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Lilly Lucas

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Beschreibung

Heimlich verliebt in den besten Freund  Der Spiegel-Bestseller »New Promises«, zweiter Liebesroman innerhalb der romantischen Green-Valley-Love-Reihe von Lilly Lucas, erzählt die mitreißende Geschichte der beiden besten Freunde Izzy und Will. Was tun, wenn man auf einmal entdeckt, dass man seine große Liebe schon fast ein ganzes Leben lang kennt? Und was, wenn da aber auf einmal noch jemand anderes ist: ein anderer Kerl, der auch irgendwie verdammt anziehend wirkt? Izzy, die als Snowboard-Lehrerin in der Kleinstadt Green Valley in den Rocky Mountains arbeitet, hat sich damit abgefunden, dass sie für Will nie mehr sein wird als seine beste Freundin. Denn Will, beliebter Sheriff und Draufgänger, wird einfach niemals kapieren, was mit ihr los ist. Daran ändert auch dieser eine romantische Kuss an Silvester nichts. Eines Tages taucht Netflix-Star Cole Jacobs in Green Valley auf und bittet Izzy, ihm für eine Filmrolle das Ski-Fahren beizubringen. Je mehr Zeit Izzy mit ihm verbringt, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Und je näher sich Izzy und Cole kommen, desto mehr wird Will bewusst, dass die Gefühle für seine beste Freundin tiefer gehen, als er sich bisher eingestehen wollte. Doch was soll er nun tun? Mit "Liebe und so einem Kram" kennt er sich doch gar nicht so gut aus. Und was will Izzys Herz? Die Green-Valley-Reihe Die New-Adult-Liebesromane der Green-Valley-Reihe sind in folgender Reihenfolge erschienen – sie sind aber auch unabhängig voneinander lesbar: -  New Beginnings (Lena & Ryan) -  New Promises (Izzy & Will) -  New Dreams (Elara & Noah) -  New Horizons (Annie & Cole) -  New Chances (Leonie & Sam) -  Find me in Green Valley (Kurzroman; Sarah & Grayson) -  New Wishes (Rebecca & Leo)

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Seitenzahl: 329

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Lilly Lucas

New Promises

Roman

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Izzy, die als Snowboard-Lehrerin in der Kleinstadt Green Valley in den Rocky Mountains arbeitet, hat sich damit abgefunden, dass sie für Will nie mehr sein wird als seine beste Freundin. Denn Will, beliebter Sheriff und Draufgänger, wird einfach niemals kapieren, was mit ihr los ist. Daran ändert auch dieser eine romantische Kuss an Silvester nichts. Eines Tages taucht Netflix-Star Cole Jacobs in Green Valley auf und bittet Izzy, ihm für eine Filmrolle das Ski-Fahren beizubringen. Je mehr Zeit Izzy mit ihm verbringt, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Und je näher sich Izzy und Cole kommen, desto mehr wird Will bewusst, dass die Gefühle für seine beste Freundin tiefer gehen, als er sich bisher eingestehen wollte. Doch was soll er nun tun? Mit »Liebe und so einem Kram« kennt er sich doch gar nicht so gut aus. Und was will Izzys Herz?

Inhaltsübersicht

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Danksagung

 

 

Für Angela, Mila und Kristina

1.

Blauer Himmel, strahlender Sonnenschein und glitzernder Pulverschnee – daran denken die meisten, wenn sie hören, dass ich Snowboardlehrerin bin. An bockige Kinder mit Rotznase … eher weniger.

»Ich will nicht mehr!«, murrte Liam zum wiederholten Mal und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

»Du hast es doch gleich geschafft. Da unten ist schon die Talstation, siehst du?«

Seine Augen folgten meinem Zeigefinger, der in einem dicken Handschuh steckte. Missmutig blickte der Kleine auf das flache Pistenstück, das uns vom Tal trennte – und mich von meinem Feierabend, den ich mir wirklich hart erarbeitet hatte. Es würde Ryan mindestens eine Runde Burger kosten, dass ich für ihn eingesprungen war und seinen Neffen Liam einen Nachmittag lang erfolgreich davon abgehalten hatte, aus Skiliften zu fallen, sich Abhänge hinabzustürzen und in Absperrzäune zu rasen. Ganz davon abgesehen, dass ich mein geliebtes Snowboard gegen Ski getauscht hatte.

»Ich bin müde. Und mir ist kalt«, quengelte der Kleine und machte keine Anstalten aufzustehen.

»Das wird nicht besser, wenn du hier festfrierst.« Ich streckte ihm beide Hände entgegen und schenkte ihm einen aufmunternden Blick. »Komm schon, Liam! Hoch mit dir!« Nach kurzem Zögern ließ er sich von mir auf die Ski ziehen, die mit einer Armee kleiner Minions bedruckt waren.

»Du fährst mir jetzt einfach nach, okay? Schön langsam.«

»Dann siehst du doch nicht, wenn ich hinfalle«, kam es alarmiert aus seinem Mund.

»Du wirst nicht hinfallen.«

Doch, würde er. Mindestens dreimal. Den Nachmittag über hatte er quasi nichts anderes gemacht, weshalb er von oben bis unten voller Schnee war. Dass sein Skianzug eigentlich blau war, erkannte man nur noch mit viel Fantasie, und mit seinem weißen Helm sah er inzwischen aus wie ein Miniastronaut.

»Na gut, dann fährst du vor«, revidierte ich meine Entscheidung.

Mit einer Spur Belustigung im Gesicht beobachtete ich, wie seine kleinen Hände erst Skibrille und Helm gerade rückten, bevor sie in die Schlaufen seiner Stöcke schlüpften, mit denen er sich eine Stunde zuvor fast aufgespießt hätte.

»Kann’s losgehen?«, fragte ich mit einem aufbauenden Zwinkern.

Liam nickte und begann, im Schneepflug talabwärts zu rutschen – in einem Tempo, mit dem wir vielleicht noch vor Mitternacht den Parkplatz erreichen würden. Seufzend ließ ich den Blick über die menschenleere Piste schweifen. Die Lifte hatten erst vor einer Woche geöffnet, und der Andrang hielt sich noch in Grenzen. In ein paar Wochen würde sich das rasant ändern. Aber noch gehörte der glitzernde Schnee Liam und mir. Und einem Paar, das mitten auf der Piste für Selfies posierte, stellte ich stirnrunzelnd fest. Konnten sich die beiden nicht wenigstens etwas abseits stellen? Und trug die Frau ernsthaft einen weißen Skianzug? Unpraktisch, urteilte die Snowboardlehrerin in mir. Meine Augen wanderten weiter zu dem Mann neben ihr, der nun zu telefonieren begann. Ich stieß ein Schnauben aus. Konnten die Leute ihr Handy denn nicht mal beim Skifahren in der Hosentasche lassen? Plötzlich hallte ein Schrei über die Piste. Liam! Hektisch suchten meine Augen den Hang nach ihm ab. Und da war er. Wie ein Pfeil schoss er hinunter, direkt auf die beiden Skifahrer zu.

»Fuck!«, fluchte ich, rammte meine Stöcke in den Schnee und stieß mich ab. »Bremsen!«, schrie ich gegen den Wind an, der meine Augen tränen ließ. In der Eile hatte ich vergessen, meine Brille wieder aufzuziehen. »Du musst bremsen, Liam!«

Zu meinem Entsetzen kam er den beiden immer näher. Verdammt, warum hatte ich ihn aus den Augen gelassen?

»Brem-sen!«, brüllte ich wie eine Verrückte und beschleunigte. Er hörte es nicht. Dafür wurden die beiden Skifahrer endlich auf uns aufmerksam. Im Nu mischte sich ein panisches Kreischen unter Liams Schreie. Dann schien sich alles in Zeitlupe abzuspielen. Im allerletzten Moment holte ich den Knirps ein, nahm ihn zwischen meine Beine und fuhr eine scharfe Linkskurve, bei der ich kurz ins Taumeln geriet, mich aber rechtzeitig wieder fing – im Gegensatz zu der Frau im weißen Skianzug, die eine ordentliche Ladung Schneestaub abbekam und unelegant auf ihren Hintern plumpste.

»Alles okay, Kleiner?«, fragte ich atemlos. Liam nickte, aber ich ahnte, dass er unter seinem Helm kreidebleich war und dass sein kleines Herz vermutlich genauso raste wie meins. »Nichts passiert«, flüsterte ich beruhigend und tätschelte seinen Arm. »Nichts passiert.«

»Nichts passiert!?«, vernahm ich eine schnippische Frauenstimme hinter uns. »Ihr Sohn hat uns fast umgefahren!«

Ungläubig schnellte ich herum. Nicht, dass ich Applaus für meine kleine Stunteinlage erwartet hätte, aber Erleichterung darüber, dass sich niemand verletzt hatte, wäre schon nett gewesen. Stattdessen schenkte sie mir einen Blick, der Thermalquellen hätte gefrieren lassen können, und klopfte sich den Schnee von ihrem figurbetonten weißen Einteiler, in dem jede andere Frau vermutlich fünf Kilo schwerer ausgesehen hätte, sie jedoch wie ein zarter, zerbrechlicher Engel wirkte.

»Ich bin nicht ihr Sohn!«, sagte Liam mit kindlicher Entrüstung.

Dabei war es nicht unbedingt abwegig, dass sie mich für seine Mum hielt. Ich war zwar erst zweiundzwanzig, aber mein Helm und der Schal sorgten dafür, dass ein Großteil meines Gesichts verdeckt war. Ich hätte auch nicht sicher sagen können, wie alt sie war. Nur, dass ich sie unsympathisch fand.

»Ich bin seine Skilehrerin«, erklärte ich und deutete auf das Logo auf meinem roten Anzug. Vail Ski & Snowboard School.

»Vielleicht sollten Sie dann einfach Ihren Job machen und ihm Skifahren beibringen? Dann gefährdet er auch nicht …«

»Wowowo«, mischte sich nun der Typ an ihrer Seite ein, der die Diskussion bisher stumm verfolgt hatte. »Vielleicht sollten wir uns alle erst mal wieder beruhigen.«

Er schob sich die Skibrille aus dem Gesicht, und für einen Augenblick war ich sprachlos. Nicht weil er so gut aussah – das tat er –, sondern weil seine Augen einen Blauton hatten, den ich noch nie gesehen hatte. Gletscherblau. Wie diese Eisbonbons, die ich so gerne aß. Ein, zwei Sekunden lang war ich fasziniert. Dann kehrte die Wut mit doppelter Wucht zurück.

»Vielleicht sollten Sie Ihre blöden Selfies in Zukunft nicht mitten auf der Piste machen«, fuhr ich die beiden an.

Er lachte ungläubig und machte eine vage Handbewegung nach rechts.

»Diese Piste ist so breit wie Kalifornien!«

»Kalifornien ist nicht breit.«

Drei Augenpaare richteten sich auf Liam.

»Kalifornien ist tausendzweihundert Kilometer lang, aber nur vierhundert Kilometer breit«, erklärte er in einem fast altklugen Tonfall. »Das haben wir letzte Woche bei Miss Johnson gelernt.«

Einen Moment lang war es unnatürlich still. Dann klingelte ein Handy.

»Das ist L.A.«, sagte die Frau im weißen Anzug und sah ihren Freund Schrägstrich Mann mit bedeutungsschwerer Miene an.

»L.A. liegt auch in Kalifornien«, bemerkte Liam.

Meine Mundwinkel zuckten. Mit einem unmissverständlichen Blick gab die Frau mir zu verstehen, dass unser Gespräch an dieser Stelle zu Ende war. Ich verdrehte die Augen, wandte mich Liam zu und deutete in Richtung Tal.

»Diesmal fährst du hinter mir her, okay?«

Er nickte einsichtig.

»Los geht’s, kleiner Mann!«

Ich schob mir die Brille ins Gesicht und schlüpfte in die Schlaufen meiner Skistöcke. Mit einem Burger würde ich Ryan definitiv nicht davonkommen lassen.

2.

Ich meine, die hat sie doch nicht mehr alle!« Nach Bestätigung suchend, sah ich Ryan und Will an. »Und dann«, ich stieß ein ungläubiges Lachen aus, »sagt sie auch noch …«

»Ihr glaubt nicht, wer heute bei uns eingecheckt hat!«, unterbrach Lena, die in diesem Moment ins Olly’s gestürmt kam und eine Spur Schneematsch hinter sich herzog, meinen Redeschwall. Dicke Flocken hatten sich auf ihrer Mütze niedergelassen, und ihre Wangen waren vor Kälte gerötet, womöglich auch vor Aufregung. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht zog sie sich einen Stuhl heran und gab ihrem Freund Ryan einen überschwänglichen Kuss. »Cole! Jacobs!«

»Aquillus!?«, platzte es aus ihm heraus.

Lena nickte, und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung.

»Deine Mum ist total aufgedreht, Will. Er hat für drei Wochen die Residential Suite im Sebastian gebucht.«

»Was macht Cole Jacobs in Vail?«, fragte Ryan verblüfft.

»Vielleicht drehen sie hier die neue Staffel«, überlegte Will und grinste triumphierend. »Dann wüssten wir vor allen anderen, ob Aquillus wirklich tot ist.«

»Er darf einfach nicht tot sein«, seufzte Lena. »Ohne Cole Jacobs …«

»Äh, Leute«, unterbrach ich meine Freunde und machte mit einer kurzen Handbewegung auf mich aufmerksam. »Könnte mir mal jemand erklären, wer zur Hölle Cole Jacobs ist?«

Ungläubig sahen sie mich an. In etwa so, als hätte ich gerade zugegeben, Trump gewählt zu haben.

»Fluch des Pantheon?!«, erwiderten Ryan und Will gleichzeitig.

»Ist das diese Serie auf Netflix?«

Sie nickten emsig.

»Ach so. Die kenn ich nicht.«

Ich befasste mich wieder mit den Süßkartoffelpommes auf meinem Teller. Zumindest hatte ich das vor.

»Du hast Fluch des Pantheon nicht gesehen?«, kam es fast anklagend aus Ryans Mund. »Das ist noch besser als Game of Thrones.«

Eigentlich wussten meine Freunde, dass ich einen großen Bogen um Fantasy machte und zu dem einen Prozent Weltbevölkerung zählte, das noch nie eine Folge Game of Thrones gesehen hatte. Vielleicht straften sie mich deshalb erst einmal mit Nichtachtung und diskutierten gefühlt eine Stunde lang über Aquillus’ Anrecht auf den Thron, die verbotene Beziehung zu seiner Halbschwester Aquilla und seinen vermeintlichen Tod am Ende der ersten Staffel.

»Er heißt Aquillus und seine Schwester Aquilla? Sehr einfallsreich«, bemerkte ich kauend.

»Sie stammen eben beide von Aquillian ab«, erwiderte Will. »Herrscher über Aquirania und die sieben …«

»Aquarien?«, warf ich grinsend ein und erntete humorlose Blicke.

»Du solltest dir die Serie wirklich mal ansehen, Izzy. Allein schon wegen Cole Jacobs.« Lena machte ein verträumtes Gesicht. »Diese Muskeln! Und diese Augen!«

»Das sind doch Kontaktlinsen«, warf Kira ein, die seit Kurzem in der Sportsbar meines Bruders Oliver kellnerte und Lena eine Cola light an den Tisch brachte. »Niemand hat so blaue Augen.«

Doch, dachte ich spontan, während ein Gesicht mit schwarzem Helm vor meinem inneren Auge erschien.

»Wie lief es heute eigentlich mit Liam?«, fragte Lena, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Fällt er immer noch alle zwei Meter hin?«

»Frag nicht«, brummte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Ich wollte meine Story gerade ein zweites Mal zum Besten geben, als die Tür aufschwang und ein Schwall eisiger Luft ins Olly’s drang. Eine blonde Frau trat hindurch, blickte sich kurz um und schritt zielstrebig auf den Tresen zu. Mit ihrem taillierten roten Wintermantel, der engen schwarzen Lederhose und den Zehn-Zentimeter-Absätzen war sie eher für Manhattan gekleidet als für Green Valley, Colorado. Außerdem war sie unnatürlich braun für diese Jahreszeit.

»Hoppla«, sagte Will und schob einen Pfiff hinterher.

Ich verdrehte die Augen und ignorierte den kleinen Stich ins Herz, auch wenn ich längst daran gewöhnt war, dass Will Albrights Hormone bei nahezu jedem weiblichen Wesen außer mir in Wallung gerieten. Als würde auf meiner Stirn dick und fett gefriendzoned prangen. Sein Lächeln wurde breiter, als die Absätze über den alten Eichenboden klackerten, direkt auf uns zu. Sie war vielleicht Anfang dreißig und hatte ein klassisch schönes Gesicht. Gerade Nase, hohe Wangenknochen, perfekte Haut. Mit ihrem platinblonden Long Bob erinnerte sie mich einen Moment lang an Jennifer Lawrence in diesem Raumschiff-Film. Suchend sah sie in die Runde, bis sich ihr erdbeerroter Mund öffnete und ihr Blick auf mir kleben blieb.

»Isobel Walsh?«

Ich hob die Brauen und murmelte ein etwas irritiertes »Ja?«. Seit ich klein war, hieß ich bei jedem Izzy. Nicht einmal meine Eltern nannten mich Isobel.

»Marissa Townsend. Wir sind uns heute Nachmittag begegnet.«

Heute Nachmittag? Verständnislos sah ich sie an.

»Auf der Skipiste«, half sie meinem Gedächtnis auf die Sprünge. »Wir hatten einen kleinen … Zusammenstoß.«

Plötzlich machte es klick. Die Frau im weißen Skianzug!

»Sie und Ihr Freund haben Selfies gemacht«, erinnerte ich mich. »Und die Piste blockiert«, ergänzte ich schroff.

»Er ist nicht mein Freund«, erwiderte sie fast amüsiert. Eher so etwas wie … mein Chef.«

Ihr Chef? So hatte der Typ gar nicht gewirkt.

»Er würde Sie gerne engagieren«, fuhr sie unbeirrt fort und ließ durchblicken, was sie von dieser Idee hielt – nämlich gar nichts. »Als seine persönliche Skilehrerin. Er dachte da an etwa drei Wochen. Die Bezahlung …«

Ein ungläubiges Lachen drang aus meinem Mund und brachte sie zum Verstummen.

»Nein.«

»Nein?!« In ihren Augen blitzte Irritation auf. »Sie wissen schon, wer …«

»Erstens bin ich nicht Ski-, sondern Snowboardlehrerin«, unterbrach ich sie. »Das heute war nur eine Ausnahme für seinen Neffen.« Mein Daumen verwies auf Ryan. »Und zweitens arbeite ich für die Ski- und Snowboardschule Vail und kann nicht einfach Privatstunden geben.« Ich kniff die Augen zusammen. »Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«

»Ich habe mich in der Skischule nach Ihnen erkundigt. War nicht schwer.« Sie deutete auf meine fast hüftlangen blonden Dreadlocks, die ich an diesem Abend lose zusammengebunden hatte. »Man sagte mir, Ihr Bruder hätte hier eine … Bar.«

Aus ihrem Mund klang es wie Ebola. Kurz schweiften ihre Augen durch die gut gefüllte Sportsbar und blieben schließlich an Olly kleben, der mit seinem rötlichen Haar und dem kleinen Bauchansatz so gar keine Ähnlichkeit mit mir hatte. Im Gegensatz zu mir war mein Bruder ein absoluter Sportmuffel, was ihn fast zu einem Exoten in Green Valley machte. Hier, inmitten der Rocky Mountains, lebte man für alles, was in der Natur stattfand. In den kalten Monaten verbrachten wir unsere Wochenenden auf der Piste, im Sommer gingen wir wandern, mountainbiken, klettern oder Kanu fahren. Die Menschen hier wuchsen mit einer tiefen Naturverbundenheit auf, die einen – zumindest glaubte ich das – immer dazu brachte, an diesen Ort im Nirgendwo zurückzukehren. Sogar Ryan lebte inzwischen wieder in Green Valley. Er, Will und ich waren beste Freunde seit Sandkastenzeiten. Nahezu jede freie Minute hatten wir auf den Skipisten der Region verbracht. Ryan hatte es sogar bis ins US-Team geschafft und mehrere Weltcuprennen gewonnen, bis ihn ein schrecklicher Unfall im letzten Jahr dazu gezwungen hatte, seine Karriere zu beenden. Inzwischen gab er seine Erfahrungen als Trainer an den Ski-Nachwuchs weiter. Und Will und ich freuten uns, ihn wieder bei uns zu haben.

»Hören Sie, Miss … Walsh«, begann Marissa Townsend mit einer Spur Herablassung in der Stimme. »Vielleicht sollten Sie sich das Angebot noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Die Bezahlung wäre mehr als angemessen und …«

»Nein«, erwiderte ich unbeeindruckt und geriet sofort wieder in Rage, als ich an das rücksichtslose Verhalten der beiden dachte. »Richten Sie Ihrem … Chef aus, dass er sich jemand anderen suchen soll. Es gibt hier genügend gute Skilehrer.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Japp.«

Sie bedachte mich mit einem weiteren abschätzigen Blick, bevor sie sich verabschiedete und auf klackernden Absätzen zur Tür eilte.

»Musstest du so biestig sein?«, sagte Will und sah ihr nach.

»Ich hab dir doch vorhin erzählt, wie sie sich aufgeführt hat.«

»Na ja, ganz im Unrecht war sie nicht, oder? Ich meine, Liam wäre ja wirklich fast in sie hineingefahren.«

Ungläubig starrte ich ihn an.

»Dann geh ihr doch nach und entschuldige dich für mich. Weit kann sie noch nicht sein in diesen Schuhen.«

In den letzten Stunden waren erneut dicke Schneeflocken vom Himmel gefallen und hatten nicht nur die Straßen, sondern auch den Parkplatz des Olly’s vollkommen zugeschneit. Es war schon jetzt ein schneereicher Winter für Colorado.

»Nicht dein Ernst«, brummte ich, als Will vom Tisch aufsprang und schnellen Schrittes zur Tür eilte. »Polier noch dein Sternchen!«, rief ich ihm spöttisch nach, aber er hörte es nicht mehr.

Nachdem unser alter Sheriff an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte Will, als sein einziger Deputy, den Job übernommen. Mit 24 war er sehr jung für den Posten, aber andere Bewerbungen hatte es nicht gegeben. Die wenigsten Polizisten wollten hier in den Rockies arbeiten, wo die größten Straftaten umgeschubste Kühe und die größten Straftäter diebische Schwarzbären waren. Für Will Albright hingegen war es der perfekte Job. Er ermöglichte es ihm, viel Zeit auf der Piste zu verbringen – und sämtlichen Skihasen der Region nachzujagen. Manchmal glaubte ich, dass ich die einzige Frau in den Rocky Mountains war, mit der er noch nicht geschlafen hatte. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass die Frauen in seinem Leben kamen und gingen, während unsere Freundschaft für immer blieb.

3.

Oh, mein Gott, bist du das?«, quietschte Lena, als wir am nächsten Morgen in meinem künftigen Schlafzimmer knieten und Umzugskartons auspackten. Der Raum war noch so leer, dass ihre Stimme widerhallte. Sie hielt mir ein Foto unter die Nase, das mich im Alter von acht oder neun Jahren mit geflochtenen Zöpfen zeigte. »Wie süß!«

»Na ja, ich bin nicht mit denen auf die Welt gekommen«, erwiderte ich grinsend und zog an meinen Dreads.

Sie hielt mir ein weiteres Foto hin.

»Ist das dein Ex-Freund? Dieser … Kyle?«

»Das ist Shaun White«, kam es leicht entrüstet aus meinem Mund. »Der größte Snowboarder aller Zeiten?«, fügte ich hinzu, als ich die Ratlosigkeit in ihren Augen bemerkte.

Lena zuckte mit den Schultern, und ich schüttelte den Kopf. Auch nach über einem Jahr in den Rocky Mountains war sie ein hoffnungsloser Fall, wenn es um Wintersport ging. Und das, obwohl sie mit Ryan zusammenlebte, und der war immerhin lange Zeit das Nachwuchstalent des US-Skiverbands gewesen. Aber bevor sie als Au-pair zu den Coopers, Ryans Bruder und seiner Frau Amy, gekommen war, hatte Lena Berge und Skipisten nur aus dem Fernsehen gekannt.

»Und warum hast du ein gemeinsames Foto mit dem«, sie machte Anführungszeichen in die Luft, »größten Snowboarder aller Zeiten?«

»Ich habe ihn vor ein paar Jahren in Österreich getroffen. Auf einem Snowboardevent.«

»Ach ja, das hast du mir erzählt, als wir uns kennengelernt haben«, erinnerte Lena sich lächelnd.

»Ja«, murmelte ich nachdenklich.

Was alles passiert war seitdem. Lena hatte sich in Ryan verliebt und mit ihm das Bed & Breakfast der Coopers renoviert, das sich inzwischen wieder großer Beliebtheit erfreute. Weil ihr die Arbeit im Golden Leaf so viel Spaß gemacht hatte, war sie auf die Idee gekommen, ein Praktikum im Hotel von Wills Mum zu machen. Und dann gab es noch Will und diesen Kuss, der mich seit Silvester verfolgte. Ein spontaner Kuss um Mitternacht, mit dem ich ihn vollkommen überrumpelt hatte und über den wir seitdem nie wieder gesprochen hatten. Den ich immer noch auf meinen Lippen fühlte, wenn ich die Augen schloss.

»Und lief da was mit diesem Shane?«, holte mich Lena zurück ins Jetzt.

»Shaun! Quatsch, der ist über dreißig. Und außerdem ein … Star.«

»Soll vorkommen, dass sich Stars in Normalsterbliche verlieben.«

»Ja, in Liebesromanen und Hollywoodfilmen.«

»Hey, Mädels, vielleicht könntet ihr mal mit anpacken, statt«, Will beugte sich über Lenas Schulter, »Shaun White anzuschmachten. Da unten warten noch mindestens zehn Kartons, und das Bett hier muss auch noch aufgebaut werden.«

»Aye, aye, Sir«, erwiderte Lena, während Will wieder durch die Tür verschwand. »Ich hoffe, dir ist bewusst, dass du ab jetzt direkt neben diesem Sklaventreiber wohnst.«

»Das hab ich gehört«, hallte es vom Flur zu uns.

Lena lachte. Ich wusste, dass sie meine Entscheidung, ins selbe Haus wie Will zu ziehen, kritisch sah, und ich hatte ebenfalls lange darüber nachgedacht. Aber die Wohnung war ein absoluter Traum. Groß, hell und frisch renoviert. Und das Beste: Ich musste keinen Cent Miete bezahlen, denn das Haus gehörte Wills Eltern, die mich wie eine Tochter behandelten. Die Albrights waren sehr wohlhabend, besaßen mehrere Immobilien in der Region, eine Pferderanch außerhalb von Green Valley und eine Wochenendhütte im noblen Skigebiet Beaver Creek. Trotzdem waren Elias und Allison im Herzen bodenständige Menschen. Wills Vater verbrachte den halben Tag damit, Zäune zu reparieren und Boxen auszumisten, während seine Frau als Direktorin eines Ski-Resorts in Vail alle Hände voll zu tun hatte.

»Der Sklaventreiber ist mein bester Freund.«

»In den du verliebt bist, Izzy.« Bedeutungsschwer sah sie mich an.

»Das bin ich auch, wenn ich nicht neben ihm wohne«, erwiderte ich zähneknirschend.

»Dann siehst du aber wenigstens nicht jede Frau, die morgens durch diese Tür kommt.«

Und es würden viele Frauen durch diese Tür kommen, da machte ich mir nichts vor. Fortan würde ich jedes verdammte Date mitbekommen, ich würde im Kassenhäuschen sitzen und dabei zusehen, wie andere Disneyland betraten. »Vielleicht ist das ja eine gute Therapie.«

Lenas Blick verriet, dass sie meiner Aussage so viel Glauben schenkte wie der Geschichte vom Osterhasen.

Der restliche Tag verging wie im Flug. Wir schleppten Kisten in die Wohnung, bauten Möbel auf und schlossen Lampen, Router und Fernseher an. Meine Mum versorgte uns mit Brownies und erwähnte mindestens dreimal, wie sehr sie darunter litt, dass nun auch ihr jüngstes Kind das Haus verlassen hatte. Ihr Anflug von Mutterblues überraschte mich nicht. Meine Mum war nun mal der lebende Beweis, dass es die Kekse backende amerikanische Hausfrau nicht nur im Fernsehen gab. Sie ging schon immer in ihrer Rolle als fürsorgliche Mutter auf, führte mit Begeisterung ihren Haushalt und engagierte sich in der Kirchengemeinde und der Highschool, in der mein Dad als Lehrer arbeitete. Jeder in Green Valley liebte Karen Walsh, jeder schwärmte von ihren Koch- und Backkünsten, ihren selbst genähten Patchworkdecken. Und jeder, ich glaube, sogar mein Dad, schmunzelte gelegentlich über die Tatsache, dass die Kinder dieser Perfektion von Frau ein Barbesitzer und eine Snowboardlehrerin mit Dreadlocks waren.

 

Als kleines Dankeschön lud ich meine Umzugshelfer abends zum Burgeressen ins Olly’s ein. Die Bar war freitags immer proppenvoll, weil neben Einheimischen inzwischen auch viele Touristen aus Vail und Breckenridge kamen. Die Preise bei uns waren etwas humaner als in den exklusiven Skigebieten, und es gab eine beachtliche Auswahl regionaler Biersorten und frisch zubereiteter Burger und Hotdogs.

»Wie sieht es eigentlich mit einer Einweihungsparty aus?«, fragte Ryan, an mich gewandt.

»Wir haben doch auch keine gemacht«, bemerkte Lena.

»Wir haben ja auch niemanden gezwungen, einen fünftürigen Kleiderschrank aufzubauen.«

»Viertürig«, korrigierte ich.

Ryan zuckte mit den Schultern und versteckte ein Gähnen hinter seiner Hand. »Ich hab irgendwann aufgehört zu zählen.«

Wir waren alle erschöpft und lungerten mit hängenden Schultern und schmerzenden Beinen in unseren Stühlen, während um uns herum gelacht und geplaudert wurde, Billardkugeln gegeneinanderprallten und ein Eishockeyspiel über die Bildschirme flimmerte.

»Ich kläre das erst mal mit meinem neuen Nachbarn, okay?« Grinsend schielte ich zu Will. Einen Moment lang dachte ich, er hätte meine Anspielung nicht verstanden, weil sich ein merkwürdiger Ausdruck auf seinem Gesicht breitmachte.

»Oh, mein Gott«, flüsterte Lena im gleichen Moment und riss die Augen auf.

Verwirrt folgte ich ihrem Zeigefinger. Soeben hatte ein junger Typ das Olly’s betreten und sah sich suchend nach allen Seiten um. Er trug abgewetzte Jeans, einen verwaschenen Hoodie und eine graue Wollmütze und wirkte trotzdem vollkommen overdressed.

»Er spricht mit Olly«, plapperte sie aufgeregt und kickte mich in die Seite. »Cole Jacobs spricht mit deinem Bruder.«

»Das da ist Cole Jacobs?«, fragte ich und hob die Brauen, während um uns herum Gemurmel einsetzte. Und es wurde noch stärker, als jener Cole Jacobs direkt auf uns zusteuerte.

»Er setzt sich hinter uns!« Aufgeregt fixierte Lena den letzten freien Tisch in der Bar.

Zu ihrer grenzenlosen Überraschung blieb er jedoch direkt vor unserem Tisch stehen. Und als wäre das Ganze ein lächerliches Déjà-vu, richtete er seinen Blick … auf mich.

»Hey«, sagte er und hob lässig die Hand.

Verwirrt blickte ich in seine blauen Augen. Eisblau. Himmelblau. Gletscherblau. Abartig blau. Plötzlich fielen alle Puzzleteile an ihren Platz. Das war nicht nur Cole Jacobs. Das war der Typ von der Piste. Sorry, aber diese Piste ist breiter als Kalifornien. Hahaha …

»Marissa hat mir ausgerichtet, dass du nicht für mich arbeiten willst.« Neben mir vernahm ich ein Fiepsen, das nur von Lena kommen konnte. »Also wollte ich selbst noch mal mein Glück versuchen.«

Er grinste und entblößte eine Reihe perfekter Filmstarzähne, die einen, zumindest für meinen Geschmack, zu harten Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildeten. Entweder verbrachte dieser Typ viel Zeit in der Sonne oder unter dem Solarium.

»Warum?«, erwiderte ich verwirrt.

»Ich hab schönere Augen als Marissa. Manchmal bringt das was.«

Lena gluckste, und ich verpasste ihr unter dem Tisch einen Tritt gegen ihr Schienbein.

»Nein, warum willst du unbedingt mich?«, stellte ich klar.

»Du hast ziemlich coole Moves drauf. Die Aktion mit dem kleinen Jungen heute …« Er blies beeindruckt die Backen auf. »Das war fast schon eine Stunteinlage. Genauso jemanden brauche ich für meine Vorbereitung.«

Ich runzelte die Stirn.

»Deine Vorbereitung?«

»Meine neue Rolle. Ich spiele einen Skifahrer. Aber ich stand schon eine ganze Weile nicht mehr auf Skiern und könnte eine kleine Auffrischung gebrauchen. Also dachte ich, ich mache ein paar Wochen Urlaub in den Bergen und nutze die Zeit, um mich auf die Dreharbeiten vorzubereiten.«

Er sagte es mit der Beiläufigkeit, mit der andere über das Wetter sprachen oder ein Glas Wasser zum Espresso bestellten.

»Gibt es für so was nicht Doubles. Oder … Stuntmen?«, fragte Ryan, der als Erster seine Sprache wiedergefunden hatte.

»Doch, aber die sind für die schwierigen Parts zuständig. Wenn ich zum Beispiel eine Lawine auslöse und um mein Leben fahre oder«, er machte ein übertrieben ernstes Gesicht, »aus einer brennenden Gondel springen muss und vier Meter in die Tiefe stürze.«

Dass er sich selbst auf die Schippe nahm, machte ihn irgendwie sympathisch. Vielleicht hatte ich doch ein wenig vorschnell geurteilt. Trotzdem änderte es nichts an der Tatsache, dass ich das Angebot ablehnen musste.

»Wie gesagt, ich kann leider nicht.«

Wieder ein Fiepsen direkt neben mir. Und wo kam dieses »leider« plötzlich her?

»Warum nicht?«

Ich schluckte ein entnervtes Seufzen hinunter. Okay, dann eben noch mal: »Weil ich bei der Ski- und Snowboardschule Vail angestellt bin. Ich habe feste Kurse und kann nicht einfach Privatstunden geben.«

Ich griff nach meiner Cola und nahm einen Schluck, obwohl ich nicht den geringsten Durst verspürte.

»Das hab ich alles schon geklärt. Dein Chef ist einverstanden. Ich soll dir liebe Grüße von«, er dachte kurz nach und grinste wieder, »Bill sagen.«

»Was?!«

Fassungslos starrte ich ihn an. Das konnte nur ein schlechter Scherz sein.

»Er stellt dich für drei Wochen frei. Wenn es nötig sein sollte, auch länger.«

»Einfach so? Ohne mich zu fragen?«

»Na ja, einfach so hat mich eine Stange Geld gekostet, aber«, er kratzte sich am Hinterkopf und zog die Nase kraus, »ja, doch, ohne dich zu fragen.« Wieder dieses Grinsen. »Ist wahrscheinlich davon ausgegangen, dass du kein Problem damit hast, mit«, er deutete auf sich, »Cole Jacobs zu arbeiten.«

Ich verdrehte die Augen und verkniff mir die Frage, warum er sich nicht gleich noch auf die Brust trommelte.

»Hab ich aber«, stellte ich klar und war kurz davor, mein Handy aus der Tasche zu ziehen und Bill Warrens aus seinem verdammten Bett zu klingeln. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Er konnte mich nicht einfach wie einen Leihwagen an diesen Serienfuzzi vermieten.

»Hey, Mann, würdest du mir vielleicht einen Bierdeckel signieren?« Hinter Cole tauchte das bärtige Gesicht meines Bruders auf. »Wenn schon mal ein Hollywoodstar hier vorbeischaut.« Olly lächelte verschüchtert, und ich sah meinen Bruder voller Unglauben an.

»Klar«, sagte Cole und lächelte sein Filmstarlächeln.

Gott, diese Zähne waren wirklich weiß. Aus einem Reflex heraus fuhr ich mit der Zunge über meine.

»Aber wir sehen uns jetzt bestimmt öfter. Deine Schwester ist nämlich meine neue Skilehrerin.« Er schielte zu mir. »Das ist doch dein Bruder, oder?«

Ich nickte knapp, und er blickte abwägend von Olly zu mir und wieder zurück.

»Sieht man.«

Nur Ollys Strahlen hielt mich davon ab, Cole Jacobs meine Cola ins Gesicht zu schütten.

»Ist nicht wahr! Das hast du gar nicht erzählt, Izzy!«

»Ja, sie ist auch noch ganz von den Socken.« Cole zwinkerte mir zu.

»Fluch des Pantheon ist meine absolute Lieblingsserie«, schwärmte mein Bruder, und die anderen drei am Tisch stimmten einen »Oh, ja«-Chor an. »Ich hoffe echt, dass Aquillus die Schlacht am Blutmeer überlebt hat.«

Abwartend richteten sie ihre Blicke auf Cole, der nur geheimnisvoll mit den Schultern zuckte und sich wieder mir zuwandte.

»Tja, Isobel, dann sehen wir uns morgen um zehn? Marissa will mit dir einen Zeitplan erstellen und die Details durchgehen. Ich wohne im Hotel Sebastian in Vail. Kennst du das?«

Mein verräterischer Kopf nickte. Natürlich kannte ich das Sebastian. Es war eines der besten Hotels der Region, und Wills Mum war die Direktorin. Noch dazu machte Lena dort gerade ihr Praktikum.

»Ich kann dir einen Fahrer schicken, der dich abholt.«

Ich schnaubte.

»Danke, aber ob du’s glaubst oder nicht, Frauen dürfen hier schon selbst fahren.«

Seine Mundwinkel hoben sich.

»Wir werden viel Spaß haben, Isobel.«

»Izzy«, brummte ich. »Niemand nennt mich Isobel.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Ich bin gern der Einzige.«

Mit einem Klopfen auf die Tischplatte verabschiedete er sich und schlenderte zur Tür, und meine Freunde besaßen immerhin den Anstand, sich so lange zurückzuhalten, bis er verschwunden war. Danach redeten alle gleichzeitig und durcheinander, viel zu schrill und viel zu laut. Lena betonte alle zehn Sekunden, wie unglaublich blau Cole Jacobs’ Augen waren, während Will und Ryan sich uneinig waren, ob er nicht doch wesentlich kleiner wirkte als in der Serie. Mein Bruder himmelte seinen Bierdeckel mit dem Autogramm an, und Kira war immer noch der festen Überzeugung, dass es sich bei seinen Augen nur um Kontaktlinsen handeln konnte.

»Jetzt beruhigt euch doch mal wieder«, sagte ich irgendwann genervt.

Für drei Sekunden breitete sich Schweigen am Tisch aus. Dann ging alles wieder von vorne los.

4.

Das Hotel Sebastian war ein Fünf-Sterne-Luxushotel im Herzen von Vail, das sich in den letzten Jahren zu den besten Adressen der Region gemausert hatte. Hier stiegen Ölbarone, Scheichs, Mitglieder europäischer Adelshäuser und Hollywoodschauspieler ab – und neuerdings auch selbstverliebte Serienstars, ergänzte eine grummelige Stimme in meinem Hinterkopf, als ich die Lobby betrat, in der es angenehm nach Holz und Kaminfeuer duftete. Da das Sebastian seit mehr als fünfzehn Jahren von Wills Mum Allison geführt wurde, war es nicht das erste Mal, dass ich das Hotel von innen sah. Trotzdem war ich immer wieder beeindruckt von der weitläufigen Lobby mit ihren hellen Steinmauern, den schweren Deckenbalken und dem eleganten frei stehenden Kamin mit den gemütlichen Ledersesseln.

Ich meldete mich an der Rezeption und erfuhr, dass sich Marissa Townsend ein paar Minuten verspäten würde. Sie ließ ausrichten, ich dürfe mir gerne eine Tasse Kaffee auf ihre Kosten bestellen. Wie großzügig. Müde ließ ich mich in einen der Sessel sinken und stierte in die Flammen, die mich jeden Moment einzuschläfern drohten. Mein Nacken spannte vom Umzug, und in meinen Oberarmen hatte ich einen bösen Muskelkater. Noch dazu hatte ich zu wenig Schlaf bekommen, weil ich die halbe Nacht damit verbracht hatte, Cole Jacobs zu googeln. Es war seltsam, jemanden über Onlineartikel und Interviews kennenzulernen, über Paparazzi-Schnappschüsse und Instagram-Posts.

Cole Jacobs war vierundzwanzig oder fünfundzwanzig – hier waren sich die Medien uneinig –, in Dublin geboren und im Alter von zwölf Jahren mit seinen Eltern nach Los Angeles gezogen, weil er die Hauptrolle in einer mäßig erfolgreichen Teenie-Serie bekommen hatte. Nach zwei Staffeln war er den Serientod gestorben und hatte in einem Duschgel- und einem Pepsi-Werbespot mitgespielt, bevor er die Rolle des Aquillus ergattert hatte, die ihn über Nacht zum Star machte. Siebeneinhalb Millionen Menschen folgten ihm auf Instagram, fünf Millionen auf Twitter. Er besaß ein Haus in Malibu und ein Loft in New York, trank am liebsten Pepsi (womöglich musste er das sagen) und hatte eine Schwäche für Oreos (hier konnte ich keine Verbindung zu Werbedeals herstellen). Einige Artikel hatten sich ausführlicher mit den Frauen an seiner Seite beschäftigt. Da gab es einmal Unterwäschemodel Mackenzie Moore, mit der er im Liebesurlaub auf St. Barth gesichtet worden war, und seine Serien-Schwester Cora Lewis, mit der er »nur gut befreundet« war, ab und an aber knutschend in Bars abgelichtet wurde. Außerdem dichtete man ihm Affären mit Selena Gomez, Chloë Grace Moretz und Kendall Jenner an.

»Isobel?«, riss mich eine Stimme aus meinen Gedanken.

Marissa Townsend kam im Stechschritt auf mich zu und reichte mir die Hand. Sie trug schwarze Röhrenjeans, ein weißes Slub-Shirt unter einem grauen Blazer und hatte ihr platinblondes Haar straff nach hinten frisiert. Der einzige Farbklecks waren ihre knallroten Lippen.

»Izzy«, korrigierte ich.

Sie reagierte nicht darauf und erwiderte stattdessen: »Cole wartet schon auf uns.«

Ich verkniff mir den Kommentar, dass ich seit einer Viertelstunde auf Cole wartete, und folgte ihr zum Aufzug. Natürlich hatte er die Residential Suite mit drei Schlafzimmern, drei Bädern, Esszimmer und Wohnzimmer gemietet. Und natürlich wartete er nicht auf uns. Stattdessen drangen Duschgeräusche aus dem Badezimmer, als ich die Suite betrat. Missmutig ließ ich mich in das Ledersofa sinken und sah mich im Wohnbereich um. Die Suite war geschmackvoll eingerichtet. Handgefertigte Holzmöbel, dickflorige Teppiche, moderne Lampen und Kunst an den Wänden. Es roch dezent nach einem Raumerfrischer und Marissas Parfum.

Als es an der Tür klopfte, sah sie kurz von ihrem iPhone auf und rief ein knappes »Ja«, bevor ein grauhaariger Mann in Hoteluniform einen üppig beladenen Frühstückswagen hereinfuhr. Er wollte gerade den Tisch eindecken, als Marissa abwinkte.

»Nicht nötig. Er trinkt sowieso nur seinen Shake.«

Der Mann lächelte höflich, nahm sein Trinkgeld entgegen und verließ die Suite wieder. Ungläubig sah ich auf die verschwenderische Masse von Brötchen, Muffins, Bagels, Obst und Säften. Warum bestellte sich dieser Idiot so viel Essen auf sein Zimmer, wenn er nichts davon aß? Als hätte er meine Gedanken gehört, öffnete sich die Badezimmertür, und ein halb nackter Cole Jacobs trat hindurch. Er trug nur ein Handtuch um die Hüften, und sein Haar wellte sich feucht vom Duschen. Ich schluckte, als meine Augen über seinen gebräunten Oberkörper fuhren, die gemeißelte Brust, das perfekte V, das in seinem Handtuch verschwand. Du meine Güte, dieser Körper machte Photoshop zu einer überflüssigen Erfindung.

»Oh, du bist schon da«, sagte er und schlenderte lässig auf mich zu.

Ein Schwall feuchtwarmer Luft breitete sich im Zimmer aus.

»Du hast zehn Uhr gesagt«, bemerkte ich knapp.

»Wie spät ist es?«, kam es gähnend aus seinem Mund.

»Zwanzig nach«, sagte Marissa und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Vierundzwanzig nach«, korrigierte ich.

Cole ging zum Frühstückswagen und fand nach kurzem Suchen ein Glas mit einer milchigen Flüssigkeit. Er nahm einen großen Schluck und ließ sich mir gegenüber in den Sessel sinken. Na wunderbar. Jetzt hatte ich diesen Adoniskörper auch noch direkt vor der Nase. Wie war es möglich, dass der Typ nicht mal im Sitzen eine Speckfalte hatte?

»Hast du schon gefrühstückt? Willst du was essen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»War das die Antwort auf die erste oder die zweite Frage?«

»Auf beide.«

Eure Majestät, hätte ich beinahe hinzugefügt, weil er wie der Sonnenkönig auf diesem Sessel thronte. Fast gelangweilt sah er zu Marissa, die wild auf ihrem iPhone herumtippte.

»Also«, murmelte sie vor sich hin. »Ich schlage vor, dass ihr immer morgens um elf Uhr mit dem Training beginnt und dann …«

»Elf Uhr ist nicht morgens«, unterbrach ich sie.

Irritiert sah sie mich an.

»Da sind die Pisten längst voll. Wir sollten um acht, spätestens um halb neun anfangen, um optimale Bedingungen zu haben.«

»Vergiss es«, gähnte Cole und streckte sich, wobei ich Mühe hatte, nicht auf seine Brustmuskeln zu starren. »Da bin ich zu nichts zu gebrauchen.«

Marissa nickte.

»Cole ist Langschläfer. Er ist nur für dich heute so früh aufgestanden.«

So früh? Es war fast halb elf. Meine Miene verfinsterte sich.

»Wenn wir erst um elf Uhr anfangen, kommen wir nicht auf sechs Stunden«, versuchte ich es erneut. »Ab sechzehn Uhr wird es zu dunkel. Noch dazu sind die Pistenverhältnisse am schlechtesten.«

Marissa überließ Cole die Entscheidung.

»Schön, dann fangen wir eben um zehn Uhr an«, sagte er wenig begeistert.

»Halb zehn. Und das ist auch nicht verhandelbar.«

Er grummelte etwas vor sich hin, zuckte dann aber mit den Schultern. Na, geht doch …

»Okay«, sagte Marissa gedehnt und wischte wieder auf ihrem Handy hin und her. »Dann sollten wir besprechen, wie wir Isobel deinen Followern präsentieren. Ich hatte an ein kleines Liveinterview gedacht. Eventuell könnten wir auch eine Story …«

»Moment! Was heißt hier präsentieren?«, unterbrach ich sie alarmiert.

Marissa sah mich an, als wäre ich eine zwölfjährige Praktikantin, die ihre Sprache nicht sprach.

»Cole hat eine große Fangemeinde in den sozialen Netzwerken. Seine Follower erwarten von ihm, dass er sie intensiv an seinem Leben teilhaben lässt.«

»An seinem. Aber nicht an meinem.«

Sie lächelte mitleidig.

»Das ist in diesem Fall dasselbe. Zumindest für sechs Stunden am Tag.«

»Ich werde ganz bestimmt kein Interview geben.«

Marissa fixierte mich.

»Irgendwie müssen wir dich aber einführen.«

»Ich bin kein Tampon.«

Cole prustete und fing sich einen warnenden Blick von Marissa ein.

»Isobel«, sagte sie betont geduldig. »Wenn wir den Leuten nicht erklären, wer du bist, führt das nur zu Gerüchten und Schlagzeilen, die wir nicht wollen. Es wäre im Interesse von uns allen, wenn wir von Anfang an klare Verhältnisse schaffen.«

»Von mir aus«, seufzte ich resigniert. »Aber ich gebe kein Interview und will auch nicht vor irgendeiner Kamera sprechen. Sonst bin ich auf der Stelle weg.«

Und meinen Job los. Denn Bill würde garantiert kein Verständnis dafür haben, dass ich unseren prominentesten Kunden nach nicht mal einem Tag vergrault hatte.

»Warum sagen wir nicht einfach, wie es ist? Dass ich mich auf eine Rolle vorbereite und Isobel meine Skilehrerin ist«, sagte Cole gelangweilt und leerte sein Glas.

Marissa dachte kurz nach und musterte mich wie ein Insekt unter einem Mikroskop.

»Meinetwegen. Sie ist ja auch überhaupt nicht dein Typ. Eine Affäre dichten sie euch schon mal nicht an.«

Ich spürte Coles Blick auf mir und schluckte die Beleidigung hinunter. Nicht sein Typ. Der wollte ich auch gar nicht sein. Eine Sekunde lang blitzten Bilder von Mackenzie Moore und Cora Lewis vor meinem Auge auf. Beides brünette Schönheiten mit ellenlangen Beinen und Möpsen in Melonengröße. Nein, so sah ich wirklich nicht aus. Mein Körper war schlank und durchtrainiert, aber ich fühlte mich am wohlsten in meinen Snowboardklamotten, und abgesehen von etwas Mascara war ich meistens ungeschminkt.

»Hast du einen Twitter-Account?«, erkundigte sie sich.

Ich schüttelte den Kopf.

»Instagram?«

»Ja, aber den nutze ich eigentlich nie. Ich folge nur ein paar Snowboardern und …«

»Alles klar«, brachte sie mich mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen. »Während du mit Cole zusammenarbeitest, stimmst du bitte alle Posts mit mir ab. Das gilt natürlich auch für Storys.«

»Ich hab doch gesagt, dass ich …«

»Dann wäre da noch die Verschwiegenheitsklausel«, fuhr sie mir erneut über den Mund, stand auf und zog eine Ledermappe aus ihrer Handtasche.

»Verschwiegenheitsklausel?«

Sie reichte mir ein blütenweißes Stück Papier und einen eleganten Kugelschreiber.