Narrenblut - Rebecca Michéle - E-Book
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Narrenblut E-Book

Rebecca Michéle

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Beschreibung

Wenn der Tod eine Maske trägt: Der fesselnde Krimi »Narrenblut« von Rebecca Michéle jetzt als eBook bei dotbooks. Rottweil in Aufruhr: Es ist der Auftakt der traditionellen »Fasnet«. Auch Günther Schwaibold ist als Mitglied der Narrenzunft vergnügt dabei – und nicht mehr ganz nüchtern, als er sich auf den Heimweg macht. Kurze Zeit später wird er in einer Altstadtgasse erstochen aufgefunden. Während die Polizei noch im Dunkeln tappt, schlägt der Mörder am »Schmotzigen Donnerstag« ein weiteres Mal zu. Doch das Opfer, Axel Jenner, ist ausgerechnet der einzige Verdächtige im Fall Schwaibold. Kriminalkommissar Jürgen Riedlinger ist davon überzeugt, dass die beiden Mordfälle zusammenhängen – aber warum sollte es jemand auf die Rottweiler Narrenzunft abgesehen haben? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Schwaben-Krimi »Narrenblut« von Rebecca Michéle ist der zweite Band in ihrer Reihe um die Kommissare Riedlinger und Mozer, der unabhängig von den anderen gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 392

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Über dieses Buch:

Rottweil in Aufruhr: Es ist der Auftakt der traditionellen »Fasnet«. Auch Günther Schwaibold ist als Mitglied der Narrenzunft vergnügt dabei – und nicht mehr ganz nüchtern, als er sich auf den Heimweg macht. Kurze Zeit später wird er in einer Altstadtgasse erstochen aufgefunden. Während die Polizei noch im Dunkeln tappt, schlägt der Mörder am »Schmotzigen Donnerstag« ein weiteres Mal zu. Doch das Opfer, Axel Jenner, ist ausgerechnet der einzige Verdächtige im Fall Schwaibold. Kriminalkommissar Jürgen Riedlinger ist davon überzeugt, dass die beiden Mordfälle zusammenhängen – aber warum sollte es jemand auf die Rottweiler Narrenzunft abgesehen haben?

Über die Autorin:

Rebecca Michéle, geboren 1963 in Rottweil in Baden-Württemberg, lebt ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart. Seit dem Jahr 2000 widmet sie sich ausschließlich dem Schreiben. Bisher sind mehr als 50 Romane und zahlreiche Kurzgeschichten in verschiedenen Genres erschienen. Rebecca Michéle erobert besonders mit ihren historischen Romanen und Krimis eine große Leserschaft.

Bei dotbooks erschienen bereits Rebecca Michéles historische Romane»Die zweite Königin«»Die Sängerin des Königs«»Die Melodie der Insel«

sowie ihre historischen Liebesromane»In den Armen des Fürsten«»In den Fesseln des Freibeuters«»In der Gewalt des Ritters«

und die zeitgenössischen Romane»Irrwege ins Glück«»Heiße Küsse im kalten Schnee«»Rhythmus der Leidenschaft«»Heiße Küsse im kalten Schnee«

Darüber hinaus veröffentlichte Rebecca Michéle bei dotbooks die Baden-Württemberg-Krimis»Blutfest«»Blutwalzer«

Die Website der Autorin: www.rebecca-michele.de

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eBook-Neuausgabe November 2020, März 2023

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Entlarvt« beim Silberburg-Verlag und 2020 unter dem Titel »Narrensterben« bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2013 Silberburg-Verlag GmbH, Schönbuchstraße 48, D-72074 Tübingen

Copyright © der Neuausgabe 2020, 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Milano M, kzww, biinchob chuaynum, Animaflora PicsStock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-211-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rebecca Michéle

Narrenblut

Ein Baden-Württemberg-Krimi

dotbooks.

Prolog

6. Januar 2013, Dreikönigstag

»Na los, einer geht noch!«

Karl Sauters Hand legte sich mit aller Kraft auf seine Schulter, und er hatte Mühe, sich unter der Last nicht zu krümmen. Das lag nicht allein an seiner schmächtigen Statur, sondern eher an den zahlreichen Schorle weiß-sauer, die in den vergangenen Stunden den Weg in seinen Magen gefunden hatten.

»Lass gut sein, Karle, ich hab genug.«

Gerhard Schwaibold hatte Mühe, seine Zunge zu bewegen und sich verständlich zu artikulieren. Er hatte viel zu viel getrunken und wollte nur noch ins Bett.

»Oho, schwächelt unser Kleiner etwa?«

Der Spott dröhnte in Schwaibolds Ohren. Solange er lebte, hatte er sich mehr oder weniger schlechte Witze über seine Körpergröße von lediglich einem Meter sechzig anhören müssen.

»Als richtiger Abstauber musst du schon was vertragen. Du willst doch im nächsten Jahr wieder dabei sein, oder?«

»Gib her!« Schnell griff Schwaibold das randvoll gefüllte Glas und kippte das Schorle mit einem Schluck hinunter. Die Wände um ihn herum begannen zu schwanken, und die Holzbohlen unter seinen Füßen schienen aus weicher Watte zu bestehen. Er wollte sich aber nicht nachsagen lassen, er wäre ein Schwächling. Ein Rülpser entwich seiner Kehle, und er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Ich muss raus ... morgen ... ganz früh ...«, murmelte er schwerfällig.

»Heute, meinst du«, rief Otto Wieland und deutete mit einer ebenfalls nicht mehr sicheren Hand auf die Wanduhr, die über dem Türsturz der Narrenstube hing. »Ist doch egal, Fasnet ist nur einmal im Jahr.«

Gerhard Schwaibold versuchte ein Lächeln. Otto hatte ja recht. Seit über zwanzig Jahren war er nun schon aktives Mitglied der Narrenzunft und hatte sich immer gewünscht, am Dreikönigstag als Abstauber losziehen zu dürfen. Dieses Privileg war ausschließlich ausgewählten Männern vom Vorstand und vom Ausschuss der Narrenzunft vorbehalten. Obwohl Schwaibold und Karl Sauter sich seit ihrer Jugend kannten und Sauter seit einigen Jahren das Amt des Ersten Narrenmeisters bekleidete, war Schwaibold erst heute die Ehre zuteil geworden, in einer Dreiergruppe mit Axel Jenner und Otto Wieland die Narrenkleider der Rottweiler Honoratioren abzustauben. Er hatte den Tag genossen. In dem schwarzen Frack, dem Zylinder und mit blütenweißen Handschuhen fühlte Schwaibold sich wichtig, und er stellte etwas dar. Als er seit dem frühen Nachmittag durch die Stadt von Haus zu Haus gezogen war, hatten die Menschen plötzlich Respekt vor ihm gezeigt – vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Auf keinen Fall wollte er es sich mit Sauter verderben. Außerdem hatte Karl ihm versprochen, er dürfe beim Narrensprung am Fasnetsdienstag den Narrenengel tragen, obwohl er dafür eigentlich zu klein und die Zunfttafel, die er vor sich hertragen musste, sehr schwer war. Schwaibold war fest entschlossen, diese nicht einfache Aufgabe zu meistern, um sich die Anerkennung seiner Kameraden von der Narrenzunft zu sichern, die ihn bisher kaum beachtet hatten. Wie jeder Rottweiler träumte er davon, einmal als Treiber oder Reiter mit dem Brieler Rössle am Sprung teilnehmen zu können. Dafür war er aber eindeutig zu schmächtig.

Die Brieler-Rössle-Gruppe bestand aus drei sehr agilen Schantlefiguren. Einer trug ein Scheinpferd aus Holz, die beiden anderen führten das »Rössle« an Seilen, trieben es mit lautem Peitschenknallen durch die Straßen und versuchten mit gezielten Schlägen, die Gänsefeder vom Kopf des Rössles zu schlagen. Die Rösslemannen, wie sie umgangssprachlich genannt wurden, waren immer gestandene Mannsbilder, nicht wenige mit deutlich ausgeprägtem Bierbauch, der während der Fasnet gern und häufig mit Schorle weiß-sauer gefüllt wurde.

Bevor Schwaibold protestieren konnte, schenkte Sauter sein Glas erneut voll, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzutrinken. Er wollte nicht undankbar sein und würde morgen schon irgendwie aus den Federn kommen. Dumm nur, dass sein Vorgesetzter wenig Verständnis für die Fasnet zeigte und bestimmt kein Auge zudrücken würde, wenn seine Angestellten übermüdet, verkatert oder gar verspätet in der Fabrik erschienen.

»Der alte Herzstock wird auch von Jahr zu Jahr missmutiger«, sagte da Otto Wieland und riss Schwaibold aus seinen Gedanken. »Ich frage mich, warum wir seine diversen Kleidle überhaupt noch abstauben, wenn er keine Gelegenheit auslässt zu betonen, für wie kleinkariert und borniert er die ganze Fasnet hält.«

»Weil seine Frau nicht nur eine Bombe ist« – mit beiden Händen beschrieb Sauter eine kurvenreiche Figur und schnalzte vielsagend mit der Zunge –, »sondern weil sie auch die besten Fasnetsküchle in ganz Rottweil bäckt.«

»Und der Wein war auch süffig«, lallte Schwaibold, klopfte sich auf die Schenkel und versuchte aufzustehen. Das gelang ihm erst, als er sich mit beiden Händen an der Tischkante festklammerte und sich dann hochstemmte. »Tut mir leid, Herrschaften – um sechse ist die Nacht rum.«

»Versteh ich, Gerhard.« Sauter nickte, er war von allen vier am wenigsten betrunken. »Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit bist du froh, den Job zu haben, und willst ihn nicht gleich wieder verlieren, weil du zu spät kommst. Bist ja immerhin noch in der Probezeit.«

Wieland und Axel Jenner, die ebenfalls nicht mehr nüchtern waren, nickten zustimmend, denn auch sie hatten inzwischen genug. Außerdem waren sie die letzte der vier Gruppen, die Sauter am Nachmittag mit launigen Sprüchen zum Abstauben geschickt hatte. Die anderen waren längst nach Hause gegangen und erholten sich von dem feuchtfröhlichen Tag.

»He, Karle, seit wann gibt's eigentlich die Tradition des Abstaubens?«, fragte Otto Wieland, der auch endlich ins Bett wollte, denn auch er konnte sich nicht erlauben, am nächsten Morgen mit einem Kater am Arbeitsplatz zu erscheinen. »Du als Erster Narrenmeister musst es doch wissen.«

Sauter nickte, er brauchte nicht lange zu überlegen. »Es gibt Nachweise, dass bereits in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Abstauber unterwegs waren. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat sich die Tradition weiterentwickelt, bis sie im Lauf der Zeit zu der Veranstaltung geworden ist, wie man sie heute kennt. Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass die Kleidle vom Staub des vergangenen Jahres befreit werden, damit sie wieder ›d' Stadt nab‹ können.« Er sah in die Runde. »Also, ich liebe das Abstauben, nicht nur wegen des Essens und der Schorle, sondern in erster Linie, weil es zeigt, welch großen Respekt wir vor der alten Tradition unserer Fasnet haben.«

Seine Kameraden nickten zustimmend. Natürlich gab es sehr viel mehr Haushalte mit Narrenkleidern, als offizielle Abstauber unterwegs sein konnten, daher galt es als besondere Ehre, von den frackgewandeten Herren aufgesucht zu werden. Ein guter Wein stand für die Abstauber stets bereit, zur Stärkung hatten sie aber auch Linsen mit Spätzle, saure Kutteln und Fasnetsküchle bekommen.

Schwaibold, Wieland und Jenner waren in einer Gruppe losgezogen und hatten elf alteingesessene Rottweiler Familien mit ihrem Besuch beehrt. Überall waren sie freudig empfangen worden, nur der Dermatologe Dr. Herzstock hatte wie jedes Jahr ein paar kritische Anmerkungen gemacht. Nachdem sie ihre »Arbeit« erledigt hatten, hatten sie sich weit nach Mitternacht wieder in der Zunftstube des Hauses Nummer eins getroffen. In diesem Jahr war die Fasnetszeit kurz, schon in fünf Wochen war der Fasnetssonntag, daher war jeder bestrebt, die höchsten Rottweiler Feiertage in vollen Zügen zu genießen.

»Also, geh jetzt«, murmelte Schwaibold undeutlich und schwankte zur Tür.

»'s goht dagege«, antwortete Karl Sauter, und Wieland und Jenner fielen mit einem recht heiseren »Hu! Hu! Hu!« ein.

Schwaibold brachte nur einen halben Juchzer zustande, das letzte Weinschorle hatte seine Zunge zusehends schwerer werden lassen.

Eine Hand ans Geländer klammernd, mit der anderen sich an der Wand stützend, torkelte er die steile Holztreppe hinunter. Draußen sog er begierig die feuchte, kalte Luft ein, und der Nebel in seinem Kopf lichtete sich ein wenig. Vom nahen Kirchturm des Heilig-Kreuz-Münsters schlug es halb vier. Schwaibold fragte sich, wie er in drei Stunden in einigermaßen nüchternem Zustand an der Werkbank stehen sollte. Dennoch bereute er keine Minute der letzten Stunden, kein Glas Wein und keinen Schnaps. Er war weit davon entfernt, Alkoholiker zu sein, doch zu einem Bier, einem Wein oder Schnaps sagte er nicht nein.

Schwaibold war glücklich, in der Narrenzunft endlich Beachtung gefunden zu haben. In den letzten Jahren war er nicht mehr als nur ein Mitläufer am Rand gewesen, was er sich teilweise auch selbst zuzuschreiben hatte. Nun war er fest entschlossen, die kommende Fasnet ausgiebig zu genießen und nicht länger an Vergangenes zu denken. Sollte seine Olle mit dem solariumgebräunten Muskelprotz, wegen dem sie ihre langjährige Ehe in den Dreck getreten hatte, doch glücklich werden – er war nicht auf sie angewiesen. Attraktive und willige Frauen gab es viele – er würde seiner Frau keine Träne mehr nachweinen! Jetzt, da er endlich wieder einen Job hatte, musste er nicht mehr jeden Cent dreimal umdrehen, bevor er ihn ausgab. Na ja, über die Stränge schlagen konnte er zwar nicht, denn Schulden hatte er immer noch mehr als Haare auf dem Kopf, doch würde er nicht bei jedem Schorle weiß-sauer mehr geizen müssen.

Da er nur den Frack und keine Jacke trug, zog er fröstelnd die Schultern zusammen und versuchte schneller zu gehen, soweit die Beine ihm noch gehorchten. Außer ihm war niemand sonst unterwegs, lediglich im Obergeschoss eines Hauses im Schwarzen Graben schimmerte hinter einem der Fenster noch Licht. Gerhard Schwaibold wandte sich nach links zum Känzele, dem schmalen Durchgang zwischen einem Stück alter Stadtmauer und einem großen historischen Haus. Er benutzte stets die Abkürzung, die in die Suppengasse führte, wo er, seit seine Frau mit ihrem Fitnesstrainer durchgebrannt war, in einer kleinen, aber bezahlbaren Dachgeschosswohnung hauste. Das Känzele wurde von einer Laterne im Schwarzen Graben nur schwach beleuchtet, Schwaibold war diesen Weg aber schon so oft gegangen, dass er jeden Mauerstein kannte.

Plötzlich hörte er Schritte hinter sich, dabei war einen Moment zuvor noch niemand in seiner Nähe gewesen. Er blieb stehen und drehte sich langsam um. Im schummrigen Licht der Laterne erkannte er die Person, die sich ihm hastig näherte.

»Was willst du denn noch?« Mit einem Schlag verflog der Alkoholnebel, und Schwaibold ballte die Hände zu Fäusten. »Ich sagte dir schon, dass ich ...« Er brach ab und starrte perplex auf die schmale, spitze Klinge, die sein Gegenüber plötzlich unter dem Mantel hervorzog und auf seine Brust richtete. Zwar war er betrunken, aber dennoch nüchtern genug, die Gefahr zu erkennen. »Lass den Quatsch!«, rief er und hob abwehrend die Hände.

Das Messer schlitzte seinen linken Handballen auf, aber bevor er Schmerz empfinden oder gar um Hilfe schreien konnte, bohrte sich die Klinge zwischen zwei Rippen hindurch direkt in sein Herz.

Kapitel 1

Schmotziger Donnerstag:

Die ganze Stadt scheint verrückt geworden zu sein

»Einen wundervollen guten Morgen.« Beschwingt stieß Kriminaloberkommissar Wolfgang Mozer die Bürotür auf, blieb jedoch wie angewurzelt auf der Schwelle stehen und rümpfte die Nase. »Du meine Güte, hier erstickt man ja fast, die Luft ist zum Schneiden!« Mit vier großen Schritten war er am Fenster und riss einen Flügel auf.

»Mach das Fenster zu, es zieht.« Jürgen Riedlinger runzelte die Stirn und warf seinem Kollegen einen unwilligen Blick zu. »Es schneit und es ist eiskalt, falls du das nicht bemerkt haben solltest.«

Mozer schmunzelte, sah an sich herunter und klopfte sich Schneeflocken von der Hose. »Stell dir vor, Riedl, das ist mir nicht entgangen. War ganz schön rutschig auf den Straßen.«

Obwohl die Temperatur im Minusbereich lag und es seit dem gestrigen Abend in großen, dichten Flocken ununterbrochen schneite, ließ Wolfgang Mozer es sich nicht nehmen, die drei Kilometer von seiner Wohnung in Zimmern zur Polizeidirektion Rottweil mit dem Fahrrad zurückzulegen. Nicht dass Mozer keinen Führerschein besaß, im Gegenteil, er war sogar ein sehr guter Autofahrer. Da er jedoch den Großteil des Tages sitzend am Schreibtisch verbrachte, bewegte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit und trieb Sport, wann immer seine Zeit es zuließ. Dementsprechend athletisch wirkte der Endvierziger, und da sich in seinem blonden Haar noch keine graue Strähne zeigte, sah man ihm sein Alter nicht an.

»Riedl, zum Arbeiten braucht man auch mal frische Luft. Das ist gut für die Gehirnzellen«, sagte er in einem belehrenden Tonfall und zwinkerte seinem Kollegen dabei verschmitzt zu.

Den Spitznamen Riedlingers verwendete er nur, wenn sie unter sich waren. Die beiden waren im Lauf der Zeit gute Freunde geworden.

»Erstunken ist noch niemand«, konterte Riedlinger schlagfertig. »Erfroren allerdings schon.«

Mozer grinste, setzte sich an seinen Schreibtisch und schaltete den Computer ein – das Fenster stand immer noch offen. Da er gerade Überstunden abfeierte, war er heute später zum Dienst erschienen. Außer einem ungeklärten Fall, bei dem sie seit Wochen auf der Stelle traten und nicht weiterkamen, hatten sie bei der Mordkommission gerade wenig Spektakuläres zu bearbeiten.

»Außerdem stören mich das andauernde Geknalle und die Singerei da draußen«, fuhr Jürgen Riedlinger fort und deutete zum Fenster. »Das schlechte Wetter hält offenbar niemanden davon ab, die Straßen unsicher zu machen. Warum müssen eigentlich heute alle spinnen?«

Wissend zog Mozer eine Augenbraue hoch. »Tja, die Rottweiler feiern halt ihre Fasnet, sogar wenn es Katzen hagelt.«

»Hast du Müllerchen schon gesehen?«, fuhr Riedlinger kopfschüttelnd fort. »Sie hat sich einen bunten Schal um den Hals gewickelt und trägt einen seltsamen Hut, und selbst ich als Chef kann ihr das heute nicht verbieten.«

»Ich bin sicher, Frau Müller wird ordentlich gekleidet sein, falls es erforderlich sein sollte«, erwiderte Mozer beschwichtigend.

Er war der jüngeren Kollegin bereits auf dem Flur begegnet und hatte ihren selbstgestrickten schwarz-gelben Schal nicht nur bewundert, sondern schmeichelnd gefragt, ob sie ihm nicht vielleicht auch einen stricken würde. In den kommenden Tagen trug der Großteil der Rottweiler Bevölkerung Schals, Mützen, Hüte, Handschuhe und sonstige Accessoires im Look der Stadtfarben Rottweils. Mozer, ein großer Fußballfan, stellte sich gern vor, dass ein Auswärtiger, der mit den Gepflogenheiten der heimischen Fasnet nicht vertraut war und in diesen Tagen in die Stadt kam, denken musste, alle Rottweiler wären Fans von Borussia Dortmund.

Wie aufs Stichwort betrat Regina Müller, eine hübsche blonde Mittzwanzigerin, das Büro. »Hu! Hu! Hu!«, rief sie laut.

»Bitte nicht!« Theatralisch hielt sich Jürgen Riedlinger die Ohren zu, musste dann aber doch lachen. »Ich bin wirklich froh, ab morgen diesen ganzen Kram nicht mehr ertragen zu müssen.«

»Kram?« Gespielt entrüstet stemmte Regina Müller die Hände in die Hüften. »Also, Chef, ich verstehe wirklich nicht, warum Sie die Fasnet nicht mögen. Gerade Sie – ein waschechter Rottweiler ...«

»Und noch dazu im Spittel geboren«, hieb Wolfgang Mozer in dieselbe Kerbe.

Nur wer in früheren Zeiten im Spital, einem ehemaligen Krankenhaus, geboren wurde, galt für die Fasnet als echter Rottweiler. Umgangssprachlich wurde das Gebäude auch heute noch nur Spittel genannt.

Riedlinger hob abwehrend die Hände. »Manche haben es eben im Blut, ich nicht«, antwortete er bestimmt. »Als ich noch ein Kind war, hatte ich an der Fasnet durchaus Spaß, später aber war mir das ganz Brimborium herzlich gleichgültig. Ich habe zwar Respekt vor der jahrhundertealten Tradition, bin jedoch heilfroh, wenn ich ab morgen weg sein werde.«

Mozer seufzte leise. »Ein wenig beneide ich dich, Jürgen. Sechs Tage Skifahren und das bei allerbesten Schneeverhältnissen! Dennoch würde mich über die Fasnet niemand dazu bringen, Rottweil zu verlassen. Dabei wurde ich in Niedereschach geboren und bin auch nach fast dreißig Jahren sozusagen immer noch ein Reigschmeckter.«

»Ich würde über die Fasnet auch nicht verreisen, nicht einmal wenn man mir einen Urlaub in der Karibik spendieren würde«, sagte Regina Müller. »Chef, einen Kaffee für Sie?«

»Immer, mit viel Milch und Zucker.«

Dankend nickte Riedlinger seiner Kriminalassistentin zu. Kaffee war sein Leib- und Magengetränk, wobei gerade sein Magen über eine geringere Koffeinzufuhr dankbar wäre. Das Büro verfügte über einen modernen Automaten, der auf Knopfdruck je nach Wunsch fünf verschiedene Arten von Kaffee ausschenkte – Cappuccino, Milchkaffee, Espresso, Café Latte und ganz normalen Kaffee. Eigentlich war die Bedienung ganz einfach, auch wenn Riedlinger sich anfangs etwas schwergetan hatte. Trotzdem schmeckte ihm der Kaffee besser, wenn Regina Müller ihn mit der guten, alten Kaffeemaschine zubereitete.

Die Kriminalassistentin gehörte seit rund drei Jahren zum Team von Jürgen Riedlinger und Wolfgang Mozer. Bis zum Sommer vergangenen Jahres hatte Riedlinger der jungen Frau wenig zugetraut und sie vorrangig für Schreibarbeiten und Kaffeekochen eingesetzt. In den letzten Monaten jedoch hatte er bemerkt, dass sich hinter der Stirn der hübschen Frau ein wacher Verstand und eine außergewöhnliche Intelligenz verbargen. Darüber hinaus war sie zuverlässig und behielt auch in hektischen Zeiten einen kühlen Kopf. Wenn sie so weitermachte, würde sie in fünf, sechs Jahren zur Kriminaloberkommissarin aufsteigen.

Dankbar nippte er einige Minuten später an dem heißen Kaffee, den Regina ihm reichte, und blickte dann mit gerunzelter Stirn auf den Aktenberg auf seinem Schreibtisch. »Irgendwie ist mir gar nicht wohl, in Urlaub zu fahren, obwohl wir einen ungeklärten Fall haben.«

»Mach dir keine Gedanken, Jürgen«, erwiderte Mozer. »In den letzten Wochen haben wir alles getan, was in unserer Macht stand, aber nicht den kleinsten Hinweis gefunden, wer für den Tod von Gerhard Schwaibold verantwortlich sein könnte. Wir haben alle, die mit Schwaibold in Kontakt standen, verhört, seine Lebensumstände mehrmals überprüft und das Unterste nach oben gekehrt. Niemand hatte ein Motiv und fast alle, die mit Schwaibold in Kontakt standen, lückenlose Alibis. In den nächsten Tagen können wir ohnehin nicht viel ausrichten, da in Rottweil der Ausnahmezustand herrscht.«

»Der Täter wird uns doch nicht durch die Lappen gehen?« Regina Müller klang besorgt. »Die Frau Staatsanwältin fragt beinahe täglich, wie weit Sie mit Ihren Ermittlungen sind.«

Riedlinger seufzte und nahm eine Akte zur Hand. »Wahrscheinlich war es Raubmord, auch wenn bei dem Opfer nicht viel zu holen war. Der Täter hat Schwaibolds Geldbeutel und die Uhr, die nach Angaben eines Bekannten nicht viel wert war, an sich genommen. Offenbar war Schwaibold bedroht worden, und als er sich weigerte, das Geld herauszugeben, hat der Täter zugestochen.«

Wolfgang Mozer nickte zustimmend. »Schwaibold war eben zur falschen Zeit am falschen Ort.«

»Heute Morgen habe ich mir nochmal den Bericht der Spurensicherung und den Obduktionsbericht durchgelesen«, fuhr Riedlinger fort. »Außer einer Abwehrspur am linken Handballen gibt es keinen Hinweis, dass sich Schwaibold gegen den Angriff gewehrt hat. Okay, er hatte über ein Promille Alkohol im Blut, trotzdem muss er seinen Mörder gekannt haben. Sonst wäre dieser niemals so nahe an ihn herangekommen und hätte ihn mit einem einzigen, derart gezielten Stich töten können. Und das passt eben nicht zu der Theorie eines zufälligen Raubmordes.«

Mozer nahm seinem Kollegen die Akte aus der Hand und studierte erneut die Tatortfotografien, obwohl er das in den vergangenen Wochen immer wieder getan hatte. Schwaibold war sofort tot gewesen, das hatte die Obduktion ergeben, und seine Augen waren weit aufgerissen gewesen, was für einen überraschenden Angriff sprach. Er hatte keine engen Freunde gehabt, ebenso keine nahen Verwandten, nur eine geschiedene Frau, die seit mehreren Monaten in der Nähe von Hamburg lebte.

Als hätte Riedlinger die Gedanken seines Kollegen erraten, sagte er: »Mir erscheint Schwaibolds Ex-Frau nicht ganz sauber, ihr fehlt aber das Motiv, und sie hat für die Tatnacht ebenfalls ein wasserdichtes Alibi.«

»Stimmt«, bemerkte Mozer. »Michaela Schwaibold hatte keinen Grund, ihren Mann zu töten. Sie hat vor über einem Jahr ihren Mann verlassen und ist nach Norddeutschland gezogen, und Kinder haben die beiden keine. Aus finanzieller Sicht war Schwaibold eher ein armes Schwein. Zwei Jahre arbeitslos, und er hatte gerade erst am zweiten Januar eine Aushilfstätigkeit als Dreher angefangen. Besitztümer, wie Immobilien oder gar ein Vermögen, sind auch nicht vorhanden. Der Mann konnte mit Mühe und Not seine Miete aufbringen und lebte von der Hand in den Mund.«

»Ich weiß, steht ja alles in den Akten.« Riedlinger seufzte, stand auf und schloss das Fenster.

Es war nun genug mit frischer Luft, immerhin war strenger Winter, und er wollte sich nicht erkälten. Sein Blick ging über den Vorplatz des Polizeipräsidiums zur Kaiserstraße, wo sich eine Gruppe von rund zwei Dutzend Jugendlichen mit einem umgebauten Bollerwagen auf der schneebedeckten Straße langsam vorwärtsbewegten. Die jungen Leute hatten sich als grüne Marsmännchen verkleidet, und aus einem Ghettoblaster klang der Song »Junge« in der Version des eigentlich als Volksmusiker bekannten Heino, der jetzt seine Liebe zur Rockmusik entdeckt hatte und die Charts stürmte. Obwohl Jürgen Riedlinger Mitte fünfzig war, war er bei der aktuellen Musik auf dem neuesten Stand. Auf den ersten Blick wirkte er bieder, er hörte aber regelmäßig die Charts und seine CD-Sammlung beherbergte so gut wie alle Rockalben der Musikgeschichte.

Über die Schulter hinweg sah er Mozer fragend an. »Soll ich wirklich fahren?«

»Selbstverständlich, Frau Müller und ich halten den Laden schon am Laufen, nicht wahr?« Mozer zwinkerte Regina zu. »Allein die Tatsache, dass du dich zu sportlichen Aktivitäten herablässt, muss gewürdigt werden. Ich würde viel dafür geben, dich auf Skiern zu sehen.«

Riedlingers Mundwinkel zuckten, er enthielt sich aber eines Kommentars. Sollte sein Kollege ruhig glauben, er wäre ein begeisterter Skiläufer, obwohl er sich aus diesem Sport ebenso wie aus allen anderen körperlichen Betätigungen nicht das Geringste machte. Sein Frau Karin dagegen war eine leidenschaftliche Skifahrerin, ebenso ihre beste Freundin Marlene und deren Mann Uwe. Und da Riedlinger über die Fasnet am liebsten aus Rottweil flüchtete, hatte es sich in den letzten Jahren eingebürgert, gemeinsam die Skiferien zu verbringen. Obwohl Riedlinger Karins Freundin nicht besonders mochte – er fand sie affektiert, selbstherrlich und manchmal anstrengend –, freute er sich auf die kommenden Tage. Endlich Ruhe, die Beine hochlegen, ausgiebig und ohne Hast essen und sich die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen. Auf das Letztere hatte er zwar keinen Einfluss, die anderen Freuden würde er umso mehr genießen. Sollten sich Karin, Marlene und Uwe doch von früh bis spät auf der Piste austoben – er würde es sich in dem modernen Wellnesshotel mit großzügiger Bade- und Saunalandschaft im Herzen von Mayrhofen im Zillertal gemütlich machen. Vielleicht mal mit der Gondel in die Berge hinauf – ein schäumendes Bier trinken und ein paar saftige Bratwürste mit viel Senf und frischgebackenem Brot vor der Skihütte essen – danach einen Obstler, vielleicht auch zwei ...

»Chef, träumen Sie?«

»Was?« Riedlinger zuckte zusammen und sah Regina Müller erstaunt an. »Haben Sie etwas gesagt?«

Sie nickte. »Ja, Chef, ich schlug gerade vor, dass wir diesen ...«, sie sah auf einen Zettel in ihrer Hand, »Axel Jenner nochmal unter die Lupe nehmen sollten. Er hat die Zunftstube kurz nach Schwaibold verlassen und sich von ...«, sie sah wieder auf den Zettel, »Wieland und Sauter oberhalb des Schwarzen Tors getrennt. Jenner gibt an, dann gleich nach Hause gegangen zu sein. Da seine Frau nicht zu Hause war, gibt es niemanden, der das bezeugen könnte, während Wieland und Sauter noch bis in die frühen Morgenstunden zusammen waren und sich gegenseitig ein Alibi geben.«

Riedlinger runzelte die Stirn. »Das sind wir doch schon ein dutzend Mal durchgegangen, Müllerchen. Ohne Motiv haben wir keine Handhabe, auch wenn Jenner kein Alibi für die Tatzeit hat. Die Männer waren zwar miteinander bekannt und seit einigen Jahren gemeinsam in der Narrenzunft engagiert, hatten aber außerhalb der monatlichen Treffen des Vorstandes so gut wie keinen Kontakt. Jenner hat kein Motiv, Schwaibold etwas anzutun, und bei den Verhören wirkte er auf mich nicht wie jemand, der etwas verbirgt oder gar lügt.«

»Also alles wieder auf Anfang.« Mozer seufzte. »Wahrscheinlich wird der Mord an Gerhard Schwaibold einer der wenigen Fälle sein, die nie aufgeklärt werden. Die ersten Tage nach einer Tat sind die entscheidendsten. Nicht einmal die Staatsanwältin hat etwas gefunden, das wir bei den Ermittlungen übersehen oder vernachlässigt haben, und das will was heißen. Gerhard Schwaibold war ein so unbedeutender Mensch, es fällt gar nicht auf, dass er nicht mehr am Leben ist. Erinnerst du dich an die Beerdigung, Jürgen?«

Riedlinger nickte. »Nur wir, zwei Nachbarn und eine Abordnung der Narrenzunft sind an seinem Grab gestanden. Nicht einmal seine Frau hat es für nötig gehalten, dem Mann, mit dem sie immerhin über zwanzig Jahre verheiratet war, die letzte Ehre zu erweisen.« Er sah von Mozer zu Regina Müller und lächelte bitter. »Schwaibold muss ein sehr einsamer Mensch gewesen sein. Es ist schlimm, wenn man nach dem Tod von niemandem vermisst wird.«

»Ist es eigentlich üblich, dass immer jemand von der Narrenzunft zur Beerdigung kommt?«, fragte Regina Müller. »Viel Kontakt hatte Schwaibold ja nicht zu seinen Kameraden.«

Wolfgang Mozer nickte. »Wenn jemand vom Vorstand oder vom Ausschuss stirbt, wird ihm in der Regel von der Narrenzunft die letzte Ehre erwiesen. Bei Schwaibold hatte ich aber das Gefühl, die paar Herren, die anwesend waren, haben das mehr aus Pflichtgefühl als aus echter Freundschaft gemacht.«

»Der Erste Zunftmeister, Karl Sauter, hat zwar eine gewisse Betroffenheit über den Tod seines Bekannten gezeigt, am Tag der Beerdigung hat er sich geschäftlich jedoch nicht freimachen können. Tja ...«, Riedlinger hob hilflos die Hände, »ich glaube, du hast recht, Wolfgang. Es scheint, als würde dieser Mord ungesühnt bleiben.«

Regina Müller räusperte sich vernehmlich. »Also, ich ... äh ... um nochmal auf Axel Jenner zurückzukommen ...« Erwartungsvoll sah sie ihre Kollegen an. »Irgendetwas stimmt mit dem Mann nicht.«

»Worauf begründen Sie Ihren Verdacht, Frau Müller?«, fragte Riedlinger gespielt streng. »Weibliches Bauchgefühl?«

Entschlossen reckte Regina das Kinn. »Machen Sie sich nur über mich lustig, Chef, es ist wirklich nur so ein Gefühl, aber etwas an Axel Jenner scheint mir komisch. Sie sollten ihn nochmal genau überprüfen.«

Nach Schwaibolds Tod waren alle Personen, die mit ihm in Kontakt gestanden waren, und besonders die drei Männer, die den Dreikönigstag mit ihm verbracht hatten, von Riedlinger und Mozer genau unter die Lupe genommen worden. Bis auf Axel Jenner konnten alle ein astreines Alibi vorweisen, und bei keinem fanden sie ein Mordmotiv. Außerdem musste man nicht nur über großes Geschick, sondern auch über ein gewisses medizinisches Wissen verfügen, um einem Menschen mit einem einzigen Stoß das Messer so ins Herz zu rammen, dass der Stich sofort tödlich war.

Schwerfällig erhob sich Jürgen Riedlinger, rollte die Schultern, um sie zu lockern, und massierte sich mit zwei Fingern die Stirn. Seit Tagen hatte er Kopfschmerzen, und sein Nacken fühlte sich an, als würden Wackersteine auf ihm liegen. Es war Zeit, dass er ein paar Tage ausspannte, wenngleich der ungeklärte Mord ihn alles andere als beruhigt fahren ließ.

»Du solltest dich mehr bewegen«, sagte Wolfgang Mozer prompt. »Immer nur am Schreibtisch zu sitzen, ist nicht gut, Jürgen, Verspannungen können nämlich auch chronisch werden. Komm doch mal mit zum Badminton. Wir sind eine tolle Gruppe mit Anfängern – auch ältere Herrschaften.«

»Du meinst, da falle ich nicht auf, wenn ich mich lächerlich mache, was?«, gab Riedlinger gereizt zurück, lächelte aber gleich wieder. »Tut mir leid, Wolfgang, ich hab heute nicht gerade meinen besten Tag.« Er gab sich einen Ruck und nickte in Richtung Regina Müller. »Also gut, bevor wir hier herumsitzen und die Akte zum gefühlten hundertsten Mal durchackern, ohne etwas zu finden, können wir Jenner ebenso gut einen Besuch abstatten.«

Regina sah auf ihre Armbanduhr. »Er ist sicher in der Metzgerei. Das heißt, wenn er heute nicht geschlossen hat, um zu feiern, was aber gerade am Schmotzigen wenig geschäftstüchtig wäre. Die Stadt ist ja voller Menschen, die alle essen und trinken wollen.«

Bei dem Wort Metzgerei fühlte sich Riedlinger sofort besser. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen, und es war fast Mittagszeit. Jenners Imbiss, im Herzen Rottweils in der Königstraße, war eine Metzgerei, die neben Fleisch- und Wurstwaren auch frische Backwaren wie Brötchen, Brezeln und die einen und anderen süßen Sachen anbot. Und Riedlinger stand jetzt der Sinn nach einem Leberkäswecken mit viel Senf.

Er nahm seine dicke Daunenjacke vom Haken an der Wand und griff nach den Autoschlüsseln. »Du kommst bitte mit, Wolfgang.«

»Äh ... Riedl ... wir werden die paar Schritte wohl laufen können«, sagte Mozer, ungeachtet, dass Regina Müller anwesend war. »Bis wir deinen Wagen aus der Garage geholt und in der Königstraße einen Parkplatz gefunden haben, sind wir zu Fuß schon dreimal bei Jenner.«

Riedlinger seufzte. Mozer hatte recht. Bis zu Jenners Metzgerei waren es nur ein paar hundert Meter, außerdem war das Autofahren bei dem Wetter nicht gerade angenehm. In Rottweil wurde aus Umweltschutzgründen nur wenig Salz gestreut, was bei so heftigen Schneefällen wie in diesen Tagen die Straßen zu gefährlichen Rutschbahnen werden ließ. Zusätzlich waren viele Parkplätze nicht benutzbar, da sich auf ihnen die Schneeberge türmten, die der Räumdienst einfach dorthin schob, wo Platz war.

Jürgen Riedlinger fröstelte es zwar bei dem Gedanken, durch die Kälte stapfen zu müssen, er schlang sich aber den dicken Schal fest um den Hals und zog die fellgefütterten Handschuhe an.

»Dann wollen wir mal, Wolfgang, ich hoffe nur, dass wir Jenner auch wirklich in seinem Imbiss antreffen.«

***

Axel Jenner war ein großer Mann von einem Meter neunzig, so schlank, dass er beinahe schon hager wirkte, mit einem langen, schmalen Gesicht. Mit beiden Händen stützte er sich auf das Waschbecken im Toilettenraum der Metzgerei und starrte sein Spiegelbild an. Dunkle Schatten und Tränensäcke lagen unter seinen blassblauen Augen. Er öffnete den Hahn und benetzte sein Gesicht mit dem eiskalten Wasser, um etwas munterer zu werden.

»Du bist einfach zu alt, um durchzumachen«, murmelte er.

Immer wenn er allein mit sich sprach, war von seinem Stottern, das sein Leben überschattete, nichts zu bemerken. Am Vortag war er fünfzig geworden, und seine Freunde hatten natürlich ein großes Fest erwartet. Nun ja, jedenfalls die Leute, die sich für Jenners Freunde hielten, aber als Geschäftsinhaber der kombinierten Metzgerei mit kleiner Backstube, die Jenner vor vierzehn Jahren von seinem Vater übernommen hatte, musste er solchen Verpflichtungen nachkommen. Wollte man erfolgreich ein Geschäft führen, war es unvermeidlich, sich mit gewissen Menschen gut zu stellen und sie nicht vor den Kopf zu stoßen.

Obwohl Rottweil mit Eingemeindungen rund 25 000 Einwohner hatte, wurde das Stadtgeschehen von einigen wenigen bestimmt, worüber man natürlich niemals öffentlich sprechen würde. Heut wie vor altem, so wird's gehalten – die Textstelle aus dem Rottweiler Narrenmarsch schoss ihm durch den Kopf. Diese Worte bezogen sich zwar auf die alte Tradition des Narrensprungs, für Jenner waren sie aber sprichwörtlich für das Leben in der Stadt. Er dachte an Karl Sauter, mit dem er regelmäßig zu tun hatte. Sauters Bekleidungsgeschäft wurde bereits in der vierten Generation geführt. Im 19. Jahrhundert hatte sein Urgroßvater einen kleinen Laden für Herrenbekleidung eröffnet, unter seinem Vater war daraus das erste Modefachgeschäft der Stadt geworden, und inzwischen besaß Karl Sauter drei weitere Filialen in Oberndorf, Sulz und in Schramberg. Man konnte mit Recht sagen, dass Sauter einer der vermögendsten Männer der Stadt war. Vermögend und einflussreich und das nicht nur während der Fasnet, bei der er als Zunftmeister großen Einfluss hatte.

Jenner wollte nicht klagen, denn seit er vor ein paar Jahren die Metzgerei zu einem Imbiss umgebaut und eine Art Stehcafé eingerichtet hatte, war sein Geschäft immer gut besucht. Obwohl der Imbiss nicht direkt in der Stadtmitte lag, wussten die Leute sein Angebot zu schätzen. Axel Jenner schlachtete aber nicht selbst, obwohl er auf Druck seines Vaters das Metzgereihandwerk erlernt hatte. Er bezog seine Waren von einer Großmetzgerei auf der Schwäbischen Alb. Die Backwaren wurden als Teiglinge angeliefert, die dann nur noch in den Öfen fertiggebacken werden mussten. Er war mit dieser Kombination zufrieden, sein Vater würde sich aber im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass es in Jenners Metzgerei keine eigene Schlachtung mehr gab. Jenner hatte es aber immer gehasst, Tiere zu töten und sie zu zerlegen. Er sah auf seine schmalen Hände mit den langen Fingern. Als »Künstlerhände« hatte sie mal jemand bezeichnet. Axel lachte bitter auf. Künstler! Sein despotischer Vater hatte ihm keine Wahl gelassen, Axel hatte sich gefügt und getan, was von ihm verlangt worden war. Früher hatte er vieles getan, weil es von ihm erwartet wurde und er zu feige gewesen war auszubrechen. Eigentlich hätte er etwas ganz anderes machen wollen, aber das war lange her – zu lange, um dieser verpassten Chance nachzutrauern. Jetzt war er fünfzig Jahre alt und zwei Drittel seines Lebens waren vorbei. Daran gab es nichts zu rütteln.

»Schluss mit dem Selbstmitleid!«, rief Jenner seinem Spiegelbild zu, trocknete sich mit einem Tuch das feuchte Gesicht ab und straffte die Schultern.

Als er den Waschraum verließ, traf er auf seine Angestellte Isabell.

»Das sind Sie ja, Chef.« Sie senkte ihre Stimme und deutete mit der Hand in den Verkaufsraum. »Die zwei Kommissare wollen Sie sprechen.«

»W... w... was w... wollen die schon w... wieder?«

Jenner hasste sich für sein Stottern, das ihn trotz zahlreicher Behandlungen bei Ärzten und Logopäden seit seiner Kindheit plagte und ihm in jungen Jahren Häme und Spott eingebracht hatte. Besonders das M, das N und das W machten ihm zu schaffen. Die Menschen, mit denen Jenner täglich zu tun hatte, hatten sich zwar an seinen Sprachfehler gewöhnt, trotzdem hätte er viel gegeben, völlig unbeschwert und normal sprechen zu können.

Im Verkaufsraum drängten sich die Kunden, und Riedlinger musste bedauernd feststellen, dass das letzte Leberkäsweckle soeben an einen grünhaarigen Teenager in schwarzer Lederkluft und mit zahlreichen Piercings im Gesicht verkauft wurde, bevor er an der Reihe war. Er war sich nicht sicher, ob der Halbwüchsige sich nur wegen der Fasnet derart verunstaltet hatte oder ob er vielleicht das ganze Jahr in einer solchen Kluft herumlief. Zum Glück war sein Sohn Harald nie einem solchen Trend erlegen und immer ein ganz normaler Junge gewesen.

»Der Chef kommt gleich«, sagte die Bedienung, die Riedlinger zuvor nach Jenner gefragt hatte. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«

»Gerne«, sagte Riedlinger schnell, obwohl er heute schon vier Tassen Kaffee getrunken hatte.

»Für mich einen Kamillentee, wenn Sie haben«, sagte Mozer.

Riedlinger schüttelte sich. Kräutertees trank er nur, wenn er so krank war, dass er meinte, sterben zu müssen, und Kamillentee war das Abscheulichste, das er sich vorstellen konnte. Obwohl er und Wolfgang Mozer seit fast zwanzig Jahren zusammenarbeiteten, konnte er sich nicht daran gewöhnen, dass Motzi dieses Gebräu regelmäßig freiwillig trank.

Die beiden Kommissare stellten sich an einen Stehtisch, der gerade frei wurde. Sie waren die Einzigen, die nicht kostümiert waren, selbst die vier Bedienungen hatten sich dem Tag entsprechend verkleidet. Auch Axel Jenner, der jetzt aus dem hinteren Teil des Imbisses zu ihnen trat, trug einen blauen Bauernkittel mit dem dazugehörigen roten Halstuch und eine enge, schwarze Jeans, die seine ohnehin dünnen Beine wie zwei Stecken wirken ließ.

»M... meine Herren, haben Sie neue Nachrichten?«, fragte Jenner und deutete auf die Getränke, die eine Bedienung gerade servierte. »Das geht ... na ... das geht ... aufs Haus.«

»Danke, aber wir sind im Dienst«, sagte Mozer schnell.

Durch frühere Befragungen waren die Kommissare an Jenners Stottern gewöhnt und wussten, sie durften den Mann nicht drängen, sonst bekam er kaum ein Wort heraus.

»Wenn ich vielleicht eine Butterbrezel haben könnte?«, bat Riedlinger, dessen Magen laut und vernehmlich knurrte.

Jenner nickte. »Isa, eine Butterbrezel«, brachte er problemlos heraus, »und für m... mich einen starken Kaffee.«

Aus den Augenwinkeln musterte Riedlinger den Metzger und bemerkte, dass der völlig übermüdet war und kaum die Augen offen halten konnte.

Dennoch fragte er ihn: »Schildern Sie bitte nochmal genau, was Sie gemacht haben, nachdem Sie sich in der Tatnacht von Schwaibold verabschiedet haben.«

Jenner runzelte die Stirn. »Das habe ich doch schon alles zu Protokoll gegeben.« Die Erleichterung, einen Satz fehlerfrei gesagt zu haben, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Fast triumphierend ergänzte er dann: »Haben Sie die Unterlagen etwa verschlampt?«

»Beantworten Sie bitte meine Frage«, sagte Riedlinger streng.

»Der Gerhard ... Schwaibold ... war n... n... nicht m... mehr so ganz n... n... nüchtern, wie übrigens keiner von uns. Er ... sagte, er müsse jetzt ins Bett, weil am nächsten Tag Arbeit war, und w... wir zogen ihn auf, w... weil er schlappmachte. Er ging allein, w... wir anderen tranken noch ein Schorle zum Abschluss und h... haben z... zu... zusammen das Haus v... verlassen.«

Jenner machte eine Pause und wischte sich den Schweiß von der Stirn. So lange Sätze strengten ihn sehr an, und er versuchte sich auf die Wörter zu konzentrieren. Jürgen Riedlinger hatte Mitleid mit ihm und gab ihm die Zeit, die er brauchte, bis er fortfahren konnte.

»Die anderen beiden w... w... wollten ins Rössle, w... weil Karl den W... Wirt kennt. Ich bin gleich nach Hause. Bevor Sie erneut fragen: Nein, ich habe immer noch kein Alibi, denn meine Frau w... war bei einer Freundin, wo... wo ... Sie hat dort übernachtet, und auf dem Heimweg bin ich niemandem begegnet.«

Mit hochrotem Kopf starrte er die Kommissare an, da brachte Isabell ihm den Kaffee, und Riedlinger hatte den Eindruck, dass Axel Jenners Finger die Tasse ziemlich verkrampft umklammerten, und seine Knöchel stachen weiß durch die Haut.

Jenners Aussage deckte sich vollständig mit der, die er am Morgen nach der Tat zu Protokoll gegeben hatte. Entweder war seine Geschichte so gut durchdacht, dass ihm auch nach über vier Wochen kein Fehler unterlief, oder er sagte wirklich die Wahrheit. Riedlinger neigte dazu, Letzteres anzunehmen.

»Konnten Sie sich inzwischen erinnern, ob Gerhard Schwaibold von jemandem erzählt hat, mit dem er Streit hatte?«, fragte Mozer. »Jede Kleinigkeit ist wichtig, mag Sie ihnen auch noch so unbedeutend erscheinen.«

Ohne zu zögern, schüttelte Jenner den Kopf und hob hilflos die Hände. »Tut mir leid. W... wir kannten uns kaum. Der Gerhard w... war in der Narrenzunft, aber sonst hatten w... wir kaum Kontakt. Dass seine Frau ihn verlassen hat, habe ich auch erst W... W... Wochen später erfahren, denn das ist eine Sache, die Gerhard nicht an die große Glocke gehängt hat.« Demonstrativ sah Jenner auf seine Armbanduhr. »Sonst noch etwas? Sie sehen ja, der Laden ist voll und ich m... m... muss wieder an die Arbeit.«

Die letzten Sätze hatte Jenner beinahe fehlerfrei herausgebracht, was er selbst aber nicht bemerkte, denn alles in ihm war in Aufruhr, und er hoffte, die Kriminalbeamten würden endlich gehen.

»Für heute ist es alles«, sagte Riedlinger.

Er zückte seinen Geldbeutel, zählte die Münzen für den Kaffee und die Brezel ab und legte sie auf den Tisch. Mozer tat es ihm gleich, obwohl Jenner wiederholt betonte, er lade sie ein.

Polizisten durften sich nicht von potentiell Verdächtigen einladen lassen, wie es in manchen Fernsehkrimis gezeigt wurde. Und noch war Axel Jenner aus dem Kreis der Verdächtigen nicht auszuschließen, auch wenn es keinen Grund gab, an seiner Aussage zu zweifeln.

Als Riedlinger und Mozer auf die Straße traten, schneite es noch stärker als zuvor, und die Autos auf der Straße schlichen im Schritttempo vorbei.

Unwillkürlich schüttelte sich Riedlinger. »Was für ein Mistwetter, und Müllerchen und ihr Bauchgefühl! Wir können Jenner nichts nachweisen. Welches Motiv hätte er gehabt, Schwaibold zu töten? Ausgerechnet jetzt fahre ich in Urlaub!«

Mozer knuffte den Kollegen kameradschaftlich in die Seite. »Riedl, mach dir keine Gedanken. Entweder finden wir den Mörder in den nächsten Tagen oder der Fall wird am Aschermittwoch immer noch unerledigt auf deinem Schreibtisch liegen. Du verpasst also nichts.«

Riedlingers Magen knurrte vernehmlich. »Ich brauche was Anständiges zu essen«, sagte er laut zu sich selbst. »Die Butterbrezel war gerade mal für den hohlen Zahn, und mit leerem Magen kann ich nicht denken.«

»Hier würde ich nichts kaufen.«

Riedlinger fuhr herum und blickte in die dunkel und stark geschminkten Augen einer Frau, deren untere Gesichtshälfte von einem Schleier verdeckt war. Er hatte nicht bemerkt, dass sie neben ihn getreten war.

Sie jedoch musste seine Worte gehört haben, denn sie deutete mit einem wissenden Zwinkern auf Jenners Imbiss. »Sie sollten mal hinterfragen, woher Jenner sein Fleisch bezieht. Wär nicht das erste Mal, dass der pfuscht.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Riedlinger.

Die Frau zuckte mit den Schultern und erwiderte nur: »Ist nur zu Ihrem Besten!« Dann wandte sich um und rannte in Richtung Innenstadt davon.

»Na los, worauf wartest du noch?«, rief Riedlinger seinem Kollegen zu. »Ihr nach!«

Wolfgang Mozer, der von dem kurzen Gespräch nichts mitbekommen hatte, da er schon ein Stück vorausgegangen war, drehte sich um und sah Riedlinger erstaunt an. »Was meinst du?«

Vage deutete Riedlinger in Richtung Hochbrücke. »Die junge Frau, die mich gerade angesprochen hat.«

»Welche Frau?«

Angestrengt sah Mozer zur Hochbrücke, wo einige Jugendliche, die trotz der Mittagszeit bereits ziemlich angeheitert waren, sich einen Spaß daraus machten, Knallfrösche zwischen die Füße der Passanten zu werfen. Unter anderen Umständen wären Riedlinger und Mozer eingeschritten und hätten das Treiben beendet, am Schmotzigen Donnerstag aber herrschte im wahrsten Sinne des Wortes Narrenfreiheit, solange niemand ernsthaft zu Schaden kam.

»Jetzt ist sie weg«, stellte Riedlinger fest und erzählte Mozer von der Unbekannten.

»Wollte sie damit etwa andeuten, die Produkte von Jenner seien nicht einwandfrei?«, fragte Mozer und schüttelte sich angeekelt. »Ich weiß schon, warum ich alles nur in Bioläden kaufe und kein Fleisch esse.« Mit einem Blick auf Riedlingers deutlichen Bauchansatz setzte er spitz hinzu: »Dir würde es auch guttun, mehr Gemüse und Salat zu essen, das sättigt ebenso und hält einen fit.«

Riedlinger ging auf Mozers Anspielung nicht ein und zückte stattdessen sein Handy. »Frau Müller, checken Sie doch mal, ob der Wirtschaftskontrolldienst irgendwann etwas gegen Jenner in der Hand hatte. – Ja, vielleicht hatten Sie recht mit Ihrem Bauchgefühl. – Nein, nichts Konkretes, aber in diese Richtung haben wir bisher nicht ermittelt.«

Skeptisch wiegte Mozer den Kopf, nachdem Riedlinger das Telefonat beendet hatte. »Also, ich weiß nicht ... Weil eine verkleidete Frau so eine Bemerkung macht ... Das war sicher ein Fasnetsscherz.«

»Ein ziemlich schlechter Scherz«, grummelte Riedlinger verstimmt. »Aber der Hauch einer Spur, der einzigen Spur, die wir vielleicht haben.«

»Würdest du die Frau wiedererkennen?«

»Ich bin mir nicht sicher, dazu ging alles viel zu schnell, und die Hälfte ihres Gesichtes war verschleiert. Ich weiß auch nicht, ob sie wusste, dass ich von der Polizei bin. Wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dass Jenner nicht sauber ist, dann hätte sie das auch direkt melden können.«

»Ich bleib dabei – ein Scherz«, bekräftigte Mozer entschlossen.

»Also, ich hole mir jetzt etwas Deftiges«, sagte Riedlinger und fügte mit einem Zwinkern hinzu: »Trotzdem!«

Mozer konnte seinen Kollegen nicht abhalten, die Hochbrücke zu überqueren und ein paar Hundert Meter weiter eine andere Metzgerei anzusteuern. Der kleine Zwischenfall hatte Riedlingers Appetit auf einen Leberkäswecken nicht geschmälert, im Gegenteil. Seine und Mozers Vorstellungen von Ernährung würden niemals miteinander harmonieren. Es gab zwar Momente, in denen Riedlinger seinen Kollegen um seine Fitness und schlanke Figur beneidete, dafür aber auf deftige Fleischmahlzeiten zu verzichten, war er nicht bereit. Außerdem kochte seine Frau Karin viel zu gut, als dass er es ihr angetan hätte, all ihre leckeren Gerichte wie zum Beispiel Schweinekrustenbraten, Zwiebelrostbraten oder überbackene Maultaschen zu verschmähen.

***

Zufrieden sah sich Karl Sauter um und rieb sich verstohlen die Hände. Heute am Schmotzigen fanden zwar nur wenige Kunden den Weg in seine Boutique, die Sommerware war jedoch geliefert worden und mit dem Verkauf würde er ein gutes Geschäft machen.

»Karl, ist die neue Lieferung von Desigual auch schon eingetroffen?« Eine hübsche und gepflegte Brünette mittleren Alters trat neben ihn. »Eine Kundin fragt nach leichten Frühjahrsmänteln.«

Karl Sauter nickte. »Wurde heute Morgen geliefert, die Kisten müssen aber noch ausgepackt werden. Ich kümmere mich sofort darum und bring die Sachen nach oben. Zeig der Kundin inzwischen etwas anderes. Wenn sie sich für Mäntel interessiert – es sind noch Restbestände von Fuchs und Schmidt da, die müssen eh raus.«

Er sah seiner Frau nach, die zwei Kurzmäntel von einem Ständer nahm und damit zu der Kundin zurückkehrte. Trotz ihrer Ende vierzig war Ramona Sauter eine attraktive Frau mit einer schlanken Figur und einem jugendlich-frechen Kurzhaarschnitt. Sie hatte den Beruf der Einzelhandelskauffrau nie erlernt, war jedoch eine hervorragende Verkäuferin.

Sauter fuhr mit dem Aufzug in den Keller, wo die neue Frühlingskollektion darauf wartete, sortiert und etikettiert zu werden. Auf Anhieb fand er den Karton von Desigual, nahm fünf Modelle heraus und kehrte in den Verkaufsraum zurück. Die Kleidungsstücke über dem Arm, sah er Axel Jenner den Laden betreten. Er trug noch seine Schürze und blickte sich suchend um.

»Bringen Sie das meiner Frau.« Sauter drückte die Mäntel einer vorübergehenden Verkäuferin in die Hand. »Aber fix, die Kundin wartet.«

»K... Ka... Karle, d... d... da b... b... bist du ja!« Wenn Axel Jenner aufgeregt war, stotterte er am schlimmsten.

Sauter verzog das Gesicht. Er mochte es nicht, wenn er vor Kunden derart vertraulich angesprochen wurde. Er nahm den Freund am Arm und zog ihn in eine ruhige Ecke.

»Was gibt es? Mach schnell, ich habe Kundschaft.«

Axel Jenner blickte sich vorsichtig um, senkte dann seine Stimme, obwohl niemand sie belauschen konnte. »Die ... die ... die B... die B... B...«

»Du meine Güte!«, unterbrach Sauter genervt. »Atme ruhig ein und aus und reiß dich zusammen, sonst verstehe ich kein Wort.«

Alles Blut schoss in Jenners Gesicht. Er war ihm peinlich, vor Sauter derart stark zu stottern, denn der Freund verlor oft die Geduld und ließ ihn nicht in Ruhe aussprechen.