Mekka hier, Mekka da - Melina Borčak - E-Book

Mekka hier, Mekka da E-Book

Melina Borčak

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das erste große Buch zu antimuslimischem Rassismus – bissig, scharfsinnig und überraschend unterhaltsam

"Ein wichtiger Beitrag zu unserer jüdisch-muslimisch-antifaschistisch-international-bosnischen Leitkultur. Deutschland, viel Spaß mit diesem Buch!" Max Czollek

Wahlplakat, Brandanschlag, Massengrab.
Antimuslimischer Rassismus ist ein riesiges Problem. Doch zu viele Pestknödel denken, alle Muslim:innen würden bauchtanzend von einem Terroranschlag zum nächsten rumdschihadieren. Vieles daran beginnt mit der Sprache.

Melina Borčak analysiert sprachliches Framing und Denkmuster, die uns trotz bester Absichten unbewusst in Rassismus abdriften lassen. Und
erklärt, wie wir es alle besser machen können. Ohne abgehobene Elite-Sprache, sondern von ’ner Immigrantin, die Deutsch da gelernt hat, wo es am schönsten ist – bei RTL2 »Frauentausch«.

"Hater sagen, ich wäre eine muslimische, genderwahnsinnige Asyltouristin, welche die Lügenpresse islamisiert. Das stimmt!" Melina Borčak

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 192

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das ist das Cover des Buches »Mekka hier, Mekka da« von Melina Borčak

Über das Buch

Das erste große Buch zu antimuslimischem Rassismus — bissig, scharfsinnig und überraschend unterhaltsam»Hater sagen, ich wäre eine muslimische, genderwahnsinnige Asyltouristin, welche die Lügenpresse islamisiert. Das stimmt!« Melina BorčakNSU, Hanau, Brandanschläge, sogar Genozide — antimuslimischer Rassismus ist ein weit verbreitetes Problem. Doch viele Menschen wissen nicht einmal genau, was damit eigentlich gemeint ist. Ständig wird Muslim:innen Extremismus und Rückständigkeit unterstellt, was einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben hat.Filmemacherin und Journalistin Melina Borčak zeigt anhand zahlreicher Beispiele, wie Sprache rassistische Denkbilder fördert — auf geistreiche, verständliche und immer wieder überraschend amüsante Weise. Wegsehen unmöglich.

Melina Borčak

Mekka hier, Mekka da

Wie wir über antimuslimischen Rassismus sprechen müssen

hanserblau

Für meine Großeltern, die es schafften, zwei Genozide zu überleben.

Für meine Familie, die im Genozid an Bosniak:innen während des Zweiten Weltkriegs von serbischen Nazi-Kollaborateuren ermordet wurde oder gelitten hat.

Für meine Familie, die während des letzten Genozids an Bosniak:innen ermordet wurde oder gelitten hat.

Für meine Familie.

Unbedingt lesen: Intro

Selam und hossa!

Antimuslimischer Rassismus ist so weitverbreitet, ich könnte ein ganzes Buch schreib… Oh wait, hier ist es!

Wer kennt’s nicht? Als Muslima bin ich damit beschäftigt, bauchtanzend von einem Terroranschlag zum nächsten zu dschihadieren, aber im Rahmen der bisher gut laufenden Umvolkung des Abendlandes nehme ich mir auch gern noch die Zeit, eure Sprache zu islamisieren.

Meine innere Prokrastinationsmaschine (aka mein Hirn) wollte eigentlich einfach ’ne Ausgabe der BILD hier reinklatschen, aber ich will mich nicht mit den plumpen, offensichtlichen Beispielen der führenden Pestknilchlektüre des Landes befassen, da ich hoffe, dass die Menschen, die offen genug sind, so ein Buch zu lesen, solche Basics schon gecheckt haben.

Stattdessen gibt es tiefgehende Analysen, neue Ideen, gute Hinweise und schlechte Witze.

In diesem Buch geht es darum, wie wir über Muslim:innen denken, welche rassistischen Denkmuster sich in unseren Köpfen und unserer Gesellschaft verfestigt haben und welche Folgen sie für Muslim:innen und unser gesellschaftliches Zusammenleben haben. Weil all das durch Sprache geschieht, liegt darauf mein Fokus.

Ich werde euch Beispiele für harten, gefährlichen Rassismus geben, aber auch über Dinge sprechen, die nur die Spitze des Eisbergs sind. Falls ihr findet, dass manche Beispiele wie Haarspalterei wirken: Erstens ist Spliss ein ernst zu nehmendes Problem, und zweitens muss Rassismus im Keim erstickt werden — und nicht erst, wenn er auf ’nem Wahlplakat landet.

Stellt euch vor, ihr sitzt in der Bahn und bekommt einen Gesprächsfetzen der Leute neben euch mit. Ihr hört, ohne den Kontext des Gesprächs zu kennen, nur die Phrase »jüdische Banker«. Theoretisch kann es ein harmloser Satz sein, denn es gibt ja jüdische Studis, Handwerker:innen, Popstars und eben auch Banker:innen. Aber allein schon die zwei Worte »jüdische Banker« lassen euch denken: »Oh nein, erzählen die gerade irgendwelche antisemitischen Verschwörungsmythen oder was?«

Ähnlich ist es mit der Phrase »Das Frauenbild des Islams«. Auch ich als feministische Muslima denke dabei erst mal: »Ugh, jetzt kommt wieder was Rassistisches.«

Ihr merkt also: Schon kleine, kurze Phrasen oder Sprachbilder können vieles im Kopf auslösen. Denn: Sprache formt Gedanken. Gedanken Verhalten. Und Verhalten die Gesellschaft.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir Sprache hinterfragen und kritisch reflektieren. Nur so kann sich wirklich etwas verbessern. Nach dem Lesen dieses Buches könnt ihr rassistisches Verhalten — sei es in den Medien, der Politik, im Freundeskreis oder sogar bei euch selbst — besser erkennen und ihm besser entgegentreten. Wer braucht da schon Fitness, Aktiengurus und Smoothies zur Selbstoptimierung, wenn er dieses Buch hat?!

An wen richtet sich dieses Buch

Aufgeschlossene Nichtmuslim:innen, die dazulernen möchten und eigene Fehler ehrlich zugeben, reflektieren und verbessern wollen.

Unreflektierte Nichtmuslim:innen, die selbst nie auf die Idee kommen würden, sich zu bessern, aber das Buch als passiv-aggressives Geschenk bekommen haben von Leuten, die genug von ihrem Scheiß haben. (Falls sich hier jemand gerade erkennt: Muahaha)

Muslim:innen, die Wissen als Empowerment verstehen und nie wieder dieses undefinierte, schlechte Gefühl haben möchten, bei dem sie spüren, dass irgendwas rassistisch und schlimm ist, aber nicht genau benennen können was.

Meine Freunde, die ich einfach zwinge, dieses Buch zu lesen, und dann auch knallhart abfrage, um zu prüfen ob sie es wirklich getan haben.

Wie ihr schon checkt, richtet sich dieses Buch also nicht an Leute, die ihren Rassismus verstecken wollen, indem sie die »richtigen« Begriffe nutzen. Eine gutherzige Oma, die mich »Mohammedanerin« nennt, ist mir hundertmal lieber als pseudoreflektierte junge Leute mit Apotheken-Umschau-Grinsen, die sich fühlen als wären sie Mandela sein Vater, weil sie »korrekt« reden, sich aber rassistisch verhalten, es nie hinterfragen und defensiv bis aggro werden, sobald man sie darauf hinweist. Dieses Buch richtet sich auch nicht an Egoist:innen, die sich nur mit Rassismus befassen, weil sie selbst betroffen sind — und denen andere Diskriminierungsformen komplett egal sind.

Es geht um mehr als Begriffe

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich Workshops zu diskriminierungssensibler Sprache gebe, kommen oft Kommentare zu »falschen« und »richtigen« Begriffen. Bei Sprache geht es, wie ich euch anhand von konkreten Beispielen noch ausführlich zeigen werde, jedoch nicht »nur« um Begriffe oder Worte, sondern auch um Kontextualisierungen und Framings*1, um Gleichsetzungen, aber auch die Konstruktion von Gegensätzen, wo keine sind, sowie Verharmlosungen und vieles, vieles mehr.

Es geht darum, was überhaupt erwähnt wird und was nicht, in welcher Reihenfolge und mit welcher Gewichtung. Es geht um Sprachbilder und Bildsprache — und zwar nicht nur in Texten und Gesprächen, sondern auch in Videos, Bildern, Audios etc. sowie in Institutionen, Prozessen, Strukturen. Und es geht darum, wer sprechen darf, wer gehört wird und wer nicht.

Deshalb ist es nicht mein Ansatz, ’ne Liste von Begriffen runterzurattern, sondern euch das mentale Werkzeug zu geben, selbst zu erkennen, wenn etwas rassistisch ist — egal ob in der Sprache, im Verhalten, in Strukturen oder bei Onkel Hubert.

Am Ende gibt’s daher auch noch eine Toolbox mit Fragen und Methoden, die es euch erleichtern soll, rassistische Framings, Sprach- und Denkmuster zu erkennen und etwas gegen sie zu tun.

Locker und offen sein

Lest dieses Buch mit Offenheit und ohne gleich in Abwehrhaltung zu gehen, wenn ihr etwas entdeckt, das ihr selbst immer so gesagt oder geschrieben habt, und jetzt lernt, dass das rassistisch ist.

Um euch das zu erleichtern, habe ich ’ne nice Aufteilung erarbeitet. Rassismus, genau wie andere Unterdrückungssysteme, kann auf individueller und kollektiver sowie aktiver und passiver Achse stattfinden. Die meisten Menschen denken jedoch nur an die aktive Spitze des Eisbergs: die klischeetreuen, glatzköpfigen Neonazis, rassistische Parteien und Vereine oder die mit Grund verhasste, offen rassistische Chefin.

Doch ein Großteil des Rassismus ist passiv: Entweder es sind Strukturen, Prozesse oder Dynamiken, an denen wir einfach teilnehmen, ohne es zu checken, oder es sind unbewusste rassistische Denkmuster, die in unseren Köpfen festsitzen, weil sie uns jahrelang durch die Gesellschaft eingeprägt wurden.

In diesem Buch geht es vor allem um diese passive Seite, um unbewusste Vorurteile, internalisierten Rassismus, unhinterfragte Dinge, die nachgeplappert werden, obwohl ihre Implikationen eigentlich nicht dem entsprechen, woran die Person tatsächlich glaubt und was sie für richtig hält. Und obwohl es passiv und unabsichtlich geschieht, kann es extrem schlimm und gefährlich sein, wie ihr spätestens beim Thema Genozid merken werdet.

Also, falls ihr euch irgendwo erkennt, fühlt euch nicht angegriffen, sondern bei der Selbstverbesserung unterstützt. Selbstverständlich ist das kein Freifahrtschein für Scheißigkeit, ihr solltet problematische Dinge ändern — egal ob sie Absicht sind oder nicht. Sonst bekommt ihr Scheißigkeitspunkte in Flensburg.

»Boah, ist die aggressiv und pRovOkaTiv«

Hä? Nein, ich bin voll nett. Ich rede und schreibe einfach auf ’ne direkte Art. Das kann für Deutsche aggro erscheinen, ist aber einfach meine Art zu sprechen und geht teilweise auch auf kulturelle Unterschiede zurück.

Ich hab Deutsch mit RTL2 und Frauentausch gelernt und wie wir alle wissen (oder zumindest die, die ’ne gute Allgemeinbildung haben): Andreas schrie damals nicht: »Könnten Sie bitte in Erwägung ziehen, dies vorübergehend zu unterlassen?«, sondern: »HAAAALT, STOP!«

Außerdem ist es diskriminierend, arrogant und scheinheilig, Menschen wegen ihres »einfachen« oder direkten Sprachgebrauchs herabzuwürdigen, weniger ernst zu nehmen oder als »aggressiv« darzustellen. Ich war nie auf ’ner deutschen Schule, habe keine Schiller-Romane analysiert und komme aus einer Kultur, in der man zu einem süßen Baby nicht »Aww, wie süß« sagt, sondern »Ich f*** ’ne Maus« (j*** ti miša). Wenn ihr wüsstet, wie viel wir in Bosnien fluchen und wie direkt wir reden, müsste ich diesen Scheiß gar nicht erklären. Genauso wie ich Verständnis hab für deutsche Omis, die mich »Mohammedanerin« nennen, so solltet ihr auch mal auf mich klarkommen. Und ja: Dass ich so einen Hinweis überhaupt schreiben muss, ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

Voll meta: Noch mehr zu meiner Sprache über Sprache

Ich schreibe die Namen von Kriegsverbrecher:innen und anderen Blutegeln klein, einfach weil ich petty bin und ihnen nicht mal ’nen großen Buchstaben gönn. Meine Sprache ist normalerweise ’ne Mischung aus Deutsch, Englisch, Bosnisch und random Wörtern anderer Sprachen, die ich einfach cool finde. Aber damit ihr das Buch besser verstehen könnt, habe ich mir Mühe gegeben, es maximal deutsch zu schreiben. Um bisschen zu kompensieren, hier einige sehr deutsche Phrasen: »Das ist doch kein Wetter!«, »Sag ma, geht’s noch?«, »Das ist mir zu pAuScHaL« und »Ordnung muss sein«.

So, hoffentlich seid ihr jetzt bereit für den Rest des Buches, denn der wird ćeif und vrh.

Wichtig: Das Buch enthält Warnungen für traumatisierte Menschen. Die Teile des Textes, die Auslöser für posttraumatische Belastungsstörung (also »Trigger«) sein können, habe ich mit grauer Farbe unterlegt, damit ihr sie erkennen und überspringen könnt, ohne sie zu lesen. Wenn es Warnungen für sexualisierte Gewalt sind, steht am Anfang ein *, bei Genozid ein •. Vor Stellen, die beides auslösen können, stehen beide Symbole. Keine Sorge, ich habe darauf geachtet, dass ihr meiner Argumentation folgen könnt, auch nachdem ihr diese Teile überspringt. An Stellen, wo sexualisierte Gewalt nur als Begriff kurz erwähnt wird, habe ich den Begriff mit Sternchen geschrieben.

Auch wichtig: Das habe ich ausdrücklich für traumatisierte Menschen gemacht, und zwar Menschen, die genau an diesen spezifischen Traumata leiden. Nicht für irgendwelche random Leute, die nicht wollen, dass Beschreibungen der Realität ihre wohlstandsverwahrloste Blase ankratzen. Oft erinnere ich an verschiedene Genozide, und irgendwelche nervigen Erbsen-Prinzessinnen schreiben mir: »Stell doch ’ne Triggerwarnung davor, ich möchte so was nicht sehen!« Als jemand, der selbst PTBS hat, kann ich gar nicht beschreiben, wie ignorant, arrogant und einfach nur böse ich es finde, unser Leid zu vereinnahmen und damit gleichzusetzen, dass man harte Dinge nicht sehen oder lesen möchte, weil es einem die gute Laune verdirbt. Die wollen nicht mal lesen, was andere leben. Das ist beschämend. Das Kleinste was man gegen Genozide und Gewalt tun kann, ist, sich zu informieren, statt Beschreibungen zu überspringen oder sogar von traumatisierten Menschen Triggerwarnungen zu fordern, obwohl man selbst NICHT traumatisiert ist. Rennt nicht weg vor der Realität. Wer PTBS wegen sexualisierter Gewalt hat, kann die entsprechenden Teile überspringen, aber die zu Genozid lesen — und umgekehrt. Wer kein PTBS hat, liest bitte ausnahmslos alles.

Falls ihr auch nur ein Kapitel lest, dann bitte das über Genozide

Lest natürlich das ganze Ding, aber falls ihr unter Zeitdruck steht oder so, dann ist dies das wichtigste Kapitel.

Genozid ist das ultimative Verbrechen. Es ist das Maximum an Rassismus und Gewalt. Es wird aber kaum darüber gesprochen. Die meisten Menschen wissen nicht mal, was genau Genozid ist. Ich hoffe, dass dieses Buch ein Startschuss für euch ist, euch mehr mit diesem wichtigen Thema zu befassen.

Passend zum Buch habe ich mich auf antimuslimisch-rassistische Genozide fokussiert — von Uigur:innen über Bosniak:innen bis Rohingya. Die meisten Punkte im Kapitel sind aber auch auf andere Genozide übertragbar.

Das Traurige ist, dass Genozid-Überlebende und postgenozidale Gesellschaften so sehr damit beschäftigt sind, ihre bloße Existenz zu verteidigen, dass sie keine Zeit und Kraft für die Analyse von Narrativen haben. Deshalb sind viele der Dinge, die ich zu Genozid schreibe, bisher soweit ich weiß nur mir aufgefallen und noch nicht breit von allen übernommen worden. Aber langsam und sicher wird es besser und besser, inšallah.

Bisschen Transferleistung

Alle sprachlichen Phänomene, die ich im Buch beschreibe, sind entweder Indizien für viel größere Probleme und/oder übertragbar auf nicht sprachliche Dynamiken.

Was ich damit sagen möchte: Versucht beim Lesen auch Parallelen zu nicht sprachlichen Phänomenen zu finden, denkt weiter und über Sprache hinaus. Dann lernt ihr noch mehr.

Antimuslimischer Rassismus: Die Basics

Wahlplakat, Brandanschlag, Massengrab.

Antimuslimischer Rassismus hat viele Gesichter. Klar ist es was anderes, ob er sich im unausgesprochenen Vorurteil zeigt, im Angriff auf eine Moschee oder in der versteckten Hetze der »Islamkritikerin« die ’nen muslimischen Namen hat und es daher ja »sagen darf«. Doch er ist immer gefährlich.

Antimuslimischer Rassismus ist eines der größten, gefährlichsten Probleme in Deutschland. Und nein, ich übertreibe auf keinen Fall.

NSU, NSU 2.0, Hanau, München …

Solingen, Mölln, zahllose Brandanschläge und Angriffe auf Menschen, Moscheen, Flüchtlingsheime …

Identitäre, Alt-Right, NPD, AFD, ehrlich gesagt gibt’s Rassismus in jeder Partei, nur in unterschiedlichem Ausmaß.

Rassistische Diskriminierung bei der Jobsuche, der Wohnungssuche, der Asylsuche.

Genozide und der unfassbar grauenvolle mediale, politische und gesamtgesellschaftliche Umgang damit in Deutschland.

Die Liste geht weiter.

Über eintausend antimuslimische Angriffe pro Jahr in Deutschland — und das sind nur die, die strafbar sind, die gemeldet werden und dann von der alles andere als antirassistischen Polizei auch als rassistisch anerkannt werden.1

Jeder fünfte Mensch in Deutschland will keine Muslim:innen als Nachbarn.2 Mehr als ein Viertel der Deutschen sagten 2020, man sollte Muslim:innen verbieten, nach Deutschland einzuwandern. 2018 vertraten diese eindeutig rassistische Haltung noch 44% der Deutschen. Wegen Covid-19 gab es 2020 weniger Zeit für rassistische Hetze. Daran kann es liegen, dass die Deutschen bisschen gechillter wurden. In Ostdeutschland äußerten sich 2020 aber trotzdem noch 40% der Deutschen auf solch offenkundig rassistische Weise.3

Mehr als die Hälfte der Deutschen sieht Islam und somit Muslim:innen als Bedrohung.4

Hier muss ich mal was klarstellen für die Hälfte des Landes, die allen Ernstes so ein Dünnschisskloakenhirn hat: Wären wir wirklich ’ne Bedrohung, wärt ihr alle längst tot. Ihr seid keine Ninjas. Die syrische Zahnärztin könnte euch ’ne Spritze mit wer weiß was geben, der albanische Chef euch einfach erwürgen, der selbstständige Businessman, in dessen Unternehmen ihr Döner kauft, könnte euch vergiften und sogar davonkommen, weil ihr »einmal mit alles« bestellt habt und »alles« halt auch Gift umfasst. Und die muslimische Nachbarin, gegen die ihr euch so wehrt? Die könnte warten, bis ihr in den Urlaub fahrt, in eure Wohnung gehen, die Gardinen mit Kräuterbrause bespritzen, doppelt bügeln und wieder anhängen, dann das Waschbecken abschrauben und … Na ja, ich werd jetzt nicht meine Methoden verraten.

Mein Punkt ist: Das glaubt ihr doch selbst nicht, oder? Dass wir generell ’ne Bedrohung sind? Falls ja, dann hört auf, dieses Buch zu lesen, und geht leise heulen. Für diejenigen, die noch in der Realität leben, willkommen zum Rest des Buches.

Um euch klarzumachen, welche Tragweite antimuslimischer Rassismus hat, und wie wichtig es ist, dass wir uns damit auseinandersetzen, möchte ich mit euch die Gedanken teilen, die ich hatte, als der Beginn des NSU-Prozesses ausgerechnet auf den Jahrestag des Genozids in Srebrenica fiel — und sich NSU und Srebrenica in meinem posttraumatischen Gefühlschaos mischten. Ich sah ein Foto von beate zschäpe und gleich danach eins von Šuhra Malić, deren schmerzverzerrtes, weinendes Gesicht zum Symbol des letzten Genozids an Bosniak:innen wurde. Ich fragte mich:

Was ist der Unterschied zwischen diesen Frauen?

Šuhra steckte all ihre Liebe in ihre Familie. Um der Armut und Diskriminierung im damaligen Jugoslawien zu entfliehen, ging ihr Mann als bosniakischer Gastarbeiter nach Irak, Iran und Libyen — für die Zukunft ihrer Söhne. Šuhra blieb in Bosnien, machte ihnen Essen, brachte sie zur Schule, sorgte sich liebevoll um sie. Doch während sie einfach leben wollte, wollten die Präsidenten von Bosniens Nachbarländern, milošević und tuđman, ein »Großserbien« und ein »Großkroatien« errichten. Um dies zu erreichen, ermordeten sie Bosniak:innen, also bosnische Muslim:innen. Serbische Truppen ermordeten auch Šuhras Söhne.

Šuhra hat am Tag des Prozessbeginns gegen beate zschäpe, wie an jedem Tag seit über 25 Jahren, um ihre im Genozid ermordeten Söhne Fuad und Suad getrauert.

Sie hat versucht, würdevoll zu ihren Gräbern zu gehen, ohne von serbischen Nachbarn mit Steinen beworfen oder wieder von der Polizei geschlagen zu werden. Am Grab hat sie, wie immer, Süßigkeiten an andere Überlebende verteilt.

Šuhra steckt noch immer all ihre Liebe in ihre Familie.

beate steckte all ihren Hass in fremde Familien. Sie musste nie ihr Land verlassen, um ihre Familie zu ernähren oder zu überleben. Als in anderen Ländern Krieg ausbrach, wollte sie nicht, dass diese Menschen nach Deutschland kommen. Sie tötete Muslime, weil es ja spätestens seit Bosnien klar war, dass unsere Leben scheißegal sind. Beate wird morgen, wie immer, um niemanden trauern.

»NSU ist ’ne Ausnahme — 75 Jahre Frieden in Europa!«

75 Jahre Frieden in Europa? 90s kids remember:

*• Während nur sechs Stunden Autofahrt von Deutschland der Angriffskrieg gegen Bosnien tobte, während Menschen ermordet, in Konzentrationslager gesteckt, lebend verbrannt und ver**waltigt wurden, verschärfte Deutschland das Asylgesetz. Sobald der Genozid an bosnischen Muslim:innen vorbei war, mussten ich und Hunderttausende »zurück«. Egal ob unsere Heimatorte gar nicht mehr existieren oder »nur« zerstört waren.

Als unsere Familien ermordet wurden, wollte auch der Präsident Frankreichs, francois mitterrand, uns nicht helfen — mit der Begründung, ein muslimisches Land in Europa wäre »unnatürlich«.5 Auch britische Politiker:innen nannten den Genozid erfreut »Rückkehr des christlichen Europa«. Vier Jahre Genozid, Konzentrationslager, Hungersnot, Massenver**waltigungen und Belagerung sind nicht einfach geschehen — sie waren Mittel zum Zweck.

Die Niederlande schickten Peacekeeper, um mitten im Elend zu saufen und die Wände mit rassistischen Graffiti zu beschmieren. Dann kamen unsere serbischen Nachbarn, um die Wände mit Blut zu beschmieren.6 Europäische Zusammenarbeit.

Seit Jahrhunderten sind wir, europäische Muslim:innen, ein Dorn im Auge des restlichen Kontinents. Doch uns kann man nicht in die Heimat abschieben, weil unsere einzige Heimat Europa ist. Also schaut man tatenlos zu oder hilft mit, wie unsere Nachbarn alle paar Jahrzehnte Genozide an uns verüben. Und »vergisst« es dann, immer wieder. Erinnerungskultur zum größten Genozid Europas seit dem Holocaust? Fehlanzeige.

Paar Jahre nach dem Angriffskrieg gegen Bosnien fing der NSU an, weitere europäische Muslime zu ermorden. Die Polizei verdächtigte die Familien der Opfer so stark, dass sich die Mörder selbst stellen mussten, um endlich ihre ekelerregenden 15 minutes of fame zu bekommen. Und die Medien nannten es »Döner-Morde«.7

Rassist:innen schafften es, sogar aus Döner eine Erniedrigung zu machen. So wurde ein serbisches Lied, das den Genozid an Bosniak:innen feiert, zum Hit unter Rassist:innen weltweit. Unter dem Namen »Remove Kebab« freuen sich Rechte in Memes, Foren und Gesprächen, dass Muslim:innen in Genoziden vernichtet und in Terroranschlägen ermordet werden. Der Terrorist in Christchurch nutzte dieses Lied als Soundtrack für die Morde an über 50 Menschen8, auch die Terroristen aus Halle und München bezogen sich darauf9. Und peter handke bekam einen Nobelpreis, obwohl er laut Medienberichten Trauzeuge des verurteilten Kriegsverbrechers und »Musikers« war, der für diese Terror- und Genozid-Hymne verantwortlich ist.10 Das ist sogar eins der kleineren Probleme an handkes Umgang mit Genozid, aber hey — sind ja nur scheiß Moslems! Dass serbischer Nationalismus rechtsextreme Parteien und Terroristen weltweit inspiriert, von Utoya über die USA bis Deutschland — egal.

Döner fressen, im Andalusien-Urlaub fasziniert die Alhambra anglotzen, einen von über 50 Millionen europäischer Muslim:innen als Nachbarn haben — und trotzdem nicht erkennen, dass Islam und Europa untrennbar sind.

Würde Šuhra in Deutschland leben, würden viele auf ihr Kopftuch starren und denken, dass sie von ihren toten Söhnen oder ihrem toten Mann unterdrückt wird. Oder dass es ein politisches Symbol ist, eine Kampfansage für die »Islamisierung«.

Dass solcher Rassismus eine Ideologie stärkt, die allein in Bosnien, allein in den Neunzigern, für den Tod von über 100.000 Menschen verantwortlich ist — das war ja schon damals egal.

Was ist also der Unterschied zwischen beate und Šuhra?

Eine mordet, die andere wird Terroristin genannt.

Keine Phobie, Rassismus

Wir kennen es wahrscheinlich alle: Ihr lest etwas über einen rassistischen Angriff auf eine Muslima. Ihr seid erschüttert und traurig. Und dann seht ihr, dass irgendein trollender Tastaturkrieger folgenden Satz stolz unter den Artikel klatscht: »Aber der Islam ist gar keine Rasse, also ist das nicht rassistisch!«

Newsflash an diese Hornhauthülsen: Keine Menschengruppe ist eine »Rasse«, weil menschliche Rassen nicht existieren. »Rasse« ist eine biologische Kategorie, die unter Hunden und anderen Tieren zu finden ist, aber nicht unter Menschen. Menschliche »Rassen« haben keine reale, wissenschaftliche Basis. Deshalb wird auch im deutschsprachigen Raum meist mit der Kategorie »Race« gearbeitet, welche nicht so stark von der NS-Zeit geprägt ist und welche zwar auch oft mit pseudobiologischen Ausreden genutzt wurde und wird, aber immer eine soziologische Kategorie war und ist. Aus diesem Grund betonen Expert:innen immer, dass »Race« ein gesellschaftliches Konstrukt ist, keine biologische Realität.

Sogar die NPD, Identitäre und Rechtsradikale behaupten nun, dass es ihnen nicht um »Rassen« oder auch um »Race« gehe, sondern um vermeintlich minderwertige Kulturen und Religionen. Die Basis von Rassismus ist Othering: Unterschiede zwischen Menschen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden ausgedacht oder übertrieben und dann negativ konnotiert, um die »Anderen« abzuwerten. Menschen werden beispielsweise auf ihre Religion reduziert — und zwar alle dieser Religion zugehörigen Menschen. Alles, was sie tun oder nicht tun, wird durch ihre vermeintlich »minderwertige« Religion erklärt. Dann werden die Kulturen und Religionen als unveränderbar geframed und die Menschen ebenso.

Insbesondere in Bezug auf Muslim:innen gilt der rassistische Verschwörungsmythos, dass selbst diejenigen, die als »Gute« oder »Ausnahmen« gelten, unveränderbar minderwertig, rückständig oder gefährlich sind und einfach nur lügen, weil sie »Taqiyya« betreiben — also sich zwar als gute Menschen darstellten, aber insgeheim Terrorfans, »islamistisch« oder ein anderer, beliebiger Teil des Rassismus-Bingos seien.

Rassifizierungen führen immer zu Hierarchien und Bewertungen — bis hin zu der Auffassung, dass bestimmte Personengruppen nicht »nur« minderwertige Menschen seien, sondern nicht mal Menschen.

Viele muslimische Communities sind neben rassistischen Angriffen auf ihre Religion auch Angriffen basierend auf »klassischem«, biologistischem Rassismus ausgesetzt.

*• So werden Bosniak:innen im serbischen Nationalismus oft nicht als Menschen gesehen, sondern als »genetisch entstelltes Material«.11 Die »Lösung« dafür waren mehrere Genozide, in denen Bosniak:innen entweder ermordet oder durch systematischen, strategischen Einsatz von Vergewaltigungslagern gefoltert wurden.

Bosniakische Frauen und Mädchen wurden in diesen auf Vergewaltigung spezialisierten Konzentrationslagern gefangen gehalten, damit sie weder abtreiben noch Sui*id begehen konnten und somit gezwungen waren, Kinder mit »serbischem Blut« zu gebären, um den Genpool zu »säubern«.

Das passierte in den Neunzigern, als der Rest der Faschos sich — zumindest öffentlich — schon von biologistischen Ideen abgewandt hatte. »Argumente« wie »Islam ist keine Rasse« sind mir als Bosniakin, mild ausgedrückt, scheißegal.

Es ist wichtig zu wissen, dass sich Geschichte wiederholt und heutige Traubenzucker-Rambos alte rassistische Konzepte einfach wiederkäuen. Wer rassistische Klischees der gegenwärtigen Rechten recherchiert, findet fast immer die gleichen Klischees wie sie schon vor Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten genutzt wurden. Wir dürfen nicht so tun, als wäre dies kein Rassismus, nur weil Rassist:innen das Wort »Rasse« durch »Kultur« oder »Religion« ersetzen, sonst aber nach denselben ideologischen Prinzipien vorgehen.

Zusätzlich zu antimuslimischem Rassismus erfahren beispielsweise Uigur:innen antiasiatischen Rassismus und Somalis Rassismus gegen Schwarze Menschen.