Menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit in Sammelunterkünften - Maximiliane Brandmaier - E-Book

Menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit in Sammelunterkünften E-Book

Maximiliane Brandmaier

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Beschreibung

Sammelunterkünfte sind nicht nur für eine langfristige Unterbringung von Menschen ungeeignet, alltäglich werden dort auch Menschenrechte verletzt. Fachkräfte müssen sich der institutionellen Machtverhältnisse und Dynamiken bewusst sein, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten und -grenzen zu erkennen. In Rückgriff auf Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis zeigen die Autorinnen Strukturen und Widersprüche der Sozialen Arbeit spezifisch für das Handlungsfeld Sammelunterkunft auf. Einer kritischen, menschenrechtsbasierten und traumasensiblen Sozialen Arbeit kann es gelingen, die dort lebenden Menschen zu verstehen und zu unterstützen. Verständlich aufbereitet und an Praxisbeispielen veranschaulicht, stellen die Autorinnen Handlungsansätze vor und regen zur Reflexion der eigenen Praxis an.

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Geflüchtete Menschen psychosozialunterstützen und begleiten

Herausgegeben von

Maximiliane BrandmaierBarbara BräutigamSilke Birgitta GahleitnerDorothea Zimmermann

Maximiliane Brandmaier/Lisa Friedmann

MenschenrechtsbasierteSoziale Arbeit inSammelunterkünften

Widersprüche – Handlungsgrenzen –Handlungsmöglichkeiten

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Nadine Scherer

Satz und Layout: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2625-6436ISBN 978-3-647-99928-9

Inhalt

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

1Problemaufriss

2Was hat Soziale Arbeit mit Menschenrechten zu tun?

3Rechtliche Grundlagen der Unterbringungspraxis

3.1Rechtliche Rahmenbedingungen zur Unterbringung und Versorgung

3.2Typen von Sammelunterkünften und Trägerschaftsmodelle

3.3Relevante Gesetzesgrundlagen für die Soziale Arbeit in Sammelunterkünften

4Sammelunterkünfte als totale Institutionen

4.1Psychosoziale Folgen und Problemlagen im Kontext der Sammelunterbringung

4.2Was macht eine Sammelunterkunft zur totalen Institution?

4.3Dynamiken und Machtverhältnisse

5Widersprüche und Handlungsgrenzen in der Sozialen Arbeit

5.1Begrenzte Ressourcen und überhöhte Erwartungen

5.2Hilfe und Kontrolle

5.3Der Umgang mit Widersprüchen

6Reflexive menschenrechtsbasierteSoziale Arbeit

6.1Gestaltung der strukturellen Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit in Sammelunterkünften

6.2Haltung und Reflexion als Grundvoraussetzungen menschenrechtsbasierter Sozialer Arbeit

6.3Traumapädagogische Kompetenzen und Sensibilität für psychosoziale Belastungsfaktoren

6.4Partizipation

6.5Empowerment

6.6Kernkompetenzen

6.7Das Menschenrechtsmandat in der Sozialen Arbeit in Sammelunterkünften

7»No Lager!« – Abschließende Gedanken

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

»Nachdem ich totale Probleme mit der Schule hatte, sagten sie, ich hätte keine Chancen, hier weiterzukommen. Dann war ich bei Walid. Der hat mir auch gesagt: ›Deine Chancen sind so klein in Deutschland‹, weil ich auch nur eine Duldung hatte. Aber Walid hat mich motiviert. Ich war sehr, sehr traurig, ich war richtig kaputt, ich dachte: ›Jetzt passiert gar nichts‹, aber er sagte: ›Ich bleib bei dir, ich unterstütze dich, wir machen das und das, komm zu der Gruppe.‹ Das ist das, was er macht. Ja, genauso macht er das. Egal, auch wenn er noch keinen Weg weiß, er sagt dir immer: ›Wir finden einen Weg.‹ Und langsam, langsam finden wir dann auch einen. Aber dann gibt es die anderen Sozialarbeiterinnen, die sagen das nicht und die machen das auch nicht« (Autor*innenkollektiv »Jugendliche ohne Grenzen«, 2018, S. 61).

Im Herbst 2018 erschien in der Fluchtaspekte-Buchreihe der Band »Zwischen Barrieren, Träumen und Selbstorganisation – Erfahrungen junger Geflüchteter«, verfasst von einem Autor*innenkollektiv, in dem sich Mitglieder der Selbstorganisation »Jugendliche ohne Grenzen« versammelt hatten und in einem kreativen, intensiven Austausch ihre Erfahrungen, u. a. auch mit Sozialarbeiter*innen in der Jugendhilfe, festhielten. Das gewählte Zitat spiegelt nicht nur die unterschiedlichen Erfahrungen wider, die im Kontakt mit Sozialarbeitenden gemacht werden, sondern veranschaulicht auch, wie wertvoll es ist, in einer Situation, in der die Betroffenen täglich mit Gefühlen von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit zu kämpfen haben, jemanden zu kennen, der oder die sagt: »Es gibt Hoffnung. Wir finden einen Weg«. Gerade durch ein ressourcenorientiertes, parteiliches Vorgehen kann Soziale Arbeit zusammen mit den (sehr heterogenen) Adressat*innen viele Potenziale zu Tage fördern.

Der vorliegende Band der Sozialarbeiterin Lisa Friedmann und der Psychologin Maximiliane Brandmaier befasst sich nicht direkt mit dem Feld der Jugendhilfe – wenngleich Praktiker*innen vielleicht viele Parallelen z. B. zu Clearing-Stellen oder anderen Einrichtungen für minderjährige Geflüchtete feststellen werden. Die beiden Autorinnen haben sich seit mehreren Jahren in Praxis und Forschung mit dem Thema Sammelunterkünfte für geflüchtete Menschen auseinandergesetzt. Dabei beschäftigte sie immer wieder die Frage, wie in diesen Institutionen, in denen das Kontrollmandat in der Sozialen Arbeit so viel Gewicht hat, und Trägerorganisationen, die möglicherweise auch staatliche Interessen teilen, dennoch parteiliche, auf Menschenrechten basierende (psycho-)soziale Unterstützung geleistet werden kann. Diese Frage treibt erfahrungsgemäß viele Praktiker*innen um, die täglich erleben, dass die Rahmenbedingungen dem Ideal oft entgegenstehen. Gerade deshalb ist es wichtig, die Strukturen der Institutionen zu verstehen, die begünstigen, bestimmte Rollen einzunehmen und die den Handlungsspielraum begrenzen. Ihre Analysen und Schlussfolgerungen haben die Autorinnen nun für diesen Band aufbereitet, um damit für Sozialarbeitende Anregungen für Reflexion und Praxis zu geben. Damit kann das Buch auch Sicherheit verleihen, nach den eigenen moralischen Maßstäben zu handeln, selbst wenn die Rahmenbedingungen den Eindruck vermitteln, dass dies nicht möglich sei. Wir wünschen Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.

Dorothea ZimmermannBarbara BräutigamSilke Birgitta Gahleitner

1Problemaufriss

Soziale Arbeit in Sammelunterkünften ist seit dem Jahr 2015, häufig als »langer Sommer der Migration« bezeichnet, ein erneut wachsendes Beschäftigungsfeld, nicht nur für Sozialarbeitende1 sondern auch für berufliche Quereinsteiger*innen. Inhaltlich ist es ein sehr vielfältiges Arbeitsfeld, das sich von Kinder- und Elternarbeit über psychosoziale Beratung und Rechtsberatung hin zur Betreuung Ehrenamtlicher erstreckt (vgl. Wahl, 2018). Hier wäre zwar einerseits viel Unterstützung möglich, andererseits führen institutionelle Dynamiken, sich widersprechende Mandate und die dauerhafte Unsicherheit und Prekarität der Lebenssituation der Adressat*innen dazu, dass der Arbeitsalltag vielfach kraftraubend und frustrierend ist.

Dieses Buch schöpft aus zahlreichen Gesprächen mit Sozialarbeitenden und anderen (psycho-)sozialen Fachkräften sowie aus eigener Erfahrung.2 Im Vordergrund steht eine Analyse und Reflexion des Felds der Sozialen Arbeit in Sammelunterkünften. Dabei soll es keine Handlungsanleitung für eine menschenrechtsbasierte Soziale Arbeit geben, vielmehr soll dazu ermutigt werden, die eigene Praxis vor einem theoretischen Hintergrund zu reflektieren, der sich aus kritischer Sozialer Arbeit und kritischer Sozialpsychologie speist, sowie das eigene Handeln an menschenrechtlichen Prinzipien und einer ressourcenorientierten, parteilichen Perspektive auszurichten. Eine Möglichkeit einer menschenrechtsbasierten Sozialen Arbeit bietet das Konzept des Tripelmandats nach Staub-Bernasconi. Dieses geht einerseits von der Wissenschaftsbasierung der Sozialen Arbeit aus und bezieht sich andererseits auf (internationale) berufsethische Vorgaben der Berufsverbände für Sozialarbeitende (vgl. Kapitel 2).

Eine Soziale Arbeit, die auf die Erweiterung der Handlungsfähigkeit und an Menschenrechten ausgerichtet ist, wird getragen von fundiertem Wissen um die Regelungen des Asyl- und Sozialrechts, der jeweiligen Landes- und kommunalen Gesetzgebung sowie internationalen menschenrechtlichen und anderen völkerrechtlichen Konventionen. Mit welchen Bedingungen sieht sich die Soziale Arbeit in Sammelunterkünften konfrontiert? Auf lokaler Ebene stellt sich die Situation von Geflüchteten in Deutschland häufig sehr unterschiedlich dar, so dass der in Kapitel 3 gegebene Überblick zwangsläufig grob bleiben muss. Die Lebensbedingungen von Geflüchteten in Sammelunterkünften sind nicht nur stark reglementiert und beschränkt durch die rechtlichen Vorgaben, Sammelunterkünfte entfalten ihrer Natur nach als »totale Institutionen« weitere Beschränkungen der Handlungsfähigkeit im Lebensumfeld und im Alltagsleben. Das Konzept der totalen Institution wurde vom kanadisch-amerikanischen Soziologen Erving Goffman (1973) in einer Studie über die Dynamiken und Strukturen in einer Psychiatrie und die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Akteur*innen (Insassen, Personal) entwickelt. Es dient häufig als Ausgangspunkt für die Analyse der Strukturen in Sammelunterkünften, wenngleich die Übertragbarkeit von Goffmans Beobachtungen und Analysen auf die Situation von Geflüchteten in Sammelunterkünften unterschiedlich bewertet wird (vgl. Brandmaier, 2019; Eichinger u. Schäuble, 2019; Pieper, 2008; Täubig, 2009). Unter totalen Institutionen werden ursprünglich – mehr oder weniger geschlossene – Einrichtungen verstanden, in denen die dort lebenden Menschen ein von Autoritäten formal reglementiertes, von der Außenwelt weitgehend abgeschnittenes Leben führen (z. B. Waisenhäuser, Psychiatrien, Gefängnisse, Kasernen, Arbeits- oder Konzentrationslager, Klöster). Üblicherweise finden alltägliche Aktivitäten der zentralen Lebensbereiche wie Arbeit, Freizeit, Regeneration, Reproduktion etc. an unterschiedlichen Orten statt – in totalen Institutionen ist all dies an einem Ort konzentriert. Die in Kapitel 4 dargestellten Grundzüge von totalen Institutionen bilden, neben den zuvor dargestellten rechtlichen Rahmenbedingungen, die Grundlage für die Praxisreflexion der Handlungsbeschränkungen und -möglichkeiten der Sozialen Arbeit in Sammelunterkünften in den darauffolgenden Kapiteln.

Da das Leben und die Unterbringung asylsuchender Menschen so stark reguliert und reglementiert ist, kommt Soziale Arbeit hier notwendigerweise an ihre Grenzen. Die unterschiedlichen an Sozialarbeitende herangetragenen Mandate stehen teilweise im Widerspruch zueinander, was sich in der alltäglichen Praxis als Überlastung, Frustration etc. manifestieren kann. Sich dieser Widersprüche und Handlungsgrenzen bewusst zu werden, ist Ziel des fünften Kapitels. Welche Handlungsmöglichkeiten trotz allem dennoch bestehen, und in welchem Rahmen eine Soziale Arbeit möglich ist, die auf die Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Adressat*innen ausgerichtet ist, ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Da die Lebensbedingungen in Sammelunterkünften selbst Probleme verursachen, die dann wiederum Gegenstand sozialarbeiterischer Interventionen werden, widmet sich das letzte Kapitel der Forderung nach alternativen, dezentralen Wohnformen für geflüchtete Menschen und mehr Selbstbestimmung in der alltäglichen Lebensführung.

Eine kurze Erläuterung wird hier zur Klärung der Begrifflichkeiten noch vorangestellt: Während bis in die 1980er Jahre hinein der Begriff »Flüchtlingslager« auch in Deutschland geläufig war, so wird er heute im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Mainstream-Diskurs vorrangig für große Lager außerhalb bzw. an den Grenzen der EU benutzt. Allerdings kennzeichnen gerade das Provisorische in der Lebens- und Rechtssituation und der materiellen und baulichen Ausstattung – stark beengter Wohnraum, fehlende Privatsphäre, räumliche Verwahrlosung – sowie die Kontrollmöglichkeiten eine Unterkunft als »Lager« (Augé, 2014; Pieper, 2008). Dabei bezieht sich das Provisorium nicht auf die tatsächliche Dauer des Aufenthalts, die zuweilen Jahre betragen kann: Barackenbauten, ehemalige Kasernen, Hotels, Container oder Pavillons haben diesen Lagercharakter schon äußerlich, es gibt jedoch auch Sammelunterkünfte, in denen z. B. Familien ein eigener abgeschlossener Wohnbereich zur Verfügung steht. Um die Vielfalt der vorfindbaren Unterbringungsformen hier abzubilden, eignet sich der Begriff der Sammelunterkunft, der dennoch nicht in euphemistischer Weise, wie z. B. »Gemeinschaftsunterkunft« oder »Heim«, eine irgendwie geartete Gemeinschaft oder ein Zuhause suggeriert, sondern schlicht eine »zur Unterbringung einer größeren Anzahl von Menschen dienende Unterkunft« bezeichnet (Duden Online).

____________

1Zur einfacheren Lesbarkeit wird hier die Bezeichnung Sozialarbeitende gewählt, wobei Sozialpädagog*innen und andere (psycho-)soziale Fachkräfte mitgemeint sind.

2Die Zitate und Fallbeispiele stammen, wenn nicht anders gekennzeichnet, entweder aus eigener beruflicher Erfahrung oder aus eigenen wissenschaftlichen Arbeiten (Brandmaier, 2019; Brülke, Friedmann u. Kohlbrenner, 2019).

2Was hat Soziale Arbeit mit Menschenrechten zu tun?

Michel Agier (2016) veranschaulicht mit dem Buchtitel »Managing the undesirables« – die Unerwünschten verwalten – den Kern der weltweiten Tendenz, fliehende und geflohene Menschen in Lagern unterzubringen: Es geht dabei vorrangig um die Verwaltung geflüchteter (von staatlicher Seite unerwünscht eingereister) Menschen, nicht um menschenwürdiges, an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtetes Wohnen und Leben. Besonders von migrantischen Selbstorganisationen (z. B. Women in Exile, The Voice Refugee Forum) und NGOs (wie z. B. Pro Asyl, den Flüchtlingsräten oder dem Institut für Menschenrechte) werden seit Jahren die Zustände in und Charakteristika von Sammelunterkünften kritisiert, die ganz besonders auf die sogenannten AnkER-Zentren (»Zentren für Ankunft, Entscheidung und Rückführung«; vgl. Kapitel 3.2) zutreffen:

–die für Wohnzwecke ungeeignete Architektur,

–die baulichen und hygienischen Zustände,

–die Enge und fehlende Privatsphäre,

–die meist marginale und isolierte Lage an Stadträndern, in Industriegebieten oder auf dem Land

–und der unzureichende Schutz besonders vulnerabler Menschen

–sowie wiederholte Fälle von Gewalt und Diskriminierung durch Angehörige des Personals.

Die Lebensbedingungen in Sammelunterkünften können auch die Entstehung und Verschlimmerung psychischer und körperlicher Erkrankungen zur Folge haben (vgl. für einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand: Brandmaier, 2019; Johansson, 2015).

Menschen, die ins Ausland flüchten mussten, befinden sich häufig in äußerst prekären Lebensumständen. Auch in Deutschland werden sie in vielerlei Hinsicht vulnerabilisiert und abhängig gemacht: Zum einen verfügen sie nur über eingeschränkte Rechte und zum anderen liegt ihre Unterbringung und (materielle) Versorgung meist in den Händen anderer. Die Gefahr, dass hierbei Macht missbraucht und Rechte beschnitten oder gar verletzt werden, ist besonders hoch. Menschenrechte spielen als Universalrechte eine bedeutende Rolle, da sie für alle Menschen allgemeingültig und unveräußerlich gelten, als Menschenrechtskonventionen sind sie auch in nationalen Gesetzen verankert worden (vgl. Kapitel 3).

Der Bezug auf Menschenrechte kann insbesondere für Sozialarbeitende in Sammelunterkünften eine wichtige Ressource sein, da es sich hier um einen Lebensraum handelt, in dem zentrale Grundbedürfnisse und Menschenrechte häufig verletzt sowie Bewohner*innen viktimisiert werden (Prasad, 2018b) und in dem die der Sozialen Arbeit ohnehin innewohnenden Mandats- und Interessenkonflikte besonders deutlich hervortreten (vgl. Muy, 2016a-c, 2018; Pieper, 2011; Stemberger, Katsilevaris u. Zirkowitsch, 2014). Sozialarbeitende sind in Sammelunterkünften Zeug*innen, Akteur*innen und Schlüsselfiguren (in) der Lebensrealität von geflüchteten Personen; sie können aber auch zu (Mit-)Täter*innen werden, wenn es zu Machtmissbrauch, Rechte- und Grenzverletzungen kommt. Aus diesen Gründen empfiehlt sich eine reflektierte, professionelle Haltung, die sich nicht nur an professionstheoretischem Wissen, sondern besonders auch an ethischen Grundwerten und Menschenrechten orientiert und damit einen Bezugsrahmen für die sozialarbeiterische Tätigkeit bietet (vgl. Eichinger u. Schäuble, 2018; Müller, Volkmann u. Wiedemann, 2018; Wahl, 2018).

Sozialer Arbeit wohnen prinzipiell mehrere Aufträge inne: Einerseits der staatliche Auftrag, andererseits die Aufträge der Adressat*innen – beide zusammen ergeben das sogenannte Doppelmandat (Erath, 2006). Laut Nivedita Prasad ist die Wirkungskraft des Doppelmandats insbesondere dann jedoch limitiert und der Handlungsspielraum von Sozialarbeitenden erheblich eingeschränkt, »wenn das Mandat vonseiten der Klient_innen im Widerspruch zum Auftrag des Staates/Auftraggebenden steht« (Prasad, 2018b, S. 9). Ein Ausweg aus dem Dilemma des Doppelmandats bietet die Forderung Silvia Staub-Bernasconis (2008), sich aus der Profession heraus selbst zu mandatieren. Die Bezugnahme auf Menschenrechte, (sozial)wissenschaftliche Theorien und Methoden sowie auf internationale professionsethische Vorgaben der Berufsverbände ermöglicht, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession zu verstehen.

Nach der globalen Definition der International Federation of Social Work (IFSW) hat Soziale Arbeit »die Förderung des sozialen Wandels, der sozialen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts sowie die Stärkung und Befreiung der Menschen«3 zum Ziel, wobei sie von Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, der Achtung der Vielfalt, einer gemeinsamen Verantwortung und eben auch den Menschenrechten geleitet wird. Laut dem Ethischen Kodex der National Association of Social Work (NASW) ist der primäre Auftrag Sozialer Arbeit die Steigerung des