Nähe und Freiheit - Gianni Valente - E-Book

Nähe und Freiheit E-Book

Gianni Valente

0,0

Beschreibung

Gianni Valente ist seit Jahren mit Papst Franziskus befreundet. Immer wieder hat er mit ihm Gespräche über Gerechtigkeit, Glaubensverkündigung und Kirchenreformen geführt. Die wichtigsten der daraus entstandenen Texte sind in diesem Buch zusammengestellt, etwa zur bevorzugten Option für die Armen, zur Öffnung der Kirche, zur Beständigkeit durch Wandel – vor allem aber ein Gespräch zur Lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Aparecida 2007, die er maßgeblich prägte und die ganz klar das Verständnis des Papstes von einer glaubwürdigen Kirche zeigt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 64

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gianni Valente

NÄHE UND FREIHEIT

Im Gespräch mitJorge Mario Bergoglio/Papst Franziskus

Aus dem Italienischen von Silvia Kritzenberger

Impressum

Titel der Originalausgabe:

Francesco, un papa dalla fine del mondo. La persona, le idee, lo stile

© EMI 2013, Via di Corticella, 179/4 – 40128 Bologna

www.emi.it

Deutsche Erstausgabe

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © dpa Picture-Alliance / Evandro Inetti

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book): 978-3-451-80178-5

ISBN (Buch): 978-3-451-06713-6

Inhalt

Einführung

Pater Bergoglios »Ende der Welt«Die »Vorzugsoption für die Armen« leben

Die Drohungen der Drogenhändler»Es sind Priester, die beten und arbeiten«

Sakramente und Regel»Wir dürfen die Türen der Kirche nicht verschließen«

Evangelisierung und Volksfrömmigkeit»Die Treue ist immer eine Veränderung«

Der internationale Imperialismus des Geldes»Diese Sünden, die zum Himmel schreien …«

Der zukünftige Papst Franziskus über die Aufgabe des BischofsVerkündiger der Hoffnung

Papst Franziskus – Kurzbiografie

EINFÜHRUNG

In diesem Buch sind die Interviews mit Kardinal Jorge Mario Bergoglio gesammelt, die von 2002 bis 2009 in der internationalen Zeitschrift 30 Giorni veröffentlicht wurden. Eingeleitet werden sie von einer Reportage, die in besagter Zeitschrift unter dem Titel »Die Freunde von Pater Bergoglio. Priester und Arme in Buenos Aires« erschienen ist und eine kirchliche Realität beschreibt, die dem derzeitigen Nachfolger Petri sehr am Herzen liegt.

Ich habe Kardinal Bergoglio im Januar 2002 kennengelernt. Damals war ich nach Buenos Aires gekommen, um eine Reportage über die Wirtschaftskrise zu schreiben, die das Land, das bis dahin eine der solidesten Mittelschichten Südamerikas besaß, in die Knie gezwungen hatte. Er schilderte mir die Situation nicht nur im Bild der lärmenden und wütenden cacerolazos1und der Demonstrationen in den Straßen, sondern auch im sehr leisen und würdevollen Bild der Mütter und Väter, die ihre Arbeit verloren hatten und nachts weinten, wenn ihre Kinder schliefen und niemand ihre Tränen sah.

Mit der Zeit ist für mich, meine Familie und auch den einen oder anderen Freund die Dankbarkeit für seine Patenschaft gewachsen, die einerseits zu einer sehr vertrauten Begleitung wurde, andererseits immer wieder erstaunlich für uns und unser Leben ist.

Aus seinen Erzählungen haben wir immer nur den Seelenhirten herausgehört, der wieder Mut fasst angesichts der Wunder, die Christus unter jenen wirkt, die er am meisten liebt – angefangen bei den Armen. So wurden Ideen und Gedanken geboren, die dann in Artikel und Interviews einfließen konnten. So wie jene zum Beispiel, die den Initiativen der Erzdiözese Buenos Aires gewidmet sind: Sie kümmern sich darum, dass es für alle einen leichteren Zugang zur Taufe und den anderen Sakramenten gibt, und hier lässt sich ohne große Worte erspüren, wie vertraut Bergoglio mit dem Geheimnis der Kirche ist.

In dem, was er sagt und tut, macht er immer wieder nur eines deutlich: dass die Kirche allein kraft der Gnade lebt und wirkt. »Jesus hat – wie Bergoglio einmal sagte – keine Proselytenmacherei betrieben. Er hat stattdessen die Menschen begleitet. Und die Konversionen, die er bewirkte, kamen gerade deswegen zustande, weil er sich darum bemüht hat, bei den Menschen zu sein. Das macht uns zu Brüdern und Schwestern, Söhnen und Töchtern – und nicht zu Mitgliedern einer NGO oder Proselyten eines multinationalen Konzerns.« Eine Dynamik der Nähe und Befreiung, die ihren objektiven und bleibenden Ausdruck im Geschenk der Sakramente findet. Daher muss man die Taufe all jener Menschen – Kinder, Jugendliche, Erwachsene – auf jede nur erdenkliche Weise erleichtern, die aufgrund ihrer Lebensumstände im neuen Kontext der Säkularisierung nicht getauft wurden, ohne weitere Bedingungen an das zu knüpfen, was der Kodex des Kanonischen Rechts vorsieht: dass es nämlich die Eltern sein sollten, die die Taufe für ihre Kinder erbitten, während wir zudem all die alten und neuen Klerikalismen beiseitelassen, die »das Gottesvolk vom Heil entfernen«.

Nun, da er seinen Dienst als Bischof von Rom und Nachfolger Petri angetreten hat, überwiegt vor allem das Vertrauen, dass es genügen wird, seine entwaffnenden Worte zu hören und seine einfachen Gesten zu sehen, damit wir mit Freude erkennen, dass der Herr seine Kirche liebt und sich ihrer annimmt.

Wir beten darum, dass der Weg, den wir gemeinsam mit Papst Franziskus gehen, für die ganze Kirche Christi wie ein entspanntes, tiefes Durchatmen sein wird – und vielversprechend für alle Menschen guten Willens.

PATER BERGOGLIOS »ENDE DER WELT«

Die »Vorzugsoption für die Armen« leben

Treffpunkt: Sonntag, 12 Uhr, vor Nuestra Señora von Caacupé. »Prozession mit Heilungs- und Befreiungsgottesdienst«, wie ein Flugblatt versprach, das sich bis in die ärmlichsten Hütten von Villa 21 verirrt hat. Am Anfang sind es mehr als zweihundert Gläubige, doch während sich die kleine, von Weihbischof Óscar angeführte Prozession durch das Gewirr der engen, schlammigen Gassen drängt – verstopft mit provisorischen Wasserrohren, lose herabhängenden Stromkabeln und ausgebrannten Autowracks –, werden es immer mehr. Am Festtag des heiligen Pantaleon, Arzt und Märtyrer, der in den argentinischen Winter fällt, erbittet man Schutz vor Grippe, Lungenentzündung und den übrigen Krankheiten der kalten Jahreszeit. Aber nicht nur das. »Jeder soll in sich gehen und sehen, wie es um ihn steht«, fordert Pater Pepe bei der Messe auf dem kleinen Platz, der inzwischen beinahe überfüllt ist von Menschen. »Lasst uns erkennen, dass wir alle Sünder sind; dass wir den Herrn brauchen, um geheilt zu werden. Wenn wir krank sind an Leib und Seele; betrübt, weil uns Sorgen plagen … Bitten wir unsere Mutter, die Virgen de Caacupé, uns jene Gesundheit zu schenken, die wir in unserem Viertel so dringend brauchen.« Am Ende der Messe stellen sich die Ältesten zur Krankensalbung an. Auf dass »uns der Heilige Geist der Vergebung heile und von jeder Krankheit befreie … Wie schon der heilige Jakobus sagte: das im Glauben gesprochene Gebet wird den Kranken heilen.«

Der Dichter Charles Péguy schrieb einmal – und vielleicht dachte er dabei an das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner –, dass der Reiche spricht, wenn er betet, der Arme aber um Dinge bittet, die dem Leben dienlich sind: den Frieden in der Familie und in der Welt, die Heilung eines uns nahestehenden Kranken, die Gesundheit von Leib und Seele. In den villas miseria – den argentinischen favelas, eine Art Mittelding zwischen Slum und Arbeiterviertel – ist es nicht schwer, krank zu werden. Hier in Villa 21 fließt auch der Riachuelo vorbei – der »eklige Fluss mit dem schmutzigsten Wasser der Welt«, wie sie ihn nennen –, und verpestet mit seinem Gestank die Luft. Ein Teil der villa ist auf den Abfallbergen der illegalen Müllhalden entstanden: Gott allein weiß, was da unten alles liegt! Wenn die Güterzüge mehrmals am Tag ohne um Erlaubnis zu fragen durch dieses Gewirr von Schotterwegen donnern, erzittern die Mauern der Hütten, als wären sie aus Karton – und dann kann es auch vorkommen, dass jemandem die Beine abgefahren werden. Meist trifft es Kinder, die beim Spielen auf der Straße überrascht werden. Natürlich findet man hier auch alle anderen Krankheiten der Peripherien im Süden der Welt: Kinder, die das paco – die aus Abfällen der Kokainherstellung fabrizierte Droge der Armen – zu körperlichen Wracks gemacht hat; niños de la calle, Straßenkinder; Säufer, die ihre Frauen schlagen; unzählige gescheiterte Existenzen und zerrüttete Familien; die Hoffnungslosigkeit so vieler Menschen, die verarmt sind und sich aufgegeben haben, wie die obdachlos gewordenen Opfer der Wirtschaftskrise von 2001, die der Wucherzins der Banken um Haus und Hof gebracht hat.

Hier gibt es viele Menschen, die der Heilung bedürfen. Aber trotz allem gibt es hier auch eine Strömung von gutem Leben, eine Linie der Heilung, die sich mit der Zeit inmitten der schwierigen und anstrengenden Tage der villeros immer weiter ausbreiten kann.