New Organizing -  - E-Book

New Organizing E-Book

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Beschreibung

Wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen, zeigt sich häufig eine deutliche Kluft zwischen den Verheißungen und Versprechungen dieser Ansätze und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Buch führt Fallstudien von 13 Autor:innenteams  zusammen, die in namhaften Unternehmen die alltägliche Umsetzung verschiedener Ansätze des "New Organizing" untersucht haben: New Work, Agilität, Scrum, Holacracy, Purpose. Die Analysen identifizieren typische "Lösungsprobleme", dokumentieren häufige Anschlussfragen und skizzieren exemplarische Lernprozesse. Dabei tritt eine große Bandbreite an Intentionen und Strategien zutage, wie New-Organizing-Methoden eingeführt werden. Sie reicht von einer engen Ankopplung an Business-Herausforderungen über scheinheilige "So-tun-als-ob"-Strategien bis hin zu Duldungen. Quer durch alle Fallstudien zeigt sich die Bedeutung klassischer und grundlegender Führungs- und Organisationsfragen: wie Unternehmen versuchen, ihren Wandel zu managen, wie sie versuchen zu lernen, wie sie versuchen, Impulse aufzunehmen – und wie bei all dem Stabilität und Verlässlichkeit erhalten bleiben können. Im Kern geht es also weniger um Fragen der "Agilität", sondern um die Gestaltung von nachhaltigem Wandel, um das Überleben des Unternehmens zu sichern. Mit Beiträgen von: Anette Bickmeyer, Alessandro Camisani, Ute Clement, Peter Feneberg, Annette Gebauer, Torsten Groth, Stefan Günther, Susanne Hanke, Rene Hinterberger, Robin Höher, Menno Huber, Andreas Ingerfeld, Josef Jager, Elena Kalogeropoulos, Jens Korte, Gerhard P. Krejci, Susanne Maria Krisor, Nina Kublun, Michael Menchau, Kirsten Meynerts-Stiller, Kristina Müller, Cornelia Odenthal, Kurt Rachlitz, Timm Richter, Claudia Salowski, Aaron Scheer, Gerlinde Schein, Eva Maria Schielein, Balz Schnieper, Antje Schnoor, Daniel Sely, Martin Sonnert, Manuela Stark, Andre Stuer, Kerstin Till, Barbara Vogel, Sophie von Vogel, Nadja Walser, Simon Weber, Antje Weidling, Jan Weinhold, Roland Wolfig, Julia Wüster, Wolfgang Zimmermann

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Die Reihe Management/Organisationsberatung

Die heutige Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft. Man muss schon lange suchen, um überhaupt noch Bereiche zu finden, die nicht von Organisationen geprägt sind. Unternehmen jedweder Größe und Eigentumsform, Verwaltungen, Schulen, Gerichte, Krankenhäuser, Universitäten, Kirchen, Verbände, Parteien, Vereine etc. – allesamt übernehmen sie gesellschaftliche Funktionen und bestimmen unser Leben. Die Fülle an Aufgaben, die unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung und Digitalisierung gleichzeitig zu erfüllen sind, wie auch die Bandbreite an Organisationskonzepten und Führungsansätzen, mit denen der komplexe Alltag bewältigt werden soll, stecken das Feld ab, in dem Management und Beratung mehr oder weniger wirksam werden.

Die Zeiten, in denen es einfache Antworten auf die vielfältigen Fragen zur Überlebenssicherung einer Organisation und auch zur Steuerung tagtäglicher Entscheidungsprozesse gab, sind seit Langem vorüber. Der Komplexität, mit der heute alle konfrontiert sind, die in verantwortlichen Funktionen in und mit Organisationen arbeiten – Führungskräfte, Manager und Organisationsberater etc. –, wird man mit Rezeptwissen nicht mehr gerecht. Hier setzen die neuere Systemtheorie und mit ihr die Reihe Management/Organisationsberatung im Carl-Auer Verlag an. Beide liefern Konzepte und »Landkarten«, die auch im unübersichtlichen Terrain von Wirtschaft und Organisation Orientierung ermöglichen und Handlungsfähigkeit sicherstellen.

Das Ziel der Reihe ist es, empirisch gehaltvolle Forschungen über die Prozesse des Organisierens wie auch theoretisch angemessene Führungs- und Beratungsansätze zu präsentieren. Zugleich sollen bewährte Methoden einer system- und lösungsorientierten Praxis im Kontext von Organisationen überprüft und neue Ansätze entwickelt werden.

Torsten GrothHerausgeber der ReiheManagement/Organisationsberatung

Torsten Groth/Gerhard P. Krejci/Stefan Günther (Hrsg.)

New Organizing

Wie GroßorganisationenAgilität, Holacracy & Co. einführen –und was man daraus lernen kann

Mit Beiträgen von: Anette Bickmeyer • Alessandro CamisaniPeter Feneberg • Annette Gebauer • Torsten GrothStefan Günther • Susanne Hanke • Rene Hinterberger • RobinHöher • Menno Huber • Andreas Ingerfeld • Josef Jager • ElenaKalogeropoulos • Jens Korte • Gerhard P. Krejci • Susanna MariaKrisor • Nina Kublun • Michael Menchau • Kirsten Meynerts-Stiller • Kristina Müller • Cornelia Odenthal • Kurt RachlitzTimm Richter • Claudia Salowski • Aaron ScheerGerlinde Schein • Eva Maria Schielein • Balz SchnieperAntje Schnoor • Daniel Sely • Martin Sonnert • Manuela StarkAndre Stuer • Kerstin Till • Barbara Vogel • Sophie von VogelNadja Walser • Simon Weber • Antje Weidling • Jan WeinholdRoland Wolfig • Julia Wüster • Wolfgang Zimmermann

2021

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Management und Organisationsberatung«

hrsg. von Torsten Groth

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann

Umschlagfoto: Takashi Images – stock.adobe.com

Redaktion: Markus Pohlmann

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: TZ-Verlag & Print GmbH, Roßdorf

Erste Auflage, 2021

ISBN 978-3-8497-0402-5 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8334-1 (ePUB)

© 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Vorwort

IDas Forschungsprojekt

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan Günther

Beginn einer aufregenden Reise

Von der Datenerhebung zur Auswertung

Organisationstheoretische Fundierung

»Neues« trifft auf »Bekanntes« – Leitideen zur Auswertung

Theorie trifft Empirie

IIDie Forschungsergebnisse

New Organizing – Reiseplanungen und Orientierungshilfen

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan Günther

Zur visuellen Darstellung der Berichte

Ein Reisevorschlag

1Gleichzeitig agil und hierarchisch – Ein Automobilkonzern führt agile Strukturen ein

Annette Gebauer, Simon Weber

1.1Das Unternehmen in seiner Umwelt

1.2Strategie zur Einführung der neuen Formen des Organisierens

1.3Spannungsfelder, die unbearbeitet bleiben

1.4Zusammenschau und weiterführende Fragen

Steckbrief

Wie interessant!

2Mit dem Rücken zur Wand – Start-up-Logiken zur Krisenbekämpfung in einem Technologieunternehmen

Susanne Hanke, Andre Stuer, Robin Höher

2.1Ein Traditionsgeschäft wird zum Sorgenkind

2.2Der andere Weg

2.3Die Organisation ist irritiert

2.4Die neue Rolle des Kunden

2.5Die andere Führung

2.6Ausblick: Agilität um jeden Preis?

Steckbrief

Wie interessant!

3Agilität ist gut – Ein konzerneigener Software-Dienstleister erfindet sich neu

Timm Richter, Andreas Ingerfeld, Michael Menchau, Kurt Rachlitz

3.1Ausgangslage

3.2Aufbruch: Agilität markiert eine neue Identität

3.3Erste Erfolge: Verbesserungen führen zu Vertrauen in Agilität auf allen Seiten

3.4Auf und ab: Es ist doch nicht alles gut

3.5Jetzt erst recht: Aufteilung des Agilitätsverständnisses in Haltung und Praxis

3.6Unter Druck: Eine neue, entscheidende Phase

3.7Fazitv

Steckbrief

Wie interessant!

4Neue Mobilität trifft auf alte Autorität – Ein Automobilkonzern im digitalen Wandel

Eva Schielein, Antje Schnoor, Susanna M. Krisor

4.1Vorherrschende Kultur im Konzern: Fixierung auf den CEO

4.2Emergente Entstehung agiler Arbeitsformen im Konzern

4.3New Organizing bei Unit X: Was ist anders als im Konzern?

4.4Kopplung zwischen Unit X und dem Konzern

4.5Wie geht es mit Unit X weiter?

4.6Fazit

Steckbrief

Wie interessant!

5Macht doch, wenn ihr wollt, aber rechtssicher! – Inseln der Agilität in einem Mobilitätskonzern

Claudia Salowski, Manuela Stark, Kerstin Till

5.1New Organizing in kundenorientierten Bereichen

5.2Selbstorganisation auf Probe beim konzerneigenen Schulungsanbieter

5.3Flexibilität durch Selbstorganisation im Sicherheitsprüfteam

5.4Das Netzwerk »Selbstorganisation und Agilität«

5.5Fazit: New Organizing im Spannungsfeld von zentraler Steuerung und individuellen Lösungen

Steckbrief

Wie interessant!

6Unaufgeregte Lockerungsübungen – Ein Mobilitätsdienstleister führt Neues ein, ohne das Alte über Bord zu werfen

Josef Jager, Gerlinde Schein

6.1New Organizing im Verein

6.2Lockerungsübungen in drei Bereichen

6.3Gemeinsamkeiten und Unterschiede

6.4Fazit

Steckbrief

Wie interessant!

7Stabilagil – Eine etablierte Medienanstalt im experimentellen Suchmodus

Peter Feneberg, Cornelia Odenthal, Barbara Vogel

7.1Das Unternehmen in seiner Umwelt

7.2Bedeutung von New Organizing für das Unternehmen oder: Viele Landkarten

7.3New Organizing als unaufgeregter Veränderungsprozess

7.4Paradox?! – Das Unternehmen in Spannung gesetzt

7.5Ressourcen in der Organisation heben – Ausblick und Anschlussfragen

Steckbrief

Wie interessant!

8Wiener Melange: Die Milch kriegst’ nicht mehr aus dem Kaffee – Agile Inseln in einem Telekommunikationsunternehmen

Nadja Walser, Roland Wolfig, Aaron Scheer, Rene Hinterberger

8.1Das Jahr des Experimentierens

8.2Agile Inseln

8.3Auswirkungen in der Organisation

8.4Was bringt die Zukunft?

8.5Fazit

Steckbrief

Wie interessant!

9PS-starke Unternehmensführung – SIXT im Spannungsfeld von Hierarchie und Selbstorganisation

Kurt Rachlitz, Andre Stuer, Wolfgang Zimmermann

9.1New Organizing als Katalysator für die Umstellung des Geschäftsmodells?

9.2Methodisches Vorgehen

9.3Hintergrund des Unternehmens und seiner Kultur

9.4Aus U-Booten und Tankern werden Sprints und Züge

9.5Der Transformationsprozess

9.6Zwei Kernwidersprüche prägen den Transformationsprozess

9.7Fazit und Ausblick

Steckbrief

Wie interessant!

10Beweglichkeit in Stahl und Beton – Das Medienhaus der Zukunft

Elena Kalogeropoulos, Jens Korte, Nina Kublun, Jan Weinhold, Julia Wüster

10.1Drei Wandlungsmuster

10.2Straff-lockere Führung

10.3»Haus des Unternehmertums«

10.4New Organizing

10.5Zusammenfassung

Steckbrief

Wie interessant!

11Fremdbestimmte Selbststeuerung – Mit Holakratie die Wette auf die Zukunftsfähigkeit in der Finanzwelt gewinnen

Kristina Müller, Daniel Sely, Sophie von Vogel

11.1Das beforschte Unternehmen und sein Weg zur Holakratie

11.2Der tiefere Blick auf die Umsetzung von Kreisorganisation und Führung

11.3Paradoxie der (Selbst-)Steuerung

11.4Paradoxie der Planbarkeit

11.5Paradoxie der Formalisierung

11.6Fazit

Steckbrief

Wie interessant!

12Speed is the name of the game! – Ein Technologieunternehmen springt von einem Organisationsmodell zum nächsten

Balz Schnieper, Menno Huber, Alessandro Camisani

12.1Kontext der Fallstudie

12.2New Organizing – Wie die Veränderung ablief

12.3Paradoxien im Change – Welche Muster werden sichtbar?

12.4Erkenntnisse aus diesem Fallbeispiel

12.5Gleichzeitig schnell und langsam gehen

Steckbrief

Wie interessant!

13Radikale Transformation einer Bank – Die agile Organisation als Tür zum digitalen Geschäftsmodell

Kirsten Meynerts-Stiller, Anette Bickmeyer

13.1Historie

13.2Prozessgestaltung: In drei Wellen zur großen Transformation

13.3Führung und Selbstführung

13.4Der Einzelne und das Team: Nicht nur gemeinsam, sondern »high-performing«

13.5»Fast forward«: Ein Blick in den Rückspiegel

13.6Agile Transformation einer Bank: Auf der Reise und vermutlich nie am Ziel

Steckbrief

Wie interessant!

14Dark side of the moon – Über Unternehmen, die hier nicht porträtiert werden. (K)eine Fallstudie

Antje Weidling

14.1Vom Hinsehen, um sich zu zeigen

14.2Die erfolgreichen Unsichtbaren

14.3Energiequellen für Veränderung

… war doch wirklich interessant!

Alles Graswurzel?

Experimentelles Vorgehen reduziert Unsicherheit

Das Management macht sich bemerkbar

Arbeit in Teams

Räumliche Maßnahmen

Und was ist mit Beratung?

Und schließlich: Die Kontexte

15Wer hat hier eigentlich wen organisiert? – Spiegelphänomene in der Forschung

Claudia Salowski, Peter Feneberg, Martin Sonnert

15.1Blickwinkel »Führung«: Leitung und Forschungsteams

15.2Blickwinkel »Forschungsteams«

15.3Blickwinkel »zwischen den Teams«

15.4Blickwinkel »Prozess des Organisierens«

15.5Blickwinkel »Komplexitätsbewältigung und ihr Nutzen«

15.6Fazit

IIIZum Ende der Reise

Ein zweiter Blick auf New Organizing

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan Günther

Von Impulsen zu »epistemologischen Irrtümern«

Paradoxiemanagement als Kern eines zukunftsfähigen Umgangs mit Beratungs- und Führungsansätzen

Glossar

Literatur

Über die Autor:innen

Über die Herausgeber

Vorwort

Willst du ein System kennenlernen,dann interveniere!

Systemische Weisheit

Was passiert, wenn größere Unternehmen Konzepte der Organisationsgestaltung einführen, die gerade im Trend liegen? Wir laden ein zu einer Expedition in die Welt des New Organizing, kurz NO. Auf dieser Reise werden einzigartige Einblicke in die Innenwelt von Konzernen und größeren Organisationseinheiten gegeben, die sich mit der Einführung neuer agiler Methoden und Organisationsformen befassen. In Form von Fallstudien werden erfolgreiche und weniger erfolgreiche Initiativen nachgezeichnet, die in den letzten Jahren von Einzelnen, von Teams, von Netzwerken bis hin zu Unternehmenseinheiten sowie von Vorstandsebenen gestartet wurden. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Auswirkungen der Initiativen gelegt: Zeigen diese das gewünschte Ergebnis, führt z. B. das Streben nach Agilität tatsächlich zu den jeweils gewünschten Veränderungen (einer wie auch immer verstandenen höheren Agilität), und wie neu ist New Work?

In 13 qualitativen Fallstudien, die im Kontext eines gemeinsamen Forschungsprojekts entstanden sind, wird ein von systemischer Organisationstheorie inspirierter und mit Empirie gesättigter Blick auf die Implementierungspraxis all jener Ansätze geworfen, die aktuell in der Diskussion sind. Konkret sind hier Ansätze wie »Agilität«, »Scrum«, »Holacracy«, »Purpose« etc. gemeint, die wir mit dem Begriff »New Organizing« erfassen. Initiiert wurde das Projekt von uns Herausgebern aufgrund sich häufender Berichte sowie eigener Beratungserfahrungen, dass sich eine interessante Kluft auftut zwischen den Verheißungen und Versprechungen dieser Ansätze und deren Umsetzung in der Praxis – gerade im Kontext größerer Organisationen. In den vielen, nicht selten sicher auch geschönten Fallbeispielen, über die in den letzten Jahren ausführlich berichtet und mit denen das Neue als Trend zuweilen gefeiert wurde, war eher wenig über diese »Mühen der Ebene« (B. Brecht) zu erfahren.

Die Forscher:innen- und Autor:innenteams1 haben größtenteils anonymisierte Fallstudien erstellt und lassen in ebenfalls anonymisierten Interviewausschnitten Akteur:innen zu Wort kommen, die in den Unternehmen nah dran waren an New-Organizing-Aktivitäten. Aufgezeigt und empirisch nachgezeichnet wird, in welcher Form diese Ansätze und Konzepte angewendet werden, zu welchen beobachtbaren Reaktionen es bei den erwartbaren »Kulturberührungen« (Bateson) zwischen vorhandener und neuer Organisationspraxis gekommen ist, wie die Unternehmen jeweils gelernt haben und mit welchen Anschlussfragen sie sich auseinanderzusetzen haben.

Weniger wird im Übrigen darauf eingegangen, wie die New-Organizing-Ansätze »eigentlich« und, gemäß den normativen Vorgaben ihrer Vordenker, »richtig« anzuwenden gewesen wären. Dass so verfahren wird, hat mit vorab gesetzten Prämissen zu tun: Die tägliche Praxis ist zunächst als eine »bewundernswerte« Praxis zu betrachten. In ihr werden Risiken eingegangen, fortwährend Probleme gelöst und sicher auch viele Businessprobleme bearbeitet, denen in vielen neuen Ansätzen des Organisierens eher wenig Beachtung geschenkt wird.

Herausgekommen ist eine in dieser Form einzigartige Sammlung von Fallstudien, hinter denen namhafte Unternehmen stehen; herausgekommen ist, offen gesagt, auch etwas leicht anderes als ursprünglich gedacht. Bei der Frage, wie sich die Implementierung von New-Organizing-Praktiken vollzieht, kam es in der Gesamtauswertung zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung, ein wenig weg von New-Work-Thematiken, hin zu klassischen und grundlegenden Führungs- und Organisationsfragen. Es zeigten sich vermehrt Grundfragen, wie Unternehmen versuchen, ihren Wandel zu managen, wie sie versuchen zu lernen, wie sie Impulse aufzunehmen versuchen – und all dies ohne zu verlieren, was sie immer benötigen: Stabilität und Verlässlichkeit. Insofern weist das Buch über »Agilitätsfragen« hinaus. Es geht um die Gestaltung der Überlebenssicherung und des nachhaltigen Wandels, mithin um Kernfragen der Führung und des Organisierens.

Mit dem Fokus auf »Prozesse des Organisierens« (Weick 1995) erfahren die Leser:innen viel über die Vielschichtigkeit von Organisation und Führung. Alle Initiativen arbeiten sich an Phänomenen ab, die gerne mit dem Begriff Komplexität bezeichnet werden. Aber was das konkret bedeutet, ist oft nicht fassbar. Anders in diesem Buch. Man lernt den »ganz formalen Wahnsinn der Organisation«2 kennen. Zusätzlich sorgen prägnante Steckbriefe und kurze Beiträge mit dem Titel »Wie interessant!« von uns Herausgebern für Zusammenfassungen und Überleitungen von einem Fall zum nächsten. Für Führungskräfte aller Ebenen und Berater:innen (externe wie interne Unternehmens- wie Organisationsberater:innen, Agile Coachs etc.) bietet dieser Aufbau vielfältige Erkenntnischancen. Es sind tiefe Einsichten in einzelne Fälle möglich, Quervergleiche zwischen den präsentierten Fällen in ähnlichen Branchen oder auch eine Gesamtschau, die trotz der geringen Zahl an Fällen einen Eindruck vermitteln, welche typischen Muster sich bei der Implementierung neuerer (Trend-)Ansätze zeigen.

Ein weiteres interessantes Ergebnis vorweg: Bei den allerwenigsten der 13 Fälle finden sich Beispiele dafür, dass New Organizing nach einem Lehrbuch eingeführt wurde. Stattdessen kann man erfahren, wie sich in einem evolutionären Prozess Neues Platz und Gehör verschafft, wie es inhaltlich, methodisch und auch sprachlich angepasst wird und wie permanent nachgesteuert wird. Oft findet ein Ringen statt: Einzelne, Teams, Abteilungen haben von Agilität erfahren, haben von den IT-Kolleg:innen, für die seit Jahren Scrum-Verfahren zum Alltag gehören, viel Gutes gehört, sind inspiriert, wollen erst im Team, dann organisationsweit etwas ändern … – und dann beginnen alltägliche Auseinandersetzungen mit der Hierarchie, mit dem bisher Bewährten, mit der Kultur, mit überraschenden Folgeproblemen und auch mit der Zeit. Gerade der Faktor Zeit ist nicht zu unterschätzen: Vom Start einzelner Initiativen bis zur wirksamen organisationalen Umsetzung vergehen nicht nur Monate, sondern Jahre, und in diesen langen Zeiten verändern sich Wettbewerb, Strategien, Vorgesetztenkonstellationen – und es kommen neue Moden auf …

Ist dies als ein organisationaler Mangel zu verstehen, oder zeigen sich hier gar zu beklagende Defizite? – Keineswegs, denn wer Organisationen in ihrer Komplexität kennenlernen möchte, sollte nicht nur auf die positiven Beispiele achten (die es natürlich in diesem Buch auch gibt). Gerade in den Prozessen der Teilimplementierung, selbst im Vergessen von Führungsfragen, in der Nichtinanspruchnahme von Beratungsressourcen oder auch im scheinheiligen Umgang mit Neuerungen zeigt sich ein weites Feld der Erkenntnis über die (Un-) Tiefen der Organisation, das für erfolgreiche, zukünftige Wandlungsprozesse genutzt werden kann.

Das Buch im Überblick

Im einführenden Teil I geben wir Herausgeber Einblick in das allen Ausführungen zugrunde liegende Konzept des Forschungsprojekts. Hier verknüpfen wir die Projektfragestellung mit Kernideen der systemischen Organisationstheorie, liefern methodische Hinweise zur Erstellung der Fallstudie wie auch insgesamt zum Vorgehen im Projekt.

Dieser Einführung schließt sich der große Teil II an, in dem die Leser:innen in Form von Fallstudien in und durch die Welt der Agilität und der Konzerne geführt werden. Froh und stolz sind wir, dass es den Forschungsteams gelungen ist, 13 tiefe Einblicke erlangt zu haben in die Implementierungspraxis namhafter Unternehmen aus der Automobilindustrie, der Telekommunikation, den Medien, dem Bankengewerbe, der IT u. v. m.

Die Reise beginnt – wie alle gut vorbereiten Reisen – mit einer Übersichtskarte, auf der die Fälle eingezeichnet sind je nach »Kopplung an Überlebensfragen« und auch, ob die Initiativen eher »bottom-up« oder »top-down« gestartet wurden. Am Ende jeder Fallstudie nehmen wir Reiseleiter unter dem Titel »Wie interessant!« jeweils kurze Zwischenstopps vor, bei denen wir einige Besonderheiten pro Fall, Gemeinsamkeiten mehrerer Fallstudien und sich abzeichnende Muster im Umgang mit neuen Organisationsformen kurz zusammenfassen.

Diesem empirischen Hauptteil schließen sich die zwei kurzen, reflektierenden Kapitel 14 und 15 an. Zunächst folgt ein Essay über mögliche Gründe, weshalb bestimmte, sicherlich interessante Fallstudien nicht zustande gekommen sind. Dem schließt sich ein Beitrag an, der auf Parallelen (Stichwort »Spiegelphänomene«) hinweist zwischen Dynamiken, die sich einerseits in den beforschten Unternehmen und andererseits im Forschungsprojekt mit den mehr als 40 Forscher:innen in ähnlicher Form gezeigt haben.

In Teil III schließlich werden nicht nur Kernergebnisse zusammenfasst, sondern auch Ausblicke gegeben auf eine »postmodische« Welt – eine Welt, in der sich Unternehmen vornehmlich auf das überlebensrelevante Balancieren von Paradoxien konzentrieren und ihnen hierbei die Kunst gelingt, sich mit den wertvollen Impulsen von Trendansätzen zu versorgen, ohne den damit einhergehenden großen Versprechungen zu erliegen.

13 Unternehmen, 45 Alumni von Simon Weber Friends (SWF) als Forscher:innen, mehr als 60 Interviews, 2 Jahre Forschung mit vielen Treffen, erst noch real, dann coronabedingt in diversen Onlinekonferenzen … – das Projekt New Organizing wäre ohne ein co-kreatives Zusammenwirken vieler Personen und Institutionen, ohne Lust am gemeinsamen Nachdenken sowie ohne gemeinsame Anstrengungen nicht zustande gekommen.

Danksagung

Im Namen aller Forscher:innen und Autor:innen danken wir den beteiligten Unternehmen für ihre Bereitschaft und Offenheit, an diesem Projekt teilzunehmen. Speziell zu danken ist den Auskunftgeber:innen in den Unternehmen, die mit ihren Einblicken und Erzählungen erst den empirischen »Rohstoff« geliefert haben, den die Forschungsteams dann interpretativ weiterverarbeitet haben.

Zu guter Letzt ist auch dem Team vom Carl-Auer Verlag zu danken, das, unterstützt durch das Lektorat von Markus Pohlmann, dieses Projekt in gewohnt professioneller Geduld und Umsicht begleitet hat.

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan GüntherMünster, Wien, Darmstadt im Sommer 2021

1Wir unterstützen einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch und verwenden die für uns schlüssigste Schreibweise mit Doppelpunkt. Zusammengesetzte Wörter wie »kundenseitig« und (oft ebenfalls zusammengesetzte) nichtpersonale Akteure (Lieferant, Hersteller, Dienstleister etc.) gendern wir meist nicht, um die Lesbarkeit zu erhalten. Bei einzelnen Abweichungen von diesen Regeln bitten wir um Nachsicht. Zitierte Auszüge aus transkribierten Interviews wurden sprachlich nicht verändert.

2Eine Formulierung, die auf den gleichnamigen Podcast von Stefan Kühl verweist: https://formaler-wahnsinn.de/podcasts/ [Zugriff: 23.04.2021].

IDas Forschungsprojekt

New Organizing – Empirie trifft Theorie

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan Günther

Alle in diesem Band vereinten Beiträge sind im Rahmen eines seit 2018 laufenden Forschungsprojekts bei Simon Weber Friends (SWF) entstanden. Wie es dazu kam? – Im Jargon eines Managementbestsellers müsste jetzt eine Story folgen über einzigartige biografische Erweckungserlebnisse oder von Erkenntnissen berichtet werden, die im Beisammensein mit bekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik zustande gekommen sind … – All dies war nicht der Fall. Es war alles profaner, nämlich die pure Neugierde, hinter die Kulissen von New Work, Agilität und der vielfältigen Varianten innovativer Arbeitsmodelle zu schauen. Ziel war es, tiefer gehende Einblicke zu erhalten in Veränderungsprozesse, die, ausgelöst durch ein »agiles Manifest« vor 20 Jahren, einen großen Raum in der Management- und Beratungswelt einnehmen.

Mit dieser Zielsetzung ist die Kernidee unseres Forschungsprojekts »New Organizing – Empirie trifft Theorie« benannt: Wie vollzieht sich die Einführung neuer Organisationsformen in der Praxis? – Der Begriff Organizing im Titel ist bewusst gewählt. Er verweist auf zwei paradigmatische Ansätze in der Organisationsforschung, die für ein hier gewähltes systemisches Verständnis von Organisationen und für die Form und den Fokus der Auswertung von hoher Relevanz sind. Einmal auf den Ansatz von Karl E. Weick und zum anderen auf den Ansatz von Henry Mintzberg.

Beide Vordenker der Organisationsforschung eint die Idee, das in Management und Beratung oft dominierende Strukturdenken mit einem Prozessdenken zu erweitern. Mit diesem Denken ist die Prämisse verknüpft, vermehrt auf die tägliche Praxis des Handelns und Entscheidens zu fokussieren, die sich in den Strukturen (Vorgaben, Abläufen, Organigrammen) vollzieht. Deshalb spricht Weick (1995) vom »Organizing« und Mintzberg (2009) vom »Managing«. Wie sich in den Fallstudien zeigen wird, geht es in der Frage nach Struktur oder Prozess also nicht um ein Entweder- oder. Es geht, vereinfacht gesprochen, um einen Alltag, in dem mit sehr unterschiedlichen Motiven mal in Anlehnung, mal in Anpassung, mal in Änderung oder auch mal in Ablehnung der formellen Strukturen gehandelt wird. Organisationen sind, so Weick (1995, S. 15),

»trotz ihrer scheinbaren Inanspruchnahme durch Fakten, Zahlen, Objektivität, Konkretheit und Verantwortlichkeit in Wahrheit voll von Subjektivität, Abstraktion, Rätseln, Schau, Erfindung und Willkür … ganz wie wir alle. Vieles von dem, was Organisationen Schwierigkeiten bereitet, ist ihr eigenes Produkt.«

Von Mintzberg übernehmen wir die Erkenntnis, dass es sich lohnt, die meist vordergründigen Narrative und Mythen des Managements durch Beobachtung des praktischen Handelns neu zu interpretieren. Eine solche Theorieanlage schien uns passend. Denn schon vor Beginn des Projekts hat uns der Umstand fasziniert, wie sehr es neuere Organisationsansätze geschafft haben, den Alltag in so gut wie allen Unternehmen mit »agilen« Ideen zu infizieren. Man kommt nicht umhin, hier, wie auch bei vielen weiteren neuen Methoden, Anführungsstriche zu setzen, denn in der Praxis wird oft nur lose an die ursprünglichen Konzepte und Begriffe angekoppelt. Dies allein gäbe Anlass, über den Einfluss von Moden auf das Management kritisch nachzudenken (Kieser 1996; Kühl 2015) – wir werden zum Abschluss nochmals darauf zu sprechen kommen. In unserem Projekt interessierte jedoch zunächst, was die Ansätze letztlich in der täglichen Praxis bewirkt haben. – Und mit diesem Fokus auf die Auswirkungen sprach und spricht vieles für den neugierigen Blick auf »New« und »Organizing«: Man mag es Mode nennen oder nicht, es finden sich viele neue Impulse und Anregungen für eine agilere Unternehmenspraxis. Und zugleich sind diese Impulse wirksam in zuvor schon praktizierte Prozesse des Organisierens einzuführen.

Beginn einer aufregenden Reise

Zurück zur Gestaltung des Forschungsprojekts. In der Frage der Durchführung kam die Idee auf, dieses Vorhaben nicht allein umzusetzen. Die Leitgedanken zum New Organizing flossen ein in eine erste Skizze und einen Aufruf, der versendet wurde an einen Kreis von ca. 500 Absolvent:innen unserer Beratungs- und Führungskurse zur systemischen Organisationsberatung wie auch an einen bereits bestehenden Kreis kooperierender Netzwerkpartner:innen.

Zu unserer großen Überraschung fand sich recht schnell eine Gruppe von ca. 45 Personen zusammen, die Interesse an Forschung und an diesem Thema zeigten. Einige Interessent:innen waren vertraut mit dem wissenschaftlichen Arbeiten und hatten schon publiziert, für andere war dies eher Neuland. Doch was heißt Neuland? – Alle Projektbeteiligten sind langjährig in der Beratung oder als Führungskraft tätig. Sie verfügen über einen professionellen Organisationsblick, der zudem individuell und kollektiv geschärft ist durch ähnliche systemische Verständnisse und Weiterbildungen zur Organisationsberatung.

Im ersten Schritt galt es, das Projekt sachlich, sozial, zeitlich zu organisieren. Es folgten, ohne hier zu tief ins Detail zu gehen, mehrere Vorbereitungstreffen zur Fixierung des Forschungsfokus, zur Abstimmung der organisationstheoretischen Fundierung sowie zur Diskussion methodischer Fragen der Interviewführung und -auswertung. Zudem formierten sich letztlich 14 Teams, die jeweils ein Unternehmen beforschen wollten. Da es für uns eher um eine explorative und nicht um eine repräsentative Studie ging, wurde für die Auswahl der Unternehmen ein pragmatischer Zugang gewählt: Unsere Forscher:innen sprachen größere Unternehmen – vorwiegend Konzerne oder Teilbereiche von Konzernen – an, zu denen ggf. bereits Kontakte bestanden. Dieser Größenfokus wurde bewusst gewählt, da viele veröffentlichte Erfolgsberichte aus kleinen oder neu gegründeten Unternehmen stammen und uns die Übertragung der Erfahrungen mit New Organizing auf größere Systeme in der Literatur unterrepräsentiert erschien.

Folgende Fragen wurden den Forschungsteams für ihre Interviews in den Unternehmen mit auf den Weg gegeben:

•Fokus »Idee«: Was ist die Leitidee, die Erwartung, mit der neue Organisationsformen eingeführt werden?

•Fokus »Bezeichnung«: Wie wird der neue Ansatz »verstanden« und auf welcher Ebene wird er implementiert: als Organisationsänderung, als Führungsänderung, als Team- und Projektveränderung?

•Fokus »Auswirkungen«: Welche Wirkungen sind hierbei zu beobachten bzw. welche Resonanzen erzeugt der Eingriff in die Praxis?

•Fokus »Unterstützung«: Welche Funktion übernehmen Führung, HR-Abteilungen und/oder Beratungen im Prozess der Implementierung?

•Fokus »Implementierung«: Kommt es überhaupt zu einer Transformation »weg von der alten, hin zur neuen Organisationsform«? – Wenn ja, wenn nein (oder auch: wenn halb, wenn anders als gedacht, wenn oberflächlich-scheinheilig) … Wie verläuft der Implementierungsprozess?

•Fokus »Reflexion«: Zeigt sich eine Praxis, in der sich die positiven Erwartungen an New Organizing erfüllen, müssen die Ansprüche revidiert werden, bzw. was folgt stattdessen?

•Fokus »Lernen«: Welche erfolgskritischen Aspekte in der Implementierung werden bislang übersehen bzw. müssten mehr Beachtung finden?

Zur Strukturierung der Ergebnisse wurde festgelegt, dass im Zuge der Feldforschung insbesondere die Bereiche »Organisation«, »Führung«, »Teams/Projekte« und »Beratung« in den Blick zu nehmen sind.

Und so gerüstet ging es ins Feld. Interviewpartner:innen wurden ausgewählt, Termine vereinbart und Gespräche geführt etc.3

Von der Datenerhebung zur Auswertung

Alle nach dem groben Leitfaden (den die Teams noch weiter verfeinert haben) geführten Interviews wurden transkribiert und anschließend qualitativ ausgewertet. Hierzu bedienten sich die Teams grob einer dreigeteilten Methodik, die von Froschauer und Lueger (2003) entworfen wurde. Die transkribierten Interviews wurden nach dem Konzept der »Themenanalyse«, der »Systemanalyse« und einzelne Passagen auch mit Mitteln der »Feinstrukturanalysen« ausgewertet.

Bei 13 Fallstudien und im Schnitt über vier Interviews pro Unternehmen ist schnell zu errechnen, dass weit mehr als 1000 Seiten an Transkriptionen erstellt wurden, auf denen berichtet wird, was New Organizing im Einzelfall zum Erhebungszeitraum bedeutet und bewirkt hat. Es ist den Forschungsteams nicht hoch genug anzurechnen, welche empirische Arbeit sie jeweils geleistet haben. Deutlich wird auch, dass in die Fallstudien dieses Buches nur ein Bruchteil dessen einfließen konnte, was erfasst wurde.

Damit sind wir beim Prozess der Auswertung. Eines war klar: Mit dem Interesse an der Frage, wie sich die Implementierung neuerer Organisationsansätze in der Praxis vollzieht, sollte dafür gesorgt werden, dass die Forschungsteams ergebnisoffen bzw. nicht normativ an die Auswertung gehen. Will man dieses Ziel präziser fassen, so bietet es sich an, auf methodische Überlegungen zurückzugreifen, die Luhmann recht früh mit der Methode einer »funktionalen Analyse« präzisiert hat (Luhmann 1999). Eine solche Methode lädt dazu ein, alle wiederholt auftretenden Phänomene in den Kontext der Lösung von Problemen zu setzen: »Welche Probleme versuchen Organisationen zu lösen, die neue Organisationsformen einsetzen, und welche Probleme versuchen sie zu lösen, wenn sie diese nur zögerlich oder auch nur scheinheilig einsetzen?«

Mit diesem auf ethnologischen Methoden aufbauenden Vorgehen erhält man einen möglichst bewertungsfreien, lernenden Zugang zu allen denkbaren Formen der Implementierungspraxis. Zusammenfassen lässt sich dieses Denken mit dem Motto »Wie interessant!« – Das Besondere eines solchen Denkens wird deutlich, sobald man dieses mit der alltäglich beobachtbaren Bewertungspraxis in Veränderungsprojekten vergleicht. Zumeist kommt es bei Letzterer sachlich zu einer Positivbewertung des Neuen und einer Abwertung des Bestehenden, was sich sozial in einer Spaltung in Erneuerer und Beharrende zeigt. Eine solche Vorabbewertung würde den für unser Projekt erwarteten Erkenntnisprozessen im Wege stehen (wie es insgesamt produktive Veränderung verhindert, aber das soll hier nicht im Fokus stehen).

Neue Organisationsformen stellen Irritationen einer wie auch immer gearteten funktionierenden Praxis dar. Es sind Eingriffe in eine Praxis der Überlebenssicherung, in und mit der Unternehmen versuchen, am Markt zu bestehen und dabei widersprüchliche Erwartungen aus der äußeren oder inneren Umwelt zu erfüllen. In diesem Streben kann New Organizing für das eine Unternehmen ein wertvoller Impuls sein, für das andere eine mit Skepsis beobachtbare Modewelle und für ein weiteres eine Ansammlung interessant klingender Tools, die im geschützten Rahmen auszuprobieren sind. Wie auch immer: Vorab kann und sollte bewusst nicht festgelegt werden, was als richtig oder falsch zu bewerten ist.

Hinzu kommt ein zeitlicher Aspekt: Die Implementierung neuer Ansätze ist mehr als nur eine punktuelle Intervention. Oftmals sind es mehrjährige Prozesse, in denen die Organisation ja nicht stehen bleibt. Parallel zum New-Organizing-Prozess gewinnen immer wieder andere unternehmensstrategische und -politische Aspekte an Relevanz und wirken auf die neuen Ansätze unterstützend oder auch bremsend zurück.

Die Fallstudien sollten deshalb idealerweise längere Zeiträume erfassen und dort fortgesetzt werden, wo viele andere Veröffentlichungen sich damit begnügen, aufzuzeigen, wie z. B. agile Verfahren initiativ eingeführt wurden, ohne zu zeigen, wie es im Anschluss weiterging. Die Beantwortung der (einfachen, aber wirksamen) systemischen Frage nach dem »Und dann …?« sollte sich in den Beiträgen niederschlagen. Erst in der Form der Fortsetzung von New Organizing – so eine weitere Prämisse unserer Forschung – zeigt sich die Selektionswirkung der Organisation. Erst hierdurch werden Möglichkeiten und Herausforderungen einer langfristig wirksamen Implementierung im Sinne einer organisationalen Veränderungsfähigkeit sichtbar.

Organisationstheoretische Fundierung

Wenn eine »Wie-interessant!«-Erzählung erfolgt ist und anschließend Praktiker die Praxis der Implementierung neuerer agiler Ansätze erforschen, braucht es mehr als nur einen scharfen Blick – es braucht (ein wenig) Organisationstheorie. Wie sonst wüsste man, worauf man achten soll, um vermutete Wirkungszusammenhänge zwischen »New« und »Old Organizing« zu erklären und zu bewerten?

Der Fokus auf Organisation ist auch insofern von Bedeutung, als dass viele neue Ansätze aus dem Projektmanagement stammen und mit diesem Ursprung stark auf Team- und Interaktionsgestaltung fokussieren. In den Fallstudien interessiert New Organizing im Kontext der Organisation (und nicht nur die Gestaltung von Interaktionen im Kontext einer Organisation …). Dieser Schwerpunktsetzung liegt die Prämisse zugrunde, dass erfolgsrelevante Kriterien erst dann in den Blick kommen, wenn man über die Face-to-Face-Koordinierung hinausgeht. Wie sich später zeigen lässt, hat sich dieser geweitete Blick als erkenntnisreich erwiesen, denn viele Initiativen erfahren ihre Grenzen oder ihr Scheitern weniger an sich, sondern am Kontext Organisation.

Theoretische Prämissen

Damit wären wir bei dem von allen Autorenteams angewendeten systemischen Blick auf das Phänomen Organisation. Es finden sich ergiebige Quellen, um sich ausführlich über die soziologische Systemtheorie (Luhmann 1984), das Grundprinzip der Autopoiesis (Maturana u. Varela 1984) und auch über Organisationen als soziale Systeme mit dem Basiselement der Kommunikation von Entscheidungen zu informieren (Luhmann 2000; Baecker 1999; Simon 2007; Wimmer 2012; siehe auch Groth 2019, S. 59 ff.). Wir belassen es bei einer stichwortartigen Auflistung mit kurzen Ergänzungen, inwieweit der systemische Blick einen Unterschied in der Erklärung von Phänomenen macht, die im Kontext von New Organizing auftreten (können).

Organisationen …

•… folgen selbst gesetzten Zwecken und Zielen, die ihnen Orientierung geben: Alle New-Organizing-Aktivitäten müssen mit diesen verknüpft werden.

•… sind um das Problem der Entscheidungsfindung »gebaut« und bilden hierzu »Spielregeln« (Prämissen und Routinen) aus: Alle New-Organizing-Aktivitäten »irritieren« vorhandene Spielregeln positiv wie negativ.

•… sind gefordert, in komplexen Umwelten und unsicheren Zukünften ihr Überleben zu sichern, was sie u. a. in die Situation bringt, die beiden gegensätzlichen Pole Exploration und Exploitation (March 1991) zugleich zu bedienen: Alle New-Organizing-Aktivitäten werden in diese notwendigen und zugleich paradoxalen (s. u.) Balancierungsprozesse einbezogen (zumeist verortet auf der Seite der Exploration …).

•… streben zwar nach Rationalität und erzeugen dabei vielfältige Irrationalitäten (Brunsson 1985), die durchaus auch funktionale Seiten haben: Forschungen zu den New-Organizing-Aktivitäten – wie auch andere Forschungen – werden erwartungsgemäß Phänomene ans Licht bringen, die für die Beteiligten und vielleicht auch aus Forschungssicht nicht sehr vernünftig klingen; eine systemische Forschung versucht in solchen Fällen gute Gründe für vermeintliche irrationale Verhaltensweisen zu finden.

•… sind selbst als komplexe Gebilde zu verstehen, die sich vereinfachende Selbstbeschreibungen geben; sie zeigen eine »formelle«, eine »informelle« und eine »Schauseite« (Kühl 2011): Diese Unterscheidungen werfen die Frage auf, welche der drei Seiten mit New-Organizing-Aktivitäten auf welche Art und Weise bedient werden.

•… müssen widersprüchliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Erwartungen bedienen und differenzieren sich hierzu in Untereinheiten, die jeweils eigene lokale Rationalitäten erzeugen: Veränderungsinitiativen allgemein und speziell New-Organizing-Aktivitäten bedienen oft nur einzelne lokale Sichten und werden von diesen erwartungsgemäß positiv beobachtet wie auch von vielen anderen Einheiten, die andere Teilrationalitäten bedienen, erwartungsgemäß skeptisch.

•… sind »um Paradoxien herum gebaut« (Simon 2007): Sowohl die diversen Umwelterwartungen als auch die erwähnten internen Teilrationalitäten spitzen sich erwartbar zu in Fragestellungen und Situationen, in denen Widersprüche auftreten, die nicht lösbar erscheinen. In dem Zusammentreffen von »agil« und »klassisch« oder auch »neu« und »alt« sind solche paradoxen Dynamiken vermehrt erwartbar. Vereinfacht gesagt, nutzen wir die Theoriefigur der pragmatischen Paradoxien, um diese unvermeidbaren Spannungen in der Art ihrer Bearbeitung beobachten und interpretieren zu können.

•… binden ihre Mitglieder vertraglich und binden sie damit ein in ein Netz generalisierter Verhaltenserwartungen, sodass Einzelne »nur« als »Personen« in ihren »Rollen« agieren: Dies richtet den Blick auf die Frage eines implizit oder explizit entstehenden neuen »sozialen Kontrakts« durch New-Organizing-Aktivitäten und verweist grundlegend darauf, dass die Antworten in den Interviewausschnitten immer als Zusammenspiel von Erwartungen, Rollenausübungen und Personenanteilen zu »lesen« ist.

Die aufgelisteten Stichworte geben verdichtet wieder, was alles mitgemeint ist, wenn von »Organisation« die Rede ist und eine systemische Perspektive eingenommen wird. Zugleich geben sie Hinweise, wie die in den Interviews getätigten Äußerungen bezüglich New-Organizing-Aktivitäten von den Verfassern der Fallstudien eingeordnet werden sollten und wurden. Der Blick auf Paradoxien nimmt – so viel vorab – eine Sonderstellung ein und wird sich wie ein roter Faden durch die Fallstudien ziehen.

Noch ein kurzer methodologischer Hinweis: Empirisch in Unternehmen zu forschen bedeutet, Beobachter beim Beobachten ihrer eigenen Organisation in der Beziehung zu ihren Umwelten zu beobachten. Dass hiermit kein Anspruch auf objektive Wiedergabe von Realitäten abgeleitet werden kann, lässt sich leicht erschließen. Es ist eine Setzung von uns, eine funktionale Methode vorzugeben, es ist eine Setzung, Interviews qualitativ auszuwerten, es ist eine Setzung, systemtheoretische Erklärungen anzulegen. Das Problem der Selbstbezüglichkeit von Erkenntnis bleibt.

Alle Methoden »sind dafür gut, sich selbst zu überraschen« (Luhmann 1997, S. 37). Niklas Luhmann fasst so pointiert zusammen, was es heißt, empirisch zu forschen. Natürlich kreieren die Forschungsteams ihre Bilder, natürlich lassen sie sich in ihrer Exploration mehr oder weniger durch die Fokussierung ihrer Interviewpartner:innen leiten, natürlich hätte man alles auch anders formulieren können, natürlich sind es nur zeitpunktbezogene Einblicke. Keineswegs jedoch sind die Ergebnisse zufällig. Als das hier am besten passende Konzept erscheint uns das von Nassehi und Saake (2002) formulierte »methodisch kontrollierte Vorgehen«. Es geht darum, so reflektiert wie möglich den eigenen Gebrauch von Theorie und Methoden offenzulegen und auch die jeweiligen Beschränkungen in den Blick zu nehmen. In diesem Sinne sind die im Zuge des fortschreitenden Forschungsprozesses entstandenen Leitideen und Leitlinien zur Formulierung der Fallstudien zu verstehen.

»Neues« trifft auf »Bekanntes« – Leitideen zur Auswertung

Aufbauend auf den theoretischen Grundlagen diente das folgende Ablaufschema (Abb. 1) als Grundlage der Darstellung und Zusammenfassung der Fallstudien.

In sechs Schritten (die Theorieprämissen sind im vorangehenden Abschnitt eingeführt worden) sind hierin Kontexte und Fragestellungen angedeutet, wie New Organizing zu erforschen ist. Zugleich sind Wirkungsvermutungen mitgedacht, wie »Neues« (das muss nicht unbedingt New Organizing sein) bestehende Formen des Organisierens irritiert. Insofern könnte man das Schaubild mitsamt den nachfolgend aufgelisteten Erläuterungen auch als ein generelles Schema lesen, wie sich tiefer gehende Veränderungsprozesse vollziehen.

Abb. 1: Kreislauf tiefgreifender Veränderungen am Beispiel von New Organizing

Schritt 1: Organisation im Kontext

Bei jedem Fall bzw. bei jeder Fallstudie ist zu klären, in welchem Umfeld die erforschte Organisation aktiv ist. Hier geht es erstens um eine Darstellung der sich wandelnden Markt- und Technologieanforderungen, die als Kontext für das Einführen neuer Formen des Organisierens als relevant erachtet werden. Der eingangs erwähnten theoretischen Prämisse folgend, sind Organisationen als Orte der Bearbeitung und Entfaltung paradoxaler Anforderungen (Simon 2007) zu beobachten. Ein besonderes Augenmerk ist deshalb darauf zu legen, mit welchen internen Strukturen die Unternehmen versuchen, die widersprüchlichen Anforderungen an Stabilität - Wandel, Exploration – Exploitation, etc. zu erfüllen. Wir nennen diese Paradoxien im Folgenden Kernparadoxien.

Schritt 2: Anlass für Veränderung

Des Weiteren gilt es, den Anlass für New-Organizing-Aktivitäten darzustellen. Mit Bezug zur oben erwähnten funktionalen Methode ist darzulegen, für welches wie wahrgenommene Problem New Organizing als Lösung gesehen wird. Hierbei interessiert vor allem, ob New Organizing als Versuch beschrieben wird, um ggf. auf als existenzbedrohend wahrgenommene Veränderungen der Organisationsumwelt zu reagieren, oder aber ob andere Zwecke damit verfolgt werden.

Schritt 3: »Orte« der Veränderung

Aufbauend darauf rücken die konkreten »Interventionsorte« in den Blickpunkt. Wo wird New Organizing wie in der Praxis umgesetzt? Auf welchen Ebenen wird bei der Umsetzung angesetzt? Es stellt sich die Frage, ob und wie ein Zusammenspiel von Organisation, Interaktion, Führung und Beratung bei der Einführung von Neuem gedacht wird und wie dies konkret erfolgt.

Schritt 4: Praxis der Veränderung

Vertiefend zur Interventionsebene ist darzulegen, wie Veränderung gehandhabt wird. Hier sind mehrere Aspekte relevant:

•Vollzieht sich Wandel »bottom-up« oder »top-down«?

•Wird New Organizing für punktuelle Optimierungen verwendet, oder wird ein größerer struktureller organisatorischer Umbau vorgenommen?

•Erfolgt die Umsetzung von New Organizing im Sinne einer »episodischen Veränderung«, bei der ein klar definierter Start und ein erwünschter Endzustand angepeilt wird, oder wird eher evolutionär im Rahmen eines »kontinuierlichen Veränderungsprozesses« vorgegangen (Weick a. Quinn 1999)?

Schritt 5: Konfliktmuster/Paradoxiebearbeitung

Unter der Prämisse, dass es erwartbar zu Konflikten kommt, wenn neue Organisationsformen auf bestehende Strukturen treffen, interessiert vor allem die Art und Weise, wie mit den Anforderungen, zwei Gegensätze in der Praxis zu vereinen, umgegangen wird. Zur Beschreibung und Bündelung der vielfältigen erwartbaren Dynamiken bietet es sich an, sechs Bearbeitungsmuster zu unterscheiden (Simon 2007):

•Aktive Negierung: Es wird so getan, als ob Neues und Bestehendes problemlos zusammenpassen. Widersprüche werden negiert …

•Produktion von Ein-Eindeutigkeit: Es findet eine klare Positionierung für eine (als einzig richtig und positiv bewertete) Seite statt …

•Differenzierung/Aufspaltungen einführen: In den Unternehmen gibt es Einheiten/Bereiche, die weiter wie bisher arbeiten, und es gibt andere, ggf. auch nur kleinere »Inseln«, in denen Neues erprobt wird …

•Oszillieren im Zeitverlauf: In den Unternehmen wird im Wechsel mal das Neue, mal das Bestehende als handlungsleitend benannt …

•Scheinheiliges Agieren: Es wird nach außen so getan, als ob man sich den neuen Organisationformen verschreibt, nach innen jedoch wird weiter agiert wie bisher …

•Produktion von Uneindeutigkeit: Es kommt zu Situationen, in denen es für die Beteiligten nicht deutlich wird, nach welchen Kriterien gehandelt werden soll …

Diese Bearbeitungsmuster können Erklärungen liefern für Dynamiken, die für Beteiligte – ohne Paradoxiebewusstheit – oft in Konflikten, Frustrationen oder Orientierungslosigkeiten enden. Umgekehrt gilt jedoch auch: In der Anerkennung von Paradoxien, im bewussten Management von Paradoxien liegen große Potenziale der wirksamen Implementierung – wir kommen im Abschlusskapitel zum Paradoxiemanagement auf diesen Aspekt zurück.

Schritt 6: … wie weiter?

Das Schaubild ist bewusst kreisförmig angelegt (Abb. 1). Wer sich auf das »New«, auf das »Organizing« und auf Paradoxiekonzepte einlässt, muss akzeptieren, dass Wandlungsprozesse und Problemlösungen nie beendet sind. Darum soll – in den Fallstudien wie in jedem Wandelprozess – aufgezeigt werden, wie es weitergeht, welche neuen Paradoxien erkennbar werden, welche »Lösungen« sich als problematisch erweisen etc. Ein »paradoxiefreundlicher« Ausblick soll Anregungen für zukünftige Gestaltungsfragen im Sinne einer organisationalen Veränderungsfähigkeit geben.

Theorie trifft Empirie

Wenn Theorie wie beschrieben mitläuft, erhält jede Fallerzählung eine innere Spannung. Und zusätzlich werden in der Gesamtsicht funktionale Vergleiche zwischen den Problemstellungen und Lösungswege der beforschten Unternehmen möglich.4 In den Fällen und über alle Fälle hinweg zeigen sich vielfältige Dynamiken, die unseres Erachtens bisher nicht angemessen beobachtet, erforscht und ausgewertet wurden. Gerade in der vielleicht wichtigsten Fragestellung der pragmatisch-paradoxalen Verknüpfung von Konzernwelt und agiler Welt eröffnet sich ein weites Feld spannender Fragen, von deren Beantwortung Führungskräfte wie Beratungsprofessionen profitieren können.

Organisationen als soziale Systeme im Kontext einer Paradoxietheorie zu verstehen mag abstrakt klingen, es setzt jedoch einen Rahmen, in dem Unternehmen nicht mehr als Gebilde erscheinen, die nach rein ökonomischen Kriterien zielgerichtet geführt werden. Hierdurch verändert sich auch die Sicht auf eine normalerweise zu unterstellende Funktionsweise von Organisationen. Im Alltag sowie im Anspruch vieler Führungskräfte finden sich oft noch Vorstellungen, Unternehmen müssten – maschinengleich – berechenbar und planmäßig funktionieren. Jede Form der Abweichung ist mit dieser Sichtweise als Fehler und Enttäuschung der Verantwortlichen zu bewerten. Unsere Theorieanlage nimmt bewusst die Bewertung heraus und postuliert, wenn man es zuspitzen möchte, dass Organisationen nicht wie geplant funktionieren. Die Abweichungen werden zum Normalfall, und damit werden auch Konflikte erwartbar.

Dieses Reframing ist insofern von Bedeutung, weil in vielen der erforschten Organisationen (ob benannt oder anonym dargestellt) die Sorge herrscht, in der Darstellung würden Schwächen überbetont. Nein, damit Organisationen lernen können und brauchbare Informationen erlangen, muss ihr Motto lauten: Der König ist nackt – und das ist nicht schlimm! Schlimmer wäre es, und dieser Verdacht beschleicht uns angesichts der vielen großartigen Storys zum New Work, wenn man gewöhnlich die Schauseite einer Organisation präsentiert bekommt.5 Besser als Stefan Kühl kann man dies nicht zusammenfassen (Kühl 2021, S. 11):

»Bei auf Managementkonferenzen, Personalmessen und Praktikerzeitschriften dargestellten Fallstudien, in denen auf Anonymisierung verzichtet wird, kann man davon ausgehen, dass man einiges über die herausgeputzten Vorderbühnen, aber faktisch nichts über die Hinterbühne der präsentierten Organisation erfährt. Man kann daraus schon fast eine Daumenregel zur Zeitersparnis für die Lektüre von Artikeln und Büchern machen. Mit Ausnahme von historischen Organisationsanalysen, in denen die Betroffenen in der Regel schon lange tot sind, und von investigativen journalistischen Arbeiten, in denen der Anspruch ja gerade die Aufdeckung der Hinterbühne einer spezifischen Organisation ist, kann man Texte, die auf Anonymisierung der dargestellten Organisationen verzichten, getrost ungelesen zur Seite legen. Bestenfalls würde man etwas über die neueste Managementmode erfahren, die über Erfolgsgeschichten aufgepeppt wird, schlimmstenfalls liest man eine als Praktikerbericht getarnte PR-Geschichte eines Coaches, Beraters oder Managers.«

Mit den in diesem Band vereinten Fallstudien verknüpfen wir bewusst keinen Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit. Dafür war die Auswahl an Unternehmen und Interviewten zu klein, und viele Interviews sind eher zufällig bzw. über bestehende Kontakte zustande gekommen. Wir haben es jedoch bewusst vermieden, alle Fallstudien so zuzuschneiden, dass damit ein neuer Ansatz begründet wird. In der Formulierung von Managementratgebern ist es gängige Gepflogenheit, dem eigenen (Mode-)Ansatz mit Fallgeschichten den Anstrich von Realitätsnähe zu verleihen (Kieser 1996).

Wir positionieren die Beiträge dagegen bewusst zwischen dem Pol der »wissenschaftlichen Forschung« auf der einen Seite und dem Pol »Strategie-Industrie« (Nicolai 2000) auf der anderen Seite. In dieser »interessanten Mitte« werden unwahrscheinliche Verknüpfungen möglich und sichtbar. Die Forschungsteams bestehend aus erfahrenen Berater:innen und Führungskräften verknüpfen eine ähnlich systemische Theoriesicht auf Organisationen mit Interviewergebnissen, die in einem abgestimmten qualitativen Erhebungsverfahren kollektiv ausgewertet wurden, und bringen ganz bewusst auch ihre jahrelange Berufspraxis mit ein: Theorie trifft Empirie.

3Am Ende einer jeden Fallstudie wird im Steckbrief angegeben, mit wie vielen Vertreter:innen welcher Funktionen pro Unternehmen Gespräche geführt wurden.

4Für eine solche Idee der Kombination einer einheitlich ausgerichteten Theoriesicht und Methodik bei gleichzeitiger Vielfalt an Fällen vgl. Seibel, Klamann u. Treis (2017).

5Gerade in den drei Fallstudien unseres Bandes, in denen die beforschten Unternehmen benannt sind (Kap. 2, Kap. 9, Kap. 13), haben die Autorenteams darauf geachtet, dass die von Kühl kritisierten Aspekte nicht zum Tragen kommen.

IIDie Forschungsergebnisse

New Organizing – Reiseplanungen und Orientierungshilfen

Torsten Groth, Gerhard P. Krejci, Stefan Günther

Jede gut vorbereitete Reise beginnt mit der Lektüre eines Reiseführers, der Recherche im Internet oder zumindest mit dem Blick auf eine Übersichtstafel – und so handhaben wir es hier auch. Der vorige Teil I über Theorie und Methode entspricht dem, was man über die Hintergründe im Land »New Organizing« wissen sollte, jetzt kann die Reise (fast) beginnen.

Zur visuellen Darstellung der Berichte

In der Innenwelt von New-Organizing-Ansätzen liest und hört man zuweilen über ein »Ausmaß an Agilisierung«, über »Stufen« oder die »Tiefe«, bis zu der eine neue Denk- oder Organisationsform vorgedrungen ist. Unterlegt sind diese Ideen oft auch mit Ideen von »Reifegraden« (z. B. Laloux 2015). Naheliegend wäre es infolge eines solchen Denkens gewesen, die 13 Fälle nach »Tiefe« oder »Reife« zu bewerten. Diese Denk- und Darstellungsform führt jedoch in die Falle der Normativität. Es wird ein Schema verwendet, das die Idee mitführt, eine tiefer gehende Einführung neuer Methoden sei grundsätzlich die bessere.

In der Umsetzung unseres Anliegens, bewertungsfrei zu erforschen, wie sich New Organizing in der Praxis vollzieht, wurde alternativ ein Schaubild entworfen, das die Fälle nach zwei Gesichtspunkten gliedert: Zum einen geht es unter der Bezeichnung »Anbindung an die Existenzfrage« um das Wozu, zum anderen entlang der Unterscheidung top-down oder bottom-up um eine Abbildung, wer die »Initiative« gestartet hat. Der Fokus wird also einerseits auf das (innen erzeugte) Außen gerichtet und anderseits auf die für Implementierungsfragen so wichtige Frage, ob es »von unten« oder »von oben« kommt. Mit diesem Doppelfokus lässt sich erfassen, ob und wie die Unternehmen den Einsatz von New-Organizing-Ansätzen oder -Methoden strategisch und operativ »ins Spiel bringen«. Grob lassen sich auf diese Weise vier New-Organizing-Typen unterscheiden (Abb. 2).

Einige Beispiele zur Erläuterung:

•Im Feld A finden sich Fälle, bei denen sich top-down geführte, episodische Transformationen vollziehen. Ein Unternehmen nutzt New Organizing strategisch zur Überlebenssicherung und das Topmanagement macht entsprechend konkrete Vorgaben zur Umsetzung neuer Organisationsformen. Der Fall »Radikale Transformation einer Bank« (Kap. 13) steht beispielhaft für diese Vorgehensweise.

•Im Feld B sind Fälle zu verorten, bei denen eher inkrementell, bottom-up im Sinne einer Graswurzelbewegung vorgegangen wurde und sich die dadurch entstandene Neuerung als überlebensrelevant herausgestellt hat. Das extremste Beispiel dafür bietet der Fall »Mit dem Rücken zur Wand« (Kap. 2). Hier macht sich die Belegschaft auf, ein in den Routinen der Organisation bereits verlorenes Projekt komplett neu zu konzipieren und dadurch einen Bereich in seiner Existenz zu sichern.

•Im Feld C sehen wir geführte, begrenzte Experimente, (noch) ohne unmittelbare (Not-)Wendigkeit. Im Wissen, dass es gut ist, sich regelmäßig mit Neuerungen zu beschäftigen, öffnet eine Unternehmensleitung nicht nur Freiräume zum Ausprobieren, sondern gibt auch vor, was zu testen ist. Am besten repräsentiert ist dieses Feld über den Bericht eines Mobilitätsdienstleisters mit dem Titel »Macht doch, wenn ihr wollt« (Kap. 5).

•Im Feld D finden sich Fälle, in denen Bottom-up-Initiativen eigenständig experimentieren und im Sinne von U-Boot-Projekten (noch) keine organisationale Resonanz haben. Auf Unternehmen in diesem Feld wird im Essay »Dark side of the moon« (Kap. 14) angespielt.

Die grobe Rasterung in vier Felder spannt den Raum auf, in den die Fälle einzuordnen sind. In leichter Vorwegnahme der Ergebnisse und zugleich auch zur orientierenden Rahmung der »dichten Beschreibungen« (Geertz 1987) haben wir die 13 Fallstudien (und ein Essay) in das Schaubild eingetragen (Abb. 3).

Abb. 2: Vier Formen A bis D der Einführung von New Organizing (NO)

Abb. 3: Positionierung der in den Fallbeispielen untersuchten Organisationen

Zurück zur Orientierung: Wie Abb. 3 zu entnehmen ist, hat es sich angeboten, die Achsen noch weiter zu differenzieren, um so auch die feineren Unterschiede zwischen den Unternehmen herauszuarbeiten. In der Dimension Ankopplung des NO-Vorgehens an Existenzfrage wird ein Merkmalsraum aufgespannt zwischen der expliziten Positionierung der New-Organizing-Initiativen als »Rettung« und Problemlösung für akute oder absehbare Bedrohungssituationen und lediglich einer Duldung von Experimenten, »solange sie nicht stören«.

Für die Ausdifferenzierung der Achse »Initiative für New Organizing« wurden Begriffe gewählt, die uns wörtlich in den Berichten begegnet sind: Kommen die ursprünglichen Impulse bottom-up aus der Belegschaft, benennen wir die Seite der Achse »Wir machen auch ohne euch! (U-Boot)«. Die andere Seite beschreibt eine explizite Vorgabe eines exakt beschriebenen Zielbildes oder die Umsetzung einer Blaupause – wir benennen diesen Pol der Achse »Macht es genau so!«

Abschließend noch zwei Hinweise zur Grafik:

•Die Positionierung der jeweiligen Fallstudie in der Landkarte bezieht sich auf den Zeitpunkt der Interviewphase.

•Die grauen Pfeile markieren die Position des jeweiligen Unternehmens vor der Interviewphase (Pfeilspitze im Feld) und nach dieser (Pfeilende im Feld), soweit dies ermittelt wurde. Folgende Entwicklung wird sichtbar: Im Verlauf verändern sich die Initiativen mehrheitlich hin zu einer existenzielleren Bedeutung und einer stärkeren Top-down-Steuerung – doch dazu später mehr.

Ein Reisevorschlag

Wie eingangs angekündigt, soll dieses Buch die Möglichkeit bieten, eine interessante Reise in New-Organizing-Welten zu gestalten. Hierzu haben wir eine generelle Reiseroute beginnend bei einem Automobilhersteller ausgewählt (Abb. 4). Je nach Interesse, Lust und Laune sind natürlich auch anderen Reisen möglich. Blickt man nun auf die Positionierung einzelner Berichte und die sich im Feld abbildenden Cluster auf der Karte, kann man seine Leseroute zum Beispiel auch alternativ an benachbarten Fällen orientieren, die gegensätzlichen Muster erkunden oder sich nach Branchen oder den kurz beschriebenen Kernparadoxien und ihren Bearbeitungsformen weiter bewegen.

Vorgeschlagene Reiseroute (Kapitelfolge):

1.»Gle ichzeitig agil und hierarchisch«:

Wir starten mit einem Automobilhersteller, der sich mit Interesse und Professionalität dem Neuen zuwendet und dann doch an seine Grenzen stößt.

2.»Mit dem Rücken zur Wand«:

Wir folgen einem Turbinenhersteller, in dem sich eine Abteilung als internes Start-up neu erfindet und mit agilen Methoden den Überlebenskampf im Konzernkontext aufnimmt.

3.»Agilität ist gut«:

Dann beobachten wir die Softwareentwicklung eines Finanzdienstleisters, die Agilität zur Leistungssteigerung und Abgrenzung gegenüber dem Mutterkonzern nutzt.

4.»Neue Mobilität trifft auf alte Autorität«:

Anschließend erhalten wir Einblick in eine digitale Einheit eines Automobilkonzerns, in der vor allem die Führungskräfte die Widersprüche des Alten und Neuen balancieren müssen.

5.»Macht doch, wenn ihr wollt, aber rechtssicher!«:

Hier erleben wir bei einem Logistikkonzern eine große Bandbreite an Methoden und Vorgehensweisen, die akzeptiert werden, solange sie sich im rechtlichen Rahmen bewegen.

6.»Unaufgeregte Lockerungsübungen«:

Als Nächstes werden wir Zeuge eines behutsamen Vorgehens zwischen Stabilität und Wandel in einem Verein der Dienstleistungsbranche.

7.»Stabilagil«:

In einem öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen erkennen wir ein besonders gelungenes Zusammenspiel zwischen Mitarbeiterinitiative und dienender, unterstützender Führung.

8.»Wiener Melange: Die Milch kriegst’ nicht mehr aus dem Kaffee«: Ein Konzern der Telekommunikationsbranche lehrt uns, wie Experimente in einigen Einheiten bleibende Spuren hinterlassen und nachhaltig Wandlungsfähigkeit anstoßen.

9.»PS-starke Unternehmensführung«:

Wir bekommen ein Gespür dafür, wie die besondere Form eines familiengeführten Mobilitätsdienstleistungskonzerns der Suche nach Erneuerung einen vertrauensvollen Rahmen geben kann.

Abb. 4: Vorgeschlagene Reiseroute

10.»Beweglichkeit in Stahl und Beton«:

Eine Verlagsgruppe im Umbruch gewährt uns Einblicke aus Sicht der Holding und dreier Tochterunternehmen, wie strafflockere Führung neue Geschäftsmodelle zum Leben bringt.

11.»Fremdbestimmte Selbststeuerung«:

Wir blicken hinter die Kulissen einer Tochter eines Fintec- und Versicherungsunternehmens und erleben, wie eine begeisterte und veränderungsbereite Belegschaft ein neues Organisationsmodell belebt.

12.»Speed is the name of the game!«:

Ein Schweizer Technologiekonzern unter Druck zeigt beispielhaft, was mit häufigen Konzeptwechseln in verschiedenen Einheiten ausgelöst wird.

13.»Radikale Transformation einer Bank«:

Wir tauchen tief ein in den Umbau des Geschäftsmodells hin zum Digitalunternehmen und erleben, welche typischen Phänomene die Einführung eines fixen Zielkonzepts mit sich bringt.

14.»Dark side of the moon«:

In einem Essay wird schließlich zusammengefasst, welche Potenziale verloren gehen, wenn es Organisationen nicht gelingt, Graswurzelinitiativen aufmerksam zu begleiten.

Wir wünschen nun eine gute Reise und starten wie erwähnt mit dem Automobilhersteller, der die Strategie verfolgt: gleichzeitig agil und hierarchisch.

1Gleichzeitig agil und hierarchisch – Ein Automobilkonzern führt agile Strukturen ein

Annette Gebauer, Simon Weber6

Was passiert, wenn eine Großorganisation, die jahrelang mit hierarchisch-funktionalen Bewältigungsmustern erfolgreich war, mit neuen Formen des Organisierens experimentiert? Entlang eines Fallbeispiels der Automobilbranche illustrieren wir, wie versucht wurde, hierarchische und agile Formen des Organisierens gleichzeitig zu balancieren.

Dafür haben wir die bisherigen Einführungsversuche eines Automobilherstellers untersucht: Was sind die Einführungsstrategien und -erfahrungen, wenn die Logiken des klassischen Organisierens auf die Idee des agilen Organisierens treffen? Was passiert, wenn die agile Innen-außen-Logik auf die althergebrachte Hierarchie mit ihrer Oben-unten-Logik trifft? Welche Spannungen entstehen, wie und wo werden diese Spannungen bearbeitet, und welche Herausforderungen und neuen Fragen entstehen für Führung und Organisation?

Es wurden sechs leitfadengestützte Interviews mit Führungskräften unterschiedlicher Hierarchieebenen durchgeführt. Die Interviewpartner:innen kamen aus den Bereichen HR, IT, Produktion, Entwicklung und Konzernsicherheit. Die Interviews wurden in Anlehnung an das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Mayring 2015). Es wurden übergreifende Themen und Argumentationsstränge identifiziert, denen dann Interviewzitate und Erkenntnisse zugeordnet wurden. Außerdem haben wir teilnehmende Beobachtungen herangezogen. Auf dieser Basis wurden theoriegeleitete Hypothesen über Zusammenhänge und mögliche Interpretationen formuliert, die wir in der Folge darlegen.

Für die theoriegeleitete Interpretation der Ergebnisse stützen wir uns auf zentrale Denkfiguren der neueren soziologischen Systemtheorie. Aus dieser Perspektive interessiert uns die Einheit von Problem und Lösung, also die Art und Weise, wie Probleme und Lösungen in der Organisation und gemäß der jeweiligen Systemlogik »konstruiert« und wechselseitig in Beziehung gesetzt werden:

•Was wird als Problem definiert im Hinblick auf welche Lösungen?

•Welche Muster zeigen sich bei der Einführung dieser Lösungen, und auf welchen Boden fallen diese Interventionsversuche?

•Wie werden Interventionsversuche von den existierenden organisationalen Entwicklungsmechanismen aufgegriffen und »verdaut«?

1.1Das Unternehmen in seiner Umwelt

Vom Automobilhersteller zum Mobilitätsdienstleiter

Das Unternehmen ist einer der weltweit größten Anbieter von Premium-Pkw und Nutzfahrzeugen.

Digitale Technologien und damit verbundene neue Möglichkeiten der Vernetzung, des autonomen Fahrens, des Carsharings und der Elektrifizierung stellen den Automobilhersteller vor die Möglichkeit und Herausforderung, völlig neue Geschäftsmodelle hervorzubringen, wenn das Unternehmen das Wettrennen mit neuen Mitbewerbern aus dem Software- und Technologiesektor wie Google, Uber oder Tesla nicht verlieren will.

Das bisherige Selbstverständnis, ein Automobilhersteller zu sein, ist fundamental infrage gestellt. Zukünftig werden völlig neue Lösungen in den Bereichen der netzwerkbasierten Softwareentwicklung und künstlichen Intelligenz, beim Verstehen und Ergründen von Kundenbedürfnissen sowie bei alternativen Antriebssystemen benötigt. Neben den neuen Marktbedingungen und der damit einhergehenden Notwendigkeit, das bisherige Geschäftsmodell zu hinterfragen, sorgt zusätzlich der Dieselskandal im Jahr 2018 als Brandbeschleuniger für einen Reputationsverlust der bisherigen Bewältigungsmuster. So setzt das Unternehmen zum Zeitpunkt der Untersuchung auf die Strategie, Mobilitätsdienstleister zu werden.

Kernparadoxien: Mit dem Geschäftsmodell gegen das Geschäftsmodell

All dies stellt das Unternehmen vor zwei schwierige unternehmerische Herausforderungen, die mit Widersprüchen behaftet sind und die wir aus einer systemtheoretischen Sicht als Kernparadoxien bezeichnen:

•Zum einen möchte das Unternehmen sein Geschäftsmodell radikal erneuern, um künftig und in Zeiten der Digitalisierung überleben zu können.

•Zeitgleich wird der Hauptumsatz nach wie vor mit dem alten Geschäftsmodell gemacht, also dem Herstellen und Verkaufen von hochwertigen und teilweise verbrauchsintensiven Verbrennerfahrzeugen, und sichert das gegenwärtige Überleben sowie die notwendigen Investitionen für den Umbau.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Während das Unternehmen mit seiner Marke und seiner langen Tradition bisher für höchste Qualität und ausgereifte, zuverlässige, fehlerfreie Produkte stand, müssen nun diese lang tradierten Qualitätsansprüche mit innovationsbedingten Fehlerrisiken in Einklang gebracht werden.

Neue Formen des Organisierens, die wir hier unter dem Schlagwort New Organizing zusammenfassen (vgl. Teil I), werden vor diesem Hintergrund als willkommene Lösung gesehen, um schneller auf die Marktentwicklungen reagieren zu können. Die Frage, wie gleichzeitig der Anspruch an höchste Qualität gewährleistet werden kann, spielt dabei zu Beginn eine untergeordnete Rolle.

1.2Strategie zur Einführung der neuen Formen des Organisierens

Die Beschäftigung mit neuen, agilen Arbeitsformen beginnt im Jahr 2014 mit ersten Experimenten und wird in den folgenden Jahren von verschiedenen Bereichen vorangetrieben.

Zunächst nähert man sich dem agilen Organisieren mit vereinzelten Probebohrungen, die noch unverbunden nebeneinander koexistieren. Frontrunner ist hier der IT-Bereich. 2014 wurde ein erstes Programm aufgesetzt,

»wo wir uns mit dem Thema (Anm.: Agilität) dann sehr intensiv beschäftigt haben. (…) Und wir haben gesagt: Dieses Projekt läuft anders als sonst. Wir wollen das Projekt tatsächlich nach agilen Prinzipien aufsetzen und einfach auch mal versuchen, anders zu arbeiten.« (Int 1)

Die ersten Graswurzelbewegungen bekommen wenig später Unterstützung von der Spitze der Organisation. Getrieben von den neuen Marktentwicklungen unternimmt der Vorstand 2015 – ebenso wie viele andere Vorstandsteams großer Unternehmen – eine Lernreise durch das Silicon Valley. Man möchte sich mit den Trends der Digitalisierung auseinandersetzen. Die Männerrunde kommt begeistert zurück. Im Nachhinein erscheint dies als der Kipppunkt, so erinnert sich ein IT-Leiter:

»Sie haben dort eine ganze Woche Start-ups besucht. Wie arbeiten eigentlich kleine, schnelle, wendige, erfolgreiche Firmen? Und wie sind sie in der Lage, auch auf Neues, neue Rahmenbedingungen und neue Trends, zu reagieren? Sie kamen mit völlig neuen Erkenntnissen wieder zurück.« (Int 1)

Der Vorstand gibt daraufhin grünes Licht für den Ausbau des projektförmigen, agilen Arbeitens. Fast ein Viertel der Belegschaft soll künftig agil in selbst gesteuerten Teams arbeiten, um zukunftsträchtige Ideen und Geschäftsmodelle auszuarbeiten. Zudem fällt die Entscheidung für eine neue Führungsstrategie, die ebenfalls durch agile Teams selbstorganisiert ausgearbeitet und vorangetrieben werden soll. Die Führungsstrategie wird begleitet durch eine umfassende Marketingkampagne. Diese soll für die neue Richtung und die neuen Arbeitsweisen werben.