Milchschaum - Jutta Mehler - E-Book

Milchschaum E-Book

Jutta Mehler

4,6

Beschreibung

Warum liegt der Dorfpfarrer im Kotau erstarrt vor dem Grab des Bürgermeisters? Weil er tot ist! Erschlagen! Kalt gemacht! Von einem seiner Pfarrkinder? "Nie und nimmer", rufen die Birkdorfer im Kollektiv und stempeln vorschnell einen Verdächtigen nach dem anderen zum Sündenbock. Fanni und Sprudel dagegen machen sich ihre eigenen Gedanken. Gemeinsam mit dem jungen Kommissar Marco Lübsch suchen sie nach Spuren, die zum wahren Täter führen. Es gelingt und - und sie geraten beide in Gefahr.

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Jutta Mehler, Jahrgang 1949, hängte frühzeitig das Jurastudium an den Nagel und zog wieder aufs Land, nach Niederbayern, wo sie während ihrer Kindheit gelebt hatte. Ihre Romane und Erzählungen basieren häufig auf authentischen Lebensgeschichten; für ihre Kriminalromane bevorzugt sie den Schauplatz Niederbayern.www.jutta-mehler.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto: Ioni Laibaroes/buchcover.com Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-367-5 Niederbayern Krimi Originalausgabe

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1

Fanni hatte wieder einmal selbst Schuld. Sie hatte Schuld, dass ausgerechnet sie es war, die den toten Pfarrer fand, weil sie ihre Handschuhe auf dem Grabstein abgelegt und dann dort liegen gelassen hatte.

»Typisch«, schimpfte Hans Rot, »vergesslich, schludrig, unkonzentriert. Ich frage mich, was in deinem Kopf so vor sich geht. Du hast doch den ganzen Tag nichts weiter zu tun, als dich um dich selbst zu kümmern, und nicht einmal das kriegst du hin. Wieso hast du die Handschuhe überhaupt ausgezogen bei der Kälte?«

»Ich musste mich schnäuzen«, verteidigte sich Fanni. »Ich hol sie schnell. Bin gleich wieder da. Such dir inzwischen einen Platz in der Gaststube und bestell dir ein Bier.«

Sie eilte davon. Schon nach wenigen Schritten aber drosselte sie das Tempo.

Fanni hatte keine Eile. Ganz im Gegenteil, der Abstecher zurück zum Friedhof kam ihr sehr gelegen. Damit konnte sie Zeit schinden.

Ein Grüppchen säumiger Trauergäste kam ihr entgegen und hielt auf das Dorfwirtshaus zu. Fanni bedachte sie mit einem Nicken, sie nickten zurück.

Mit einem Mal war der Birkenplatz leer.

Wohin haben sich denn alle so schnell verlaufen?, überlegte Fanni und musste dann spöttisch über ihre eigene Frage lachen.

In warme Stuben natürlich.

Sie selbst hatte eiskalte Füße, obwohl sie in plüschgefütterten Stiefeln steckten.

Kein Wunder, dachte Fanni. Dickwanst musste ja sämtliche Totengesänge aus dem Lobgottes herunterleiern. Nichts hat er uns erspart am Grab. Nicht mal den Kirchenchor, dabei hat der doch während der Totenmesse schon mehr als genug Performance gehabt. Aber Elsie Kraft musste ja noch »Jesus lebt« trillern. Jesus lebt – schön, aber die Toten sind trotzdem tot, mausetot.

Ja, Fanni hatte schlechte Laune, extrem schlechte Laune sogar. Sie hasste Beerdigungen. Es machte sie krank, zusehen zu müssen, wie ein Mensch, der zuvor noch gelacht, geweint, gesprochen hatte, der zu Besuch gekommen oder dem man im Supermarkt über den Weg gelaufen war, mit Erde zugeschaufelt wurde.

Sie hatte versucht, sich vor dieser Beerdigung zu drücken. Aber damit war sie bei Hans Rot nicht durchgekommen.

»Wenn der Bürgermeister zu Grabe getragen wird«, hatte ihr Mann kategorisch verkündet, »dann geht da die Gemeinde geschlossen hin. Auch die Fanni Rot!«

Und Fanni hatte pflichtschuldigst ihren schwarzen Mantel, den Leni »Allerheiligenstandarte« nannte, aus dem »Schrank für in Misskredit geratene Kleidung« im Keller geholt.

Die Kranzniederlegungen waren es schließlich, sinnierte Fanni, die sämtliche Birkdorfer Gemeindemitglieder an den Rand des Erfrierungstodes gebracht haben. Die haben glatt – sie sah auf ihre Uhr –, glatt eine Stunde gedauert. Feuerwehr, Waldbesitzerverein, Trachtenverein, Schützenverein …

»Ist doch klar«, hatte Hans Rot geflüstert, als Fanni bei der achten Kranzniederlegung verzweifelt die Augen zum Himmel verdrehte, »das ist doch klar, dass der Bürgermeister sämtlichen Vereinen der Gemeinde angehören muss.«

… CSU-Ortsgruppe, VDK, Bergwacht …

»Ich wusste gar nicht, dass Birkdorf einen Bergrettungsdienst unterhält«, hatte Fanni zurückgeflüstert, »man kommt doch hier überall mit einem Fahrzeug der Ambulanz hin.«

Sie hatte hinter sich leises Lachen vernommen und mit einem schnellen Blick erkannt, dass es von ihrem Nachbarn Böckl kam, von Böckl, dem Jäger und Büchsenmacher. Richtig. Hatte nicht Böckl neulich erst erzählt, dass er auf seinen Jagdausflügen kaum mehr einen Schritt zu Fuß gehen müsse? Im Geländewagen mit Allradantrieb zum Hochsitz, und »Peng«.

Fanni betrat den Friedhof durch das Haupttor. Sie blieb einen Moment stehen und blinzelte. Noch wenige Minuten zuvor dicht an dicht von schwarz gekleideten Gestalten umringt, starrten die Grabsteine jetzt nackt und einsam von ihren Sockeln.

»Mir war bis heute nicht klar«, murmelte Fanni, »was Birkdorf für eine große Gemeinde ist.«

Sie konnte Hans Rots Antwort auf diese Weltfremdheit geradezu in ihrem Kopf hören: »Meine Güte, Fanni, um Birkdorf herum liegen doch jede Menge Weiler, die zur Gemeinde gehören. Welcher fiele denn da meinem Fannilein ein?«

»Erlenweiler, Buchenweiler, Altfleck«, zählte Fanni auf, während sie den gekiesten Hauptweg des Birkdorfer Friedhofs entlangging – und Birkenweiler natürlich.

Seit Jahrzehnten lagen sich Birkdorf und Birkenweiler wegen einer Namensänderung in den Haaren.

»Wir sind und bleiben Birkdorf«, sagten die Birkdorfer, »wir haben die meisten Einwohner, deshalb heißen wir auch Dorf und nicht Weiler. Die ganze Gemeinde ist nach uns benannt. Egal, ob einer in Altfleck oder Birkenweiler wohnt, seine Postanschrift lautet ›Birkdorf, Altfleckstraße, oder eben Birkenweilerstraße, Nummer sowieso‹. Außerdem steht auf unserem Dorfplatz die größte Birke vom ganzen Landkreis.«

»Die Birke zählt kein bisschen«, konterten die Alteingesessenen aus Birkenweiler. »Unsere Häuser liegen mitten in einem ganzen Wald gestandener Birken, alter Birken, älter als Birkdorf.«

Seit der soeben beerdigte Bürgermeister vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte, die Leute von Birkenweiler sollten ihren Ort in Laubholzweiler umbenennen, hatten sich die Fronten verschärft und der Bürgermeister war bei den Birkenweiler-Leuten schwer in Ungnade gefallen. Fanni fragte sich, wie viele aus Birkenweiler wohl zu seiner Beerdigung gekommen waren. Hans Rot würde es wissen.

Plötzlich hielt sie mitten auf dem Hauptweg an. Wo hatte sie eigentlich während der Beerdigung gestanden?

Das Grab des Bürgermeisters lag im ältesten Segment gleich neben dem vier Meter hohen Kreuz, das von jedem Winkel des Friedhofs aus zu sehen war. Zwei Gräberreihen dahinter stand das Leichenhäuschen mit Platz für zwei aufgebahrte Tote.

Aufgebahrt werden sie heutzutage nicht mehr, korrigierte sich Fanni. Und man sagt vielleicht auch nicht mehr Leichenhaus. Sie nahm sich vor, Hans Rot zu fragen, wie man heutzutage dazu sagte.

Aber zuerst musste sie ihre Handschuhe finden.

Wir sind mit dem ersten Drittel des Leichenzugs auf den Friedhof gekommen, rekapitulierte Fanni.

Sie hätte sich ja viel lieber weiter hinten in den Zug eingereiht, aber ihr Mann hatte nach vorn gedrängelt. Fanni konnte ihm nicht entwischen, denn er hielt sie am Arm gepackt.

So ist er halt, dachte Fanni, immer vorne dran, wenn sich eine Möglichkeit bietet, sich in Szene zu setzen. Aber wehe, ein bisschen Stil ist gefragt, da stellt er sich ganz hinten an. Hans Rot, grummelte Fanni, kennt schier jeden im Umkreis von zehn Kilometern. Ulrich Zankl, den verstorbenen Bürgermeister von Birkdorf, hat er sogar privat und persönlich gekannt! Hans kennt auch Anna Eder, die Oberbürgermeisterin von Deggendorf – nicht ganz so persönlich allerdings. Alois Schraufstetter, den Kommandanten der Deggendorfer Feuerwehr, kennt er und den Wirt von Schaching sowieso. Aber komme ihm bloß keiner mit Namen wie Newton, Kant, Böll, die sind Schall und Rauch für ihn.

Fanni peilte das Friedhofskreuz an und befand es von der Stelle am Hauptweg, an der sie soeben stehen geblieben war, als viel zu weit entfernt.

Ich stand bei der Beerdigung näher dran und ein Stückchen weiter rechts davon, dachte sie und ging weiter.

Weil sich Hans im Friedhof vom Trauerzug ausgeklinkt hat, erinnerte sich Fanni, weil er, statt mit der ganzen Gemeinde den Hauptweg entlangzuziehen, etliche Abkürzungen über Nebenwege genommen hat, sind wir ziemlich nah ans Grab des Bürgermeisters herangekommen. Unsere Position befand sich zwei Gräberreihen davor, höchstens drei.

Sie begann in der dritten Reihe mit der Suche nach ihren Handschuhen.

Jeweils nach drei, vier Schritten innehaltend las sie die Namen auf den Grabsteinen, denn sie musste das Grab von Erna Saller finden. Die Goldbuchstaben hatten sich in Fannis Hirn geradezu eingeschmolzen, und sie würden auf dunklem Granit sicher leichter zu entdecken sein als schwarze Handschuhe.

»Weber«, »Praml«, »Hübler« … Fanni querte einen Seitenweg: »Hönig«, »Kundler«.

Kundler!, natürlich, hier lag Frau Kundler bestattet.

Vergangenen Herbst ist ihre Beerdigung gewesen, entsann sich Fanni. Und Hans Rot befand sich in jenen Oktobertagen wegen dieser Beerdigung schwer in der Zwickmühle. Er hatte Vera versprochen, am Einheitstag, der in diesem Jahr auf einen Mittwoch fiel, nach Klein Rohrheim zu kommen – samt Fanni, versteht sich – und bis zum Wochenende zu bleiben. Doch dann war Frau Kundler gestorben und sollte am Donnerstag, den 4. Oktober, beerdigt werden.

»Kruzitürken, Kreuzdonnerwetter«, hatte Hans Rot geflucht, »dass alles aber auch so saudumm zusammenkommen muss. Die Kundlers sind quasi unsere Nachbarn. Wir müssen zur Beerdigung, wir können uns da nicht drücken.«

»Hans Rot hat neben Ihrem Sarg Spalier gestanden, und er hat es trotzdem geschafft, die Dampferfahrt mit dem Klein Rohrheimer Kegelclub nicht zu versäumen, das nennt man Organisationstalent«, sagte Fanni zur toten Frau Kundler.

Ihr Blick fiel auf einen Strauß frischer weißer Lilien, der in einer dunkellila Porzellanvase steckte.

Geschmackvoll, dachte Fanni.

Insgesamt war das Grab auffällig gut gepflegt.

Herr Kundler muss die Lilien gerade eben erst gebracht haben, überlegte Fanni, sonst würden sie längst die Köpfe hängen lassen bei dem Frost heute.

Kundler verwöhnt seine tote Frau nachgerade, stellte Fanni fest, ohne zu bemerken, wie absurd dieser Gedanke war.

Drückt ihn ein schlechtes Gewissen?, fragte sie sich. Fühlt er sich schuldig, weil sich das Herzleiden seiner Frau vor drei Jahren drastisch verschlechterte, als sie erfahren musste, dass er ihr jahrzehntelang eine uneheliche Tochter verschwiegen hatte, die er aber regelmäßig besuchte? Fühlt er sich als Verräter, weil diese uneheliche Tochter mitsamt ihrem vermutlich unehelichen Kind nach Frau Kundlers Tod zu ihm zog?

»Ich hoffe«, sagte Fanni zu der toten Frau Kundler, »Sie sind toleranter als unsere Nachbarn vom Erlenweiler Ring. Selbst Frau Praml, die sich für modern hält, krächzt mit ihrer Kreissägenstimme: ›Beleidigend, beleidigend, beleidigend.‹ Fühlen Sie sich beleidigt, Frau Kundler?«

Fanni schüttelte anstelle der Toten den Kopf und ging weiter.

»Gruber«, »Klein«, »Saller«. Fanni pflückte die Handschuhe vom Grabstein und zog sie an.

Der nächste Querweg gab ein schmal eingerahmtes Blickfeld auf die Begräbnisstätte des Bürgermeisters frei. Die Kränze darauf bildeten einen stattlichen, recht bunten Hügel, Spruchbänder raschelten im Wind. Vor dem Kranzberg befand sich ein kleiner schwarz-weißer Buckel.

Fanni verengte die Augen. Dieser zweite Hügel sah aus wie ein riesiges Kissen, weiß mit schwarzen und goldenen Mustern.

Sie machte ein paar Schritte darauf zu.

Im nächsten Augenblick bereute sie es. Aus dem Kissen ragten schwarze Schuhe, rosige Patschhändchen und ein dunkler Haarschopf.

Fanni stolperte einen Schritt zurück, als ihr klar wurde, dass das, was sie für ein Kissen gehalten hatte, der Birkdorfer Pfarrer Winzig war.

Seine Fleischmassen bauschten das weiße Chorhemd und das schwarz-goldene Messgewand zu einem Polster. Pfarrer Winzig war seit Jahren fettleibig im besten pathogenen Sinn. Fanni hatte sich hie und da gefragt, wann ihn der Schlag treffen würde.

Hatte es ausgerechnet heute sein müssen?

Soll ihn doch finden, wer will, dachte Fanni. Sie wollte auf der Stelle weg hier. Hastig drehte sie sich um.

»Ich habe nichts gesehen, gar nichts«, flüsterte sie und kniff die Augen zu. Doch auch das konnte die Stimme, die nun in ihrem Kopf laut wurde, nicht mundtot machen.

He, Fanni Rot! Hast du komplett den Verstand verloren? Was wenn ihn der Schlag bloß gestreift hat, nicht getroffen? Vielleicht lebt er noch, der Herr Pfarrer. Vielleicht erholt er sich wieder, wenn er schnell genug in eine Stroke Unit gebracht wird.

Stroke Unit! Hatte nicht Frau Praml neulich behauptet, die Stroke Unit vom Klinikum Deggendorf und die vom Bezirkskrankenhaus Mainkhofen machten sich gegenseitig Patienten streitig?

Egal, Fanni! Sieh zu, dass er Hilfe bekommt – schnell!

Fanni dachte an ihr Handy, das sie selten irgendwohin mitnahm, und schon gar nicht auf Beerdigungen.

Frau Fanni lernt halt nicht aus Erfahrungen! Los jetzt, Bewegung!

Sie begann zu rennen, hastete über die Kieswege zurück auf den Birkenplatz hinaus und keuchte ins Dorfwirtshaus, wo die Trauergäste bereits ihre Knödel in Soße tränkten. Niemand nahm Notiz von ihr. Fanni schlüpfte auf den leeren Platz neben ihrem Mann und zupfte ihn am Ärmel.

»Wo bleibst du denn so lang?«, murrte er. »Dein Essen wird kalt.«

»Der Pfarrer liegt vor dem Grab«, flüsterte Fanni.

Hans Rot schüttelte unwillig den Kopf und grunzte: »Es ist der Bürgermeister, und er liegt im Grab. Iss was Warmes, damit dein Hirn wieder auftaut.«

Fanni seufzte. »Der Bürgermeister liegt im Grab, und der Pfarrer ist davor zusammengebrochen.«

Hans Rot hörte auf zu essen. Fanni beschrieb das Bild, das sie noch deutlich vor Augen hatte.

Ihr Mann legte sein Besteck beiseite, zog das Handy aus der Innentasche seines Jacketts, stand auf und hastete aus der Gaststube.

So macht man das, Fanni!

Fanni starrte auf die Fettränder an den Fleischscheiben auf ihrem Teller. Nach einer Weile kam Hans zurück, eilte an seinem Platz am Tisch vorbei, beugte sich von hinten über die Schulter des Schützenvorstandes und flüsterte mit ihm.

Fanni konnte sich nicht erklären, wie es auf einmal kam, aber plötzlich fielen ringsum Gabeln und Messer klappernd auf halb leer gegessene Teller, und sämtliche Schützen eilten hinaus. Sie blieb einsam an dem Tisch zurück, der für den Schützenverein reserviert gewesen war. Einige der Trauergäste hoben die Köpfe von ihrem Leichenschmaus und sahen Fanni neugierig an.

Da verdrückte sie sich.

Weil ihr Mann den Autoschlüssel in der Tasche stecken hatte, ging sie die drei Kilometer nach Erlenweiler zu Fuß, auf dem Radweg an der Landstraße entlang, die von der Kreisstadt Deggendorf an diversen Dörfern und Weilern vorbei zum Bogenberg führte. Von dieser Hauptverkehrsstraße zweigten mehr oder weniger breite Nebenwege ab. Einer davon war der Erlenweiler Ring, so genannt, weil das Sträßchen vor den letzten beiden Häusern (dort wohnten Beutels und Webers) einen Kreis beschrieb, um dann wieder in sich selbst zu münden. Die Rots wohnten am Erlenweiler Ring Nummer 8.

Auf dem letzten Stück der Strecke nach Hause begann sich Fanni zu fragen, wieso ihr der Sanka nicht längst entgegengekommen war.

War wohl nicht mehr nötig!

Fanni nickte. Falls es der Schlaganfall nicht zuwege gebracht hat, ist es dem Frost gelungen, Pfarrer Winzig den Garaus zu machen, dachte sie.

Und warum? Weil Fanni Rot alles dadurch verzögert hat, dass sie ihr Handy grundsätzlich zu Hause in der Schublade lässt – wider alle Vernunft!

Fanni schlug die Haustür zu und hoffte, damit auch das Gedankenflüstern auszusperren. Sie schälte sich aus dem Mantel, zerrte die Stiefel von den Füßen, tappte auf Socken in die Küche und schaltete den Wasserkocher ein.

Drei Stunden später hatte Fanni einen Aufsatz mit dem Titel »Wahrnehmung und Verhalten« sorgfältig durchgelesen, den Leni ihr neulich mitgebracht hatte. Fannis älteste Tochter wusste, dass ihre Mutter den Geheimnissen des menschlichen Körpers gern auf der Spur war. Während der Lektüre hatte Fanni die ganze Kanne Tee leer getrunken.

Später hatte sie ihren schwarzen Mantel wieder im »Schrank für in Misskredit geratene Kleidung« verstaut, die Spülmaschine ausgeräumt und die Zimmerpflanzen gegossen.

Am Erlenweiler Ring gingen die Straßenlaternen an. Fannis Magen meldete sich mit leisem Knurren. Sie drapierte zwei Scheiben Vollkornbrot, ein Stückchen Ziegenkäse und fünf Oliven auf einen Teller. Als sie sich das Glas Rotwein einschenkte, das sie dazu trinken wollte, kam ihr Mann nach Hause. Er roch nach Schnaps.

2

Die Schützen hatten auf den ersten Blick gesehen, dass der Pfarrer tot war, und Hans Rot hatte sich ein weiteres Mal mit der Rettungsleitstelle in Verbindung gesetzt. Ein Sanka sei nun doch nicht vonnöten, ein Notarztwagen ebenso wenig, hatte er erklärt und hinzugefügt, den Tod des Pfarrers könne auch Dr.Wieser bescheinigen.

Dr.Wieser betrieb in Birkdorf gleich neben der Sparkasse eine Praxis für Allgemeinmedizin und hatte eben mit der Abendsprechstunde beginnen wollen, als ihn der Vorstand des Schützenvereins wegholte. Von seiner Praxis zum Friedhof waren es nur fünf Gehminuten, denn in Birkdorf lag alles erfreulich nah beieinander: Dorfwirtshaus, Kirche, Edekageschäft, Schule, Kindergarten, Magistrat, Sparkasse, Arztpraxis, Friedhof.

Fünf Mann halfen Dr.Wieser dabei, den Pfarrer auf den Rücken zu legen. Fünf Mann starrten in das blutverkrustete Gesicht des Toten. Fünf Mann hörten ein Rascheln, blickten auf und sahen Togo-Franz den Hauptweg hinuntereilen.

»Togo-Franz?«, unterbrach Fanni den Bericht ihres Mannes.

Er sah sie vorwurfsvoll an. »Selbst Fanni Rot wird doch wohl schon von dem Gastpriester aus Westafrika gehört haben, der im Pfarrhof wohnt und den alle Togo-Franz nennen, weil niemand seinen wirklichen Namen aussprechen kann.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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