Männer wachsen nicht auf Bäumen - Jane Costello - E-Book
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Männer wachsen nicht auf Bäumen E-Book

Jane Costello

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Beschreibung

Es sind noch sechs Monate bis zu Emma Reiss' 30. Geburtstag. Prinzipiell hätte sie damit ja kein allzu großes Problem – doch sie hat gerade eine Liste gefunden, die sie, ihre Schwester und zwei Freundinnen als Teenager geschrieben haben und die bis zu ihrem Geburtstag abgearbeitet sein soll ...

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Seitenzahl: 583

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Jane Costello

Männer wachsen nicht auf Bäumen

Roman

Aus dem Englischen von Christiane Meyer

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungMottoPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67Kapitel 68Kapitel 69Kapitel 70Kapitel 71Kapitel 72Kapitel 73Kapitel 74Kapitel 75Kapitel 76Kapitel 77Kapitel 78Kapitel 79Kapitel 80Kapitel 81Kapitel 82Kapitel 83Kapitel 84Kapitel 85Kapitel 86Kapitel 87Kapitel 88Kapitel 89Kapitel 90Kapitel 91Kapitel 92Kapitel 93Kapitel 94Kapitel 95Kapitel 96Kapitel 97Kapitel 98EpilogDanksagungLESETIPP: »Die Achse meiner Welt«Vorbemerkung1. Kapitel
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Für meinen Bruder Stephen

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In zwanzig Jahren wirst du die Dinge, die du nicht getan hast, mehr bedauern als die Dinge, die du getan hast. Also löse die Knoten. Segle fort aus dem sicheren Hafen. Fang die Passatwinde in deinen Segeln. Erforsche. Träume. Entdecke.

 

Mark Twain

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Prolog

Noch nie war es so verflucht schmerzhaft für mich, meine Augen aufzuschlagen. Ich schaffe es lediglich, sie einen klitzekleinen Spaltbreit zu öffnen, und achte darauf, mich dabei nicht mehr als unbedingt nötig zu rühren. Mit einer Bewegung, die genauso qualvoll wie winzig ist.

Allerdings bereitet mir nicht nur mein optisches System Probleme. Ich bin seit einigen Minuten wach und frage mich, welch grässliches Folterinstrument für die Malträtierung meiner Eingeweide benutzt worden ist. Ich liege mit der Wange auf einem Kissen und denke darüber nach, warum meine Zunge sich anfühlt, als wäre sie dreimal so dick wie sonst, aber dabei nur ein Viertel so feucht.

»Bääähhh …«

Mein übelriechendes Stöhnen klingt wie das einer erst kürzlich exhumierten Leiche, die versucht, wieder zum Leben zu erwachen. Dann spüre ich etwas neben mir. Bewegung.

Ich reiße die Augen auf, was mir einen schmerzhaften Stich in den Frontallappen versetzt. Als ich mich umsehe, kommen mir augenblicklich zwei fürchterliche Erkenntnisse:

Ich bin in einem Schlafzimmer.

Und es ist nicht mein eigenes.

Ich blinzele in das grauenhaft grelle Sonnenlicht, das durch eine schmuddelige Lamellenjalousie fällt und in dem ein wahrer Schneesturm an Staubpartikeln herrscht.

Der Boden ist mit einem wildgemusterten Teppich ausgelegt, der in den siebziger Jahren in Gaststätten total angesagt war – nur, dass bei diesem Exemplar die festgetretene Asche von einigen tausend weggeworfenen Zigarettenstummeln fehlt. Das Muster ist schwindelerregend psychedelisch: Es ist eine wirre Mischung aus Paisleymustern in Orange- und Brauntönen, die in ihrer Schattierung von »E102« bis »Hundescheiße« reichen.

In der Ecke steht eine Frisierkommode aus Resopal, die schon einen ziemlichen Grauschleier hat. Die Einfassung aus Gold ist an einigen Stellen unterbrochen. Neben der Kommode befindet sich eine weitere aus unechtem Teakholz. Die Zimmertür sieht aus, als könnte sie nur in einen Keller voller Leichen führen.

Das Flackern roter LEDs lenkt meine Aufmerksamkeit auf den Nachttisch, wo ein einzelner Gegenstand vollkommen fehl am Platze wirkt: ein Radiowecker von Alessi, der so bestimmt auch in der GQ zu finden ist. Es ist 8:26 Uhr.

Ich spüre, wie die Bettdecke langsam über meinen Rücken rutscht, als würde jemand schlaftrunken daran ziehen. Wieder erstarre ich. Mein Herz hämmert wie wahnsinnig.

Neben mir liegt eine äußerst lebendige, atmende Person. Daran besteht kein Zweifel. Wer diese Person allerdings ist, ist eine ganz andere Frage.

In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken, als ich versuche, mir die Ereignisse unseres Mädelsabends wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ich erinnere mich daran, mich mit dem Barkeeper unterhalten zu haben. Dann habe ich mit einem Typ geredet, der wie Ryan Gosling aussah. Anschließend war da noch der Sanitäter … Oh Gott, ich bin mit dem Sanitäter nach Hause gegangen! Eigentlich hatte er der armen Frau helfen sollen, die im Restaurant über der Bar in den Wehen lag. Dieses Schwein! Sie lag vermutlich da oben mitten in ihrer geplatzten Fruchtblase, während dieser Kerl unten war, um mich abzuschleppen!

In dem Moment fällt es mir wieder ein. Es kam noch ein Typ nach dem Sanitäter. Also, glaube ich.

Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

Quälend langsam versuche ich, meinen Kopf auf die andere Seite zu drehen, damit ich nachsehen kann, mit wem genau ich diese Bettdecke teile.

Es dauert einige Sekunden – nicht nur, weil ich ihn nicht aufwecken will, sondern auch, weil mein Mund scheinbar mit einem extrem haltbaren Sekundenkleber am Kissen haftet.

Mein Bettpartner hat mir den Rücken zugewandt.

Es ist ein breiter, muskulöser Rücken mit einem kleinen Muttermal auf der Schulter und einem schwachen Bräunungsrand im Nacken. Behutsam richte ich mich ein Stück weit auf, wobei ich jedes Mal zusammenzucke, wenn er sich regt. Endlich kann ich sein Gesicht zumindest im Profil betrachten.

Er hat lange dunkle Wimpern. Ein bisschen Schlaf klebt ihm im Augenwinkel. Seine Nase ist gerade, und seine Lippen wirken weich. Er hat den Mund leicht geöffnet und schnarcht ganz leise. Obwohl seine Haare zerzaust sind, ist er ziemlich attraktiv. Ich schätze ihn auf Anfang dreißig; er könnte allerdings auch jünger sein. Mit einem Mal fällt es mir ein. Das ist der Typ, der etwas Ähnlichkeit mit Tom Hardy hat! Der Typ mit dem wundervollen … Ich atme seinen Duft ein und erlebe meine erste und einzige positive Erfahrung des Tages.

Wieder rührt er sich und zieht die Decke über sich. Adrenalin schießt durch meine Adern, als mir bewusst wird, was im Augenblick am wichtigsten ist. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht: Ich muss hier sofort weg.

Vorsichtig versuche ich mich im Bett aufzurichten und darauf zu achten, dass sich die Decke, die ihn berührt, nicht bewegt. Ich stelle fest, dass ich noch immer die Kleider vom Abend zuvor anhabe, und einen Moment lang bin ich zwischen Ekel und Erleichterung hin- und hergerissen.

In der Erwartung, meine Karen-Millen-Jeans zu erblicken, schwinge ich langsam die Beine aus dem Bett. Doch stattdessen sehe ich etwas, das mich entsetzt aufkeuchen lässt. Meine Beine. Und keine Jeans. Verstehen Sie? Nur meine Beine.

Nach Luft ringend gelingt es mir, aufzustehen. In dem Moment entdecke ich etwas, das auch die letzten Zweifel daran zerstreut, dass ich in der vergangenen Nacht etwas sehr, sehr Verwegenes getan habe. Meinen Slip. Nur befindet der sich nicht an der Stelle meines Körpers, die er eigentlich bedecken sollte. Er hat sich um die Zehen meines rechten Fußes gewickelt.

»Oh. Mein. Gott«, wispere ich.

Die Schlussfolgerung überwältigt und verstört mich.

Ich habe nicht nur meine Regel gebrochen, nicht mehr als vier Drinks zu trinken – eine Regel, die seit 2001 ungebrochen war –, sondern hatte auch noch einen One-Night-Stand. Bei dem Gedanken wird mir schlecht. So leichtsinnig war ich nur ein Mal in meinem Leben – nämlich, als ich damals mein antibakterielles Handgel zu Hause gelassen habe.

Mit hämmerndem Herzen zerre ich meine verhedderte Unterwäsche die Beine hinauf und ziehe mir leise meine Jeans an, die ich am anderen Ende des Zimmers wiedergefunden habe. Nach drei oder vier Minuten stummen, aber hysterischen Hin- und Herblickens schlüpfe ich in meine Highheels, von denen einer irgendwie hinter einem der kastanienbraunen Vorhangschals gelandet ist.

Ich schleiche auf die unheimliche Tür zu, ohne einen Blick zurück zu riskieren, und trete aus dem Zimmer in den Flur. Offenbar bin ich in einer Wohnung und nicht in einem Haus. Das ändert jedoch nichts an der Ausstattung, die das Auge hier draußen noch mehr beleidigt als im Schlafzimmer.

Ich bin fast an der Eingangstür, als ich gegen etwas Großes renne und unsanft hinfalle, wobei ich so viel Lärm verursache wie ein außer Kontrolle geratener Felsbrocken, der gegen einen Berg kracht.

Nur flüchtig sehe ich, dass es sich um einen dieser aufblasbaren Bälle handelt, auf denen ein lachendes Gesicht zu sehen ist und dessen Ohren als Handgriffe dienen. Dann registriere ich noch etwas. Die Tür zum Schlafzimmer geht langsam auf!

Ich krabble zur Eingangstür, reiße sie auf und werfe mich hinaus. Im nächsten Moment renne ich die Straße hinunter, so schnell, wie es mit zwei Riemchensandalen eben möglich ist, von denen nur noch einer einen Absatz hat.

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Kapitel 1

Eine Woche zuvor …

Sind Sie schon einmal über etwas gestolpert, das schon längst in Vergessenheit geraten war, bei dem Ihnen aber, sobald Sie es in der Hand halten, unzählige Erinnerungen durch den Kopf schießen?

Genau das passiert, als ich die Liste wiederfinde.

Es war das Bild meiner Mutter, die auf der Party ihres dreißigsten Geburtstags die Kerzen ausbläst, das zuerst aus der Kiste mit den Fotos fiel. Es ist zugegebenermaßen nicht die beste Aufnahme, die von ihr existiert. Das Bild ist leicht unscharf, wie die meisten Schnappschüsse in der prädigitalen Zeit – auch die Zeit, in der man damit rechnen musste, dass das, was man fotografieren wollte, höchstens auf zwei von vierundzwanzig Fotos vollständig zu sehen war.

Doch so viel ist zu erkennen: Sie lacht. Ihr Gesicht ist voller Freude, in ihren Augen funkelt das Leben. Sie wirkt so unbekümmert. Und zu der Zeit war sie es auch noch. Auf der Rückseite des Fotos ist das Datum zu lesen: 17. Januar 1988. Nur ein paar Wochen bevor sich mit einem Schlag alles änderte.

Das Bild gehört eigentlich in ein Album, das aus meiner Fotokiste fiel – ebenjener Kiste, die ich aus dem Schrank zerren musste, um an meine Reisetasche zu kommen. Es ist nicht das Einzige, was mich vom Weiterpacken für das bevorstehende Wochenende abhält, an dem ich mit meinen besten Freundinnen verreisen werde.

Die Liste steht auf einem zusammengefalteten DIN-A4-Papier, das hinten in dem Album steckt. Die Handschrift ist ordentlich und stammt eindeutig von einem Teenager. Eifrig wurde die Liste mit Herzchen verziert, und unzählige Male ist »Cally liebt Johnny« zu lesen.

Sofort weiß ich wieder, wann wir die Liste geschrieben haben.

Es war während einer Wiederholungsstunde mit Cally und Asha. Vermutlich machten wir gerade wieder Pause – was mindestens viermal pro Stunde passierte, um die Gefahr eines Burn-outs zu mindern.

Außerdem herrschte zu der Zeit offenbar vorübergehend Waffenstillstand zwischen meiner älteren Schwester Marianne und mir; das ist die einzige Erklärung, warum auch sie mit von der Partie war.

Ich sehe jede von uns noch genau vor mir. Ob die einheitlichen »Rachel«-Haarschnitte, die Doc Martens und die blaue Wimperntusche allerdings echt waren oder nur meinem mangelhaften Erinnerungsvermögen geschuldet, sei mal dahingestellt.

Es war 1997 – das Jahr, in dem Tony Blair an die Macht kam, die Welt Bekanntschaft mit Harry Potter machte und ich mir den Knöchel brach, als ich auf Mark Blackmans Party zu Groove is in the Heart von Deee-Lite tanzte.

Wir waren fünfzehn Jahre alt. Unter der Liste stehen vier Unterschriften – Marianne Reiss, Emma Reiss, Asha Safaya und Cally Jordan. Und schließlich ist da noch die (höchst amüsante) eindrucksvolle Erklärung, dass »wir unser Möglichstes tun werden, um in der vereinbarten Zeit die oben genannten Punkte, so gut wir können, zu erfüllen«.

Es klingt furchtbar ernst.

Als ich einen letzten Blick auf das Bild meiner Mum werfe, wird mir etwas klar. Vor fünfzehn Jahren haben wir die Liste wahrscheinlich nicht ernst genug genommen.

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Kapitel 2

Das Konzept einer Fischpediküre hat sich mir nie erschlossen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin großer Fan von Wellnesstagen. Ich verstehe nur nicht, warum die Füße in ein Becken mit Meereslebewesen zu tauchen, damit die winzigen Wirbeltiere sich an den Blasen gütlich tun können, die bessere Alternative zu einem Bimsstein aus der Drogerie sein soll.

»Emma, es ist himmlisch«, erklärt Cally und wackelt mit den Zehen. »Steck einfach deine Füße rein.«

Ich spähe in das Becken, wo die Fische um ihre Zehen herumschwimmen und sich um die besten Plätze balgen wie die Stars in einem Aufklärungsvideo.

»Diese Fische sind in Amerika illegal«, teile ich ihr mit.

»Ich glaube kaum, dass darauf die Todesstrafe aussteht.«

Ich bin mit Cally und Asha zusammen in Edinburgh. Meine Schwester Marianne hat uns fünf Monate nach ihrem Umzug hierher eingeladen. Sie hat meinen Freundinnen und mir ein wunderbar entspanntes Wochenende versprochen. Leider hat es nicht ganz so toll angefangen.

Die viereinhalbstündige Fahrt von Liverpool hierher – während der wir einige falsche Abzweigungen nahmen, Cally wutentbrannt das Navi aus dem Fenster schleuderte und sich ein Wortgefecht mit einem Lkw-Fahrer lieferte, nachdem sie beim Waschen der Windschutzscheibe seine Pastete vollgespritzt hatte – war alles andere als ruhig und entspannt.

Doch nachdem wir im Spa angekommen waren, uns in flauschige weiße Bademäntel gehüllt und mit einer Massage mit Lavendelöl losgelegt haben (nach der ich zugegebenermaßen etwas nach Teppichreiniger duftete), haben wir endlich angefangen, uns ein wenig zu entspannen.

Cally nimmt die Sache sehr ernst. Und ich kann es ihr nicht verübeln.

Der zweijährige Zachary, der Sohn meiner besten Freundin, mag unglaublich niedlich aussehen und ein Lächeln haben, gegen das der kleine süße Junge aus Jerry McGuire wie ein Troll wirkt. Aber selbst seine hingebungsvolle Mutter muss zugeben, dass er dem Begriff »Trotzalter« eine ganz neue Dimension verleiht und auf Passanten eine ähnliche Wirkung hat wie ein wütender Velociraptor.

Zwar bemühe ich mich, Cally regelmäßig zum Ausgehen zu bewegen, doch ihre Möglichkeiten, Zachary zu einem Babysitter zu geben, sind begrenzt. Sie bekommt viel Hilfe von ihrer Mum, doch Zacharys Dad ist nicht da, um Cally zu unterstützen. Und das bedeutet, dass dieses Wochenende so ziemlich das Aufregendste ist, was sie seit längerer Zeit erlebt hat. Insbesondere, weil Mutter zu werden eine stärkere Wirkung auf Cally hatte, als wir jemals gedacht hätten.

Sie sieht zwar nicht anders aus als vorher. Wenn überhaupt, ist sie eher noch attraktiver – mit üppigen Kurven, dichtem rotblonden Haar und strahlenden grünen Augen, die nicht einmal der Schlafmangel trüben kann.

Dennoch ist sie anders als früher – zumindest in einer Hinsicht.

»Also, Cally, meinst du, du wirst dieses Wochenende jemanden kennenlernen?«

Sie sieht mich an, als wäre ich aus einer Anstalt geflohen, in der man zum Frühstück Antipsychotika serviert.

»Ich habe ein Bett für mich allein – mit wundervollen weißen Laken, keinem Kleinkind darin und der Aussicht, ausnahmsweise nicht um halb vier morgens mit der Aufforderung geweckt zu werden, zum vierten Mal Toy Story zu gucken. Auf überhaupt gar keinen Fall wird irgendjemand dieses Bett mit mir teilen.«

Vor nicht allzu langer Zeit hätte meine beste Freundin eine solche Bemerkung niemals gemacht.

Mit fünfzehn war Cally verrückt nach Jungs (auch wenn ihre Erfahrungen nur theoretischer Natur waren und einer Mischung aus erotischen Romanen und Aufklärungsbroschüren für Jugendliche entstammten). Mit fünfundzwanzig war sie verrückt nach Männern (in den drei Jahren, die wir zusammenwohnten, waren die Sonntagmorgen, an denen ich in der Küche nicht mit einem Fremden zusammenstieß, die absolute Ausnahme).

Heutzutage ist sie nach nichts mehr verrückt. Stattdessen lebt sie enthaltsam. Trotzig und ohne sich dafür rechtfertigen zu wollen.

An dem Tag, als Cally infolge eines One-Night-Stands schwanger wurde, verlor sie das Interesse am anderen Geschlecht und hat es bis heute nicht wiedererlangt. Ich dachte, das könnte sich nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschutz in ihren alten Job in einem großen Steuerbüro ändern. Aber ich habe mich offenbar geirrt.

»Emma, mal ernsthaft, die Anwendung dauert nur eine halbe Stunde. Du musst jetzt deine Füße ins Wasser tauchen.«

Die Tür geht auf und Asha kommt herein.

»Wie war deine Massage?«, frage ich.

»Ganz wunderbar«, seufzt sie lächelnd, nimmt neben mir Platz und rückt ihren Bademantel zurecht. Mir entgeht nicht, dass die Mitarbeiterin des Spas, die auf der anderen Seite des Raumes scheinbar nur an einem Mineralwasser nippt, sie von oben bis unten mustert. Nicht auf eine unangenehme, abschätzige Art und Weise – es ist nur so, dass Asha unglaublich gut aussieht und deshalb sowohl Männer als auch Frauen nicht anders können, als zweimal hinzusehen.

Ihre Großeltern stammten aus Nordindien. Und obwohl ihre Mutter in Lancashire aufgewachsen und durch und durch britisch ist und ihr Dad aus Liverpool stammt, hat sie die anmutigen, beinahe puppenhaften Züge einer Bollywood-Prinzessin.

Doch davon oder von ihrer wohlklingenden Stimme sollte man sich nicht täuschen lassen. Asha ist die leidenschaftlichste und prinzipienfesteste Person, die ich kenne – seit Jugendtagen Feministin, ist sie zu einer Frau herangewachsen, die die Welt verändern will.

»Ich habe das Gefühl, dass ich mir das hier nach der Woche, die ich hinter mir habe, echt verdient habe«, sagt sie zu mir, zieht ihre Slipper aus und taucht ihre Füße in das Becken.

»Hattest du eine harte Woche?«, frage ich.

»In letzter Zeit scheint es nur noch solche Wochen zu geben, Em.«

Die Krisen, die Asha bei ihrer Arbeit erlebt, relativieren unsere Probleme. Seit sechs Jahren arbeitet sie in einer Einrichtung, in der Frauen, die häusliche Gewalt erfahren haben, Zuflucht finden. Die Einrichtung ist an einem Ort in Liverpool, den nur die Mitarbeiter und die Bewohnerinnen kennen. Vor drei Jahren hat sie schließlich die Leitung der Einrichtung übernommen. Es ist ein Job, der Tränen, Enttäuschungen und Frust beinhaltet, doch Asha ist die perfekte Besetzung für diesen Posten. Ihr Mitgefühl ist scheinbar endlos, wie ich direkt nach meiner letzten – und sehr unschönen – Trennung am eigenen Leib erleben durfte.

Ich weiß nicht, warum Wellnesstage, genau wie Diäten und Filme mit Jennifer Aniston, besser ins Leben passen, wenn man gerade solo ist. Ich schätze, das ist der einzige Vorteil meines derzeitigen Mangels an romantischen Erlebnissen. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mit diesen Umständen auch nicht gerade glücklich bin.

Es ist nicht so, dass mir das Dasein als Single an sich nicht gefallen würde. Ich bin unabhängig und selbständig genug, sodass ich die Samstagabende mit meinen Freundinnen nach dem Beziehungsende durchaus genossen habe – und vor allem die Aussicht darauf, nie wieder TV-Sendungen sehen zu müssen, in denen es um Autos geht, erfüllt mein Herz noch immer mit unbändiger Freude.

Aber es gibt etwas, das ich in meinem Leben vermisse. Sein Name ist Rob. Der süße, hübsche, hingebungsvolle Rob, an den ich unentwegt denken muss. Also, warum sind wir dann nicht mehr zusammen? Weil ich ihn verlassen habe. Und warum habe ich ihn verlassen? Ach. Stellen Sie doch nicht so schwierige Fragen …

»Willst du nicht mitmachen?«, fragt Asha und deutet auf die Fische.

»Doch, natürlich«, erwidere ich mit einem Schulterzucken.

»Dann mal los«, drängt Cally mich.

»Ich mach ja schon.«

Langsam senke ich meine Beine Richtung Wasseroberfläche.

»Das soll eigentlich Spaß machen«, meldet Cally sich zu Wort – und bringt mich damit aus dem Konzept.

»Ich hätte es beinahe geschafft!«, poltere ich.

Cally und Asha wechseln einen vielsagenden Blick. Und ich weiß, dass es jetzt Zeit ist, das hier durchzuziehen.

Also straffe ich die Schultern, hole tief Luft und tauche behutsam meine Füße ins Wasser, während die Fische bereits angeschwommen kommen. Es ist nicht unangenehm. Aber auch nicht besonders schön.

Genau genommen fällt mir nur ein einziges Adjektiv ein, das es treffend beschreibt.

Kitzelig.

In dem Sekundenbruchteil, in dem mir das klarwird, fange ich auch schon an zu zittern und ringe wie eine Vierjährige, die mit je einem Staubwedel in jeder Achselhöhle malträtiert wird, nach Atem.

»Könnte es sein, dass wir vielleicht zu viele Fische in Ihr Wasserbecken gegeben haben?«, überlegt die Mitarbeiterin des Spas laut.

Das reicht. Ich muss meine Füße aus dem Becken ziehen. Sofort.

Wie Neptun tauchen sie aus dem Wasser auf, während ich Luft hole und nicht auf die kleinen Sauger achte, die an meinen Füßen hängen. Glücklicherweise gelingt fast allen Fischen in letzter Sekunde die Flucht zurück ins Becken. Aber eben nur fast allen.

Ein einsames Fischlein, das gerade noch glücklich an meinem großen Zeh geknabbert hat, fliegt nun durch die Luft, als wäre es versehentlich in einen Wettbewerb im Pfannkuchenwenden geraten.

Die Szene gleicht einer wahnwitzigen Mischung aus Findet Nemo und Die Zerstörung der Talsperren. Alles scheint stillzustehen, als der Fisch im hohen Bogen durch den Raum fliegt – und ins Mineralwasser der Mitarbeiterin des Spas plumpst.

Sie kreischt laut auf, nimmt ihr Glas, jagt ein paarmal hysterisch durch den Raum und schleudert den Fisch dann – zusammen mit den Eiswürfeln – zurück ins Bassin. Dann wendet sie sich mir zu, die mit Estée Lauder geschminkten Lippen wie ein Serienmörder verzogen.

»Tja, das war echt nett«, sage ich fröhlich. »Jetzt gehe ich an die Bar, um jemanden zu bitten, mir etwas Kühles mit einer Scheibe Zitrone zuzubereiten. Und damit meine ich keinen Obstsalat.«

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Kapitel 3

Marianne hatte schon immer ein sicheres Auge für coole Orte. Und das Hotel Missoni an der Royal Mile in Edinburgh trieft nur so vor Coolness – angefangen von den sexy Pagen mit Dreadlocks und Designerkilts bis hin zu der Tatsache, dass Cally im Lift auf die Kings of Leon gestoßen ist. Buchstäblich. Sie hat sich nämlich mit ihrem Absatz im Saum ihrer Marlene-Hose verfangen und ist mit dem haarigen Typ mit dem Bart zusammengestoßen. Was nicht unbedingt cool war. Genauso wenig wie der Blick seines Bodyguards.

Dennoch, an diesem Ort bedauert man augenblicklich, noch zwei weitere Wochen mit dem Nachfärben der Haare gewartet zu haben.

Abgesehen davon fühle ich mich heute Abend aussehenstechnisch so wohl, wie man sich in Anwesenheit eines professionellen Models eben fühlen kann – allerdings habe ich mich angesichts der Tatsache, dass dieses Model meine Schwester ist, allmählich daran gewöhnt. Und ich bin stolz, sagen zu können, dass ich genauso viel wiege wie Marianne. Plus minus einem Pfund.

Natürlich ist sie eins achtzig groß, während ich nur einen Meter zweiundsechzig messe, aber lassen wir das. Außerdem sehen wir uns irgendwie ähnlich, haben die gleichen blaugrauen Augen, das gleiche blonde Haar und beide volle Lippen. Der Unterschied ist bloß, dass Marianne so ausgeprägte Wangenknochen hat, dass man seinen Drink darauf abstellen könnte. Und ihren letzten Pickel hatte sie während eines Campingausflugs im Jahr 1994 – und am Ende entpuppte er sich doch als Mückenstich.

Das ist erst das zweite Mal, dass ich Marianne seit ihrem Umzug vor fünf Monaten besuche. Sie plant allerdings für die kommenden Monate noch einige Fahrten nach Liverpool, um ein paar Möbelstücke zu holen, die sie bei Dad untergestellt hat. Obwohl meine Schwester und ich seit Jahren nicht mehr in der derselben Stadt gewohnt haben, habe ich nie aufgehört, sie zu vermissen.

Wann der Zeitpunkt kam, ab dem ich nicht mehr der Meinung war, sie wäre nur deshalb auf die Welt gekommen, um mein Leben zu ruinieren, kann ich nicht mehr genau sagen. Wenn man ohne seine Mum aufwachsen musste, ist es sehr hilfreich, eine andere weibliche Person an seiner Seite zu haben. Dad hat bei unserer Erziehung wirklich großartige Arbeit geleistet, doch er ist niemand, an den man sich als Mädchen mit den Problemen wendet, die einen so tagtäglich beschäftigen. Marianne und ich taten lieber so, als wären wir die einzigen weiblichen Wesen auf dem Planeten, die sich niemals mit ihrer Periode und Liebeskummer herumschlagen mussten oder Achselhaare bekamen. Ich schätze, mit dieser Lösung waren wir alle glücklich.

»Ich kann es kaum erwarten, euch die Stadt zu zeigen«, sagt meine Schwester und schlägt ihre skandalös langen Beine übereinander. »Morgen früh besichtigen wir das Schloss, klettern dann auf Arthurs Seat und gehen anschließend in der Princes Street shoppen. Ich wünschte nur, Brian wäre an diesem Wochenende da.« Bei meinem letzten Besuch in Edinburgh musste er mit seiner Mum Verwandte in Aberdeen besuchen. »Emma, ich wünsche mir so sehr, dass du ihn endlich kennenlernst.«

Brian ist Mariannes neuer Freund. Und obwohl ich ihn noch nicht persönlich getroffen habe, bin ich mir in einem Punkt sicher: Ich kann ihre Begeisterung für ihn nicht nachvollziehen.

Ich freue mich natürlich, dass sie glücklich ist – falls sie es denn wirklich ist. Aber ich habe Bedenken, da ihr gemeinsames Leben mit Brian hier in Edinburgh der totale Gegensatz zu ihrem früheren Leben in London ist. Einem Leben, das sie geliebt hat. Wer hätte das nicht getan? Noch vor zwei Jahren hatte Marianne eine glänzende Karriere, einen hingebungsvollen Mann und ein trendiges Apartment in Primrose Hill. Sie war wie Gwyneth Paltrow – nur ohne die probiotischen Pullis und die Kohlchips.

Ihr phantastischer Lifestyle war vollkommen anders als die Welt, die sie als schlaksiger Teenager hinter sich ließ, als sie mit siebzehn von einem Scout bei Clothes Show Live entdeckt worden war. Doch sie schien sich mühelos einzugliedern – und vergaß dabei nie, woher sie kam.

»Hast du eigentlich noch Kontakt zu Johnny, Marianne?«, fragt Asha.

Cally wirft einen Blick zu Marianne, um zu sehen, ob unsere Freundin in ein Fettnäpfchen getreten ist, aber Marianne zuckt nur mit den Schultern. Die Frage scheint ihr nicht besonders unangenehm zu sein. »Ich bin immer noch auf Facebook mit ihm befreundet. Soweit ich weiß, geht es ihm ganz gut.«

Marianne war zweiundzwanzig, als sie anfing, sich mit Johnny Farndon zu treffen, in den ich, Asha und Cally – vor allem Cally – während unserer Schulzeit total verknallt waren. Marianne hatte zu der Zeit eigentlich so gut wie nie mit Johnny geredet, aber sie lief ihm, als sie Weihnachten 2003 zu Hause war, buchstäblich in die Arme. Dabei fand sie schnell heraus, dass er nichts von dem zurückhaltenden Charme verloren hatte, den er schon als Siebzehnjähriger gehabt hatte und bei dem den Mädchen reihenweise die Knie weich geworden waren.

Vom Beginn ihrer Beziehung an vergötterte er sie – das war für alle offensichtlich. Nach einigen Monaten verließ er Liverpool und folgte ihr nach London, wo er im Laufe der folgenden Jahre Teilhaber an verschiedenen Bars und Restaurants wurde. Er war ein unglaublich junger, dynamischer Unternehmer, erfolgreich, aber auch bescheiden.

Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Ich hielt Johnny für einen großartigen Kerl. Johnny ist ein großartiger Kerl.

Der einzige Mensch, der das anscheinend nicht mehr so sieht, ist Marianne. Sie hat ihn für Brian verlassen. Brian ist ein aufstrebender Drehbuchautor fürs Fernsehen. Und während er dabei ist, aufzustreben, arbeitet er Vollzeit in einer Autowaschanlage.

Sie und Brian waren in London schon seit Jahren befreundet, ehe sie ein Paar wurden und gemeinsam nach Edinburgh zogen. Und obwohl er ein netter Kerl zu sein scheint – das muss er sein, denn er ist auch umgezogen, um näher bei seiner schon etwas älteren Mutter sein zu können –, bin ich verwirrt. Die Stadt ist zwar toll, doch Marianne kann ihrer Arbeit als Model hier nicht so leicht nachgehen wie in London. Und ich werde niemals verstehen, wie sie sich jemanden wie Johnny bewusst durch die Lappen gehen lassen konnte.

»Meintest du nicht, dass du uns etwas zeigen musst, Emma?«, fragt Cally und nimmt einen Schluck von ihrem Drink.

»Ich kann nicht glauben, dass ich das vergessen habe.« Ich öffne meine Tasche und hole das Blatt Papier heraus. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich es auseinanderfalte. »Kann sich noch jemand von euch an das hier erinnern? Dinge, die wir tun wollen, bevor wir dreißig werden – von Marianne Reiss, Emma Reiss, Asha Safaya und Cally Jordan.«

Asha keucht auf. »Ich erinnere mich!«

»Ich mich auch – verschwommen«, sagt Marianne und kramt offensichtlich in den hintersten Ecken ihres Gedächtnisses. »Wir haben die Liste in deinem Zimmer zusammengestellt, oder, Em? Als ihr Unterrichtsstoff wiederholen musstet.«

Cally und Asha wohnten damals in unserer Straße. Das war auch der Grund dafür, dass ich so eng mit den beiden befreundet war, obwohl ich ein paar Monate jünger und deshalb in der Klasse unter ihnen war. Ich weiß noch genau, was es für eine Ehre war, Freundinnen im Jahrgang über mir zu haben – vor allem, weil es ihnen nichts ausmachte, dass ich mit ihnen während ihrer Abschlussprüfungen Stoff wiederholte.

»Ich kann mich überhaupt nicht mehr daran erinnern.« Cally schüttelt mit leerem Blick den Kopf. »Wie überaus deprimierend. Ich hatte keine Ahnung, dass Mutterschaftsdemenz so stark sein kann.«

»Lies sie vor«, sagt Asha mit einem Grinsen. »Lass uns mal sehen, ob wir alle Ziele erreicht haben.«

»Ich schlage vor, ihr schraubt eure Erwartungen etwas herunter«, entgegne ich und räuspere mich dramatisch. »Nummer eins …«

 

unter freiem Himmel schlafen

einen Job bekommen als: – Kinderkrankenschwester (Marianne) – Leiterin der Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission (Asha) – Carol Vordermans Nachfolgerin bei Countdown (Cally) – international gefeierte Raumgestalterin (Emma)

ein Cottage in einem malerischen Dorf in Rutshire besitzen (oder einem der anderen Orte in Riders von Jilly Cooper) und/oder Polo spielen lernen

die Nordlichter sehen

einen One-Night-Stand haben

Gitarrespielen lernen

den Traummann finden und ihn heiraten

sich die Haare lang wachsen lassen

in einem Restaurant essen, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist

in ein Kleid Größe 36/38 passen

mit einem berühmten Menschen knutschen

aus einem Flugzeug springen

 

»Ich weiß nicht, was erschreckender ist«, seufzt Cally, als ich Asha die Liste reiche. »Die Tatsache, dass ich bis jetzt nur einen der Punkte abhaken kann – oder dass wir geglaubt haben, Rutshire gäbe es tatsächlich.«

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Kapitel 4

Das ist eine ziemlich ausgeklügelte Liste«, bemerkt Asha lächelnd. »Das muss ich unseren fünfzehnjährigen Ichs lassen.«

»Was steckte nur hinter einigen dieser Punkte?«, frage ich und betrachte die Liste genauer.

»Die Besessenheit von Riders«, schlägt Cally vor. »Daran erinnere ich mich. Wir haben das Buch alle gelesen, nachdem ich es von meiner Mum stibitzt hatte. Es war eigentlich totaler Quatsch – aber absolut brillant.«

»Daher kommt die Idee mit dem Cottage und dem Polospielen«, fügt Marianne hinzu. »Aber der One-Night-Stand? Das ist ja fürchterlich!«

»Ich habe das hinzugefügt«, gibt Cally zu. »Ich wollte sichergehen, dass ich zumindest ein Ziel erreiche. Was mir auch gelungen ist. Mehr als einmal.«

»Gitarrespielen lernen steht auf der Liste, weil ich die Stone Roses geliebt habe«, fahre ich fort. »Gute Jobs zu bekommen bedarf wohl keiner weiteren Erklärung.«

»Was ist mit den Nordlichtern?«, fragt Asha.

»Emma und ich hatten als Kinder dieses wunderschöne Bilderbuch darüber«, sagt Marianne. »Weißt du noch, Em?«

»Ja … Es handelte von einem Mädchen, das in Norwegen lebte, oder?«, erwidere ich. »Wir haben es geliebt.«

Asha betrachtet stirnrunzelnd die Liste. »Mit einem berühmten Menschen knutschen. Das weiß ich noch. Ursprünglich wollten wir schreiben: Mit Leonardo DiCaprio, Kelly von den Stereophonics oder Keanu Reeves knutschen. Aber wir haben beschlossen, dass das nicht sehr realistisch wäre, also durfte es irgendeine Berühmtheit sein.«

»Also würde es theoretisch auch reichen, mit einem Politiker wie Ed Miliband zu knutschen?«, meldet Marianne sich zu Wort.

»Ja. Wieso? Hast du?«, frage ich.

»Nicht mit Ed Miliband. Obwohl ich mal was mit dem Gesicht von Abercrombie und Fitch hatte.«

»Nein!«, stoßen Cally und Asha wie aus einem Munde hervor.

»Das war natürlich, bevor ich mit Johnny zusammen war«, entgegnet Marianne. »Sein Atem roch nach Erdnüssen.«

»Gibt Schlimmeres«, bemerke ich.

»Nicht, wenn du anschließend ein Stückchen Erdnuss zwischen deinen eigenen Zähnen hast.«

Die Liste setzt ein gemeinsames Schwelgen in Erinnerungen in Gang, das uns durch die Hälfte der Bars am Grassmarket führt und erst unterbrochen wird, als Cally und ich angequatscht werden.

»Ich muss dir jetzt sagen«, erklärt Cally und packt den großen Fremden am Kragen, »dass ich definitiv kein Interesse daran habe, mit dir zu schlafen. Versteh mich nicht falsch … Du siehst nicht schlecht aus. Obwohl ich ein paar Mojitos intus habe, was vermutlich hilft. Es ist nur so, dass zur Zeit niemand an meine intimen Stellen darf. Mittlerweile haben sie wahrscheinlich auch schon Rost angesetzt.«

»Ich verstehe«, murmelt er und tritt unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Soll ich dann einfach gehen, wenn mein Freund zurückkommt?«

»Das habe ich nicht gesagt! Wir müssen jemanden mit Emma hier zusammenbringen, und dein Freund Barry …«

»Larry.«

»Er kommt auf jeden Fall in Frage. Obwohl Em zugegebenermaßen immer wählerischer war als ich und …«

»Genau genommen«, unterbreche ich sie, »bin ich für so etwas nicht zu haben.«

»Natürlich bist du das!«, widerspricht Cally. »Du hast jetzt schon einen Monat lang wegen Rob Trübsal geblasen; es ist an der Zeit, dich ein bisschen am Riemen zu reißen und wieder mitzumischen. Du hast ihn aus einem guten Grund verlassen, schon vergessen?«

»Nein«, erwidere ich ernst und leere mein Glas.

»Ach?« Callys Typ wird hellhörig. »Und was war der Grund?«

Ich will ihm gerade sagen, dass ihn das nichts angeht, als Cally das Wort ergreift. »Er hat sie gebeten, ihn zu heiraten.«

Unsere Verehrer bleiben danach noch ungefähr siebenundvierzig Sekunden bei uns. Ein Teil von mir bedauert aufrichtig, dass sie gehen. Nicht, weil ich sie besonders toll gefunden hätte. Doch ich muss mich von den ständigen Gedanken an Rob ablenken – eine Tatsache, die noch unterstrichen wird, als ich auf dem Weg zu Mariannes Wohnung im Taxi auf mein Handy blicke und eine Nachricht entdecke, die er mir vor drei Stunden geschickt hat.

 

Hoffe, du hast viel Spaß in Schottland – du hast es verdient. In Liebe, Rob xxx

 

»Warum muss er nur so verdammt nett sein? Und perfekt? Und großartig?«, seufze ich. »Ich habe ihm das Herz gebrochen. Er sollte mich eigentlich verachten. Aber stattdessen ist er noch immer lieb genug, um mir solche Nachrichten zu schicken – nur, um mir zu zeigen, dass er keine Bitterkeit empfindet.«

»So perfekt kann er ja nicht sein, sonst hättest du dich nicht von ihm getrennt«, erklärt Marianne.

»Doch, das ist er«, beharre ich. »Deshalb ist das hier auch so besorgniserregend. Ich vermute allmählich, dass ich das Problem bin.«

»Unbewusst fühlst du dich vielleicht zu Männern hingezogen, die dich schlecht behandeln«, versucht Asha voller Mitgefühl zu erklären. Sie hat heute Morgen anscheinend das Feministinnenmagazin Vagenda gelesen. »Vielen Frauen geht es so. Du musst dir angewöhnen, dich in die guten Männer zu verlieben.«

Cally sieht sie ungläubig an und schüttelt den Kopf. Seit ein paar Monaten ist sie davon überzeugt, dass Asha nicht die richtige Person ist, um zu entscheiden, was ein guter Mann ist – eine Meinung, mit der sie nicht hinter dem Berg hält.

Toby, der Mann, in den Asha hoffnungslos und unumstößlich verliebt ist, hat einiges zu bieten: Er ist intelligent, fürsorglich, ein wunderbarer Kinderarzt und gesteht ihr ständig seine unsterbliche Liebe.

Alles wäre perfekt, wenn da nicht eine klitzekleine Sache wäre: Er ist mit einer anderen verheiratet. Es mag eine fürchterliche, zerrüttete Ehe sein – mit ständigen Streitereien, täglichen Konflikten und ohne jede Zuneigung. Doch es ist eine Ehe.

Asha lernte ihn kennen, als eine misshandelte Frau und ihre verängstigte und verletzte Tochter in die Einrichtung kamen und sie die beiden ins Kinderkrankenhaus brachte, in dem Toby der diensthabende Arzt war.

Asha sah zu, wie er die Kleine liebevoll beruhigte und ihr sogar ein Lächeln entlockte, als er ihre Verletzungen versorgte, die sich glücklicherweise als nicht so schwerwiegend herausstellten. Ihre Wege kreuzten sich anschließend durch die Arbeit noch öfter, und es dauerte nicht lange, bis ihnen klarwurde, dass sie es ohne einander nicht aushielten.

»Cally, es ist ja nicht so, dass Toby kein guter Mann wäre«, sagt Asha. Ihre Worte klingen zwar herausfordernd, aber die Scham steht ihr ins Gesicht geschrieben – wie immer, wenn wir diese Diskussion führen. »Er befindet sich nur in einer schwierigen Situation.«

»Er ist vergeben, Asha«, entgegnet Cally ernst. »Und er hat zwei Kinder. Er gehört nicht dir. So einfach ist das.«

Asha seufzt. »Ich weiß. Und so kann es auch nicht weitergehen. Wie auch immer man es betrachtet – es kann so einfach nicht weitergehen.«

Eine Zeitlang schweigen wir. Und als ich mir die Nachricht von Rob noch einmal durchlese, überkommt mich ein Moment absoluter Klarheit. Ich rufe seine Nummer auf und will »anrufen« wählen.

»Was machst du da?«, fragt Marianne.

»Ich will wieder zurück zu Rob«, antworte ich ihr.

»Es ist drei Uhr morgens!«, erinnert Cally mich, während meine Schwester meinen Arm packt, den Anruf beendet und mir das Handy in den Schoß legt.

»Emma, du warst nicht verliebt in Rob. Da warst du dir bei eurer Trennung sicher«, erklärt Marianne.

»Vielleicht habe ich meine Meinung ja geändert. Ich meine, schaut euch die Liste an. Ich habe kein Ziel erreicht. Kein einziges.«

»Was hat Rob denn mit der Liste zu tun?«, will Cally wissen.

»Vielleicht habe ich ja schon jemanden gefunden, den ich heiraten will – jemanden, der wundervoll, ehrenhaft und anbetungswürdig ist. Aber ich habe mich fälschlicherweise entschieden, ihm zu sagen, dass er zu anstrengend werden würde … Ich habe mich entschlossen, ihn aus meinem Leben zu verbannen und einfach so weiterzumachen wie bisher.«

Marianne rollt mit den Augen.

»Denkt ihr nie, dass ihr im Leben nicht mutig genug wart?«, frage ich die anderen. »Weil ich dieses Gefühl habe. Ich meine, warum bin ich denn keine Raumgestalterin geworden? Warum habe ich keine einzige Nacht unter freiem Himmel verbracht? Warum bin ich nicht aufs Land gezogen?«

»Heuschnupfen?«, schlägt Cally vor.

Asha lächelt. »Ach, Emma, es ist doch nur eine blöde Liste.«

»Ich weiß«, gebe ich zu. »Und ich sage ja nicht, dass ich alle Punkte auf der Liste, so wie sie dastehen, auch erfüllen möchte. Es geht eher darum, wofür sie stehen.«

Meine Freundinnen sind entweder zu müde oder zu betrunken, um zu antworten. Und ich weiß, wann ich den Mund halten sollte. Also starre ich nur auf mein Handy und stelle fest, dass heute Samstag, der 30. Juni ist. In weniger als sechs Monaten werde ich dreißig.

Ich frage mich, ob sich bis dahin überhaupt irgendetwas ändern wird.

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Kapitel 5

Es gibt einige Jobs, in denen man seinen Montagmorgen-Blues ruhig ausleben darf. Wenn ich zum Beispiel in einem Callcenter angestellt wäre und einen Tag vor mir hätte, an dem ich den klassischen Talkshow-Zuschauer störe, um ihn zu bitten, sein Breitband-Paket mit mir zu besprechen. Oder wenn ich in der IT-Branche arbeiten würde und acht Stunden mühevoller Arbeit vor mir lägen, in denen ich Anrufern immer wieder vorschlagen müsste, ihren Computer erst aus- und dann wieder einzuschalten.

Jeder würde verstehen, dass man in solchen Fällen etwas unleidlich wäre.

Aber mein Job ist ganz anders. Mein Job erfordert eine positive Einstellung und konstant gute Laune. Als hätte man Glückspillen genommen. Und diese gute Laune ist obligatorisch – egal, ob nun das Haus abgebrannt ist, das Auto abgeschleppt wurde oder die Katze in die neuen Schuhe gekotzt hat.

In einer warmen morgendlichen Brise, die durch mein Haar weht, gehe ich die Rodney Street entlang, bis ich den Eingang zu Little Blue Bus Productions erreiche. Wenn man es nicht besser wüsste, wäre man bestimmt beeindruckt. Die Rodney Street ist eine der prächtigsten Straßen Liverpools und Sitz der unterschiedlichsten Firmen – angefangen von Finanzplanungsunternehmen bis hin zu gehobenen Schönheitskliniken.

Selbst wenn man die unverwechselbare dunkelblaue Tür zum Empfangsbereich öffnet, hält man diesen Ort noch immer für richtig nobel. Es gibt eine Illy-Kaffeemaschine. Ein Conran-Sofa. Abstrakte Bilder an den Wänden, zum Beispiel Stillleben aus der Show, mit der die Firma sich ihren Namen gemacht hat.

Erst nachdem ich Carolyn, unsere Empfangsdame, begrüßt und die Räumlichkeiten, die ich »Büro« nenne, im vierten Stock erreicht habe, wendet sich alles zum Schlechteren.

Der ehemals flauschige Teppich wird inzwischen nur noch von ein bisschen schmierigem Malerkrepp zusammengehalten. Alter Kaffeesatz schimmelt in Bechern vor sich hin, die übers Wochenende einfach stehen geblieben sind. An der Decke breitet sich eine feuchte Stelle aus. Den knarrenden Schrank mit Büromaterialien macht niemand auf, weil man immer befürchten muss, von einem riesigen Schwung Papieren erschlagen zu werden, die noch nicht abgelegt wurden.

Diese Räumlichkeiten waren mal hübsch, hell und förderten die Kreativität. Jetzt zeigen sie – wie die Firma selbst – deutliche Spuren von Vernachlässigung und Chaos.

»Du wirst nicht glauben, was dieser unsägliche Idiot mit meiner Storyline gemacht hat.« Mein Kollege Giles starrt mit dem für ihn so typischen mürrischen Gesichtsausdruck auf den Computermonitor. Anscheinend versucht er gerade, den Bildschirm durch die bloße Kraft seiner Gedanken zum Explodieren zu bringen. Da bin ich mir sicher.

Obwohl er in seinem Job eigentlich brillant ist, muss Giles noch einiges tun, um die positive Einstellung und die stetig gute Laune, von der ich sprach, irgendwann einmal zu erreichen. Ich betrachte ihn gern als komplett missverstandenen Menschen. Das tue ich, weil ich ihn mag – und weil die Alternative wäre, ihn für den missmutigsten und zornigsten Menschen des Planeten zu halten.

»Mein Wochenende war ganz wunderbar. Danke der Nachfrage«, sage ich und setze mich lächelnd an meinen Schreibtisch.

Giles sieht auf. »Oh … Äh … Tut mir leid, Em. Schlechter Morgen.« Verlegen kratzt er sich am Kinn, und mir fällt auf, dass er sich wieder einen Bart wachsen lässt. Als wäre er nicht schon haarig genug. Ich konnte mal einen Blick auf seine Brust werfen, als sein Pulli sich im Kopierer verfangen hatte, und er sieht aus wie ein zotteliger Hund.

Abgesehen davon – und abgesehen von seinen obligatorischen T-Shirts mit Heavy-Metal-Motiven – sieht Giles nicht schlecht aus. Ich habe schon ab und zu beobachtet, wie Frauen ihn interessiert betrachteten. Obwohl sich das schlagartig ändert, wenn er dann den Mund aufmacht. Denn auch wenn ich weiß, dass Giles der reinste Schmusekater ist, neigt er leider dazu, Außenstehenden einen falschen Eindruck zu vermitteln.

Es liegt an seiner liebsten Kommunikationsmethode – dem Grunzen –, dass es so ist. In Giles’ Welt ist das Grunzen noch immer so in Mode wie zu der Zeit, als die Menschen noch Mammuts jagen gingen. Es ist auch nicht eben förderlich, dass neunzig Prozent von dem, was er sagt, davon handeln, wie scheiße die Arbeit, wie beschissen die Welt und wie dämlich die Kollegenschaft ist.

»Du weißt, dass ich damit nicht dich meine, Em, stimmt’s?«, sagte er mal zu mir. »Und auch Denise in der Buchhaltung ist davon ausgenommen – sie ist reizend. Und die Typen im Studio sind auch cool. Aber abgesehen davon sind alle anderen fürchterliche Schwachköpfe.«

»Also«, sagt er nun. »Hast du meinen Rat befolgt und bist in die Bar in Edinburgh gegangen, die ich dir empfohlen habe?«

»Danke, aber die Bar sah aus, als wäre sie nicht so mein Ding. Wir sind bei Weißwein und Cosmopolitans im Hotel Missoni geblieben.«

Er wirkt entsetzt. »Du stehst doch jetzt nicht plötzlich auch auf diesen gekünstelten Kram, oder? Auf der Weihnachtsfeier hast du noch Bitter getrunken.«

»Ich hatte nur ein halbes Glas, Giles, und das auch nur, weil du mich überredet hast, es mal auszuprobieren.«

»Du hast mich überredet, Karaoke zu singen. Das werde ich dir niemals verzeihen.«

»Ich musste dich ja nicht lange darum bitten.«

»Quatsch. Und statt des ursprünglichen Songs, den ich mir ausgesucht hatte, einfach Hey Frankie von Sister Sledge zu spielen, war ebenfalls unverzeihlich. Ich hatte mit einem Klassiker gerechnet.«

»It’s Raining Men von den Weather Girls?«

Er grunzt.

»Also, was ist denn nun mit deinem Skript passiert?«, erkundige ich mich.

Sein Gesicht nimmt einen Farbton irgendwo zwischen Rot und Grün an, bevor er seinen Kaffee hinunterstürzt – es ist nach halb neun, also ist es bestimmt schon seine fünfte Tasse – und dann sagt: »Es ist verstümmelt worden. Ich glühe vor Zorn. Und ich werde erst ruhen, wenn ich jemandem den Kopf abgerissen habe.«

»Du nimmst es also nicht so schwer?«

Natürlich haben unsere Zuschauer keine Ahnung, wie viel Blut, Schweiß und Tränen hinter den Kulissen vergossen und welche Taktiken verfolgt worden sind, bis Giles’ Drehbuch irgendwann tatsächlich über den Bildschirm flimmert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass alles, was sie zu sehen bekommen, ein perfekt aufbereitetes, wundervoll produziertes, brillant geschriebenes Stück Filmgestaltung ist.

Und daran, dass das Durchschnittsalter unserer Zuschauer bei drei Jahren liegt.

Little Blue Bus Productions ist eine sehr angesehene Produktionsfirma für Kinderfernsehprogramme, die für die einst erfolgreichste Sendung für Vorschulkinder in Großbritannien verantwortlich ist. Und das ist erst ein paar Jahre her.

Der Reiz von Bingbah ist leicht zu erklären. Die Sendung ist einfühlsam und schonend genug, damit Eltern sie gutheißen, und schräg genug, damit die Kids sie lieben. Es wurden Vergleiche zu den Teletubbies und anderen Kindersendungen, wie In The Night Garden, gezogen, aber Perry Ryder senior hatte die Idee schon lange bevor Iggle Piggle seine rote Decke in die Hand nahm.

Seit den 1970er Jahren schrieb und produzierte er erfolgreich TV-Sendungen für Kinder. Und obwohl die meisten Sendungen heutzutage längst eingemottet sind, läuft Bingbah noch immer.

Die Stars der Show sind die drei Bingbahs: freundliche, übergroße katzenähnliche Wesen mit riesigen Augen, angenehm melodiösen Stimmen und einer Vorliebe für Marshmallows, die im Land Bibblybobbly (wo sie leben) praktischerweise an Bäumen wachsen. Sie sind friedliche Zeitgenossen, deren Abenteuer in jeder Folge vor allem darin bestehen, die bösen Eichhörnchen abzuwehren, die ihren Speiseplan, auf dem meist Nüsse stehen, ein bisschen aufpeppen wollen, indem sie die Marshmallows stibitzen.

Seit mittlerweile acht Jahren schreibe ich diese Geschichten. Fragen Sie mich nicht, wie. Ich weiß nur, dass es mir anscheinend in den Schoß fällt. Das liegt nicht daran, dass ich Kinder – von denen ich mich am liebsten fernhalte – besonders gut verstehen würde, sondern daran … Gott, ich weiß es eigentlich echt nicht.

Um zehn Uhr herrscht im Büro hektische Betriebsamkeit. Raj, unser Produzent, schluckt Natracalm-Beruhigungspillen wie Smarties. Sein Kopf sieht allerdings noch immer so aus, als würde er kurz davorstehen, zu explodieren, als sein Blick auf den Stapel von Zeitplänen fällt, der auf seinem Schreibtisch liegt. Jo, der Regieassistent, schleudert James, einem der Zeichner, Anweisungen entgegen. Und James zeichnet, als würde das Ende seines Stiftes in Flammen stehen. Harry, unser Cutter, klebt Szenen zusammen. Jill, unsere Administratorin, versendet Mails. Alle brennen vor Kreativität und sind noch rasender, als sie es normalerweise montagmorgens sind. Die einzige Ausnahme ist Jez, der für die musikalische Gestaltung der Show zuständig ist. Er ist alles andere als hektisch. Und er verliert nicht einmal dann die Ruhe, als Raj seine Füße vom Schreibtisch schiebt, ihn an den Schultern packt und schreit: »Sagt dir das Wort Deadline etwas?«

Insgesamt sind wir ein brillantes Team, und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein. Das macht die Tatsache, dass der Erfolg uns nicht mehr so leicht zufliegt wie noch vor einigen Jahren, noch schwerer zu verkraften. Und die Kollegen haben keinen Zweifel daran, wer dafür verantwortlich ist.

»Du bist wieder da!« Mein Chef, der geschätzte Geschäftsführer, Besitzer des Unternehmens und Sohn des Genies, der Perry Ryder senior war, stürmt zu meinem Schreibtisch.

Perry junior ist der Einzige im Team, der nicht Jeans und T-Shirt trägt. Das macht ihn in unserer Branche zu einem Exoten. Obwohl Perry wahrscheinlich in jeder Branche ein Exot wäre. Heute trägt er Stiefel und einen Dreiteiler, der Sherlock Holmes stolz gemacht hätte. Sein Lockenschopf ist noch wirrer als in der letzten Woche.

»Wie geht es unserer Weltenbummlerin?«, fragt er strahlend. Die Lücke zwischen Perrys Schneidezähnen sieht manchmal so breit aus, als könnte man locker einen Lkw hindurchbugsieren. »Hattest du Spaß in Wales?«

»Es war Schottla…«

»Ich habe einen großartigen Urlaub in Portmeirion verbracht, als ich in deinem Alter war. Ich werde nie vergessen, wie ich mit einer Piña Colada in der Hand am Meer saß. Allerdings sieht vermutlich jeder Ort der Welt nach ein paar Cocktails hübsch aus!«

Perry setzt sich auf die Ecke des Schreibtisches, verschränkt die Arme vor der Brust und wiegt sich hyperaktiv vor und zurück. Seit Sarah McIntyre, unser Creative Director, vor drei Monaten gegangen ist, scheint er ständig auf der Schreibtischkante zu hocken. Sarah, die meine direkte Vorgesetzte war, sorgte dafür, dass wir hier nicht durchgedreht sind – sie schien der einzige Mensch zu sein, der uns vor Perrys Verrücktheit schützen konnte.

Als sie ging, um mit ihrem Mann nach Australien auszuwandern, hofften wir alle, dass ihr Nachfolger genauso gut sein würde. Was allerdings eines voraussetzte: dass es einen Nachfolger geben würde. Bisher hat Perry jedoch noch keine Anzeige geschaltet und stattdessen beschlossen, selbst die Stellung zu halten, um ein bisschen die aktive kreative Arbeit mit Giles und mir zu genießen. Sie können sich vorstellen, wie gut das bei uns allen ankam.

»Also. Brennen wir an diesem Montagmorgen vor Kreativität?« Perrys Gesicht ist rund, wachsartig, immer fröhlich und erinnert an einen dieser Kartoffel-Smileys, die man in der Tiefkühlabteilung von Supermärkten bekommen kann.

»Mir geht es super«, erwidere ich gutgelaunt, um die Aufmerksamkeit von Giles abzulenken, der Perry anstarrt, als wäre der mit seinem Raumschiff direkt vom Planeten Arschloch eingeflogen.

»Das höre ich gern. Ich möchte kurz mit dir sprechen, wenn du eine Minute hast, Emma. Ich werde Carolyn bitten, uns eine schöne Tasse Tee zu bringen, und dann werden wir gemeinsam ein bisschen brainstormen, ja?« Er zwinkert mir zu, ehe er aus der Tür hüpft.

»Wenn er versuchen sollte, mich zu überreden, an einer seiner Scheißideen zu arbeiten, habe ich dazu noch ein Wörtchen zu sagen«, knurrt Giles, als die Tür ins Schloss fällt.

»Er hat noch nichts dergleichen angedeutet.«

»Ja, aber ich weiß, was er von dir will. Du nicht auch?«

Leider lautet die Antwort: Ja, ich denke, ich weiß es.

 

Wenn man eine der erfolgreichsten Kindersendungen Großbritanniens produziert hat, besteht das größte Problem darin, an diesen Erfolg anzuknüpfen. Offen gesagt, ist uns das bisher nicht gelungen. Little Blue Bus Productions hat es – wie die Branche ungläubig mit ansehen musste – nicht geschafft, aus dem Erfolg von Bingbah Kapital zu schlagen und einen neuen Knüller zu landen. Auch wenn Perry das beständig versucht, seit sein Vater vor fünf Jahren in den Ruhestand gegangen ist.

Das Team und nicht zuletzt Giles und ich haben ihm unzählige Ideen unterbreitet. Doch Perry will keine TV-Sendung produzieren, die auf einer unserer Ideen basiert. Er will selbst eine Idee entwickeln.

Was ich zum Teil auch nachvollziehen kann. Immerhin wird sein Dad als einer der kreativsten Köpfe in der Entwicklung von TV-Sendungen für Kinder angesehen. Perry Ryder senior wurde weltweit für seinen Einfallsreichtum, sein Talent und seine Fähigkeit, sich in die Köpfe der Kinder hineinzudenken, gelobt.

Das Problem ist, dass jede von Perrys Ideen nur mit einem Wort umschrieben werden kann – einem Wort, das Giles liebt und das so treffend ist, dass ich keinen anderen Ausdruck verwenden möchte: scheiße.

»Mir ist heute Nacht eine Wahnsinnsidee gekommen«, erklärt Perry mir. »Und ich will, dass du daran arbeitest!«

»Ach … Das ist ja toll!«

»Du wirst es lieben, Emma. Das wird dein Sprungbrett. Setz dich. Ich mache dir mal eben Platz.«

Er legt einen großen Haufen von Papieren auf den Boden und klopft eifrig auf die Sitzfläche des freigeräumten Stuhls.

»Hier ist der Pitch.« Er klatscht in die Hände, während ich mich setze. »Wir haben eine Maus. Eine verdammt kluge Maus. Sie ist die Hauptfigur, unser Held.«

»Okay.«

»Sie hat auch Freunde … Ich weiß nicht, vielleicht eine Ente … und einen Hund. Wir könnten auch eine Mäusefreundin entwickeln. Daran müssen wir noch arbeiten. Also, diese Maus, unser Held, kann sprechen und tanzen und erlebt verrückte Abenteuer mit seinen Freunden.«

Ich seufze. »Trägt er vielleicht rote Shorts und gelbe Schuhe?«

»Woher weißt du das?«

»Und hat er eine piepsige Stimme?«

»Zwei Doofe, ein Gedanke!«

Ich lege meinen Stift zur Seite und sehe Perry an. Ich sehe ihn wirklich an. Als wollte ich ihn durch meinen Blick dazu bringen, zu erkennen, was das Problem an dieser Idee ist, ehe ich es aussprechen muss. Er sieht mich an wie ein Welpe, der danach lechzt, dass man ihm sein Köpfchen tätschelt.

»Machst du dir keine Sorgen darüber, dass die Leute vielleicht denken könnten, unsere Maus könnte ein bisschen viel Ähnlichkeit mit … Mickey Mouse haben?«

Sein Lächeln erstirbt. »Hm. Es könnte tatsächlich einige Überschneidungen geben, oder?«

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Kapitel 6

Da ich nicht die Möglichkeit dazu hatte, ein Cottage in Rutshire zu mieten – mit Glyzinien, die um die Eingangstür ranken, einer vornehmen Nachbarschaft und einem wundervollen Labrador, der mir über die Wangen leckt, wenn ich nach Hause komme –, lebe ich stattdessen in einer Wohnung im Süden Liverpools.

Ich war albernerweise total stolz auf die Wohnung, bis ich durch die Liste daran erinnert worden bin, wie die Alternative aussehen sollte. Trotzdem ist sie nicht schlecht. Genau genommen ist sie ganz und gar nicht schlecht.

Ich lebe in Grassendale Park, einem Stadtteil, der in isolierter Pracht am Ufer des River Mersey liegt und aus einer Reihe von Alleen besteht, einer Promenade und einigen unglaublich eleganten Anwesen aus dem neunzehnten Jahrhundert. Der Ort schäumt über vor Charme und Anmut – genau wie ich (ähem …).

Ich hätte mir nie erträumen lassen, in einem Haus wie diesem zu wohnen. Ich habe mir die Häuser in der Immobiliensparte der Lokalzeitung angesehen, und diese Erfahrung war beinahe pornografisch: Ich erglühte beim Anblick der dekorativ überhängenden Obergeschosse, drehte fast durch, als ich die Originalteile erblickte, und stöhnte laut auf, als ich die exponierte Lage innerhalb der prächtigen Landschaftsgärten sah.

Meine Nachbarn sind ein buntgemischter Haufen. Nebenan, in dem mit Stuck versehenen Haus mit den sieben Schlafzimmern, leben Charles Cavendish QC, ein Rechtsanwalt, und seine (fünfte) Frau Stacey. Direkt gegenüber wohnt Vlady Simeonova, ein bulgarischer Stürmer, der für den FC Liverpool spielt und mehr protzige Autos besitzt als ich zusammenpassende Unterwäsche.

Ich lebe in einer eleganten viktorianischen Villa mit buttermilchfarbenem Anstrich und einer Remise auf dem Grundstück. Die Villa ist in fünf Apartments umgebaut worden – von dem umwerfenden Penthouse mit den vier Schlafzimmern, riesigen Erkerfenstern und dunklen Holzfußböden bis hin zu der winzigen, klitzekleinen Besenkammer mit einem Schlafzimmer im Erdgeschoss.

Dabei handelt es sich um meine Wohnung.

Man kann wohl sagen, dass ich mich, als ich vor zwei Jahren in die Wohnung zog, in die Gegend und das Haus als Ganzes verliebte und nicht von der Großzügigkeit der Wohnfläche überwältigt war.

Trotz der Größe ist das Apartment ganz reizend – kürzlich erst saniert, mit einem Kaminofen im Wohnzimmer und einer schicken Einbauküche. Dank meiner Sucht nach Einrichtungsmagazinen habe ich der Wohnung, soweit es eben ging, meinen Stempel aufgesetzt. Ich habe praktisch den Traum, den ich als Teenager hatte, spielerisch ausgelebt.

Und ich habe mich schon fast daran gewöhnt, dass ich mich zur Seite drehen muss, um mich ins Bad quetschen zu können, dass ich mir jedes Mal den Kopf an der schrägen Decke in meinem Schlafzimmer anstoße und dass es die einzige Wohnung im Haus ist, die kein Fenster hat, das zum Stadtpark weist.

Stattdessen geht mein Küchenfenster zum Nebengebäude raus. Ich kann das Erdgeschoss des Hauses sehen, in dem Rita Harvey-Esteves lebte, eine ehemalige Tänzerin und Schauspielerin, die in den 1970er Jahren in einer Reihe von Fernsehdramen mitspielte. Sie weigerte sich, sich von der Tatsache, dass sie den Herbst des Lebens erreicht hatte, die Laune verderben zu lassen. Ein Freitagnachmittag war kein echter Freitagnachmittag, wenn ich sie nicht mit einem Glas Champagner in der einen und einem jungen Mann an der anderen Hand antraf. Sie starb im Februar nach sechsmonatigem Kampf an Lungenkrebs. Die Ironie daran war, dass Rauchen das einzige Laster war, dem sie nie gefrönt hatte.

Ich liebte Rita und vermisse sie noch immer. Wann immer ich aus dem Fenster sehe, rechne ich fast damit, sie zu sehen – in den Kleidern des vergangenen Abends die Straße entlangtänzelnd oder vor ihrer Tür dem Postboten mit dem Werbematerial eines Altersheims in der Hand weismachend, dass das nur ein schrecklicher Irrtum sein könne.

Heute Abend knirschen die Reifen meines Wagens auf der Auffahrt. Ich steige aus und schnappe mir die Einkäufe, die ich besorgt habe, um für Cally und Zachary zu kochen. Diese Einladung war schon längst überfällig. Zugegebenermaßen habe ich es eine Weile vor mir hergeschoben, weil ich erst mein Apartment bombensicher machen wollte, damit es der Wucht dieses besonderen Zweijährigen auch auf jeden Fall standhält.

»Emma! Pssst!«

Noch ehe ich mich umdrehe, weiß ich, dass es Stacey ist. Sie begrüßt mich immer mit einem »Pssst!«. Als sie das zum ersten Mal machte, wirbelte ich herum und rechnete damit, Inspektor Gadget gegenüberzustehen.

»Hallo! Wie geht es dir?«, frage ich. Stacey sieht aus, als wäre sie Mitte vierzig, doch ich nehme an, dass man getrost noch einige Jahre draufpacken kann. Sie hat glänzendes rotes Haar, sommersprossige, frische Haut und Oberarme wie Madonna.

»Ich bin heute nur hin- und hergehetzt«, seufzt sie. »Von einem Termin zum nächsten.«

»Was hast du denn gemacht?«

»Ich war im Fitnessstudio. Beim Mittagessen. Beim Friseur. Im Nagelstudio. Und mit einem Auge habe ich ständig den Dow-Jones-Index für mögliche Investments beobachtet. Ha, das war ein Witz!« Sie holt kaum Luft. »Wie dem auch sei … Sie haben einen Käufer für Ritas Haus gefunden.«

»Echt?« Mit einem Mal bin ich ein bisschen traurig. »Ohne sie fühlt es sich irgendwie nicht mehr richtig an, oder?«

Stacey rümpft die Nase. »Man soll ja nicht schlecht über Verstorbene reden, aber Charles war der Meinung, sie würde das Ansehen der Nachbarschaft beschädigen.«

Spontan schnalze ich mit der Zunge.

»Oh, versteh mich bitte nicht falsch – er mochte sie«, fährt sie hastig fort. »Wir alle haben sie gemocht. Aber du weißt schon, was ich meine. Es kommt ein Zeitpunkt, ab dem jede Frau aufhören sollte, oben ohne in der Sonne zu liegen.«

»Tja, ich hielt sie für phantastisch und lustig, und mir fehlt sie total.«

»Oh ja, mir auch«, entgegnet sie schnell. »Aber es ist gut, dass die Wohnung nicht leer bleibt, findest du nicht?«

»Natürlich. Wann ziehen die neuen Bewohner ein?«

»Schon sehr bald, glaube ich. Und … Es ist ein Mann.« Der zweite Teil des Satzes steckt voller Andeutungen – als ob die Spezies Mann fremdartig und mysteriös wäre und ernsthafter tiefgründiger, anthropologischer Recherche unterzogen werden sollte.

»Ein Mann«, wiederhole ich.

Verschmitzt schürzt sie die Lippen. Ihre Pupillen weiten sich. »Mhm-hm. Und er sieht offenbar gut aus. Marjory aus dem zweiten Stock hat ihn mit dem Makler gesehen. Sie sagt, er sei sogar sehr, sehr gutaussehend.«

Ich stecke den Schlüssel in die Tür. »Stacey, Marjory hält auch Cliff Richard für einen echten Hengst.«

»Das stimmt. Ich dachte nur, weil du doch gerade Single bist, könnte da etwas … Po-ten-zial sein.«

Ich öffne den Mund, um zu erklären, dass man das so direkt nicht sagen kann. Dass ich vielleicht im Moment Single bin, aber dass ich darüber nachdenke, bald wieder mit jemandem zusammen zu sein, weil Rob reizend und großzügig ist und ich ihn vielleicht doch liebe … Aber ich beiße mir auf die Zunge.

Nicht nur, weil mein Gehirn sich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke, anfühlt, als würde es schmelzen.

»Ich glaube nicht, Stacey«, sage ich also. »Hör mal, ich muss los. Ich muss ein Abendessen kochen.«

»Ooh … Für jemand Aufregenden?«

»Tja, also, eigentlich ja.« Ein bisschen zu aufregend, um ehrlich zu sein.

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Kapitel 7

Ach, Süßer. Lass das mal. Komm schon, Liebling. Engel. Aua … das tut weh!«

Zachary springt auf Callys Knie herum, während sie versucht, eine Unterhaltung zu führen, die immer wieder von Schreien unterbrochen wird: »Mummy! Pielen! Pielen!«

Ich verbrachte heute Abend viel mehr Zeit damit, Zacharys Essen zu gestalten, als mein eigenes. Dazu hatte ich mir ein Pasta-Rezept für schwierige Esser aus dem Internet gezogen. Das Essen arrangierte ich mit rohen Möhrchen und Gurkenscheiben in Form eines lächelnden Gesichts auf dem Teller. Die Macher der fraglichen Website sind sich sicher, dass dieses Arrangement einen Zweijährigen beeindruckt. Aber sie kennen Zachary nicht.

Cally bringt ihn schließlich in eine aufrechte Position und führt ihn zu seinem Stuhl am Küchentisch, wo er mit leicht zusammengekniffenen Augen mein kulinarisches Angebot betrachtet.

»Du kannst schon anrichten, während ich noch mal eben aufs Klo verschwinde«, sagt Cally. »Du kommst doch mit Zachary zurecht, oder?«

Er nuckelt ein paarmal an seinem Schnuller und sieht mich eindringlich an, während mir ein Schauer über den Rücken läuft.

Um fair gegenüber Zachary zu sein, ist er nicht das einzige Kind, das diese Reaktion bei mir hervorruft. Alle Kinder schaffen das. Ich finde sie als Spezies irgendwie beängstigend. Keine Ahnung, warum das so ist – es ist nicht so, als wäre ich in meiner Jugend von einem von ihnen gebissen worden. Ich finde Kinder einfach nur schrecklich … unberechenbar.