Meine Patientin im Wachkoma – Tagebuch einer Krankengymnastin - Gabriele Dreher-Edelmann - E-Book

Meine Patientin im Wachkoma – Tagebuch einer Krankengymnastin E-Book

Gabriele Dreher-Edelmann

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Koma-Patienten sind Menschen, die noch leben. Sie müssen nicht nur versorgt werden, sondern sie sind Menschen, die als Individuen respektiert, und entsprechend angesprochen werden müssen. Es bringt wenig Erfolg mit großen Erwartungen, und einem Übungsplan in eine Stunde zu gehen. Wichtig ist, die Stimmung und Verfassung des Patienten zu beobachten, um das Übungsprogramm der jeweiligen individuellen Tagesform anpassen zu können. Man wird auch immer wieder Fragen stellen müssen, um zu erfahren, ob man verstanden worden ist. Um das etwas unsichere Augenzwinkern zu umgehen, erarbeiteten wir das Kneifen in die Hand des Fragenden. Einmal kneifen bedeutete »ja«, zweimal kneifen »nein«. Diese deutlichere Aussage war mir wichtig, damit mir meine Patientin mitteilen konnte, wann sie bei einer Übung Schmerzen bekam. Ich beschloss, dieses Tagebuch zu veröffentlichen, um interessierte Leser über das Leben meiner Patientin im Wachkoma zu informieren. Sie erfahren, dass es ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten ist, die er manchmal nur zaghaft, oder gar nicht zeigen kann. Dass er in einem Dasein lebt, zu dem wir keinen Zugang haben, aus dem er uns aber, wenn wir Geduld haben zu warten, langsam entgegenkommt. Mit unserer Zuwendung geben wir ihm die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu orientieren, um den Weg zurück zu uns zu finden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 611

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titelseite

Impressum

Vorwort

Ich bedanke mich

Samstag, 28. August 1999

Mittwoch, 1. September 1999

Die Behandlungszeiten vom 15.September bis zum 29. Oktober 1999 habe ich zusammengefasst.

Montag, 1. November (Allerheiligen) 1999

Mittwoch, 1. Dezember 1999

Montag, 3. Januar 2000

Mittwoch, 2. Februar 2000

Mittwoch, 1. März 2000

Montag, 3. April 2000

Mittwoch, 3. Mai 2000

Freitag, 2.Juni 2000

Montag, 3. Juli 2000

Mittwoch, 2. August 2000

Freitag, 1. September 2000

Montag, 2. Oktober 2000

Freitag, 3. November 2000

Freitag, 1. Dezember 2000

Mittwoch, 3. Januar 2001

Freitag, 2. Februar 2001

Freitag, 2. März 2001

Montag, 2. April 2001

Mittwoch, 2. Mai 2001

Freitag, 1. Juni 2001

Montag, 2. Juli 2001

Mittwoch, 1. August 2001

Montag, 10. September 2001

Montag, 1. Oktober 2001

Freitag, 2. November 2001

Montag, 3. Dezember 2001

Mittwoch, 2. Januar 2002

Freitag, 1. Februar 2002

Freitag, 1. März 2002

Mittwoch, 3. April 2002

Mittwoch, 1. Mai 2002

Montag, 3. Juni 2002

Mittwoch, 3. Juli 2002

Montag, 5. August 2002

Montag, 2. September 2002

Mittwoch, 2. Oktober 2002

Montag, 4. November 2002

Montag, 2. Dezember 2002

Freitag, 3. Januar 2003

Montag, 3. Februar 2003

Montag, 3. März 2003

Mittwoch, 2. April 2003

Gabriele Dreher-Edelmann

Meine Patientin im Wachkoma

Tagebuch einer Krankengymnastin

Engelsdorfer Verlag 2006-2012

Bibliografische Information durch Die Deutsche Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Copyright (2006-2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

www.engelsdorferverlag.de

eISBN: 978-3-86901-390-9

Vorwort

Zunächst habe ich das Tagebuch für mich selbst geschrieben. Ich musste die Übungsstunden noch einmal durchleben, sie aufarbeiten und verinnerlichen. Auch wollte ich sie nicht vergessen. Ich wollte die langsamen Schritte des Erfolges meiner Patientin genau beobachten, verfolgen und festhalten.

Als ich dann Bekannten von meiner Patientin erzählte spürte ich, dass Menschen das Bedürfnis haben zu erfahren, was Koma ist. Jeder hörte aufmerksam zu, wenn ich von den Erlebnissen mit meiner Patientin berichtete. Es wurden kaum Fragen gestellt. Meine Zuhörer lauschten ergriffen, und versuchten sich dieses Leben im uns unerfassbaren Dasein vorzustellen.

Nun habe ich mich entschlossen, dieses Tagebuch zu veröffentlichen, um interessierte Leser über das Leben meiner Patientin im Wachkoma zu informieren. Sie erfahren, dass es ein Mensch mit Gefühlen und Ängsten ist, die er manchmal nur zaghaft, oder gar nicht zeigen kann. Dass er in einem Dasein lebt, zu dem wir keinen Zugang haben, aus dem er uns aber, wenn wir Geduld haben zu warten, langsam entgegenkommt. Mit unserer Zuwendung geben wir ihm die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu orientieren, um den Weg zurück zu uns zu finden.

Ich möchte aber auch Angehörigen, dem Pflegepersonal und den Therapeuten, die Hirnverletzte Patienten betreuen eine unterstützende Hilfe geben. Manche Begebenheit werden sie an ihrem Patienten beobachten, und vergleichen können. Vielleicht auch diese oder jene Übung mit ihm ausprobieren. Sie werden spüren, heute mag der Patient ihre Berührung und morgen wieder nicht. Sie werden Bestätigung finden, dass das was sie gestern mit viel Geduld mit ihrem Patienten erlernt haben, heute nicht möglich ist. Vielleicht aber wieder morgen. Sie werden wie ich, glückliche und traurige Momente erleben können, und immer wieder werden sie erneut ihre Geduld aktivieren müssen, um ihren Patienten auf dem langen Weg zum Erwachen, zu begleiten und zu führen.

Sie werden oft einen veränderten Muskeltonus beobachten. Manches Mal ist die Spannung unüberwindbar hoch, ein anderes Mal gibt sie weich nach und lässt eine vorsichtig geführte Bewegung zu. Konnte meine Patientin eine für sie gewohnte Bewegung selbständig ausüben, war die Muskelspannung normal.

Man darf aber einen Patienten nie aufgeben, auch wenn er nur sehr langsame Fortschritte macht. Nach Rückschlägen heißt es immer wieder, geduldig neu zu beginnen. Diese eigene, positive Ausstrahlung überträgt sich auf den Patienten, und hilft ihm in seinem Bemühen, weiter zu kämpfen und zu üben. Unser Patient muss unsere Hoffnung und den Glauben, den wir an ihn haben, spüren, damit er es schafft, sein Leben wieder normalen, lebensfähigen Funktionen anzupassen. Er muss es neu ordnen, und mit den verbleibenden Möglichkeiten sein neues Leben aufbauen. Das mag ein ganz anderes sein, als das Leben vor seiner traumatischen Erkrankung.

Koma-Patienten sind Menschen, die noch leben. Sie müssen nicht nur versorgt werden, sondern sie sind Menschen, die als Individuen respektiert, und entsprechend angesprochen werden müssen.

Es bringt wenig Erfolg mit großen Erwartungen, und einem Übungsplan in eine Stunde zu gehen. Wichtig ist, die Stimmung und Verfassung des Patienten zu beobachten, um das Übungsprogramm der jeweiligen individuellen Tagesform anpassen zu können. Man wird auch immer wieder Fragen stellen müssen, um zu erfahren, ob man verstanden worden ist. Um das etwas unsichere Augenzwinkern zu umgehen, erarbeiteten wir das Kneifen in die Hand des Fragenden. Einmal kneifen bedeutete „ja“, zweimal kneifen „nein“. Diese deutlichere Aussage war mir wichtig, damit mir meine Patientin mitteilen konnte, wann sie bei einer Übung Schmerzen bekam.

Wir erarbeiteten gemeinsam ein Dehnprogramm. Mit ruhiger Stimme, sanften Bewegungen und leichtem Zug dehnte ich ihre verspannte Muskulatur. Eine laute Sprache, ruckhaftes Bewegen und rasches Dehnen setzte den Muskeltonus herauf, und erschwerte somit das gewünschte Ziel des vollen Bewegungsausmaßes zu erreichen. Mit ruhigen passiven Bewegungen konnte ich kurzzeitig die Spannung der Muskulatur herabsetzen, sodass sich meine Patientin aktiv an den Übungen beteiligen konnte.

Wichtig war mir, dass ihre Eltern bei der Behandlung anwesend waren. Sie konnten mir manche Fragen beantworten über die Persönlichkeit und die Lebensgewohnheiten ihrer Tochter vor der Erkrankung. Ich erfuhr, dass ihre Tochter ein sehr fröhliches, temperamentvolles Kind war, das lieber mit Tieren, als mit Puppen spielte. Sie liebte weite Reisen und kochte gern. Sie hatte ein Kochbuch geschrieben, und ihre Freunde lobten ihre hervorragenden Kuchen. All dieses Wissen über sie, versuchte ich in meine krankengymnastische Behandlung mit einfließen zu lassen. Ich führte sie an Dinge heran, die sie besonders gern gemacht hatte, um in ihr die Lust auf das irdische Leben wieder zu wecken.

Meine Patientin und ich hatten eine intensive Bindung miteinander aufgebaut. Ich verstand sie, wenn ihre Hände besonders feucht waren, dass sie Angst hatte. Liefen ihr Tränen über die Wangen, war sie traurig. Fühlte sie sich entspannt und ausgeglichen, waren ihre Gesichtszüge locker, und ihre Augen groß und hellblau. Lächeln nein, das tat sie nicht. Ich denke, meine Patientin konnte sehr wohl ihre Situation erfassen und begreifen, und in so einem Zustand lächelt man da?

b –

Ich bedanke mich

bei dem Ehemann meiner Patientin. Er hat mir geholfen, in dem uns begrenzten Raum von ca. 16 qm ein bestmögliches, immer der Situation angepasstes Übungsprogramm zu erarbeiten, und war mir beim Heben und Tragen seiner Frau eine große Hilfe.

Ganz besonders herzlich möchte ich mich bei den Eltern meiner Patientin bedanken. Sie betreuten Tag für Tag in bewundernswerter Weise ihre Tochter. Mit ihrer Nähe gaben sie ihr Liebe, und machten ihr Mut weiter zu kämpfen, um den Weg ins Leben zurückzufinden.

Ich bedanke mich bei der behandelnden Ärztin meiner Patientin. Ich durfte sie jederzeit ansprechen, und in langen Gesprächen Rat und Unterstützung holen.

Meinen Dank sage ich an die Heimleitung des Heimes, und die Schwestern der Station. Alle waren bemüht, mit den uns begrenzten Mitteln, unserer Patientin in ihrem Zustand zu helfen.

Als Letztes möchte ich mich bei meiner Patientin bedanken. Mit der Energie, die ihr möglich war, hat sie sich immer wieder bemüht mitzumachen und mir Kraft gegeben, nicht den Mut zu verlieren, und sie weiter zu fordern. In der gemeinsamen Zeit meiner krankengymnastischen Behandlung, hat sich meine Patientin aufgerichtet aus der gebückten, verkrampften Haltung zum aufrechten, manchmal sogar geraden Sitz. Mögen alle meine Wünsche sich erfüllen, und meine Patientin ins Bewusstsein zurück begleiten.

Samstag, 28. August 1999

Es war Samstag. Ich fuhr zum Pflegeheim, in dem ich seit 20 Jahren Patienten betreue. Heute sollte ich eine Patientin übernehmen, deren Schicksal mich mit ihr für lange Zeit verbinden sollte.

Vom Verordnungsschein des Arztes kannte ich die Diagnose und das Alter der Patientin.

Ich begrüßte ihre Eltern, die sie ständig betreuen und umsorgen, und stellte mich als künftige behandelnde Krankengymnastin vor.

Dann sah ich meine Patientin zum ersten Mal.

Sie saß im Rollstuhl mit geschlossenen Augen, und mit stark nach links geneigtem Kopf. Ihr Mund war geschlossen und ihre Gesichtszüge entspannt. Das lange schwarze Haar hatte ihre Mutter im Nacken gebunden, es fiel ihr über ihre rechte Schulter.

Mein Gott sieht sie jung aus!

Ihre Hände und ihre Unterarme lagen auf der Tischablageplatte vom Rollstuhl. Ihre Ellbogen waren stark gebeugt, ihre Handgelenke waren verkrampft, ihre Hände spastisch zum Körper gezogen. Ihr ganzer Körper hing etwas nach links.

Ihre Beine wurden von Spezialstützen gehalten. Dennoch war zu sehen, dass ihr linkes Bein mit erhöhter Muskelspannung gegen die Stützen drückte. Beide Füße waren verkrampft und standen auf den Zehen.

Ich berührte die spastische rechte Hand meiner Patientin, begrüßte sie, und erzählte ihr von unserer gemeinsamen Arbeit. Für einen kleinen Moment öffnete sie ihre Augen, aber ich konnte nicht erkennen, ob sie mich sah.

Ihre Eltern erzählten mir, dass ihre Tochter seit zehn Monaten in diesem halbwachen Zustand ist. Es gab kurze Zeitabschnitte, in denen sie wacher reagierte, doch seit zwei Monaten scheint sie wieder viel zu schlafen.

Wir verabredeten den ersten Behandlungstermin zum kommenden Montag.

Am Sonntag dachte ich oft an meine Patientin. Wie wird sie auf meine Berührung reagieren, wie wird sie meine Stimme empfinden? Wird sie verstehen, was ich mit ihr tue, wird sie Schmerzen haben, werden wir uns verständigen können?

Ich nahm mir vor, sehr intensiv auf alle Reaktionen zu achten, um auch ein kleines Zeichen des Verstehens zu bemerken.

Montag, 30. August 1999

Ich hatte darum gebeten, meine Patientin für die ersten Behandlungen im Rollstuhl sitzen zu lassen. Diese Position schien mir sehr geeignet, unser gegenseitiges Kennenlernen unterstützend aufzubauen.

Da meine Patientin wieder nur kurz zur Begrüßung ihre Augen öffnete, beschloss ich all das, was ich mit ihr tat, mit Worten zu beschreiben.

Ich nahm ihre rechte Hand, die weniger Spastik zeigte als ihre linke Hand, und begann mit ganz ruhigen Bewegungen im Handgelenk. Ich sagte ihr, dass ich nun ihre Hand nach unten biege, und bat sie das Bewegen mitzuempfinden. Es folgte die Bewegung nach oben, zur Seite und nach außen, dann das Kreisen im Handgelenk, immer wieder mit der Bitte, die Bewegung mitzufühlen und mitzudenken. Nach einigen Wiederholungen entspannten sich ihre Finger, und ich begann die Finger einzeln zu bewegen.

Die Finger blieben auch locker, als ich ihren rechten Ellbogen bewegte. In der Streckung spürte ich eine leichte Hemmung, die ich beließ, um keinen weiteren Spasmus im Bizeps auszulösen.

Gefreut habe ich mich, wie leicht sich ihre rechte Schulter bewegen ließ, und wie frei das Schultergelenk zu kreisen war.

Ich hob ihren rechten Arm und brachte ihre Hand auf den linken Oberarm. Wir strichen ein paar Mal mit der Hand auf dem linken Arm entlang, und ich bat sie, die Haut und den Arm zu fühlen. Ihre Augen blieben geschlossen. Dann führte ich ihre Hand zum Kopf. Wir strichen über ihr Haar, und ich gab ihr ein kleines Haarbüschel in die Hand. Spontan schlossen sich ihre Finger zur Faust und sie hielt ihre Haare fest. Ihre Finger ließen sich von mir wieder leicht öffnen, und ich führte ihren Arm wieder zurück und legte eine entspannte, lockere Hand auf die Tischplatte vom Rollstuhl.

Ihre Eltern hatten ganz ruhig zugeschaut, doch jetzt freuten auch sie sich über die ganz andere entspannte Haltung.

Nach einer kleinen Pause, in der ich die Sitzhaltung meiner Patientin im Rollstuhl korrigierte, und ihren Kopf wieder ein wenig zur Mitte gedreht hatte, begann ich in gleicher Weise mit ihrem linken Arm zu üben.

Alle Bewegungsrichtungen waren nicht ganz so frei, wie bei ihrem rechten Arm. Mehrere Wiederholungen der Bewegungen waren nötig, um die Finger ihrer linken Hand ähnlich entspannt zu bekommen, wie die der rechten Hand. Ich ließ den Griff ins Haar weg. Dafür berührten wir das gleichseitige linke Ohr.

Als beide Arme und Hände entspannt auf der Tischplatte lagen, versuchte ich noch den Kopf meiner Patientin ein paar Mal vorsichtig nach rechts zu drehen. Um dann ihren Kopf entspannt aufzurichten, lehnte ich ihn an ein kleines Kissen, dass ich ihr zwischen Kopf und seitliche Kopfstütze geklemmt hatte.

Meine erste Behandlung war beendet. Das Gesicht meiner Patientin war entspannt, und wie mir ihre Eltern bestätigten, schienen ihrer Tochter meine ruhige Stimme und die sanften, gleichmäßigen Bewegungen gefallen zu haben.

Mittwoch, 1. September 1999

Die Eltern meiner Patientin waren wieder da, ich freute mich darüber. Mit einem „Hallo“ begrüßte ich meine Patientin die, wie von mir gewünscht wieder im Rollstuhl saß. Um sie nicht zu verwirren und keine zusätzlichen Spannungen auszulösen, begann ich wie bei unserer ersten Behandlungsstunde mit dem Bewegen ihrer rechten Hand, ihrer Finger, ihres Armes und ihrer Schulter. Ich bat meine Patientin wieder mitzufühlen, und mitzugehen mit den Bewegungen, die ich sie führte. Sie hielt ihre Augen geschlossen, ich war nicht sicher, ob sie mich verstanden hatte. Doch dann spürte ich sehr zart, kaum merkbar, dass die Bewegungsführung für mich leichter wurde, meine Patientin machte mit.

Ich erzählte ihren Eltern was ich fühlte, und sie sagten mir, dass ihre Tochter einen äußerst starken Willen hätte, und dass sie kämpfen würde, um wieder bei uns zu sein.

Ich schaute sie an, obgleich ihr Kopf zur linken Seite hing, sah sie schön aus. Ihre Gesichtszüge, kaum einer Mimik fähig, waren glatt und ruhig, wie bei einem Gemälde. Sie war da, und doch so weit weg.

Die Bewegungen ihrer linken Hand, ihrer Finger, ihres Armes und ihrer Schulter verliefen ähnlich ruhig, wie bei der ersten Behandlung. Heute wollte ich noch ein wenig ihre Beine bewegen. Ich sagte meiner Patientin, dass ich nun ihr linkes Bein etwas strecken möchte. Meine leichte Berührung löste einen heftigen Beugespasmus aus. Ihr Bein im Knie gebeugt wurde schnell nach innen oben gezogen, ihre linke Körperseite beugte sich intensiver nach links. Die Beugung in ihrem Ellbogen wurde heftiger, ihre Hand verkrampfte sich zur Faust, und ihr Kopf sank weiter auf die linke Seite hinüber. Die Augen meiner Patientin öffneten sich. Sie waren groß, aber sie schauten ins Weite. Auf meine Frage, ob sie Schmerzen habe, bekam ich natürlich keine Antwort. Meine Patientin hatte seit zehn Monaten nichts mehr sagen können.

Ich beschloss irgendeinen Weg zu ihr zu finden, wo sie mir zeigen konnte, dass es ihr wehtat.

Noch einmal nahm ich ihr linkes Bein, es krampfte wieder, zwar nicht mehr so heftig, aber es ließ sich kaum strecken. Sicher tat ihr die Bewegung weh, denn ihre Augen öffneten sich wieder.

Auch mit ihrem linken Fuß hatte ich keinen Bewegungserfolg, die Spannung war zu groß.

Ich war beladen von Gefühlen und hoffte die Zeit wird mir helfen.

Freitag, 3. September 1999

Nach der Begrüßung ihrer Eltern und meinem „Hallo“ zur Patientin, ließ ich sie gleich den Igelball fühlen, den ich zur Behandlung mitgebracht hatte. Ich gab ihn ihr in ihre rechte Hand, und wir versuchten den Ball auf der Tischplatte vom Rollstuhl zu rollen. Mit meiner Hilfe gelang uns ein zaghaftes Rollen. Ihre linke Hand konnte den Igelball halten, ihn aber nicht mehr hergeben. Dann rollte ich den Ball von ihrem linken Unterarm zum Oberarm über ihre Schultern zum rechten Oberarm und Unterarm. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Igelball meiner Patientin keinen Spaß machte. Ich legte ihn zur Seite und begann mit dem schon bekannten Bewegen ihrer Finger, Hände, Arme und Schultern. Auch heute versuchte ich, die Beine meiner Patientin zu bewegen. Wieder schoss der Spasmus bei leichter Berührung ins linke Bein ein, und zog ihren Körper leicht nach links mit. Ihre Eltern sagten mir, dass das linke Bein äußerst empfindlich sei, und auch bei ihnen schon bei der leisesten Berührung mit Krämpfen reagiere. Wir besprachen, dass ich die nächste Behandlung im Bett machen würde. Dann stellte ich mich hinter den Rollstuhl, nahm den Kopf meiner Patientin ganz vorsichtig in beide Hände und begann ihn auf die andere Seite zu dehnen. Sehr langsam neigte ich ihren Kopf immer etwas weiter nach rechts und spürte, wie die Spannung der Halsmuskeln auf der linken Seite etwas nachließ.

Dann veränderte ich meinen Griff. Meine rechte Hand erfasste ihren linken Unterkiefer und ich drehte ihren Kopf sehr behutsam nach rechts.

Nach einigen Wiederholungen beider Bewegungsrichtungen blieb ihr Kopf für einen Augenblick ungestützt in Mittelstellung angelehnt aufrecht.

Mit diesem kleinen Erfolgserlebnis verabschiedete ich mich.

Montag, 6. September 1999

Heute begrüßte mich der Ehemann meiner Patientin. Er schaute der Behandlung zu, und ich konnte ihm einige Fragen über die Behandlung seiner Frau in der Spezialklinik stellen. Er erzählte mir, sie wurde täglich zweimal von zwei Krankengymnasten gleichzeitig betreut. Sie übten mit seiner Frau fasst immer auf Matten auf dem Boden.

Bevor sich ihr Zustand wieder verschlechterte konnte seine Frau schon winken, sich die Lippen schminken, und bei der Pflege mithelfen. Sie sprach tonlos einige Worte und kleine Sätze, wie zum Beispiel: hallo, tschüss bis morgen usw. Sie schüttelte bei nein den Kopf und nickte bei ja.

Wir waren uns einig, dass sie alles hörte und alles verstand.

Heute lag meine Patientin wie besprochen im Bett. Sie lag auf dem Rücken, ihre Knie waren gebeugt und nach rechts geneigt, ihr Körper lag etwas zur linken Seite gezogen, ihr Kopf drückte stark nach links in die Kissen, die ihn stützen sollten. Beide Hände ruhten recht locker auf dem Bauch. Mir war die linke Körperseite zugewandt. Und so begann ich nach meinem kurzen Begrüßungs„Hallo“, mit ihrem linken Arm zu üben. Ihr Handgelenk war nach kurzem Bewegen sehr schnell frei, und auch ihre Finger wurden locker. Ihren Ellbogen bewegte ich wieder nur bis zur Bewegungsgrenze. Ihr Schultergelenk ließ sich gut führen und dehnen. Ich legte ihren Arm neben ihren Körper und richtete ihren Kopf in Mittelstellung auf.

Dann versuchte ich mit ihrem linken Bein zu üben. Sehr vorsichtig zog ich beide Beine in die Mittelstellung, und versuchte nun ihre Knie voneinander zu lösen. Ich bat meine Patientin mitzuhelfen. Dass nun freie linke Bein führte ich sehr langsam in leichte Beuge und Streckbewegungen, immer wieder den Spasmus abwartend. Drückte ich das Bein etwas stärker in die Beugung, oder zog es mehr in die Streckung, öffnete meine Patientin ihre Augen. Ich deutete den großen Blick als Schmerz, und stellte ihr Bein wieder zurück. In gleicher Weise übten wir mit ihrer rechten Hand, ihrem Arm und ihrer Schulter. Ihr rechtes Bein ließ sich alleine nicht bewegen. Beim geringsten Beugeversuch drückte sich ihr linkes Bein krampfend gegen ihr rechtes Bein. So nahm ich beide Beine, und versuchte sie ein wenig sanft hin und her zu wiegen. Das Bewegungsausmaß war gering, aber die Krampfbereitschaft ließ ein wenig nach.

Mit ihrem Ehemann besprach ich, meine Patientin gemeinsam aufzurichten, um sie in den Rollstuhl zu setzen. Vorsichtig drehte ich sie auf ihre linke Seite. Langsam richteten wir sie auf und zogen ihre Beine über die Bettkante. Sie saß auf der rechten Gesäßhälfte, ihr linkes Bein war nach innen oben angezogen, ihr Körper war stark nach links gebeugt, und ihr Kopf hing nach links unten. An dieser Haltung korrigierten wir heute noch nichts. Mit einem Spezialgriff, den mir ihr Ehemann zeigte, setzte er meine Patientin in den Rollstuhl. Er passte alle Stützen ein, und wir polsterten alle Druckstellen mit Kissen ab.

Meine Patientin sah müde und erschöpft aus, hatten wir zu viel getan? Nein, nein bestätigte mir ihr Ehemann, das war schon so in Ordnung.

Wenigstens wirkten ihre Arme und ihre Hände entspannt als ich ging.

Auf dem Nachhauseweg nahm ich mir vor, meine Patientin nie alleine in den Rollstuhl zu setzen.

Mittwoch, 8. September 1999

Heute begrüßten mich wieder ihre Eltern. Meine Patientin lag wie am Montag im Bett in Rückenlage, ihre gebeugten Beine leicht nach rechts geneigt, ihr Körper und ihr Kopf waren nach links gezogen, die Hände lagen ziemlich locker auf dem Bauch. Beide Eltern erzählten mir freudig von ihrer Beobachtung, dass die Hände ihrer Tochter sehr viel lockerer geworden sind. Schon morgens, wenn sie kommen, liegen ihre Hände entspannt.

Die Augen meiner Patientin waren geschlossen, als ich mit den gewohnten Bewegungsübungen begann. In unseren kleinen Erholungspausen erkundigte ich mich bei den Eltern nach Hobbys und Lieblingsbeschäftigungen ihrer Tochter. Sie erzählten mir, dass sie sehr, sehr gerne verreist, englisch und französisch spricht, gerne kocht, liest und Rosen mag.

In ihrem Zimmer stehen immer mindestens zwei Rosensträuße, das fiel mir schon auf.

Ihre Mutter zeigte meiner Patientin Bilder mit wunderschönen Blumen. Sie hielt ihrer Tochter Bücher hin, und meinte zu beobachten, dass ihre Tochter den Text lesen kann. Sie hatten ihr auch schon englische und französische Texte gezeigt.

Heute öffneten sich die Augen meiner Patientin während der Behandlung nur für kurze Augenblicke. Ich weiß nicht, ob sie mich gesehen hat.

Mit der Hilfe zweier Schwestern und ihrer Eltern setzten wir sie in den Rollstuhl.

Nachdem sie nach unserem Empfinden bequem saß, verabschiedete ich mich.

Freitag, 10. September 1999

Als ich ins Zimmer eintrat, saß die Mutter meiner Patientin am Bett ihrer Tochter und las ihr vor. Meine Patientin lag auf dem Rücken, ihr Oberkörper und ihr Kopf lagen etwas zur linken Seite geneigt, ihre gebeugten Beine waren wieder nach rechts gezogen.

Ich begrüßte sie mit meinem „Hallo“, sie schaute mich an, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich erkannte.

Während unseres Übungsprogramms, das ich in gewohnter Weise mit ihrer linken Hand begann, konnte ich beobachten, dass meine Patientin heute einen vermehrten Lidschlag hatte.

Ich erzählte ihren Eltern meine Beobachtung. Ihnen war aufgefallen, dass ihre Tochter heute schon sehr lange wach ist. Dann berichteten sie mir, dass sie gestern das schöne Herbstwetter nützend, ihre Tochter im Rollstuhl in der Allee spazieren gefahren haben. Sie hatte sehr interessiert nach den Bäumen geschaut. Vom Spaziergang hatten sie eine Kastanie mitgebracht. Diese Kastanie nahm sie nun ihrem Vater sehr langsam aus der Hand.

Ich begann ihre Beine zu bewegen. Wie ich fand waren sie heute etwas entspannter. Nun half mir der Vater meiner Patientin. Wir nahmen jeder einen ihrer Arme, griffen dann unter ihre Schultern, und richteten sie langsam etwas auf. Zu unserer Freude blieben ihre Beine in Mittelstellung stehen. Langsam über ihre Brustwirbelsäule abrollend, legten wir sie wieder hin. Wir wiederholten diese Übung noch zweimal.

Als sich meine Patientin nach kurzer Pause wieder etwas erholt hatte, gab ich ihr die Kastanie. Wir versuchten dann gemeinsam, die Kastanie von ihrer rechten Hand in ihre linke Hand zu geben. Die Bereitschaft die Bewegung auszuführen war da, aber ein bisschen musste ich schon mithelfen. Meine Patientin behielt die Kastanie in ihrer linken Hand. Ich bettete sie möglichst gerade liegend in Rückenlage. Heute sollte sie etwas ausruhen, bevor sie in den Rollstuhl gesetzt wurde.

Ich wünschte ein angenehmes Wochenende und ging.

Ich spürte, als ich durchs Treppenhaus ging, dass in mir erlebtes Gefühl abklingen musste. So ging ich langsam und atmete tief durch.

Montag, 13. September 1999

Heute war ich beladen und passte kaum durch die Tür, ich hatte einen Physioball mitgenommen. Meine Patientin lag auf dem Rücken mit leicht nach links geneigtem Oberkörper und nach rechts gezogenen Beinen. Ich begrüßte sie, zeigte ihr den großen Ball und legte ihr den Ball auf den Bauch. Ich richtete ihre Beine in Mittelstellung auf und legte zuerst ihren rechten Arm um den Ball, und ließ sie den Ball mit flacher Hand fühlen. Dann versuchten wir auch, ihren linken Arm um den Ball zu legen, was uns aber durch den starken Beugespasmus nicht gelang. So öffnete ich ihre linke Hand und ließ sie den Ball berühren. Ich half meiner Patientin gegen den Ball zu drücken, und ihn an den Körper heranzuziehen. Ich glaube die Größe des Balles nahm sie schon wahr. Dann versuchte ich ihre gebeugten Beine auf den Ball zu legen. Ihre Eltern halfen mir den Ball festzuhalten. Ihr rechtes Bein ließ sich ohne großen Kraftaufwand auf den Ball legen. Ihr linkes Bein wehrte sich mit intensiven Spasmen. Aber geduldig immer wieder die Spasmen abwartend, gelang es uns, auch ihr linkes Bein, zwar etwas stärker gebeugt im Knie, auf den Ball zu legen. Nun begann ich ganz vorsichtig den Ball zu bewegen: zu den Seiten, vor und zurück und auch im Kreis herum. Ihr Becken war leicht mit angehoben und machte die Bewegung mit. Nach kurzer Pause, ich hatte ihre Beine vom Ball genommen, setzten wir meine Patientin an den Bettrand. Ich gab ihr den Ball auf den Schoß. Doch das war keine so gute Idee, denn meine Patientin beugte sich mit dem Brustkorb an den Ball heran, und legte ihren Kopf darauf. Hinter ihr kniend hatte ich einige Mühe, sie wieder zu strecken. Ich versuchte noch den Ball stützend gegen ihren Rücken zu legen. Ich glaube die Dehnung hätte ihr gut getan. Aber ich konnte die Übung nicht so lange hinausziehen, weil ich Angst hatte, dass mir meine Patientin von der Bettkante rutscht. So legten wir sie in Rückenlage und stützten sie mit Kissen ab.

Ich verabschiedete mich und nahm meinen großen Ball wieder mit.

Vielleicht können wir in späterer Zeit auf Matten auf dem Boden üben.

Die Behandlungszeiten vom 15.September bis zum 29. Oktober 1999habe ich zusammengefasst.

In dieser Zeit waren wir immer bemüht die Spastizität in ihren Armen, ihren Beinen und ihrer linken Körperseite zu dehnen und zu lösen. Ich versuchte eine bessere Lagerung ihrer Beine über eine aufblasbare Lagerungsrolle. Zum Training ihrer Hand gab ich meiner Patientin einen Tennisball, den sie gerne festhielt, da sie selbst Tennis gespielt hat. Einmal brachte ich ihr einen dicken Filzstift und einen Block mit. Vielleicht konnte sie malen oder schreiben, was sie bewegt. Anfang Oktober sagte mir die behandelnde Ärztin am Telefon, dass sie gerne die Medikamente gegen die Spastik reduzieren möchte. Ich sollte beobachten, ob sich die Spastik wieder verschlechtert. Sie tat es nicht. Mitte Oktober brachte ich am Galgen über ihrem Bett einen Haltegriff an. Diesen Griff lernte sie schnell zu fassen und erreichte ihn mit ihrer rechten Hand ganz allein.

An einem Übungstag haben ihre Eltern und ich sehr laut gelacht. Mir war eine Steinperlenkette, die ich unter dem Pulli trug, gerissen. Die Perlen klickerten zunächst auf den metallenen Bettrahmen und rollten dann auf dem PVCBoden in alle Richtungen. Zu dritt krabbelten wir auf dem Boden, um die Perlen wieder einzusammeln. Zwischendurch richtete ich mich auf und schilderte meiner Patientin unser Tun. Ich glaube, es war das erste Mal, dass in diesem Krankenzimmer herzlich laut gelacht wurde. Denn sonst hatten wir uns immer möglichst leise bewegt, um ja keine weiteren Spasmen bei meiner Patientin auszulösen. Doch wahrscheinlich hatte auch sie Spaß an der komischen Situation, denn ihre Muskeln blieben ruhig.

Gegen Ende Oktober drückte sie mir zum ersten Mal die Hand und zog meinen Arm zur rechten Seite hinüber. Sie konnte ihre Lippen und ihren Mund bewegen und ohne Stimme „Hallo“ sagen. Bei schönem Herbstwetter schoben ihre Eltern ihre Tochter im Rollstuhl durch die Stadt, um ihr möglichst viele natürliche Eindrücke anzubieten. Von einem dieser Spaziergänge brachten sie einen Glücksstein mit, den sich ihre Tochter selbst aus einem Körbchen herausgesucht hatte.

Ihr Vater gab ihr Früchte aus dem Garten in die Hand und ließ sie daran riechen. Ihre Mutti erzählte ihr Episoden aus Kindheitstagen. Wenn es sich in die Behandlung einbauen ließ, sang ich ihr Kinderlieder vor.

Hiermit endet meine Zusammenfassung. Alle weiteren Übungszeiten habe ich wieder täglich aufgeschrieben, um den erhofften Fortschritt meiner Patientin genauer zu erfassen.

Montag, 1. November (Allerheiligen) 1999

Heute waren die Mutter meiner Patientin da und ihre Schwerster. Meine Patientin lag von der Herbstsonne beschienen im Bett. Sie schien mir sehr müde zu sein. Sie ist heute gebadet worden, erzählte mir ihre Mutter, und war kaum wach zu bekommen.

Ich begann mit dem meiner Patientin nun schon bekannten Programm. Um mit beiden Armen gemeinsam zu üben, hatte ich heute einen kleinen Stab mitgebracht. Ich zeigte ihr den Stab, und bat sie mir den Stab mit ihrer rechten Hand abzunehmen. Sie führte die Bewegung sehr langsam aus. Ihrer linken Hand half ich, den Stab zu ergreifen. Nun hoben wir den Stab gemeinsam in verschiedene Richtungen an. Wir kreisten auch vor –und rückwärts. Sie zeigte ihrer Schwester noch, wie sie einen Tennisball zwischen ihre Beine klemmen konnte, und führte ihre rechte Hand zur linken Schulter. Ihre Augen waren ab und zu geöffnet, sie sahen etwas verschwommen aus, waren das Tränen? So hatte ich die Augen meiner Patientin noch nicht gesehen. Ich behielt meine Beobachtung für mich und war mir sicher, dass sie traurig war. Neben ihrem Bett pulsierte das Leben, und sie lag still ohne jede Regung. Besonders heute, wo ihre Schwester da war.

Nachdem ich noch ihren Brustkorb gegen ihr Becken in Seitlage gedehnt hatte, setzte ich meine Patientin an der Bettkante auf. Ich kniete mich hinter sie aufs Bett, lehnte ihren Rücken gegen meinen Körper und nahm beide Hände unter ihr Kinn, um ihren Kopf vorsichtig anzuheben. Wir spürten und sahen, wie diese Position meiner Patientin gut tat. Wie sie selber versuchte, sich gerade zu strecken, und sich mit beiden Fäusten neben dem Körper abstützte. Für kurze Augenblicke konnte sie beide Gesäßhälften belasten und ihren Kopf alleine halten. Sie konnte uns aber mit keiner Gestik sagen, ob ihr wirklich diese Haltung gefiel. Das kommt noch, sagte ihre Mutter, wir haben Geduld. Ich legte meine Patientin wieder möglichst entspannt zurück, sagte ihr „tschüß“ und verabschiedete mich von ihrer Mutter und ihrer Schwester.

Auf der Heimfahrt, es war ein untypischer 1.November 13° warm mit herrlichem Sonnenschein wünschte ich mir meine Geduld, die ich besaß, nicht endlos einsetzen zu müssen.

Mittwoch, 3. November 1999

Heute waren beide Eltern da. Sie erzählten mir, dass ihre Tochter gestern sehr müde war, sie hielt fast den ganzen Tag die Augen geschlossen. Aber heute ist sie vom Morgen an wach. Zur Begrüßung drückte sie ganz leicht meine Hand.

Den Tennisball, den sie in ihrer linken Hand hielt, wechselten wir gemeinsam in ihre rechte Hand. Dann begann ich mit dem Bewegen ihrer linken Hand. Die Bewegungshemmung in ihrem linken Ellbogen gab nur langsam etwas nach. Ihre Schulter und ihr Handgelenk waren recht frei beweglich. Ein selbständiges, wenn auch nur geringes Beugen und Strecken der Finger war nicht möglich. Auch spürte ich keinen Handdruck. Den kleinen Stab, den ich ihr gab, hielt sie fest. Ihr linkes Bein ließ sich wieder nur mit großer Mühe strecken. Immer wieder den einschießenden Spasmus abklingen lassend, zog ich ihr Bein über die Bettkante. Ganz langsam holte ich ihr rechtes Bein dazu. In der Hoffnung beide Beine bleiben nun in der günstigen Streckstellung für die Hüften, richtete ich meine Patientin vom Kopf und Oberkörper gerade, und begann mit ihrem rechten Arm zu üben. Wir berührten mit dem Tennisball, den sie in der rechten Hand hielt, ihre linke Schulter und anschließend tippten wir mit ihrem Ellbogen neben dem Körper auf das Bett. Diese Bewegung versuchte ich rhythmisch zu führen. Dann bat ich sie, ganz allein den Tennisball durch den Haltegriff vom Galgen über dem Bett zu schubsen. Meine Patientin hatte heute Schwierigkeiten, ihren rechten Arm von der Unterlage zu lösen. Half ich etwas nach, hob sie ihren Arm in Zeitlupe an den Griff heran. Beim Ball loslassen half ich mit.

Dann setzte ich meine Patientin wieder an die Bettkante und lehnte ihren Rücken an meinen Körper. Ich nahm ihren Kopf in meine Hände, und begann sie langsam gegen mich gelehnt aufzurichten. Sie stützte sich mit ihrer linken Hand ab. Sie saß fest auf der rechten Seite und konnte sich nur sehr langsam auf beide Gesäßhälften setzen. Für Sekunden ließ ich ihren Kopf los, und sie konnte ihn kurz halten.

Nun legte ich meine Patientin wieder auf den Rücken zurück und richtete ihre gebeugten Beine in Mittelstellung auf. Sie sah müde aus, sie hielt ihre Augen geschlossen, und ich hoffte, dass sie sich in dieser Lage wohl fühlte.

Wie immer, wenn ich fort ging beschäftigten sich meine Gedanken mit dem Erlebten. Wie war es möglich, dass Bewegungen, die schon recht gut bewusst erlebt wurden, ein andermal nicht aktiviert werden konnten. Hatte ich meine Erwartungen in sie zu hoch geschraubt? Ich könnte sie zurücknehmen, auch wenn es mir und ihren Eltern schwer fiel, ihren Zustand zu begreifen.

Ich nahm mir vor, langsam weiter so zu üben. Altes zu wiederholen, und neue Übungen einzubauen. Ich wollte meiner Patientin Zeit lassen, und meine Forderungen an sie gezielt dosieren.

Freitag, 5. November 1999

Heute war ich zunächst allein mit meiner Patientin. Sie lag auf der linken Seite sehr entspannt. Eigentlich mochte ich sie gar nicht berühren.

Doch ich musste ja beginnen, und so nahm ich ihre linke Hand und führte sie wieder in alle Bewegungsrichtungen. Dann bat ich sie, die Übungen ihres linken Armes mit ihrem rechten Arm zu unterstützen. Ich half ihrer rechten Hand zunächst an ihren linken Ellbogen, und dann ans Handgelenk zu fassen, um ihren linken Arm nach oben zur Seite und nach vorne zu bewegen.

Als ich mit den Beinen meiner Patientin zu üben begann, kam ihr Ehemann. Nachdem ich ihre Beine in Mittelstellung aufgestellt hatte, versuchte ich ihr linkes Bein zu strecken. Nur ganz langsam gab es in Hüft und Kniegelenk nach. Mit Hilfe ihres Ehemanns, der ein Bein fixierte, versuchte ich ihre Beine gegeneinander zu bewegen. Ihr rechtes Bein ließ sich sogar ein wenig in der Hüfte kreisen.

Anschließend drehte ich meine Patientin auf die rechte Seite, um wieder ihr Becken gegen ihren Brustkorb leicht zu dehnen. Mit einem sogenannten Atemhilfsgriff hoffte ich auf eine SpontanAtmung. Ein tiefes Durchatmen beobachtete ich häufig bei entspannenden Dehnungen. Desgleichen übten wir, als meine Patientin auf der linken Seite lag.

Dann setzte ich meine Patientin wieder an der Bettkante auf. Auf dem Bett hinter ihr kniend, zog ich ihren Rücken gegen meinen Körper. Ihr Ehemann, vor ihr stehend, gab ihr liebevollen Schutz und Sicherheit. Den durch die veränderte Körperhaltung aufgetretenen Spasmus warteten wir ab, und versuchten sie langsam an eine „normale“ Sitzhaltung zu gewöhnen. Wir hatten das Gefühl, dass ihr das Strecken gefiel.

Zum Ausruhen legten wir meine Patientin in Rückenlage. Später wollte ihr Ehemann sie in den Rollstuhl setzen.

Ich sagte „tschüss“ und machte mich auf den Weg zu meinem nächsten Patienten.

Ihr Ehemann erzählte mir, dass er beinahe meinte mit dem Üben seiner Frau im „Standing“ aufhören zu müssen. Er hatte Schwierigkeiten seine Frau in den Apparat zu stellen. Nach kurzer Zeit fing sie so an zu zittern, dass er das Üben im „Standing“ abbrach. Nach zwei Tagen Pause und einem weiteren Stehversuch, konnte er das Üben wieder auf die gewohnte Zeit ausdehnen.

Montag, 8.November 1999

Als ich heute ins Krankenzimmer kam, waren beide Eltern beschäftigt. Sie legten ihrer Tochter eine neue Unterlage ins Bett. Während ich meine Jacke auszog, schaute ich auf meine Patientin. Ihre rechte Hand sah verändert aus, sie war nicht so locker wie an den vergangenen Tagen. Im gleichen Augenblick meinte ihre Mutter, ich soll mir doch einmal ihren rechten Daumen ansehen. Und in der Tat ihr Daumen war stark im Endglied gebeugt. Wie gewohnt begann ich mit ihrer linken Hand zu üben. Anfangs waren die Finger fast überstreckt. Ich brauchte jedoch wenig Mühe, ihr Handgelenk und ihre Finger frei zu bekommen. Ihr Ellbogen ließ sich nur gering strecken, auch ihre Schulter gab beim Bewegen nur wenig nach. Meine Patientin war wach und schaute mich an. Ich hatte das Gefühl, dass ihr Blick mir heute etwas sagen wollte. Ihr Gesicht sah ein wenig verspannt aus. Ihre Unterlippe war fest in den Mund eingezogen. Ich hatte Sorge, dass sie sich auf ihre Lippe beißt. Ich beobachtete das Gesicht meiner Patientin sehr genau, während ich ihre rechte Hand zu bewegen begann. Sie war sehr verkrampft und ließ sich nicht befriedigend lösen. Auch ihr rechter Ellbogen und ihre Schulter zeigten Bewegungseinschränkungen. Jetzt sprach mich die Mutter meiner Patientin an, wie ich es mir erklären würde, dass kleine Aufgaben, die ihre Tochter schon ausführen konnte, heute nun gar nicht möglich waren. Sie meinte ihre Tochter würde resignieren. Sie sagte es fragend. Ich wollte vor meiner Patientin nicht so deutlich antworten, und sagte, ich finde das Wort „resignieren“, zu hart. Vielleicht macht meine Patientin nur eine Erholungspause, weil sie spürt, dass sie heute unsere Forderungen nicht erfüllen kann.

Mir selbst war bei den ersten Übungen aufgefallen, dass irgendetwas anders war. Ich hatte das Gefühl, dass meine Patientin viel weiter weg war als sonst. Es fehlte mir die leichte Spannung, die sich zwischen uns schon aufgebaut hatte. Heute ließ sie es mit sich geschehen.

Ich bewegte wie immer ihre Beine. Ich sprach ihr Mut zu, weil ich fühlte, dass ihre Beine weniger Widerstand gaben als sonst.

Und doch war etwas anders. Es war der Blick. Es waren immer wieder die Augen, die mich gezielt anschauten. Auf einmal glaubte ich zu verstehen was sie meinte. Die Verspannungen kamen vom Gesicht und Nackenbereich. Ich massierte leicht ihr Kiefergelenk und ihre Nackenmuskulatur. Ich griff um ihre Schultern, hob den Schultergürtel etwas an, und bat sie ihren Kopf nach hinten hängen zu lassen. Nach zwei Wiederholungen konnten wir sehen, dass sich ihr Mund entspannte.

Ich legte meine Patientin auf ihre linke Seite. Sie schloss ihre Augen, das Ausruhen wird ihr nun sicher gut tun.

Beim Verabschieden tröstete ich ihre Eltern, dass es immer Zeiten geben wird, zu denen dieses oder jenes besser gehen wird. Wir werden alle versuchen ihrer Tochter zu helfen, und auf alle Zeichen achten, die sie uns gibt.

Als ich zur Tür hinaus ging hoffte ich, dass sie meine Worte verstanden hatte.

Mittwoch, 10. November 1999

Ich spürte die Spannung in mir, als ich die Türklinke zum Krankenzimmer meiner Patientin herunter drückte. Wie mag es ihr heute gehen? Ihre Mutter stand am Bett, sie drehte sich zu mir um, und sie lächelte. Sie glaubte heute ginge es ihrer Tochter besser. Jedenfalls hat sie seit zehn Uhr morgens die Augen auf, und sie hat schon zwei Löffel Avocado gelutscht und auch gut geschluckt. Auch der Logopäde war mit dem Ergebnis seiner Behandlung sehr zufrieden. Nun hatte meine Patientin eine Stunde geschlafen, und ich konnte sehr zuversichtlich mit meinem Behandlungsprogramm beginnen. Heute nahm ich zuerst ihre rechte Hand. Sie war wieder locker zu bewegen, das gleiche fühlte ich beim Ellbogen und ihrer Schulter. Da der Ergotherapeut zurzeit besonders mit den Händen übte, konzentrierte ich mich auf das Üben mit ihren Beinen. Ihr linkes Bein ließ sich, ohne mit einem Spasmus zu reagieren berühren. Ich konnte es leichter ein wenig beugen und strecken. Ihr rechtes Bein blieb ruhig gebeugt stehen, während ich versuchte ihr linkes Bein in der Hüfte zu kreisen. Ich konnte den Kreis nur andeuten, der spastische Widerstand war zu groß. Dennoch freuten wir uns über jeden kleinen Übungserfolg. Ich führte ihr rechtes Bein in die gleichen Bewegungsrichtungen, konnte es aber nicht in der Hüfte kreisen, ohne das linke Bein zu fixieren. Hierbei half mir die Mutter meiner Patientin. Dann hob ich ihre Beine gemeinsam an ihren Bauch. Diese Bewegung ging weich und leicht. Ich bat meine Patientin ihre Beine mit zu halten. Ihr linker Arm war im Ellbogen zu stark gebeugt und konnte die Beine nicht erreichen. Ich half ihrer rechten Hand aus der anfänglichen Bewegungshemmung heraus. Meine Patientin schob ihren Arm ganz allein nach vorn und berührte ihr rechtes Bein mit leichter Fauststellung ihrer Hand. Ich schob meinen linken Arm unter ihre Schultern, sie hob allein ein wenig ihren Kopf an, und gemeinsam begannen wir ganz wenig auf dem Rücken zu schaukeln. Nach kurzer Ruhepause wiederholten wir die Übung und steigerten etwas das Tempo. Beide Eltern meinten, dass das Schaukeln ihrer Wirbelsäule gut tun müsse nach über zehn Monaten unbeweglichem Liegen, und fast immer auf dem Rücken. Wieder nach kurzer Pause, setzte ich meine Patientin an den Bettrand. Heute kippte sie zum ersten Mal nicht auf die linke Seite. Sie saß fast gleichmäßig auf beiden Gesäßhälften. Wir erzählten ihr von diesem Erfolg und sprachen ihr lobend Mut zu. Hinter ihr kniend und ihren Kopf haltend, zog ich ihren Rücken gegen mich hoch. Ich hatte das Gefühl nun half sie mit, und die Spannung des Verstehens zwischen uns war wieder fühlbar.

Wir betteten sie auf ihre linke Seite, lagerten hier und dort Kissen gegen sie, um ihr ein entspanntes Ausruhen zu ermöglichen.

Nach meinem „tschüss“ bis übermorgen, ging ich ganz zufrieden fort.

Meine Gedanken ließen mich jedoch nicht los. Wann wird es sein, dass sich meine Patientin wieder selbst bewegen kann, um sich allein aus einer Lage zu befreien, die ihr unbequem geworden ist? Wird sie es jemals können?

Freitag, 12.November 1999

Heute lag meine Patientin, als ich ins Zimmer eintrat auf ihrer linken Seite. Sie hatte ihre Augen auf und wirkte recht entspannt. Die Herbstsonne schien auf ihr Bett, eine Kassette mit wunderschöner Musik war eingeschaltet und auf dem Nachttisch standen Rosen, die Lieblingsblumen meiner Patientin. Die Stimmung war behaglich und hatte kaum etwas mit einem Krankenzimmer gemein.

Ich begann mit ihrer linken Hand, die heute verkrampft war, zu üben. Ich konnte sie etwas öffnen und gab ihr den Tennisball in ihre Hand. Dann sagte ich ihr, dass ich nun mit ihren Beinen beginnen werde. Ich drehte meine Patientin auf den Rücken, und stellte ihre Beine auf. Die Spreizbewegung ging heute etwas schwerer, alle anderen Bewegungsrichtungen ließen sich ähnlich führen, wie am vergangenen Behandlungstag. Auch das leichte Schaukeln auf dem Rücken war möglich.

Heute bat ich meine Patientin, zum Haltegriff am Galgen über dem Bett zu greifen. Nach einer kleinen Bewegungshilfe konnte sie ihren rechten Arm nach oben ausstrecken und alleine den Griff fassen. Ihrer linken Hand half ich zum Griff hinauf und ihre Schultern unterstützend, zogen wir zusammen ihren Brustkorb hoch. Ihren Kopf konnte sie alleine halten und bis zu den Händen ziehen. Wir waren gerade wieder beim Zurücklegen, als ihr Ehemann kam. Nach kurzer Pause führten wir ihm das Hochziehen zum Griff noch einmal vor.

Gemeinsam übten wir dann das Sitzen am Bettrand. Sie saß recht schnell auf beiden Gesäßhälften, und hielt ihren Kopf ein wenig aufrecht.

Nun erzählte mir der Ehemann meiner Patientin, dass seine Frau gestern so einen guten Tag gehabt hat. Er hatte mit ihr im Standing geübt. Mit ihrer rechten Hand hatte sie, auf sein Bitten, allein die Handbremse gelöst. Sie hatte weiter mitgeholfen beim Bewegen des Rades zur Vorwärtsbewegung, und sie hatte ihm die Sprudelflasche gegeben.

Dann hatte er seine Frau gefragt, ob sie Schmerzen habe. Mit einem Filzstift hat sie auf einen Bogen Papier „ja“ geschrieben. Auf seine Frage mit dem Standing aufzuhören, schrieb sie „nein“. Zum kurzen Ausruhen legten wir sie zurück. Später sollte sie noch in den Rollstuhl.

Ich nahm ihre rechte Hand sagte „tschüss“ und bekam heute einen leichten Händedruck.

Als ich schon an der Tür war, sagte ihr Ehemann wink doch mal Frau Dreher zu, sie tat es. Es war das erste Winken für mich. Beschwingt verließ ich das Heim.

Montag, 15. November 1999

Heute waren wieder beide Eltern da. Meine Patientin lag wunderschön gebettet in Rückenlage, ihr Mund war etwas geöffnet, sie wirkte sehr entspannt. Während ich mich umzog, erkundigte ich mich bei ihren Eltern nach Hobbys ihrer Tochter. Machte sie gerne Handarbeiten? Nein eigentlich nicht, was sie wirklich gerne gemacht hat, war Kochen und Backen. Sie hat herrliche Kuchen gebacken erzählte mir ihr Vater. Sie selbst hat immer nur ein kleines Stückchen gegessen und sich gefreut, wenn es allen geschmeckt hat. Heute Morgen war der Logopäde da, er meinte, sie könnten ihrer Tochter ruhig etwas zu essen geben, erzählte mir ihre Mutter. Das meinte ich auch. Wir einigten uns auf eine Laugenstange die sie gerne isst. Ich bin gespannt, ob meine Patientin die Laugenstange selbst zum Mund führt.

Ich begann mit ihren Händen und ihren Armen zu üben. Ich bewegte sie jedoch nur wenig, weil am Nachmittag der Ergotherapeut kommen sollte, der das Armprogramm intensiv üben wollte. Ich wandte mich ihren Beinen zu. Sie waren verspannt, ließen sich aber recht gut bewegen. Was mir heute nicht gefiel, war die Spannung der Muskulatur auf ihrer linken Körperseite, mit starker Neigung des Brustkorbes nach links. Auch Dehnungen brachten nicht den erwünschten Erfolg. Wir übten noch das Hochziehen am Griff, der vom Galgen über dem Bett hing. Wir schafften die Übung zweimal. Mit dem Sitz am Bettrand beendeten wir unser heutiges Programm.

Ich kniete wieder hinter meiner Patientin auf dem Bett und hob ihren Kopf und ihren Rücken gegen mich, um sie zu strecken. Dann hielt ich ihre Fäuste, mit denen sich meine Patientin auf dem Bett abstütze fest, und ließ sie ein wenig frei sitzen. ihren Kopf konnte sie nicht lange halten, er sank gegen das Brustbein nach vorne, aber nicht wie früher zur Seite. Vom Rücken her konnte sie sich schon recht gut halten, sie sank nur gering nach links hinüber. Wieder zurückgelegt und entspannt auf Kissen gelagert, schien meine Patientin sehr müde zu sein. Sie hielt ihre Augen geschlossen und schien schon zu schlafen, als ich ging.

Eine Frage beschäftigte mich noch. Ich erkundigte mich bei ihrer Mutter, ob sie beobachtet hatte, dass ihre Tochter Dinge mit ihren Augen verfolgt. Sie bejahte meine Frage. Als sie ihrer Tochter die Uhrzeit von der Wanduhr, die im Zimmer hing sagte, schaute sie mit ihren Augen auf die Uhr, ohne ihren Kopf zu drehen.

Heute hatten wir meine Patientin sehr gelobt, und ich versprach ihr eine Goldmedaille für die erste selbständig ausgeführte Bewegung.

Mittwoch, 17. November 1999

Meine Patientin war wach und lag auf dem Rücken, ihre gebeugten Beine waren etwas nach rechts gesunken. Gespannt erkundigte ich mich bei ihren Eltern, wie ihrer Tochter die Laugenstange geschmeckt hat. Sie hat sie in die Hand genommen, aber nicht zum Mund geführt, wurde mir berichtet. Aber einen ganzen geriebenen Apfel hat sie angenommen und geschluckt. Auch ein wenig Kürbissuppe hat ihr geschmeckt. Ihre Eltern versuchen jetzt jeden Tag ihrer Tochter kleine Portionen ihrer Lieblingsspeisen anzubieten.

Wir begannen mit unserem Übungsprogramm. Ihre Hände waren heute recht locker, und so bewegte ich beide Schultern meiner Patientin in alle möglichen Bewegungsrichtungen. Dann versuchte ich ihre Beine zu strecken. Das ging heute auch recht gut. Ihr rechtes Bein blieb fast gestreckt, als ich mit ihrem linken Bein übte. Nur ließ sich ihr rechtes Bein nicht alleine beugen, da machte ihr linkes Bein die Beugung mit. Als ich ihre beiden Beine an ihren Bauch herangebeugt hatte, bat ich meine Patientin mit ihrer rechten Hand ein Knie zu umfassen. Sie wählte das rechte Knie, und wir ertasteten beide zusammen das Knie in seinem anatomischen Aufbau. Dann bat ich sie, mit ihrer Hand am Oberschenkel hinab zu gleiten. Da ihre linke Körperseite wieder ziemlich eingezogen war, drehte ich meine Patientin auf ihre rechte Seite zu mir herüber. Ich zog ihre gebeugten Beine etwas an ihren Bauch heran und hob vorsichtig dehnend ihren linken Arm nach oben. Nun sah ich zum ersten Mal, wie meine Patientin ihre Stirn runzelte. Das hat sie schon ein paar Mal getan, meinten ihre Eltern, aber wir wussten es nicht zu deuten, was sie damit sagen wollte. Ich dachte die Dehnung hat ihr wehgetan, und so machten wir eine kurze Pause. Wir versuchten die Übung ein zweites Mal, hoben aber ihren Arm weniger weit nach oben an. Jetzt blieb ihr Gesicht regungslos. Ich drehte meine Patientin wieder auf den Rücken zurück. Heute wollte ich noch etwas anderes ausprobieren: das Aufrichten ihres Oberkörpers mit dem Halt an mir. Ich schob meine Hände unter ihre Schultern und bat sie, ihre Arme um meinen Nacken zu legen. Sie öffnete kurz und groß ihre Augen und Erstaunen war darin zu sehen, vielleicht wollte sie auch die Entfernung anschauen, um zu wissen, wie weit sie ihre Arme strecken musste. Ihre Augen gingen wieder zu, und ihre Arme bewegten sich langsam, um sich um meinen Nacken zu schieben. Als ich ein wenig Halt spürte, hob ich ihre Schultern etwas von der Unterlage ab. Ihren Kopf hielt meine Patientin alleine. Nach einem kurzen Augenblick glitt ihr linker Arm von meinem Nacken herab, doch mit ihrem rechten Arm konnte sich meine Patientin weiter festhalten.

Mit diesem kleinen Übungserfolg beendeten wir unseren Übungstag. Auf ihre linke Seite gedreht und stützend gebettet, schlief sie auch gleich ein.

Freitag, 19.November 1999

Heute hatte meine Patientin ihre Augen auf. Sie lag auf dem Rücken und nach meinem kurzen „Hallo“ da bin ich wieder ihre Krankengymnastin, begannen wir zu üben. Da ihre Hände, ihre Arme und ihre Schultern sich recht leicht bewegen ließen, wandte ich mich ihren Beinen zu. Ich war erstaunt, wie leicht sich heute ihr rechtes Bein strecken ließ. Auch ihr linkes Bein folgte der Streckung ein wenig. Ich versuchte ihr linkes Bein sehr vorsichtig weiter in die Streckung zu dehnen. Beide Beine glitten langsam zur Bettkante, und ich beschloss, meine Patientin heute sogleich aufzusetzen. Sie half etwas mit, und ich spürte, dass ihr das Sitzen schon zu einer vertrauten Haltung geworden war. Nachdem ich meine Patientin aufgerichtet hatte, hielt ich sie heute nur an ihren Armen fest, ja für einen ganz kurzen Moment ließ ich sie auch los. Noch konnte sie sich nicht ausbalancieren, doch ihre Sitzhaltung gab mir Gewissheit zu sagen, dass ich sie bald zum Stehen bringen wollte. Zunächst waren ihre Eltern erstaunt, begrüßten aber meinen Mut. Ich wollte mit meiner Patientin alles üben, was ihr den Rückweg in ein bewusstes Leben leichter macht. Und das sagte ich ihr auch. Ich legte sie auf ihren Rücken zurück und ließ sie etwas ausruhen.

Dann zeigte ich ihr mein Wirbelsäulenbuch, das ich beim Urban & Fischer Verlag veröffentlicht habe. Ich schlug eine Seite mit zwei Fotos auf, wo ich zwei unterschiedliche Übungen zeige. Ich bat meine Patientin die Fotos anzuschauen, und auf die Übung zu zeigen, die ich mit ihr schon gemacht habe. Sie öffnete ihre Augen, und ich konnte beobachten, wie genau sie die Fotos ansah. Ihr rechtes Auge leuchtete für den Bruchteil einer Sekunde auf. Hatte sie mich auf dem Foto erkannt? Heute bekamen wir noch keine Antwort auf meine Fragen. Ihre Augen blieben geschlossen, und ihr rechter Arm ruhte auf ihrem Bauch. Vielleicht ein anderes Mal.

Auf dem Heimweg dachte ich nach, wie ich mich verhalten könnte, oder was ich tun müsste, um von meiner Patientin ein Zeichen oder eine Gestik des Verstehens zu bekommen. Dass sie sich mitteilen wollte, war mir klar bewusst, nur wo war die Schwelle über die wir ihr helfen müssen?

Montag, 22. November 1999

Heute war es das erste Mal so richtig winterlich draußen. Es schneite, und ich kam trotz Handschuhen mit kalten Händen im Zimmer meiner Patientin an. Während ich mich umzog und meine Hände unter warmes Wasser hielt, erzählte mir die Mutter meiner Patientin, dass ihre Tochter heute immer nur für kurze Zeit wach ist, und dann wieder schläft. Der Logopäde, der sie vormittags behandelt hatte, konnte nur wenig mit ihr üben, sie hat ihre Augen zugemacht und sich in ihre Welt zurückgezogen.

Vielleicht hing diese Müdigkeit ja mit einem Erlebnis zusammen, das ihre Tochter am Wochenende hatte. Bei der Pflege hatte eine Schwester aus Versehen den Schlauch der Magensonde für die Nahrungszufuhr etwas abgeschnitten. Viele Schwestern standen ums Bett herum berieten sich, und riefen die behandelnde Ärztin, um zu entscheiden, ob eine Krankenhauseinweisung nötig war. Ihre Eltern erzählten mir, sie glaubten ihre Tochter hatte Angst. Sie zeigte diese Angst mit vielen Zuckungen im Gesicht. Den ganzen Tag über war ihr Gesicht unruhig, so dass ihre Eltern sie abends gar nicht gerne alleine lassen wollten.

Am Sonntag gab es dann doch noch ein schönes Erlebnis. Ihr Schwiegersohn betreute seine Frau und gegen Nachmittag erhielten sie einen Anruf von ihm. Er sagte, den Rollstuhl könnten sie jetzt zur Seite stellen, er hatte seine Frau in den Sessel gesetzt, und sie schien sich wohl zu fühlen.

Als ich meine Patientin mit nun warmen Händen begrüßte, sah ich gleich, dass sie verspannter war als sonst. Ihre Unterlippe war eingezogen, ihre Zähne berührten ihre Lippe, ich sah jedoch keine Abdrücke von den Zähnen auf der Haut, ihr Kinn war hart verspannt. Ich tröstete sie indem ich sagte, dass wir so eine Verspannung doch schon einmal gelöst haben. Ich griff mit beiden Händen unter ihre Schultern und zog ihren Brustkorb etwas hoch. Ich bat meine Patientin so gut es geht, ihren Kopf hängen zu lassen. Es war kaum möglich, ihre Nackenmuskulatur war zu verspannt. Ich strich ein paar Mal ganz sanft darüber hinweg, und versuchte meine Patientin mit Erlebnissen aus der Praxis, die ich ihr erzählte, abzulenken. Ihre Beine ließen sich wieder recht gut strecken. Ich stand heute an der anderen Bettseite und versuchte ihre Beine zur rechten Seite über die Bettkante zu dehnen. Auf einmal hatte ich das Gefühl meine Patientin wollte sich aufrichten. Sie streckte mir etwas ihren rechten Arm entgegen, ich griff unter ihre rechte Schulter und ganz leicht kam sie hoch zum Sitz. Ich hatte noch immer den Arm um sie gelegt und bat sie nun ihren Kopf an meine Schulter zu stützen, und schob ihren rechten Arm um mich herum. Sie tat es. Ein unbeschreiblich wundersames Gefühl durchströmte mich, meine Patientin schenkte mir ihr ganzes Vertrauen, und ich hoffte, sie konnte etwas von meiner Kraft spüren, mit der ich ihr helfen wollte. Beide Eltern schauten uns wortlos zu. Ganz langsam löste ich die Haltung auf, um meine Patientin noch vom Rücken her zu strecken. Anschließend legte ich sie wieder zurück auf den Rücken, und begann noch vorsichtig ihre Beine zu dehnen. Zum Ausruhen legten wir meine Patientin auf ihre linke Seite. Stützend mit Kissen gelagert, schauten wir sie an, ihr Gesicht war ganz entspannt, ihre Unterlippe war gelöst, ihr Mund ohne Druck leicht geschlossen. „Ich freue mich“, sagte ihre Mutter zu mir, „dass sie nun mit diesem Erfolgserlebnis gehen können“.

Als ich das Haus verließ, übersah ich eine Heimbewohnerin, die mir zurief: auf Wiedersehen, das wird man doch wohl noch sagen können...Sie konnte ja nicht wissen, wo ich mit meinen Gedanken war.

Mittwoch, 24. November 1999

Meine Patientin war allein, leise Musik war eingeschaltet. Zur Begrüßung öffnete sie ihre Augen, sie wirkte entspannt. Nach kurzem Bewegen waren ihre Hände und ihre Arme recht locker, und so begann ich mit ihren Beinen zu üben. Ihr linkes Bein reagierte wieder sehr empfindlich auf Berührung. Der Spasmus zog ihren Fuß und ihr Knie in die Beugung, und ihre Hüfte in Beugung und Adduktion. Doch hielt der Krampf nicht mehr so lange an und war auch nicht so heftig wie noch vor zwei Monaten. Ihr rechtes Bein blieb in leichter Streckung, es ließ sich beugen und ein wenig in der Hüfte kreisen. Heute war es möglich, ihren rechten Fuß zu bewegen. Ich erzählte meiner Patientin wie wichtig die Fußübungen sind, da ich sie doch bald zum Stehen bringen wollte. Ihr Ehemann kam gerade dazu, als wir das „Päckchen“ übten: nämlich ihre Beine in Knien und Hüften gebeugt zum Bauch heranziehen und mit ihrem Gesäß etwas abrollen. Gemeinsam setzten wir meine Patientin am Bettrand auf. Wir brauchten einige Zeit, bis der Spasmus auch in der Rumpfmuskulatur nachließ, und wir meine Patientin einigermaßen stabil hinsetzen konnten. Ich hielt sie vom Rücken her am Becken fest. Ihr Ehemann hatte sie an sich gelehnt und bewegte wiegend ihren Oberkörper in die möglichen Bewegungsrichtungen hinein. Dann legten wir meine Patientin zum Ausruhen auf den Rücken.

Wir besprachen noch das Aufstehen meiner Patientin in den Stand, das wir gemeinsam versuchen wollten. Ihr Ehemann überließ mir die Entscheidung, den Zeitpunkt für diesen Versuch zu bestimmen.

Freitag, 26. November 1999

Als ich heute das Zimmer meiner Patientin betrat, begrüßten mich ihre Eltern ernst und besorgt. Ohne etwas zu sagen wies ihr Blick zum Bett hinüber. Was ich sah berührte mich sehr. Meine Patientin lag verkrampft auf ihre linke Seite gezogen, wie schon lange nicht mehr. Ihre Arme, ihre Beine und ihr Gesicht waren spastisch verzogen. Ihre Augen blieben auch zur Begrüßung geschlossen. Ich sprach ganz ruhig und bat sie ihre Gedanken in die Muskeln zu schicken, die ich gerade versuchte zu dehnen, um alle Verspannungen mit ihrem Willen mit zu lösen. Ich spürte sehr schnell ihre Mithilfe, aber schon beim geringsten Nachlassen der Dehnung schossen die Spasmen in Bein und Rumpfmuskeln wieder ein. Kam da das Wort „ratlos“ in meinen Sinn? Ich schob es schnell beiseite. Resignieren gab es nicht. Sicher war wieder einmal das Wetter an allem Schuld.

Mit neuem Mut griff ich mit meinem linken Arm unter die Schulter meiner Patientin, fixierte ihre Beine und begann ihren Brustkorb auf der linken Seite zu dehnen, indem ich sie in meinem Arm zu mir herüber zog. Als ich fühlte, dass die Spannung nachließ, begann ich ein paar Mal schwingend ihren Oberkörper zu bewegen. Ich legte sie auf den Rücken zurück. Sie blieb auch liegen, als ich meinen Arm zurückzog. Ich atmete tief, und wir gönnten uns eine kleine Pause. Ich wiederholte die Übung noch ein weiteres Mal, und als ich dann meine Patientin wieder zurücklegte, blieb sie mit ihrem Oberkörper gerade auf dem Rücken liegen. Gemeinsam drehten wir noch ihren Kopf zur Mitte, und ich schob ein Kissen als Stütze an ihre linke Kopfseite.

Heute hatte ich eigentlich nur ein Ziel, die Spasmen so gut es ging zu lösen, um meine Patientin entspannt lagern zu können.

Nun begann ich mit ihren Beinen zu üben. Bei der geringsten Dehnung für ihr linkes Bein, krampften sofort ihr linker Arm und auch ihre rechte Hand. So versuchte ich erst mit ihrem rechten Bein zu arbeiten. Es kamen weniger Reaktionen. Mit sehr viel Geduld ganz weichen Bewegungen mit viel Einfühlungsvermögen und Zeit, war es mir möglich mit Hilfe meiner Patientin die Spasmen zu lösen. Ihre Eltern und ich konnten nach der Behandlung meine Patientin ganz entspannt auf dem Rücken lagern. Ihre Beine waren gebeugt, aber nicht fest geschlossen, ihre Füße standen auf den Fußsohlen und ihre Hände lagen locker auf ihrem Bauch. Ihr Gesicht war entspannt, ihr Mund gelöst, ihre Lippen waren sanft geschlossen. Beim Abschied glaubte nicht nur ich ein Lächeln zu sehen.

„Nun hat sich in meiner Brust ein Druck gelöst“, sagte mir die Mutter meiner Patientin zum Abschied. Auch ich fühlte mich irgendwie leicht, als ich die Tür hinter mir schloss.

Montag, 29. November 1999

Meine Patientin war heute entspannter. Sie lag auf ihrer linken Seite und öffnete ihre Augen, als sie mich hörte. Nach kurzem Bewegen ihrer Hände und ihrer Arme, begann ich intensiv mit ihren Beinen zu üben. Zunächst dehnte ich ihre Beine einzeln und zog sie dann langsam über die Bettkante. Auch ihr linkes Bein blieb ganz ruhig in Hüftstreckung liegen, sodass ich mich kaum traute meine Patientin zu berühren. Die gleiche Dehnung ihrer Beine wollte ich heute zur anderen Seite probieren. Das hatte ich noch nicht versucht. Wir arbeiteten vorsichtig mit Absprache, und es gelang uns, ihre Beine über die rechte Bettkante zu ziehen. Mit Hilfe ihrer Mutter, sie griff unter die linke Schulter ihrer Tochter, ich unter ihre rechte Schulter, richteten wir meine Patientin zum Sitz auf. Noch beim Aufsetzen bat ich meine Patientin, ihren rechten Arm um mich zu legen. Ganz langsam schob sie ihren Arm um meine Taille herum und hielt sich an meiner rechten Seite am Pulli fest. Ihren Kopf vorsichtig haltend streckte ich ihren Rücken. Leider verbesserte sich ihre Sitzhaltung nicht, ihr Gewicht blieb auf ihrer rechten Beckenseite. Ich legte sie wieder auf den Rücken zurück. Zwei Haarsträhnen klebten auf ihrer verschwitzten Stirn. Das kitzelt doch, meinte ich und bat sie, mit ihrer rechten Hand diese Haarsträhnen aus der Stirn zu streichen. Mit ihrer geöffneten Hand fuhr sie nach oben und entfernte eine Haarsträhne nach unten, dann die andere nach oben über den Kopf, dort wo sie hingehörten. Sprachlos sahen wir zu. Wie konnte sie es fühlen, wo das Haar dem Fall nach hingehörte? Oder war es Zufall, dass sie die Haarsträhnen unterschiedlich verteilte?

Leicht auf ihre linke Seite gelagert verließ ich meine Patientin.

Ich stellte mir die Frage, ob meine Patientin in der Welt, in der sie zurzeit war, auch Glück empfinden konnte?

Mittwoch, 1. Dezember 1999

Musste ich die Behandlung wegen einer Erkältung meinerseits absagen.

Freitag, 3. Dezember 1999

Meine Erkältung war etwas abgeklungen. Ohne große Gefahr meine Patientin anzustecken, konnte ich sie behandeln. Als ich ins Zimmer kam, lag sie ganz entspannt auf der linken Seite. Sie war allein und hörte Musik. Ich sprach sie an, begrüßte sie, und sie öffnete ihre Augen. Nachdem ich mir die Hände unter warmem Wasser gewärmt hatte, begannen wir mit unserem nun schon bekannten Standartprogramm. Wir bewegten ihre Hände, ihre Arme und ihre Schultern. Dann konzentrierte ich meine Übungen auf ihre Beine. Ich begann mit ganz vorsichtigen Dehnungen. Wie nun schon seit einiger Zeit wechselten Dehnungen mit wiederkehrenden Spasmen ab. Doch hatte ich das Gefühl, dass sich das Bewegungsausmaß verbesserte. Ihre Beine ließen sich weiter strecken und beugen und besser spreizen. Ihre gebeugten Beine blieben für ein paar Sekunden hüftbreit nebeneinander stehen.