Mama zieht Leine! - Mecka Lind - E-Book

Mama zieht Leine! E-Book

Mecka Lind

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Beschreibung

Mama, alleinerziehend, hat die Nase voll! Ein normales, ruhiges Abendessen ist schon lange nicht mehr möglich. Immer nur gibt es Geschrei und Genörgel. Es reicht! Und so packt Mama ihre Koffer, hängt einen Zettel an die Klotür mit der Aufschrift "Ich kann nicht mehr, ich brauche Zeit zum Nachdenken... Kuss, Mama." und ist weg. Doch wo um alles in der Welt ist sie nur hingegangen? Und kommt Mama überhaupt zurück? Was haben die Kinder denn nur falsch gemacht? Schnell macht sich die Familie auf die Suche nach Mama. Auf der turbulenten Reise wird den Kindern klar, mit welchen Schwierigkeiten ihre alleinerziehende Mutter zu kämpfen hat. Als sie Mama endlich wiederfinden, versprechen sie, von nun an ganz lieb zu sein. Doch können sie ihr Versprechen wirklich halten? ... – Spannende Geschichte, die aus dem wahren Leben stammen könnte. Rezensionszitat "MAMA ZIEHT LEINE malt eine Situation aus, wie sie von beiden Seiten wohl manchmal er(alp)träumt wird. Überbelastungen, Mißverständnisse und Unbedachtsamkeiten sind jedoch letztlich zu lösen, wenn alle zusammenhalten." – Ulrich Karger, www.buechernachlese.de Biografische Anmerkung Mecka Lind wurde 1942 im schwedischen Lund geboren und ist eine schwedische Kinderbuchautorin. Sie arbeitete zunächst in der Werbung, als Reiseleiterund und als freie Journalistin, bevor sie 1982 ihr erstes Kinderbucg veröffentlichte. Seitdem wurden ihre Kinder- und Jugendbücher in über zehn Sprachen übersetzt. Sie erhielt zahlreiche internationale Preise, unter anderem den Buxtehuder Bullen und den Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendbücher.

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Mecka Lind

Mama zieht Leine!

Deutsch vonMarianne Vittinghoff

Saga

Wie immer ...

„Mußt du denn immer die Tür so fest zuknallen!“ klagte Mama genervt.

Ich schleuderte die Kartoffeltüte auf den Küchentisch, ohne zu antworten.

„Und, liebe Ollie“, schimpfte Mama weiter. „Muß es wirklich eine ganze Stunde dauern, in den Supermarkt zu gehen und Kartoffeln zu kaufen?“

„Ja, stell dir das vor! Es muß!“ zischte ich wütend, denn jetzt war sie zu weit gegangen. Ich war ja nur nett gewesen und hatte ein bißchen helfen wollen. Statt dessen wird man angemeckert. Undank ist der Welt Lohn!

„Es dauert so lange“, fuhr ich fort, „wenn man unterwegs seine Lehrerin trifft und sie an einem herumnörgelt, daß man die einzige in der Klasse ist, die den Aufsatz ‚Wie es ist, elf Jahre alt zu sein‘ noch nicht abgegeben hat. Sogar der hoffnungslose Herrmann hat anscheinend diesmal ein paar Zeilen zusammengebracht. Dann hatten sie keine Dreikilotüten mit Bintjekartoffeln, und ich mußte zu Edeka rennen. Und die ganze Zeit mußte ich doch den Stümmel mitschleppen, der so blind ist, daß er überall Pinkelpfosten sieht. Heute hat er eine alte Tante angepinkelt, die auf den Bus wartete. Rate mal, ob sie sauer geworden ist! Sie hat geschrien und gebrüllt, daß sie zur Polizei gehen würde, wenn sie nicht neue Strümpfe und Schuhe bekäme, und ich mußte mir schleunigst einen neuen Namen und eine neue Adresse ausdenken, um davonzukommen. Also bitte Entschuldige, wenn es etwas länger gedauert hat!“

PENG machte die Wohnungstür. Es gab wirklich einen Riesenknall!

„Hau doch die Tür nicht so zu und komm mir nicht in die Küche mit deinen dreckigen Stiefeln!“ machte ich Mama nach und fügte etwas boshaft hinzu: „Denn Mama hat heute schlechte Laune ... wie immer!“

Das kümmerte Jesper wenig, denn er hatte anscheinend auch schlechte Laune und kam in die Küche gesprungen, daß der Lehm nur so um ihn spritzte. Sein blonder Haarschopf stand in mindestens neunundachtzig Himmelsrichtungen ab.

„Warum habt ihr mich nicht abgeholt?“ brüllte er. „Ich bin ja erst acht Jahre und kann umgebracht, ausgeraubt, verfolgt und erschossen werden, wenn ich ganz allein durch diesen scheußlichen Park laufe. Im Hort haben sie das gar nicht gern, also mußte Niklas’ Mama mich nach Hause fahren ... wie immer.“

„Tessa war heute dran, dich abzuholen“, stellte ich fest. „Du hättest ja auch auf sie warten können, statt herumzujammern und dich bei anderen einzuschmeicheln und anzubiedern. Wenn du was aus dem Zimmer brauchst, dann hol es jetzt, denn dann sperre ich zu, weil ich Hausaufgaben machen muß. Und da brauche ich meine Ruhe!“

Ich wandte mich zu Mama, die Kartoffeln schälte, als ob es um die Weltmeisterschaft im Schälen ging.

„Wie soll ich jetzt einen Aufsatz schreiben können, wenn dieses Ferkel nach Hause gekommen ist?“ klagte ich. „Ich werde Klassenletzte werden. Und übrigens bin ich die einzige in der Klasse, die mit einem achtjährigen Rotzbengel das Zimmer teilen muß.“

„Und ich bin bestimmt der einzige auf der ganzen Welt, der mit so einer Sumpfkralle wie dir das Zimmer teilen muß“, knurrte Jesper.

„Jetzt haltet ihr beide den Mund!“ schrie Mama und schleuderte den Topf mit den Kartoffeln auf den Herd. „Wenn alles so verdammt mühsam ist, dann zieh doch in die Abstellkammer! Dein Schreibtisch hat da Platz, Ollie. Da kannst du dich dann über deine Hausaufgaben hermachen ... in aller Herrgottsruhe!“

„Soll ich in die Abstellkammer eingesperrt werden, nur damit dieser kleine Pups da ein ganzes Zimmer für sich allein hat! Der doch nichts anderes tut als seine Legosteine auszubreiten oder Comics zu lesen. Nie im Leben!“

PENG! Da schlug wieder die Tür zu.

„Hau doch nicht die Tür so zu!“ brüllte Jesper und raste in den Flur. „Warum hast du mich heute nicht abgeholt? Du bist doch heute drangewesen! Ich war der einzige, der nicht abgeholt wurde.“

„Entschuldigen Sie, mein Herr, daß ich Sie vergessen habe“, sagte Tessa ironisch und stürzte weiter in die Küche, schnurstracks auf den Herd zu, wo Mama gerade zwei Päckchen Fischstäbchen in die beiden Bratpfannen fallen ließ.

„Nein! Nicht schon wieder Fischstäbchen“, heulte sie. „Das haben wir heute in der Schule gekriegt. Immer wieder Fisch, Fisch, Fisch! Bald wachsen einem noch Flossen und Kiemen und ...“

„Ihr eßt, was auf den Tisch kommt!“ kam es etwas angespannt von Mama. „Wem es nicht paßt, soll es seinlassen!“

„Du kriegst doch Geld für uns“, meinte Tessa dreist. Sie ging in die Achte und kannte sich aus.

„Zuerst bekommst du Kindergeld, und dann zahlt ja auch Papa für uns.“

Mama war vor Wut rot angelaufen, als sie sich umdrehte.

Das war immer so, wenn die Sprache auf Papa oder Geld kam.

„Dann zieh doch zu ihm!“ rief sie schrill. „Niemand würde sich mehr freuen als ich. Ihr könnt übrigens alle dort hinziehen ..., dann hätte vielleicht ich auch endlich einmal meine Ruhe, eine Atempause zwischen den Runden. Damit ich meinen Job einigermaßen schaffe. Ich könnte vielleicht sogar so toll arbeiten, daß ich eine Gehaltserhöhung bekäme und in Urlaub fahren könnte. Jedenfalls müßte ich mir nicht den Kopf zerbrechen, wie das Geld für die Miete, fürs Essen und sonst noch alles ...“

Sie klapperte mit den Bratpfannen, und die Fischstäbchen flogen, daß sogar die Delphine in Miami vor Neid grün geworden wären, wenn sie es gesehen hätten.

Dann sah sie uns scharf an, als wir um den Tisch saßen und warteten. Und wie sie da im Gesicht aussah, so habe ich sie noch nie gesehen. Klar war sie oft traurig und wütend auf uns, aber hier war noch etwas. Etwas ganz Neues!

„Und wißt ihr was, meine lieben Bälger“, sagte sie. „Mir ist es egal, ob ihr verhungert oder ob ihr zu eurem Vater zieht oder was auch immer. Es gibt selbst für mich eine Grenze. Und die ist jetzt erreicht!“

Sagte Mama, stürzte ins Schlafzimmer und sperrte die Tür zu. Aber so was hatte sie ja oft schon getan.

„Sie hat wohl ihre Tage“, seufzte Tessa und machte sich an die Fischstäbchen. „Oder sie ist in die Wechseljahre gekommen!“

Wir aßen wie immer mit gutem Appetit. Und rücksichtsvoll wie wir nun mal waren, ließen wir drei Fischstäbchen und zwei Kartoffeln für Mama übrig. Aber wir hüteten uns sehr davor, den Tisch abzuräumen oder zu spülen oder so was Ähnliches. Mama sagt nämlich oft, daß die einzige ruhige Minute am Tag für sie ist, wenn sie mit dem Abwasch allein gelassen wird.

Tessa nahm Stümmel, unseren Rauhhaardackel, mit auf ihr Zimmer und legte eine Roxetteplatte auf, daß die Wände wackelten. Sie stand total auf Roxette. Sie hatte sich sogar die Haare genauso geschnitten wie Marie Fredriksson. Aber sie hatte es selbst gemacht, und sah zum Totlachen aus. Tessa also.

Jesper machte den Kasten an. Er wollte sich „Der Werwolf schlägt wieder zu“ anschauen, sagte er und drehte den Ton auf volle Lautstärke. Nicht, daß er ein Wort von dem verstand, was die da sagten, denn der Film war natürlich auf Englisch. Aber das Geheule machte sich trotzdem gut ...

Endlich hatte ich unser Zimmer für mich. Ich holte Papier und Bleistift heraus, um darüber zu schreiben, wie es nun sei, elf Jahre alt zu sein. Da fiel mir aber der Liebesroman ein, den ich von meiner besten Freundin Lena geliehen hatte.

„Du mußt ein bißchen auf die Tube drücken, denn sie stehen Schlange“, hatte sie erst heute gesagt. „Er ist ziemlich heftig, du weißt schon.“

Folglich legte ich mich aufs Bett und fing an, nach den heftigsten Stellen im Buch zu suchen. Und während ich da lag und blätterte, konnte ich es nicht verhindern, daß ich an das Neue, Fremde, das ich in Mamas Augen entdeckt hatte, denken mußte. Es machte mir Sorgen. Obwohl ..., ich hatte es mir bestimmt nur eingebildet. Ich bekam immer zu hören, daß ich mir alles Mögliche einbildete.

Es ist was passiert!

Ich spürte, wie jemand an mir zog und zerrte. Aber ich war tief in einen Traum verstrickt und wollte gern wissen, wie er weiterging, deshalb drehte ich mich zur Wand und zog die Decke über den Kopf.

„Ollie, du mußt aufwachen“, nörgelte die Stimme hartnäckig und zerschlug schließlich den Traum in tausend Stücke.

Etwas stimmte nicht. Es war nicht Mamas Stimme. Es war Tessas. Langsam, langsam kriegte ich die Augen auf. Hoppla, ich hatte wohl mit den Kleidern geschlafen! Der heftige Liebesroman lag noch neben dem Bett. Aber das Komischste war, daß die Sonne durch die Rollos schien. Da mußte es ja später als sieben Uhr sein.

„Es ist was passiert!“ flüsterte Tessa ernst. „Komm mit in die Küche, damit wir reden können. Und was immer du tust, weck nicht Jesper auf!“

Verschlafen rollte ich aus dem Bett. Ich stand total auf dem Schlauch. Warum roch es nicht nach Kaffee und frischem Toast? Plötzlich sah ich, wie spät es war. Viertel vor neun! Wo war Mama? Warum hatte sie uns nicht geweckt?

In der Küche stand alles so, wie wir es am Abend verlassen hatten. Die Fischstäbchen, die wir für Mama übriggelassen hatten, waren zusammengeschrumpft, und die Kartoffeln vertrocknet.

Das, was mich gestern stutzig gemacht hatte, dieser neue Blick bei Mama, tauchte wieder auf, aber jetzt viel stärker.

„Wo ist Mama?“ fragte ich ängstlich. „Ist sie krank?“ „Nicht so laut!“ mahnte Tessa. „Wir dürfen Jesper nicht wecken. Ich brauche noch etwas Zeit, um das Problem zu rempeln.“

Sie klang, als ob es um ein Eishockeyspiel ging. Aber Tessa hat nun einmal ihre eigene Art, sich auszudrücken.

„Was heißt hier rempeln?“ zischte ich. „Was für ein Problem? Was ist passiert? Ist sie krank?“

Ich spürte, wie die Angst in mir hochkletterte.

„Sie ist doch nicht tot?“

„Sei doch nicht albern!“ fauchte Tessa zurück. „Es ist schon schlimm genug. Sie ist weg! Abgehauen! Dieser Zettel klebte mit Tesa an der Klotür, als ich aufgewacht bin. Lies doch selbst! Und laut, denn das raff’ ich nie ...!“

Ich las mit zitternder Stimme:

„Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Muß mich ausruhen und nachdenken. Bin total verwirrt. Ich bin sicher, daß du, Tessa, und du, Ollie, auch eine Weile ohne mich klarkommt. Aber paßt bitte gut auf Jesper auf. Er ist ja noch so klein. Es tut mir leid, daß ich so was tun muß. Aber ich weiß nicht, was ich sonst machen würde ... verzeiht mir.

Kuß, Mama“

„Ohne sie klarkommen?“ wiederholte ich entsetzt. „Und wie lange? Und übrigens bin ich auch noch klein!“

Tessa zuckte die Schultern.

„Ich pack’ es nicht“, sagte sie.

„Eine Mutter von drei armen kleinen Kindern ... haut einfach ab!“

„Ihr hättet euch gestern nicht so aufführen sollen“, sagte Jesper, der mit seinem Schlafaffen im Arm in der Türöffnung stand und alles mitgehört hatte. „Du hättest nicht übers Essen meckern sollen, Tessa. Und du hättest dich nicht über unser Zimmer beschweren sollen, Ollie.“

„Und du hättest nicht mit der Tür schlagen und mit deinen dreckigen Stiefeln eintreten oder darüber schimpfen sollen, daß du nicht abgeholt worden bist. Du bist genauso dran schuld. Du bist überhaupt ein ganz großer Dreckskerl“, kotzte ich heraus.

Jesper fing auf der Stelle an zu heulen, und da lockerte sich der Weinkloß, der auch bei mir im Hals saß.

„Wenn es nur um unseren Zoff gegangen wäre, wäre sie ja schon längst weg“, meinte Tessa. „Nein, ich glaube, da steckt noch mehr dahinter. Etwas, was sie uns nicht erzählt hat.“

„Aber was sollen wir tun?“ schluchzte ich.

„Sie vertraut darauf, daß wir zurechtkommen. Also müssen wir uns zusammenreißen, uns Gedanken machen und Pläne schmieden“, sagte Tessa. „Und da wir schon verschlafen haben, finde ich, daß wir heute zu Hause bleiben.“