Millie an der Ostsee - Dagmar Chidolue - E-Book

Millie an der Ostsee E-Book

Dagmar Chidolue

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Beschreibung

Ein neues turbulentes kunterbuntes Ferienabenteuer mit Millie! Millie kann es kaum erwarten: In diesen Sommerferien geht es an die Ostsee. Im Sand buddeln, Fahrradtouren mit Mama, Papa und ihrer kleinen Schwester Trudel auf dem flachen Land – klingt schon mal super, findet Millie. Dass Mama ihr aber gleich noch einen Mini-Segelkurs gebucht hat, ist ihr allerdings nicht ganz geheuer – ein bisschen Muffensausen hat Millie schon. Andererseits kann sie als Kapitänin dann ganz alleine in See stechen und die Welt entdecken. Oder soll sie zuerst mal kleiner anfangen und ein Buddelschiff bauen? Oder doch lieber mit Mama, Papa und Trudel ins Marzipanmuseum gehen? Mit Landkarte und Millies Spezial-Ostsee-Lexikon und 77 farbigen Bildern von Gitte Spee

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Seitenzahl: 160

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Dagmar Chidolue

Millie an der Ostsee

Mit farbigen Bildern von Gitte Spee

FISCHER E-Books

Inhalt

HorchguckMeeresungeheuerDer Pupsi-SpatzFräulein SorgenvollNacktmulleDer blaue PulloverSchneckenschleicherZu alten ZeitenHühnergötterBuddelschiffDer goldene PfadI-AAHSchatzhöhleDie NagelschraubeStrandfestZwiebeln zum FrühstückMit halbem WindTante AnnieMillies Spezial-Ostsee-Lexikon

Horchguck

Mann! Was müssen Mama und Papa Millie und ihre kleine Schwester Trudel wieder hetzen: »Beeilung!« »Beeilung!« »Beeilung!«

Dabei sind doch Ferien! Eigentlich sollte der Tag deshalb ganz gemütlich ablaufen. Okay … Millie geht heute auf Reisen. Das heißt … Millie und die ganze Familie. Die Koffer sind bereits gepackt. Das Auto ist vollgetankt.

Trudel, die ein Kindergartenkind ist, macht vor lauter Hetze – »Beeilung!« »Beeilung!« »Beeilung!« – schon schlapp. Sie hat sich im Wohnzimmer auf den Boden geworfen und streikt. Millie ist auch schlappmatt. Aber sie soll für die kleine Schwester ein Vorbild sein. Obwohl sie dazu nicht immer Lust hat. Heute schon gar nicht. Sie würde sich ebenfalls gern auf den Boden schmeißen, doch Mama will, dass sie noch eine Runde durchs Haus dreht.

Hat Trudel vielleicht den Wasserhahn im Bad aufgedreht, und das Wasser wird nun zehn Tage lang laufen und laufen und laufen?

Nee.

Hat Papa vergessen, das Licht im Treppenhaus auszumachen?

Nee.

Hat Mama die Kaffeemaschine aus Versehen angelassen?

Nee.

Hat Millie etwa die Klospülung nicht gedrückt?

Nee.

Alles paletti! Muss Papa denn nun selber noch eine Runde durchs Haus drehen? Will er Millie kontrollieren?

Da ruft er bereits: »Millie!«

Häh?

»Millie, du hast das Licht im Kinderzimmer angelassen!«

Das hat sie extra so gemacht, damit Papa gleich sehen kann, dass sie nichts vergessen hat!

Nun ist alles in Ordnung, und die Reise kann losgehen. Dieses Mal fahren sie an die Ostsee!

Trudel wird bestimmt sofort pennen, und Millie soll sich die Gegend anschauen. Bloß nicht nerven.

Gegend anschauen ist langweilig. Meistens fliegen draußen nur dünne grau-grüne Streifen vorbei. Das nennt man … Landschaft. Hin und wieder sind die Farbstreifen tätowiert. Mit einer fliegenden Kuh oder mit einem mickrigen Radfahrer, der wie ein Strichmännchen aussieht. Da fallen Millie fast die Augen zu. Bevor es jedoch so weit kommt, unterhält sie sich lieber mit Papa und Mama. Obwohl die beiden es garantiert lieber haben, wenn Millie während der Autofahrt die Klappe hält.

»Ist die Ostsee dasselbe wie die Nordsee?«, fragt sie leise. Sie will die kleine Schwester nicht aufwecken. Dann müsste sie nämlich stundenlang mit Trudel Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst spielen. Und das kann auf den Keks gehen.

»Ach Millie«, stöhnt Papa bereits. »Ist doch klar: Die Ostsee liegt im Osten. Und die Nordsee …«

»Im Norden«, wirft Millie schnell ein.

»So ganz stimmt das nicht«, meint Mama. »Von uns aus gesehen liegen beide Meere im Norden, nur die Ostsee ein bisschen …«

»… öst-li-cher«, fällt Millie Mama ins Wort.

Vielleicht gibt es auch noch die Westsee und die Südsee. Millie muss sich bei Gelegenheit mal schlaumachen.

Oh, jetzt hat sie was Interessantes gesehen. Und eine Pause würde ihr guttun.

»Papa, fahr mal runter von der Autobahn.«

Papa nimmt tatsächlich den Fuß vom Gas. »Was ist? Musst du vielleicht?«

»Nö! Da war eben ein großes Spielzeug-Kaufhaus! Da vorne! Da hinten!«

»Sag mal … spinnst du?« Papa gibt wieder Gas.

»Nee, echt, Papa, da gibt es bestimmt schöne Spiele zu kaufen, Kartenzähl-Spiele und Merkkästchen-Spiele und Sammelpuppen-Bauhäuser und …«

»Millie!«

»Damit wir uns nicht langweilen!«

»Damit du dich nicht langweilst.«

»Trudel auch nicht.«

Mama und Papa schweigen.

Millie macht weiter: »Ich habe eben ein Möbelhaus gesehen. Mamas Lieblings-Möbelhaus. Wo es die bunten Servietten gibt.«

»Millie!«

»Und die Filzsets … und die Butterkekse …«

Da fragt Mama: »Millie, musst du vielleicht doch auf die Toilette?« Und an Papa gewandt, schlägt sie vor: »Vielleicht sollten wir eine Pipipause machen.«

»Nö«, sagt Millie. »Ich muss nicht. Ich meinte nur …«

»Schnatter, schnatter, schnatter«, wirft Papa ein.

Was soll das heißen?

Ach so … Papa ist genervt. Dann sollte Millie besser still sein.

Sie kramt in ihrem Kopf nach schönen Gedanken. Leider fällt ihr keiner ein. Kein einziger schöner Gedanke. Obwohl … Ferien sind schon gut. Auch wenn es bloß nach Norden und nach Osten geht. Dahin, wo das Meer aussieht wie Mama, wenn sie auf den Knien liegt und die Scherben in der Küche unter dem Tisch zusammenfegt. Weil Trudel wieder eine Tasse runtergeschmissen hat. Millie macht das nie!

An der Nordsee war Millie bereits. Jetzt fahren sie auf die andere Seite. Dahin, wo sich die Füße der knienden Mama befinden, die Zehenspitzen. Das ist das letzte Ende von der Ostsee.

Millie weiß, dass sie den ganzen Fuß der Ostsee-Mama abklappern werden. Von Ort zu Ort. Von MacPommes bis nach Schieß-mich-Hol-den-Stein. Okay: Von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Schleswig-Holstein. Ein bisschen Insel-Hüpfen, ein bisschen Stadt-und-Land-Hüpfen. Hopping kann man dazu sagen.

So ist die Reise geplant: Von Stahls-Hund … »Wie noch mal, Mama? …

»Stralsund, Millie!«

Also, von dort, wo der Fuß von der knienden Mama ist, über die Rückeninsel hin zu einer Hänselstadt (die liegt am großen Zeh der Mama). Dann weiter – hopp, hopp, hopp – die Küste entlang und hinauf in den Norden bis zu Tante Annie in Dänemark. Noch weiter hoch geht es zum Nordpol. Da fahren sie aber nicht hin. Geht nicht mit dem Auto.

Millie hat gehört, dass es bei Tante Annie den besten Hotdog der Welt gibt. Das heißt … Papa hat das in einem Artikel über Biker gelesen. Beiker … heißt das. Das sind Radfahrer, die sind nämlich mit einem Bi-cy-cle unterwegs, mit einem Bike. Samstag- und sonntagnachmittags ist Millie auch oft ein Biker. Eine Beikerin! Sie ist sich jedoch nicht ganz sicher, ob man ihr Fahrrad wirklich als Bike bezeichnen kann.

Jedenfalls stand im Artikel über die Biker drin, dass die auf ihren Touren im Norden stets bei Tante Annie haltmachen. Weil der Hotdog, den sie brutzelt, der beste der Welt sein soll. Und wenn sie schon in der Nähe sind, muss Millie den unbedingt probieren. Klar.

Ach so … Tante Annie ist nicht Millies Tante. Sie ist nicht einmal Mamas Tante. Das ist Tante Gertrud. Tante Annie … so heißt bloß der Kiosk, die Bude, in der diese Tante Hotdogs verkauft. Würstchen!

Millie ist besonders aufgeregt, weil sie segeln lernen wird! Jaaaaa! Es hat gedauert, Papa und Mama zu überzeugen, sie zu einem Kurs anzumelden. Zu einem Kinder-Segelkurs! Mit einem Boot und auf dem Wasser! So was gibt’s an der Ostsee. Millie hat das Angebot in einem Prospekt gefunden. Boah … wenn das was wird! Dann kann Millie angeben … vor ihren Freunden, Kucki und Gus und Wulle zum Beispiel. Zugegeben … ein bisschen Schiss hat sie schon. Aber wenn sie diesen Segelkurs hinter sich hat, kann sie locker um die ganze Welt schippern. Weltumseglung!

Wie Millie sich so die Reise vorstellt, fährt ihr ein Schrecken in die Glieder. Manno! Frau Heimchen, ihre Lehrerin, hat allen eine Aufgabe für die Ferien gegeben. Entweder jeden Tag zehn Minuten lang was lesen. Oder in der Klasse das Lieblingsbuch vorstellen, mündlich oder in einem kleinen Aufsatz, den sie in den Ferien schreiben sollen.

Millie hat als Lieblingsbuch mal dies und mal das. Zum Beispiel: Der unglaubliche Bücherfresser. Oder: Der Tigerprinz. Und auch: Meine kleine Salzwerkstatt. Eine Zeitlang war ihr Lieblingsbuch: Mein kleines Schimpfwörter-Abc.

Im Moment ist es das Entenbuch mit lustigen Geschichten. Hups! Sie hat es zu Hause vergessen! Sie hat es vergessen!

Was nun? Muss sie nun selber Entengeschichten schreiben? Hm … schöner Mist. Wenigstens ihr Portemonnaie hat sie ins Köfferchen gesteckt. Da ist viel Geld drin! Mindestens fünf Euro siebzig! Das müsste für ein Andenken reichen. Oder für ein paar Tüten Gummibärchen. Bestimmt auch für ein Leckeis. Oder zwei!

Und wie sie so nachdenkt und schon mit halbgeschlossenen Augen den roten Mohn über die grasgrünen Wiesen fliegen sieht, blaugrünes, niedriges Getreide, silberblaue Teiche zwischen sanften Hügeln … da ist sie doch eingeschlafen.

Krrr, krrr, krrr.

Hups, wups … jetzt sind sie irgendwo angekommen! Die letzte Strecke ist Mama wohl gefahren. Millie hat gar nicht mitgekriegt, dass sie Papa beim Fahren abgelöst hat. Mann, muss sie gähnen … huahhh, huahhh.

Trudelchen reibt sich auch die Augen und reißt den Mund weit auf … huahhh, huahhh.

Gähnen steckt an … huahhh, huahhh. Das können Millie und Trudel stundenlang so weitermachen.

»Jetzt ist’s gut!«, meint Papa.

Schnell schaffen sie das Gepäck ins Hotel und gehen sofort auf Erlebnistour.

Wo sind sie denn? Wo sind sie denn hier? An der Ostsee? Millie kann das Meer nicht sehen!

Ach so, erste Station: Stahls-Hund.

Stralsund, Millie!

Ja, ja.

Also flixi-flugs im Hotel einchecken, Gepäck aufs Zimmer bringen und dann gleich losmarschieren.

Am liebsten soll es dahin gehen, wo die Musik spielt: Tätä tätä tätä täää!

»Ach, du liebe Zeit«, jammert Papa. »Ich glaube, heute findet ein Hafenfest statt.«

Juhu!

Weiße Wölkchen am himmelblauen Himmel. Und ist das blaue Wasser, das da hinten schimmert, tatsächlich die Ostsee?

Bestimmt.

Millie will gleich hinlaufen. Sie legt einen Zahn zu. Die Eltern mit Trudel in der Mitte sollten mal ein bisschen flotti-flotti machen! Eh sie was verpassen.

Von weitem kann man ein riesiges Segelschiff sehen.

»Oh«, sagt Papa jetzt bewundernd. »Die Gorch Fock! Das berühmte Segelschulschiff.«

Horchguck?

Oha! Schulschiff hört sich an, als ob man auf dem Schiff segeln lernen kann. Ist es das, mit dem Millie segeln lernen wird? Das ist doch wohl ein bisschen zu groß für sie.

»Uhhh«, stößt Mama aus. »Das hat ja eins, zwei, drei … Segel … oder so.«

»Drei Masten«, weiß Papa und schaut in den Stadtführer von Stralsund. »Da müsste eigentlich noch mehr über den Windjammer drinstehen.«

»Windjammer?« fragt Millie. »Häh?«

»Häh?«, echot die kleine Schwester. »Windmama?«

Ach, Trudelchen.

»Windjammer nennt man solche großen Segler«, erklärt Papa, blättert im Reiseführer und fährt fort: »Ja, hier steht’s, das Schulschiff hat drei Masten. Und dreiundzwanzig Segel. Junge Leute lernen darauf segeln und sind damit in der ganzen Welt unterwegs.«

Meint er mit den jungen Leuten Millie? Jetzt kriegt sie doch Muffensausen. Ohne Mama und Papa will sie auf keinen Fall in der großen weiten Welt herumirren! Und auch nicht ohne Trudelchen. Ihr Segelkurs findet hoffentlich nicht auf diesem Riesenpott statt.

Zum Glück muss sie nicht aufs Schiff. Mama ist die Rettung! Sie zieht ihre Kinder einfach weiter, bevor Papa Millie auf diesen Riesentrümmer schleppt.

Uiii! Millie muss sich die Ohren zuhalten. Denn von dem Krach der Blaskapelle dort drüben am Kai, an dem die Gorch Fock festgemacht hat, kann man taub werden! Tätä tätä tätä täää!

Abhauen!

Lieber dahin laufen, wo das gewaltig große Riesenrad aufgebaut ist und die Leute Schlange stehen. Oder nach da drüben, wo man die glitzernden fliegenden Luftballons sehen kann. Oder dorthin, wo das Hopsi-Popsi-Trampolin steht.

Trudel will unbedingt zu dem Hier-wird-einem-schlecht-Karussell. Sie zieht und zieht an Mamas Hand. Aber Mama ist stärker. Sie führt die Familie zu dem Imbiss-Stand, wo Unmengen von Fischbrötchen angeboten werden. Brötchen mit Kribbelkrabbel-Tieren und mit Silberglanz-Fischen, die Schwänze haben. Ooohhh … ob die Fische noch leben?

Die Eltern können ruhig Silberfische und Kribbelkrabbel-Tiere essen. Millie und Trudel haben was Besseres entdeckt. Einen Stand, bei dem man knallrote glasierte Äpfel am Stiel kaufen kann.

Glasiert? Aus Glas und doch zum Essen?

Jo!

Her mit dem Geld, Mama!

Papa zückt sein Portemonnaie. Er ist lieb. Und er schleppt Millie nicht auf das Horchguck-Segelschiff, damit sie dort segeln lernt und ganz alleine um die Welt irren muss. Das hätte sie sich eigentlich denken können!

Aber dass sie sich an der scharfen roten Kante vom gläsernen Apfel die Lippe aufreißt, ist total doof.

Meeresungeheuer

Weil der erste Hunger gestillt ist, können sie in Stralsund noch was unternehmen. Was denn mal? Nur Straßen rauf und runter laufen und Häuser angucken … das ist nichts für Kinder.

Ah, hier ist es schon besser, in dieser engen Gasse. Die Schritte hallen auf dem Boden. Das Geräusch fliegt hoch und schallt von den Wänden ringsherum wider.

»Was für ein Echo!«, sagt Mama und ruft: »Hallo!«

Das Hallo kommt sofort zurück. Super!

Trudel muss das gleich nachmachen.

»Hallo!«, brüllt sie. »Hallo!« Und hört und hört nicht mehr auf. »Hallo!« »Hallo!« »Hallo!«

Sie ruft in jeden Hauseingang hinein, in jede offenstehende Tür, in jedes Garagentor.

»Hallo!« »Hallo!« »Hallo!«

Mannomannomann! Die Leute gucken bereits. Und Millie schämt sich in Grund und Boden. Kann Mama die kleine Schwester nicht mal stoppen? Oder Papa ein Machtwort sprechen?

»Sie wird von selber wieder aufhören«, meint Mama.

In diesem Moment hat Millie was Interessantes entdeckt. Ein Plakat, auf dem Geisternetze steht. Hört sich schön gruselig an.

»Geister? Gespenster?« Millie sieht Papa fragend an. Ob er zu so was mitgehen würde?

Trudel hört sofort mit ihrem Hallo-hallo-Geschrei auf.

»Gessspensst?«, fragt sie neugierig.

Sie lispelt immer noch fürchterlich. Kann sie ihre Zunge nicht hinter den Zähnen lassen? Erwachsene finden das süß. Aber lispeln ist nicht richtig! Nicht ganz richtig.

Mama liest alles, was auf dem Plakat geschrieben steht.

»Aha!«, sagt sie dann. »Das mit den Geisternetzen ist eine Sonderausstellung hier im Meeresmuseum. Sollen wir uns die ansehen?«

Klaro. Aber bis Millie was über die Geisternetze erfährt, muss sie erst durch das ganze Museum laufen. Treppe rauf, Treppe runter, Treppe rauf. Überall auf dem Weg sind richtige Meeresungeheuer zu sehen.

Sind die etwa alle echt? Seeteufel, Tigerhai und Schwertfisch? Mondfische? Der Krake mit hunderttausend Saugnäpfen?

Nee: ausgestopft!

Und das riesige grün-blau-lilafarbene Korallenriff?

Echt tot!

Das Ding mit den unendlich vielen Stacheln zum Glück auch, sieht aus wie ein Schoko-Weihnachtsstern mit tausend lila Mikado-Stäbchen?

Toll!

In Wirklichkeit möchte Millie dem Weihnachtsstern allerdings nicht begegnen. Der könnte gehörig piksen!

Und was hängt da an der Decke? Ach so … ein Gerippe mit allem Drum und Dran. Den Knochenkopf nennt man Schädel, ellenlang ist der. Und der Knochenkörper heißt Skelett. Hat jeder unter der Haut. Auch Millie.

Der Knochenkörper mit dem Knochenkopf soll von einem Wal stammen. Der muss mindestens hundert Meter lang gewesen sein. Oder fünfzig. Oder dreißig … fast. Immerhin!

Der Wal-Knochenkopf hat so viele Knochen, dass er eigentlich einen davon abgeben könnte. Das wäre ein tolles Andenken! Millie könnte super damit prahlen, vor Gus zum Beispiel. Sie reckt sich und streckt sich, aber sie kann sich abmühen, so viel sie will … an das Skelett kommt sie nicht ran. Na, dann behalt doch deine Knochen!

Beim Gang durch die Museumsräume kommen sie an einer roten Riesenkrabbe vorbei. Der möchte Millie auch nicht in echt begegnen. Die frisst bestimmt Kinder. Zumindest so kleine wie Trudelchen. Die hat nämlich zehn Pfoten, mit denen sie zupacken kann! Die Krabbe, nicht Trudel!

Millies kleine Schwester hat gar keine Angst vor der Riesenkrabbe! Sie drückt ihre Nase fest an die Glasscheibe der Vitrine, in der das Riesenvieh aufbewahrt wird. Jetzt hat die Scheibe einen Fettfleck. Trudel guckt und guckt auf den Abdruck ihrer platt gedrückten Nasenspitze. Sie ist ganz fasziniert davon. Und dann macht sie noch einen Nasenfleck. Weil’s so schön ist! Die beiden Fettflecke haben Regenbogen-Farben: Rot, Orange, Gelb, Grün, Hellblau, Dunkelblau, Violett – wow! Das kommt von der Sonne, die von irgendeinem Fenster her draufscheint.

Ist Trudels Nase nun für immer und ewig im Museum zu bewundern? Bestimmt, solange keiner ein Wischwasch-Tuch nimmt und die Scheibe sauberwischt.

Plötzlich fällt Millie ein, dass sie eigentlich wegen der Gespenster hergekommen sind. Wegen der Geister. Genauer gesagt: wegen der Geisternetze.

Weiß Papa vielleicht, wo es die zu sehen gibt?

Er weist mit dem Finger nach unten. Treppe runter. Ach so … Millie kapiert sofort, was das mit den Geisternetzen zu bedeuten hat.

Es ist nämlich so, dass Fischernetze im Meer oft einfach herrenlos herumschwimmen. Das passiert, wenn Fischer ihr Netz nicht richtig festgemacht haben. Oder die Netze verhaken sich irgendwo und reißen ab. Und dann kommt ein Wal, verheddert sich und kann sich nicht mehr befreien. Er stirbt im Geisternetz.

Millie weiß eigentlich, dass ein Wal kein Fisch ist. Sachkundeunterricht, 2. Klasse! Meistens sagt man das trotzdem so: Walfisch. Dabei sind kleine Wale richtige Nuckelbabys. Wie kleine Kälbchen. Oder wie kleine Ferkel. Oder wie Millies kleine Schwester. Früher! Heute nicht mehr.

Millie und Trudel flitzen schon mal in den Raum, der nahe am Ausgang des Museums ist. Mama und Papa trödeln. Nicht auszuhalten!

Der Raum sieht aus wie ein Wartezimmer in einem Kinderkrankenhaus. Lauter bunte Meeresungeheuer liegen hier herum. Aus Holz natürlich, damit die kleinen Kinder rumturnen können.

»Lupp-Pallon!«, ruft Trudel und zeigt an die Zimmerdecke.

Manche Wörter, die sie sagt, hören sich so lustig an, dass keiner sie verbessert. Hin und wieder redet Millie auch so. Und Mama! Papa nie!

Millies kleine Schwester hat recht. Der Himmel … öh … die Zimmerdecke hängt voller weißer, fast durchsichtiger Luftballons. Trudel hat ihren Kopf in den Nacken gelegt und guckt und guckt. Gleich fällt ihr noch der Dez vom Hals! Möchte sie so einen Luftballon haben? Trudel nickt heftig. Na, da will Millie mal nicht so sein. Die kleine Schwester setzt sich auf einen grünen Kugelfisch mit roten Piksern und wartet ab.

Millie schnappt sich einen Stuhl und klettert hinauf. Sie zeigt auf einen Luftballon. Trudel schüttelt den Kopf. Sie will den größten haben. Das hätte Millie sich ja denken können.

Also runter vom Stuhl und unter den größten Ballon schieben.

Okay, Trudel?

Die kleine Schwester nickt.

Millie hebt ihren Arm und streckt den Zeigefinger aus. Sie kommt leider nicht an den größten aller Ballone heran. Muss sie jetzt in die Luft springen? Oh, oh! Vielleicht verfehlt sie dann den Stuhl und plumpst auf den Boden.

Während sie noch überlegt, kommen Mama und Papa herein.

»Um Gottes willen!«, ruft Mama. »Was machst du da?«

»Lupp-Pallon!«, brüllt Trudel.

»Millie!« Papa und Mama regen sich richtig auf.

Es sind gar keine Luftballons, die da oben von der Decke hängen. Ach so, dann sind das bestimmt durchsichtige Quallen. Haben die Museumsleute die aus dem Meer gefischt und hier zum Trocknen aufgehängt?

»Nein, nein, das sind zugeschnürte Plastiktüten«, erklärt Papa. »Das Meeresmuseum will damit zeigen, wie viele davon im Meer herumschwimmen. Viel zu viele nämlich!«

Stimmt, denn dieser Plastikmüll geht nicht kaputt. Die Fische fressen ihn und gehen daran zugrunde. Oje.

Millie muss vom Stuhl klettern. Trudel hat nun leider keinen Lupp-Pallon. Stattdessen möchte sie den grünen Kugelfisch mitnehmen. Sie umarmt ihn, als wäre er ihr Freund. Aber der kugelrunde Kugelfisch mit den roten Piksern will nicht mitgehen, sosehr sich Trudel auch anstrengt.

»Kinder, Kinder, Kinder!«, murmelt Papa und schüttelt den Kopf.

Im Meer, im richtigen großen Weltmeer, tummeln sich sogar Quietsche-Entchen herum. Das kann man auch im Museum sehen. Im Eingangsbereich steht ein riesiger Globus, und auf dem schwimmen gelbe Plastik-Badeentchen.

Was ist denn das für eine Entengeschichte?

Diese hier: Ein großes Container-Schiff hatte dreißigtausend Plastik-Enten geladen. Eigentlich waren die für Spielzeug-Läden bestimmt. Doch der Container fiel von Deck, knallte mit einem Riesenplatsch aufs Wasser und zerbrach. Und alle dreißigtausend Quietsche-Entchen waren frei.

Enten können schwimmen! Auch Quietsche-Entchen.

Seitdem gondeln sie um die Welt. Immer weiter und weiter über alle Meere. Dreißigtausend! Millie kann sich nicht einmal dreißigtausend Gummibärchen vorstellen, so riesig groß ist die Zahl.

30000! Eine Drei mit vier Nullen!

Und dann kommt ein Wal … oder ein Tigerhai … oder eine Riesenkrabbe angeschwommen … Sie wissen nicht, dass sie Plastik nicht verdauen können. Dass das Zeug schwer in ihrem Magen liegt und liegt und liegt.

Plastik-Enten sind deshalb richtige Meeresungeheuer!

Bis auf das Quietsche-Entchen, das bei Millie und Trudel zu Hause in der Badewanne schwimmt. Das stammt nicht vom Container. Es ist ein Geschenk von Tante Gertrud.