterricht. Entscheidende Eindrücke durch die Militärmusik der nahegelegenen Kaserne.

Deutsch-österreichischer Krieg; Schlacht bei Königgrätz. F. Busoni geboren.

1868

Harmonielehre bei Heinrich Fischer.

Meistersinger in München. Requiem von Brahms in Bremen. 1. Sinfonie von Bruckner in Linz.

Max Slevogt und Stefan George geboren. Beginn der Gewerkschaftsbewegung.

1869

Eintritt ins Gymnasium Iglau.

Berlioz stirbt, Pfitzner wird geboren.

1870

Erstes öffentliches Auftreten als Pianist im Stadttheater Iglau. Die Stadt wird ans Eisenbahnnetz angeschlossen.

Ausbruch des deutsch-französischen Krieges.

1871

Im Herbst Wechsel ans Neustädter Gymnasium in Prag, von dem er bereits im nächsten Jahr zurückkehrt.

1872

Bernard Mahler erwirbt das Nachbarhaus, Pirnitzergasse 6. Mahler hört in Iglau zum erstenmal Mozarts Requiem.

R. Wagner siedelt nach Bayreuth über; Grundsteinlegung des Festspielhauses. P. Mondrian geboren.

1875

Sommerferien in der Nähe von Časlau; Bekanntschaft mit dem Domänenverwalter Gustav Schwarz, der sich bei Mahlers Vater für ein Studium am Wiener Konservatorium einsetzt. Gutachten des Pianisten Julius Epstein.

10. Sept. Eintritt ins Konservatorium Wien (Hauptfach Klavier). Freundschaft mit Hugo Wolf, Hans Rott und Guido Adler. Erste Kompositionen, darunter ein Opernprojekt Ernst von Schwaben.

Bruckner wird Lektor an der Wiener Universität. Ravel und Rilke geboren.

1876

23. Juni: Erster Preis bei einem Klavierwettbewerb.

1. Juli: Erster Preis für den I. Satz eines Klavierquartetts. Am 12. September spielt er in einem Konzert in Iglau u. a. eine eigene Violinsonate und ein Klavierquartett.

Erste Bayreuther Festspiele (Ring unter Richter). Erstes technisch brauchbare Telephon.

1877

Mahler fällt bei den Abitur-Prüfungen am Iglauer Gymnasium im Juli durch und holt sie am 12. Sept. nach. Inskription an der Wiener Universität, u. a. Harmonielehre bei Bruckner. Tritt dem »Wiener akademischen Wagner-Verein« bei, verläßt ihn aber 1879 wieder. Walzen-Phonograph von Edison. 2. Fassung der 3. Sinfonie von Bruckner; Mahler fertigt einen Klavierauszug davon an.

1878

11. Juli: Diplom des Konservatoriums. Beteiligt sich mit der Ouvertüre zur nicht vollendeten Oper Die Argonauten am Beethoven-Kompositions-Wettbewerb ohne Erfolg. Gibt Klavierstunden.

Bayreuther Blätter erscheinen. Erlaß des Sozialistengesetzes.

1879

Klavierlehrer auf einem ungarischen Gut in der Nähe von Budapest. Arbeit an der unvollendeten Oper Rübezahl (nur Libretto erhalten).

31. August: Alma Maria Schindler, Mahlers spätere Frau, wird geboren.

1880

Das klagende Lied. Vertrag mit dem Konzert-Agenten Lewy. Erste Kapellmeisterstelle in Bad Hall.

Jaques Offenbach gestorben.

1881

Mahler beteiligt sich mit dem Klagenden Lied, erneut ohne Erfolg, am Beethoven-Wettbewerb.

Kapellmeister am »Landschaftlichen Theather« in Laibach (Ljubljana).

Neutralitätsvertrag Österreich, Deutschland, Rußland. Erste deutsche elektrische Straßenbahn in Lichterfelde bei Berlin.

1882

Im März Ende der Kapellmeistertätigkeit in Laibach, Klavierunterricht in Wien. Arbeit an einer Nordischen Symphonie (verschollen) und an der Oper Rübezahl.

Strawinsky geboren. Berliner Philharmoniker unter Hans von Bülow gegründet.

1883

Januar bis März Kapellmeister in Olmütz; im April Chordirigent einer Stagione-Truppe im Carl-Theater Wien. Erster Besuch der Bayreuther Festspiele.

Ab August zweiter Kapellmeister und Chordirektor am Königlich-preußischen Theater in Kassel.

Wagner gestorben, Webern geboren. Eröffnung der Metropolitan Opera in New York.

1884

Beginn der Arbeit an der 1. Sinfonie. Bülow gastiert mit der Meininger Hofkapelle in Kassel. Bühnenmusik zu Der Trompeter von Säkkingen. Ab November Leiter des »Mündener Gemischten Gesangvereins«. Bewerbung bei Angelo Neumann, der noch Theaterdirektor in Bremen ist. Dezember Beginn der Komposition der Lieder eines fahrenden Gesellen.

Smetana gestorben.

1885

April: Dem Gesuch um Entlassung in Kassel wird stattgegeben. Im Juni dirigiert Mahler beim Musikfest in Kassel Mendelssohns Paulus. Ab August zweiter Kapellmeister am Deutschen Theater in Prag (Direktor Angelo Neumann). Alban Berg geboren. Erste Leipziger Mustermesse.

1886

Ab August zweiter Kapellmeister neben Arthur Nikisch am Stadttheater Leipzig (Direktor Max Staegemann). Lernt dort den Enkel C. M. von Webers kennen.

Liszt gestorben. Berner Konvention zum Schutze geistigen Eigentums.

1887

Bearbeitung der Skizzen zur Oper Die drei Pintos von C. M. von Weber. Im Februar übernimmt Mahler für den erkrankten Nikisch dessen gesamtes Repertoire, u. a. den Ring. Beginn freundschaftlicher Beziehungen zu Richard Strauss.

Chagall geboren. Erfindung des Platten-Grammophons durch Emil Berliner.

1888

Uraufführung der Drei Pintos am 20. Januar im Stadttheater Leipzig. Vollendung der 1. Sinfonie. Mahlers Gesuch um Entlassung wird stattgegeben.

Niederschrift des I. Satzes der 2. Sinfonie (Totenfeier). Ab Oktober Direktor der Königlich Ungarischen Oper in Budapest.

Kaiser Wilhelm I. gestorben.

1889

Mahler führt Rheingold und Walküre in ungarischer Sprache auf. Tod der Eltern und der Schwester Leopoldine. 20. November: Uraufführung der 1. Sinfonie in Budapest.

R. Strauss wird Hofkapellmeister in Weimar. Weltausstellung in Paris (Eiffelturm). Erzherzog Rudolf von Österreich erschießt seine Geliebte und sich.

1890

Engagementsverhandlungen mit B. Pollini in Hamburg. Brahms hört in Budapest mit Begeisterung eine Aufführung von Mozarts Don Giovanni unter Mahler.

Cavalleria rusticana von Mascagni in ungarischer Sprache. Aufhebung des Sozialistengesetzes. Erste internationale Maifeiern.

Dunlop entwickelt den Luftreifen.

1891

Neue Statuten für das Budapester Opernhaus führen zu Auseinandersetzungen zwischen Mahler und dem neuen Intendanten Geza von Zichy.

Im März tritt Mahler von der Direktion zurück.

Ab April Erster Kapellmeister am Stadttheater Hamburg (Direktor Bernhard Pollini). Erster Aufenthalt in Steinbach a. Attersee. Mahler spielt Bülow den I. Satz seiner 2. Sinfonie vor.

Prokofiew geboren. Päpstliche Enzyklika Rerum novarum im Sinne sozialer Reformen.

1892

Lieder und Gesänge erscheinen bei Schott.

Juni/Juli: Gastspiel der Hamburger Oper in London.

G. Hauptmann Die Weber. Cholera in Hamburg.

1893

Revision der 1. Sinfonie. Komposition des II. und III. Satzes der 2. Sinfonie und einiger Wunderhorn-Lieder. 27. Oktober Aufführung der revidierten Fassung der 1. Sinfonie und einiger Wunderhorn-Lieder.

Tschaikowsky gestorben. Nansens Nordpol-Expedition.

1894

Ab Februar: Übernahme der Leitung der Philharmonischen Konzerte nach Bülows Tod. Aufführung der 1. Sinfonie ohne Blumine-Satz bei der 30. Tonkünstler-Versammlung in Weimar. Vollendung der 2. Sinfonie. Bruno Walter wird Korrepetitor und Chordirektor am Hamburger Theater.

R. Strauss wird Hofkapellmeister in München.

Debussy L’Après-midi d’un Faune.

1895

Tod des Bruders Otto. Die ersten drei Sätze der 2. Sinfonie werden auf Veranlassung von Strauss in Berlin aufgeführt. Entwurf der Sätze II bis VI der 3. Sinfonie. 13. Dezember:

Uraufführung der gesamten 2. Sinfonie in Berlin. Hindemith und Orff werden geboren. Entdeckung der Röntgen-Strahlen.

1896

16. März: Uraufführung der Lieder eines fahrenden Gesellen in Berlin. Beendigung der 3. Sinfonie. Mahler bewirbt sich um eine Kapellmeister-Stelle an der Wiener Hof Oper. Bruckner und Clara Schumann gestorben. Erfindung der Drehbühne (München). Erste Olympische Spiele der Neuzeit in Athen.

1897

Mahler bittet im Januar um seine Entlassung in Hamburg. Am 23. Februar tritt er zum katholischen Glauben über. Aufführung des II., III. und VI. Satzes der 3. Sinfonie in Berlin. Konzerttournee nach Rußland. Konzerte in München und Budapest, dazwischen Engagements-Verhandlungen in Wien.

11. Mai: Antrittsvorstellung mit Lohengrin in Wien.

13. Juli: Ernennung zum Stellvertreter des Direktors Jahn, am 8. Oktober Ernennung zum Artistischen Direktor der Wiener Hofoper.

Brahms gestorben. Die »Christlich-Soziale Partei« gewinnt die Wiener Bürgermeisterwahl.

1898

Mahler wird Mitglied der Leitenden Kommission der »Denkmäler der Tonkunst in Österreich«. Er bezieht die Wohnung in Wien III., Auenbruggergasse 2 (Rennweg 5), die erst 1909 aufgelöst wird. Ab September Nachfolger Hans Richters als Leiter der Philharmonischen Konzerte. Erste ungekürzte Aufführung des Ring in Wien.

R. Strauss wird Hofkapellmeister in Berlin. Gershwin geboren. Bismarck gestorben. Erste Ausstellung der Wiener »Sezession«. Entdeckung des Radiums durch das Ehepaar Curie.

1899

Zunehmende antisemitische Angriffe auf Mahler, vor allem in der Deutschen Zeitung. Beginn der Arbeit an der 4. Sinfonie. Erwerb eines Grundstücks in Maiernigg am Wörthersee.

Johann Strauß gestorben. Haager Friedenskonferenz. Erstes registriertes Autoopfer in den USA.

1900

Aufführung einiger Orchesterlieder in Wien.

Mahler führt Beethovens 9. Sinfonie mit eigenen Retuschen auf. Konzerte der Wiener Philharmoniker unter Mahlers Leitung bei der Weltausstellung in Paris. Vollendung der

4. Sinfonie. Franz Schalk wird Kapellmeister an der Hofoper. Einbau einer Drehbühne. Wiener Erstaufführung der 1. Sinfonie.

Gründung der »Neuen Bachgesellschaft«. Nietzsche gestorben. Plancks Begründung der Quantentheorie.

1901

Mahler engagiert Leo Slezak. 17. Februar: Uraufführung von Das klagende Lied in Wien. Operation, danach Erholungin Abbazia (Opatija); dort Arbeit an der 4. Sinfonie. Im April Rücktritt von der Leitung der Philharmonischen Konzerte. Erste Entwürfe der 5. Sinfonie; Orchesterlieder auf Wunderhorn- und Rückert-Texte, darunter drei Kindertotenlieder. Bruno Walter wird neben Schalk erster Kapellmeister an der Hofoper. Im November: erste Begegnung mit Alma Schindler. 25. November: Uraufführung der 4. Sinfonie in München.

Verdi gestorben. Erstes deutsches Bach-Fest in Berlin. Beginn der »blauen Periode« Picassos.

1902

9. März: Heirat mit Alma Schindler. Konzertreise nach Petersburg. Beginn der Verbindung zu Künstlern der Wiener »Sezession«, u. a. zu Alfred Roller. 9. Juni: Uraufführung der 3. Sinfonie in Krefeld. Erste Begegnung mit Willem Mengelberg. Vollendung der 5. Sinfonie. 3. November: Geburt von Maria Anna (»Putzi«).

Strawinsky nimmt Unterricht bei Rimskij-Korsakow in Heidelberg. Urheberrechtsgesetz an Werken der Literatur und Musik tritt in Kraft. Opposition der ungarischen Unabhängigkeitspartei im österreichischen Parlament.

1903

Intensivierung der Dirigiertätigkeit vor allem eigener Werke. Beginn der Zusammenarbeit mit Roller. Mahler tritt der »Genossenschaft deutscher Tonkünstler« bei. Beginn der Arbeit an der 6. Sinfonie.

In der Hofoper wird der Orchesterraum tiefer gelegt.

Erste Aufführung einer Mahler-Sinfonie (»Dritte«) in Holland.

Hugo Wolf gestorben. Gründung des »Deutschen Museums« in München. Fertigstellung der transsibirischen Eisenbahn.

1904

Wiener Erstaufführung von Wolfs Corregidor. Mahler lernt A. Schönberg kennen. Er wird Ehrenpräsident der »Vereinigung Schaffender Tonkünstler«.

15. Juni: Geburt von Anna Justine (»Gucki«).

Vollendung der 6. Sinfonie, Komposition der letzten Kindertotenlieder, Arbeit an der 7. Sinfonie. 18. Oktober: Uraufführung der 5. Sinfonie in Köln. Erste Aufführung einer Mahler-Sinfonie (»Vierte«) in den USA.

Eduard Hanslick gestorben. Salvador Dalí geboren. New York bekommt eine U-Bahn.

1905

29. Januar: Uraufführung der Kindertotenlieder in Wien. Im März sagt Mahler eine Konzerttournee nach Moskau wegen Revolutionsunruhen ab. Die kaiserliche Zensurbehörde verbietet eine Aufführung der Oper Salome von R. Strauss an der Wiener Hofoper.

Richard Spechts Mahler-Biographie erscheint. G. Craig Die Kunst des Theaters. Lehar Lustige Witwe. Medizin-Nobelpreis an Robert Koch (Tuberkulose-Forschung).

1906

27. Mai: Uraufführung der 6. Sinfonie in Essen. Mahler bearbeitet Webers Oberon. Komposition der 8. Sinfonie. Gastspiel der Wiener Hofoper beim ersten Salzburger Mozartfest (Figaros Hochzeit).

Erstes Gastspiel von Enrico Caruso in Wien.

Kritische Gesamtausgabe der Briefe Beethovens erscheint. Gründung des Jüdischen Museums in Prag.

Erdbeben und Großfeuer zerstören San Francisco.

1907

Verstärkte Wiener Pressekampagne gegen Mahler. Demission. Tod der ältesten Tochter Maria Anna. Bei Mahler wird ein Herzfehler festgestellt. Abreise nach New York. Gründung der Künstlergruppe »Die Brücke« in Dresden. Zusammenschluß der Christlich-Sozialen Partei Österreichs mit den Deutschklerikalen. Allgemeines Wahlrecht in Österreich. Papst Pius X. gegen »Modernismus«.

1908

Dirigent an der Metropolitan Opera in New York. Gastspiel in Boston. Pläne für ein »Mahler-Orchester«, die aber wieder fallengelassen werden. Komposition des Lied von der Erde in Toblach, wo Mahler bis zu seinem Tode jeweils die Sommermonate verbringt. 19. September: Uraufführung der 7. Sinfonie in Prag. Beginn der zweiten Saison in New York. Gastdirigent des »New York Symphony Orchestra«.

Rimskij-Korsakow gestorben. Kubismus in Frankreich. Österreich-Ungarn annektiert – von Deutschland unterstützt – Bosnien und Herzegowina.

1909

Rodin-Büste in Paris. Komposition der 9. Sinfonie. Dritte Saison in New York: Dirigent des »New York Philharmonie Orchestra«. Einführung sogenannter Historischer Konzerte. Richard Strauss Elektra. Futuristisches Manifest von Marinetti.

1910

In Toblach Entwürfe zur 10. Sinfonie. Schwere Ehekrise. Mahler sucht Sigmund Freud in Holland auf. 12. September: Uraufführung der 8. Sinfonie in München. Aufbruch zur vierten und letzten Saison in New York.

Strawinsky Feuervogel. Erster Dieselmotor für Kraftwagen. Brücke über den East-River in New York.

1911

Unstimmigkeiten mit der »Philharmonie Society«. Krankheit und Rückkehr nach Europa. Behandlungsversuche in Paris, die erfolglos bleiben.

Gustav Mahler stirbt am 18. Mai in Wien. Die Beisetzung findet am 22. Mai auf dem alten Grinzinger Friedhof statt. Schönberg Harmonielehre (Mahler gewidmet). Regierungskrise in Österreich, Unruhen werden blutig niedergeschlagen.

Biographie

Jugend und Lehrjahre (1860–1881)

Kleinbürgerliches Elternhaus

Am Sonntag, den 21. Oktober 1860 erscheint in der Wiener Zeitung ein »Kaiserliches Manifest«, in dem es u. a. heißt:

Ich habe von den Wünschen und Bedürfnissen der verschiedenen Länder der Monarchie Kenntniß nehmen wollen und demzufolge mittelst meines Patentes vom 5. März l. J. Meinen verstärkten Reichsrath gegründet und einberufen.

In Erwägung der mir von demselben überreichten Vorlagen habe ich mich bewogen gefunden, in Betreff der staatsrechtlichen Gestaltung der Monarchie, der Rechte und der Stellung der einzelnen Königreiche und Länder ebensowohl, wie der erneuten Sicherung, Feststellung und Vertretung des staatsrechtlichen Verbandes der Gesammt-Monarchie am heutigen Tage ein Diplom zu erlassen und zu verkünden.

Ich erfülle Meine Regentenpflicht, indem Ich in dieser Weise die Erinnerungen, Rechtsanschauungen und Rechtsansprüche Meiner Länder und Völker mit den tathsächlichen Bedürfnissen Meiner Monarchie ausgleichend verbinde...

Als Kaiser Franz Joseph I. dieses Manifest erläßt, befindet sich der Habsburgerstaat, Konglomerat aus einer Vielzahl von Völkern, Sprachen und Religionen, in großen Schwierigkeiten. Jahrzehntelange Ignoranz gegenüber den Autonomiebestrebungen der Kronländer und eine Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse in Europa hatten erst ein Jahr zuvor zu den Schlachten von Magenta und Solferino geführt, in denen die Monarchie empfindliche Verluste erlitten hatte. Die schweren Staatsdefizite und die Unruhe unter den Völkern zwingen den Kaiser zum Handeln. Er greift zu einem Mittel, das – im sogenannten Oktoberdiplom niedergelegt – zweierlei bewirkt: indem er die politische Bevormundung der Kronländer reduziert und den Untertanen größere Mobilität zugesteht, aktiviert er zugleich die Wirtschaft, die damit ihren Teil zur Gesundung der Staatsfinanzen beitragen kann. Solche Politik schlägt durch bis auf die untersten Ebenen der ökonomischen Pyramide und bietet auch dem Handelsmann Bernard (Baruch) Mahler1 aus Kalischt in Böhmen die Chance zu wachsender Reputation und sozialem Aufstieg. Bernard Mahler hatte in Kalischt ein kleines Häuschen gekauft, in dessen Fenstern nach der späteren Beschreibung seines Sohnes nicht einmal Scheiben waren [...]. Vor dem Hause breitete sich ein Wassertümpel aus. Das kleine Dorf Kalischt und einige zerstreute Hütten waren alles, was in der Nähe lag2.

Immerhin: Bernard Mahler legt mit dem Erwerb des Häuschens den Grundstein für eine Existenz, die ihm die Gründung einer Familie erlaubt. Im Februar 1857 heiratet er, selbst Sohn jüdischer Eltern, die Tochter des jüdischen Seifensieders Abraham Hermann aus Ledeč, Maria Hermann, die ihn nicht liebte, vor der Hochzeit ihn kaum kannte und lieber einen andern, dem ihre Neigung gehörte, geheiratet hätte3. Bernard Mahler hatte bereits alle möglichen Erwerbsphasen hinter sich und hatte sich mit seiner ungewöhnlichen Energie immer weiter emporgearbeitet4. Die Heirat mit der Tochter aus »besserem Hause« ist – so will es scheinen – ein weiterer Schritt auf dem Weg nach oben. Der großväterliche Seifensieder in Ledeč hielt auf bürgerliche Reputation. In seinem Hause legte man auf Benehmen wert, was Bernhard Mahler als »nobel« erschien. Im Spaß nannte er die Familie des Schwiegervaters »die Herzoge«.5 Er selbst war der Sohn einer »fliegenden Händlerin«, die mit ihren Kurzwaren von Haus zu Haus zog, das Nötigste zum Leben verdiente und ihrem Sohn nicht mehr, aber auch nicht weniger als den Instinkt für das Erreichbare mitgab. Instinkt und ein unbeirrbarer Ehrgeiz des Vaters, der allzu oft in erster Linie als »Trieb- und Sinnenmensch« hingestellt worden ist, stellen jene Faktoren dar, ohne die der Werdegang des jungen Gustav Mahler nicht verständlich wird. Wahr bleibt wohl dennoch, daß Bernard Mahler seine Frau immer wieder aufs abscheulichste demütigt und daß sich die hinkende und ihr Leben lang herzkranke Mutter dem Sohn als Inkarnation des Leidens tief ins Bewußtsein einprägt.

In Kalischt ist die junge Familie noch klein. 1858 war das erste Kind, Isidor, geboren, aber bereits im Jahr darauf gestorben, so daß der zweite Sohn, Gustav, der am 7. Juli 1860 zur Welt kommt, der Älteste ist. Aber er ist kaum ein halbes Jahr alt, als der Vater beschließt, Kalischt zu verlassen. Das kaiserliche »Oktoberdiplom« gewährt nun auch den jüdischen Mitbürgern Niederlassungsfreiheit, und Bernard Mahler wittert sofort die Chance: die Familie übersiedelt am 22. Oktober 1860 in das nahegelegene Städtchen Iglau (heute: Jihlava) auf mährischem Boden, einem Zentrum der Leder- und Textilmanufaktur, in dem man überwiegend deutsch spricht.

Kurz nach dem Umzug im Dezember 1860 muß Bernard Mahler bereits einen Antrag beim zuständigen Bezirksamt eingereicht haben, in dem er um die Genehmigung zur Herstellung und zum Ausschrank von Branntwein oder Likör nachsucht. Am 28. Februar 1861 erhält er folgenden Bescheid:

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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