Manche Tage muss man einfach zuckern - Tamara Mataya - E-Book

Manche Tage muss man einfach zuckern E-Book

Tamara Mataya

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Beschreibung

Dauersingle Sarah hat die fixe Idee, dass die große Liebe auf der Internetseite »Missed Connections« auf sie wartet. Die Plattform richtet sich an all diejenigen, die ihren Traumpartner schon auf den Straßen von New York gesehen haben, aber nicht mutig genug waren, ihn anzusprechen. Doch Sarahs Mr. Right hat sie wohl noch nicht entdeckt, und so fängt sie eine Affäre mit Jack an, dem attraktiven Bruder ihres Mitbewohners. Er schafft es, ein wenig unverbindlichen Spaß in ihr Leben zu bringen. Doch dann taucht ein anonymer Verehrer auf »Missed Connections« auf …

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ZUM BUCH

Dauersingle Sarah hat die fixe Idee, dass die große Liebe auf der Internetseite »Missed Connections« auf sie wartet. Die Plattform richtet sich an all diejenigen, die ihren Traumpartner schon auf den Straßen von New York gesehen haben, aber nicht mutig genug waren, ihn anzusprechen. Doch Sarahs Mr. Right hat sie wohl noch nicht entdeckt, und so fängt sie eine Affäre mit Jack an, dem attraktiven Bruder ihres Mitbewohners. Er schafft es, ein wenig unverbindlichen Spaß in ihr Leben zu bringen. Doch dann taucht ein anonymer Verehrer auf »Missed Connections« auf …

ZUR AUTORIN

Tamara Mataya ist eine Bibliothekarin, die es liebt, für jeden das richtige Buch zu finden. Sie unterrichtet Englisch als Zweitsprache und ist zudem Musikerin.

TAMARA MATAYA

Manche

TAGE

muss man

EINFACH

zuckern

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von

Evelin Sudakowa-Blasberg

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe Missed Connections erschien 2016 bei Sourcebooks.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2017

Copyright © 2016 by Tamara Mataya

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Rabea Güttler

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von © shutterstock/Maridav

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-20511-9V001

www.heyne.de

Für Amber Tuscan-Clites und Heather Griffin.

Ich liebe euch mehr, als ihr euch vorstellen könnt.

Danke, dass ihr nie an mir gezweifelt habt.

1. Kapitel

Ich wische meine feuchten Handflächen am Rock ab und komme mir total overdressed vor. Der Geruch nach Salbei und Sandelholz kribbelt mir im Rachen, als ich tief einatme und einen verstohlenen Blick auf die Wanduhr werfe. Fünfzehn Minuten vorbei.

Fern schlägt ihre Beine übereinander und lehnt sich zurück. Dann mustert sie mich nachdenklich. »Wo siehst du dich in fünf Jahren, Sarah?«

Mist. Ich hasse diese Frage, finde sie fast genauso schlimm wie: »Was sind Ihre Schwächen?« Als würde irgendjemand ehrlich darauf antworten. Mit den gelernten Antworten würde ich normalerweise punkten – aber der Umgang mit New-Age-Hippies aus der Patschuli-Fraktion ist für mich unbekanntes Terrain.

Ich muss meine Antwort genau überdenken. »Ich plane nicht gerne so weit voraus. Das engt zu sehr ein. Ich glaube, es ist besser, die Dinge einfach zu nehmen, wie sie kommen, und in Bezug auf die Zukunft so flexibel wie möglich zu bleiben. Im Grunde gibt es keine Zukunft, es gibt nur das Jetzt.« Bitte, kauf mir mein Gesülze ab.

Sie lächelt. »Super Antwort.«

Ziggy nickt. »Super Antwort.«

Puh, Glück gehabt. Bescheiden senke ich den Kopf, halte jedoch Blickkontakt. New-Age-Hippies stehen auf bedeutungsvolle Blicke. Soll ich noch ein Namaste hinzufügen? Nein, das wäre zu viel. Ich brauche diesen Job. Dringend. New York ist ein teures Pflaster, mal ganz zu schweigen davon, dass ich noch meinen Studentenkredit in Höhe von mehreren Zehntausend Dollar abbezahlen muss.

Ziggy hält Fern sein Notizblatt hin und deutet auf etwas. Sie nickt. Während er in seinem Drehstuhl hin und her rollt, versuche ich, nicht auf seine knochigen Knie zu starren, die aus den Jeansshorts hervorgucken. Oder auf seine Haare. Der grau melierte Pferdeschwanz steht gefiederartig über seinen Ohren ab und lässt ihn leicht irre aussehen, etwa so wie Jack Nicholson in Die Hexen von Eastwick.

»Und was hat dich dazu bewogen, bei Inner Space arbeiten zu wollen?«

Die Tatsache, dass ich vor sechs Wochen aus der Anwaltskanzlei geflogen bin und meine Ansprüche auf dem arbeitgeberfreundlichen Arbeitsmarkt der Stadt sehr schnell herunterschrauben musste?

»Da war einfach etwas an der Anzeige. Ich hätte nicht nicht antworten können, falls das irgendwie Sinn ergibt.«

Fern und Ziggy wechseln lächelnd einen Blick, und Fern beugt sich ein wenig nach vorn. »Ich werde jetzt etwas sagen und würde dich bitten, darauf das erste Wort zu nennen, das dir in den Sinn kommt.«

»Wortassoziationen?«

»Genau! Du hast eine gute Auffassungsgabe.« Ferns Stimme ist im Verlauf des Vorstellungsgesprächs immer freundlicher geworden. Sie drapiert ihren langen blonden Zopf über der Schulter. »Okay. Das Gesetz der Anziehung.« Sie spreizt langsam die Finger, als wollte sie eine Explosion in Zeitlupe darstellen.

O nein, nicht schon wieder! Das ist jetzt das dritte Vorstellungsgespräch, in dem dieser Blödsinn zur Sprache kommt. »Du ziehst das an, was du aussendest.«

Ziggy kneift die Augen zusammen. »Und was bedeutet das für dich?«

Nichts, denn egal, wie viel Gutes ich in die Welt aussende, das Leben revanchiert sich immer, indem es die Mistkerle rechts, links, vor und hinter mir belohnt – und ich gehe leer aus. »Tja …« Kann ich das weitgehend ehrlich beantworten? »Wenn man Leute schlecht behandelt und negative Energie erzeugt, wird das sehr wahrscheinlich auf einen selbst zurückfallen.«

»Super Antwort.«

Ziggy klatscht einmal in die Hände. »Super Antwort. Hast du irgendwelche Fragen an uns?«

Wie viel zahlt ihr?

»Warum ist die letzte Empfangsdame gegangen?«

»Ah. Wir hier bei Inner Space schauen lieber nach vorn, nicht zurück.«

Verdammt, zurückrudern! »Das verstehe ich total. Ich habe beim Hereinkommen nur so seltsame Schwingungen im Empfangsbereich wahrgenommen.« Im Dunkeln, an einem Sonntag, in einer leeren Wellness-Einrichtung.

»Sehr feinfühlig.« Ferns Lächeln kehrt zurück. »Sie hat nicht zu Inner Space und uns gepasst. Unter uns gesagt, sie hat hier sehr viel negative Energien freigesetzt, was dem ganzen Betrieb geschadet hat. Sobald wir Ersatz für sie gefunden haben, verlässt sie uns.«

Aha, jetzt ergibt das Vorstellungsgespräch an einem Sonntag plötzlich Sinn. »Sie weiß es noch nicht?«

Ziggy schüttelt den Kopf. »Wir hatten eine offene Aussprache mit ihrem Astralleib darüber, wo sie gern sein würde. Es war nicht hier.«

Sie haben mit ihrem Astralleib gesprochen? Was soll das denn bedeuten? Ich suche mein Gedächtnis nach ein paar New-Age-Begriffen ab, die ich gelesen und als Schwachsinn verworfen habe. »Reden wir hier über Astralreisen?«

»Ja!« Fern wirft Ziggy einen Blick zu. »Sie kapiert es. Weißt du, meinetwegen müssen wir uns die anderen Bewerberinnen gar nicht mehr ansehen.«

»Habt ihr an den Wochenenden eigentlich immer geschlossen?«, frage ich. »Da gehen euch doch sicher eine Menge Einnahmen verloren, weil viele Leute unter der Woche keine Zeit haben.«

Ziggy runzelt die Stirn. »Die Menschen, die uns wirklich brauchen, finden einen Weg.«

Fern nickt. »Wir nehmen während der Woche so viel Energie auf, da brauchen wir die Wochenenden, um Spannungen abzubauen und unsere Energiefelder von jeglicher karmischen Last, die nicht unsere ist, zu reinigen. Geld ist nicht alles – und für all jene, die es während der Woche beim besten Willen nicht schaffen, haben wir einen Teilzeittherapeuten, Blake, der an den Wochenenden hier ist.«

»Da stimme ich euch voll und ganz zu«, sage ich eifrig, um die missbilligenden Gesichtsausdrücke der beiden zu verscheuchen. »Ich finde, es ist eine mutige, bewundernswerte Entscheidung, auf die … die unspirituellen Leute, die nur nach materiellen Dingen streben, zu verzichten.« Ich muss mir definitiv mehr New-Age-Begriffe aneignen, wenn ich hier arbeiten will. Falls ich den Job überhaupt kriege.

Fern lächelt wieder. »Ich glaube, du wirst perfekt hier reinpassen.«

Ich bin so erleichtert darüber, dass ich die Stelle tatsächlich kriegen könnte, dass mir Tränen in die Augen schießen. In den sechs Wochen, die ich bereits arbeitslos bin, habe ich Hunderte von Bewerbungen verschickt und bin bei ganzen dreißig erfolglosen Vorstellungsgesprächen gewesen. Jetzt gibt es zum ersten Mal einen Hoffnungsschimmer. »Echt? Ich würde wahnsinnig gern hier arbeiten. Es ist so ein schöner und friedlicher Ort.«

»Du bist so offen.« Die Handflächen nach oben streckt Ziggy die Arme in meine Richtung aus. »Ich empfange gute Schwingungen von dir. Du hast eine sehr kraftvolle Energie. Wir wollten jemanden haben, der hier sein möchte, der spirituell hier hereinpasst. Wir haben noch andere Bewerberinnen, aber wir werden dich heute Abend anrufen und dir unsere Entscheidung mitteilen.«

»Pete?«

Keine Antwort. Ich bin also allein zu Hause. Seufzend marschiere ich ins Wohnzimmer, nehme aus meiner Reisetasche ein Paar Shorts und ein Tanktop heraus und gehe ins Bad, um mich umzuziehen. Zum Glück ist Petes Klimaanlage leistungsstark genug, um es mit der schwülen Hitze draußen aufzunehmen. Seit ich keine eigene Wohnung mehr habe, schlafe ich auf dem Sofa meines besten Freundes Pete. Ich habe mal gehört, dass man ein Sicherheitsnetz von drei Monatsgehältern auf einem Sparkonto haben sollte. Aber dank der Darlehenszahlungen meines Studentenkredits, die jeden Monat mit gnadenloser Regelmäßigkeit von meinem Konto abgehen, war es mir nie möglich, dieses Sicherheitsnetz zu spinnen, als ich noch einen Job hatte.

Dann wurde ich entlassen. Wenn ich daran denke, wie es passiert ist, werde ich immer noch rot vor Scham und Wut. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren bin ich bis dahin noch nie gefeuert worden. Genau genommen wurde ich auch dieses Mal nicht gefeuert – doch wie immer man es auch nennen will, zu guter Letzt wurde ich trotzdem aus dem Gebäude herauseskortiert. In den Händen hielt ich die kleine Schachtel mit persönlichen Gegenständen. Ich klammerte mich so verzweifelt daran wie an einen Rettungsring, während sich nach und nach der Schock über das Geschehen einstellte.

Grimmig binde ich mein dunkles Haar zu einem Pferdeschwanz zurück und schminke mich ab. Das Schlimmste an der Sache war, dass ich meine Tränen nicht zurückhalten konnte. Diese Idioten haben mich weinen sehen. Die Entlassungsklausel im Vertrag war zweideutig und zu ihren Gunsten verfasst, aber ich bin so wild darauf gewesen, für eine der größten Anwaltskanzleien der Stadt zu arbeiten, dass ich blöderweise trotzdem unterschrieben habe. Ich fühlte mich so geschmeichelt, hielt mich für einen Glückspilz, weil ich ohne die geringste Berufserfahrung ein Gehalt bekam, das meine Unkosten gerade mal so deckte. Sie rekrutierten mich frisch von der Uni weg … und spuckten mich ein halbes Jahr später wieder aus.

Und ich hatte so ein gutes Gefühl bei Brenda gehabt, der Partnerin der Anwaltssozietät, die mich eingestellt – und letzten Endes auch entlassen – hat. Sie machte einen ehrlichen Eindruck, als sie sagte, wenn es nach ihr ginge, würde ich bleiben. Sie versicherte mir auch, es habe nichts mit meiner Jobperformance zu tun – als würde ich mich dann besser fühlen! Aus irgendeinem Grund hat der Seniorpartner der Kanzlei beschlossen, dass er mich nicht leiden kann, und da sein Name an der Tür steht, war es einzig und allein seine Meinung, die zählte. Er hatte noch nicht einmal den Anstand, mir selbst zu kündigen. Stattdessen stahl er sich an jenem Tag vorzeitig aus der Kanzlei und vertraute darauf, dass er mir nie wieder ins Gesicht blicken müsste. Feigling.

Aber Fakt ist: Ich bin immer noch arbeitslos und er immer noch reich und mächtig und ein tyrannischer Frauenhasser mit üblem Mundgeruch.

Die hoffnungsvolle Euphorie, die ich von dem Vorstellungsgespräch bei Inner Space mitgenommen habe, flaut nun gänzlich ab. Ich schlendere in die Küche, schlendere zurück ins Wohnzimmer. Es wäre noch Zeit zum Mittagessen, aber mir ist nicht nach Essen zumute. Ich tappe zu Petes Schreibtisch hinüber und schalte seinen Laptop an.

Meine Möbel sind nach wie vor in einem absurd überteuerten Lager. Pete erlaubt mir noch nicht einmal, meinen schimmernd neuen Computer in die Wohnung zu holen – die Ästhetik, das würde ich doch verstehen? Dagegen konnte ich schlecht protestieren, schließlich lässt er mich umsonst bei sich wohnen. Ohne ihn wäre ich auf der Straße gelandet oder, was nur wenig besser wäre, gezwungen gewesen, wieder zu meinen Eltern zu ziehen. Doch dann hätte ich von meiner Kündigung erzählen müssen und wäre mir wie ein Versager vorgekommen, der sich in der Geschäftswelt nicht behaupten kann. Damit hätte ich meinem Dad nur recht gegeben, der immer meint, dass ich einfach nicht skrupellos genug bin, und darauf habe ich echt keine Lust.

Weil ich langsam anfange zu glauben, dass er recht haben könnte.

Ich gebe Petes Passwort ein, um den Laptop zu entsperren. Die Stellenangebote sind in letzter Zeit ziemlich spärlich gewesen, vor allem jetzt, im Juli, wo die Studenten Semesterferien haben und Leuten wie mir, die die Arbeit tatsächlich für ihren Lebensunterhalt brauchen, die Jobs wegschnappen. Und ich muss mich dafür auf Online-Anzeigenseiten wie Craigslist rumtreiben in der Hoffnung, auf diese Weise an Jobs zu kommen.

Yes, neben vielen Wohnungsgesuchen und Paarungswilligen gibt es neue Stellenangebote! Meine gute Laune schlägt jedoch schlagartig um, als ich das erste Angebot lese.

Sexy Chefsekretärin gesucht

Die Kandidatin sollte intelligent, organisiert, effizient, neckisch, sexy, witzig und selbstverständlich hochkompetent in allen anfallenden Büroarbeiten sein.

Neckisch? Sexy? Geht’s noch?

Bewerbungen bitte mit Lebenslauf und aktuellem Foto einreichen.

Weil das Aussehen so irre wichtig ist für die Fähigkeit, achtzig Wörter in der Minute zu tippen, schon klar.

Unser Kunde ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, der …

Es vermutlich mit der Sekretärin auf seinem Schreibtisch treiben will. Die Anzeige stinkt förmlich nach Callgirl. Nein, danke.

Bei der nächsten Anzeige handelt es sich um eine ganz normale Stelle als Telefonistin beziehungsweise Empfangsdame bei einer boomenden Firma im Energiesektorbereich. Im Verlauf meiner wochenlangen Arbeitslosigkeit haben sich die Jobs, die ich bereit wäre anzunehmen, beträchtlich von meinem eigentlichen Fachgebiet entfernt. In dieser Stellenanzeige wird das Gehalt nicht genannt, aber die Firma zahlt in der Regel recht gut, also sende ich schnell einen Lebenslauf an die angegebene E-Mail-Adresse in der Hoffnung, dass ich nicht die zweihundertdreiundsiebzigste Bewerberin bin. Es wäre nicht mein Traumjob, aber wenigstens wird nicht nach einem Foto und einem Safeword gefragt.

Für die nächsten sieben Stellen bin ich erbärmlich unterqualifiziert, und bei den darauffolgenden sechs ist das Gehalt zu mickrig, obwohl ich meine Gehaltsvorstellungen in den letzten drei Wochen ebenfalls deutlich gesenkt habe. Die nächsten beiden Anzeigen sind keine Stellenangebote, sondern Werbung für eine Ausbildung als Arzthelferin.

Bei der letzten Anzeige handelt es sich um einen Job, für den ich mich vor drei Wochen schon einmal beworben habe. Bei dem Vorstellungsgespräch starrte der Typ, der eine persönliche Assistentin suchte, die ganze Zeit auf meine Brüste. Er sprach mich sogar mit falschem Namen an, obwohl er meinen Lebenslauf direkt in der Hand hielt! Ich wurde zu einem zweiten Gespräch eingeladen, aber ich hütete mich davor, mich noch einmal zu melden. Nach dem ersten halbstündigen Gespräch hatte ich schon das dringende Bedürfnis nach einer heißen Dusche. Man stelle sich bloß vor, ich müsste vierzig Stunden in der Woche mit diesem Widerling verbringen! So verzweifelt bin ich dann doch noch nicht.

Eigentlich sollte ich auf einem anderen Portal nach weiteren Jobangeboten suchen. Stattdessen gehe ich auf die Startseite von Craigslist zurück. Ich brauche jetzt dringend was fürs Herz. Missed Connections: Craigslists Pendant zu den herkömmlichen Kleinanzeigen. Obwohl ich allein bin, werfe ich zur Sicherheit rasch einen Blick über die Schulter. Als ich wieder auf den Bildschirm schaue, ergreift mich eine jähe Vorfreude. Vielleicht ist heute der Tag, an dem ich einen Eintrag über mich selbst lesen werde.

Seit ich arbeitslos bin, ist das zu einer kleinen Obsession geworden. Es fing alles an, nachdem ich eines Tages mal wieder eine gefühlte Ewigkeit erfolglos nach einem Job gesucht hatte. Aus reiner Neugierde klickte ich auf »Persönliches« – eine Rubrik, die ich mir bisher noch nie angesehen hatte, da ich dahinter die typischen Anzeigen vermutete: Frauen, die Männer für lange Spaziergänge im Park suchen. Ältere Herren, die nach jüngeren Frauen suchen, um ihrem Leben neuen Schwung zu verleihen. Wenn du Piña Colada liebst und Katzen hasst … So was halt. Aber es ist ganz anders.

Es geht um Begegnungen, die tatsächlich stattgefunden haben. Hier kann man eine Nachricht für die fremde Person hinterlassen, mit der man einen Blick gewechselt oder einen besonderen Moment erlebt hat und die man gern finden würde. Gott, es ist so romantisch! Ich war vom ersten Eintrag an total süchtig. Ich erlebe selbst solche Momente mit Männern – vielleicht ist einer von ihnen mein Seelengefährte und hat mich ebenfalls in der Schar gesichtsloser Passanten oder Pendler erspäht?! Einige Einträge sind voller Poesie, Schwärmerei und von einer so wilden Hoffnung erfüllt, dass es mir den Atem raubt.

Manche sind hingegen geschmacklos und nur auf Abschleppen aus. Aber falls meine wahre Liebe da draußen sein sollte, würde er so etwas sowieso nicht posten. Vielleicht bin ich naiv, weil ich immer noch an Romantik glaube. Vielleicht wird mich die Liebe auf diese Art nicht finden.

Aber vielleicht ja doch.

Es ist diese Hoffnung, die mich anspornt, die Einträge beinahe täglich zu lesen und nach zutreffenden Beschreibungen Ausschau zu halten. In meinen dunkelsten Momenten, wenn ich meine Wunden lecke, weil offenbar kein Arbeitgeber der Welt mich haben will, hilft es, sich vorzustellen, dass vielleicht in diesem Moment jemand nach mir sucht.

Natürlich lese ich die Anzeigen nur, wenn ich allein in der Wohnung bin. Würde Pete herausfinden, was ich da tue, würde er mich bis in alle Ewigkeit damit aufziehen.

Ein weiterer Grund, weshalb ich wieder eine eigene Wohnung brauche. Heimlichen Lastern zu frönen ist nicht sonderlich befriedigend, wenn man ständig damit rechnen muss, von seinem Mitbewohner erwischt zu werden. Ich scrolle nach unten zu den Anzeigen.

Mädchen in der U-Bahn

Hmm, ich fahre manchmal mit der U-Bahn zu Vorstellungsgesprächen.

Ich sehe dich jeden Tag, wenn du in deinen scharfen High Heels auf dem Bahnsteig in der 8th Street stehst.

Nicht ich. Derzeit renne ich zu Terminen überall in der Stadt – und ganz sicher nicht auf High Heels!

Ich wünsche mir, dass du mit diesen geilen Hacken über meinen ganzen Körper –

Oha, bin ich froh, dass ich nicht gemeint bin. Bloß weiter.

Aus den Augen, aber niemals aus dem Sinn.

Damit könnte ich gemeint sein. Wer weiß, ich könnte mir schon den einen oder anderen meiner Verflossenen vorstellen …

Ich bedaure es jeden Tag, dass ich nicht mit dir mitgegangen bin. Du musstest gehen, und ich erkannte leider zu spät, dass ich nicht hätte bleiben müssen. Ich bin an unserer Trennung schuld, nicht du. Seit zwölf Jahren vermisse ich dich jeden einzelnen Tag. Ich hoffe, du hast dein Glück gefunden. In Liebe – Cara

Auch wenn ich nicht gemeint bin, was für eine traurige Vorstellung, sich zwölf Jahre lang nach jemandem zu sehnen … Warum hat sie sich nie auf die Suche nach ihm – oder ihr – gemacht? Andererseits, vor zwölf Jahren war das Internet noch nicht das, was es heute ist. Es war viel schwieriger, jemanden zu finden, der weggezogen ist und von dem man keine Kontaktdaten hat.

Als ich einen Schlüssel im Schloss höre, schrecke ich hoch, taste nach der Maus und schaffe es gerade noch, wieder auf die Startseite von Craigslist zu wechseln, ehe die Tür geöffnet wird.

Mein Herz beginnt zu rasen, als ich sehe, dass es nicht Pete ist.

2. Kapitel

Es ist sein eineiiger Zwillingsbruder. Perfekte Zähne, verwuscheltes hellbraunes Haar, diabolisch geschwungene Brauen. Und ein Lächeln, von dem ich nie genug kriegen kann – und das in diesem Moment seine blauen Augen aufleuchten lässt. »Hey, Sarah.« Der winzige Leberfleck unter seinem linken Auge sollte nicht sexy sein, ist es aber. »Wie geht’s?«

Obwohl Jack seinem Bruder so unglaublich ähnlich sieht, übt er eine gänzlich andere Wirkung auf mich aus. Nicht nur, weil Pete schwul ist und Jack nicht. Wie es mir geht? Ganz kribbelig, jetzt, wo du hier bist.

»Gut. Und dir?«

»Ganz okay.« Er schließt die Tür hinter sich und gewährt mir dabei einen Blick auf seinen knackigen Hintern und seine kräftigen Rückenmuskeln. Gott, er hat wirklich tolle Schultern! Als er den Saum seines T-Shirts vom Körper wegzieht und sich damit Luft zufächelt, erhasche ich einen kurzen Blick auf seine definierten Bauchmuskeln. »Ganz schön heiß draußen.«

Nicht nur draußen …

»Stimmt.«

»Ist Pete da?«

Denk dran, er ist tabu!

Energisch kämpfe ich gegen meine verrückt spielenden Hormone an. »Nö.«

»Ist er immer noch im Salon?«

»Keine Ahnung. Als ich vorhin von meinem Vorstellungsgespräch zurückkam, war er weg.«

Er schlendert in die Küche und lehnt sich mit der Hüfte an die Theke. »Muss ein Haarnotfall sein, wenn er an einem Sonntag freiwillig vor zwölf Uhr aufsteht.«

»Ha, richtig!«

»Wie lief dein Gespräch?«

Ich streiche in einer, wie ich hoffe, beiläufigen Geste über meinen Pferdeschwanz. Mir ist nur allzu bewusst, dass ich nur winzige Shorts und ein Tanktop trage. »Ganz gut, glaube ich, aber sie meinten, sie hätten noch andere Bewerberinnen, die sie sich ansehen wollen. Und sie sind ein wenig seltsam.«

»Inwiefern seltsam?«

Wie kann ich das möglichst neutral formulieren? »Sie sind Hippies.«

»Was meinst du? Waren sie high? Könnte ganz nett sein, solche Leute als Chefs zu haben.«

»Ob sie kiffen, weiß ich nicht, aber ich vermute, bei denen geht es viel um Chi und Auren und so.«

»Ah, New Ager.«

»Genau.« Ich stütze den Ellbogen auf die Schreibtischplatte und lege das Kinn in die Hand. »Und sie haben der Frau, deren Job ich übernehmen soll, noch gar nicht gesagt, dass sie entlassen wird.«

Er zieht eine Grimasse. »Das ist hart.«

»Trotzdem würde ich sofort zusagen, wenn sie mir den Job anbieten sollten.«

Er verschränkt seine muskulösen Arme vor der Brust, und ich bemühe mich, nicht zu starren. »Sie wären dumm, wenn sie dich nicht nehmen würden.«

»Danke, Jack.« Seine Ernsthaftigkeit tut mir gut.

»Du hast ja mal gesagt, dass dir Kellnern nicht liegt, aber Bedienungen kriegen super Trinkgeld. Ich könnte …«

»Ich weiß, du hast da eine Menge Beziehungen, aber das ginge nie gut. Da fehlt es mir einfach an Koordination. Es gibt einen Grund, warum ihr Jungs mir nie erlaubt, die Drinks an den Tisch zu bringen. Ich würde am Ende einer Schicht dem Club mehr Geld schulden, als ich verdient hätte.«

»In Ordnung. Also …«

Er hält inne, als mein Handy auf dem Schreibtisch zu vibrieren beginnt. Ich schaue aufs Display. »Da muss ich rangehen. Hallo?«, melde ich mich.

»Hi, Sarah, hier ist Fern. Von Inner Space.«

»Hi, Fern.« Die Hippies, erkläre ich Jack lautlos. »Wie geht’s?«

»Ganz gut. Hör zu, ich wollte dir nur mitteilen, dass dummerweise« – Mist! Eine Absage. – »unsere Empfangsdame von den Bewerbungsgesprächen Wind bekommen hat. Sie ist hier aufgekreuzt und hat uns übelst beschimpft. Und dann ist sie hinausgestürmt. Wir würden dich also gleich morgen früh brauchen.«

Moment mal. »Heißt das, ich habe den Job?«

»Oh, ja, habe ich das nicht gesagt?«

Nein, hast du nicht. Ich stoße die Faust in die Luft. »Danke, Fern! Morgen ist kein Problem. Um wie viel Uhr soll ich da sein?«

»Deine Arbeitszeiten sind montags bis freitags von zehn bis circa achtzehn Uhr. Oder ist zehn Uhr zu früh für dich?«

Zu früh? In der Kanzlei musste ich um sieben anfangen und oft auch an den Wochenenden arbeiten. »Zehn ist perfekt.«

»Super. Dann bis morgen.«

»Bis morgen.« Ich beende das Gespräch und springe auf. »Ich hab den Job!«

»Herzlichen Glückwunsch!« Jack umarmt mich begeistert.

Und während er mich in seinen starken Armen hält und ich mein Gesicht an seine muskulöse Brust schmiege, fällt mir schlagartig wieder ein, warum er für mich tabu ist.

Weil ich ihn so sehr begehre und er einfach der falsche Mann für mich ist.

Aber ausnahmsweise ist mir das egal.

Ich atme seinen Duft gierig ein, als könnte ich mir dadurch sein ganzes Wesen einverleiben. Mit einer Hand auf dem unteren Teil meines Rückens presst er mich enger an sich. Aber es werden keine Grenzen überschritten, außer denen in meinen Gedanken … Meine von der Klimaanlage gekühlte Haut bildet einen schönen Kontrast zu seiner erhitzten. Wie würden sich diese heißen Hände auf meinen Schenkeln anfühlen, wenn sie sich langsam nach oben bewegten …

Ich lasse meinen Blick von seiner Brust zu seinem Gesicht wandern. Ich begehre Jack schon, seit ich ihn vor sechs Jahren zum ersten Mal auf einer Party gesehen habe, wo er im Keller Platten auflegte. Nach zehn Minuten hatte ich aber genug über ihn erfahren. Er war ein Frauenheld. Und der eineiige Zwillingsbruder meines schwulen besten Freundes.

Er leckt sich die Lippen.

Jack ist personifizierter Sex, und das weiß er. Das Problem ist, eine Menge anderer Frauen wissen das auch. Sehr viele Frauen. Zu viele. Und ich weigere mich, nur eine von vielen Eroberungen zu sein. Womanizer sind absolut tabu; ich habe gesehen, was Fremdgehen anrichten kann. Meine Mom hat meinem Dad immer wieder das Herz gebrochen. Und das Schlimmste ist, dass er sie jedes Mal zurückgenommen hat. Sein Stolz ist dabei meine geringste Sorge. Ich bange eher um sein Herz, das ständig diesem Stress ausgesetzt ist. Und sehe es für mich als Mahnung, mich niemals mit einem potenziellen Fremdgeher einzulassen – egal, wie attraktiv er ist oder wie süß seine Worte sind. Aus dem Mund meiner Mutter habe ich jede nur denkbare Rechtfertigung gehört.

Aber selbst wenn Jack nicht fremdgehen würde, sein offenkundiges Peter-Pan-Syndrom macht ihn für Beziehungen untauglich. Er ist DJ. Sein Arbeitsplatz ist eine Tanzfläche voller betrunkener Leute. Lange Nächte, pulsierende Lichter. Was wäre das für ein Leben, wenn ich ihn kaum zu Gesicht bekäme? Wenn ich nie mehr als ein paar wenige Stunden in der Woche oder einen gestohlenen Augenblick in einem lauten Club mit ihm hätte? Wie könnte ich mit all den Frauen konkurrieren, die sich ihm an den Hals werfen? Ich will mehr haben – ich brauche mehr. So langweilig sich das anhören mag, aber ich brauche jemanden, dem es ernst ist, der eine Zukunft mit mir haben will – und nicht einen scharfen Typen, der sich weigert, erwachsen zu werden.

Deshalb wird zwischen uns nie etwas passieren, auch wenn mein Puls sich jedes Mal beschleunigt, wenn Jack in der Nähe ist. Leise seufzend trete ich einen Schritt zurück und gehe zurück ins Wohnzimmer. Jack folgt mir. Er setzt sich ans andere Ende des Sofas. Ich bin dankbar für den Abstand.

Anscheinend – und Gott sei Dank – ahnt Jack nichts von meinem inneren Tumult und nimmt das Gespräch wieder auf. »Die wollen, dass du gleich morgen anfängst? Das ist doch super.«

»Finde ich auch.« Obwohl es merkwürdig ist, dass ich meine Einstellung dem wütenden Abgang meiner Vorgängerin verdanke. Aber vielleicht hat es die Sache nur beschleunigt, und die Wahl war davor bereits auf mich gefallen.

Die Tür fliegt auf und knallt gegen die Wand. »Schaaatz, Homo ist heimo!«, ruft Pete.

»Gott, du bist so eine Karikatur«, rufe ich grinsend.

»Gib’s zu: Das liebst du doch an mir.«

»Dein Bruder ist da.«

»Wunderbar. Ich kann einen großen, starken Mann gut gebrauchen, der mir beim Auspacken dieser schweren Tüten hilft.« Er hält die vollgepackten Einkaufstüten hoch.

Jack verdreht die Augen, steht aber brav auf. Ich folge ihm in die Küche, wo Pete die Einkaufstüten bereits auf die freie Arbeitsfläche gestellt hat. Ich halte mich im Hintergrund, während die Jungs den Einkauf verstauen.

Die beiden bewegen sich mit ähnlicher Grazie, aber Pete ist weicher, leichtfüßiger, wohingegen Jack eher einer geschmeidigen Raubkatze gleicht. Die beiden Brüder sehen schon erschreckend gleich aus, abgesehen von Jacks süßem Leberfleck und ein paar stylischen Vorlieben. Zum Beispiel schimmern Jacks Haare in ihrer natürlichen hellbraunen Farbe, während Pete seinen mit Tönung und Haarlack nachgeholfen hat. Außerdem sind Petes Augenbrauen sorgfältig in Form gezupft, ohne jedoch übertrieben zu wirken. Er arbeitet als Visagist und Haarstylist in einem hippen, exklusiven Salon in Manhattan und hat unglaublich was drauf. Ich vertraue meine Haare keinem anderen an.

Jack wendet sich seinem Bruder zu. »Es gibt Neuigkeiten«, berichtet er.

»Was? Wo? Erzähl!«

Ich lache. »Ich habe einen Job! Bald hast du dein Sofa wieder für dich allein.«

»Gott sei Dank«, ruft Pete erleichtert aus.

Ich funkle ihn an. »Du könntest aus Rücksicht auf meine Gefühle ruhig etwas weniger erfreut klingen.«

»Schätzchen.« Mit dem Ringfinger streicht er sich über eine Braue und schafft es mit dieser kleinen Geste, wie der Inbegriff eines seit Langem Leidenden zu wirken. »Ich liebe dich, aber wenn ich an meinem Handtuchständer noch länger irgendwelche Tangas sehen müsste, würde ich durchdrehen.«

»Pete!« Röte schießt mir in die Wangen, und ich werfe einen Blick zu Jack hinüber.

»Glaub mir, mein kleiner Bruder hat schon viel mehr Höschen gesehen als du.«

Jack feixt. »Du bist nur drei Minuten älter als ich.«

Mir fällt auf, dass er den Teil mit den Höschen nicht leugnet.

Pete nimmt mich in die Arme. »Süße, ich bin so stolz auf dich! Worin besteht dieser fabelhafte Job? Wird man dir Millionen von Dollars zahlen?«

»Wohl kaum. Ich arbeite am Empfang.«

»Das wirkt angesichts deiner Ausbildung vielleicht wie ein Schritt zurück, doch da draußen herrscht das Gesetz des Dschungels. Dass du eingestellt wurdest, beweist, wie großartig du bist.«

Ich hebe die Brauen. »Es geht um den Empfang in einem New-Age-Wellness-Tempel.«

»Etwa bei der Konkurrenz?« In gespielter Empörung weicht er zurück.

»Nein. Bei Inner Space. Sie bieten Massagen an, Akupunktur und irgendwelchen Kristallkram. Und Yoga. Nichts, was einen verschönert. Es ist der Laden, von dem deine Kundin Naomi erzählt hat.«

Er grinst. »Niemand kann Menschen besser verschönern als ich.«

»Du bist der Beste«, sagt Jack mit wohlwollender, beinahe väterlicher Nachsicht, ehe er sich mir zuwendet. »Du wirst also demnächst ausziehen?«

»Ja, sobald ich eine Wohnung gefunden habe.« Mein Glücksgefühl wird durch irgendetwas in seinem Blick, das ich nicht definieren kann, gedämpft.

»Gib Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.«

»Danke, das ist toll. Was hast du fürs Abendessen geplant, Pete?«

Er reibt sich die Hände. »Eigentlich wollte ich Spaghetti Bolognese machen, aber diese Neuigkeit muss gefeiert werden. Ich habe von einem neuen Thailänder in Williamsburg gehört. Wollen wir den testen?«

Bei Petes Spaghetti Bolognese würde der beste italienische Koch vor Neid erblassen. »Ich bin dafür, dass wir hierbleiben. Nichts ist besser als deine Pasta. Bitte, bitte. Du wirst nicht mehr lange für mich kochen können«, schmeichle ich. »Ich melde mich auch freiwillig für den Abwasch.«

»Ich sollte dich tatsächlich noch ein wenig mästen, bevor du ausziehst.«

Ich verdrehe die Augen und gehe wieder zu seinem Laptop. »Am besten fange ich gleich mal mit der Wohnungssuche an.«

Ich schnappe mir meine Ohrstöpsel und höre Musik, um den Jungs etwas Privatsphäre zu geben.

Hach, Privatsphäre. Bald werde ich wieder in einer eigenen Wohnung leben, mit meinem eigenen Computer, in meinen eigenen vier Wänden. Was für ein großartiger Gedanke.

Zurück zu Craigslist. Die Hauptseite ist immer noch geöffnet, und mit nur einem Mausklick gelange ich zu den Mietangeboten.

Die letzten sechs Wochen sind so stressig gewesen, dass ich erst jetzt merke, wie sehr sie mich tatsächlich belastet haben. Ein Lachen will aus mir herausplatzen; ich warte förmlich darauf, bei dem kleinsten Anlass loszuprusten.

Der kräftige Geruch nach brutzelnden Zwiebeln und Knoblauch erfüllt die Luft. Petes Fleischsoßen benötigen Zeit, um ihr Aroma zu entfalten. Wir werden erst in ein, zwei Stunden essen, aber ich habe seit Ewigkeiten erstmals wieder richtig Hunger und nicht mehr das Gefühl, einen Ziegelstein im Bauch zu haben.

Fern hat mir die Gehaltdetails gemailt. Es gibt viel weniger Kohle als das, was ich in der Kanzlei bekommen habe, aber genug, um damit auszukommen. Ich schreibe einige Makler an, die bezahlbare Wohnungen anbieten, und entdecke dann eine Wohnung, die perfekt aussieht: winzig, überteuert und am äußersten Rand von Brooklyn. Wunderbar!

In Kürze werde ich Arbeit haben und Geld zum Ausgeben. Kein Knapsen und Schnorren mehr, kein Verzicht auf köstliche Hipster-Kaffeesorten und andere Leckereien, wenn ich unterwegs bin. Nicht mehr im Supermarkt die Zeitschriften nur lesen und niemals kaufen und mir dabei unter dem kritischen Blick eines Verkäufers wie ein Junkie vorkommen, der auf einen Gratisschuss aus ist.

Ganze siebzehn neue angesagte Restaurants wurden in der Zeit seit meinem Rauswurf eröffnet. Bisher musste ich immer neidisch daran vorbeigehen – das wird jetzt anders. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen.

Ich bin keine Versagerin. Mein ehemaliger Boss hat sich in mir getäuscht. Es ist, als würde ich seit fast zwei Monaten zum ersten Mal wieder richtig atmen.

Posteingang (1)

Schon eine Antwort?

Angesichts der E-Mail-Adresse bleibt mir das Herz stehen. Die Mail ist von der Anwaltskanzlei. Warum sollten die mir mailen? Ist das wie böses Karma – das Leben hat gesehen, dass ich ganze zehn Minuten lang nicht deprimiert war, und schwupps hat es sich etwas ausgedacht, um das zu ändern?

Die Nachricht mit dem Betreff »Ungeziefer« wurde anscheinend aus Versehen an mich weitergeleitet. Immer wenn ich von zu Hause aus gearbeitet habe, habe ich meinen privaten E-Mail-Account benutzt, und so waren meine Kollegen dazu übergegangen, mich darüber zu kontaktieren. Offenbar haben sie mich nicht aus der Kontaktliste gelöscht. Ich sollte die Mail nicht lesen, aber es ist so, wie wenn man einen Ex auf Facebook stalkt: Man muss es einfach tun.

Sonya,

Wir haben in der Kanzlei einen ernsten Befall von Ungeziefer. Die Ausscheidungen sind überall verstreut, vor allem in der Kantine. Wie Sie sich denken können, ist Bob alles andere als erfreut. Rufen Sie den Kammerjäger an, und sorgen Sie dafür, dass er so schnell wie möglich erscheint.

Brenda

Mein hysterisches Gelächter zieht Petes und Jacks Aufmerksamkeit auf sich. Ich könnte platzen! Am liebsten würde ich gleich hier und jetzt ein kleines Tänzchen aufführen. »Jack, legst du diese Woche irgendwo auf?«

»Ich bin am Freitag im Combined. Wieso fragst du?«

Ich bedeute den beiden, die E-Mail zu lesen, und freue mich gleich noch einmal, als ihre Gesichter aufleuchten. Sie fühlen dieselbe Schadenfreude wie ich – schließlich haben sie hautnah miterlebt, wie dieser Saftladen mich rausgeworfen hat, als wäre ich ein Nichts. »Weil mir plötzlich nach Tanzen zumute ist.«

Mein Leben könnte nicht besser sein.

3. Kapitel

Ich merke gleich, dass es ein Fehler war, an meinem ersten Arbeitstag in schwarzem Rock, schwarzem Pulli mit Spitzeneinsatz und mit hohen Schuhen aufzukreuzen. Dieses Outfit war perfekt für die Kanzlei, doch hier falle ich damit auf wie ein bunter Hund.

Fern sieht in ihrem hafermehlfarbenen Kaftan und den grünen Leggings wie eine ermattete Blume aus. Ihr Blick wandert langsam von meinem straffen Chignon bis hinunter zu meinen Zehn-Zentimeter-Hacken. »Ich bin ja für Ausdruck in all seinen Formen, Sarah, auch was die Kleiderwahl angeht, aber wir versuchen hier wirklich, eine relaxte Atmosphäre zu schaffen. Unsere Kunden sollen sich wohl und wie zu Hause fühlen. Die Leute kommen in Joggingklamotten und ungeschminkt zu den Massagen. Sie suchen eine Auszeit von der alltäglichen, allgegenwärtigen Eitelkeit.«

»Heißt das, ich soll mich weniger förmlich kleiden?«

»Das könnte nicht schaden, ja, einfach etwas legerer. Damit du mit uns harmonierst. Harmonie ist uns wichtig. Und deine Kleidung ist doch sehr disharmonisch.«

»Gut, dann werde ich mich morgen anders anziehen.«

Sie winkt ab. »Zieh an, was du willst.«

Nur kein Businessoutfit. Und was, wenn ich genau das tragen will? »Dann sind Jeans also okay?«

»Achte einfach auf die Energie und falle in Einklang mit ihr.«

Okaaay.

Sie rückt einen Stapel Unterlagen auf dem Schreibtisch zurecht. »Wie auch immer, wir dachten, wir führen dich in das Buchungs- und Abrechnungssystem ein, während Ziggy sich um seinen Kunden kümmert.«

Ich blicke mich kurz um, aber außer uns ist niemand sonst im Empfangsbereich zu sehen. Keine Ahnung, warum sie ständig von wir spricht. »Hört sich gut an.«

»Mit Computern kennst du dich ja aus, oder?«

»Klar.«

»Gut, spiel einfach mit den Programmen herum. Ich muss zu einem Meeting.«

»Wie bitte, du gehst weg?« Ich bin seit exakt dreiundzwanzig Minuten hier, und da will sie mich mir selbst überlassen?

»Ich bin um halb zwölf zurück, und Ziggy ist um elf mit seinem Kunden fertig. Genügend Zeit also, dich mit dem Buchungssystem vertraut zu machen.« Sie lächelt und packt mich an der Schulter. »Du bist klug. Ich habe volles Vertrauen in deine Fähigkeiten.« Mit diesen Worten entschwebt sie in einer Wolke aus Sandelholz und Zitronenverbene.

Mein Blick schweift von der Salzkristalllampe auf dem Holztisch zu dem großen Amethyst neben der Eingangstür. Ein kleiner Stapel Öko-Zeitschriften liegt neben einem Kartenset mit aufbauenden Sprüchen und Fingerlabyrinthen auf den Rückseiten. Wahrscheinlich soll das beruhigend wirken.

Ich könnte jetzt gut eine ordentliche Dosis Beruhigung brauchen. Was zum Teufel soll ich machen, wenn jemand anruft oder hereinschneit oder … Nein. Ich setze mich an den Computer und hole ihn mit einem Wackeln der Maus aus dem Schlafmodus. Fern ist gegangen, weil sie mich für intelligent und fähig hält. Vielleicht ist es eine Art Test? Egal, es ist jedenfalls meine Chance zu brillieren. Verglichen mit den Aufgaben, die mir die Anwälte übertragen haben, ist das hier ein Kinderspiel.

Ferns Vertrauen in mich mindert die Panik, die mich zu überkommen droht, die Angst, ich könnte etwas falsch machen. Ich schaffe das. Es ist nur ein simples Programm, und ich habe eine Geheimwaffe: das Internet. Über Google erfahre ich alles, was ich über das Programm wissen muss. Es gibt sogar ein Forum, in dem übliche Probleme und Tastenkürzel diskutiert werden.

Um Viertel vor elf übe ich bereits mit erfundenen Reservierungen, verschiebe sie auf andere Tage und Uhrzeiten und lösche sie dann wieder, ganz der Profi. Solange ich bei den Grundlagen bleibe und niemand Extrawünsche hat, komme ich klar.

Um Punkt elf kommt Ziggy aus einem der Behandlungszimmer geschossen und flitzt als himmelblauer Fleck an mir vorbei. »Toilette.«

Hallo zurück.

»Hey.« Eine Frau in den Fünfzigern in Caprihose und Folklorebluse taucht an der Empfangstheke auf. Offenbar gibt es keine Klingel, die einen wissen lässt, wenn jemand hereinkommt oder hinausgeht. Daran werde ich denken müssen, wenn ich die Rezeption kurz unbeaufsichtigt lasse. »Ich habe um elf Uhr fünfzehn einen Termin bei Ziggy.«

Ich rufe Ziggys heutigen Terminplan auf und hoffe, die Frau dort zu finden, damit ich nicht wie ein Vollidiot dastehe. »Wie ist Ihr Name?«

»Tina.«

»Das ist Ihr Nachname?«

»Nein.«

Auf so etwas habe ich im Moment so gar keine Lust. »Und wie lautet Ihr Nachname?«

»Graham?«

Endlich. Auf Ziggys Terminplan ist Tina tatsächlich um elf Uhr fünfzehn eingetragen. Erleichtert atme ich auf und schenke ihr ein Lächeln. »Er ist gerade noch bei einem Kunden. Wollen Sie nicht einen Moment Platz nehmen?« Ich deute auf die Reihe salbeigrüner Kunstledersessel.

»Gern.« Sie spaziert zum Wasserspender, wo sich auch die Kräuterteepackungen und Tassen befinden – richtige Tassen, denn Wegwerfbecher sind laut Fern keine Option. Tina zieht und ruckelt an dem roten Hahn. »Es gibt kein heißes Wasser.«

»Sie müssen den Hahn erst nach hinten drücken und dann nach unten.«

Sie ruckelt noch fester daran. »Funktioniert nicht. Ist anscheinend kaputt.«

»Nein, nach unten pressen, nicht daran reißen.« Ich verwende ein anderes Wort in der Hoffnung, dass sie es dann versteht, und ahme pantomimisch die Bewegung nach, aber sie hört weder zu noch sieht sie zu mir hin. Als sie weiterhin wie eine Irre an dem Hahn herumzerrt, eile ich zu ihr, bevor sie noch etwas kaputt macht. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.« Ich nehme ihre Tasse und zeige ihr, wie es funktioniert.

»Ah, jetzt verstehe ich.« Sie füllt heißes Wasser in ihre Tasse. »Sie hätten mir sagen sollen, dass man den Hahn nur nach unten drücken muss.«

Ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch und lausche der leise plätschernden Musik, aber im Moment brauche ich eher einen Muntermacher statt des monotonen Gedudels einer Panflöte. Ich wünschte, ich hätte gewusst, dass es hier nur koffeinfreie Getränke gibt.

Als Ziggy aus dem Bad zurückkehrt, kommt seine letzte Kundin gerade aus dem Behandlungszimmer heraus, und während ich die Abrechnung durchführe, bereitet er seinen Raum für die neue Sitzung vor.

Die Rechnungssoftware kannte ich bereits, deshalb funktioniert das Bezahlen problemlos.

Ziggy erscheint, als der letzte Teil der Transaktion erfolgt, und begrüßt Tina mit einem Lächeln. »Ziehen Sie sich schon mal aus«, sagt er. »Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen.«

Nachdem Tina im Zimmer verschwunden ist, schnappt Ziggy sich eine Tasse und füllt sie mit Wasser.

Neugierig linse ich auf den Tagesplan von Naomi, der Kundin von Pete, die hier arbeitet, um zu sehen, wann sie Pause hat. Vielleicht kann ich ein wenig mit ihr quatschen.

Sie ist von acht Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags durchgehend gebucht. Ziggy hingegen hat zwischen den Behandlungen immer eine Viertelstunde Pause sowie eine Stunde Mittagspause, aber gut, er ist der Boss. Es könnte sein, dass seine Termine deswegen lockerer gestaltet sind. Ich bin keine Expertin, aber acht Stunden zu massieren ohne Mittagspause oder zumindest eine fünfzehnminütige Verschnaufpause kommt mir ganz schön lange vor.

»Ziggy? Warum arbeitet Naomi so viele Stunden am Stück?«

Er schwenkt das Wasser in seiner Tasse hin und her. »Sie hatte die Sorge, nicht genügend Kunden zu haben, um davon leben zu können. Also haben wir die Termine für sie gebucht. Jetzt kann sie sich weiß Gott nicht über einen Mangel an Kunden beklagen.«

Das kommt mir etwas gehässig vor, aber ich sage nichts. Würde Naomi nicht hier arbeiten, hätte ich nie von dem Job erfahren. Ich bin ihr sehr dankbar, aber ich kenne sie kaum. Und Dankbarkeit hin oder her, ich weiß, welchen Leuten man zustimmen muss. Denen, die mir mein Gehalt zahlen.

»Die finanzielle Abwicklung lief wirklich gut, Sarah. Freut mich. Fern hat dich großartig in deine Aufgabengebiete eingewiesen.«

Wann man unter Einweisung versteht, dass man kurz herumgeführt wird, einen Vertrag unterschreibt und dann sich selbst überlassen wird, dann ja. »Stimmt.«

»Wo ist sie überhaupt?«

Hatte sie nicht einfach so verschwinden dürfen? Soll ich ehrlich sagen, dass sie gegangen ist, oder würde ich sie dann verpetzen? Da Fern sich verkrümelt hat, ohne es Ziggy mitzuteilen, wird wohl sie diejenige sein, die ich bei Laune halten sollte. »Ich glaube, sie wollte mit einer Kundin reden. Ich bin mir nicht sicher, weil ich total in die Buchungssoftware vertieft war, die sie mir gezeigt hat.«

Er lächelt stolz. »Sie ist eine fantastische Lehrerin. Sie hält auch Workshops ab, weißt du. Wir machen das zusammen, aber eigentlich bin ich nur ihr Assistent.«

Aha. Fern ist also definitiv der Alpha-Hippie. »Wow, das wusste ich gar nicht. Worum geht es bei den Workshops?«

Er wirft einen Blick auf die Uhr. »Oh, ich muss zu Tina.« Er beugt sich vor, nimmt einen Flyer aus einem Regal und legt ihn auf den Schreibtisch. »Lies selbst. Du solltest mal einen Kurs mitmachen.« Eindringlich sieht er mich mit seinen wasserblauen Augen an, ehe er im Behandlungszimmer verschwindet.

Eine wunderschöne saphirblaue Lotosblüte nimmt die linke Seite der Broschüre ein, und in der Mitte sind in Gelb Ferns und Ziggys Namen gedruckt. Die Wörter Leidenschaft, Erfüllung, Verbindung, Befreiung stehen in kleiner gelber Schrift am unteren Rand. Auf der rechten Seite befindet sich die eigentliche Botschaft. Ferns und Ziggys Kurs nennt sich Sex, Evolution und du.

Die Wörter reizvoll, ungehemmt und freizügig stechen mir ins Auge, und ich schiebe die Broschüre schnell zur Seite. Plötzlich weiß ich nicht mehr, was ich von meinen Chefs halten soll.

Einer meiner verheirateten Hippie-Chefs hat mich gerade zu einem Sex-Workshop eingeladen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das schmeichelhaft oder einfach nur merkwürdig finden soll.

Ich brüte immer noch darüber, als wenige Minuten später Fern mit einer kleinen weißen Schachtel in den Händen zurückkommt und mir bedeutet, ihr in die Küche zu folgen.

Die Küche hätte eine akzeptable Größe, gäbe es darin nicht auch eine Waschmaschine, einen Trockner und Regale für die Laken der Massagebänke, die eine ganze Wandseite in Beschlag nehmen.

»Oh, du hast die Wäsche ja gar nicht gemacht«, sagt Fern erstaunt.

Die Wäsche? Haben sie dafür nicht Leute oder einen Wäscheservice wie in Petes Salon? »Ich wusste nicht, dass ich dafür auch zuständig bin.«

»Doch. Und für das Geschirr.« Sie deutet auf die im Spülbecken gestapelten Tassen.

»Klar, kein Problem. Wo ist die Geschirrspülmaschine?« Ich öffne eine Schranktür, finde dahinter jedoch nur einen Wäschekorb mit schmutziger Wäsche.

»Geschirrspülmaschinen sind unglaubliche Wasserverschwender«, sagt Fern in missbilligendem Ton. »Absolut nicht umweltbewusst.« Ihre Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen.

»Zu Hause habe ich auch keine«, beeile ich mich zu sagen. »Aber in meiner alten Arbeitsstelle hatten sie eine. Ich für meinen Teil spüle viel lieber mit Hand.«

»Sehr gut. Heutzutage sind die Leute oft viel zu faul und denken gar nicht an Mutter Erde und was wir ihr antun. Das ist sehr umweltbewusst von dir, Sarah.«

Dem Geschirrspülmaschinen-Super-GAU gerade noch entkommen, entspanne ich mich ein wenig, befördere die Laken von der Waschmaschine in den Trockner und lasse dann den Blick prüfend über die Regale schweifen. »Gibt es irgendwo Trocknertücher gegen die statische Aufladung?«

»Trocknertücher?«, ruft sie empört. »Wie …« Sie hält inne, als aus dem Empfangsbereich eine erregte Stimme ertönt.

»Hör doch auf, Ziggy! Ich weiß, was hier abgeht! Ihr wollt es mir heimzahlen, dass ich gesagt habe, ich hätte nicht genügend Kunden.«

»Du wolltest mehr Arbeit, und die haben wir dir gegeben. Bist du unzufrieden mit deinem Arbeitspensum? Wir könnten dir auch …«

»Natürlich bin ich damit unzufrieden! Bei den eng getakteten Terminen habe ich ja nicht einmal Zeit, auf die Toilette zu gehen, geschweige denn, etwas Richtiges zu Mittag zu essen!«

Ich folge Fern zum Empfang, wo Naomi und Ziggy sich zoffen. Naomi ist groß, athletisch gebaut, blond und sommersprossig. Sie trägt ein hellblaues Tanktop und eine farblich passende Dreiviertelhose. Ich bin definitiv overdressed. Wo zum Teufel kriegen die nur alle diese pastellfarbenen Teile her?

Die beiden Streithähne stehen sich gegenüber; Naomi ist total angespannt, wohingegen Ziggy an der Theke lehnt. Irgendetwas an seiner Haltung schreit »gespielt lässig«, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Vielleicht das hämische Funkeln in seinen Augen.

»Was geht hier vor? Die Räume sind voller Kunden. Redet gefälligst leiser!« Ferns gedämpfte Stimme lässt die beiden aufmerken.

Naomis Blick fällt auf mich. »Du solltest abhauen, solange du noch kannst. Diese Leute«, sie deutet auf Fern und Ziggy, »sind total durchgeknallt. Nimm die Beine in die Hand und lauf weg! Vor allem vor ihrem komischen Workshop. Das hier ist die reinste Sekte.«

»Das reicht, Naomi«, herrscht Fern sie mit vernichtendem Blick an. »Wir haben dir sehr viel durchgehen lassen. Aber ich werde nicht dulden, dass du das Positive, was wir mit unseren Workshops bewirken, in den Dreck ziehst. Gib mir deinen Schlüssel und verschwinde. Du bist entlassen.«

»Falls es deiner Aufmerksamkeit entgangen sein sollte, Fern – ich habe gekündigt.«

»Du kannst nicht kündigen«, ruft Ziggy mit panisch geweiteten Augen. »Wir sollten uns jetzt alle wieder beruhigen, wieder zurück zu unserer Harmonie finden. Naomi, du bist heute ausgebucht. Ich weiß, du bist wütend, aber atme in dieses Gefühl hinein, spür die Emotionen und dann lass sie los.«

Naomi greift in ihre Hosentasche und knallt einen Schlüssel auf die Theke. »Vergiss es! Ich bin raus!« Hoch erhobenen Hauptes stapft sie hinaus, Fern schnappt sichtlich nach Luft, und ich … ich weiß gar nicht, wo ich hinsehen soll.

»Es tut uns leid, dass du das miterleben musstest, Sarah.« Ziggy legt eine Hand auf meine Schulter. »Wir haben schon länger Probleme mit ihr, hätten jedoch nie erwartet, dass es so zwischen uns endet. Sie ist mit der Situation natürlich denkbar schlecht umgegangen. Hätte sie einfach einen Moment innegehalten, sich ihren Anteil an dem Ganzen bewusst gemacht und ein paarmal tief geatmet, wäre sie runtergekommen, und wir hätten die Sache ausdiskutieren können.«

Fern lässt die Schultern kreisen, als wollte sie Spannung abbauen. »Sie war so verantwortungslos. Unprofessionell. Die Energie im Raum ist schon deutlich heller geworden, jetzt, wo sie weg ist. Was für eine negative Person. Genau der Typ Mensch, den wir hier nicht haben wollen, den wir einen nach dem anderen aussortiert haben.«